Vankylan von watersoul ================================================================================ Prolog: -------- Da war es wieder, dieses unerträgliche Gefühl beobachtet zu werden. Er sah sich um. Zwischen den schwarzen Baumstämmen kroch aber nur kalter grauer Nebel hervor, der Wind pfiff durch die blattlosen Äste, das Unterholz raschelte. Er nahm die Schaufel, die er auf den Rücken gebunden hatte, und begann mit zitternden Händen zu graben. Der leblose Körper, der neben ihm lag, begann sich zu regen. Er sprang zurück, ließ die Schaufel fallen und fixierte die Leiche entsetzt. Kalter Schweiß rann ihm über die Stirn die Schläfen hinunter. Eine Kreuzotter wand sich unter einem grau-weißen Arm heraus, nahm die nicht vorhandenen Beine in die Hand und machte, dass sie davon kam. Er atmete tief durch. Seine klammen Finger ergriffen die Schaufel erneut und er fuhr mit dem Graben fort. Und schon wieder spürte er einen stechenden Blick im Nacken. Er wirbelte herum. Obgleich es nun Instinkt war oder nicht, auf jeden Fall schrie dieses ungute Gefühl ihn an, er solle doch endlich verschwinden, und zwar so schnell wie möglich. Aber er musste das hier zu Ende bringen. Irgendwo in der Nähe heulte ein Wolf. Er begann schneller zu graben. Sein Atem dampfte, es war kalt. Dennoch war der Waldboden noch beachtlich weich - es war erst November. Seine Nackenhaare sträubten sich, er bekam eine Gänsehaut. Erneut sah er sich um aber es war wieder nichts zu sehen. So bemerkte er auch nicht die gelben wahnsinnigen Augen und das teuflische Grinsen, von denen er schon seit geraumer Zeit fixiert wurde. Er schaufelte fleißig weiter. Jetzt war das Loch tief genug. Er legte die Schaufel weg. Er sah auf den toten Körper. Das Gesicht glänzte noch leicht, das Blut war trocken. Noch einmal wollte er sich umschauen, drehte sich um hundertachzig Grad und starrte direkt in zwei weit aufgerissene bernsteingelbe Augen, die von einem wahnsinnigen Grinsen begleitet wurden. Der Schock fuhr ihm bis in die kleinsten Kapillaren, sein Instinkt, der ihn bis jetzt zugedröhnt hatte zu verschwinden, setzte aus, alles verstummte, sein Nervensystem wurde von Adrenalin überschwemmt. Weg hier... Er machte einen Schritt rückwärts aber da war kein Boden mehr. Er taumelte und fiel in das Loch. Eine herausragende Wurzel brach ihm das Genick. Die leichte Erschütterung reichte aus, um den kleinen strategisch günstig genau am Rand des Grabes beginnenden Erdberg zum Rutschen zu bringen. Tja, was soll man dazu sagen? Als makaber veranlagter Jugendlicher hatte er mal auf die Frage, wie er sterben wolle, geantwortet, dass er sein Grab selbst schaufeln möchte... Chapter One ----------- „SOHN UND TOCHTER DES BÜRGERMEISTERS VERMISST“, stand in großen Buchstaben auf der Titelseite der Zeitung. Robin griff danach. „… seit vier Tagen verschwunden. Die Suche läuft auf Hochtouren. Beide waren sechzehn Jahre alt. Bürger, die Hinweise haben …“ Das Foto, dass von den Schriftbalken eingerahmt wurde, zeigte zwei Teenager mit einer gepflegten Erscheinung. Beide lächelten in die Kamera. Robin legte die Zeitung weg. Das gezwungene Grinsen der beiden Figuren da war ihr zu nervenraubend. Alle in der Stadt rannten mit so einer aufgesetzten Maske rum, es war belastend. Robin lebte allein. Ihre Eltern waren nie ihre Eltern gewesen. Letztendlich kam sie allein am besten zurecht. Auch wenn sie selbst erst sechzehn war … Ihre Gedanken kehrten zu den beiden Vermissten zurück. Sie wagte zu bezweifeln, dass die zwei lebend zurückkehren würden. Viel wahrscheinlicher war es, dass sie gar nicht oder nur teilweise auftauchten. Aber jetzt war es ja sowieso zu spät. Robin verließ den Laden, in dem sie gerade war. Die Zeitung nahm sie zwar mit, aber die landete im nächsten Mülleimer. Wahrscheinlich würde sie irgendein Obdachloser später mit einer dankbaren Mine rausfischen. Robin lief durch die Straßen. Ihr weiter Umhang wehte gespenstisch. Die Leute machten einen Bogen um sie. Ob es nun daran lag, dass sie eine unangenehme Aura ausstrahlte (die diese trotteligen Dorftapse sowieso nicht wahrnahmen) oder sich nicht so konservativ und grell bunt kleidete wie die anderen feinen Damen, sei mal dahin gestellt. Aber rein optisch hob sich Robin tatsächlich von der Masse ab. Anstatt eines übertriebenen, weit gestellten Kleides und einem Hutkäppchen trug sie eine eng anliegende schwarze Hose, die in den überkniehohen, flachen Stiefeln verschwand. Ein schwarzes Lederkorsett über einer weitärmligen, hellen Leinenbluse, Schnallen an Stiefeln und Korsett und ein langer schwarzer Umhang lieferten den herausgeputzten Damen auf der Straße immer wieder Gesprächsstoff. Und im Gegensatz zu denen trug Robin auch kein Schirmchen über der Schulter sondern ein Schwert am Gürtel und noch so andere kleine feine Waffen. Für diese Kleidung hatte sie lange suchen müssen – immerhin war sie nicht unbedingt Standart. Aber dafür liebte sie sie umso mehr. Langes dunkelblau-schwarzes Haar machten sie vollständig zur Außenseiterin. Mit dieser Farbe war sie genauso normal wie eine Palme am Nordpol. Aber warum eine solche? Sie wusste es nicht, aber es war ihr auch egal. Im Gegenteil, sie fand es schön und dass sich die Weiber darüber die Mäuler zerrissen, war sogar ein wenig amüsant. Wie hysterisch sich manche darüber aufregten, legte Robin des Öfteren ein ironisches Grinsen aufs Gesicht. Gedankenverloren lief sie durch die Straßen. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt, es begann zu regnen. Innerhalb von zehn Sekunden entwickelte sich ein Wasserfall. Das Wasser prasselte auf sie herab, es goss in Strömen. Robin störte das nicht weiter. Sie liebte den Regen. Es war, als ob Gott – nein, der Himmel weinte. An Gott glaubte sie schon lange nicht mehr, denn ein Gott würde niemals solche Kreaturen erschaffen wie die zwei Personen, die andere Kinder Eltern nannten. An sich wäre alles halb so schlimm gewesen, aber … nun ja, ihre Mutter war Prostituierte, ihr Vater arbeitslos. Man sagt zwar Liebe überwinde alle Grenzen, aber nachdem Robin auf die Welt gekommen war, stellte sich heraus, dass die zwei Geschwister waren, die sich durch elterliche Scheidung aus den Augen verloren hatten. Wie grausam der Zufall doch sein kann … Ihre Mutter hatte das psychisch nicht verkraftet. Sie ist verrückt geworden. In ihrem Wahn ist sie dann eines Tages aus Panik vor einer Halluzination durch ein Fenster im vierten Stock gerauscht. Sie war sofort tot – Genickbruch. Und ihr Vater … nun, er gab Robin die Schuld dafür. Halb tot geprügelt ist sie dann irgendwann abgehauen. Bis jetzt hielt sie sich mit allen möglichen Arbeiten über Wasser. Damals hatte sie sich geschworen, nie wieder wehrlos verprügelt und erniedrigt zu werden. Das war vor acht Jahren. Seitdem hatte sie trainiert, hart, tagelang, Nächte durch. Manchmal war sie vor Erschöpfung zusammengebrochen. Oft wachte sie dann erst am nächsten Tag auf, mal auf der Straße, mal auf dem Trainingsplatz (der des Öfteren auch im Wald war) oder in einem Haus, in das sie aus Mitleid geschleppt worden war. Aber dort verschwand Robin immer so schnell wie es ging und möglichst unbemerkt. Nichts hasste sie mehr als Mitleid. Okay, sie war nicht kaltblütig und sie half auch wenn es nötig oder nichts anderes möglich war. Aber Mitleid mit anderen war so eine Sache … Es hatte einfach nichts mit Gefühlen für die Person selbst zu tun, es war lediglich erniedrigend. Deshalb hätte sich Robin auch lieber die Hand abgehackt als in Selbstmitleid zu versinken. Denn das war nicht wirklich was anderes, bis auf die Tatsache, dass es vielleicht noch erbärmlicher war? Damit lechzte man doch geradezu nach Aufmerksamkeit, fast so, als hätte man Minderwertigkeitskomplexe. Und Unsicherheit die eigene Person betreffend konnte sich Robin beim besten Willen nicht leisten, wenn sie in dieser rauen Gesellschaft überleben wollte. Mal ganz abgesehen davon ließ es ihr Stolz einfach nicht zu. Was sollte sie auch machen? Life goes on! Und Motivation holte sie sich aus der Tatsache, dass alles, was sie nicht umbringt, einfach nur stärker machte. Der Regen ließ nach und Robin sah sich erstaunt um. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie unbewusst aus der Stadt in den nahe gelegenen Wald zu ihrem Trainingsplatz gelaufen war. Die Lichtung hatte etwas an sich, was Robin jedes Mal sentimental werden ließ. Auf dem Boden wuchs kein Gras, es war die blanke Erde. Die Bäume, die die Lichtung säumten waren kahl und spröde, das Holz knarrte beim kleinsten Windhauch. Wahrscheinlich waren sie längst tot. Trotzdem standen sie kerzengerade und ließen nur wenig Licht auf den Boden. Alles in allem war der Anblick reichlich trostlos und er erinnerte Robin auf merkwürdige Weise an ihre Kindheit. Auch diese war von Trostlosigkeit durchzogen, aber das war wiederum nicht die gleiche wie hier. Damals war sie geflohen – weil sie es wollte – hier allerdings fühlte sie sich wohl. Das war ihr Revier und jedem, der es ohne ihre Erlaubnis betreten sollte, würde sie ganz direkt ihre über die Jahre geschärften Zähne zeigen! Warum auch nicht? Freundlichkeit?! Warum? Ihr wurde auch nie welche zuteil. Warum um alles in der Welt sollte Robin der Welt etwas zurückgeben, das sie nie von ihr erhalten hatte?! „Leben und leben lassen“ – das war das Motto für naive Optimisten, denen es früher oder später sowieso das Genick brechen würde. Nein, in dieser Welt hieß es „Fressen oder gefressen werden“! Und so schnell würde sich das nicht ändern. Es sei denn, die da oben bekämen endlich die Erleuchtung. Aber warum sollten sie? Denen geht es doch gut. Die brauchen sich keine Gedanken zu machen, was am nächsten Tag auf dem Tisch stehen soll oder ob sie schon Fensterkitt fressen müssen um nicht vor Hunger wahnsinnig zu werden! Im Gegenteil: Die machen sich noch das Leben schwer, indem sie sich nicht entscheiden können, was sie dieses Mal aus ihren ohnehin schon aus allen Nähten platzenden Kleiderschränken anziehen sollen. Versteh einer die Adligen. Geld ohne Ende aber sich beschweren… Es dauert echt nicht mehr lange und Robin würde Amok laufen! Diese Welt war so ungerecht… Viele solcher Gedanken schwirrten ihr beim Training durch den Kopf. Folglich bemerkte sie meist nicht, wie sie schon wieder dabei war, einen toten Baum zu Kleinholz zu verarbeiten. Manchmal verfiel Robin in einen Kampfrausch, der sie alles um sich herum vergessen ließ – und ständig fand sie sich in einer Szene der Verwüstung wieder. Aber was soll’s! Je mehr Platz desto besser. Hier konnte sie sich austoben, sich im Umgang mit Waffen üben, ohne dass jemand dazwischenfunkte. Erst kürzlich hatte sie auf einem Streifzug über die Felder ein Schwert entdeckt. Es schien schon ziemlich alt zu sein, wahrscheinlich aus einem Krieg, der hier mal vor vielen Jahren getobt haben musste. Aber es war dennoch gut erhalten. Zwar schon leicht verrostet, aber die Klinge war noch in vollständigem Zustand und auch der Griff war noch ganz. Den Rost kratzte Robin vorsichtig ab. Darunter kam das blanke Metall zum Vorschein. Der Griff zeigte nach intensiver Reinigung und eingehender Betrachtung sehr kunstvolle Verzierungen. Dieses Schwert musste einem von der reichen Sorte gehört haben, dachte Robin mit Abscheu. Nichts desto trotz war es die Handarbeit eines Meisters. Sie behielt es, denn an ein solch gutes Schwert kommt man nicht so günstig – vor allem nicht heutzutage!! Damit besaß sie jetzt zwei Schwerter, vier Dolche und sechs Messer! Aber Robin übte sich nicht nur im Umgang mit Waffen, sondern auch ihre körperlichen Kräfte mussten trainiert werden. Vor allem ihre Schlagkraft ließ noch sehr zu wünschen übrig. Wie besessen drosch sie auf ein Stück Totholz ein, wahrscheinlich noch von dem geborstenen Baum. Ihre Knöchel waren bereits blutig, sie hatte Splitter in ihren Handrücken und Fingern. Sie machte weiter. Schmerzen war sie gewohnt, daran lag es nicht. Es gab einen anderen Grund, warum ihr jetzt die Tränen in die Augen stiegen: Die Welt, deren Grausamkeit und Robins gottverdammte Ohnmacht gegenüber dieser Tatsache! Wie oft hatte sie über ihre Existenz nachgedacht und wie oft hatte sie diese verflucht… Warum zum Henker gibt es den Menschen überhaupt?! Was er anrichtet, kann doch kein noch so existierender Gott wieder ins Reine bringen, am wenigsten der Mensch selbst. Alle halten sie sich doch für so schlau aber im Endeffekt zerbrechen sie gerade den letzten Strohhalm, der sie im Ozean der Zerstörung noch hätte retten können. All diese Dinge brachten Robins Blut jedes Mal zum Kochen! Alles drehte sich im Kreis. Sie dachte nach, wurde wütend, zerschlug alles um sich herum, wachte auf, sah den Schaden, dachte wieder nach, wurde wieder wütend … Ein Hoch auf das Leben! Ein Hoch auf den idyllischen Garten, der sich Paradies nennt und dessen Teich gerade kippt, dessen Blumen welken, dessen Bäume brechen, dessen Vögel tot zu Boden fallen, weil die Luft verpestet ist! Jaaaa, ein Hoch auf Gott, der den größten Fehler seiner verdammten und noch nicht mal bewiesenen Existenz gemacht hat!! Reden wir miteinander – I hate you … … to be continued … Chapter Two ----------- Rot. Alles war rot, der Boden, auf dem nur spärlich Gras wuchs, die Glasscherben, die überall verstreut lagen, ihr aschblondes Haar und auch das schmutzigweiße Kleid, das die Frau anhatte. Da lag sie, regungslos … und alles war rot gefärbt von ihrem Blut. Das Mädchen stand daneben, nicht älter als acht Jahre. Ihr Röckchen flatterte etwas im Wind, ihre dunkelblauen Zöpfe wehten, aber sie selbst blieb bewegungslos stehen und sah auf die tote Frau. Die Augen der Kleinen waren leer, das Gesicht neutral. Außer dem Wind, der um die Häuserecken pfiff, war nichts zu hören. Und keine Menschenseele war zu sehen – nur das Mädchen neben der Leiche. Ihr Gesicht änderte langsam den Ausdruck, kaum merklich, nicht sichtbar. Der Unterkiefer senkte sich, die Augenbrauen zogen sich zusammen. Verzweiflung machte sich in Zeitlupe breit, die man aber erst als solche erkannte, als der Mund schon weit offen stand. Der Brustkorb hob sich, die Luft strömte durch die offenen Kiefer in die Lunge des Mädchens. Immer noch herrschte Stille. Als das Zwerchfell keine weitere Luft in den kleinen Körper saugen konnte, trat diese den Rücktritt ins Freie an – über die Stimmbänder! Sie schrie, schrie aus Leibeskräften, schrie ihre Verzweiflung und Fassungslosigkeit, ihren Schock hinaus. Der Schrei hallte an den grauen Häuserwänden wider und verschwand unbeachtet in der leeren, kalten und feuchten Gasse. Dem Mädchen rannen Tränen über das Gesicht und sie fiel auf die Knie. Neben ihrer toten Mutter weinte sie weiter, wusste nicht wie lange, schlief irgendwann ein und wachte in der Nacht wieder auf. Die Leiche war weg. Nur sie war hier liegengelassen worden. Von wem? Wer hatte ihre Mutter weggebracht? Und was sollte sie jetzt tun? Warum war ihre Mutter eigentlich gestorben? Das Mädchen verstand es nicht, kapierte nicht, dass ihre Mutter wegen ihr starb, wegen der Tatsache, dass sie auf der Welt war. Sie, die eigentlich nicht hätte geboren werden dürfen. Aber sie war erst acht. Wie hätte sie verstehen können, dass es ein verfluchtes Schicksal ist, als das Kind von Geschwistern auf der Welt zu sein. Ihre Mutter war nie ein Musterbeispiel gewesen. Wenn ihr Mann nicht da war, empfing sie immer wieder Freier, obwohl sie ihm gesagt hatte, dass diese Zeiten vorbei waren. Das Kind wurde dann immer elegant ignoriert, egal, was es auf dem Herzen hatte. So lernte die Kleine Selbstständigkeit. Und sie konnte damit leben, auch wenn es schwer war. Diese Frau war als Mutter untauglich, dennoch hatte das Mädchen ihr ihre Liebe geschenkt. War aber bisher immer enttäuscht worden … Aber warum wurde das Kind plötzlich so gehasst? Was hatte sie falsch gemacht? Der Name Robin war das einzige, was ihr noch von ihr geblieben war. Alles andere war einfach weg, war mit ihrer Mutter gestorben. Ist ebenfalls aus dem Fenster gerauscht und irgendwo hin verschwunden. Oder liegt auch in Scherben auf dem Boden. So wie das Fenster und Robins Herz. Ihr Vater … was machte er, wo war er gerade? Lag zu Hause – zumindest körperlich, zwangsläufig. Sagte früher aber immer, er hielte es dort nicht mehr aus. Da lebte ihre Mutter noch. Vor allem lebte sie da noch zu Hause. Irgendwann kam es zu einem Gespräch zwischen einem seltsamen alten Mann und ihren Eltern. Sie selbst sollte nicht zuhören. Also verschwand sie in ihr Zimmer und spielte mit ihren Puppen. Ab diesem Abend änderte sich alles schlagartig. Ihre Mutter wurde irgendwie komisch, war noch abweisender zu Robin, hysterisch gegenüber ihrem Mann, ließ niemanden an sich heran … Sie war nicht mehr die gleichgültige Frau von früher, die Robin so in ihr kaputtes Herz geschlossen hatte. Diese Frau war jetzt eine Fremde. Auch griff sie des Öfteren zum Lederriemen. Da Robin keine Freunde hatte, konnte sie niemand fragen, woher denn die roten und blauen, teilweise blutigen Striemen auf ihrem Rücken kamen. Ihr Vater war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr an diesem Ort zu Hause. Ließ sich nur blicken um etwas zu holen oder zu essen, meistens aber, um sich Geld einzufordern. Dann kam der Tag, an dem Robins Eltern mal wieder eine Auseinandersetzung in Weltkriegausmaßen hatten. Das Ende vom Lied war, dass er wieder verschwand und die Tür dabei vor Wut aus den Angeln riss, sie saß in der Küchenecke und heulte und lachte abwechselnd mit blutverschmiertem Gesicht. Robin aber lag zitternd unter ihrem Bett und wollte nicht wieder raus kommen. Letztendlich wurde sie wieder hervorgezerrt und weitere Male fanden auf ihrem Rücken Platz. Aber am nächsten Tag kamen ein paar Männer, die nicht zuhörten. Sie nahmen Robins Mutter mit und achteten nicht darauf, wie sehr sie schrie und sich wehrte, wie verzweifelt sie weinte und dableiben wollte. Die Männer sagten nichts und nahmen sie mit. Robin stand daneben und sah dem Geschehen fassungslos zu. Auf sie wurde überhaupt nicht geachtet, sie wurde nur zur Seite gestoßen. Ihre Mutter landete in einem Transporter, wo die Türen hinten ein Gitter vor dem Fenster hatten. Alles ging ganz schnell, das Mädchen stand einsam und verlassen im kaputten Türrahmen und sah dem Wagen nach, der gerade ihre Mutter wegfuhr – auf den geschlossenen Türen war der Name der städtischen Irrenanstalt zu lesen. Robin konnte sich denken, wer das Ganze veranlasst hatte. Stumme Tränen rannen über ihr regloses Gesicht. Bis sie merkte, dass sie beobachtet wurde. Ihr Kopf drehte sich zur Seite und sie sah ihren Vater auf der Veranda stehen, ruhig, gelassen, aber nichts desto trotz hatte er etwas Hasserfülltes an sich. Robin beschlich eine leise Angst, die ganz langsam ihre Beine herauf kroch wie ein widerwärtiger Dämon, der ihren Verstand einnehmen wollte. Sie sah ihrem Vater in die Augen. Sah nichts. Was für ein Pokerface! Mit einem Schock musste Robin allerdings feststellen, dass er den Lederriemen in der Hand hielt – in der einen, in der anderen hielt er ein abgebrochenes Tischbein. Sie wollte weg, konnte sich aber vor Angst nicht bewegen. „Du gottverdammte kleine Höllenbrut!“, zischte er. „Du hast sie verrückt werden lassen! Wegen dir ist sie jetzt in St. Darrol! ICH BRING DICH UM!!!!“ Robin rannte um ihr Leben. Sie hatte eine unbeschreibliche Angst. Sie rannte um die Ecke. An der Haustür vorbei. Den Podest herunter. Sie musste das Gartentor erreichen! Dann die Straße zur Stadt weiter laufen! Er würde sie dann nicht mehr einholen können! Da fiel sie. Etwas hatte sich um ihre Füße gewickelt – der Lederriemen. Er hatte ihn nach ihr geworfen. Jetzt war er über ihr. Er hob das Holz und schlug zu. Robins Schlüsselbein gab mit einem Geräusch nach, das an einen Biss in eine Knäckebrotscheibe erinnerte. Mit zehnfacher Lautstärke. Noch einmal schlug er zu und traf den Rücken des sich unter den Schmerzen windenden kleinen Wesens unter ihm. Dieser Schlag riss ihr die Haut auf und sie sah auch ein paar Holzsplitter durch die Gegend fliegen. Noch einmal setzte er an und Robin war sich sicher, der nächste Schlag würde sie töten. Aber Herrgott noch mal, sie konnte sich doch nicht von so jemandem umbringen lassen! Jemand, der die eigene Frau in den schlimmsten Zeiten verlässt und dann auch noch seine Tochter dafür verantwortlich macht. Sie weinte und bebte vor Wut. Aber so zerschunden wie sie war, konnte sie ihm kein Paroli mehr bieten. Das war’s dann wohl … Der letzte Schlag kam nicht. Sie öffnete die Augen wieder, die sie, den Tod erwartend, geschlossen hatte. Was sie sah, zerschlug sogleich all ihre Hoffnung auf ein eventuelles Überleben. Das Gesicht ihres Vaters war wutverzerrt, Wahnsinn spiegelte sich in seinen Augen wider. Robin wartete fast schon wieder auf die Männer, die nicht zuhörten. Die hätten ihren Vater auch gleich abholen können. Aber dieser fauchte ihr jetzt etwas ins Gesicht, das sie ihr Leben lang nicht vergessen würde, auch wenn sie es noch nicht richtig verstand: „Weißt du, was passiert, wenn Geschwister ein Kind zeugen? Dieser Bastard ist verflucht! Er wird nie zur Ruhe kommen, oder ein glückliches Leben führen können! Einem Leben in der Hölle wirst du nicht entkommen! Du bist verflucht! ICH VERFLUCHE DICH!!!“ Er setzte noch einmal zum Schlag an, aber Robin trat in ihrer Angst aus. Sie traf ihn zwischen die Beine. Er keuchte und sank auf die Knie. Sie machte, dass sie ein paar Meter Abstand zu ihm bekam. Ihr Hals und ihr Schultergürtel schmerzten höllisch. Ihr Rücken hinterließ dunkelrote Schlieren auf dem braunen Gras. Ihre Hände tasteten nach hinten, da berührte sie das abgebrochene Stück Holz. Sie betrachtete es. Auch hier klebte Blut. Plötzlich wurde Robin von glühendem Hass überschwemmt Sie sah ihren Vater an, der sie ebenfalls ansah. Er war nicht minder wütend als vorher, aber das war ihr jetzt egal. Es galt alles oder nichts! Sie schnappte sich das Holz und stürzte sich auf ihn. Er war auf diesen Überraschungsangriff nicht gefasst gewesen. Dementsprechend blieb die Reaktion aus. Er sah sie nur mit großen Augen an, Wut wich Perplexität. Aber sie zögerte nicht – nun nicht mehr! Mit einem Hieb rammte sie das Holz in seinen Hals. Blut spritzte erst in einem Zug, dann im pulsierenden Rhythmus der Halsschlagader. Ein Röcheln, zu mehr war er nicht im Stande. Zumal seine Stimmbänder zerfetzt waren. Das Blut floss weiter. Er konnte nicht mehr atmen, das Holz steckte quer in seiner Luftröhre. Ob es nun der Blutverlust oder der Sauerstoffmangel war, der Tunnelblick setzte bei ihm ein, alles wurde taub. Er kippte zu Seite und dämmerte langsam weg. Wahrscheinlich bekam er noch nicht einmal mehr mit, dass Robin das Holz aus ihm herauszog um ihm jede mögliche Überlebenschance zu nehmen. Der rote Bach, der ihm die Schultern herunter lief, versickerte ganz langsam im Boden. Robin sah reglos zu, wie ihr Vater starb. An diesem Tag war etwas in ihr gestorben. Es war ermordet worden. Sie begrub es in ihrer Seele, behielt die Erinnerung daran und war doch nicht in der Lage es wieder zum Leben zu erwecken. Ihren Vater ließ sie so liegen. Er verdiente kein Grab. Nicht in ihren Augen. Sollten sich doch die Krähen die nächsten Tage darüber hermachen. Prima, dann hatten die Süßen wenigstens ordentlich was zu futtern! Im Haus nahm Robin einen Kanister nach dem anderen, drehte die Kappe ab und begoss damit das Haus von oben bis unten mit Benzin. Sechs Kanister wurden so geleert. Dann ging sie in die Küche und öffnete den Schub mit den Küchenmessern. Die vier größten und schärfsten steckte sie sich in den Gürtel. Das Geld der Freier aus der Dose auf dem Schreibtisch ihrer Mutter ließ sie auch mitgehen. Dann ging sie zurück zur Leiche ihres Vaters und zog ihm sein Feuerzeug aus der Tasche. Seine Augen waren geöffnet. Robin schob die Lider zu. Trotz der Tatsache, dass er tot war, hasste sie Leichen mit offenen Augen, denn das gab ihr immer das Gefühl, beobachtet zu werden. Das Feuerzeug ließ sie aufschnappen und warf es auf die benzinüberflutete Veranda. Eine Feuerwand schoss empor, der Robin mit regloser Mine zusah, wie sie das Haus auffraß. Sie drehte sich um und ging durch das Gartentor. Die Straße entlang. Richtung Stadt. Als erstes brauchte sie einen Arzt. Sollte er ihr Fragen stellen, würde sie ihm einfach ein bisschen Geld in den Kragen stecken. Zwei Tage später starb auch ihre Mutter. In der Anstalt in ihrem Zimmer sah sie eine Erscheinung, von der sie glaubte, dass sie sie für diese Todsünde namens Robin bestrafen wollte. In ihrer Panik rauschte sie durch das türgroße Fenster ihres Zimmers im vierten Stock. Und Robin musste es mit ansehen – die wollte gerade zu Besuch kommen und stand am Eingang, als ihre Mutter neben ihr auf dem Boden aufschlug. Immer wieder fragte sie sich, warum; Was ihr Vater als letztes gesagt hatte, würde sie erst Jahre später verstehen. Es war ein Fiasko. Jetzt war sie frei … Doch der Dämon in ihr war geweckt worden. Sie würde nie wieder so sein wie früher. Wohlgemerkt, sie war erst acht … Solange es dich nicht erschlägt – Gute Nacht … … to be continued … … to be continued … Chapter Three ------------- Chapter Three Wenn dich Träume nicht loslassen und dich sogar noch im Wachzustand verfolgen, solltest du dir Gedanken machen. War es wirklich nur ein Traum? Oder eine Vision … vielleicht auch eine Erinnerung. In diesem Falle traf letzteres zu. Natürlich konnte Robin sich an jenen Tag vor acht Jahren erinnern. Wie könnte sie ihn je vergessen? Noch heute sah sie die Leiche ihres Vaters vor sich, die sie mit leerem Blick anstarrte. Nur beim Gedanken daran fröstelte sie. Starrende Leichen hasste sie zutiefst. Und wusste noch nicht mal, warum … aber irgendwie war da immer so ein Gefühl von Horror, so als würde dieses tote Stück Fleisch gleich wieder zum Leben erwachen und sich auf sie stürzen. Natürlich wusste Robin, dass es Schwachsinn war – aber wie sollte man Reflexe außer Kraft setzen? Und diese Vorstellung war ein Reflex. Zumal es ihr irgendwie immer so vorkam, als hätte sie so was schon gesehen, als wäre es nicht das erste Mal. Denn irgendwoher musste dieser Abscheu ja kommen. Wenn sie es bloß wüsste ... Robin betrachtete nachdenklich ihre zerschundenen Hände, die Holzsplitter steckten darin und waren zum Teil so abgesplittert, dass man sie mit bloßer Hand herausziehen konnte. Die Haut war an den Knöcheln abgeschürft. Blut und Lymphe traten aus den Wunden. Auf der Haut, die nicht beschädigt war, waren unzählige Narben auszumachen. Das war nicht das erste Mal, dass Robin sich die Hände derart aufschlug. Aber was sollte sie auch machen? Aufhören konnte sie damit nicht, sonst würde sie irgendwann explodieren. Ganz schwach nahm Robin auf einmal einen Geruch war, der hier nicht hingehörte. Er war seltsam aber nicht zuzuordnen, dafür war er zu schwach. Plötzlich kam eine Brise aus nördlicher Richtung – und trug einen Schwall dieses Geruchs mit sich. Robins Kopf schnellte nach Norden, fast so als würde ihr ein Feind gegenüberstehen. Vielleicht würde das auch passieren, sie hatte keine Ahnung, aber einer Sache war sie sich nun sicher: Es war Verwesungsgestank. Wahrscheinlich hatte sie ihn nicht bemerkt, weil sie so intensiv damit beschäftigt war, das Holz auseinander zu nehmen. Nach Norden also ... da müsste sie quer über die gesamte Lichtung. Sie schnallte sich ihr Schwert um, ließ nichts zurück, auch nicht ihren Dolch und ging geradewegs in die Richtung, in die sie gelockt wurde. Die Lichtung lag ruhig und verlassen da. Und auch Robin konnte diese Einsamkeit nicht auslöschen. Sie lief nur schnurstracks gerade auf die schwarze Lücke zwischen den grauen Stämmen zu. Diese wirkte fast wie eine Pforte zur Dunkelheit. Noch war Licht mit im Spiel aber sobald Robin zwischen den Bäumen durchschritt, würde es verschwinden und sie würde sich in einem Reich der Finsternis wieder finden. Die Stärke des Geruchs nahm zu. Robin sah ihren Verdacht bestätigt, dass es nach Fäulnis und Verwesung stank. Je weiter sie lief, je näher sie dem Was-auch-immer kam, desto unerträglicher wurde der Gestank. Auf dem dunklen Waldboden hoben sich die vertrockneten Moose und die dürren Würmer und Insekten gestochen scharf ab. Sie schienen nicht mehr genug zu fressen zu finden. Wahrscheinlich waren schon unzählige von ihnen wegen Nahrungsmangel draufgegangen. Robin lief weiter und ihr fiel auf einmal auf, dass das Gewürm am Boden nicht mehr so dünn und lang war – jetzt wurden sie zunehmend fetter und kürzer, richtig widerlich. Und einer der Würmer war … kein Wurm. Nein, es war ein Finger. Wie viele Leichen hatte Robin in den letzten acht Jahren schon gesehen. Wie viel Blut und wie viele Knochen. Dieser Finger war blaugrau – und teilweise substanzlos. Schon ordentlich angeknabbert, die Würmer wanden sich durch das schmutzigrote Fleisch, nahe des Gelenks. Na lecker, dachte Robin. Sie trat einen Schritt zurück, um die ganze Sache zu überschauen und zu sehen, ob noch andere Leichenteile sichtbar waren. Neben der Leiche war ein Erdberg, der irgendwie in sich zusammengefallen schien. Die Erde im Bereich des darunter vermuteten Torsos war wie frisch umgegraben. Wer war es überhaupt, der hier tot und halb begraben im Wald lag? Sie ging im Kreis um das Grab herum. Nichts. Im Umfeld von 6 Metern gab es keine Spur von irgendwas, das verdächtig gewesen wäre. Keine Schaufel oder dergleichen, auch keine andere Leiche oder vielleicht Spuren eines Kampfes – rein gar nichts. Jetzt war sie wieder an ihrem Ausgangspunkt. Entschieden nahm sie das Schwert vom Gürtel und fing an, die Erde zur Seite zukratzen. Dabei schürfte sie auch öfter über die Haut der Leiche. Hautfetzen klebten an der Schwertklinge. Einfach nur ekelerregend. Der Brustkorb lag jetzt frei. Also erstochen wurde der hier nicht, keine Stichwunde. Doch die Rippen waren trotzdem teilweise zu sehen. Das Ungeziefer hatte schon ganze Arbeit geleistet. Robin legte den Körper weiter frei, jetzt den Kopf. Die Augenhöhlen waren schon leergefressen, der Mund stand offen, aus ihm wühlte sich gerade eine fette Made heraus. Trotz der Entstellungen war das Gesicht noch halbwegs zu identifizieren – und Robin erkannte sofort, wer der Tote war: der Sohn des Bürgermeisters. Sie konnte sich noch genau an das Bild in der Zeitung erinnern. Das hier war er, ohne Zweifel. Robin trat einen Schritt zurück. Der Kopf stand in einem ekelhaften Winkel ab. Aha, Genickbruch also … Während sie die Szene weiter betrachtete, wurde ihr langsam aber sicher übel. „Ich glaube, ich sollte wohl im Dorf Bescheid sagen. Wäre schon blöd, wenn die noch weiter auf ein Wunder hoffen, während Herr von und zu hier draußen als Monatsration dient.“ Aber kann ein Leichnam eigentlich in vier Tagen schon in einem so weit fortgeschrittenen Stadium der Verwesung sein? Egal wie gefräßig das Viehzeug hier auch sein mag, man kann ja noch nicht mal genau sagen, dass er schon am Tag seines Verschwindens gestorben ist! Robin warf noch einen letzten Blick auf die tote Masse, die früher mal ein Mensch gewesen sein soll. Dann machte sie sich auf den Weg ins Dorf. Soweit sie sich erinnern konnte, war eine Belohnung ausgesetzt für denjenigen, der die zwei Vermissten zurückbringen würde. Egal ob lebend oder tot. Da sie seine Schwester nicht gefunden hatte, wäre die Hälfte nur gerecht, aber wenigstens wäre dann etwas Geld da. Wieder in der Stadt machte sich Robin sofort zum Rathaus. Sie legte sich gar nicht erst ein paar Worte zurecht von wegen taktvoll oder vorsichtig beibringen oder sonst etwas dergleichen. Letztendlich würde es doch auf dasselbe hinauslaufen. Vor der Türe des Bürgermeisterbüros blieb sie stehen und klopfte dreimal. Sofort hörte man von drinnen ein gedämpftes „Herein!“. Robin trat ein und konnte richtig sehen, wie der Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht des Mannes hinter dem Schreibtisch sofort wieder verschwand, als er sie sah. Na klar, dachte sie verbittert. Keiner kennt mich, aber alle hassen mich. Prima, ich liebe euch alle, schoss es ihr durch den Kopf und eine kleine böse Stimme in ihr lachte sarkastisch. „Was wollen sie?“, fragte der Bürgermeister betont freundlich und distanziert, allerdings mit einem Lächeln, das selbst bei einer Maske echter ausgesehen hätte. Robin musste sich fast übergeben. Beherrschte sich allerdings und fing mit sachlicher Mine an: „Mr. Shaw, ich habe ihren Sohn gefunden – zumindest das, was von ihm übrig ist.“ Sofort änderte sich die Gesichtsfarbe des Mannes ihr gegenüber. Er wurde leichenblass. Jetzt ähnelte er seinem Sohn in dessen jetzigen Zustand sogar ein wenig, dachte sie in sich hinein grinsend. An Mitgefühl dachte sie jetzt nicht. Der Mann gegenüber sah sie an. In seinen zu Schlitzen verengten Augen konnte sie das pure Misstrauen erkennen. „Willst du damit sagen, er ist tot?“ Dieser forschende Unterton machte sie rasend. „Wie kommst du darauf, dass eine Leiche, die du irgendwo aufgegabelt hast, mein Sohn sein soll? Möglicherweise hast du deinen Toten auch noch selber auf dem Gewissen – zuzutrauen wäre es dir ja!“ Nur mit äußerster Körperbeherrschung konnte Robin eine Katastrophe verhindern. Sie wusste genau, dass sie in der Lage war einen Menschen zu töten. Moralisch sicher nicht ohne weiteres, aber körperlich mit links und vierzig Fieber. „Ich habe die Zeitung heute Morgen sehr ausführlich studiert. Noch ist es möglich, ‚meinen’ Toten zu identifizieren. Es würde mich freuen, wenn sie sich selbst davon überzeugen würden, allein damit sie mir glauben.“ Das Wort ‚meinen’ sprach sie dabei mit übertriebener Betonung aus. Aber Shaw bekam das nicht mit. Er stierte nur noch auf seine Schreibtischplatte, dann murmelte er irgendwas vor sich hin, aus dem Robin lediglich Wortfetzen wie „…unmöglich…“ oder „…wer…?“ heraushören konnte. Schließlich fing er sich wieder und fragte in einem ziemlich scharfen Ton: „Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sagst? Es kann genau so gut möglich sein, dass du mich nur in eine Falle locken willst, weil ich ein einflussreicher Mann hier in Hellslobby bin.“ Robin sah ihn an. Es war nicht zu erkennen, was sie in dem Moment dachte. Ihre Mine war versteinert. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Auf was für Ideen manche Menschen doch kommen, wenn sie nicht nachdenken. Warum brachte ihr ihre Erscheinung nur ein solch schlechtes Image?! Kein Mensch kannte sie wirklich, aber sie war immer Schuld. Wortlos drehte sie sich um und ging. Die Tür schloss sie hinter sich – und wie sie sie schloss. Erst gab es einen ohrenbetäubenden Knall, als Tür und Rahmen aufeinander krachten und es splitterte nur das Holz. Shaw sah sich die Tür mit ungläubigem Gesicht an. Der Mund stand ihm offen. Als er sie berührte, fiel sie dann lautstark gänzlich aus den Angeln. Er sprang zurück, sonst wäre ihm das schwere Holz noch auf die Füße gefallen. Bisher hatte Shaw nur gehört, was man sich über Robin erzählte. Dass sie eine Außenseiterin war, dass sie sich komisch kleidete (wovon er sich ja heute selbst hatte überzeugen können), dass sie seltsam war, weil sie ständig allein unterwegs war und auch mit keinem sprach, etc. Aber über ihre Stärke sprach man nicht – absichtlich. Wahrscheinlich aus Angst … manchmal konnte Robin nicht anders, als ihre Kraft auszuleben. Das machte sie selten genug, aber wenn sie beispielsweise provoziert wurde, war es schwer, sich zu beherrschen. Heute hatte Shaw aus erster Hand demonstriert bekommen, was es heißen würde, sie sich zum Feind zu machen. Nicht dass Robin sich die Hände wegen so einem Typ schmutzig gemacht hätte, aber woher sollte er das denn wissen? Robins Aura war der blanke Hass. Sie verabscheute diese Leute. Ihr Gang war schnell und energisch, ihr Umhang wehte hinter ihr her. Von hinten sah sie aus, als würde sie schweben … oder doch wohl eher fliegen. Ihre Gesichtszüge waren angespannt und scharf. Ihre Augen waren kalt und leer. Der Abscheu in ihr steigerte sich noch mehr, als sie wieder eine dieser Tussen hinter ihrem Fächer zu einer anderen etwas flüstern sah. Das war auch so eine Sache. Bitte wozu brauchten diese Zicken einen Fächer?! Hallo?!? Es waren sechzehn Grad!! Nur einen kleinen Augenblick, nur einen ganz kleinen, verlor sie die Beherrschung. Aber der reichte aus, um Robins Hand an ihren Gürtel schnellen zu lassen, den Dolch zu greifen und ihn mit einer unglaublichen Präzision in die Holzwand neben der einen Dame, auf Augenhöhe versteht sich, zu versenken. Die Teuerste schrie natürlich wie ein Ferkel auf der Schlachtbank und fiel dann in Ohnmacht. Ihre Freundin brach erst in herzerweichendes Schluchzen aus und gesellte sich dann zu der ersten. Robin grinste. Cool bleiben schön und gut, aber es machte doch immer wieder Spaß, Leute zu schocken. Nur wenige Minuten später – zumindest kam es ihr so vor – war sie wieder auf ihrer Lichtung, ihrem Trainingsplatz. Wenn sie Probleme hatte, kam sie irgendwie automatisch hierher. Sie musste trotz allem lächeln. Hier war sie zu Hause. Robin ging wieder quer über die Lichtung … Richtung Norden. Ein bisschen überrascht war sie schon. Sie fand die Leiche anders vor, als sie sie verlassen hatte. Der Kopf war wieder unter der Erde, der Torso auch. Wenn sie es sich recht überlegte, waren es ein Großteil der Stellen, die Robin zwei Stunden zuvor freigelegt hatte. Noch einmal grub sie mit ihrem Schwert. Als sie soweit war wie vorhin, spürte sie erneut Übelkeit in sich aufsteigen. Jetzt waren noch vier Rippen mehr zu sehen, der Magen schien entfernt worden zu sein, die Lunge war frei und farblich eine widerliche Mischung aus braun, schwarz und rosa. Die Organe glänzten schleimig. Das Gesicht hatte nicht nur keine Augen mehr, die eine Gesichtshälfte war vollständig weg und machte die Sicht auf blutverschmierten, teilweise mit Hautfetzen bedeckten Knochen frei. Robin trat zurück. Langsam dämmerte es ihr. Natürlich konnte die Leiche schon nach vier Tagen so zerfallen sein – immerhin war nachgeholfen worden! Und wurde es immer noch! Hier ernährte sich nicht nur das Ungeziefer von dem Kadaver. Das stand fest. Lieber Mörder, bitte hole dir die ganze Stadt! Du hättest Futter und ich meine Ruhe … … to be continued … Chapter Four ------------ Das fahle Sonnenlicht spiegelte sich blitzend auf der blanken Schwertklinge wider und warf geisterhafte Lichtspiele auf die umliegenden Baumstämme. Ein schwarzer Umhang lag am Rand, während eine blauschwarzhaarige Gestalt Trockenübungen mit ihrem Schwert machte. Mit angespannten Muskeln bekämpfte sie einen imaginären Gegner, der ihr gewachsen zu sein schien. Mit einer sagenhaften Geschwindigkeit bewegte Robin die Klinge und kontrollierte sie fast perfekt. Es war Mittag. In der Stadt schien die Sonne, hier war es sehr stark bewölkt. Dabei war es nur eine Distanz von etwa sechshundert Metern. Die Atmosphäre in diesem Wald war etwas Besonderes. Klar, dass es ihr zu Hause war. Um das Gewicht des Schwertes besser zu kontrollieren machte Robin zusätzliches Muskeltraining. Zwanzig Kilo waren immerhin kein Pappenstiel – im wahrsten Sinne des Wortes. Das nördlich an die Lichtung angrenzende Gebiet hatte sie immer beobachtet. Und in regelmäßigen Abständen war sie auch nachsehen gegangen. Und jedes Mal lief es auf dasselbe hinaus. Die Leiche wurde immer mehr abgenagt. Mittlerweile war sie schon zur Hälfte skelettiert. Doch das Gesicht blieb seit ihrem Besuch beim Bürgermeister unberührt. Warum verhielt sich dieser eigentlich so ruhig? Robin war vor zwei Tagen bei ihm gewesen. War er denn kein bisschen neugierig? Immerhin war es sein Sohn! Plötzlich hörte Robin Stimmen. Sie schienen aus Richtung Stadt zu kommen. Erst ganz leise, dann langsam aber sicher lauter werdend. Anscheinend war man auf den Weg hierher. Warum? Sonst war der Ort hier nie interessant gewesen für die Leute von Hellslobby. Im Gegenteil, sie fürchteten sich davor – ein weiterer Grund, weshalb Robin für bescheuert erklärt wurde. Sie versteckte sich. Wenn man sie mittlerweile schon hier aufsuchte, konnte das nichts Gutes bedeuten. Auf eine Auseinandersetzung hatte sie jetzt keinen Bock. Also nichts wie rauf auf den nächsten Baum. Aus einer Höhe von circa zehn Metern beobachtete sie ein paar Menschen, die mit Fackeln und einem ziemlich mies dreinschauenden Gesicht auf der Lichtung herumirrten. Anscheinend suchten sie etwas. Obwohl es erst gegen Mittag war, brauchte man die Fackeln. Die Lichtverhältnisse in diesem Wald waren schon ein wenig anders. Einen der Leute erkannte Robin unschwer als den Bürgermeister. Dieser schien den anderen irgendetwas zuzubrüllen. Überhaupt unterhielten sich die Menschen da unten verdammt laut. Aber es gab nirgendwo Geräuschquellen, die sie hätten übertönen müssen um sich gegenseitig zu verstehen. Robin ließ sich auf einen Ast weiter unten gleiten, fast geräuschlos. Aber selbst wenn der Ast gebrochen wäre, das hätte man durch das gegenseitige Anschreien nicht mitbekommen. Jetzt konnte sie ein paar Wortfetzen aufschnappen. Bald schon ganze Sätze. Dann durchsuchten zwei Männer genau den Bereich unter dem Baum, auf dem Robin saß. „Bist du sicher, dass uns diese Person nicht reinlegen wollte?“, fing der eine an. „Wenn man anfängt über Leichen zu spekulieren, sollte man schon die Wahrheit sagen! Da hört der Spaß dann auf!“, meinte der andere mit ernster Mine. „Aber hier ist nichts! Wie kommt ihr überhaupt darauf, dass die Leiche hier sein soll?“ „Denk doch mal nach, du Idiot!! Hast du das Weib denn schon einmal an einem anderen Ort gesehen als hier? Sie lebt hier, es muss hier sein!“, war sich der zweite ziemlich sicher. Es konnte gar nicht woanders sein! „Um ehrlich zu sein, ich hab sie noch GAR NICHT gesehen! Mir wurde immer nur von ihr erzählt.“ Der erste schmollte ein wenig vor sich hin. Klar, jetzt war er wieder der Außenseiter. „Na dann wird es Zeit! Mal von ihrer Verrücktheit abgesehen, sie ist schon ein extrem steiler Zahn!“, lachte der zweite und hatte ein ziemlich lüsternes Grinsen auf dem Gesicht. Auf einmal fiel ein Stück Holz genau vor seiner Nase herunter. Er sah leicht irritiert hoch. Robin war schon lange verschwunden, sie konnte sich das Gesülze nicht länger anhören. Allerdings war da ein leicht verschwommenes Glühen zu sehen, das aber sofort wieder verschwand. Dem Mann lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es sah aus wie ein Paar gelbe, weit aufgerissene Augen, aber er konnte sich auch getäuscht haben. Er schluckte schwer, tippte seinen Kameraden an und deutete ihm, sich schnellstmöglich zu den anderen zu gesellen. Robin indessen hatte sich von Baum zu Baum geschlichen, bis zum anderen Ende der Lichtung. Auch hier waren Männer damit beschäftigt, den Boden abzusuchen. Allerdings waren sie noch weit von der Leiche entfernt. Es fehlten noch einige Meter in Richtung Norden. Robin beschloss, die Suche zu beenden. Nicht, dass sie ihnen hatte helfen wollen. Sie wollte bloß ihre Ruhe. Die Leute sollten endlich wieder verschwinden. Sie nahm sich einen Ast, der schon ziemlich lose am Baum hing und durchtrennte das letzte Stück Rinde, das ihn noch mit dem Stamm verband. Dann warf sie das Holz zielgenau auf das Grab, möglichst so, dass es noch ordentlich Lärm im Unterholz veranstaltete. Sofort hörte sie Rufe und etwa zehn Männer stürmten gleichzeitig auf die Stelle zu. Allerdings hob nur einer den Ast auf – zumindest wollte er das, denn er hielt mitten in der Bewegung inne, sah die Skeletthand und stieß einen panischen Schrei aus. Nun kamen alle angerannt und gemeinsam gruben sie den Leichnam aus. Der Bürgermeister machte sich natürlich nicht die Hände schmutzig. Als man aber fertig war, stieß er alle anderen zur Seite und starrte auf den mittlerweile fast fleischlosen Kadaver. Nur das Gesicht war noch in erkennbarem Zustand. Robin beobachtete die Szene in sicherem Abstand von ihrem Baum aus. Shaw schien nicht sehr bestürzt. Aber das konnte ihr egal sein. Wichtig war nur, dass man ihr jetzt doch Glauben schenken musste. Sie war anders, aber nicht verrückt! Sie war nicht „normal“, aber von einem wie Shaw würde sie sich keine Geisteskrankheit diagnostizieren lassen. Ein unbeschreiblich schauriges Heulen durchschnitt die perplexe Stille der Stadtbewohner. Alle zuckten zusammen. Der Himmel wurde noch dunkler, als er ohnehin schon war. Obwohl es erst dreizehn Uhr sein konnte, sah es aus wie in sehr später Abenddämmerung. Langsam stieg allgemeine Panik in der Luft auf. Auch Robin schaute sich alarmiert um. Dann war ein aggressives Knurren zu hören – beängstigend nah. Sie konnte es genau unter sich ausmachen. Auf dem Waldboden bewegte es sich langsam und zielstrebig auf die kleine Menschenmenge zu. Und damit war die Starre gelöst. Hals über Kopf machten die Männer, dass sie wegkamen. Ohne überhaupt einen Plan zu haben, wo sie hinliefen, rannten sie ziellos durch die Gegend. Einer rannte genau in Robins Richtung – und somit zwangsläufig auf das Etwas zu, dass sie so verschreckt hatte. Alle schrien, aber dieser schrie anders … das war kein Angst-, sondern ein Todesschrei. Dann war ein unappetitliches Zerquetschen von Innereien zu hören. Auch Knochen zersplitterten unter einer ungeheuren Bisskraft. Es klang widerlich. Aber das schien niemand außer Robin mitzukriegen. Alle stoben kopflos durcheinander und fanden sich dann irgendwie zurück in die Stadt. Alle bis auf … „WO IST HARRY?!? Wo ist mein Mann?!“, schluchzte die Frau und sah Shaw anklagend an. Der hatte keinerlei Ahnung. Die Frau weinte nur noch geräuschvoller. Sie putzte sich lautstark die Nase und schien für Robins Begriffe sehr nach Mitleid zu lechzen. Zumindest war es der erste Eindruck, den sie von ihr hatte. Die Frau war definitiv eine von den Schlampen, die nichts Besseres zu tun hatten, als sich beim Kaffeekränzchen über andere Leute lustig zu machen, zu lästern und dabei penibelst auf ihr eigenes Image zu achten, anderen Frauen die Männer auszuspannen und eigentlich doch nur Stroh im Schädel zu haben. Jedenfalls stand Robin schon seit geraumer Zeit im Türrahmen und beobachtete die Szene aufmerksam. Offenbar schien sie aber keiner zu bemerken. Also musste sie sich wohl am Gespräch beteiligen, wenn sie nicht weiter ignoriert werden wollte. Allerdings war sie nie Freund von vielen Worten gewesen. Also ging sie lediglich aus dem Rahmen raus in das Zimmer. Alle Köpfe drehten sich sofort nach ihr um. Der Umhang erzeugte eine außerordentlich gespannte Atmosphäre bei den Leuten im Raum, aber Robin blieb die Ruhe selbst. Die Frau, die bis jetzt rumgeheult hatte, fing an sie bösartig anzufunkeln. „Natürlich, du bist es gewesen! Du hast ihn dir gekrallt und hältst ihn jetzt irgendwo gefangen, oder womöglich hast du ihn schon umgebracht!!“, schrie sie hysterisch. Robin riss langsam der Geduldsfaden. „Dann bin ich mal gespannt, wie sie mir das beweisen wollen!“, fauchte sie zurück. „Was sollte ich für einen Grund haben so etwas zu tun?!“ Leicht verschreckt hüpfte die Frau zurück und fing sofort wieder an mit flennen. Alle umstehenden murmelten und warfen böse Blicke in Robins Richtung. „… arme Frau … seelisch am Ende … kann nichts dafür … nicht so anschreien …“ Es war klar, auf wessen Seite sie standen. Bebend vor Zorn verschwand Robin aus dem Gebäude. Mal wieder war sie kurz davor, alles um sich zu zerschlagen. Funkensprühende Augen ließen die Leute, die ihr entgegen kamen, die Straßenseite wechseln. Ein Kind fing an zu weinen und die Mutter machte ein ziemlich verstörtes Gesicht, während sie ins Haus ging und ihr Kleines mitnahm. Wieso zum Henker war Robin immer an allem schuld, was geschah? Nachdem die Bürger von Hellslobby sich aus dem Staub gemacht hatten, war sie zu der frischen Leiche gegangen. Deren Mörder war wie von Erdboden verschluckt und hatte nicht die geringste Spur hinterlassen – zumindest nicht seine Person betreffend. Der Tote allerdings war mal wieder ein Fest für jeden Horror-Junkie. Blut und Innereien lagen in einem Umkreis von 6 Metern verstreut. Fast so, als hätte der Typ eine Bombe verschluckt, die im Magen hochgegangen war. Damit würde Robin also mit zwei Leichen in der Nachbarschaft leben. Warum auch nicht? Die beschweren sich jedenfalls nicht! Aus der Stadt zurück wieder auf der Lichtung machte sie sich gleich zum neuen „Mitbewohner“, weil sie wissen wollte, ob ihre Vermutung richtig war – und sie wurde bestätigt. Harry war schon angefressen, die umliegenden Organe waren auch verschwunden. Also lag hier nun der neue Vorrat des Mörders, den keiner kannte. Robin hatte zwar ein seltsames Gefühl bei der Sache, aber Angst war es nicht wirklich, denn wäre sie ein potentielles Opfer, wäre sie schon längst tot. Was immer es auch war, es war ständig in der Nähe, vielleicht beobachtete es Robin auch, aber es griff bis jetzt nicht an. Und mittlerweile waren seit dem Verschwinden von Shaws Sohn sieben Tage vergangen. Wozu brauchen wir einen Himmel? Die Hölle ist doch ganz nett … … to be continued … Chapter Five ------------ Chapter Five Eigentlich war das Ganze schon ziemlich makaber. Da lebte Robin nun in den Tag hinein, trainierte für sich und nicht mal zwanzig Meter von ihr entfernt lagen zwei Leichen und verwesten vor sich hin. Seit den letzten drei Tagen waren sie unverändert. Irgendwie schien das Was-auch-immer das Interesse verloren zu haben. Jedenfalls wurde weder der eine noch der andere Kadaver weiter abgenagt. Nach circa zwanzig Minuten warf Robin ihr Zeug in eine Ecke und tarnte es, indem sie es im Unterholz vergrub. Man weiß ja nie! Nee, heute war ihr irgendwie nach gar nichts. Also schnappte sie sich einen ihrer Dolche und machte sich los auf einen ihrer heißgeliebten Streifzüge durch den Wald und über die Felder. Es war ihr Glück, dass sie mehr oder minder nicht da war, als zwei Stunden später eine aufgebrachte Meute Hellslobby-Bewohner auf die bekannte Lichtung stürmte. Die zickige Witwe musste es irgendwie geschafft haben, die Leute von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Jedenfalls waren sich alle über die Tatsache einig, dass Robin die zweite Leiche auf dem Gewissen haben musste – und wenn man schon mal beim Thema war, dann wahrscheinlich auch den Sohn des Bürgermeisters gleich mit. Mal ganz davon abgesehen, dass keinerlei Beweise vorlagen, aber darum kümmerte sich niemand. Es reichte ihnen, einen Schuldigen gefunden zu haben. Das trockene Holz eignete sich hervorragend für ein Lagerfeuer. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass dieses Feuer ein bisschen größer sein würde. Man hatte schlicht und einfach vor, die gesamte Lichtung und noch mehr in Brand zu setzen. Logisch nachvollziehbar war das zwar nicht, aber es wäre auch sinnlos gewesen, das begreifen zu wollen. Die Leute wollten einfach jemanden dafür bestrafen, dass zwei von ihnen bestialisch ermordet wurden. Und es war ihnen offensichtlich egal, ob derjenige nun schuldig war oder nicht. Robin war nicht auffindbar – man suchte sie zwar, fand sie aber nicht. Letztendlich wurde die Suche aufgegeben und die Fackeln, die wieder mit im Schlepptau waren, flogen in das trockene Unterholz. Sofort schossen Flammen empor und machten sich daran, die toten Hölzer zu verschlingen. Es knackte und unheimliche, schreiende Geräusche, waren zu hören, nicht leidender, eher zorniger Natur. Schatten zogen durch die flimmernde Luft. Die Leute standen beisammen und sahen sich hektisch um, wichen aber nicht zurück. Es war, als ob man in ein Wespennest stach. Lauter … (Lebe-?)Wesen wuselten jetzt durcheinander. Nach einiger Zeit konnte man auch den Geruch von verbranntem Fleisch wahrnehmen. Das mussten die beiden toten Körper sein, die hier herumlagen. Plötzlich mischte sich unter die Schreigeräusche ein Heulen, das den Menschen auf unangenehmste Weise bekannt vorkam. Natürlich! Das war die Bestie, die schon diesen Harry zerfetzt hatte (mal davon abgesehen, dass Robin schon für schuldig erklärt worden war, aber die Logik ist nun mal nicht der Panik beste Freundin). Shaw, der auch mit von der Partie war, hatte jetzt ein großes Problem. Schon bei der letzten Begegnung war jemand zu Tode gekommen. Diesmal würde das sicher nicht anders sein. Auf einmal hatte er eine Eingebung. Es konnte gar nicht anders sein, Zweifel ausgeschlossen! Diese Robin musste die Bestie sein (um der Logik dann doch noch die Ehre zu geben)! Bisher hatte man ja noch angenommen, dass sie eine ihrer Waffen für das Massaker benutzt hätte, denn selbst sie konnte als Mensch nicht über solche Kräfte verfügen, den Körper eines erwachsenen Mannes mit bloßen Händen auseinander zu reißen. Zumal sie nie anzutreffen war, wenn das Vieh auftauchte. Aber konnte man mit einem Dolch oder Schwert jemanden aussehen lassen, als wäre er explodiert? Das bräuchte viel Zeit und wäre eine ziemliche Sauerei. Abgesehen davon wäre ihre Kleidung nicht verschont geblieben und es ist nun mal so, dass man Blut nicht so einfach aus den Klamotten herausgewaschen bekommt. Fazit: Es wäre einfach aufgefallen! Seine überragende Erkenntnis musste Shaw selbstverständlich schnell unter die Leute bringen, ihm war egal, wie alles überhaupt nicht zusammenpasste. Aber die waren gerade damit beschäftigt, sich aneinander zu drängen und aufgeregt in alle Richtungen zu schauen. Das Heulen ließ sich dennoch nicht orten. Es war, als käme es von überall und hing wie eine Glocke über der lodernden Lichtung. Robin, die Luftlinie circa 4 Kilometer entfernt war, sah das meterhohe Leuchten hinter den Bäumen – und hörte das Heulen ebenfalls. Gerade wollte sie kehrt machen und zurück laufen, als etwas an ihr mit atemberaubender Geschwindigkeit vorbeizischte, von dem nicht mehr als ein Schatten zu erkennen war. Nichts wie hinterher! Sie musste ja sowieso in die Richtung. Schon von weitem sah sie, was los war. Ihr zu Hause brannte! Von dem schnellen Etwas, das an ihr vorbeigerauscht war, fehlte zwar jede Spur, aber Robin hatte jetzt auch ganz andere Dinge im Kopf. Na wartet, dachte sie nur. Am Stadtrand wartete sie auf die Leute, die leicht angekokelt und teilweise mit rauchender Kleidung wieder nach Hause wollten. Das Gemurmel der Menge verstummte abrupt, als man die Umhang tragende Gestalt am Ortseingangsschild von Hellslobby lehnend stehen sah. Robin lächelte böse. „Was sollte das?!“, fragte sie mit gefährlich gedämpfter Stimme. „Das weißt du doch am besten, Mörderin!!“, kam es zurück. Vor Wut kam ein tiefes Knurren aus ihrer Kehle und ließ die Leute zurückschrecken. „Da seht ihr’s! Sie muss die Bestie sein!!“, schrie jemand. Und der Rest ließ sich natürlich aufhetzen. „Ihr Revier haben wir zerstört, jetzt ist sie dran!“, rief ein anderer. „Wovon redet ihr eigentlich, verdammte Scheiße?!?“ Mandarin war momentan wahrscheinlich einfacher zu verstehen. Robin war zwar wütend, aber vor allem war sie irritiert. Nur langsam aber sicher ging ihr ein Licht auf … bloß für SO dämlich hielt sie die Leute nicht – oder? Glaubten die tatsächlich, sie würde hier zeitweise als undefinierbares Etwas herumgeistern, von dem sie nicht einmal wusste, wer oder was es überhaupt genau war, und mir nichts dir nichts einfach mal so ein paar Menschen abschlachten? „Als ob du das nicht wüsstest! Spiel nicht die Unschuldige! Du hast doch die beiden getötet, den Sohn von Mr. Shaw und Harry Longster!“ Doch, sie waren so dämlich! Robins Erscheinung war zwar ein wenig verdreckt, aber nicht blutig oder zerfetzt oder sonst irgendwie beeinträchtigt, dass man sagen könnte, sie hätte gerade wieder jemanden umgebracht, denn so was hinterlässt im Allgemeinen Spuren. Auch fehlten sonstige Beweise, die diese Anschuldigungen auch nur im Entferntesten hätten untermauern können. Und trotzdem war sie dran. Es war ihr Pech, dass sie in einer Zeit lebte, in der Aberglaube einen großen Teil des Lebens einnahm. Mit denen ließ sich nicht mehr reden. Robin sah in die Gesichter, die sie teils böse, teils ausdruckslos, vielerseits aufgebracht ansahen. Einige blickten auch gelangweilt oder uninteressiert drein, aber solche hielten die Klappe, denen war es in der Regel egal, was geschah. Sie drehte sich rum und ging. Man sagte nichts, hörte nichts. Es herrschte Stille. Kein Versuch sie aufzuhalten. War es Angst? Wahrscheinlich. Alle waren sauer auf sie aber keiner der Feiglinge traute sich, den ersten Schritt zu machen und handgreiflich zu werden. Konnte ihr nur recht sein. Der Abendwind wehte und brachte noch ein paar der verbrannten Schatten mit sich, die schon auf der Lichtung aufgetaucht waren. Robin ging mit wehendem Umhang und ein wenig zerzaustem Haar wieder in den Wald zurück, ohne aufgehalten zu werden. Es begann zu regnen … Die Lichtung zu beschreiben war nicht schwer: schwarz. Hier und da waren verkohlte Baumstümpfe zu sehen und das Wasser ließ die noch nicht verloschene Asche qualmend zischen. Robin stand da, inmitten der Trümmer ihrer Seele. Dieser Ort war ihr ein und alles gewesen, ihre Zuflucht, ihre Heimat. Tränen liefen über ihr Gesicht und vermischten sich mit dem Regen. Doch auch ihre Wut war nun nicht mehr zu zügeln und benebelte ihren Verstand. Was bildeten sich diese Idioten überhaupt ein?!? An klare Gedanken war nun nicht mehr zu denken. In ihrem Kopf spukte nur noch eins: Rache! Ihre sonst so geschärften Sinne nahmen auch nicht war, dass sie beobachtet wurde … Es war nachts, ungefähr halb 3. Zeit war bedeutungslos. Die Straßen von Hellslobby waren wie ausgestorben, niemand mehr war unterwegs. Wie ein bedrohlicher Schatten schwebte Robin durch die Straßen. Ratten, die sich auf der Straße rumtrieben, machten, dass sie fort kamen. Hass stieg in ihr auf. Die Frau von Longster hatte ihr Leben zerstört! Sie würde wohl als erste dran sein. Aber wie würde Robin ihre Rache vollziehen? Einfach umbringen wäre langweilig. Nein, es musste was her, was mehr Stil hatte und vor allem nicht seine Wirkung verfehlen würde. Sie würde der Longster ganz einfach dasselbe antun, was ihr widerfahren war. Sie würde ihr Heim zerstören. Es stellte sich heraus, dass das nicht schwer werden würde. Robin beschattete die Dame ein paar Tage, um herauszufinden, was ihr wirklich am Herzen lag. Dazu zählten offensichtlich ihr Schoßhündchen und ihr Schmuck. Aber das, was ihr am aller wichtigsten war, würde Robin als Höhepunkt richtig in den Dreck ziehen: Mrs. Longsters Ruf! Die Zicke wollte einen Dämon? Den konnte sie kriegen. Das wird ein Spaß! Down with the lambs, up with the lark, run to bed children, before it gets dark … … to be continued … Chapter Six ----------- Chapter Six Mrs. Longster stand in der Tür und verabschiedete sich von ihren Freundinnen. Sie hatten sich nachmittags zu einem Kaffeekränzchen getroffen, aber über so viel Klatsch und Tratsch zog sich das Ganze mal wieder bis in den späten Abend. Draußen war es schon stockdunkel und man machte sich zum Aufbruch bereit. Als nach unzähligen Küsschen und Trallalla sich die Tür hinter ihr schloss und sie die Treppe hinunter auf die Straße ging, wurde ihr dann doch ein bisschen anders. Die Gassen waren leer gefegt, keine Menschenseele war zu entdecken. Ihr Schoßhündchen auf dem Arm, in der anderen Hand ihr Handtäschchen beschleunigte sie ihre Schritte und schaute sich ständig aufmerksam und ein wenig nervös um. Nach fünf Minuten gewöhnte sie sich an die Einsamkeit der Straßen und das Gefühl der Aufregung. Ihre Aufmerksamkeit ließ nach. Das war genau der Moment, auf den ihr Beobachter gewartet hatte. Der Hund (obwohl die Bezeichnung ‚Ratte’ wohl angebrachter gewesen wäre) fing an zu bellen, als ob im nächsten Moment Katze-Maxi-Menü auf dem Speiseplan gestanden hätte. Mrs. Longster war irritiert und schaute sich hektisch um. Ihre Fußbank hüpfte ihr vom Arm, sie drehte sich um ihre eigene Achse, und sah angestrengt in die Gegend. Dann merkte sie nur noch einen Luftzug im Rücken, wirbelte herum und sah, dass die Leine das Halsband hielt, das ohne Hund auf der steinigen Oberfläche der Straße lag. So abgelenkt bekam Mrs. Longster die schwarze Gestalt nicht mit, die, den betäubten Hund über der Schulter, hinter ihr stand mit nicht dem Hauch eines Geräusches, einem Blick, der nicht töten sondern massakrieren könnte und ihr phantomgleich unbemerkt den Schmuck vom Hals, von den Ohren und aus dem Haar stahl. Alles brauchte nur Bruchteile von Sekunden. Eine Reaktion war gar nicht möglich. So schnell wie sie kam, war Robin wieder verschwunden. Mrs. Longster stand noch eine Minute, vielleicht zwei, da und versuchte ihre Perplexität loszuwerden, ihre Fassung wieder zu finden und zu verstehen, was gerade geschehen war. Als sie dann nach einer schier endlosen Weile endlich geschnallt hatte, dass sie gerade auf eine sehr elegante Art und Weise ausgeraubt worden war und noch nicht mal eine Ahnung hatte von wem, wurde sie fuchsteufelswild. Mrs. Longster löste sich aus ihrer Starre, schimpfte und kreischte, trat in die Luft, schlug um sich und konnte sich nicht beruhigen. Man wäre wohl zu dem Schluss gekommen, sie hätte den Verstand verloren. Aber keiner ging auf sie ein oder nahm auch nur Notiz von alledem. So menschenleer die Gasse war, so blieb sie es. Die Fenster blieben geschlossen, alles war wie tot. Die Lichtung, die vor kurzem ihr Grau durch das Feuer in Schwarz verwandelt hatte, lag unverändert und so verlassen wie gewöhnlich da. Nach ihrem Überfall auf die Kleinstadtzicke hatte Robin sich mit dem Hund auf den Weg gemacht in eine andere Stadt, diesen ein wenig verwildert aussehen lassen und einer anderen Tussi vor die Tür gesetzt, die ihn dann mit den schrecklichsten Kosenamen an ihr Herz gedrückt hatte. So hässlich Robin den Hund auch fand, er hatte sich schließlich nicht ausgesucht, als Fußbank auf die Welt zu kommen. Sie konnte ihn nicht für etwas bestrafen, wofür der arme kleine Kerl nichts konnte. Ein halbwegs artgerechtes und somit auch langes Leben würde ihn hier zwar auch nicht erwarten, aber es war das, was er gewöhnt war und bei ihr selbst wären seine Überlebenschancen gleich null gewesen, zumal sie nicht die Zeit gehabt hätte, sich um das verwöhnte Schoßhündchen zu kümmern. Nach den zwei Tagen, die der Weg zur nächsten Stadt in Anspruch genommen hatte, war Robin wieder auf ihrer Lichtung. Wenn der Wind durch die Bäume und Sträucher wehte, klang es immer wie ein sanftes Weinen, ein Heulen, als ob das tote Holz trauerte und Ruß wurde durch die verbrannten Äste durch die Luft gewirbelt. Wenn dann eine Brise über Robin hinwegfegte, besah sie sich anschließend in einer Pfütze oder in dem fünfhundert Meter entfernten Teich, der im Gegensatz zur Umgebung erstaunlich sauber und kristallklar war, und lachte über sich selber, da sie immer aussah wie ein Schornsteinfeger. An diesem Tag allerdings war etwas anders als sonst, das hatte sie sofort bemerkt. Es kam ihr die ganze Zeit schon so vor, als würde sie beobachtet. Natürlich ließ sie sich nichts anmerken und tat so, als wäre alles in bester Ordnung. Wer auch immer ihr auflauerte, Robin würde den Jäger zum Gejagten machen. Dieser wusste schließlich nicht, dass sie mitgeschnitten hatte, dass er da war und das war ihr entscheidender Vorteil. Kein Rascheln, kein Fauchen des Windes, alles war totenstill. Es war, als ob die Anwesenheit des Beobachters die Welt zum Stillstand gebracht hätte. Robin sah sich beiläufig um. Sie wollte es aussehen lassen, als schaue sie routinemäßig in die Gegend, um unliebsame Besucher zu bemerken. Tatsächlich aber sah sie sich ganz genau ihre Umgebung an, ob ihr auch nur das kleinste Detail merkwürdig vorkam. Das gelbe Glühen zwischen den schwarzen Ästen da drüben … konnten das gebrochene Lichter in Tautropfen sein? Robin sah nun bewusst und absichtlich hin. Die Lichter verschwanden für den Bruchteil einer Sekunde und waren wieder da. Mit einem mulmigen Gefühl erkannte sie nun, dass es keine Reflektionen waren. Es waren Augen, die blinzelten. Offenbar war ihr Beobachter zu dem Schluss gekommen, dass er nicht mehr auf perfekte Tarnung achten musste, denn sie hatte ihn entdeckt. Aber er machte sich nicht davon. Robin und das Wesen, was immer es auch war, starrten sich bewegungslos an. Sie konnte diese Augen nicht zuordnen. Solche hatte sie noch nie gesehen. Sie waren schräg stehend, ohne Pupillen und glühten in einem goldgelben Ton, der eine hypnotisierende Wirkung hatte. Robin ging auf das Glühen zu. Die Augen beobachteten sie, verschwanden aber nicht, als sie sich näherte, den Blick immer auf das gelbe Paar gerichtet. Kurz darauf stand sie genau unter dem Baum und sah nach oben. Dann trat sie wieder zwei Schritte zurück, um dem Wesen Platz zu machen. Diese stumme Aufforderung verstand es offenbar sofort, denn die beiden gelben Lichter wanderten abwärts. Robin erkannte Fell und weiße Zähne. Dann kam eine schwarze Gestalt neben dem Baumstamm auf den Boden und richtete sich auf. Es kam ins graue Licht aus dem Schatten heraus. Vier Beine, Fell, Zähne, Klauen, ein langer Schweif – aber aufgerichtete Ohren. Ein ganz normaler schwarzer Wolf, der wie ein treuer Schäferhund vor ihr stand, als ob er vom Frauchen Anweisungen erwarte. Es fehlte nur noch, dass er mit dem Schwanz wedelte. Wären da nicht diese unnatürlichen pupillenlosen Augen. Und seit wann kletterten Wölfe eigentlich auf Bäume?! Robin ließ ihn nicht aus den Augen und ging auf ihn zu, eine Hand nach ihm ausgestreckt. Der Wolf zuckte nicht und wich auch nicht zurück. Er hob den Kopf und schnupperte an ihrer Hand, wie es absolut wolfsuntypisch war. Warum brachte er sie nicht um, wie er es mit den anderen Hellslobby-Bewohnern gemacht hatte? Robin traute ihm noch nicht. Sie hatte gelernt, auf nichts in der Welt zu vertrauen. Andererseits: War der Wolf denn überhaupt von dieser Welt? In dem Moment kam eine Brise aus nördlicher Richtung und trug bekannten Geruch mit sich. Sofort fletschte der Wolf die Zähne und gab ein bedrohliches Knurren von sich, wie es schon an dem Tag erklang, als Longster sein Leben lassen musste. Robin zog ihre Hand schnell zurück, wandte ihre Augen aber nicht ab. Das Tier allerdings schon und schoss an ihr vorbei zu der Stelle, an der die Leichen gewesen waren. Normalerweise dürfte der Verwesungsgeruchgeruch gar nicht mehr existieren, die Leichen waren doch verbrannt. Robin dachte nicht nach und folgte dem Wolf zu der Stelle, wo sie begraben waren. Dieser scharrte ein wenig in der Erde und zum Vorschein kamen die zwei toten Körper exakt so, wie Robin sie sie in Erinnerung behalten hatte. Kein Ungeziefer hatte sich mehr daran zu schaffen gemacht, das Feuer hatte nicht die geringste Spur hinterlassen. Der Wolf fing knurrend an zu fressen. Robin hatte es schon geahnt. Sie überraschte nichts mehr. Trotzdem hatte sie nie damit gerechnet, dass der „Mörder“ sich ihr gegenüber so friedfertig verhalten würde. Die Hellslobby-Bewohner hingegen sollten ihm nicht über den Weg laufen. Was war anders an ihr als an den Stadtleuten? Sarkastisch lachte sie auf. Ihr fielen auf Anhieb hundert Dinge ein, die sie von den Menschen unterschied. Aber war das wirklich für ein Tier ausschlaggebend? Fast geräuschlos wurde das Fleisch der Toten weniger. Das einzige, was man vernahm, war das Reißen der Sehnen, die sich von den Knochen lösten. Robin beobachtete die Szene nachdenklich. Das Feuer war wohl nicht bis hierher vorgedrungen. Zufall, oder was?! Wann widerfuhren ihr denn schon mal Zufälle?? Natürlich: Rein zufällig wird sie nicht verspeist und ganz rein zufällig ist sie eine Menschenhasserin, Außenseiterin und Einzelgängerin, die mit seinen Zielobjekten nicht das Geringste zu tun hat. Sie hatte die Leichen entdeckt, es war ihr zu Hause das zerstört wurde, sie war es, die gehasst wurde. Es war fast so, als würde der Wolf stille aber grausame Rache für sie nehmen. Aber natürlich ist alles reiner Zufall!!! Der Wolf hob den Kopf und sah sie an. Offenbar war er jetzt satt. Robin trat ein Stück zurück, das Raubtier umkreiste seine tote Beute noch zwei, drei mal und verscharrte sie anschließend wieder. Erneut sahen die gelbglühenden Augen sie an, fast erwartungsvoll, als wollten sie fragen, was als nächstes zu erledigen sei. Robin streckte die Hand aus. Aber der Wolf kam nicht näher wie das erste Mal, er blieb bewegungslos. Robin fasste Mut und kam näher, legte die Hand zaghaft auf den Kopf des Tieres. Der Wolf ließ es geschehen, klappte die Ohren leicht nach hinten. „Schäferhund“, dachte Robin lächelnd. Sie ging in die Knie und war nun mit diesen hypnotisierenden Augen auf einer Höhe. Sie konnte sich in ihnen spiegeln. Das Gelb schien einen in sich reinzusaugen. Die fehlenden Pupillen verliehen dem Anblick noch mehr Weite und eine gehörige Portion Groteske. Nichtsdestotrotz waren diese Augen schön. Robin musste sich losreißen. Der Wolf war eine willkommene Abwechslung in ihrem tristen Leben. Nicht dass sie unbedingt auf Gesellschaft aus war, denn die einzigen, die ihr diese auch hätten leisten können, waren eben die Bürger von Hellslobby – und bevor sie sich denen unterordnen würde, würden in der Hölle Stiefmütterchen wachsen. Aber warum nicht? Tiere sind was Tolles. Sie sind ehrlich und nicht berechnend. Und ein Wolf machte schon was her, mal abgesehen davon, das es sich nicht gerade um einen normalen Wolf handelte. Probieren wir es doch aus. Zum verlieren ist nichts mehr da. Verbale Folter ist nicht drin und Verrat sind wir doch eh gewohnt. Also dann: Try & Error! Am Ende des Tunnels ist ein Licht! Hoffentlich ist es kein entgegenkommender Zug … … to be continued … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)