Another solution von -Ray- ================================================================================ Kapitel 1: Two Ways ------------------- Kapitel 1 Joey: Der Himmel war blau. Fast keine Wolken waren zu sehen. Trotz des leichten Lufthauches, der hier oben sein Unwesen trieb, war es schwül und heiß. Die Luft war stickig und das Atmen viel mir schwer. Vögelschwärme flogen durch die Lüfte, und ein leichtes Lächeln umspielte meinen Mund. Einer zwitscherte ein leises Lied. Eine Amsel, erkannte ich. Ich sah nach oben und suchte nach dem kleinen, fliegenden Tier. Meine geröteten Augen wanderten über das klare, helle Blau des Himmels, fanden den Übeltäter allerdings nicht. Ich zog die Beine an und umschloss sie mit meinen Armen. Der Linke schmerzte sofort, als ich mit der geröteten, mit Striemen übersäten Innenseite meines Unterarmes, über den heißen Stoff, meiner schwarzen, rauen Jeans strich. Ich beachtete dem Schmerz nicht, es war eher so, als nahm ich ihn willig in Kauf. Kurz holte er mich aus meinen Gedanken, ließ mich meinen Körper auf eine ganz andere weise spüren. Doch dieser kurze, willkommene Zustand währte nicht lange. Schnell versank ich wieder in meiner Melancholie. Von unten strömten verschiedene Gerüche zu mir herauf. Ich roch die Abgase, der Autos, die direkt unter mir vorbei fuhren, roch den Essensgeruch der Imbissbuden, die am Straßenrand standen, bildete mir ein, sogar den Geruch der Menschen zu erkennen, die unter mir her liefen, ob nun zur Arbeit, zur Schule oder zum Essen. Ich wusste nicht wie viel Uhr es war, hatte meine Uhr schon vor Wochen an einen heruntergekommenen, alten Mann verscherbelt um mir davon etwas zu Essen zu kaufen. Essen…ja…ich hatte schon lange keinen Hunger mehr verspürt. Seit Tagen hatte ich nichts zu mir genommen. Nur ab und zu etwas getrunken, und für Zigaretten gesorgt. Apropos…da war doch was… Ich griff in meine rechte Hosentasche und zog meine Zigarettenschachtel hervor. Sie war noch halbvoll. Mit den Streichhölzchen, die ich einem Penner abgeknöpft hatte, zündete ich mir einen der widerlichen, beißenden Stummel an und zog ein paar mal daran. Kurz streifte mein Blick nach unten. Die Autos verursachten einen beruhigenden Lärm. Ich hörte Kinder die Schrien, Frauen die lachten und Männer, die sich lautstark über die letzten Politischen Ereignisse unterhielten. Dass man aus dieser Höhe noch so viel hört? Ich verdrängte meine Gedanken, als ich eine Polizeisirene vernahm. Wo die wohl hinwollen? Fragte ich mich, während ich meinen Zigarettenstummel nach unten schmiss. Ich folgte ihm mit den Augen, bis ich ihn nicht mehr erkennen konnte. Soll ich jetzt springen? Ich verwarf den Gedanken. Irgendwie genoss ich diese wohltuende Ruhe, die um mich herum herrschte. Ich empfand es tatsächlich als Ruhe, trotz des Lärmes der dumpf und leise von unten aufstieg. Ich belächelte mich selbst und schloss die Augen. Soll ich jetzt springen? Langsam stand ich auf und stellte mich breitbeinig auf dem kleinen Mauerartigen Vorsprung, der mir bisher als Sitzplatz gedient hatte. Ich schloss erneut die Augen breitete meine Arme aus und atmete tief ein. Der Geruch störte mich nur wenig. Klar, die Abgase nahmen mir den Atem, doch irgendwie bemerkte ich es fast nicht. Ich streckte meine Arme auf beiden Seiten aus und hatte plötzlich den Drang laut loszuschreien. Würde mich jemand hören? Soll ich jetzt springen? Statt zu schreien, oder zu springen, fing ich an zu heulen. Langsam bahnten sich die Tränen meine Wangen hinunter. Als eine der salzigen Tränen in die noch frischte Wunde an meiner linken Gesichtshälfte floss, biss ich die Zähne zusammen. Es schmerzte. Es war nicht schlimm. Stattdessen beruhigte es mich irgendwie. Es fühlte sich gut an, trotz des Schmerzes. Ich sank in mir zusammen und setzte mich zurück an meinen Platz. Ich zog erneut die Beine an, umschloss sie fest mit meinen verletzten Unterarmen und legte meinen Kopf für einen Moment an die Knie. Meine Schultern bebten und ich schluchzte. All der Schmerz, der letzten Monate, eher der letzten Jahre, kam in mir hoch. Meine Mutter, die mich aus ihrer Wohnung, oder eher gesagt: Aus ihrem Wohnwagen, schmiss, das Leben auf der Straße, die widerlichen Jobs, mit denen ich mich über Wasser gehalten hatte. Die aufkommende Abhängigkeit von diesen Scheiß Drogen, die mein Leben auf der einen Seite vereinfacht, auf der anderen Seite verschlimmert hatten. Die vielen Male, bei denen ich meinen Körper verkauft, meine Seele geschunden und meinen Geist zerbrochen hatte, nur um mir wieder eine Dosis schieben zu können, oder um mir wieder einen Joint anzuzünden, um meinem Leben zu entfliehen und stattdessen in eine andere Welt einzutauchen. All dies kam mir hoch. Wie gerne wäre ich jetzt Tod. Soll ich jetzt springen? Die Sirene wurde Lauter. Ich bekam es nur am Rande mit, heulte mir immer noch die Seele aus dem Leib, und verfluchte mich selbst, nicht das Messer mitgenommen zu haben, aus dem Crack-Unterschlupf, in dem ich die letzten Monate Schutz gesucht hatte. Verdammter Mist. Wie gerne würde ich mir jetzt mit dem Messer tief in meine Haut fahren, den Schmerz bewusst spüren, und zusehen, wie das Blut sich langsam einen Weg den Arm hinab bahnt. Wie gerne würde ich mir jetzt selbst weh tun, um den Schmerz zu vergessen, den ich mit mir herumtrug, seit meine Mutter mich vor vier Jahren rausgeschmissen hatte, mich auf die Straße gesetzt hatte, und mir viel Glück für mein weiteres Leben gewünscht hatte. Wie gerne würde ich mir eine weiter wunde zufügen, eine weitere Narbe auf meinem geschundenen und widerlichen Körper hinterlassen, die mich daran erinnerte, wie beruhigend, wie belebend es war, sich das Messer ins Fleisch zu jagen. Soll ich jetzt springen? Sam: Sam seufzte leise und sah seinen Partner grinsend entgegen, der mit zwei Döner und zwei Coke wieder zur Streife zurückkam und ihnen damit das Mittagessen servierte. Er machte es sich bequemer in seinem Beifahrersitz und nahm ihm dankbar einen Döner und eine Coke ab, um seinen Magen zu füllen. In der Früh hatte er nur kurz etwas zu Essen geschnappt und war dann los, um seinen Dienst anzutreten. Jeden Tag der gleiche trott. Um Sechs raus aus den Federn, schnell unter die Dusche, dann rein in die Uniform und los, zur Arbeit. Um mit seinem Partner Jack auf Streife zu fahren, irgendwelchen irren Rasern hinterher zu jagen, oder einen Schulschwänzer zur Schule zu fahren. Sonderlich viel war nie los, obwohl es sich hier um eine Großstadt handelte, waren sie in keinen wirklich ernsten und interessanten Fall geraten. Sie waren immer zur falschen Zeit, am falschen Ort. Plötzlich hörte Sam einen erschreckten Aufschrei. Er wurde hellhörig und sah nach der Frau, die geschrieen hatte. Eine Dame mittleren Alters zeigte plötzlich nach Oben. „Seht doch…da oben steht jemand. Ob der springen will?“ rief sie Laut. Auch die anderen Passanten sahen sie verwundert an, und wandten ihren Blick dann nach oben. Schnell stieg er aus und suchte mit seinen Augen die Person von der die Frau gesprochen hatte. Er streifte seinen Blick zu dem kleinen Hochhaus, das direkt auf der anderen Straßenseite glänzte. Tatsächlich. Irgendjemand saß oben auf dem Dach und schien sich das Leben nehmen zu wollen. „Schnell Jack, ruf nach Verstärkung, sieht so aus, als macht der da Oben wirklich ernst.“ Rief Sam seinem Partner zu und wandte seinen Blick wieder nach oben. Jack rief schnell nach Verstärkung, per Funk, und stieg dann ebenfalls aus. „Los komm.“ Sagte der Ältere, der wesentlich mehr Erfahrung hatte, als er selbst und rannte über die Straße, auf das Haus zu. Sie kümmerten sich nicht um die Schaulustigen, die sich langsam tummelten sondern wandten sich zum Eingang des Hauses. „Hat das Haus einen Aufzug?“ überlegte er laut, während er seinem Partner nach drinnen folgte. Sie sahen sich kurz um, entdeckten dann tatsächlich einen Aufzug, der direkt auf der anderen Seite, des kleinen Hausganges lag. Schnell rannten sie darauf zu und drückten auf die Taste. „Los mach schon.“ Entfuhr es Sam leise. Ungeduldig und besorgt trat er von einem Fuß auf den anderen und verschränkte die Arme vor der Brust. Endlich öffneten sich die Türen und sie drückten auf den obersten Knopf. Oben angekommen wandten sie sich schnell zur Treppe um die letzten paar Meter hinter sich bringen. Dann rissen sie die Aufgeknackte Tür auf und suchten mit ihren Augen nach der Person. Sie oder besser gesagt Er saß auf den kleinen Mauervorsprung, in sich zusammengesunken und seine Schultern bebten. Die Sonne brannte heiß auf seinen Nacken. Er hatte die Beine angezogen und seine Arme darum verschränkt. Sam konnte sein Gesicht nicht erkennen, vernahm stattdessen ein leises Schluchzen. Kurz sah er zu seinem Partner. Dieser zuckte hilflos mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig mit dem Kopf. Er wusste auch nicht, was sie jetzt tun sollten. Sam gab seinem Partner ein Zeichen, dass er zu dem Jungen Mann hingehen wollte und näherte sich langsam dem Selbstmordkandidaten. Als er zirka noch sieben Meter von ihm entfernt stand, setzte er ein gekonntes Lächeln auf, und sagte leise: „Hey.“ Langsam löste sich der junge Mann aus seiner Erstarrung und wandte seinen Kopf zu Sam, sah ihn kurz an. Sein Blick streifte die Uniform, streifte sein Gesicht, dann wandte er den Kopf wieder nach vorn. „Verpiss dich, Mann.“ Entfuhr es dem Mann. Als Sam sein Gesicht erkannt hatte, hatte er kurz, für einige Sekunden, die Fassung verloren. Dieser Junge Mann war nicht sehr viel Jünger als er selbst, sein Gesicht war schön, und anmutig, sein Blick allerdings, war voller Schmerz, voller Leid, voller Angst… Die geröteten Augen, die Sam bis hierher hatte erkennen können, bestätigten seinen kurzen Verdacht, den er schon gehegt hatte. Der Mann vor ihm nahm Drogen. Momentan schien er allerdings klar, voll bei bewusstsein. Vielleicht hatte er kein Geld für nen Schuss…überlegte Sam. Er sah ziemlich heruntergekommen aus. Die Klamotten waren zerissen und dreckig. Das Haar stand in alle Richtungen ab und war strähnig, sah ungepflegt und ungekämmt aus. Er hatte breite Schultern, sah allerdings abgemagert, fast unterernährt aus. „Darf ich näher kommen?“ fragte Sam leise. „Nein!“ entgegnete sein Gegenüber und sah ihn zornig. „Verpiss dich, habe ich gesagt.“ Joey: Zornig sah ich diesen scheiß Bullen an. Dieser verfluchte Arsch sollte sich bloß aus dem Staub machen. Als hätte ich jetzt Lust, auf so ne blöde Polizistengeschichte, die mich knallhart erstmal in die Klapse einliefern lassen würden, um mich danach wegen einer aufgebrochenen Tür zu verklagen. Mann ey, konnten die nicht einfach abhauen? Ganz schnell und unaufällig. „NEIN!“ entgegnete ich laut, als dieser Typ fragte, ob er näher kommen durfte. Hatte der sie noch alle? Um mich dann von springen abzuhalten, oder was? Ich kannte die Masche, hatte genug Fernsehfilme gesehen, in denen jemand springen wollte, um sich dann von so nem blöden grünen Schnittlauchheini davon abhalten zu lassen. Nein, nein. Ich hatte nicht vor, mich heute von irgendwem „retten“ zu lassen! „Verpss dich, habe ich gesagt.“, fügte ich noch hinzu, und hoffte, das der Typ jetzt endlich nen Abgang machte. Falsch gedacht. Stattdessen sah ich aus den Augenwinkeln, wie er meine Worte einfach überhörte und einen kleinen Schritt nach vorne wagte. Blöder Penner! „Kann ich nicht.“ Sagte der Polizist plötzlich. Ich sah ihn verwundert an. „Warum?“ entfuhr es mir. Am liebsten hätte ich mich dafür selbst massakriert. Wenn ich schon selbst fragen stellte, wurde das mit dem Springen immer noch schwieriger, und mit dem Retten lassen immer noch leichter. Ich musste dem jetzt endlich ein Ende setzen, sonst wurde das nichts mehr mit dem Selbstmordversuch. Trotzdem machte mich dieser Bulle neugierig. Ich wollte wissen, warum er nicht einfach verschwinden konnte. Überhaupt, fand ich es ziemlich beeindruckend von diesem Bullen, dass er es sich traute mit jemandem wie mir, der kurz vorm Springen war, einfach redete, wie mit seinem besten Kumpel. War das absicht? Musste er das so machen? Stand das so im Lehrbuch? „Ganz einfach. Jetzt wo wir dich entdeckt haben, müssen wir alles dafür tun, damit du nicht springst.“ „Sonderlich überzeugend ist das nicht.“, entgegnete ich bissig. „Steht das so im Protokoll?“ fragte ich und biss die Zähne zusammen. Wieder wandte ich mich zu ihm um, und schickte ihm meinen vernichtenden „ich-kill-dich-gleich-Blick“ Sonderlich beeindrucken konnte ich ihn damit nicht, denn er lächelte nur leicht und schüttelte mit dem Kopf. „Für so etwas gibt es kein Protokoll. Wie heißt du?“ fragte er weiter. Ich schüttelte perplex mit dem Kopf, ließ mich nicht darauf ein. Sobald der Typ meinen Namen weiß, hat er mich wahrscheinlich schon überzeugt. „Willst du nicht sagen? Hm…schade. Ich bin übrigens Sam.“ Wieder lächelte er mich so nett an. Warum konnte der seine Visage nicht in eine andere Richtung halten? Das letzte mal, dass mich einer angelächelt hatte, war passiert, als ich so nem alten, widerlichen Sack einen Runtergeholt hatte, und dieser mir Fieß lächelnd die dreißig Euro in die Hand gedrückt hatte. Doch der Polizist, lächelte mich ganz anders an. Freundlich, besorgt, liebevoll… Ganz anders. Wieder schossen mir die Tränen in die Augen. Verdammt, ich war so ein Weichei. Nicht mal die Tränen zurückhalten konnte ich. Wie sollte ich dann springen, jetzt da mich dieser Typ langsam erweichte, und mich langsam aus der Reserve lockte. Ich stockte…er lockte mich aus der Reserve? NEIN, das durfte ich nicht zulassen!!! „Verpiss dich endlich, lass mich in Ruhe! Ich will nicht mehr!“, schrie ich ihm schließlich entgegen und wandte meinen Kopf dann schnell wieder auf die andere Seite, damit er meine Tränen nicht sehen konnte. „Warum willst du nicht mehr?“ fragte dieser Sam sanft und wieder mit so nem scheiß Lächeln auf den Lippen. Er ging zwei Schritte auf mich zu, es trennten uns nur noch wenige Meter voneinander. Ich sagte nichts. „Was interessiert es dich? Tu doch nicht so, als würde einen Bullen die Lebensgeschichte von nem heruntergekommenen Penner interessieren.“, giftete ich ihn an machte mich gleichzeitig ganz klein, als würde ich mich verstecken wollen. „Mich interessiert das wirklich. Hast du nicht Lust von dem Ding da runter zu kommen und ein bisschen mit mir zu reden? Ich möchte dir gerne helfen.“ Ich lachte zynisch auf. „Ja klar. Du steckst mich wahrscheinlich sofort in die nächste Klapse und lässt mich Monatelang entzug machen, statt mir wirklich zu helfen.“ Er schüttelte mit dem Kopf. Sagte aber nichts. Ich spürte, wie mir wieder die Tränen kamen. Verdammt…diese scheiß Heulerei. Als würde es mir was bringen! Ich merkte, dass er mich schon fast so weit hatte. Würde er noch zwei oder drei Schritte auf mich zukommen und nach meinem Arm packen, würde ich mich nicht wehren. „Willst du mir immer noch nicht deinen Namen verraten?“ fragte Sam sanft. Ich schüttelte gezwungen mit dem Kopf. Ganz so leicht, wollte ich es ihm dann doch nicht machen. Sam schien zu merken, dass er mich fast so weit hatte. Er machte wieder einen kleinen Schritt auf mich zu und lächelte mich liebevoll an. Ich sah ihn an, war gewillt ihm ebenfalls ein leichtes Lächeln zu schenken, doch plötzlich sah ich eine schnelle Bewegung von rechts. Ich schreckte auf und wandte meinen Kopf in die Richtung. Ich klammerte mich an den Backstein unter mir und schrie: „Scheiß Bulle bleib wo du bist, oder ich spring sofort runter!“ Der Alte hielt kurz inne, machte dann noch einen Schritt auf mich zu. „JACK NEIN!“ schrie Sam seinen Partner an und dieser blieb endlich stehen. Ich wich ein Stück zurück, wollte nicht dass er mir so nah kam, dieser Fremde, alte Knacker. Plötzlich spürte ich, wie ich den Halt verlor. Da war nichts mehr, schoss es mir in den Kopf und ich schrie erschrocken auf. Mein Fuß ging ins Leere, und ich rutschte ab. Ich taumelte zurück, streckte meine Hand aus um Halt zu finden. Wie in Zeitlupe, riss Sam die Augen auf, machte einen Satz nach vorne und griff nach meiner Hand. Im letzten Moment bekam er mich zu fassen und hielt mich eisern fest. Ich sah ihn verwundert an. Er blickte lächelnd zurück und wollte mich hochziehen, doch trotz meines geringen Gewichts, schien er es nicht alleine zu schaffen. Er rutschte ebenfalls ein Stück ab. „Lass los.“ Sagte ich leise, und doch ernst. Sam schüttelte tonlos mit dem Kopf, sah mich bittend an. „Lass los, Sam. Ich bin nicht hier hoch gekommen, um dich mit in den Tod zu stürzen.“ Wieder schüttelte Sam mit dem Kopf. Dann drehte er sich um. „Jack, hilf mir, ihn hochzuziehen.“ Dieser Jack kam näher und beugte sich vor, griff nach meinem Arm und gemeinsam zogen sie mich hoch. Jack griff nach meinem Kragen und lupfte mich über den kleinen Mauervorsprung. Außer Atem lehnte ich mich nach hinten gegen die Wand und schloss die Augen. Und was jetzt? Fragte ich mich in Gedanken. Springen wollte ich nicht mehr. Leben wollte ich auch nicht. Und was jetzt? Sam kniete sich vor mich hin und legte mir seine Hände auf die angezogenen Knie. Er lächelte warm und ich öffnete die Augen, sah ihn an. Dann lächelte ich zurück. „Joey…mein Name ist Joey.“ Plötzlich öffnete sich die Tür hinten und weitere Polizisten stürmten das Dach. Zwei von ihnen griffen nach mir, doch ich riss mich zornig los. „Was soll das?“ fragte ich und wich zur Seite. „Ich mach das schon.“ Sagte Sam leise zur Verstärkung und streckte mir die Hand entgegen. „Komm Joey. Wir müssen zur Klinik.“ „Was für eine Klinik?“ Ich wurde unsicher. Wollte er mich jetzt doch noch in eine Klapse einweisen? „Verdammt, ich dachte du hilfst mir! Und jetzt soll ich doch in die Klapse?“ Er sah mich traurig an. „Wann hattest du deinen letzten Schuss?“ fragte er leise. Ich wandte den Blick ab. Verdammt, er hatte es gemerkt. „Vor…zirka…acht oder neun Stunden.“ Entgegnete ich ebenfalls leise. „Wie lange hälst du es ohne aus?“ „Vielleicht zwölf Stunden.“ „Du musst dir helfen lassen Joey. Ich kann dir dabei nicht helfen. Ich will dir helfen, doch dass musst du mit den richtigen Leuten in Angriff nehmen. Oder hast du vor, für immer von diesen Scheiß Drogen abhängig zu sein.“ Hilflos wandte ich mich ab und vergrub mein Gesicht in den Händen. Er kam zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern. „Komm schon, Joey.“ Schließlich sah ich ihn an und lächelte leicht. Dann nickte ich und er zog mich mit. Sein Arm lag immer noch um meine Schultern. Die Nähe zu einem Menschen, tat unendlich gut, stellte ich fest. Sam: Sam legte dem Jungen Mann den Arm um die Schultern und zog ihn mit zum Aufzug. Joey zitterte am ganzen Leib, doch er konnte sich schon denken, woran es lag. Eigentlich brauchte er jetzt schon wieder einen Schuss. Die Zwölf Stunden waren etwas übertrieben gewesen. Sam schätzte das Joey es zirka zehn Stunden aushielt, ohne Schmerzen. Er drückte ihn durch die Menge der Schaulustigen zu seinem Streifenwagen und ließ ihn dann auf der Rückbank Platznehmen. Er setzte sich auf die Fahrerseite, Jack stieg auf der anderen Seite ein. Dann fuhren sie los. Joey: Ich sah ausdruckslos aus dem Fenster während der Fahrt. Sie brachten mit sofort zu einer Klinik, sie wussten, dass jede Minute zählte. Meine Hände zitterten, normalerweise hätte ich mir spätestens jetzt die nächste Dosis verabreicht. Doch ich hatte weder etwas hier, noch würden die zwei Bullen wohl erlauben, dass ich mir jetzt einen Schuss rein zog. Nein, die Wahrscheinlichkeit war wirklich gering! Kapitel 2: Hard Way To Be Clean ------------------------------- Kapitel 2: Hard Way To Be Clean Joey: Ich schrie. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib, wimmerte, schlug um mich und redete leise vor mich hin, um mich abzulenken. Es tat weh. Es zeriss mich fast. Meine Glieder schmerzten, mein Kopf brachte mich fast um. Mein ganzer Körper zitterte und ich schwitzte. Meine Hand verkrampfte sich in dem Bettlaken und ich warf mich unruhig hin und her. Ich lag schon eine Nacht lang in der Psychiatrie, war fast am abkratzen, hatte das Gefühl nicht mehr zu können. Ich weinte schon seit Stunden, war allein, fühlte mich allein und wünschte mich nicht nur einmal, zurück auf das Dach um dem ein Ende zu bereiten. Ich konnte nicht einschlafen. Stundenlang lag ich wach, zitterte, wimmerte vor Schmerz. Es war unbeschreiblich…diese Leere in mir, dieses Verlangen, mich erneut aus der Realität zu entziehen und einzutauchen in ein anderes Leben, in eine andere Welt. Warum musste ich nur so blöd sein, und auf diesen scheiß Bullen hören? Warum hat er mich nicht losgelassen? Ja…dieser scheiß Bulle. Meine Gedanken streiften immer wieder zu ihm, zu seinem schönen Gesicht, seine beeindruckende Art, mit der er mit mir umgegangen war. Dieses sanfte Lächeln, die marinefarbenen Augen. Er geisterte in meinem Kopf, ließ mich nicht mehr los. Ich klammerte mich gedanklich an ihm fest, an diesem einen Gedanken, an diese eine Person, die mir mit ihrem wunderschönen Lächeln so viel halt geschenkt hatte, dass ich, sobald es mir wieder für einige Minuten besser ging, immer mehr den Drang entwickelte, nicht aufzuhören. Die Radikale Entzugstherapie, die sie hier einsetzten, brachte mich schier um den Verstand. Ich lehnte jegliche Schmerzmittel ab, da ich wusste, dass ich nur von einer Abhängigkeit in die Nächste geraten würde. Sie setzten mich nicht langsam von den Drogen ab, wie ich es wahrscheinlich gemacht hätte, sondern setzten mich radikal ab, ließen mich Nüchtern werden. Zwangen meinen Körper, sich wieder umzustellen. Wieder durchzuckte mich ein Schmerz. Ich litt. Doch irgendwo in meinem inneren, wollte ich es so! Irgendwann in den frühen Morgenstunden, fiel ich in einen leichten, traumlosen Schlaf. Als ich erwachte, zitterte ich noch immer, doch es ging schon besser. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so schrecklich, die schmerzen hatten nachgelassen. Sie wurden erträglicher. Eine Schwester kam herein, und brachte etwas zu essen mit. Es war leichte Kost und sie lächelte mich an, als sie merkte, dass ich wach war. Ob sie jeden so anlächelte? Es war nur ein aufgesetztes Lächeln, es wirkte falsch. Nicht so wie Sams…Sam…warum dachte ich dauernd an diesen blöden Bullen? Immerhin hatte er mir die ganze Sache hier eingebrockt. Ich verdrängte meine Gedanken, da es ja doch nichts brachte, darüber nachzusinnen. Trotzdem fragte ich mich, ob er mich wirklich noch mal besuchen kommen würde… Gesagt hatte er es, doch wollte ich ihn jetzt, in meinem Zustand überhaupt sehen? Nein…ehrlich gesagt, wäre es mir lieber, er käme erst in ein paar tagen, sobald ich nicht mehr so schrecklich aussah. Die geröteten, geschwollenen Augen, die dunklen Augenringe, die mein Gesicht krönten, die abheilende Wunde an meiner Wange, die bleiche Haut, die strähnigen Haare und der abgemagerte Körper, der zitternd und zuckend sich zusammengekrümmt auf dem Bett befand. Ich sah schrecklich aus. Mein Erscheinungsbild widerte mich selbst an, doch ich konnte nichts tun, konnte nicht aufstehen und unter die Dusche gehen, konnte mir nicht die Haare waschen oder die Zähne putzen. Ich schaffte es nicht mal bis zum Klo, so sehr zitterte ich, so schwach war ich. Mein Leben bestand im Moment nur darin, diese Scheiß Entzugserscheinungen zu bekämpfen, sie niederzuringen und sie auszuhalten. Um dann endlich einen Neuanfang zu starten, sobald sie mich aus dieser Scheiß Klinik rauslassen. Verdammt, ich will hier weg. Alles schrie in mir nach Freiheit, nach Luft. Ich spürte, wie sich meine Luftröhre zusammenzog und atmete schwer. Die Krankenschwester sprach mich an, fragte was los war, doch ich antwortete nicht, konnte sie nicht hören. Stattdessen driftete ich langsam ab und wanderte rüber in die Welt der Dunkelheit, die Welt des Schlafens und des Träumens. Ich träumte wirres Zeug. Meine Mutter kam vor, der letzte Freier den ich um Geld angebettelt hatte, Sam, der mich sanft anlächelte und die Ärzte, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte. Mit meinen dreiundzwanzig Jahren, hatte ich das mit dem Schmerzmittel selbst entscheiden können. Sie hatten ein Beratungsgespräch mit mir geführt, und ich hatte mich für die harte Tour entschieden, weil diese Schneller und Effektiver ist. Nach diesen Schmerzen, würde ich nie wieder Drogen anfassen wollen, das schwor ich mir jetzt. Als ich erwachte fühlte ich mich immer noch schrecklich, aber wieder ein Stückchen besser als vorher. Ein Arzt hatte sich über mich gebeugt, fühlte meine Stirn, schob mir das Fieberthermometer in den Mund und fühlte meinen Puls. Ich ließ alles klaglos über mich ergehen, versuchte krampfhaft mein Zittern zu unterdrücken, scheiterte natürlich kläglich, und fragte schließlich den Arzt: „Wie lange noch?“ Er verstand was ich meinte und sah mich abschätzend an. „Schwer zu sagen. Ein zwei Tage. Dann bist du Clean!“ Ich nickte, bereute meine Frage. Ich hätte sie nicht stellen sollen. Jetzt fühlte ich mich noch Elender. Ich hatte gerade mal einen Tag hinter mich gebracht. Wenn noch zwei weitere Folgen sollten, traute ich mir zu, den Arzt doch noch anzubetteln, er solle mir irgendwas in die Venen schießen, Hauptsache diese schreckliche, verzerrende Kälte in meinen Gliedern und der Druck in meiner Brust verschwand. Doch ich tat es nicht. Ich wollte es diesen blöden Weißkitteln zeigen, ihnen beweisen, dass ich es schaffen konnte, ohne ihre Scheiß Drogen, die sie mir verabreichen würden, um mich von einer Abhängigkeit in die nächste zu schicken. Ich wollte stark sein! Als es abends wurde, ich schließlich wieder allein war, und einsam in meinem Bett lag, mich fast nicht Rühren konnte, und mich nach Gesellschaft sehnte, gab ich auf. Ich gab innerlich auf, wollte die Spritze, wollte nicht mehr einen auf Stark machen. Stattdessen wollte ich lieber schmerzlos überwechseln in die Abhängigkeit an Schmerzmitteln. Diese Idee fand ich wesentlich angenehmer, als hier, alleine, einsam und voller Schmerz liegen zu müssen, Zittern zu müssen und es fast nicht aushalten zu können. Doch ich war zu schwach, konnte meinen Arm nicht mal bis zum Hilfeknopf bewegen. Ich war wie gelähmt, schaffte es gerade noch, mich ab und zu von einer Seite zur anderen zu wälzen. Der Hilfeknopf war zu weit weg, stellte für mich eine wahre Herausforderung da. Also ließ ich es, wimmerte die Nacht durch, versuchte mich in den Schlaf zu weinen. Doch ich konnte es nicht. Ich konnte nicht schlafen, geschweige denn mich ausruhen. Stattdessen lag ich wach und versuchte die Schmerzen auszuhalten, die meinen Körper durchzuckten, wie scharfe Blitze. Mein Körper schrie nach den Drogen, er schrie nach einem Schuss. Ich versuchte es zu ignorieren, wärmte mich mit dem Gedanken an meinen Lebensretter, stellte mir vor, wie ich ihm mit der Faust ins Gesicht schlug und ihn Anschrie und verfluchte für seine tolle Aktion, mit der er mir nun dieses Leid eingebracht hatte. Ich verfluchte mich selbst, für meine tollkühne Idee, auch mal ein paar Drogen auszuprobieren, verfluchte mich selbst für zwei Jahre Abhängigkeit, verfluchte mich dafür, dass ich dem Drang, immer mehr zu nehmen nicht hatte ausweichen können. Ich hasste mich. Ich hasste Sam, ich hasste meine Mutter… Ich hasste diese Scheiß Weißkittel um mich herum, die sich wahrscheinlich hinter meinem Rücken den Arsch ablachten. Sie lachten wahrscheinlich über die Stärke die ich zeigen wollte, lachten über mein gezwungenes Gesicht, meinen gescheiterten Selbstmordversuch. Sie lachten bestimmt über die vielen kleinen Wunden, die ich mir selbst zugefügt hatte, die Narben, die alle eine Geschichte erzählten. Sie lachten über mich…Ich war mir sicher…und ergötzte mich bei der Vorstellung sie alle zu vermöbeln, sobald es mir besser ging, und sie nicht auf den Gedanken kamen, mich in eine Zwangsjacke zu stecken. Wie sehr wünschte ich mir ein Messer. Hätte ich eines gehabt, und hätte ich die nötige Kraft mobilisieren können, hätte ich gleich mit den Pulsadern weiter gemacht. Oder ich hätte mir das Messer gleich ins Herz gerammt, dann wäre es noch schneller gegangen. Sich dabei zuzusehen, wie man verblutete, fand ich doch etwas zu crazy. Zu springen, hatte seinen Reiz gehabt. Die wenigen Augenblicke in der Luft, das Gefühl fliegen zu können. Bis zum Aufprall…Vor dem hätte ich Angst gehabt. Was wäre gewesen, wenn ich auf einen der kleinen Menschen gefallen wäre, die unter mir vorbei gelaufen sind? Hätte ich ihn umgebracht und mit in den Tod gerissen? Das hätte ich nicht gewollt. Ich wollte nicht zum Mörder werden. Ich wollte höchstens bei mir selbst zu einem werden. Doch andere zu töten war nicht meine Absicht. Weshalb ich auch wollte, dass Sam dieser Idiot mich los ließ. Was wäre gewesen, wenn sein Partner nicht dabei gewesen wäre. Wäre er mit in die Tiefe gestürzt? Oder hätte er mich losgelassen? Sein Gesicht war so ernst gewesen. Es hatte mich beeindruckt, wie er mit mir geredet hatte. Er hatte mich nicht wie ein Kleinkind behandelt…sondern wie einen vollwertigen Menschen. Er hatte mir das Gefühl gegeben, wichtig zu sein. Das Gefühl einen Sinn zu haben. Das Gefühl, dass es jemanden gab, dem etwas an mir lag. Dabei kannte mich Sam doch gar nicht. Er hatte keine Ahnung was für ein Mensch ich war. Außer das ich in meinem Leben schon an einen Punkt angelangt war, in dem für mich alles zu ende war. Die ganze Nacht über lag ich wach. Schließlich schaffte ich es doch noch, einzuschlafen. Irgendwann in der Früh war ich endlich weg. Trotzdem schlief ich nicht lange. Ich wachte schon bald wieder auf, hatte Krämpfe in den Muskeln, fühlte mich schwach und zittrig. Wieder tauchte die Krankenschwester auf, stellte mir ein Tablett neben das Bett. Ich rührte es nicht an. Allein der Gedanke an Essen brachte mich zum würgen. Sie hatte wieder dieses falsche Lächeln aufgesetzt, dass mich erschaudern ließ. Sind alle Menschen hier wie Marionetten? Als sie wieder weg war, musste ich nicht lange warten, und der Arzt kam herein. Wie am Vortag fühlte er meinen Puls, leuchtete mir in die Augen, was mich schrecklich blendete und mich zusammenzucken ließ, steckte mir das Fieberthermometer in den Mund und sah mich besorgt an. Schließlich ging er kurz aus dem Raum, kam dann wieder mit einer Spritze in der rechten Hand. Erstaunt sah ich ihn an. „Was soll der scheiß?“ fragte ich ihn aufgebracht. Er schob mir das T-shirt auf der Seite hoch und wollte mir die Flüssigkeit in den Arm jagen, doch ich riss mich los und schlug nach ihm. „Verpissen sie sich! Ich will kein so n scheiß ding.“, schrie ich ihn an und versuchte auszuweichen, als er sich erneut meinem Arm nähern wollte. „Das ist nur ein Schlafmittel. Du quälst dich, Jeffrey. Du machst dich nur selbst fertig.“ Ich schüttelte wild mit dem Kopf und schlug seine Hand weg. „Labern sie keinen Scheiß und lassen sie mich in ruhe, mit ihren scheiß Drogen. Ich will das verdammt noch mal nicht.“ Er drückte auf einen Knopf direkt neben dem Bett und zwei Krankenpfleger stürmten hinein. „Ich gebe dir jetzt dieses Schlafmittel und dann schläfst du ein paar Stunden durch. Wenn du aufwachst wirst du froh sein, dass ich dir das Zeug gegeben habe. Es wird dir besser gehen.“ „Verdammt!“, schrie ich aus und schlug nach dem Krankenpfleger der mich festhalten wollte. Er wich mir mühelos aus, packte meine Arme und presste sie tief in das Kissen. Ich konnte mich nicht wehren, war ohnehin zu schwach, durch die Entzugserscheinungen. Der andere packte mich an den Beinen und sie hielten mich ruhig. Ich schrie wie am Spieß wollte mich immer noch wehren, doch der Arzt jagte mir mühelos das Zeug in den Arm und gebot den Krankenpflegern, mich wieder loszulassen. Sie ließen von mir ab und ich wollte erneut den Arm heben, um diesen Typen zu schlagen, doch ich war zu schwach. Langsam driftete ich ab, spürte die Müdigkeit noch mehr als vorher, schloss schließlich die Augen und schlief ein. Als ich erwachte, ging es mir tatsächlich besser. Die Schmerzen hatten nachgelassen und ich sah alles wieder etwas klarer. Mein Puls jagte immer noch, und ich zitterte noch leicht, doch es war nicht mehr so schlimm. Zu meinem Erschrecken musste ich feststellen, dass sie meine Arme an den Seiten des Bettes festgebunden hatten. Verdammt…was sollte der Scheiß? Ein mir unbekannter Mann saß neben meinem Bett und lächelte mich an. Ich sah ihn verwirrt an, stellte schließlich fest, dass er ebenfalls einer der Weißkittel war. Zu welcher Kategorie konnte ich noch nicht sagen. Als er zu Sprechen anfing, bemerkte ich es sofort. Seelenklempner. Hatten sie also endlich einen für mich engagiert. Klasse! Ich lauschte seiner ruhigen, offenen Stimme, schüttelte allerdings nachdrücklich mit dem Kopf, als er fragte, ob ich Lust hätte mit ihm zu reden. Im leben nicht. Doch nicht mit so nem Psychoheini, der allem Anschein nach selber einen an der Klatsche hatte, wenn er an so einem Ort, freiwillig arbeitete. „Es ist wichtig, Jeffrey, dass du mit uns sprichst. Wir können dir helfen, erstens. Wieder Boden unter den Füßen zu erlangen und zweitens: Deine Freiheit wiederzuerlangen.“ „Ich denke nicht, dass das nur halb so wichtig ist, wie sie denken. Mein Leben geht in diesem Gebäude nur eine Person etwas an, und die bin ich. Falls sie sich fragen, ob ich in unmittelbarer Zeit, erneut versuchen sollte, mich umzubringen, dann hier meine Antwort: Nein! Doch ich werde weder über mich reden, noch über meine Kindheit, oder über die Sache vom Dach. Kein Interesse. Ganz ehrlich, ich will einfach nur schnell wieder hier raus.“ Meine Stimme war leise, fast nur ein flüstern. Ich war etwas heißer, vom vielen Schreien der letzten zwei Nächte, fühlte mich immer noch erschlagen und immer noch ziemlich scheiße. Auch musste ich mich erst an das Gefühl gewöhnen, dauerhaft nicht auf einem Trip zu sein, sondern das Leben in vollen Zügen mitzubekommen. Es war ungewohnt, aber bis jetzt mal noch nicht vollkommen ungewollt. „Um hier schnell rauskommen zu können, wirst du mit uns kooperieren müssen. Dazu zählt auch, dass wir ergründen müssen, was deine Psychische Verfassung angeht. Deine Körperliche dazu. Du bist unterernährt, wiegst viel zu wenig. Was ist wenn du hier raus kommst? Was machst du dann? Erneut so lange scheiße Bauen, bis du wieder auf einem Dach stehst?“ Ich schüttelte entschieden mit dem Kopf. „Ich suche mir einen Job, werde versuchen mein Leben in den griff zu kriegen, und vielleicht in eine andere Stadt ziehen. Dann werde ich mir eine Freundin suchen und mein Leben genießen.“ „Das hört sich gut an, aber denkst du, es ist so einfach, wie du es dir vorstellst?“ „Nein, natürlich nicht. Doch ich werde das hinkriegen. Ich hab es jemandem versprochen.“ „Wem?“ „Mir selbst.“ Ich lächelte leicht. „Du denkst, dass das reicht?“ Verwundert sah ich ihn an. „Klar. Wenn ich an mich selbst glaube, dann reicht das.“ Er sah mich abschätzend an. Sonderlich überzeugend fand er meine Worte wohl nicht… Ich zuckte leicht mit den Schultern, was etwas schwierig war, durch die Fesseln. „Weshalb wurde ich gefesselt?“ fragte ich müde. „Du bist ausgerastet, also hat dein Arzt entschieden, dich vorerst festzumachen. Zur Sicherheit, für dich und für die Angestellten.“ Ich lachte leise und zynisch auf. „Was denkt er? Dass ich mich selbst schlage?“ „Ja…Sieh deine Arme an. Es ist eindeutig, was du getan hast. Du hast viele Narben an deinem Körper. Alle zeugen davon, dass du dir selbst schmerzen zugefügt hast.“ „Und selbst wenn. Das ist ja wohl nicht strafbar oder?“ Langsam machte mich dieser blöde Heini wütend. Was sollte der Scheiß? Sie sperrten mich an, weil ich ein paar Narben an den Armen hatte. Was geht ab? „Nein ist es nicht. Aber es ist gefährlich für dich.“ Ich lachte hysterisch. „Für mich gefährlich? Es gibt schlimmeres.“ „Was denn zum Beispiel?“ Ich schwieg…mir fiel nichts ein. Ich war zu müde…zu kaputt. Ich wollte schlafen und mich nicht mit so einem dämlichen Hirndoktor unterhalten. „Machen sie sich aus dem Staub. Tun sie mir den gefallen, und verschwinden sie.“ Verwundert sah er mich an. Dann lächelte er leicht und stand auf. Tatsächlich ging er zur Tür und verschwand. Beruhigt versuchte ich mich zu entspannen und schloss die Augen. Als ich erwachte, hatten sie meine Fesseln gelöst. Erleichtert sah ich mich um. Ich entdeckte eine Videokamera und grinste leicht. Von einer Überwachung zur nächsten. Keine schlechte Idee. Zum ersten Mal fühlte ich mich relativ gut. Die Kopfschmerzen waren zwar nicht weg, doch ich zitterte nicht mehr am ganzen Leib. Auch dieses leere, drückende Gefühl ihm Magen war fast abgeklungen. Meine Augen schmerzten leicht, doch es war auszuhalten. Gesamt gesehen, fühlte ich mich relativ gut. Es war eigenartig. Meine Denkkapazität war so groß, wie schon seit Wochen nicht mehr. Ich fühlte mich eigenartig frei, auf der anderen Seite fühlte ich mich eingeengt. Hatte nicht mehr das Gefühl abheben zu können. Vor allem jedoch fühlte ich mich ausgelaugt und einsam. Ich war schrecklich einsam… Ich sah zum Tisch und entdeckte ein Tablett. Leichte Kost. Seit Tagen hatte ich nichts gegessen. Auch jetzt verspürte ich nicht den Drang, etwas zu mir zu nehmen. Wann die Ärzte wohl darauf aufmerksam werden würden… Ob sie mich zum Essen zwingen werden? Ruhig blieb ich liegen, als sich die Tür öffnete und mein Arzt den Raum betrat. „Na, hast dich wieder beruhigt?“ fragte er leise, kontrollierte Puls und Temperatur und sah kurz zu dem Tablett. „Du isst nichts, wie ich sehe. Wann hast du das letzte mal richtig gegessen?“ Ich überlegte ernsthaft, ob ich den Tag noch wusste…nein…ich hatte es vergessen. „Weiß nicht mehr.“, flüsterte ich und drehte mich von ihm weg, auf die andere Seite. „Was macht der Entzug.“ „Mir geht’s gut.“ „Dann iss etwas.“ Ich schüttelte leicht mit dem Kopf und schloss die Augen. Ich wollte wieder schlafen. „Hast du den Drang, nach einem Schuss?“ fragte er weiter. Ich überlegte kurz, schüttelte dann erneut mit dem Kopf „Gut…ich lass dich jetzt in Ruhe. Wenn du morgen wieder nicht isst, werde ich mir überlegen, dich an einen Tropf zu hängen.“ Ich sagte nichts, ignorierte ihn einfach. Schließlich hörte ich, wie die Tür ins Schloss fiel und entspannte mich wieder leicht. Morgen also… Ich versuchte zu schlafen, konnte es aber nicht. Langsam wurde ich noch verrückt. Warum konnte ich nicht einfach die Augen zu machen und wegtreten? Mir fiel auf, dass ich sonst immer kurz nach einem Schuss weggetreten war. Wann war ich das letzte Mal von ganz allein eingeschlafen, ohne Hilfe, durch Tabletten, Alkohol oder einen Schuss? Ich wusste es nicht mehr. Mein Gott, Joey, was hast du die letzten Monate eigentlich getan? Mein Leben war ein einziger Trümmerhaufen. Und du willst an dich glauben? Tadelte ich mich in Gedanken. So ein dämlicher Spruch… Es reicht wenn ich an mich glaube…pff…das war eindeutig nur Wunschdenken. Plötzlich öffnete sich die Tür. Kurz überlegte ich, aufzusehen, um festzustellen wer jetzt schon wieder kam von diesen Blöden Heinis, entschied mich dann dagegen. Der Aufwand war mir zu groß. Ich wollte meinen Kopf nicht übermäßig belasten…ich genoss es, ausnahmsweise mal zu liegen, ohne vor Schmerzen fast umzukommen. Die Person, die mein Zimmer betreten hatte, kam näher und setzte sich auf den Stuhl, direkt neben meinem Bett. Ich hörte, wie etwas auf den Tisch gestellt wurde und überlegte, um was es sich handeln könnte. „Schläfst du, Kleiner?“ ertönte plötzlich eine sanfte, ruhige und angenehme Stimme in meinem Rücken. Verwundert riss ich die Augen wieder auf und drehte mich ungläubig um. Tatsächlich. Sam. Sam: Langsam machte er sich auf den Weg, zu der Zimmernummer, die ihm die Frau an der Rezeption zugewiesen hatte. Er sparte sich, zu klopfen und trat ein. Das Zimmer war nicht sonderlich groß. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Waschbecken. Eine Tür führte zu einem kleinen Bad, mit einer Dusche und einer Toilette. Die Tür stand offen, doch Sam zollte dem Bad nicht mehr Beachtung, sondern wandte sich zum Bett, auf dem eine abgemagerte, fast schon zierlich wirkende Person lag, dem Zimmer den Rücken gewandt. Sam trat näher an das Bett, stellte die Blumen auf den kleinen Tisch und setzte sich auf den Stuhl. Er rückte näher an das Bett heran und sah auf den unterernährten, kleineren Körper, der in einem Weißen Schlafanzug steckte. Auch der Rest des Zimmers war in weiß gehalten. Die Wände, der Linoleumboden, die Lampe, der Tisch, der Stuhl, das Bettlaken. Alles weiß. Joey schenkte ihm keine Beachtung. Ob er schlief? Seine Atmung war relativ ruhig und gleichmäßig, er zitterte nicht. Ob er den Entzug schon überstanden hatte? „Schläfst du, Kleiner?“ fragte er schließlich leise. Joey bewegte sich etwas, drehte sich dann zu ihm um, und sah ihn aus großen, ungläubigen Augen an. „Sam.“ Stellte er fest und lächelte ihn an. Er drehte sich nun vollends zu ihm um und sah ihn an. Sam betrachtete das Gesicht seines Gegenübers und stellte beruhigt fest, dass dieser besser aussah, als noch vor zwei Tagen. Sam war schon vor zwei Tagen kurz hier gewesen, doch sein kleiner Junky hatte geschlafen. Joeys Haut wirkte nicht mehr so bleich, die Augenringe waren nicht mehr so extrem, und die Augen waren nicht mehr ganz so gerötet. Sam lächelte ebenfalls und deutete auf die Blumen. „Hab dir Blumen mitgebracht. Ich dachte mir, so sieht es hier nicht mehr ganz so trostlos weiß aus.“ Joey nickte etwas perplex und starrte kurz zu den Blumen, die in einer kleinen Porzelanvase standen. Joey: Ich freute mich riesig. Dass Sam wirklich gekommen war, bedeutete mir unendlich viel. Jetzt saß er schweigend und etwas unbeholfen auf dem Stuhl und sah mich an. Ich spürte seinen Blick im Gesicht und auf meinem Körper. Er schien mich genau zu analysieren und meinte schließlich: „Joey, wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“ Ich stöhnte leise und drehte meinen Kopf für einen Moment weg. „Keine Ahnung. Muss mich jeder damit nerven?“, ich strich mir mit dem Arm kurz über die Stirn, und spürte plötzlich eine Hand, die sich um mein Handgelenk schloss. Sam zog meinen Arm zu sich und besah sich meine abheilenden Einschnitte auf dem Unterarm. Ich sah ihn nicht an, spürte seinen Blick genau, wollte aber nicht darüber reden. Schließlich wurde sein Griff lockerer und ich befreite mich. Ich wandte meine Augen wieder zu ihm und er lächelte mich leicht an. „Wie geht’s dir?“ fragte er leise. Ich nickte vage. „Es geht. Den Umständen entsprechend.“ „Hast du den Entzug gut überstanden?“ fragte er leicht besorgt weiter. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab gedacht, ich würde es nicht schaffen. Aber nachdem der Arzt mir ne Schlaftablette gegeben hatte, hab ich geschlafen wie ein Stein, und bin schließlich halbwegs ruhig aufgewacht heute Morgen.“ Er nickte. „Hast du noch Schmerzen?“ Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. „Nein, fast keine. Alles relativ okay.“ „Dann bin ich ja beruhig.“ Ich lächelte ihn leicht an und nickte. Wieder schwiegen wir kurz. Es war komisch, eigentlich kannten wir uns nicht, doch ich hatte trotzdem das Gefühl, mit ihm schon sehr vertraut zu sein. Er schien sich ähnlich zu fühlen. „Dein Arzt hat gesagt, du willst nicht mit dem Psychiater reden?“ fragte er leise. „Nein, will ich nicht.“ „Woran liegt das?“ „Ich möchte nicht, dass er alles erfährt…aus meinem bisherigen leben.“ „Aber er möchte dir doch nur helfen.“ „Das sagen sie doch alle. Lass uns über was anderes reden, ja? Ich will nicht, dass du mir jetzt auch noch Vorhaltungen machst.“ Meine Stimme war immer noch müde. Ich klang erschöpft und ausgelaugt. Sam merkte das und nickte schließlich. „Hast du eigentlich eine Freundin?“ fragte ich ihn und lächelte leicht. „Nein. Und wenn ich eine Beziehung hätte, dann sicher nicht zu einer Frau.“ Erstaunt sah ich ihn an. „Bist du ein Mönch?“ fragte ich ihn verwundert. Er lachte leise und schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Schwul!“ Ich grinste breit. „Achso…ich dachte schon.“ Etwas unsicher grinste er zurück. „Kein Problem damit?“ Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. „Warum sollte ich? Ist doch okay.“ Er nickte etwas erleichtert und wir redeten ein bisschen über das Wetter, die Klinik, die Stadt… Eigentlich war es eher so, dass er redete und ich ihm zuhörte. Ab und zu meine Meinung sagte, doch die meiste Zeit schwieg. Ich war zu müde, zu kaputt. Wollte erst mal wieder richtig auf die Beine kommen, bevor ich mich durchs Reden noch verausgabte. Sam schien das nichts auszumachen. Er redete gerne und viel, erzählte ein bisschen was von sich, und half mir damit ungemein. Als er zwei Stunden später ging, fühlte ich mich auch seelisch gut. Dass er gekommen war, hatte mir total geholfen. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit zwei Jahren, ohne Drogen wieder ein bisschen glücklich zu sein. Sam hatte versprochen wiederzukommen. Ich freute mich jetzt schon auf seinen Besuch. Hoffentlich durfte ich bald hier raus. Meine Hoffnung schwand bald. Mein Arzt sagte mir am nächsten Tag, er würde mich frühestens in drei Wochen entlassen. Mein Psychologe sagte, ich käme gar nicht hier raus, wenn ich nicht mit ihm redete. Meine Krankenschwester traute sich nicht, mir ein Messer neben das Besteck zu legen. Und die Videokamera lief Tag und Nacht, beobachtete mich, so dass ich mich nicht mal umziehen wollte. Man hatte das Gefühl, die ganze Welt sah einem dabei zu, wie man sich langsam das Hemd überstreift. Whaaah. Keine schöne Vorstellung. Trotz der immer noch leichten Schmerzen, stand ich schließlich an meinem vierten Aufenthaltstag auf, und tappte unsicher zum Bad. Ich klingelte nach keiner Schwester, wollte das alleine schaffen. Als ich fertig war, ging ich langsam wieder zurück und setzte mich in mein Bett. Ich zog die Beine an, und schlang die Arme drum herum. Dann legte ich meinen Kopf auf die Knie und schloss die Augen. „Essen, Joey…komm schon…Essen.“, ging es mir durch den Kopf. Schließlich sah ich auf, beugte mich ein Stück vor und griff nach dem Apfel, der auf dem Tablett lag. Langsam führte ich ihn zum Mund und biss einmal ab. Ich kaute kurz und würgte den Bissen dann runter. Okay…es ging. Dann noch mal…dachte ich. Ich schaffte den halben Apfel runterzuwürgen, dann wurde es mir zu viel. Bevor ich das Gefühl hatte, mir käme das Ding wieder hoch, legte ich ihn zurück auf das Tablett. So…nun konnte der Arzt sich wirklich nicht bei mir beschweren. Ich hatte mich echt angestrengt. Kapitel 3: Problems In My Soul ------------------------------ Am nächsten Tag fühlte ich mich wieder ein Stück besser. Ich fühlte mich immer noch unruhig und war nicht ausgeglichen, doch es wurde Tag für Tag besser. Trotzdem wurde dieser Tag ein Alptraum für mich. Es begann mit dem Frühstück. Ich nahm nur wenig zu mir, gab mein bestes, versuchte so viel zu essen, wie es nur ging, doch mein Körper sträubte sich dagegen. Kurz nachdem ich mir ein Stück Brot in den Mund geschoben hatte, kam es mir wieder hoch und ich erbrach mich im Bad über der Kloschüssel. Die Weißkittel hatten meine Flucht ins Badezimmer natürlich auf der Videoübertragung mitbekommen und einer der Krankenpfleger kam ins Zimmer gestürmt und half mir, mich wieder sauber zu machen. Ich konnte mir die Zähne putzen, durfte sogar Duschen, fühlte mich dadurch wieder etwas besser… Trotzdem hatte es nachfolgen. Mein Arzt kam zwei Stunden später ins Zimmer, sah mich anklagend an, drohte mir erneut, mich an den Tropf zu hängen. Ich schüttelte stumm mit dem Kopf. Kein Interesse, und keine Einwilligung meinerseits. Er zog eine Augenbraue hoch. „Tja…ich schätze, wir können aber nichts anderes machen. Du nimmst nichts zu dir, kannst nichts bei dir behalten. Du hast seit Tagen nichts gegessen und bist eindeutig unterernährt. Also ziehen wir das ganze durch. Du bekommst eine Infusion und wirst künstlich ernährt. Zusätzlich werde ich dir Beruhigungstabletten verschreiben. Damit werden wir dich ruhig stellen, und zusätzlich von jeder weiteren Handlung abhalten, mit der du dich selbst verletzen könntest.“ „Wer sagt, dass ich mich selbst verletzen will? Wer sagt, dass ich nichts essen würde? Warum lassen sie mir nicht ein paar Tage zeit…dann esse ich schon wieder selbst.“ „Nein. Du hast bisher nichts gegessen, heute früh hast du es wieder erbrochen.“, entgegnete er unwirsch und machte eine wegfegende Handbewegung. „Dann wünsche ich ihnen viel Glück. Ich werde niemanden an mich ranlassen, jedenfalls nicht freiwillig.“ Der Arzt verließ den Raum. Kurze Zeit später kam er wieder, mit zwei Krankenpflegern und einem kleinen Wägelchen wieder. Erstaunt sah ich ihn an. Er hatte wirklich vor, die Scheiße durchzuziehen. Der Arzt griff nach einer Spritze und kam auf mich zu. Ich wich zurück und schlug seine Hand weg, als er mir die Spritze in den Arm schießen wollte. „NEIN!“ schrie ich ihn an und krabbelte vom Bett. Die Krankenpfleger griffen nach mir, doch ich wich ihnen geschickt aus, und rannte auf die gegenüberliegende Seite des Zimmers. Der eine setzte mir nach und griff nach meinem Arm. Schnell riss ich mich los und verschanzte mich im Bad und schloss die Tür ab. Sofort hörte ich das Hämmern gegen die Tür, und lachte schadenfroh. Der Raum war der perfekte Unterschlupf für mich. Ein Gedämpftes Fluchen drang an mein Ohr. Grinsend starrte ich die Tür an und freute mich schamlos über meinen Erfolg. So schnell würde ich mich nicht geschlagen geben. Und das hatte ich diesem Klugscheißer, von Arzt, ziemlich deutlich gezeigt. Schnell sah ich mich um. Das Fenster wirkte sehr einladend, die bisher geglückte Flucht fortzuführen. Langsam ging ich darauf zu und sah kurz raus. Erster Stock. Verdammt! In meinem Zustand würde ich mir garantiert die Beine brechen, bei einem Sprung. Und das durfte ich wirklich nicht riskieren. Ich biss die Zähne zusammen, sann nach einer anderen Möglichkeit. Schließlich öffnete ich das Fenster und sah nach rechts. Keine Chance. Weder ein Rohr, noch eines dieser hölzernen Gitter, an denen Kletterpflanzen wuchsen. Als ich nach links sah, hatte ich Glück. Ein Abwasserrohr. Ich lehnte mich aus dem Fenster und versuchte danach zu greifen. Okay…war machbar. Im Hintergrund hörte ich, wie sie sich an dem Schloss zu schaffen machten. Sie versuchten es aufzubrechen. Das noch keiner auf den Gedanken gekommen war, mal aus dem Fenster zu gucken?, dachte ich belustigt und schwang mich auf den Fenstersims. Dann griff ich nach dem Rohr und rüttelte kurz daran. Okay es würde mich voraussichtlich halten. Ich hatte keine Schuhe an, was das Ganze nicht gerade vereinfachte. Zumindest die Socken mussten runter, sonst bekam ich gar keinen halt. Ich zog die Socken aus, griff erneut nach dem bronzefarbenen Abwassertor. Ich hielt mich daran fest und sprang endlich ab. Ich suchte nach halt mit meinen nackten Füßen. Einen unterdrücktes Stöhnen verließ meine Lippen. Meine Hände schmerzten. Das harte Metall, dass das Rohr an der Wand festhielt, schnitt mir schmerzhaft in die Haut. „Verdammte Scheiße!“, entfuhr es mir. Dann fand ich endlich halbwegs halt mit dem Füßen und konnte mich vorsichtig nach unten schieben. Plötzlich entfachte ein eiskalter Schmerz im rechten Handgelenk. Mist…musste das jetzt sein?, dachte ich, biss die Zähne zusammen und versuchte krampfhaft die Tränen zurückzuhalten. Der Krampf lähmte mich, ich musste die Lippen aufeinander pressen um nicht doch noch laut loszubrüllen. Tapfer versuchte ich den Schmerz zu unterdrücken und krakelte langsam weiter nach unten. Schließlich konnte ich springen. Konzentriert ließ ich los und landete sicher auf beiden Beinen. Sofort verebbte der Schmerz in meinem rechten Handgelenk. Ich bewegte es kurz auf und ab, drehte es einmal im Kreis und der Krampf lockerte sich auf. Mit den Augen suchte ich nach einem geeigneten Fluchtweg, hatte allerdings keine Zeit einen geeigneten heraus zu suchen. Plötzlich hörte ich einen zornigen Aufschrei von oben. Kurz wandte ich meine Augen zu dem Fenster und entdeckte meinen Arzt der seine Krankenpfleger hysterisch und zornig dazu aufforderte, mir zu folgen. Schon stand der eine auf dem Fenstersims und deutete zum Sprung an. Gehetzt wandte ich mich um und rannte willkürlich in die nächst beste Richtung. Ich hätte mich doch für die andere Seite entscheiden sollen…, erkannte ich wenig später. Der Hügel, der sich vor mir auftürmte, kam mir gewaltig vor. Nach wenigen Metern spürte ich die Anstrengung und wurde langsamer. Mein Atem ging gehetzt und ich keuchte. Der Krankenpfleger war mittlerweile gesprungen und setzte mir nach. Verdammt! Meine Kondition war Tod. Irgendwo im Keller vergraben. Die letzten Tage, der Entzug, die Schlaflosigkeit, der Nahrungsmangel und die Tatsache, dass ich leicht unterernährt war, hatten mir so sehr zugesetzt, sodass ich jetzt schon, nach wenigen Schritten zu keuchen anfing. Trotzdem versuchte ich weiter zu rennen, wollte nicht aufgeben, nicht so schnell. Ich wollte ihm nicht die Chance geben, über mich zu lachen, oder sich über meinen kläglichen Fluchtversuch lustig zu machen. Ich rannte weiter, auf den Hügel zu und holte nochmals alle Kraft aus mir heraus, die noch zu finden war. Der Krankenpfleger holte trotzdem immer weiter auf. Im Gegensatz zu mir, war er wie es schien, Hochleistungssportler. Plötzlich stolperte ich. Ich viel auf den steinigen Boden und riss mir die Handgelenke auf. Der Aufschlag auf dem harten Untergrund nahm mir kurz die Luft. Ich keuchte und wollte wieder aufstehen, um weiter zu rennen, doch der Pfleger hatte mich eingeholt und riss mir die Hände auf den Rücken. Eisern hielt er mich fest. „Verdammt!“ fluchte ich keuchend. „Das war´s erstmal, Kleiner.“ Sagte der Krankenpfleger und klang im Gegensatz zu mir, überhaupt nicht angestrengt. Ihm schien der kleine Trip über den Klinikpark nichts ausgemacht zu haben. Na ja, immerhin wusste ich jetzt, wie es im Park aussah. Und wie es schien, sollte ich mir das Bild gut einprägen, denn die nächsten Wochen würde ich garantiert nicht mehr dazu kommen, mal einen solchen Ausflug zu starten. Verdammt! Der Pfleger, der meine Hände immer noch fest hielt, stand schließlich auf und zog mich ebenfalls auf die Beine. Er umschloss meinen Oberarm mit seinem eisernen Griff und zog mich mit zurück zur Klinik. Ich versuchte mich zu wehren, wollte ums verrecken nicht mehr zurück in mein trostloses Zimmer, doch er ließ mich nicht los. Schließlich kam der andere auch endlich angelaufen und packte mich auf der anderen Seite. Scheiße! Jetzt war erst mal tote Hose mit abhauen. Sie zerrten mich zurück in die Psychiatrie und brachten mich in mein Zimmer. Als ich erneut versuchte, mich loszureißen, drückten sie mich grob auf die Knie. Der eine griff nach einer Zwangsjacke und sie zwängten mich unsanft in das Ding. Der Griff ihrer Hände tat weh, und ich keuchte, als sie das Ding auf meinem Rücken zuschnürrten. Ich konnte mich nicht mehr rühren. Es war so erniedrigend. Ich heulte bitter los und hörte schließlich auf mich zu wehren. Der Arzt kam ins Zimmer, hatte eine Spritze dabei und jagte mir das Beruhigungsmittel in die Vene. Dann verschwanden die drei vorerst aus dem Zimmer. Weinend und schluchzend blieb ich auf dem Boden liegen. Ich zog meine Beine ein Stück an und meine Schultern bebten. Ich wusste dass sie mich beobachteten, war mir sicher, dass sie meine Handlungen genau verfolgten, über den Bildschirm. Doch es war mir egal. Sollten sie tun was sie wollten. Ich fühlte mich erniedrigt, minderwertig und wie ein hirnverbrannter Vollidiot, der in einer Zwangsjacke und in der Gummizelle schmoren musste. Mit dem einzigen unterschied, dass die Gummizelle mir bisher vorenthalten wurde. Verdammt…konnte man soweit sinken? Ich war froh, dass sie nicht auch noch meine Beine irgendwo angekettet hatten. So konnte ich sie anziehen, mich ganz klein machen, und versuchen nichts mehr wahrzunehmen. Ich weinte lange. Wollte es eigentlich gar nicht, konnte nicht anders. Die Tränen liefen mir die Wangen runter und schienen nicht aufzuhalten. Die Zwangjacke erschwerte das Atmen und verschluckte mich öfters. Das Gefühl der Erniedrigung verschwand nicht. Ich hatte das Gefühl mich nicht mehr wehren zu können. Es auch nicht zu dürfen, um nicht alles noch schlimmer zu machen. Ich fühlte mich so allein und einsam. Ich wollte Gesellschaft, und doch wieder nicht. Ich war mir sicher, dass dies nur eine Methode war, um meinen Sturkopf zu überwinden, meinen Willen zu brechen. Und wenn es wirklich so war, hatten sie eindeutig Erfolg. Das Ganze klappte verdammt gut. Ich hatte schmerzen in den Oberarmen. Die zwei Männer waren wirklich grob gewesen. Wo war ich hier eigentlich? In einem Hochsicherheitstrakt bei dem Mördern? Hatten sie mich schon als Mörder abgestempelt, weil ich mich fast von einem Hochhaus gestürzt hatte? Ging man so mit Psychisch Labilen Menschen um? Ich verstand gar nichts mehr. Fühlte nur diesen unangenehmen Druck in meiner Brust…fühlte nur die Angst in meinem Bauch. Was kam als nächstes? Ach ja, die Infusion. Ihr verdammten Weißkittel, von mir aus könnt ihr alle verrotten, schoss es mir in den Kopf. Sollte der Himmel auf die Erde fallen und ihnen die Köpfe einschlagen. Wieder kamen mir die Tränen. Schluchzend und zitternd lag ich dort, mitten in meinem Zimmer, auf dem kalten unangenehm harten Boden, und heulte mich in den Schlaf. Als ich erwachte, fühlte ich mich ausgelaugt. Sofort bemerkte ich, dass ich wieder in meinem Bett lag. Sie hatten mich aus der Zwangsjacke befreit, und mich stattdessen wieder ans Bett angekettet. Ein Schlauch steckte in meiner Schulter. Eine klare, durchsichtige Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg in eine meiner Venen. Der Schlauch führte zu einem kleinen Infusionsständer. Der Plastikbeutel, der an ihm hing, enthielt die klar Flüssigkeit, die in meinen Körper floss. Also war es jetzt endlich so weit. Nach Tagen, wenn nicht sogar schon Wochen, bekam ich zum ersten Mal wieder richtige Nahrung. So viel Nahrung, wie mein Körper benötigte. Ich versuchte erst gar nicht darüber nachzudenken, wollte es lieber ignorieren. Also schloss ich erneut die Augen und versuchte wieder zu schlafen. Anteilnahmslos sah ich der Krankenschwester dabei zu, wie sie das Tablett auf den Tisch stellte, und die Tabletten, die ich nehmen musste, vorbereitete. Ich schloss kurz die Augen. Also ein weiterer Tag, an dem ich diese Beruhigungstabletten schlucken musste. Die Krankenschwester hatte Order, genau darauf zu achten, dass ich sie auch wirklich nahm. Also blieb sie in der Regel so lange neben mir stehen, bis ich sie geschluckt hatte. Sie nahm ihre Arbeit wirklich sehr ernst. Meist nahm ich sie schon freiwillig. Wenn ich immer brav tat, was mein Arzt mir sagte, konnte ich vielleicht auch endlich wieder aufstehen, oder mich zumindest frei bewegen. Seit zwei Tagen war ich angekettet. Ich fühlte mich noch elender als zuvor, hatte das Gefühl, noch weniger wert zu sein, als vor meinem Entzug. Ich kam mir vor, als wäre ich fehl am Platz…als sollte ich schon längst weg sein. Als wäre diese ganze Prozedur überflüssig, da ich eigentlich schon lang an einem anderen Ort sein sollte. Ich machte mir viele Gedanken. Im Moment wünschte ich mir einfach nur, Sam hätte losgelassen. Am liebsten würde ich ihm das Sage. Am liebsten würde ich ihm Sagen, dass ich schon längst aufgegeben hatte. Dass ich mein Versprechen mir gegenüber nicht gehalten hatte. Dass ich wieder aufgehört hatte, an mich zu glauben. Auf der einen Seite wollte ich ihn gern sehen, ihm das sagen…doch auf der anderen Seite, wollte ich nicht, dass er mich so sah… Ich fühlte mich schrecklich…war innerlich wie Tod. Ihm jetzt gegenüber zu treten, würde nichts gutes Verheißen. Ich versuchte meine Gedanken zu verdrängen, wollte nicht mehr im Selbstmitleid zerfließen. Ich wollte mich nicht selbst runterziehen. Zirka zwei Stunden später, klopfte es an der Tür. Brav hatte ich die Beruhigungstabletten geschluckt, hatte keinen Mucks von mir gegeben, als der Arzt kurz meinen Puls und meine Temperatur checkte. Hatte mich nicht gewehrt, als sie den Beutel oben am Infusionsständer ausgewechselt hatten. Und hatte mich nicht beschwert, als sie meine Fesseln überprüften und den einen Gurt sicherheitshalber etwas fester schnürten. Ich sagte nichts als es klopfte. Wer auch immer vor der Tür stand, würde schon freiwillig ins Zimmer kommen. Wer auch immer mich jetzt nerven wollte, würde das sicherlich auch ohne meine Zustimmung tun. Er kam herein. Er sah sich kurz um, entdeckte mich im Bett, zog erschrocken die Luft ein, als er mich sah. Sofort kam er zu mir gelaufen und griff nach meiner Hand, die immer noch an den Bettrand gefesselt war. Er suchte meinen Blick mit seinen Augen, doch ich wich ihm aus. „Verdammt…Joey…was soll der Mist?“ fragte er leise und sah mich besorgt an. Ich sah ihn kurz an und wandte dann den Kopf ab. Ich wollte seinen analysierenden Blick nicht sehen. Ich fühlte mich so schon schlecht genug. Sam: Seine Augen wanderten geschockt über den Körper seines kleinen Freundes. Joey hatte eindeutig wieder abgenommen, sah noch schlechter aus als vor ein paar Tagen. Langsam hatte Sam das Gefühl, sein kleiner Suizido war nur noch Haut und Knochen. Die Handgelenke waren an das Bett gekettet. In seiner Schulter steckte ein kleiner Schlauch. Die Infusion lief ihm ununterbrochen ins Blut. Joeys Augen waren gerötet, als hätte er wieder Drogen genommen. Seine Lippen waren trocken, das Gesicht bleich. Das Haar wirkte ungekämmt…fielen ihm strähnig in die Stirn. Sie hatten jeglichen Glanz verloren. Joey war den Tränen nahe. Sanft und liebevoll fuhr Sam ihm über die Stirn und lächelte ihn aufmunternd an. Joey beruhigte sich dadurch etwas. Seine verkrampfte Haltung lockerte sich etwas. Trotzdem war Sam nicht dazu in der Lage, den kleinen Suizido zum Reden zu bringen. Joey wirkte abwesend. Es schien, als wolle er sich total in sich zurückziehen. Plötzlich drehte sich der Jüngere doch noch zu ihm um. Lange sah er ihn an. Dann sagte er ernst: „Ich wünschte, du hättest mich losgelassen, Sam!“ Joey: Nachdem ich es endlich ausgesprochen hatte, schloss ich die Augen und wandte meinen Kopf wieder zur Wand. Sam wirkte erschrocken. Er wollte etwas sagen, doch er brachte nichts heraus. Schließlich riss er sich zusammen. „Warum?“ fragte er leise. Ich gab ihm keine Antwort. War wieder ganz in meiner Welt, verschanzte mich hinter meiner Mauer, wollte nicht mehr verletzt werden. „Joey…ich will dir doch nur helfen.“, sagte Sam schließlich. Leicht zuckte ich zusammen. Helfen? Ich spürte zorn in mir aufkommen. Den Zorn, den ich seit Tagen untergraben hatte, den Zorn, den ich seit Tagen tief in meinem Inneren versteckte. „Verdammt! Dass sagt doch jeder! Als würde auch nur einer etwas tun, was mir wirklich hilft…Nein! Stattdessen ketten sie mich fest, stecken mich in Zwangsjacken und stopfen mich mit Beruhigungstabletten voll. Ach lass mich doch in Ruhe. Verschwinde!“ Damit hatte ich das Gespräch meinerseits beendet. Ich wandte den Kopf ab und starrte angestrengt die kalte, weise Wand an. Schließlich ließ Sam meine Hand los und ging zur Tür. Noch mal drehte er sich kurz zu mir um, dann verschwand er. Am nächsten Tag wurde ich losgekettet. Dies war nun schon mein sechster Tag in diesem, Gefängnis ähnlichen, Verließ. Mittlerweile tat es mir leid, dass ich den Polizisten so angefahren hatte. Ob er irgendwann noch mal auftauchen würde? Als sie mich losbanden, sah ich den Arzt fragend an. „Warum?“ fragte ich etwas verwirrt. Es wunderte mich, dass sie so schnell von mir abließen. Es war eigenartig, plötzlich diesen reumütigen Blick in dem, des Arztes, zu sehen. „Jemand hat ein gutes Wort für dich eingelegt.“ Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. Drückte so meine Verständnislosigkeit aus. Kurz sah ich dem Weißkittel in die Augen. Was war das denn? Jemand legte ein gutes Wort für mich ein? Wer das wohl war? Vielleicht Sam? Ich suchte nach seinem Blick, doch er wich mir aus. Schließlich gab ich auf. Verdrängte meine Fragen, da es ja doch nichts brachte, jetzt darüber nachzudenken. Ich war einfach nur froh, diese ätzenden Fesseln los zu sein. Sofort spielte ich mit dem Gedanken, mir die Infusion aus der Schulter zu zerren. Ich war kurz davor, dieser künstlichen Ernährung einfach einen Strich durch die Rechnung zu machen. Doch ich verwarf die Idee bald wieder. Die Wahrscheinlichkeit, dadurch ärger zu bekommen, war viel zu groß. Ich wollte meinen Arzt nicht unbedingt dazu herausfordern, mir erneut eine Zwangsjacke anzuziehen. Die Vorstellung war mir eindeutig zuwider. Ich wollte nicht noch mehr verletzt werden. Ich war einsam. Fühlte mich allein. Hatte das Gefühl, wieder kurz vor dem Sprung zu stehen. Ich stellte mir oft vor, wieder auf dem Dach zu stehen, nach unten zu sehen und über mich nachzudenken. Manchmal lächelte ich traurig, über mich selbst…über meine Gedankengänge, meine Gefühle. Ich hatte selbstmitleid, mein Leben bestand nur aus nachgeben…aus aufgeben. Meine Weißkittelfreunde, die ich so unbändig hasste, verschlimmerten das Gefühl der Hilflosigkeit, von Tag zu Tag. Seit einer halben Ewigkeit saß ich anteilnahmslos und melancholisch in meinem Bett. Sprach nicht mehr, lächelte nicht mehr, ließ mich gehen…versank in meiner Gedankenwelt. Etwas zu essen rührte ich immer noch nicht an. Ich war wesentlich ruhiger, als noch vor ein paar Tagen. Ich war wesentlich schweigsamer. Rebellierte nicht mehr gegen den Arzt. Ich rebellierte auch nicht gegen den Psychoheini. Ich erzählte ihnen, was sie wissen wollten. Hauptsache sie ließen mich danach wieder in ruhe. Die Tabletten schluckte ich brav. Ich nahm auch die Infusion in Kauf. Sie hatten meinen Willen gebrochen, als sie mich in die Zwangsjacke gesteckt hatten. Damit hatten sie eindeutig gezeigt, wer hier der Chef ist. Und ich fügte mich. Immer wieder. Ich war nun schon zwei Wochen in der Klinik. Ich kannte niemanden, wollte niemanden kennen. Trotzdem forderte mein Psychologe mich nach eineinhalb Wochen schließlich dazu auf, jeden Tag für eine Stunde in den Gemeinschaftsraum zu gehen. Ich tat was er wollte, doch ich konnte dem nichts abgewinnen. Ich wurde von jedem ignoriert, außerdem war es schwer, mit anderen, Kontakte zu knüpfen, die überhaupt keine gemeinsame Basis mit mir bildeten. Okay…sie waren alle Idioten, wie ich selbst. Doch sonst… Es gab einige Alkoholabhängige, einige Selbstmordversuche…doch niemand kam an mich ran. Ich hatte Drogen genommen und war beinah vom Dach gesprungen. Niemand hatte meine Klasse. Niemand hatte schon so viel durchgemacht wie ich. Es gab zwei, die halbwegs in meinem Alter waren. Vielleicht auch etwas Jünger. Beide hatten einen Selbstmordversuch hinter sich. Das Mädchen hatte mit ihrem Freund Schluss gemacht, und der Typ hatte sein Abitur nicht bestanden. Ich konnte nichts mit ihnen anfangen. Klar…sie hatten bestimmt auch keinen Ausweg gefunden, aus ihrer Situation, doch in meinen Augen waren das belanglose Sachen. Ich empfand es als harmlos. Pff…wegen einer beendeten Beziehung, sich gleich die Pulsadern aufzuschneiden, war einfach nur Hirnrissig. Idiotisch in meinen Augen, nicht nachvollziebar. Viel zu überzogen reagiert…vor allem da es so viele Männer auf dieser Welt gab… Nach der Stunde, die ich täglich in dem Gemeinschaftsraum verbrachte, machte ich mich auf den Rückweg zu meinem Zimmer. Verschanzte mich in dem kleinen Raum, den ich glücklicher Weise ganz für mich allein hatte, stellte den Infusionsständer neben das Bett und legte mich hin. Ich zog die Beine an, wie ich es in den letzten zwei Wochen so oft tat, schlang meine Hände um meinen Oberkörper und schloss die Augen. Ich fühlte mich schlecht. Mir ging es gar nicht gut. Die depressive Stimmung fraß mich innerlich auf. Ich musste hier weg. So schnell wie möglich. Doch wie? Ich konnte nicht wieder durch das Fenster flüchten. Das war zu auffällig, sie würden es sofort bemerken. Durch den Haupteingang spazieren? Auch quatsch. Außerdem wollte ich nicht wieder ärger bekommen. Ich konnte mir die Maßnahmen schon vorstellen, die im Fall einer erneuten Flucht auf mich zukommen würden. Davor hatte ich viel zu viel Bammel. Also blieb ich wo ich war…wie schon die ganzen Tage über… Ich verhielt mich ruhig, lebte in meiner eigenen kleinen Welt, dachte viel über mich nach, und auch über mein Leben. Ich dachte nach, über meine Vergangenheit, und auch über meine Zukunft. Was erwartet mich, wenn ich hier raus bin? Finde ich Arbeit? Kann ich eventuell sogar eine Ausbildung noch absolvieren? Immerhin…einen Abschluss hatte ich. Vielleicht könnte ich auch auf dem Bau arbeiten, oder so. Wenn ich in einer besseren, körperlichen Verfassung wäre, könnte ich ja vielleicht auch mal eine Ausbildung, im öffentlichen Dienst, machen… Ob mir das liegen würde? Ich seufzte leise. Wie kam ich nur auf diesen irrwitzigen Gedanken? Sam schon wieder? Spukt er wieder in meinem Kopf herum? Ich vermisste ihn. Obwohl ich ihn nicht kannte, sehnte ich mich nach ihm. Er war der erste Mensch auf dieser Welt gewesen, der sich für mich interessierte. Ob er je wieder kommt? Langsam schleppte ich mich am nächsten Tag in den Gemeinschaftsraum. Ich quälte mich durch die Gänge und setzte mich vor Ort einfach auf die Couch, die dort stand. Der Raum war von verschiedenen, angenehmen und unangenehmen Gerüchen erfüllt. Ich roch den Rauch, der Raucher, genauso wie den Geruch der Pflanze, die neben mir stand. Es war schön, wieder mal den Geruch einer Pflanze in der Nase zu haben. Ich vermisste die Natur… Vielleicht hellt sich meine Stimmung etwas auf…wenn ich mal raus darf… Wenig später saß ich in meiner Therapiestunde und hörte mir das langweilige Gelaber des Psychoheinis an. „Darf ich spazieren gehen?“ fragte ich meinen Psychologen kleinlaut, als er endlich zum Ende kam. Er sah mich erstaunt an. „Nein. Natürlich nicht! Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen. Du bleibst schön drin. Es ist viel zu gefährlich dich raus zu lassen. Du haust bloß wieder ab, oder baust irgendeinen anderen Scheiß. Du bist noch nicht so weit.“ Meine Stimmung sank noch tiefer. Verdammt… Warum musste das alles so kompliziert sein? Kapitel 4: Please Come To Me ---------------------------- Sam: Sam saß unruhig in der U-Bahn. Er war auf dem Weg zur Psychiatrie, um dem kleinen Suizido wieder einen Besuch abzustatten. Seit Tagen spielte er mit dem Gedanken, ich erneut aufzusuchen. Er konnte sich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Sam hatte ihm versprochen, ihm zu helfen. Dem Arzt Feuer unterm Hintern zu machen, damit dieser ihn loskettete war zwar sicher schon eine große Hilfe gewesen, doch ob es reichte? Nein, sicher nicht. Außerdem wollte er dem jüngeren nahe sein. Er wollte für ihn da sein. Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl, hatte Angst, dass Joey ihn erneut abweisen könnte. Doch in seinem Inneren wusste er, er hatte keine andere Wahl. Er musste ihn besuchen gehen, sonst würde er sich ewig stressen, mit der Frage, ob es dem kleinen mittlerweile besser ging. Er machte sich Sorgen. Wirklich ziemlich große Sorgen. Bei seinem letzten Besuch, hatte Joey ziemlich geknickt, gewirkt. Es war fast so, als wäre er gebrochen gewesen. Als wäre er innerlich zerbrochen, ohne das Sam dies beeinflussen konnte. Ohne, dass er es mitbekommen hatte. Ohne, dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Ob es ihm mittlerweile besser ging? Als er an der richtigen Haltestation angekommen war, stieg er eilig aus und wandte sich zur Klinik. Von hier aus waren es vielleicht noch fünf Minuten zu Fuß. Diesmal hatte der Polizist keine Blumen dabei. Er fand es fast zu kitschig, einem Mann Blumen zu bringen. Das letzte Mal, hatte er sich zwar nicht so viele Gedanken darüber gemacht, doch diesmal wollte er nichts falsch machen. Schließlich kam er an der Klinik an und fragte nach der Rezeption, nach seiner Zimmernummer. Okay, immer noch die gleiche. Er ging nach oben, in den ersten Stock und wandte sich dann nach rechts. Mit wenigen Schritten war er bei dem Zimmer angekommen. Er klopfte kurz und trat dann ein. Joey saß an dem kleinen Tischchen und spielte gedankenverloren mit dem Zipfel seines Morgenmantels, den er trug. Langsam kam Sam näher. „Hey Kleiner!“ sagte er leise und trat neben den Suizidgefährdeten, depressiven, jungen Mann. Joey sah etwas überrascht auf. „Hey.“ Erwiderte er und sah dann weg. Joey: Etwas perplex wandte ich meinen Kopf in die andere Richtung. Verwundert sah ich geradewegs in Sams wunderschöne blaue Augen. Ich hatte die Tür gar nicht gehört. „Hey.“ Erwiderte ich seinen vorsichtigen Gruß. Er setzte sich zu mir und sah mich abschätzend an. „Wie geht’s dir?“ fragte er schließlich. Ich antwortete nicht, sondern wandte meinen Blick wieder ab. Ich sah nach draußen, zu der kleinen Esche, die einsam und allein, mitten im Park stand. Das Bild erinnerte mich ein bisschen, an mich selbst. Sam schwieg etwas bedrückt. „Bist du immer noch sauer auf mich?“ fragte er dann leise. Etwas verwundert wandte ich mich ihm zu. Ich suchte seine Augen und erkannte tatsächlich eine gewisse Geknicktheit in ihnen. Stumm schüttelte ich mit dem Kopf. Ich sah wieder in die andere Richtung, blickte sehnsüchtig zu dem blauen, wolkenlosen Himmel auf. Ich muss hier raus…wurde es mir erneut bewusst. Sam fragte mich erneut etwas, doch ich bekam es gar nicht mit. Anteilnahmslos sah ich nach draußen, und tat so, als wäre ich gar nicht anwesend. Seine Fragen gingen an mir vorbei…ich hörte nichts. Bis er schließlich nach zirka einer halben Stunde meine Hand nahm und leicht an ihr zog. Meine Aufmerksamkeit glitt zu ihm. „Joey…du siehst furchtbar aus…was machen die hier drinnen nur mit dir?“ fragte er ziemlich ernst. Ich hatte das Gefühl, er würde eher zu sich selbst reden, als zu mir, trotzdem antwortete ich. „Sie tun so, als würden sei mir helfen… Doch das können sie nicht…mir helfen. …ich…fühle mich von Tag zu Tag schlechter…jeden weiteren Tag, den ich hier drin bin…ich fühle mich…als wäre ich schon längst gestürzt…“ Er wusste auf was ich anspielte. Er sagte nichts, sah mich nur an. Sein Blick war durchdringend. Ich hatte das Gefühl, er könne tief in mich hineinsehen, und genau erkennen, was in mir vorging. Schnell brach ich den Blickkontakt ab. Schließlich stand er auf und ging zur Tür. „Was tust du?“ fragte ich leise. „Ich gehe etwas regeln.“ Sagte er und verschwand. Verwirrt sah ich ihm nach. Seine Worte hatten zornig geklungen. Fast schon aufbrausend. Was hatte er vor? Schließlich stand ich auf und ging zum Bett. Ich legte mich hin, und rollte mich auf die Seite. Nach zirka einer halben Stunde kam der Polizist wieder zurück. Er setzte sich an meinen Bettrand und lächelte leicht. „Gehen wir!“ sagte er und fuhr mir kurz durchs Haar. „Wohin?“ fragte ich immer noch ziemlich verwirrt. „Zu deinem Arzt. Ich habe gerade den Richter angerufen…der für dich zuständig ist. Ich habe eine vorzeitige Entlassung bewirkt. Jetzt müssen wir nur noch zu deinem Arzt. Er muss die Papiere unterschreiben.“ Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Was hatte er? Meinen Richter kontaktiert? Sam grinste nur wissend, und zog mich am Arm schließlich hoch. Dann zerrte er mich raus auf den Gang und suchte nach dem Arzt, der für mich zuständig war. „Er hat den Segen des Richters. Dieser hat einer vorzeitigen Entlassung zugestimmt.“ Erklärte Sam, noch ruhig. Ich saß etwas perplex neben ihm, im Büro meines Arztes. „Ja, dass kann schon sein. Aber er ist weder in der körperlichen, noch in der seelischen Verfassung wieder allein auf sich gestellt für sich zu sorgen. Momentan ist die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls bei zirka achtzig Prozent!“ „Gut, dann hat er eine zwanzig Prozentige Chance es zu schaffen. Ich denke, dass uns das reicht.“ „Und wo soll er hin? Seine Mutter nimmt ihn nicht auf, sein Vater ist nicht identifizierbar, er hat keine Freunde, keine anderen Verwandten.“ Der Arzt verschränkte die Arme vor der Brust, was meines Erachtens nach ein ziemlich schlechtes Zeichen war. Sam drehte sich zu mir um. Er sah mich lange an, suchte meinen Blick. Ich sah ihm in die Augen und spürte, dass es in seinem Kopf nur so arbeitete. Schließlich lächelte er. „Willst du zu mir?“ Ich runzelte die Stirn. Ich verstand nicht wirklich was er damit sagen wollte. Verwirrt schüttelte ich mit dem Kopf. „Ich…verstehe nicht.“ „Was ich sagen will ist…hast du Lust bei mir einzuziehen?“ Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Hatte er mir gerade wirklich angeboten, bei ihm zu leben? Er lächelte sanft und schließlich antwortete ich nach wenigen Sekunden: „Okay…wenn du meinst, dass das gut geht!“ Er nickte grinsend und sah den Arzt an. „Sehen sie? Er weiß wo er hin kann!“ „Und was ist mit der Ernährung? Er isst nichts!“ „Er wird schon wieder essen, wenn man ihm ein bisschen Zeit lässt.“ Unwirsch schüttelte Sam mit dem Kopf. „Sie haben keinen Grund sich sorgen zu machen. Es ist alles geregelt. Unterschreiben sie einfach die Papiere und lassen sie uns gehen!“ Ein langes Schweigen trat ein. Der Polizist und der Weißkittel spießen sich förmlich auf, mit durchdringenden Blicken. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, wie es mir schien, nickte der Arzt. Dann setzte er seine Unterschrift, unter die Entlassungspapiere und überreichte sie uns. Grinsend stand Sam auf und schüttelte ihm form halber die Hand. „Vielen Dank.“ Der Arzt nickte und kam zu mir, um mich von dem Schlauch zu befreien. Es schmerzte kurz, als er die Nadel mit einem Ruck entfernte. Er drückte auf die Einstichstelle und griff nach einem Pflaster. Nach einer Weile, drückte er mir das Pflaster auf den kleinen, roten Punkt und nickte erneut. Ich stand auf und schüttelte ihm ebenfalls die Hand. Dann ging ich zur Tür. Sam folgte mir grinsend und ich lief schnell zurück in mein Krankenzimmer. Im Schrank suchte ich nach meinen Klamotten und zog mir im Bad meinen eigenen Kram an. Es war eigenartig wieder in meinen alten abgetragenen Klamotten zu stecken. Meine Jeans hatte ein paar Löcher, die Jacke war etwas zerschlissen, der Pullover wirkte eher grau, als schwarz und meine Schuhe waren auch schon etwas älter. Während ich mich umzog, wartete der Polizist in meinem Zimmer auf mich. Da ich keine Persönlichen Sachen besaß, gingen wir sofort los. Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen und fühlte mich eigenartig befreit. Endlich weg von hier. „Wo wohnst du?“ fragte ich ihn schließlich leise. Irgendwie war es schon eigenartig, jetzt einfach zu ihm, einem für mich Wildfremden, zu ziehen. „In einem Viertel, nahe der Stadtmitte. Es ist nicht weit von hier. Mit der U-Bahn vielleicht eine halbe Stunde.“ „Okay…weißt du überhaupt was du tust?“ Etwas skeptisch sah ich ihn von der Seite her an. Er grinste leicht und zuckte mit den Schultern. „Klar, ich nehme einen obdachlosen ehemalig Drogensüchtigen, jungen Mann bei mir auf!“ Er zwinkerte mir zu. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. „Hast du keine Angst, ich könnte deine Wohnung leer räumen, und dann über alle Berge verschwinden?“ Er lächelte breit. „Nö. Warum sollte ich?“ „Weil ich, wie du es vorher schon erwähnt hast, ein obdachloser, ehemalig drogensüchtiger, junger Mann bin, der weiß Gott nicht sehr Vertrauenswürdig erscheinen dürfte.“ Lachend legte er mir einen Arm auf die Schulter. „Weißt du…eigenartiger Weise vertraue ich dir! Obwohl du wirklich nicht sehr Vertrauenswürdig aussiehst, in deinen heruntergekommenen Klamotten aussiehst. Und jetzt halt die Klappe. Lass uns das Thema wechseln.“ Ich nickte etwas perplex. Dann kam mir ein Gedanke. „Sag mal…hast du überhaupt genug Platz?“ „Wird schon werden. Ich hab ein Doppelbett, das heißt, einen Schlafplatz hast du schon mal, außer du hast etwas dagegen, neben mir zu schlafen…dann kann ich natürlich auch im Wohnzimmer übernachten.“ Ich schüttelte mit dem Kopf und verneinte. „Gut. Ansonsten denke ich, haben wir sicher kein Problem.“ „Ich falle dir sicher zur last. Schon allein die zusätzlichen Kosten…“ gab ich zu bedenken. „Ach was! Ich wollte es schließlich so…wenn wir grad dabei sind, das erste, was wir machen sollten, ist in die Stadt zu gehen und dir etwas zum Anziehen zu kaufen.“ Ich nickte etwas unsicher. Das würde Geld kosten. Und ich konnte es ihm in absehbarer Zeit nicht zurückzahlen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, meinte der Polizist schnell: „Mach dir wegen dem Geld keine Sorgen. Ich verdiene genug für zwei!“ Seine Worte beruhigten mich etwas…also war es wohl wirklich…okay… „Ich werde mir einen Job suchen, und es dir zurückzahlen.“ Sam schüttelte mit dem Kopf. „Hast du eine Ausbildung?“ „Nein…“ „Dann werden wir uns um einen Ausbildungsplatz kümmern…was für einen Abschluss hast du?“ „Real!“ „Gute Noten?“ „Relativ.“ „Wie kommt es dann, dass du auf der Straße gelebt hast?“ „Das…ist eine lange Geschichte…und ich glaube nicht, dass ich schon so weit bin, um sie Preiszugeben.“ Sam sagte nichts. Ich war froh, dass er nicht weiter auf das Thema einging. Meine Geschichte war momentan einfach noch zu viel, des Guten. Ich wollte noch nicht so viel von mir erzählen. Ich kannte Sam schließlich fast gar nicht…und es reichte schon, dass mein Psychologe alles aus mir heraus gezwungen hatte. Dadurch fühlte ich mich noch unsicherer. Ich hatte das Gefühl, auf eine eigenartige Weise…entblößt zu sein. Ich hatte meinem Psychologen auch von meinen Stricherjobs erzählt… Im Moment wollte ich das alles eigentlich am liebsten nur vergessen! In der U-Bahn saßen wir schweigend nebeneinander. Es war schon später Nachmittag und Sam erwähnte etwas von Kochen. Ich nickte nur etwas abwesend. Endlich waren wir bei seinem Haus angekommen. Er wohnte in einem Mehrfamilienhaus, in einer eher düsteren Gegend. Jedenfalls kam es mir jetzt, im dämmrigen Licht des frühen Abends so vor. Er zog mich mit hinein und wir mussten in den dritten Stock hoch. Er hatte die Dachwohnung. Zwei Zimmer. Als wir hereinkamen, kam uns sofort ein kleiner Pelzknäuel entgegen, was sich schließlich als eine kleine, getigerte Katze herausstellte. Neugierig beschnupperte sie meinen Schuh und miaute mich dann mit großen Augen an. Ich lächelte leicht und beugte mich zu ihr runter um ihr kurz über den Kopf zu streicheln. „Das ist Mike. Ein kleiner Rabauke. Ich habe ihn vor zwei Wochen auf der Straße aufgelesen.“ Ich sah ihn verwundert an. „Auf der Straße aufgelesen? Ist das so ein Hobby von dir?“ fragte ich ihn grinsend. Er zuckte zwinkernd mit den Schultern und zog mich mit hinein ins Haus. Wir zogen unsere Schuhe aus und schlossen die Tür hinter uns. Dann zeigte er mir seine kleine Wohnung. Der kleine Gang führte rechts zum Ess-Wohn-Kochbereich. Das Wohnzimmer war unterteilt in einen Wohnbereich, einen Essbereich, mit einem kleinen eingebauten Tresen als Raumteiler und dahinter befand sich die kleine Küchenzeile. Ich sah mich neugierig um, entdeckte ein paar Bilder an der Wand und betrachtete sie aus der nähe. Ein kleiner Junge spielte im Sandkasten, eine junge, hübsche Frau, und ein gutaussehender Mann in meinem Alter. „Dein Kind?“ fragte ich ihn leise. Er sah mich überrascht an und schüttelte dann lachend den Kopf. „Nein! Das bin ich als kleiner Junge. Die Frau daneben ist meine Mutter, als sie noch jünger war, und nein, bevor zu fragst, der Mann ist nicht mein Freund, sondern mein jüngerer Bruder. Er ist ein Jahr jünger als du.“ Ich nickte. Dann fiel mir etwas auf. „Sag mal…du weißt viel über mich, aber ich weiß fast nichts über dich…du kennst meine Akte, aber ich nicht deine!“ „Ja…du hast recht…was willst du wissen?“ „Wie alt bist du? Und wo bist du aufgewachsen? Hast du noch mehrere Geschwister? Und was bewegt dich dazu, einen Obdachlosen, Drogensüchtigen in deinem Haus aufzunehmen?“ Er lachte leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich tat es ihm gleich und stand ihm wartend gegenüber. „Die Frage lässt dich scheinbar nicht mehr los…“ sagte er nachdenklich und sein Blick richtete sich auf meine Augen. Tief sah er mir in die Augen. Ich nickte. „Also…ich bin fünfundzwanzig, aufgewachsen in einem kleinen Dorf, ganz hier in der Nähe, ja, ich habe eine kleine Schwester und einen kleinen Bruder, meine Schwester ist neunzehn, was meine Bewegungsgründe angeht, kann ich sie dir nicht sagen, denn ich weiß es selbst nicht so genau...“ „Hm…“, machte ich nachdenklich. Er lächelte erneut, und meinte schließlich: „Weißt du, wie gesagt, ich vertraue dir. Ich weiß nicht warum, aber ich vertraue dir voll und ganz. Vielleicht denke ich, dass uns etwas verbindet, durch die Geschichte, auf dem Dach. Ich habe dir dein Leben gerettet, um nun gewollt, oder ungewollt, dass spielt keine Rolle. Vielleicht denke ich so, dass du mir vertraust, und ich dir damit auch vertrauen kann.“ „Das ehrt mich. Es verwundert mich aber auch. Ich glaube du bist der erste Mensch, der sich so sehr um das Wohlergehen eines anderen kümmert.“ „Nein…so bin ich nicht bei jedem. Eigentlich kenne ich das selbst nicht so von mir.“ Ich lächelte leicht. „Trotzdem bin ich dir dankbar.“ Er lächelte ebenfalls ein bisschen und zog mich anschließen wieder mit sich, weiter ins Bad. Eine Dusche, eine relativ große Badewanne, ein Klo und ein Waschbecken. Normal! Schlafzimmer sahen wir uns als letztes an. Er zeigte auf die rechte Hälfte. „Wenn es okay ist, schläfst du innen. Ich muss öfters mal früh raus, so geht es einfacher, wenn ich außen schlafe.“ Ich nickte leicht und setzte mich probehalber auf das Bett. Wie gern würde ich jetzt schlafen…dachte ich bei mir. Ich zwängte mich aus meiner dunklen Jacke und sah ihn kurz an. Sein Lächeln interpretierte ich als eine Zustimmung. Dann legte ich mich hin, rollte mich ein und schloss die Augen. Sam sagte nichts, sondern schloss einfach die Tür hinter sich zu. Ruhig schlief ich ein. Sam: Als er mit Kochen fertig war, ging er leise ins Schlafzimmer und sah auf den schlafenden jungen Mann. Joey hatte sich ganz klein zusammengerollt und schlief auf der Seite. Seine Arme schlangen sich fest um seinen Oberkörper. Fast sah es so aus, als würde er frieren. Sam nahm die Decke, vom angrenzenden Bett, und breitete sie über den Kleineren aus. Dieser seufzte leise und bewegte sich etwas. Dann öffnete er die Augen. „Ist dir kalt?“ fragte Sam sanft und setzte sich auf den Bettrand. Joey nickte leicht und schloss erneut die Augen. „Ich hab was zu essen gemacht. Kommst du?“ „Nein…später…“ sagte der Kleinere leise und zog seine Beine noch ein Stück an. Schließlich stand Sam wieder auf und ging aus dem Raum. Er ließ die Tür einen Spaltbreit offen und ging in den Wohnbereich, um ein bisschen in die Röhre zu glotzen. Es dauerte nicht lange, bis Joey schließlich etwas unsicher aus dem Schlafzimmer kam. Er rieb sich die Stirn und setzte sich neben Sam. „Hunger?“ fragte Sam leise und stupste den Jüngeren leicht mit der Schulter an. Joey nickte vage. „Ja…ein bisschen vielleicht.“ „Dann lass uns etwas essen.“, beschloss Sam lächelnd und zog Joey mit sich zur Küche. Joey: Etwas unsicher setzte ich mich auf einen der drei Stühle, die um den kleinen Tisch herum standen. Sam setzte mir einen Teller vor. Spagetti. Er holte sich ebenfalls einen und gab mir auch eine Gabel. Langsam nahm ich sie entgegen und sah kurz auf den Teller. Sam lächelte mich aufmunternd an und fing an zu essen. Nach einer Weile überwand ich mich endlich und aß ebenfalls ein paar Bissen. Erstaunlicher weise ging es sogar ganz gut. Mir wurde nicht übel, und ich konnte alles bei mir behalten. Nach einem halben Teller Spagetti Bolognese und einen Glas Orangensaft, ging ich wieder zurück ins Schlafzimmer, um weiter zu schlafen. Sam hielt mich nicht auf, ließ mich machen. Als ich mich wieder hinlegte, und mich tief in meine Decke mummte, fühlte ich mich richtig gut. Später wachte ich erneut kurz auf. Sam kam ins Zimmer, zwängte sich aus seinem Pullover und zog auch die dunkle Jeans aus. In Boxershorts und T-Shirt krabbelte er zu mir ins Bett und seufzte leise. „Musst du Morgen arbeiten?“ fragte ich leise. Er schüttelte gähnend mit dem Kopf. „Nein! Ich hab mir ein paar Tage frei genommen.“ Ich nickte leicht und schloss die Augen. „Gute Nacht.“ Murmelte ich leise. „Ja, gute Nacht, kleiner!“ bekam ich zurück. Lächelnd schlief ich wieder ein. Sam: Joey schlief am nächsten Morgen lang. Erst um halb zwölf hörte Sam, wie sich im Zimmer neben an, endlich etwas tat. Joey kam immer noch in seinen abgetragenen, alten Klamotten aus dem Zimmer getappt. Sein Schritt wirkte unsicher. Bestimmt war er immer noch etwas müde. „Willst du Duschen?“ fragte Sam und kramte im Schrank schon nach einem Handtuch. „Ähm…ja, gern!“ entgegnete Joey und nahm das Handtuch dankbar entgegen. „Warte…hier hast du was zum anziehen.“ Joey: Er hielt mir ein paar Klamotten entgegen, und ich nickte dankbar. Sogar daran hatte er gedacht. Wow. Ich verschanzte mich im Bad und schloss hinter mir zu. Langsam schälte ich mich aus meinen Klamotten. Im Spiegel sah ich etwas geschockt auf meinen Körper. Ich war total abgemagert. Nach kurzer Zeit drehte ich mich angeekelt weg. Ich wollte mich gar nicht sehen. Die Narben auf meiner weißen Haut, sprachen alle für sich. Die Augenringe zeugten immer noch von meinen Schlafstörungen. Wenigstens waren meine Augen nicht mehr so gerötet. Seufzend wandte ich mich zur Dusche und schaltete das Wasser ein. Mit geschlossenen Augen ließ ich mir das warme Wasser über den Kopf laufen und genoss das angenehm prickelnde Gefühl, dass sich auf meinem Körper ausbreitete. Ich seifte mich ein, wusch mir die Haare und stieg dann nach einer halben Ewigkeit, wie es mir schien, aus der Kabine um mich abzutrocknen. Die Sachen von Sam passten fast. Sie waren vielleicht ein bisschen zu groß, doch das war nicht so schlimm. Ich rubbelte mir mit dem Handtuch die Haare trocken, und hängte es dann an den Haken, an der Wand. Ich sah in den Spiegel und fuhr mir durch mein schwarzes Haar. Kurz grinste ich mein Spiegelbild an. Die schwarzen Haare waren wirklich perfekt. Gut das Mike die Farbe besorgt hatte. Der Junkie-Punk, der ebenfalls oft in einer der leer stehenden Lagerhallen gepennt hatte, hatte ihm den Vorschlag gemacht, sich die Haare zu färben. Ich hatte natürlich sofort zugestimmt, Mike hatte die Farbe besorgt, und mir mein Haar im Bach etwas außerhalb der Stadt gefärbt. Mittlerweile war es wieder etwas herausgewachsen, und ein brauner Ansatz stach etwas hervor, doch ich fand es gar nicht so schlimm. Es gefiel mir so eigentlich ganz gut. Sam: Als Joey aus dem Bad trat, war Sam gerade dabei, das Frühstück herzurichten. Mitten in der Bewegung hielt er inne, als er kurz aufsah. Joeys Haare waren noch nass und hingen ihm tief ins Gesicht. Sam stockte der Atem. Wow…ihm war noch gar nicht aufgefallen, wie gut Joey eigentlich aussah. Klar, er war immer noch abgemagert, wirkte durch die Klamotten ein bisschen schmuddelig und er hatte nach wie vor tiefe Augenringe, doch sonst… Sein Gesicht war eher kantig geschnitten, seine Haut war schön, wirkte sanft und glänzend im Sonnenlicht. Seine Augen waren klar, ausdrucksvoll. Verrieten viel von seinen Gefühlen. Im einen Moment sahen sie traurig, bedrückt und zerbrochen aus, im nächsten Moment wirkten sie zornig, neugierig, oder zeugten sogar von einem leichten Lächeln. Joeys schwarze Haare passten gut zu ihm. Auch wenn sie nur gefärbt waren, waren sie wie geschaffen für den jungen Mann. Er bewegte sich anmutig, wendig, auch wenn er momentan eher geknickt und müde wirkte. Frauen fanden ihn sicher ziemlich attraktiv. Genauso wie Männer. Sam konnte sich langsam vorstellen wie sein Mitbewohner an das ganze Geld für die Drogen gekommen war. Seine eigenen Gedanken erschreckten ihn. Bei der Vorstellung, wie Joey es einem anderen besorgte, lief es ihm eiskalt den Rücken runter. Was hast du schon alles durchgemacht, kleiner? Fragte er sich in Gedanken. „Ich bin gleich so weit. Kommst du dann essen?“ Joey sah kurz auf, ihre Blicke kreuzten sich für einen Moment. Wut, unbändige Trauer und Verzweiflung. Joey: Ich konnte meine Emotionen nicht verbergen. Als ich aufsah, spürte ich genau, dass Sam gemerkt hatte, welche Gefühle ich momentan mit mir herum trug. Schließlich brach ich den kurzen Blickkontakt ab und nickte vage. Dann ging ich mit hängenden Schultern zurück ins Schlafzimmer, und setzte mich für einen Moment auf mein Bett um meine Empfindungen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Als ich mich wieder gefangen hatte, tappte ich wieder in den Wohnbereich und setzte mich zu ihm an den Tisch. Er reichte mir das Brotkörbchen, schenkte mir Kaffee ein und wünschte mir einen guten Appetit. Ich nickte leicht, schmierte mir eine Butterbrezel und fing an zu essen. Kapitel 5: Lets Go Out ---------------------- Beruhigt stallte Sam fest, dass Joeys Essverhalten sich normalisiert hatte. Er schmierte sich eine Butterbreze und verputzte sie ohne irgendein Anzeichen von Zwang, oder Würgegefühlen. Wie es schien, hatte er wirklich richtig Hunger. Nachdem er fertig war, schenkte er sich ein weiteres Glas Orangensaft ein und schwieg. Auch Sam sagte nichts, aß stattdessen ebenfalls eine Kleinigkeit und ließ sich dann zufrieden in deinem Stuhl zurücksinken. Joey sah ihn fragend an, als er leise aufseufzte und die Arme hinter dem Kopf verschränkte. „Also…heute in die Innenstadt?“ fragte er schließlich mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Joey wirkte etwas verunsichert, nickte aber. „Gut…du brauchst was zum Anziehen und Mike braucht Katzenfutter. Somit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klatsche. Außerdem sollten wir eh noch ein paar Sachen besorgen, sonst besteht die Möglichkeit, hier zu verhungern.“ Wieder sagte Joey kein Wort. Er hatte heute noch kein einziges Wort zu Sam gesagt. Langsam fand dieser das Verhalten, seines Mitbewohners, beunruhigend. „Stimmt etwas nicht?“ fragte Sam schließlich leise, nach einer weiteren, ewig wehrenden Pause. Joey wirkte wieder sehr anteilnahmslos. Er schien sich ganz in sich selbst zurückzuziehen. Er ließ Sam einfach nicht an sich ran. „Hey!“ Sams Stimme wurde lauter. Erschrocken sah sein Mitbewohner auf. „Ich fragte, ob alles okay ist?“ wiederholte Sam und sah ihn abwartend an. Joey nickte vage. „Ja…alles in Ordnung.“, sagte er leise. Sam sah ihn skeptisch an. Joey: „Ach quatsch…lüg mich doch nicht an. Dazu besteht kein Grund.“ Etwas verwirrt schüttelte ich leicht mit dem Kopf. „Es ist alles wie immer. Also lass mich.“ „Vertraust du mir?“ Sam sah mich immer noch so durchdringend an. Verdammt….musste er jetzt solche Fragen stellen? „Ich weiß es nicht.“ Antwortete ich fast flüsternd. Ich sah weg, brach den Blickkontakt zu ihm ab und tat so, als würde ich der Tischkante mehr abgewinnen können, als ihm. Ich wollte nicht reden… Ich wollte allein sein. „Also nicht.“, stellte Sam fest, und sah zu Boden. Ich spürte, wie ich ein schlechtes Gewissen bekam. Ich wusste, ich konnte ihm vertrauen, doch...ich konnte mich trotzdem nicht öffnen. Ich konnte mir nicht einmal selbst eingestehen, was passiert war… Ich wollte es einfach nur verdrängen. Obwohl ich wusste, dass dies die falsche Art und Weise war, um mit einem solchen Problem umzugehen. Und doch konnte ich im Moment nicht anders, als einfach alles in mich hinein zu Fressen. Hauptsache ich musste mich niemandem öffnen. Ich wollte nicht, dass mein Vertrauen enttäuscht wurde. Und das, was ich alles schon getan hatte, in meinem bisher sehr kurzen Leben, das war mir peinlich. Schließlich hob ich den Kopf und sah ihn an. „Ich kann es nicht. Es tut mir leid, aber ich kann es einfach noch nicht.“ Sam hob ebenfalls den Blick und legte den Kopf leicht zur Seite. „Was meinst du?“ „Du weißt schon was ich meine. Reden…über mich…“ Wieder brach ich den Blickkontakt. Ich hatte Tränen in den Augen. „Hey…“ sagte Sam leise und stand auf. Er trat neben mich, zog mich hoch und nahm mich in den Arm. Etwas verwirrt erwiderte ich die Umarmung und schloss die Augen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Es ging nicht. Sam: Ein leises Schluchzen kam von Joey. Seine Schultern bebten, und Sam spürte die Tränen durch sein dünnes T-Shirt hindurch. Beruhigend fuhr er seinem kleinen Suizido über den Rücken, drückte ihn fest und schenkte ihm mit leisen Worten ein bisschen Trost. Joey brauchte lange, bis er sich aus der Umarmung lösen konnte. Nach scheinbar endlosen Minuten richtete er sich schließlich auf und ließ Sam los. Dieser wich ebenfalls einen halben Schritt zurück und lächelte seinen Mitbewohner sanft an. Sanft lächelte Joey zurück. „Komm, wir gehen.“ Sagte Sam schließlich und holte seine Schuhe. Joey ging ebenfalls in den Gang, um seine Schuhe zu holen. Schnell zogen sie sich an, und machten sich dann gemütlich auf den Weg in die Innenstadt. Sam ging sofort in den erstbesten Klamottenladen, zog seinen Mitbewohner mit sich und suchte sich nach passenden Sachen um. „Welche Größe hast du?“ fragte er Joey, der langsam hinter ihm her trottete und sich ein bisschen umsah. „Keine Ahnung.“ Antwortete er und entdeckte ein schwarzes Shirt, auf dem groß und breit, PUNK!, stand. Er hielt an, ging auf das Shirt zu und nahm es vom Bügel um es sich genauer anzusehen. „Gefällt es dir? Dann nimm eins mit, eins wo aussieht, als könnte es dir passen, so wissen wir dann auch deine Größe.“ Joey nickte und suchte sich eine Umkleidekabine. Joey: Langsam schälte ich mich aus den Klamotten und beobachtete mich dabei im Spiegel. Meine Abgemagerte Figur erschreckte mich immer wieder von Neuem. Verdammt, langsam solltest du mal wieder normal werden, Joey. Dachte ich, während ich mir das T-Shirt anzog. Es passte fast, war nur etwas zu groß, doch ich wollte eh nicht für immer so abgemagert herumlaufen. Also schälte ich mich wieder aus dem Shirt, griff nach dem Pullover, den Sam mir gegeben hatte und zog ihn schnell über. Ich ging aus der Kabine, sah mich suchend nach Sam um und fand ihn an einem kleinen Stand, mit Unterwäsche. Grinsend sah ich ihm über die Schulter, entdeckte zwischen den Boxershorts, auch ein paar Männertangas. Langsam streckte ich meine Hand danach aus, hob einen hoch und hielt ihn Sam unter die Nase. „Trägst du so was??“ fragte ich und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Sam wurde rot, wandte den Kopf ab, riss mir den Tanga aus der Hand und schmiss ihn zurück. „Quatsch. Natürlich nicht. Ich bin doch keine Transe.“ Ich lachte leise. „Auch schwule Männer können Tangas tragen, deshalb muss man sich nicht gleich als Frau verkleiden.“ Sam zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder zu mir um. „Passt das Shirt?“ „Ja, ist etwas zu groß, doch ich denke, ich werde in ein paar Wochen reinpassen, wie angegossen.“ Sam nickte lächelnd und sah nach der Größe. „Komm, suchen wir weiter.“ Ich folgte ihm, sah mich etwas um, entdeckte jedoch nichts, was meine Aufmerksamkeit errege. Außer einer dunklen Jeans, die mehrere Löcher hatte und dadurch leicht zerschlissen wirkte. Sam sah sie skeptisch an und blickte an mir herunter. „Willst du echt?“ fragte er und begutachtete die Hose. „Ja.“ Antwortete ich kurz angebunden und verschwand mit mehreren Größen in meiner Kabine. Schnell probierte ich alles aus, fand auch hier die richtige Größe und ging wieder zu Sam zurück. „Passt sie?“ „Jep, wir können weiter.“ Ich lächelte leicht und drückte ihm die Hose in die Hand. Er ging zur Kasse zahlte die zwei Sachen und einen Packen Boxershorts und ließ sich alles in eine Tüte packen. Mit der Tüte unter den Arm geklemmt kam er zu mir zurück und wir gingen weiter. Nach zwei weiteren Läden waren wir fast soweit. Zwei Hosen, fünf Shirts und drei Pullover. Die eine Hose war eine ganz normale schwarze Jeans, wie ich sie früher auch immer getragen hatte. Die Shirts waren in verschiedenen Farben, grün, Rot, blau, gelb und das schwarze, auf dem Punk stand. Die Pullover waren ähnlich wie Sams, eher normal, bis auf einen, der etwas ausgefallener wirkte. Nun fehlten nur noch Schuhe und ein Gürtel. Letzteres fanden wir schnell, in einem weiteren Klamottenladen. Ich suchte mir einen schwarzen, flexiblen Gürtel heraus, mit einigen Nieten versehen. Stolz hielt ich ihn Sam hin, der leicht grinste, mir eine eher sanfte Kopfnuss versetzte und zur Kasse ging, um den Gürtel zu bezahlen. Danach gingen wir in einen Schuhladen und sahen uns ein bisschen um. Es gab schon ein paar Schuhe, die mir ganz gut gefielen, doch sie waren alle viel zu teuer und eigentlich auch gar nicht das, was ich haben wollte. Ich wollte Chucks. Bald hatten wir von den Schuhen in diesem Laden genug, und gingen weiter. Im nächsten hatte ich Glück. Ich fand schwarze, ganz normale Chucks, von Allstars Converse. Ich probierte sie in meiner Größe an, sie passten perfekt. „Ist das dein Ernst? Langsam kommt es mir so vor, als hätte ich einen rebellischen Punk aufgelesen.“ Ich lachte leise und zuckte mit den Schultern. „Tja…vielleicht ist die Vermutung gar nicht so schlecht. Es gefällt mir so. Ich will es nicht anders.“ Schließlich gab Sam nach und bezahlte die Schuhe. „Wie viel Geld hast du jetzt insgesamt ausgegeben?“ fragte ich ihn auf dem Rückweg. „Zweihundertvierzig.“ Antwortete Sam wahrheitsgemäß. Ich pfiff leise durch die Zähne und sah ihn ungläubig an. „So viel?“ „Ach…so viel ist das nicht. Das meiste war heruntergesetzt, also von daher….mach dir keinen Stress, ich hab dir doch gesagt, dass ich es so will.“ „Aber warum???“ Sam wandte seinen Blick zu mir und sah mir kurz in die Augen. Dann sah er wieder weg. „Hör auf mit der Fragerei, Joey. Nimm es einfach an, okay? Ich habe genug Geld. Meine Eltern sind steinreich gewesen. Als sie gestorben sind, haben sie mir ne halbe Millionen vererbt. Die paar Klamotten, die ich dir jetzt gekauft habe, fallen bei der Menge gar nicht auf.“ „Aber….also….wenn du so viel geerbt hast, warum lebst du dann in dieser Gegend? Und weshalb trägst du keine Seidenklamotten und hast ein eigenes Appartement?“ „Weil ich es so will. Ich will nicht damit angeben, so viel Geld bekommen zu haben. Es wissen eh nur drei, oder vier Menschen, außer meiner restlichen Verwandtschaft. Ich möchte nicht damit protzen. Für dieses Geld habe ich nichts getan. Klar könnte ich mich ein paar Jahre auf die Faule Haut legen und einfach nur vor mir her leben. Doch dass will ich nicht. Ich liebe meinen Job, ich liebe mein Leben so wie es jetzt ist.“ Langsam verstand ich, was er mir sagen wollte. Also nickte ich leicht, und ging schweigend weiter neben ihm her. „Oh….wir haben gar keine Jacke gekauft.“ Stellte Sam plötzlich fest und wollte schon wieder umdrehen. „Nein!“ rief ich schnell und hielt ihn fest. Fragend sah er mich an. „Ich will keine neue Jacke. Ich würde sie eh nicht anziehen. Ich liebe meine Jacke. Sie sieht zwar etwas mitgenommen aus, aber sie ist mein Ein und Alles.“ Sam lächelte leicht, nickte schließlich und wir gingen schweigend weiter. Bei seiner Wohnung angekommen, traten wir beide ein, ich brachte meine neuen Klamotten ins Schlafzimmer und setzte mich auf die Couch. „Willst du Fernsehen?“ fragte Sam und wollte schon nach der Fernbedienung greifen, doch ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Ich vertrage es nicht. Meine Augen vertragen es nicht.“ Etwas verwirrt sah Sam mich an. „Warum?“ „Meine Augen sind sehr empfindlich. Weder vertrage ich grelles Licht, noch vertrage ich Bildschirme. Eigentlich bräuchte ich eine Brille, doch ich hatte nie das Geld dazu.“ „Bist du weit oder kurzsichtig?“ „weitsichtig. Allerdings nicht schlimm.“ „Okay. Das wusste ich gar nicht. Hast du eigentlich einen Führerschein?“ „Nein. Wie auch…ich hab ja für so etwas gar kein Geld.“ „Hast du Geschwister?“ „Ja. Eine Schwester….ich glaube sie ist jetzt zwölf…und einen Bruder….achtzehn....aber ich weiß nicht, wo er im Moment ist. Ich glaube er ist abgehauen, da war er sechzehn. Vor zwei Jahren hatte ich mal meine Mutter besucht, bei ihr um Geld gebettelt, einen…Job für sie erledigt, da hat meine Schwester es am Rande erwähnt. Er dürfte noch irgendwo hier in dieser Stadt sein, wenn er in den letzten zwei Jahren nicht weg ist. Keine Ahnung was er macht. Vielleicht macht er das gleiche durch wie ich…vielleicht steht er auch schon auf irgendeinem Dach…“ „Warum ist er abgehauen? Wurde er auch rausgeschmissen, von deiner Mutter?“ „Nein… Meine Mutter hat ihn nie schlecht behandelt. Er musste nie irgendwelche… Jobs für sie erledigen…er musste nie bei ihr im Pub arbeiten. Meine Schwester sagte, er sein abgehauen, um mich zu finden, doch ich habe ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Damals...es war ne schwierige Zeit…“ „Wo wohnt deine Mutter?“ „In einem anderen Stadtteil. Weiter nördlich.“ „Vielleicht sollten wir vorbeifahren und sehen, ob dein Bruder wieder dort ist…“ Erstaunt wandte ich meinen Blick zu ihm. Ich riss die Augen auf und schüttelte mehrmals mit dem Kopf. „Nein danke! Ich habe kein großes Verlangen danach, meine Mutter wieder zusehen.“ „Warum?“ Ich öffnete den Mund, wollte etwas sagen, brachte es nicht fertig. Schließlich versuchte ich es einfach zu umgehen. „Was sie mir angetan hat…war zu schrecklich…der einzige Grund um sie noch Mals zu sehen, wäre um ihr die Fresse einzuschlagen und ihr vor die Füße zu spucken. Doch ich weiß nicht, ob sie den Aufwand wert ist…und wer weiß…vielleicht würde ich es irgendwann bereuen…“ „Warum denkst du das?“ „Ich…na ja…vielleicht hat mein Arzt recht. Achtzigprozentige Rückfall Chance…Vielleicht gerate ich irgendwann wieder in eine solche Situation. Und dann wäre es sicher besser, ich würde in größter Not immer noch für meine Mutter arbeiten können….“ Ich biss die Zähne zusammen. Verdammt! Ich wollte nie wieder für meine Mutter anschaffen…Ich wollte nie wieder bei ihr betteln. Ich hoffte Innigst es nie wieder tun zu müssen, doch mir kamen trotzdem Zweifel. „Ach quatsch…warum solltest du? Du willst es doch gar nicht. Dieses Leben. Also, warum solltest du noch mal in diese Situation kommen? Du kannst hier so lange bleiben wie du willst. Ich würde dich nie rausschmeißen!“ entgegnete Sam laut. Verwundert sah ich ihn an. „Nie? Warum sagst du so etwas?“ „Weil es so ist. Und jetzt halt die Klappe. Lass uns was essen gehen. Ich hab Lust auf Mexikanisch.“ Etwas perplex ließ ich mir von ihm hoch helfen. Ohne etwas Weiteres zu sagen, wandte Sam sich ab und schloss sich im Bad ein, um sich etwas anderes anzuziehen. Langsam ging ich ins Schlafzimmer, griff nach einer der neuen Hosen und nach dem grünen T-Shirt und schlüpfte hinein. Dann zog ich mir meine neuen Chucks an und griff nach meiner Jacke. Ich streifte sie über und fühlte mich sofort etwas wohler. Ich liebte meine schwarze, leicht zerschlissene Jacke. Ich konnte es mir nicht anders vorstellen. Dann ging ich zurück ins Wohnzimmer und wartete auf Sam, der ebenfalls kurze Zeit später aus dem Bad kam. Er trug ein dunkelblaues, eng anliegendes Shirt, mit einer grauen Hose und schwarzen, eleganten Schuhen. Unter seinem T-Shirt zeichneten sich seine kräftigen Muskeln ab und ich brauchte einen Moment, bis ich mich von seinem Anblick losreißen konnte. Ihm standen diese Farben wirklich gut. Sam griff ebenfalls nach seiner Jacke und zog mich mit aus dem Haus. Ich vergrub meine Hände in den Hosentaschen und lief etwas unsicher neben ihm her. Er lächelte mich an und klopfte mir kurz auf die Schulter. „Alles klar?“ Ich nickte leicht. „Ja, passt schon.“ „Über was denkst du dann nach?“ „Über mich selbst…ich fühle mich unwohl…ich sehe aus wie ein abgemagertes Gespenst neben dir.“ Sam lachte leise und schüttelte mit dem Kopf. „Mach dir keine Sorgen darüber. Ich bin mir sicher, in ein paar Wochen hast du dein Normalgewicht wieder erreicht. Ich werde dich schon Mästen keine sorge.“ Er zwinkerte mir zu und ich musste lachen. Mästen…das klang, als wäre ich ein Tier, das auf der Schlachtbank landen sollte. Sam lachte ebenfalls leise und schweigend gingen wir weiter. Sam ging etwas schneller, doch ich folgte ihm langsam. Ich wollte mich nicht beeilen, lieber gemütlich hinter ihm her laufen. Plötzlich spürte ich eine Hand auf der Schulter und ich wurde herumgerissen. Ich blickte geradewegs in das Gesicht, eines etwas älteren Herren. Sofort fiel mir wieder ein, woher ich ihn kannte. „Na, wenn das nicht der kleine Penner ist, der mir letzten Monat so einen großen Gefallen getan hat. Bist wieder auf der Suche nach Kundschaft?“ er lachte dreckig. Er war mein letzter Freier gewesen. Ich spürte, wie es mir Eiskalt den Rücken runter lief und wich einen Schritt zurück. Immer noch lag seine Hand auf meiner Schulter. Sam drehte sich um und sah uns etwas überrascht an. Er kam wieder etwas näher, schien noch nicht so richtig zu verstehen, um was es sich hier handelte. Ich zog die Schultern hoch und sah weg. „Komm schon, Kleiner. Hast du nicht Lust? Ich würde ihn gerne mal reinstecken.“ Sagte mein Gegenüber lächelnd und kam ganz nah. Ich konnte seinen Atem an meinem Hals spüren und wusste schon, was jetzt folgen würde. „Lass….Lassen sie mich!“ sagte ich leise und nicht sehr ausdrucksvoll. Wieder wich ich ein paar Schritte zurück und knallte gegen die Wand hinter mir. Schließlich griff Sam ein, und riss den Mann an der Schulter zurück. „Ey, lass mich du Arschloch. Ich hab ihn zuerst gefunden. Stell dich gefälligst hinten an!“ schrie der Mann, Sam an und riss sich los. Sam griff in seine Hosentasche, holte seinen Geldbeutel hervor und klappte ihn auf. Seine Dienstmarke strahlte in dem Licht der kleinen Laterne, die nur wenige Meter von ihm entfernt stand. „Passen sie lieber auf, was sie sagen, okay? Und jetzt verschwinden sie von hier. Der Kleine gehört mir!“ Die Stimme meines Mitbewohners klang leise und bedrohlich. Auch sein Blick sprach Bände. Es schien als würde er sofort auf den anderen Losgehen, sollte er mir nochmals zu nahe kommen. Schließlich sah der Mann seine Niederlage ein und wandte sich um. Murrend und Fluchend verschwand er in der Dunkelheit. Ich atmete erleichtert auf und schlang meine Arme fest um meinen Oberkörper. Meine Schultern entspannten sich etwas und ich lies den Kopf hängen. Verdammt…das war knapp gewesen. Sam kam zu mir und berührte mich sanft am Arm doch ich riss mich los. „Nein! Nicht anfassen!“ rief ich aus und wich etwas zurück. „Hey! Ich bin es…Sam…also mach dir keine Sorgen, okay?“ sagte mein Mitbewohner und Lebensretter sanft. Wieder griff er nach meinem Arm und zog mich langsam zu sich. Ich ließ es geschehen, schloss die Augen und ließ meinen Kopf gegen seine Schulter fallen. Beruhigt ließ ich mich von ihm in den Arm nehmen und erwiderte die Umarmung sogar kurz. Dann löste sich Sam wieder von mir und lächelte mich freundlich an. „Alles wieder okay?“ Ich nickte leicht. Ja…nun ging es mir wieder besser. „Was war das für einer?“ fragte Sam weiter. Er wirkte besorgt und gleichzeitig neugierig. Wie es schien, hatte er genau gemerkt, was das für einer gewesen war. „Ähm…ich…werde es dir erklären, sobald ich soweit bin, okay?“ Sam nickte etwas enttäuscht. Er hatte wohl damit gerechnet, dass ich diesmal endlich mit der Sprache rausrücken würde. Ich bekam ein schlechtes Gewissen und biss mir auf die Lippe. Es tat mir sehr leid, dass ich so schweigsam war, und ihm nicht die Wahrheit sagte….es tat mir leid, dass ich ihm immer noch nicht so vertraute, wie er mir vertraute. Es tat mir sehr leid. Schließlich gingen wir weiter, zu dem Restaurant, von dem Sam gesprochen hatte. Über den Mann verloren weder er noch ich ein weiteres Wort. Ich war froh, dass mein Mitbewohner nicht weiter darauf herum ritt. Kapitel 6: A Terrible Night --------------------------- Kapitel 6: A terrible Night Nach dem Essen gingen wir schweigend zurück zu seiner Wohnung. Es hatte gut geschmeckt und ich bedankte mich leise bei meinem Mitbewohner. Er lächelte nur und klopfte mir kurz auf die Schulter. Als wir zuhause ankamen war es schon halb zwölf. Wir hatten uns ganz schön Zeit gelassen. Ich war müde und fühlte mich ausgelaugt. Das Treffen mit dem Mann, in der Seitengasse, hatte mich, obwohl nichts passiert war, ziemlich mitgenommen. Ich ging kurz ins Bad um mir die Zähne zu putzen. Sam folgte mir kurze Zeit später und schloss sich mir an. „Bist du müde?“ fragte er, während er sich Zahnpasta auf die Bürste tat. Ich nickte leicht und sah ihm kurz in die Augen. Er lächelte. Leicht lächelte ich zurück. Nachdem ich fertig war, ging ich sofort ins Schlafzimmer, entledigte mich meiner Hose und meinen Socken und legte mich dann ins Bett. Auch Sam kam ins Schlafzimmer und legte sich hin. Er seufzte leise und wünschte mir eine gute Nacht. Doch ich war schon eingeschlafen. Langsam wanderte ich durch die Straßen, trieb mich an den U-Bahnstationen herum und hoffte endlich jemanden zu finden, den ich um Geld anbetteln konnte. Niemand schien sonderlich interessiert zu sein, an einem Junkie, mit rotunterlaufenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht. Ich brauchte schnell eine Dosis, sonst hielt ich es nicht mehr aus. Ich überlegte lange, wie ich nun endlich an Geld kommen konnte, und entschloss mich dann einfach in die nächst beste U-Bahn zu steigen um dort eventuell auf jemanden zu treffen. Ohne mir ein Ticket zu holen stellte ich mich in eine der überfüllten Wagons und hoffte auf einen dreisten Mann, der sich an mich ranmachen würde. Ich brauchte nicht lange zu warten, da spürte ich eine kräftige Hand an meiner Linken Gesäßbacke die leicht zukniff. Ich drehte mich um und entdeckte einen starken, großen Mann, vielleicht ende Dreißig, der mich anstarrte und leicht lächelte. Ich rückte etwas näher zu ihm, ebenfalls lächelnd und beugte mich zu ihm vor. Mit meiner Hand wanderte ich langsam und unauffällig zu seinem Hosenbund und streifte leicht sein Glied. Der Mann vor mir lächelte noch breiter und schloss kurz die Augen. Ich kam noch etwas näher und flüsterte ihm leise ins Ohr. „Hast du lust?“ „Du schaffst an?“ Ich nickte leicht und lächelte verwegen. Er lächelte zurück und nickte. „Wieviel?“ „Hundert.“ „Dann komm“ Er griff nach meinem Arm und zog mich zum Ausgang. An der nächsten Station stiegen wir aus und er zog mich mit, zu einem heruntergekommenen Hotel, dass ganz in der Nähe war. Zehn Minuten später standen wir vor dem Hotel und traten ein. Er bezahlte das bisschen, was zwei Stunden hier kosteten und zog mich in das Zimmer, das der Hotelier uns zugewiesen hatte. Ich spürte wie mein Herz klopfte, da ich es schon lang nicht mehr in einem Hotel gemacht hatte, war leicht misstrauisch, da ich eigentlich klar signalisiert hatte, dass ich ihm einen runterholen würde, er ihn allerdings nicht reinstecken würde. „Fang an.“ „Nein. Erst das Geld.“ Der Mann lachte leise und schüttelte mit dem Kopf. Dann griff er in seine Hosentasche, holte seinen Geldbeutel hervor, zog einen hunderter hervor und legte ihn auf das Nachtkästchen. „Zufrieden?“ Ich nickte und kam etwas näher zu ihm. Ich gebot ihm sich hinzusetzen, auf den Rand des Bettes und er streifte sich seine Jacke ab. Auch ich entledigte mich meiner Jacke, dann griff ich nach seinen Kniegelenken und drückte sie etwas auseinander. Langsam wanderten meine Hände zu seinem Hosenbund. Ich knöpfte die Hose auf, zog den Reisverschluss runter und zerrte an den Boxershorts, die der Mann trug. Dann holte ich sein Glied heraus, berührte es sanft mit den Fingerspitzen und der Typ vor mir seufzte wohlig auf. Als sich sein Schwanz aufrichtete beugte ich mich schließlich vor und umfing ihn mit meinen Lippen. Ich schloss die Augen, versuchte mechanisch das zu tun, was ich immer tat, versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie widerlich ich es fand. Der Typ vor mir stöhnte erneut lustvoll auf, und legte seine Hand auf meinen Kopf um mich zum weitermachen zu zwingen. „Das machst du gut, Kleiner“ stellte er fest und drängte sich mir etwas entgegen. Ich versuchte das Würgegefühl zu unterdrücken, das in mir aufkam, machte weiter wie bisher. Plötzlich spürte ich, wie er mich an den Haaren packte und zurückzerrte. Ich verzog das Gesicht zu einer gequälten Maske und sah ihn fragend an. „Was ist?“ „Was wohl? Ich will ihn reinstecken.“ „Nein! Das ist nicht drin.“ Er lachte laut auf und schüttelte mit dem Kopf. „Hey, für nen Hunderter werde ich ja wohl mehr verlangen können, als das du mir einen runterholst. Los, Hosen runter.“ Ich schüttelte ebenfalls mit dem Kopf und wollte mich loszerren, doch er packte mich noch härter an den Haaren und zerrte mich auf die Knie. Ich versuchte mich zu wehren, doch er war viel stärker als ich. Er drückte meinen Oberkörper nach unten und zerrte an meiner Hose. „Nein!!“ schrie ich erneut und versuchte mich loszureißen. Er lachte nur auf, öffnete Knopf und Reißverschluss und riss mir meine Hosen runter. Ich spürte wie mir die Tränen kamen, versuchte mich so verschlossen zu halten, wie es nur ging. Er befeuchtete kurz einen Finger, drang mit ihm in mich hinein und weitetete meine Öffnung etwas. „Nein!“ protestierte ich erneut, stöhnte schmerzvoll auf und versuchte mich von ihm wegzudrehen, doch er hielt mich eisern fest. „Stell dich nicht so an.“ Kam es zurück. Mir liefen die Tränen übers Gesicht, als ich spürte, wie er seinen Finger zurückzog, sich über mich beugte und brutal in mich hineinstieß. Ich schrie auf, versuchte mich zu entspannen, doch es tat zu sehr weh. „Entspann dich, du Idiot.“ Schrie mich der Typ an, und drückte meinen Kopf auf den Boden. Ich konnte es nicht. Ich schaffte es nicht. Schließlich murrte er leise, und sagte: „Selbst schuld, dann tut es eben umso mehr weh.“ Dann stieß er ein weiteres mal zu, stöhnte wohlig über die herrliche Enge, während ich schmerzvoll aufschrie und mich noch mehr verkrampfte. Er achtete nicht auf meine qualvollen Schreie, machte einfach weiter, wurde immer brutaler und grober. Er stieß immer wieder zu, lachte über mein gequältes Stöhnen und hielt irgendwann noch mal kurz inne. „Weißt du, du solltest dich einfach nur entspannen. Vielleicht gefällt es dir dann ja auch.“ Ich zitterte am ganzen Körper, verkrampfte mich in dem Teppichboden unter mir, versuchte mich erneut zu entspannen, doch ich spürte nur noch diesen schrecklichen Schmerz im ganzen Körper der mich durchzuckte, sobald er sich etwas bewegte. Schließlich mache der Mann weiter, bis er endlich wohlig stöhnend zu seiner Erleichterung gekommen war und von mir abließ. Er löste sich von mir, stieß mich zu Boden und stand auf. Langsam knöpfet er sich seine Hose zu, lachte kalt über meine jämmerliche Gestalt und ging zu dem Nachttischchen wo der Hunderter lag. „Den wirst du sicher nicht brauchen, oder? Nachdem du dich so angestellt hast, hast du ihn auch nicht verdient. Such dir nen Arzt.“ Dann griff er nach dem Schein, drehte sich lachend von mir weg und trat aus dem Raum. Ich heulte und zitterte am ganzen Leib. Die Schmerzen waren fast nicht auszuhalten. Ich konnte mich nicht bewegen, mein ganzer Unterleib schmerzte, und ich spürte das Blut, das sich langsam einen Weg nach unten bahnte… „Aaaaarghhhh!“ Ich wachte auf. Sofort schoss ich nach oben. Mein Atem ging schwer und ich schwitzte. Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich zitterte am ganzen Leib. „Joey…was ist passiert?“ fragte Sam neben mir besorgt und griff nach meiner Schulter. Als ich seine Berührung spürte, schrie ich ängstlich auf und riss mich los. „NEIN!“ entfuhr es mir und ich machte mich ganz klein. Ich umschloss meine Knie mit den Armen und legte meinen Kopf auf die Beine. Schluchzend und wimmernd versuchte ich mich zu beruhigen, weinte ich mich aus. Immer noch zitterte ich am ganzen Körper fühlte mich eingeengt, in diesem Raum. Sam kam etwas näher. „Joey…ich bins…was war los? Was hast du geträumt?“ Ich schüttelte schluchzend mit dem Kopf, wehrte seine Berührung diesmal aber nicht ab. Er legte mir sanft eine Hand auf die Schulter und streichelte mich ein bisschen. Ich heulte lange, wimmerte immer wieder, versuchte mich erst gar nicht zu verstecken, Sam hatte mich ja schon längst weinen gesehen. „Komm schon…rede mit mir…“ sagte er leise und fuhr mir aufmunternd über den Kopf. „Nein…es…ich….nein…“ stammelte ich und entzog mich seiner Berührung. „Joey…komm schon…manchmal hilft es, darüber zu reden.“ Sam hatte das Licht angemacht und es blendete mich in den Augen. „Ich… kann nicht…“ „Ich mache dir einen Vorschlag. Wir machen jetzt das Licht aus, legen uns wieder hin und du erzählst mir was du geträumt hast, okay?“ Er strich mir kurz über den Kopf und zog mich dann wieder ins Bett. Ich rollte mich zusammen und Sam löschte das Licht. Dann legte er sich zu mir und ich kam etwas näher. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter und er nahm mich in den Arm. Kurz schloss ich die Augen. Ich atmetet tief ein und aus. Sams Körper war ganz warm, ich fühlte mich wohl in seinem Arm. Schließlich riss ich mich zusammen. Dann fing ich an zu erzählen. „Meine Mutter hat mich gezwungen, für sie in ihrem Pub zu arbeiten. Als sie mich dann rausschmiss, hatte ich nichts! Meine Vorgeschichte und meine Familienverhältnisse sprachen nicht gerade für mich. Außerdem konnte ich mir keine Wohnung leisten. Ich stand ohne alles da...hatte keinerlei Erfahrungen. Meine Zeugnisse konnte ich auch nicht vorlegen, denn meine Mutter hatte sie immer noch irgendwo in ihrer Wohnung. Also habe ich mir einen Job gesucht und ein bisschen Geld verdient. Dort konnte ich aber auch nicht bleiben, sie rationierten. Dann kam der nächste Job, doch sie schmissen mich raus. Ich lernte so nen Typen kennen, einen Junkie. Er bot mir was an und ich rauchte mit ihm ab und zu nen Joint. Als ich zum ersten Mal verprügelt wurde, ging es mir danach so schlecht, dass ich ihn nach mehr fragte. Ich gab ihm einen Zwanziger und er besorgte mir was Hartes. Ich fand gefallen daran, mich zuzudröhnen, doch auf Dauer fehlte mir das Geld. Ich verlor meinen Job, den ich zu dem Zeitpunkt hatte, da ich zu oft, vollgedröhnt zur Arbeit erschien. Andere arbeit fand ich nicht. Tja…und dann…habe ich das getan, was ich auf für meine Mutter tun musste. Ich verkaufte meinen Körper und kam so an Geld. Mein Traum…gerade eben…also…da war so ein Typ…er…ich traf ihn in einer U-Bahn. Er hatte gefallen an mir und ich brauchte Geld. Also stiegen wir an der nächsten Station aus und gingen in ein Hotel. Ich erklärte ihm, was ich tun würde, und was ich dafür wollte, er stimmte zu und ich…naja….weißt schon…ich holte ihm einen runter. Ihm war es nicht genug, er meinte er wolle…ihn…ich kanns nicht aussprechen. Jedenfalls wollte er es gegen meinen Willen tun und zwang mich mit ihm zu schlafen. Danach ließ er mich dort liegen, nahm das Geld wieder mit und lachte mich aus, wie ich blutend und zitternd auf dem Boden lag. Er haute ab und ich war allein. Später schmiss mich der Besitzer des Hotels raus. Ich hatte solche schmerzen…ich…hatte solche Angst. Ich schleppte mich zu meinem Unterschlupf, ein Freund von mir war dort. Er verabreichte mir eine Dosis auf seine Kosten. Ich schlief zwei Tage durch, ohne etwas zu essen, geschweige denn etwas zu trinken. Danach…hatte ich es vergessen. Wie ein Blackout. Der Traum…ich…okay, ich hab so etwas schon öfter erlebt, öfter machen müssen, aber der Traum war so real…“ Sam sagte nichts. Er schwieg, hielt die Klappe. Ich war froh darüber. Stattdessen strich er mir aufmunternd über den Kopf. Ich kuschelte mich etwas näher zu ihm und weinte mich an seiner Schulter aus. Bald schlief ich ein. Als Sam am nächsten Morgen erwachte, lag Joey noch immer in seinen Armen. Ein Blick auf die Uhr bestätigte Sam, dass es eigentlich schon längst Zeit war, aufzustehen. Trotzdem rührte er sich nicht vom Fleck, sondern sah liebevoll auf seinen kleinen Mitbewohner, der noch immer tief und fest schlief. Joey regte sich kurz, kuschelte sich noch näher an Sam und entspannte sich wieder. Sam hob seine Hand und strich dem kleineren sanft durch das schwarze Haar. Was dieser Junge Mann in seinen Armen schon alles durchgemacht hatte, beängstigte Sam. Es war ein Schock für ihn gewesen, als Joey sich endlich ihm gegenüber geöffnet hatte und von seinem Traum erzählte. Er hatte es nicht gewusst, geschweige denn an so etwas gedacht. Plötzlich konnte er verstehen, was Joey auf das Dach getrieben hatte. Plötzlich verstand er, warum Joey beinah gesprungen wäre. Und Plötzlich verstand er auch, dass er, Sam, in Joeys Leben schon jetzt eine unglaublich große Rolle spielte. Und das vieles, was Joey mit sich herumschleppte, nur deswegen nicht zum Vorschein kam, weil ER da war. Weil Sam sich um ihn kümmerte. Weil er ihn bei sich aufgenommen hatte, ihn beschützen wollte. Schlagartig wurde es Sam bewusst, was das bedeutete. Er hatte die Macht über Leben und Tod gehabt. Und er hatte sie immer noch. Plötzlich regte Joey sich leicht und seufzte kurz auf. Seine Hand vergrub sich in Sams T-Shirt und der Junge Mann rückte erneut ein Stück näher. Sam strich ihm sanft die Haare aus der Stirn, wartete, ob Joey die Augen öffnen würde. Tatsächlich schien sein kleiner Freund ebenfalls aufgewacht zu sein. Als ich aufwachte, spürte ich eine angenehme Wärmequelle neben mir. Mir war kalt und ich rückte noch ein Stück näher, zu dem warmen Körper der sich leicht hob und senkte. Ich spürte eine Hand auf meinen Kopf. Jemand kraulte mich ein bisschen, schob mir immer wieder die Haare aus der Stirn. Schließlich wagte ich es, meine Augen einen Spalt breit zu öffnen und musste mit einem leichten Schock feststellen, dass es sich weder um eine Frau, noch um meinen Bruder handelte, sondern um Sam, meinem Mitbewohner, der allem Anschein nach kein Problem damit hatte, dass ich mich an ihn kuschelte. Was vielleicht damit zusammenhängt, dass er schwul ist, schoss es mir durch den Kopf. Das war ausschlaggebend für mich. Mit einem schnellen Ruck setzte ich mich auf und rückte gleichzeitig ein Stück weg, von dem Mann, der mir das Leben gerettet hatte. Sam sah mich leicht verwundert an, verstand aber allem Anschein nach, weshalb ich mich zu dieser Reaktion verleiten lassen hatte und setzte sich ebenfalls auf. „Hast du gut geschlafen?“ fragte er leise und ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Ich nickte leicht und sah dann weg. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Es war mir schrecklich peinlich, was heute Nacht geschehen war. Erst mein Gefühlsausbruch, dann meine Offenheit, und dann auch noch meine verschmuste Ader preiszugeben, war wirklich zu viel für einen erwachsenen, heterosexuellen Mann. Schließlich stand Sam auf und hielt mir seine Hand hin. „Komm, lass uns aufstehen, Kleiner. Die Sonne scheint, es ist schon halb zwölf und ich habe Hunger.“ Ich sah ihn leicht verwundert an. Kein Kommentar zu heute Nacht? Schließlich nickte ich, ergriff seine Hand und ließ mich aus dem Bett ziehen. Mikey, der kleine Kater miaute kläglich, als wir endlich aus dem Zimmer kamen. Ich lächelte leicht, suchte im Kühlschrank nach einer angebrochenen Katzenfutterdose und gab ihm etwas zu futtern. Mikey stützte sich förmlich auf die kleine Schale und miaute mich einmal kurz an. Ich interpretierte es einfach mal als ein „Dankeschön“; stellte die Dose zurück in den Kühlschrank und gab ihm auch frisches Wasser. Dann half ich Sam schweigend beim Frühstück herrichten und setzte mich dann auf den freien Platz an seinem kleinen Esstisch. Ich griff nach einer Scheibe Brot und schmierte mir etwas Butter darauf. Schweigend saßen war da und aßen, während ich verzweifelt versuchte, Sams blicken auszuweichen. Er spießte mich förmlich auf mit seinen Blicken, doch ich versuchte mir nichts davon anmerken zu lassen. „Wegen gestern Abend…“ begann Sam, kam allerdings nicht weiter. Mit einem Ruck stand ich auf. „Nein! Lass es.“ Sagte ich laut, machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte mich ab. Mit schnellen Schritten war ich bei der Tür zum Schlafzimmer. Ich drückte sie hinter mir zu, suchte nach einem Schlüssel, fand allerdings nichts. Also stemmte ich mich einfach dagegen, ließ mich langsam und zittern nach unten sinken und lehnte mich an das glatte Holz. Seufzend wartete ich ab. Ich bin so ein Idiot, schoss es mir durch den Kopf. Warum machte ich jetzt so eine Szene daraus? Keiner hatte mich gezwungen, offen zu ihm zu sein. Keiner hatte mich gezwungen, ihm alles zu erzählen. Wo lag dann jetzt mein Problem? Ich spürte wie mir die Tränen kamen, und ließ ihnen freien lauf. Schluchzend zog ich meine Beine an und legte die Arme um meine Knie. Plötzlich hörte ich Schritte. Schnell war ich wieder auf den Beinen und stolperte nach hinten, um mich in der Ecke zu vergraben. Die Türklinke wurde heruntergedrückt und Sam kam ins Zimmer. Mit wenigen Schritten war er bei mir. Sanft berührte er mich am Arm. Ich schlug seine Hand weg, und schrie: „NEIN! Nicht anfassen!“ Erneut griff er nach meinem Arm, doch ich wehrte mich, wollte nicht, dass er mich berührte. „Joey! Beruhig dich…!“ Ich schüttelte verzweifelt mit dem Kopf, schluchzte auf und wollte von ihm wegkriechen, doch er ergriff meine Schultern und umarmte mich fest von hinten. Ich versuchte mich loszureißen, wollte weg von diesem Mann, der mir so viel bedeutete, und nun so schlecht von mir denken musste. Ich wollte nicht, dass er mich berührte, wollte nicht, dass er meinem verschmutzten, dreckigen Abschaum von Körper auch nur zu nahe kam. Doch er ließ mich nicht los, sein griff wurde eher immer stärker. „Lass mich los!“ rief ich und versuchte erneut, von ihm wegzukommen. Sams griff wurde noch stärker er kniete sich neben mich. Schließlich sah ich ein, dass ich gegen ihn nicht ankommen konnte und hörte auf mich zu wehren. Sam zog mich an seine Brust, vergrub sein Gesicht an meinem Hals und seufzte leise. „Komm schon Joey. Du hast keinen Grund dich vor mir zu verstecken.“ „Ich…will nicht, dass du mich berührst…du sollst nicht…mit meinem Dreck besudelt werden.“ „Was redest du da?? Das ist doch quatsch.“ „Ich bin Abschaum in deinen Augen. Jeder der mich ansieht, weiß, was ich getan habe. Ich habe angeschafft, und bin somit zu einem widerlichen, verschmutzten Stück Dreck geworden. Ich bin unrein…“ Sams Umarmung wurde noch stärker, es kam mir vor, als würde er mich nie wieder loslassen wollen. „Nein, Joey! Das ist falsch. Du hattest in dem Moment, in deinen Augen, einfach keine andere Wahl. Du bist nicht schmutzig. Du bist rein. Dein Herz ist rein. An dir gibt es nichts Falsches. Du bist ein wunderbarer Mensch. Also rede nicht so einen Unsinn. Deine Seele ist genauso schön, wie dein Körper. Auch wenn dir schon viel Schreckliches widerfahren ist. Alls das hat keine Auswirkung auf deine Schönheit.“ Ich spürte, wie ich Gänsehaut bekam, bei seinen Worten. Noch nie hatte mich jemand „schön“ genannt. Meine Mutter hatte mich wie Abschaum behandelt, die Männer fanden mich einfach nur anziehend. Niemand hatte gesagt, ich wäre schön. Meine verkrampfte Haltung lockerte sich etwas. Ich ließ mich leicht gegen seinen Oberkörper fallen, sträubte mich nicht mehr, gegen seine Berührungen. Es war okay, bei ihm…er schien mit seinen Worten diese Mauer zwischen uns einfach eingebrochen zu haben. Sanft strich Sam mir über den Rücken, ließ mich nicht mehr los. Schließlich versiegten meine Tränen. Ich rührte mich leicht, hob meine Arme und umarmte ihn ebenfalls. Fest drückte ich mich an seine warme, starke Brust. Er strich mir liebevoll durch mein Haar und ich spürte, wie ich mich langsam besser fühlte. Wie ich mich befreiter fühlte. „Sam…“ fragte ich leise, gegen seine Brust. „Ja?“ „Ich würde gerne…sehen, ob mein Bruder bei meiner Mutter ist. Ich würde mich gerne davon überzeugen, dass es ihm gut geht.“ Sam nickte leicht und zerzauste mir meine Haare. „Is okay, Kleiner. Machen wir natürlich. Heute schon?“ „Wenn das ginge…“ Sam nickte erneut und schließlich ließ ich ihn los um langsam aufzustehen. Auch mein Lebensretter stand auf, klopfte mir lächelnd auf die Schulter und wartete, ob ich noch etwas sagen würde. Langsam wanderten meine Augen über seinen Körper. Dann erwiderte ich seinen Blick endlich, nickte lächelnd und sagte leise: „Danke…“ „Immer wieder gerne…“ antwortete Sam, zwinkerte mir zu und ging in die Küche, um den Tisch abzuräumen. Währenddessen schloss ich mich ins Bad ein, duschte kurz, betrachtete mich schnell im Spiegel, verzog das Gesicht bei meiner mageren Gestalt, und war trotzdem froh, nicht mehr ganz so schlimm auszusehen. Ich sah irgendwie gesünder aus. Die Drogenabhängigkeit hatte an mir genagt. Doch jetzt schien sich mein ganzer Körper wieder zu erholen. Meine Haare waren kräftiger, glänzten wieder mehr. Mein Gesicht war nicht mehr so gespensterhaft bleich und eingefallen. Meine Augen hatten eine normale, gesunde Farbe. Auch mein Körper sah anders aus. Nicht mehr so krank und abgenutzt. Es ging mir wirklich besser. Schließlich machte ich das Bad frei, setzte mich vor den Fernseher und spielte ein bisschen mit Mikey. Als Sam aus dem Bad kam, sah er Joey und den kleinen Kater, wie sie spielten. Joey lachte leise. Erstaunt musste Sam feststellen, dass er Joey noch kein einziges mal, so ausgeglichen und gut gelaunt Lachen gesehen hatte. Grinsend trat er zu den beiden, strich dem kleinen Kater kurz über den Kopf und setzte sich dann neben Joey. Joey sah ihn fragend an. Sam lächelte breit. „Gehen wir?“ fragte er und zwinkerte Joey zu. Joey nickte, lächelte ebenfalls und gemeinsam standen sie auf, zogen sich um und gingen aus dem Haus. Kapitel 7: Little Brother ------------------------- Kapitel 7: Little Brother Ich war ziemlich aufgeregt. Schon als wir das Haus verließen fühlte ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich biss die Zähne zusammen, schalt mich einen Idioten, jetzt schon stress zu schieben und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Wir sollten mit dem Auto fahren. Was denkst du? Wenn wir kurz an der Polizeistelle vorbeilaufen, leih ich mir einen Wagen.“ „Du meinst…wir sollen mit der Streife hinfahren?“ fragte ich ungläubig. Sam grinste breit und zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Wäre doch lustig.“ Wieder zwinkerte er mir zu. Schließlich erwiderte ich sein Grinsen und nickte. „Okay. Eigentlich ne ganz gute Idee.“ Sam lachte leise auf, klopfte mir kurz auf die Schulter und wir machten uns auf den Weg. Wir brauchten nicht lange zu seiner Dienststelle. Sam schien vor allem deshalb in diese Gegen gezogen zu sein, um zu Fuß zur Arbeit laufen zu können. „Ich komme gleich. Ich muss nur schnell bei meinem Chef vorbei, und ihm sagen, dass ich mir einen Wagen leihe.“ Ich nickte und bleib etwas unbeholfen im Hof stehen. Überall um mich herum standen Streifenwagen. Immer wieder kamen ein paar Polizisten heraus, setzten sich lachend, oder laut diskutierend, in einen der vielen Polizeiwägen, die hier standen, und fuhren davon. Schließlich, zirka zehn Minuten später, kam Sam grinsend, wie ein Honigkuchenpferd, wieder aus dem hohen Gebäude heraus und winkte mich zu ihm. Langsam folgte ich ihm, in einigem Abstand zu einem der Streifenwägen und wartete, bis er die Tür aufgeschlossen hatte. „War gar kein Problem. Mein Chef wollte mir sogar schon einen Sixpack leihen, doch ich hab ihn davon überzeugen können, das ein einfacher Streifenwagen reicht.“ Ich nickte leicht und setzte mich ebenfalls in das Auto. Die Tatsache, dass ich nicht auf der Rückbank saß, verdrängte das unangenehme Gefühl etwas, dass mich immer packte, wenn ich eines der grünen Autos sah. Schließlich fuhren wir los. Ich erklärte Sam, wo er hin musste. Mit jedem Meter, den wir näher zu dem Haus kamen, in dem meine Mutter wohnte, und auch ihren Pub besaß, wurde mir mulmiger zu Mute. Sam schien meine Unsicherheit zu bemerken. „Mach dir keine Sorgen. Wir kriegen das schon gebacken. Vergiss nicht, ich bin Polizist. Ich werde dich auf jeden Fall beschützen, egal was passiert.“ „Ja…du kannst mich beschützen…doch kannst du mich auch vor den Worten beschützen, die mir meine Mutter entgegen brüllen wird?“ Sam schwieg nachdenklich. „Ich weiß es nicht. Aber lass uns erst mal abwarten. Zur Not schlag ich sie einfach K.O. dann kann sie wirklich nichts mehr anrichten.“ Ich lachte leicht ironisch auf. „Jaa…sie vielleicht nicht. Aber denk bloß nicht, dass meine Mutter nicht immer ihre Bodyguards dabei hätte. Die zwei Schränke, die für sie Arbeiten, werden sicher nicht vor einem Bullen und einer abgemagerten, halben Portion wie mir, zurückschrecken.“ Sam zuckte mit den Schultern. „Denkst du? Hm…ich weiß nicht. Ich denke, wir kriegen das schon hin… Wie kommt es eigentlich, dass deine Mutter immer noch in einem Wohnwagen haust, wenn sie sich sogar zwei Bodyguards leisten kann?“ „Oh…das ist einfach. Ein Wohnwagen ist nicht so auffallend in dieser Gegend, und sie zahlt nicht so viel Steuern. Außerdem kann sie so jederzeit verschwinden, wenn es zu Problemen kommen würde.“ Sam nickte verständlich. „Ja, das erscheint mir logisch.“ Langsam fuhren wir in die Straße, in der der Wohnwagen meiner Mutter stand. Ich verkrampfte meine Hände in den Hosenbeinen und biss die Zähne zusammen. Beinah hätte ich vorgeschlagen, umzudrehen, mein Gefühl wollte Flucht, doch mein Verstand war stärker und ich hielt mich eisern davon zurück. Schließlich hielten wir am Straßenrand an, direkt vor dem Wohnwagen meiner Mutter. Sam stieg langsam aus dem Auto und auch ich konnte mich dazu zwingen, die Tür zu öffnen und mich zu erheben. Ich wartete bis Sam um das Auto herumgelaufen war und nebeneinander gingen wir langsam zur Tür. Dort angekommen sah ich Sam kurz an. Er lächelte, zwinkerte mir zu und nickte. Ich lächelte ebenfalls leicht und klopfte an. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür, ein junges Mädchen stand vor der Tür. Ungläubig starrte sie uns an, dann schien sie mich langsam zu erkennen. Mit einem freudigen Aufschrei, sprang sie mich an und umarmte mich. Etwas überrumpelt stolperte ich einen Schritt zurück, fing mich allerdings schnell wieder. Überrascht erwiderte ich die Umarmung. „Hey little sister…“ sagte ich leise und strich ihr sanft über den Rücken. Ich spürte, wie sie zitterte, und wusste, dass ihr die Tränen gekommen waren. „Ich dachte du bist Tod.“ Flüsterte sie leise und schluchzte gegen meine Jacke. „Nein…mir geht es gut. Ich bin clean…habe jemanden gefunden, der mich aufgenommen hat…bei mir ist alles in Ordnung.“ Sill nickte leicht und löste sich schließlich wieder von mir. „Wie geht es dir?“ fragte ich zurück und strich ihr kurz über den Kopf. „Gut. Du weißt ja…ich bin Mums ein und alles.“ „Ist deine Mutter hier?“ fragte ich sofort und sah mich alarmierend um. „Nein. Sie ist schnell drüben im Laden.“ Ich nickte etwas beruhigt und hörte plötzlich Schritte im Wohnwagen. „Sill…ist alles okay?“ ertönte eine junge, männliche Stimme und Ricks Kopf erschien an der Tür. Als er mich erkannte, weiteten sich seine Augen, vor Überraschung. Wie erstarrt stand er am Türrahmen und sah mich an. Ich sah ihn ebenfalls an, wagte ein zaghaftes Lächeln und hob ihm meine Hand entgegen. Nach einem kurzen zögern, sprang er aus dem Wohnwagen und fiel mir ebenfalls um den Hals. „Oh Gott! Joey…du hier?“ fragte er etwas durcheinander und schloss mich fest in seine Arme. Ich erwiderte die Umarmung ebenfalls fest, vergrub mein Gesicht in seiner Schulter und atmete seinen angenehmen Duft ein, den ich von früher noch so gut kannte, wenn wir nebeneinander gekuschelt in meinem Bett gelegen und geschlafen hatten. Schließlich befreite sich Rick aus meiner Umarmung, hielt mich eine Armeslänge von sich entfernt und sah mich prüfend an. Ich schüttelte lächelnd mit dem Kopf. „Keine Sorge. Ich bin clean. Ich habe aufgehört mit dem Scheiß.“ „Wie kommts?“ „Ein guter Freund hat mir hochgeholfen, als ich an einem Punkt war, bei dem man weiter nicht hätte sinken können.“ Erklärte ich leise. „Du meinst…“ begann Rick und riss erschrocken und gleichzeitig ängstlich die Augen auf. Ich nickte ernst. „Ja...das meine ich.“ Wieder fiel mir mein Bruder um den Hals. Er schien mich gar nicht mehr loslassen zu wollen. „Ich habe dich gesucht…ein Jahr lang…doch ich dachte du bist Tod. Keiner konnte mir was sagen…wo hast du gesteckt? Warum bist du nicht zurückgekommen? Warum hast du dich nicht finden lassen? Ich habe dich so vermisst.“ Ich nickte leicht. „Ja. Ich hab dich auch sehr vermisst. Ich bin nicht gekommen, weil Sill sagte, du wärst mit sechzehn ausgerissen, da wollte ich nicht wieder zurück…du weißt doch…ich kam bloß deshalb in diese Gegend wegen dir…ich wollte mich nicht finden lassen. Ich wollte nicht, dass du mich so siehst. High bis zum geht nicht mehr, halb Tod vor Schlaf- und Essmangel…ich wollte nicht, dass du siehst, wie weit dein Bruder gesunken ist. Und ich wollte, dass du schnell wieder zurückgehst…nicht weiter nach mir suchst…es genießt, solange du hier noch bleiben kannst.“ „Joey…ich habe dich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Es wäre mir egal gewesen, wie du aussiehst. Ich wollte dich wieder zurückhaben. Ich dachte wirklich du wärst Tod.“ „Und ich hatte gehofft, du wärest endlich abgekratzt. Was willst du hier?“ erklang plötzlich eine kalte, schneidende Stimme hinter mir. Langsam drehte ich mich um, sah in die zornigen, eisblauen Augen meiner Mutter. Ich erkannte nur Abscheu darin, Abscheu, Zorn und Hass. Ich biss die Zähne zusammen, ließ meinen Bruder los und ging ihr ein paar Schritte entgegen. „Schön, dass du mich so freundlich begrüßt, Mutter. Ich freue mich auch sehr dich wieder zusehen.“ Meine Stimme strotzte nur so vor Hohn. Ihre Augen blitzten bei meinen Worten. „Sag schon, was du hier willst. Nen Job? Nee. So siehst du nicht aus. Was ist mit dir passiert, werter Sohn? Du siehst ja schon fast normal aus.“ Die Art, wie sie „Sohn“ ausspie, klang so schrecklich, dass es mir dabei eiskalt den Rücken runter lief. „Nein. Ich bin hier, weil ich Rick gesucht habe. Keine Sorge, ich wollte dich in etwa genauso gerne sehen, wie du mich. Du brauchst keine Angst zu haben. Dein „werter Sohn“ wird nicht lange bleiben und dich mit seiner Anwesenheit quälen.“ Zornig spuckte sie aus, setzte sich in Bewegung und ging mit schnellen Schritten an mir vorbei zur Tür. „Sill! Rein ins Haus. Sofort. Rick, du ebenfalls!!!“ Sill ging brav zurück in den kleinen Wohnwagen, lächelte mir nochmals kurz zu und war verschwunden. Doch Rick bewegte sich keinen Zentimeter. Er sah ihr trotzig entgegen, schüttelte mit dem Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, Mum. Ich bin volljährig. Ich lasse mir den Umgang mit meinem Bruder nicht verbieten. Im gegensatz zu dir liebe ich nämlich deinen Sohn.“ Sie wurde rot vor Zorn. „Du gehst sofort rein! Wenn nicht kannst du gerne für immer draußen bleiben. Entweder du tust was ich sage, oder ich setze ich vor die Tür! Wenn dir dieser Abschaum mehr bedeutet als deine Familie, kannst du dich gerne ihnen anschließen!“ „Du kannst mir drohen wie viel du willst! Ich scheiß drauf was du dazu zu sagen hast.“ Etwas verwirrt sah sie ihn an. Damit hatte sie scheinbar nicht gerechnet. Auch ich sah meinen Bruder verwirrt an. Seit wann war er so rebellisch? Und was hatte er vor? In meine Fußstapfen treten? Mein Blick wanderte zu Sam, der die Situation mit Interesse und Abscheu verfolgt hatte. Der Blick, den er meiner Mutter zuwarf sprach bände. Er hielt nichts von ihr. Absolut nichts! Als er meinen Blick spürte wandten sich seine Augen zu mir. Ich zog eine Augenbraue hoch, nickte leicht zu meinem Bruder und sah ihn fragend an. Er lächelte. Nickte leicht und ich drehte mich zu meiner Mum um. „Weißt du Mutter, du hast nichts! Nichts was ihn hält! Wenn du ihn rausschmeißen willst, tu es.“ „Klar habe ich etwas in der Hand. Wo soll er sonst hin? Er hat hier niemanden. Außer einen beschissenen, heruntergekommenen Abschaum von Bruder, der selbst auf der Straße lebt. Er hat keine Möglichkeiten. Und das weiß er.“ „Du liegst falsch. Der beschissene, heruntergekommene Abschaum von Bruder, lebt nicht auf der Straße. Er hat einen Freund, der ihm hilft. Und dieser Freund würde auch Rick helfen, wenn er sich das wünscht.“ „Pff...macht doch was ihr wollt.“ Mit diesen Worten verschwand sie im Wohnwagen, die zwei Kästen folgten ihr. Rick sah mich verwundert an. „Wie meinst du das? Hilft mir auch? Wer?“ Ich lächelte leicht. „Er!“ sagte ich leise und deutete auf Sam, der etwas unbeholfen grinsend neben mir stand und nickte. „Wer bist du?“ fragte Rick etwas verwirrt. Er hatte wohl nicht wirklich registriert, dass Sam die ganze zeit über neben mir gestanden war. „Ich bin Sam. Freut mich.“ Sagte mein Lebensretter und streckte meinem Bruder die Hand hin. „Ist die Drohung ernst zu nehmen?“ „Ja…wahrscheinlich. Wenn ich in den nächsten Minuten nicht reingehe, wird sie mich wohl rausschmeißen. Doch wen interessiert das? Ich werde schon einen Weg finden. Ich wollte eh schon lange hier raus. Und jetzt, da ich eine Ausbildung angefangen habe, verdiene ich genug, um mir ein Zimmer zu nehmen.“ „Ist dir das ernst? Ich könnte dir helfen. Wenn du das möchtest.“ „Öhm…ja…es ist mir ernst. Ich bin bisher nur geblieben, weil ich in dieser verflixten Stadt keine Unterbringung finde.“ „Dann wird Sam dir helfen können. Du kannst ihm vertrauen. Er war bisher das beste, was mir in meinem Leben passiert ist.“ Ich lächelte ihn an. Schließlich brachte Rick ebenfalls ein zögerndes Lächeln zustande. „Lasst uns Kaffeetrinken gehen, Leute. Diese Gegend hier und vor allem die Gesellschaft bereiten mir kein gutes Gefühl.“ Schlug Sam vor. Ich nickte, streckte meinen Bruder eine Hand aus und dieser ergriff sie sofort. Ich zog ihn mit zum Auto, wir setzten uns nach hinten, Sam stieg ein, und wir fuhren los. In dem Cafe war es nicht sonderlich überfüllt. Es war ein kleines, freundlich eingerichtetes Lokal, in dem man in Ruhe einen Kaffee trinken und einen Kuchen essen konnte. Die Bedienung brauchte nicht lange mit unserer Bestellung. Schon zehn Minuten später, nachdem wir das Cafe betreten hatten, brachte sie uns Kuchen und Kaffee. Wir saßen am Fenster, und Rick und ich redeten ein bisschen. Ich erzählte ihm knapp, wie ich Sam kennengelernt hatte. Über den Aufenthalt in der Klinik sagte ich nicht viel. Nur das es schrecklich gewesen war, und ich dank Sam früher entlassen wurde. Rick hörte aufmerksam zu und unterbrach mich nicht. Er schien einfach nur froh zu sein, mich endlich Wieder gesehen zu haben. „Was für eine Ausbildung hast du begonnen?“ fragte ich Rick schließlich nach einer kurzen Redepause. „Krankenpfleger. Dieses Jahr.“ Etwas erstaunt sah ich ihn an. „Wow. Wirklich? Ich wusste nicht, dass du dich für so etwas interessierst.“ „Ja…ich weiß es ist ungewöhnlich, vor allem da ich ja keinerlei Vorkenntnisse habe, doch ich finde diesen Beruf wirklich sehr schön. Ich wollte schon immer etwas Soziales machen, das weißt du doch.“ Er zwinkerte mir zu und ich nickte. „Ja. Stimmt. Wir haben früher immer darüber geredet. Doch ich dachte, du hättest diese Idee wieder verworfen.“ „Nein…ich wusste nur noch nicht in welchen Bereich ich gehen soll. Doch ich denke Pflege liegt mir ganz gut. Ich helfe gerne auf diese Art. Was ist mit dir?“ Ich wurde rot und wandte den Blick ab. Meine Idee war mir peinlich. Wirklich peinlich. „Sag schon, Joey. Ich sehe dir doch an, dass du schon etwas Bestimmtes im Sinn hast.“ Rick grinste über das ganze Gesicht. Schließlich nickte ich. „Ja…doch…es ist verrückt. Und nur so eine Idee gewesen…“ „Sag schon, Kleiner!“ Sam schubste mich leicht und schließlich nickte ich. „Also…öhm…ja, ich weiß es klingt blöd…doch…na ja…ich habe überlegt eventuell in deine Richtung zu gehen, Sam.“ Etwas verwirrt sah Rick uns an. „Das heißt?“ fragte er und zog eine Augenbraue hoch. „Na ja…ich hatte mir überlegt nicht in der Polizeischule nachzufragen…doch das ist momentan noch etwas schwierig. Ich bin nicht sportlich genug und zu dünn.“ Kurz sah ich die anderen an und wandte meinen Blick schnell wieder weg. Es war mir peinlich. Denn ich wusste ja, dass ich mit Sicherheit keine Chance hatte, dort angenommen zu werden. Sam lachte leise. Es hörte sich nicht so an, als würde er mich auslachen, und ich sah ihn fragend an. „Warum lachst du?“ „Weil ich es schön finde. Ich wusste gar nicht, dass du dich dafür interessierst.“ „Na ja…ich fand es eigentlich schon lange sehr beeindruckend. Und nach der Aktion auf dem Dach…ich habe gespürt, dass ich gerne in diese Richtung gehen würde.“ „Das ist schön! Wirklich. Ich finde das Klasse. Ja…ich denke das würde sogar zu dir passen. Aber du hast recht…momentan ist es schwierig. Du musst dich erst wieder richtig erholen. Doch mit ein bisschen mehr Fastfood und viel Sport, denke ich kriegen wir das hin.“ Verstohlen lächelte ich in mich hinein. Ich fühlte mich richtig wohl, bei dem Gedanken, dass mein Lebensretter so zuversichtlich war. Und sich auch so freute. „Okay.“ Sagte ich leise. Er zwinkerte leicht und grinste mich breit an. „Dann ist es abgemacht. Ab morgen beginnt dein Training. Abendessen gibt’s bei McDonalds.“ Ich nickte leicht und wandte mich wieder meinem Bruder zu. „Wie denkst du, geht es jetzt weiter?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht könnte ich für ein paar Tage bei euch unterkommen?“ Fragend sah er zu Sam. Dieser nickte lächelnd und fuhr mir kurz über den Kopf. „Wenn der hier ein bisschen Platz macht, bekommen wir dich sicher noch unter. Außer du hast ein Problem damit, zu dritt in einem Doppelbett zu schlafen. Und dann auch noch mit zwei ausgewachsenen Männern.“ Rick lachte leise. „Naja, da der eine ja mein Bruder ist, denke ich habe ich kein Problem damit. Aber wehe du gehst mir an die Wäsche, du Homo!“ Er grinste breit und Sam sah ihn überrascht an. „Wie?“ „Na, du bist doch einer. Komm schon, ich habs gleich gemerkt. Brauchst es nicht abzustreiten, habe kein Problem damit.“ Sam nickte etwas überrumpelt. „Ja…du hast Recht. Ich bin Schwul. Aber keine Sorge. So Hämpflinge wie dich interessieren mich nicht. Ich steh eher auf den starken Typ.“ Etwas verwundert sah ich meinen Mitbewohner an. Stimmte das? Es verwunderte mich…und irgendwie versetzte es mir einen leichten Stich. Eigenartig…warum störte es mich so? Wir redeten noch ein bisschen, lachten viel zusammen und machten uns erst spät auf den Weg. Schließlich bezahlte Sam für uns drei, und wir fuhren mit dem Auto noch schnell am Mc Donalds vorbei, um uns ein paar Burger und Pommes zu holen. Schwer bepackt mit den Rot-Weißen Tüten fuhren wir zurück zu seiner Wohnung. Rick sah sich neugierig um, als wir die Tür passierten, blieb sofort an den Bildern hängen und fragte schließlich: „Ist das dein Sohn?“ Sam der gerade einen Schluck aus seiner Cola getrunken hatte, hätte die braune Flüssigkeit fast wieder ausgespuckt! Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, klopfte meinem Lebensretter helfend auf den Rücken, der sich schier die Seele aus dem Leib hustete und grinste meinen Bruder an. „Nein. Das ist er. Als kleiner Junge.“ „Und der Mann? Dein Freund.“ Sam schüttelte immer noch hustend den Kopf. Ich wollte schon antworten, doch mein Mitbewohner hatte sich scheinbar wieder unter Kontrolle und konnte selbst antworten. „Nein. Mein kleiner Bruder. Ungefähr in Joeys alter. Apropos Brüder…sicher dass ihr keine Zwillinge seit?“ Er zog eine Augenbraue hoch und sah uns prüfend an. Rick und ich blickten uns kurz in die Augen und schüttelten dann Lachend mit dem Kopf. Ich legte meinem kleinen Bruder einen Arm um die Schultern und erklärte: „Rick und ich sind uns sehr ähnlich! Tatsächlich scheint es so, als wären wir Zwillinge, weil uns das gleiche, tiefe Band verbindet. Wir können regelrecht die Empfindnisse des anderen spüren, selbst wenn uns eine große Entfernung voneinander trennt.“ Mein kleiner Bruder nickte grinsend und legte mir ebenfalls einen Arm um den Oberkörper. Arm in Arm führte ich ihn kurz durch die Wohnung, zeigte ihm das Bad und das Schlafzimmer und stellte ihm Mike vor, der sofort Feuer und Flamme für seinen neuen Freund und Mitbewohner war. Sam sah die beiden verwundert an. Seelenverwandtschaft? Innerlich spürte Sam einen leichten Stich. War es Eifersucht? Er schüttelte störrisch mit dem Kopf. Eifersucht…nein…ganz bestimmt nicht. Das würde ja bedeuten, er empfände mehr für seinen Mitbewohner und Schützling, als er bereit war zuzugeben. Nein! Das konnte einfach nicht sein. Er hatte heute ja selbst zugegeben, dass er eher auf den Starken Typ stand. Und Joey war eher einer, den man beschützen musste. Doch irgendwie…hatte er das eigenartige Gefühl, dass er doch schon mehr in seinem Mitbewohner sah, als eigentlich erlaubt... Kapitel 8: What´s Happen With My Feelings? ------------------------------------------ Kapitel 8: What´s Happen With My Feelings? Lachend sah ich meinem Bruder dabei zu, wie er sich mit Mike beschäftigte. Mike schien seinen neuen Mitbewohner sofort ins Herz geschlossen zu haben. Was er auch gleich mit einem leichten Kratzer auf Ricks Unterarm quittierte. Schließlich rief Sam uns zu sich, um ihm die Burger abzunehmen. Wir setzten uns alle auf die Couch im Wohnzimmer. Nach dem Essen redeten wir noch ein bisschen. Dann meldete ich mich ab und legte mich ins Bett. Ich legte mich in die Mitte, da ich ja beide schon kannte und somit meinem Bruder ersparen wollte, eventuell von meinem Lebensretter angefallen zu werden, wobei ich eigentlich bezweifelte, dass dieser so etwas tun würde. Sam wirkte doch eher sehr brav. Es dauerte nicht lange, bis mein Bruder ebenfalls ins Zimmer schlich. Er zog sich seine Jeans und sein Hemd aus und krabbelte langsam zu mir ins Bett. „Joey? Schläfst du schon?“ fragte er leise. „Nein.“ Antwortete ich kopfschüttelnd, ebenfalls flüsternd. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihm im fahlen Mondlicht in die Augen. Er sah unsicher aus. „Alles okay?“ fragte ich und fuhr ihm kurz über den Kopf. Er nickte. Lächelte. Schließlich rückte er etwas näher. „Darf ich?“ fragte er etwas unbeholfen. „Klar.“ Ich streckte meinen Arm aus und er legte sich an meine Seite, kuschelte sich in meinen Arm und schloss seufzend die Augen. „Ich bin froh dich wiederzuhaben, Jo…“ „Ja..“ entgegnete ich ohne wirklich zu wissen was ich sagen sollte. Rick nickte leicht, schloss die Augen und entspannte sich. Schließlich schlief er ein. Ich schloss ebenfalls die Augen und versuchte einzuschlafen. Doch irgendwie hingen meine Gedanken nur noch bei Sam…bei Sam und seinem Spruch...von wegen „Stärkerer Typ“. Immer noch konnte ich nicht aufhören daran zu denken. Immer noch fühlte ich diesen unangenehmen Stich in meinem Inneren. Was war nur los mit mir? Als Sam einige Stunden später ins Schlafzimmer schlich sah er verwundert auf das Bild dass sich ihm bot. Rick lag in Joeys Arm, hatte eine Hand auf der Brust seines größeren Bruders liegen. Lächelnd zog Sam sich aus, und legte sich neben die beiden. Lange beobachtete er noch die beiden Brüder. Zwanghaft musste er sich davon abhalten, nicht ebenfalls einen Arm um seinen kleinen Schützling zu legen. Immer wieder war er kurz davor ihn zu berühren, sich den beiden zu nähern. Doch er hatte eher das Gefühl das es störend sein könnte. Plötzlich regte sich Joey leicht, und drehte sich auf die andere Seite. Seine Hand tastete nach Sam, schlang sich um dessen Bauch und kuschelte sich an seine Seite. Etwas erschrocken musterte Sam seinen Mitbewohner. Doch alle Anzeichen sprachen dafür, dass er schlief. Es schien so als hätte sich Joey automatisch zu ihm umgedreht. Verwirrt schüttelte er leicht mit dem Kopf und stellte erstaunt fest, das sein Herz klopfte wie verrückt. Was war nur los zur Zeit? Leise seufzend regte sich Sam etwas unter der Umarmung. Er machte es sich bequemer, zog die Decke über seinen Mitbewohner und dessen Bruder etwas fester und schloss dann die Augen. Es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen. Als ich am nächsten Morgen erwachte kuschelte ich mich automatisch näher an den warmen, angenehm riechenden Körper neben mir. Es dauerte eine weile, bis mir wieder bewusst wurde, das der Geruch, der von meiner Wärmequelle ausging zum wiederholten male nicht der meines Bruders war. Trotzdem machte ich keine Anstalten mich von ihm zu lösen. Stattdessen seufzte ich leise und vergrub mein Gesicht in Sams Armbeuge. Er roch so gut. Und er war so schön warm. Schließlich schlummerte ich wieder ein. Rick sah lächelnd auf seinen älteren Bruder. Insgeheim hatte Rick schon mit so etwas gerechnet. Auch wenn sein Bruder es nicht zugab, empfand er doch schon ein bisschen mehr als freundschaftliche Zuneigung. Er schmunzelte leise als Joey noch näher an den Älteren heranrückte und leise seufzte. Schließlich öffnete Sam verschlafen die Augen. Was er sah ließ ihn leicht lächeln. Joey hatte sich immer noch nicht von ihm gelöst. Als er aufsah entdeckte er Rick, der ebenfalls leicht lächelte und ihm mit einer leichten Andeutung Richtung Joey vielsagend zuzwinkerte. Sam schüttelte mit dem Kopf. Rick zuckte nur mit den Schultern und stand dann langsam auf, darauf bedacht seinen Bruder nicht zu wecken. Sam blieb noch liegen, sah auf seinen Mitbewohner herunter und traute sich nach langem zögern endlich, diesem kurz durchs Haar zu streichen. Als ich zum zweiten mal an diesem Morgen die Augen öffnen wollte spürte ich eine sanfte Berührung im Gesicht. Sam fuhr mir zärtlich über die Wange und strich mir immer noch mein etwas längeres Haar aus dem Gesicht. Schließlich hob ich meinen Blick und sah ihm kurz in die Augen. Er schenkte mir ein schüchternes Lächeln. Etwas unsicher erwiderte ich es. „Entschuldige.“ Sagte ich leise und löste mich von ihm. Ich zog mich etwas zurück und sah ihm dabei immer noch in die Augen. Ich bildete mir ein, etwas wie Enttäuschung darin zu sehen, doch ich hätte es mir auch nur einbilden können. Sam lächelte erneut und stand dann schließlich auf um im Wohnzimmer nach dem rechten zu sehen. Als er aus dem Zimmer verschwunden war, atmete ich erleichtert auf und drehte mich auf die andere Seite. Mein Bruder schien schon aufgestanden zu sein. Vielleicht war er der Verursacher des leisen Lärmes im Nebenzimmer. Nach endlosen Minuten die ich allein in dem Bett genoss setzte ich mich schließlich auf um mir etwas anzuziehen. Ich entschied mich für die abgerissene Jeans, das blaue Shirt und ein Hemd meines Mitbewohners. Dann ging ich ins Wohnzimmer begrüßte meinen Bruder, indem ich ihm lächelnd über den Kopf fuhr und half Sam beim Frühstück machen. Die Kuschelgeschichte erwähnte keiner von uns mit nur einem Wort. Am Nachmittag begann Sam mit seiner ersten Trainingsstunde. Er schmiss mir eine Sporthose zu und suchte mir Turnschuhe aus dem Schrank. „Also los. Auf geht’s.“ sagte er und lachte, als er mein etwas ungläubiges Gesicht sah. Dann suchte er sich ebenfalls etwas passendes zum Anziehen und schlüpfte aus seiner Jeans. Langsam zog ich mich um, schlüpfte in die Schuhe und band sie fest zu. Gut, das wir halbwegs die gleiche Schuhgröße hatten. Als wir fertig waren, ging Sam zurück ins Wohnzimmer, erklärte meinem Bruder kurz, was er vorhatte und winkte mich dann zu ihm. „Gehen wir Joggen. Joggen ist nie verkehrt.“ „du weißt schon, das ich als ehemaliger Drogensüchtiger die Kondition einer schrumpeligen, alten, gehbehinderten Oma habe, oder?“ „Ja, klar. Aller anfang ist schwer, süßer.“ Er zwinkerte mir zu, hob die Hand, Richtung Rick, zum Abschied und zog mich mit raus. Unten angekommen fing er sofort mit einem schnelleren Laufschritt an und gebot mir, das gleiche zu tun. Resignierend seufzend folgte ich ihm, und kam der Aufforderung nach. Nach wenigen Minuten fing ich schon an zu keuchen. Joggen war noch nie mein Ding gewesen. Ewige Rennerei um den Block. Wie ich es hasste. Trotzdem versuchte ich, noch ein paar Kraftreserven in mir zu mobilisieren und hielt das Tempo, das mein Mitbewohner mir vorgab. „Na also, du machst das doch schon ganz gut.“ Meinte Sam lachend und beschleunigte seine Schritte. Stöhnend versuchte ich weiterhin mit ihm Schritt zu halten. „Mach langsamer…ich verreck sonst!“ knurrte ich schließlich, doch Sam lachte nur und änderte die Richtung. Ich erkannte am Ende der Straße ein paar Bäume und nahm an, dass er mit mir in einen Park wollte. Tatsächlich stellten sich die Bäume als Bestandteil eines kleinen Parks heraus, in dessen Mitte ein kleiner, grüner See glitzerte. Stöhnend keuchte ich meinem Mitbewohner hinterher. Zehn Minuten waren mir vollkommen ausreichend, an sportlicher Betätigung. „Pause!“ jammerte ich schließlich und wurde langsamer. „Komm schon, Jo. Ein paar Meter schaffst du noch.“ Ich verdrehte die Augen und versuchte meine Schritte wieder zu beschleunigen. Fünf Minuten später ließ er endlich von mir ab. Ich setzte, oder besser gesagt, schmiss, mich auf eine Bank und lehnte meinen Kopf zurück in den Nacken. „Ich dachte schon du willst mich umbringen.“ „Nein. Nur ein bisschen fordern. Wie du siehst, hast du die fünf Minuten noch gut überstanden.“ „Naja, ich denke, „gut“ ist relativ.“ Keuchte ich und schloss die Augen. „Wir müssen noch viel an dir Arbeiten, Jo, ich seh schon.“ Etwas verwundert sah ich ihn an. „Du nennst mich nun schon zum zweiten Mal Jo. Wie kommts?“ Er lächelte leicht. „Passt besser zu dir.“ Sagte er leise und wandte den Blick ab, zu dem kleinen See. Ein paar Schwäne schwammen darauf, streckten ihr Gefieder und zeigten uns ihren Anmut. „…sag mal, Sam…hast du das gestern eigentlich ernst gemeint?“ fragte ich schließlich leise, nach einer kurzen Schweigeminute. Verwirrt sah er mich an. „Was meinst du?“ „Das du eher auf den kräftigeren Typ stehst…“ Sam lächelte leicht und zuckte mit den Schultern. „Bisher war es mal so.“ gab er dann nachdenklich zur Antwort. Ich grinste ihn an. „Bisher?“ fragte ich nach und zwinkerte. Er zuckte erneut mit den Schultern. „Tja…was nicht is, kann ja noch werden. Ich will mich nicht festlegen.“ Ich lachte leise und schüttelte gleichzeitig mit dem Kopf. „Du bist schon ein komischer Kerl.“ Ich spürte einen Ellenbogen in der Seite und zuckte immer noch lachend leicht zusammen. „Gleichfalls.“ Gab Sam zurück und wandte sich dann wieder dem seichten Wasser zu. Lange saßen wir noch so da. Keiner sagte ein Wort, wie durch ein stilles Einverständnis, saßen wir schweigend vor dem kleinen See und sahen zum Wasser. Es war schön, einfach so mit ihm da zu sitzen. Ohne viel zu reden, ohne viel zu tun. Ich genoss seine Anwesenheit. Es war beruhigend, angenehm, ihn neben mir zu spüren. Unsere Arme berührten sich leicht, ich konnte seine Wärme durch den leichten Pullover spüren, den er trug. Nach einer Ewigkeit, wie es mir schien, wandte er den Blick schließlich ab und sah mich an. „Lass uns gehen.“ Sagte er leise und stand auf. Ich nickte und erhob mich ebenfalls. Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Scheiße…ich war auch gar nichts gewöhnt. „Also los.“ Meinte Sam grinsend und verfiel wieder in einen leichten Trab. Stöhnend setzte ich mich in Bewegung und suchte meinen Rhythmus. Daheim angekommen sperrte ich mich erst mal keuchend ins Bad ein, schälte mich aus meinen Klamotten und stellte mich unter die Dusche. Heißes Wasser lief mir über den Nacken und ich seufzte wohlig auf. Es gab nichts schöneres als eine heiße Dusche nach einem solchen Dauerlauf. Die nächsten Tage waren für mich auf der einen Seite sehr anstrengend, auf der anderen beruhigend und wohltuend. Die Anwesenheit meines Bruders tat mir gut, doch irgendwie war es nicht mehr das gleiche wie früher. Obwohl wir schon immer einen total guten Draht zueinander gehabt hatten, erwischte ich mich immer wieder dabei, wie es mich mehr zu Sam zog als zu Rick. Wirklich erklären konnte ich es nicht. Irgendwie hatte Sam etwas in mir ausgelöst, das mich richtiggehend abhängig von ihm machte. Doch war das so gut? War diese Abhängigkeit wirklich gut für mich? Ich wusste, dass ich ohne ihn nie so weit gekommen wäre und ich wusste auch, dass ich ohne ihn niemals diesen großen Schritt aus der Drogenabhängigkeit geschafft hätte. Doch war der Wechsel von der einen, zur anderen Abhängigkeit nicht genauso schlecht? Ich hatte plötzlich das Gefühl keinen Schritt weiter gekommen zu sein. Als würde ich mich immer noch auf dem gleichen stand befinden, wie vor einigen Wochen. Und dieses Gefühl machte mir so sehr zu schaffen, dass mir regelrecht schlecht wurde wenn ich daran dachte…Was war ich nur für ein verkorkster Typ. Und seit wann war ich so melancholisch? Was war mit mir passiert? Ich war ein einziges Wrack. Hatte ich wirklich daran geglaubt, alles allein zu schaffen? Hatte ich wirklich auch nur eine Sekunde daran geglaubt, dass ich stark war? Momentan fühlte ich mich einfach nur schwach. Natürlich ging es mir hier total gut, auch wenn mir irgendwie etwas fehlte. Und dauernd hatte ich diese eine Idee im Kopf…was passiert wenn sich Sam für einen Mann interessierte? Der Gedanke machte mir Angst, wusste ich doch, dass meine Abhängigkeit zu ihm dann in die Brüche gehen würde. Aber vielleicht wäre das auch genau das richtige… Wann hatte das Angefangen? War es wegen dieser dummen Bemerkung, dass er eher auf den stärkeren Typ stehen würde? Hatte mich das so umgeworfen? Langsam fragte ich mich ob ich mir diese Abhängigkeit nicht nur einbildete und stattdessen etwas ganz anderes hinter dieser Sache stand. Vielleicht war ich einfach nur… Nein! Den Gedanken wollte ich erst mal nicht weiter ausführen. Denn wenn es so wäre, dann hätte ich ein scheiß Problem mehr am Hals. Verdammt! Kapitel 9: I´m with you! ------------------------ Kapitel 9: i´m with you! Tja, nun war es also so weit. Mein Bruder sah sich seine erste Wohnung an. Gerade machten Sam und Rick sich fertig. Und ich? Nun, ich hatte…Hausarrest. Und warum? Nun…einerseits wohl wegen meinem verplanten Versuch, Brötchen beim Becker zu holen. Irgendwie hatte ich es geschafft mich beinahe von einem Auto überfahren zu lassen, nach dem ich Plemplem ich wie war erst mal knallhart über rot stapfte… Die Konsequenz daraus: Die Brötchen holte in Zukunft nur noch Sam. Und die zweite Konsequenz war: Solange ich so neben mir stand hatte ich Ausgangssperre, zumindest dann, wenn niemand mich begleitete. Der zweite Grund, weshalb ich mich nicht fertig machen durfte: Mein Bruder wollte mich nicht dabei haben. Und warum? Weil ich zu Plemplem war. Er sagte etwas wie: „In deiner komischen Verfassung, die sich übrigens immer noch niemand erklären kann, da du ja deinen Mund nicht aufmachst, kannst du mir bei der Wohnungssuche eh nicht helfen, also bleib gefälligst zu Hause und fang endlich an, wieder du selbst zu sein!“ Ja es war hart. Aber er hatte ja Recht. Und deshalb…nahm ich es im auch nicht übel. Seit ich begonnen hatte über meine Abhängigkeit nachzudenken, sowohl die ehemalige Drogenabhängigkeit als auch die Abhängigkeit zu meinem Mitbewohner, bekam ich so relativ gesehen eigentlich gar nichts mehr auf die Reihe, außer Waschen, Anziehen, Nahrungsaufnahme. Doch auch da haperte es immer wieder und Sam zwang mich manchmal regelrecht dazu meine Aufmerksamkeit endlich dem Brötchen vor mir zuzuwenden und nicht dauernd nur verplant durch die Gegend zu starren und in Tagträumen oder komplizieren Gedankengängen zu weilen. Ja, es war nervig und ich konnte jeden verstehen der sich daran störte. Mich selbst störte das ja auch. Doch irgendwie kam ich nicht mehr davon los. Um die nächsten Stunden nicht vollkommen unproduktiv zu gestalten machte ich mich daran, unseren Kater zu füttern und mich selbst gleich mit. Das ich dabei gleich zwei mal einen Fehler entdeckte, versuchte ich gekonnt zu ignorieren. Wem fiel es schon auf, dass ich in den Wassernapf das Trockenfutter getan hatte…unserem Wollknäuel war das wohl egal. Und die Tatsache, dass ich erst den Käse und dann die Butter auf mein Brot tat, war ja an sich nicht lebensnotwendig Schrägstrich bedrohlich. Ja, ja. Ich war plemplem. Das war unübersehbar. Zwei Stunden später kamen Sam und Rick zurück. Fragend sah ich sie an, als sie hereinkamen. „Und?“ „Alles super gelaufen. Die zweite Wohnung war so genial, dass ich gleich vor Ort den Vertrag unterschrieben habe.“, strahlte mein Bruder mich an. Ich lächelte leicht und nickte. „Schön. Dann hoffen wir mal dass das alles so klappt wie wir uns das wünschen. Und wann kannst du einziehen?“ „Wann ich will. Morgen wollen Sam und ich ein paar Möbel kaufen. Dann kann ich dieses Wochenende schon mein eigenes Reich beziehen.“ Sam nickte ebenfalls lächelnd. „Auch wenn du dir ruhig noch zeit lassen kannst, wenn du das willst. Wir genießen deine Anwesenheit.“ Er schüttelte dankbar mit dem Kopf. „Nein ist schon okay. Das weiß ich zwar zu schätzen, doch ich freue mich schon darauf endlich auf eigenen Füßen zu stehen.“ Während die beiden sich noch ein bisschen über die Wohnung und den nächsten Tag unterhielten weilte ich schon wieder in meinen Tagträumen. Ich freute mich auch. Irgendwie. Und diese Feststellung brachte nicht nur weitere Gedanken sondern auch Gewissensbisse. Ich wollte meinen Bruder loswerden…das war…ungewöhnlich und auch ein Schock. Bis zum nächsten Tag hatte ich es geschafft mich so weit zusammen zu reißen, dass die beiden Jungen Männer bereit waren mich mitzunehmen. Möbelkauf, Juhu! Ich wusste zwar nicht was daran so spannend sein sollte, doch Sam und Rick freuten sich wie Schnitzel darauf und ich…war einfach nur froh mal für ein paar Stunden aus dem Haus zu kommen. Ein hoch auf meine Schauspielkunst. Denn in meinem Inneren hatte sich nicht viel verändert. Wenigstens glaubten die anderen wirklich, dass ich mich wieder mehr zusammenriss. In Wirklichkeit hatte ich lediglich begonnen die beiden während ihrer Gespräche zuzusehen statt nur in eine Ecke zu glotzen oder meine „Aufmerksamkeit“ dem Fenster zu widmen. Nachdem also Sam von der Arbeit wiederkam, zogen wir uns an und verließen gemeinsam das Haus. Diese Sonne strahlte in ihrer vollen Pracht und ich konnte es mir nicht verkneifen, für einen Moment stehen zu bleiben, die Augen zu schließen und einfach nur dieses herrliche Gefühl der Sonnenstrahlen auf meinen Gesicht zu genießen. Als Sam mich schließlich ungeduldig anstupste musste ich dieses Unterfangen allerdings leider wieder beenden. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur U-Bahn. Nach zirka zwanzig Minuten standen wir dem wohl größten Möbelhaus der ganzen Stadt gegenüber und ich fragte mich erneut, was an Möbelkauf so spannend sein sollte. Ich würde mir viel lieber irgendwo in einer ruhigen Gegend ein Dach suchen, mich dort hinlegen und gemütlich eine Rauchen… Eine Rauchen…puh es war nicht das erste Mal, dass ich, seit ich bei Sam wohnte, daran dachte mir ernsthaft einen dieser stinkenden Glühstängel anzuzünden. Schnell verdrängte ich meine durcheinander geratenen Gedanken und konzentrierte mich auf meine beiden Gefährten. Rick schien extrem aufgeregt, hibbelte nur noch herum und nervte mich damit augenblicklich. Und Sam war ganz damit beschäftigt sich den Angebotskatalog durchzusehen. Schließlich nickte er leicht, schlug den Katalog zu und winkte uns ihm zu folgen. Die erste Abteilung in die er uns schleppte waren die Küchen. Scheinbar gab es in der Wohnung, die sich die beiden angesehen hatten keine Einbauküche. Rick sah sich konzentriert um und blieb immer wieder stehen um sich ein interessantes Objekt näher anzuschauen. Ich folgte den beiden nur gemächlich. Küchen interessierten mich nicht. Ich fand es recht unwichtig wie eine Küche aussah, doch vielleicht lag das auch daran das ich noch nie in meinem ganzen Leben ernsthaft Möbelkaufen war, und vor allem hatte ich nie eine eigene Wohnung eingerichtet. Eine halbe Stunde später hatte sich Rick entschieden und einen der Verkäufer auf die Küche angesprochen. Währenddessen befand ich mich schon mal in der Esszimmerabteilung, in der so viele unendliche Tische und Stühle standen, dass ich schon längst den Überblick verloren hatte. Ich setzte mich auf einen der Stühle und stützte meinen Kopf auf meinem angewinkelten Arm ab. Kurze Zeit später entdeckte ich Sam, der schnurstracks auf mich zu kam, sich mir gegenüber setzte und leicht lächelte. „Na? Alles okay?“ Ich nickte und gähnte leicht. „Bin nur etwas müde. Möbelkauf ist nicht wirklich sonderlich spannend für mich.“ Sam lachte leise. „Ja, aber du musst versuchen deinen Bruder zu verstehen. Gönn ihm den Spaß.“ Ich zuckte mit den Schultern. Mir war es egal, ob er Spaß daran hatte oder nicht. Ich wollte eigentlich nur hier weg. Zumindest weg aus der Abteilung. Die vielen Tische machten mich ganz wirr. „Willst du einen Kaffee? Wir können uns ja kurz in die Cafeteria verdrücken.“ Schlug Sam vor. Gerade als ich einwilligen wollte, erscholl von links ein lautes Rufen: „Saaam! Kommst du mal bitte?“ rief Rick und zerstörte somit unsere Pläne. Sam lächelte entschuldigend und stand auf. „Tut mir leid. Verschieben wir es einfach auf später, okay?“ Ich nickte nur und sah ihm nach, wie er zu Rick zurücklief und sich sofort von ihm vollbrabbeln ließ. Resignierend seufzte ich auf. Ach… Irgendwie störte mich das. Rick nahm Sam so sehr in Anspruch, dass ich kaum noch etwas von ihm hatte. Allein unsere Trainingsstunden, die wir jeden zweiten Tag abhielten, boten mir die Möglichkeit etwas mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Doch diese Trainingsstunden brachten mir nicht wirklich die Gelegenheit, mal in Ruhe mit Sam zu sprechen. Dabei vermisste ich unsere Gespräche. Es gab so viel dass ich noch nicht von ihm wusste... Außerdem… Dachte ich dann nicht mehr dauernd an meinen abgebrochenen Entzug. Vielleicht wäre es besser gewesen diesen in einer Psychiatrischen Klinik zu beenden… Ich fühlte mich so gar nicht geheilt. Und erwischte mich öfters als dass ich es zugeben wollte, wie ich mich wieder den Drogen zurücksehnte. Nicht weil es mir so schlecht ging. Sondern einfach…weil mir das Gefühl alles zu vergessen und glücklich zu sein fehlte. Dieses Gefühl in einer anderen Welt zu leben. Als ich zirka eine Stunde später in einem weichen Wasserbett lag und die Arme hinter meinem Kopf verschränkte, dachte ich daran wie wohltuend es für mich sein würde, wenn Rick endlich in seiner eigenen Wohnung war. Ja, das war gemein, doch ehrlich gesagt hatte ich mich in den letzten zwei Stunden endlich damit abgefunden, dass ich mich darauf freute. Ich konnte es nicht leugnen. So auch nicht vor Sam. Dieser schmiss sich nämlich gerade in dem Moment zu mir aufs Wasserbett und stützte seinen Kopf auf dem seitlich abgestützten Arm auf. „Na Süßer? An was denkst du?“ fragte er und zwinkerte mir zu. Süßer? Hatte er mich gerade Süßer genannt? Stirnrunzelnd sah ich ihn an. Strikt in dem Moment schien ihm seine Anrede wohl auch bewusst zu werden, denn er wurde knallrot und sah kurz weg. „Also?“ fragte er um den peinlichen Moment zu überspielen. Ich seufzte leise und schloss die Augen. Gleichzeitig wandte ich den Kopf wieder zur Decke um meinem Unmut Ausdruck zu verleihen. „Das willst du gar nicht wissen.“ „Doch klar. Sag schon.“ Genervt sah ihn wieder auf. „Ich denke gerade wie toll ich es finde, wenn mein Bruder endlich in seiner eigenen Wohnung lebt und ich somit nicht dauernd seine Visage im Blickfeld habe. Zufrieden? Toll, oder?“ sagte ich verärgert und spürte wie erneut alle Kraft aus mir wich. Es war zum verrückt werden. Sam sah mich nur mit einem undefinierbaren Blick an und stand dann auf. „Komm.“, sagte er sanft und hielt mir seine Hand hin. Etwas verwundert griff ich nach dieser und ließ mir aufhelfen. Ohne weitere Worte zog er mir quer durch die ganze Halle, direkt zu den Aufzügen. Er betätigte den Knopf für das Erdgeschoss und prompt zehn Minuten später fand ich mich auf einem Stuhl sitzend und mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor mir wieder. Sam lächelte mich an, trank einen Schluck und fragte dann: „Was ist los in letzter Zeit? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen du bist Krank. Doch dafür machst du mir einen körperlich zu gesunden Eindruck. Also. Was beschäftigt dich so sehr?“ Ich seufzte erneut. Heute war eindeutig Seufz-Tag. „Ich kann es dir nicht erklären. Ich weiß selbst nicht was mit mir los ist.“ Das war glatt gelogen. Und das spürte auch Sam. „Jo, halt mich nicht für dämlich. Du weißt sehr wohl was mit dir los ist. Warum kannst du es mir nicht erklären?“ Ich schwieg. Schließlich setzte ich zu einem Erklärungsversuch an. Irgendwann musste ich wohl mal mit jemandem darüber reden. Also warum nicht Sam? Ich musste ja nicht die ganze Wahrheit sagen. „Ich denke darüber nach, ob es wohl besser gewesen wäre den Entzug zu beenden..“ „Warum?“ Sam wirkte erstaunt. „Weil ich das Gefühl habe, noch nicht bereit zu sein. Ich glaube ich bin für dieses Leben noch nicht bereit…Ich bin so unsicher, fühle mich manchmal so elend… Allein wenn ich daran denke, dass ich mir seit Tagen wünsche, Rick würde uns endlich wieder allein lassen. Die Fassade, die ich die ganze Zeit vor ihm aufrecht erhalten habe, bröckelt immer mehr. Ich bin nicht mehr der große, beschützende Bruder. Ich bin ein einziges Wrack, dass sich nur an eine einzige Hoffnung klammert: Nämlich dich.“ Der Polizist schwieg einen Moment. Ich seufzte und vergrub mein Gesicht in der Armbeuge meiner verschränkten Arme. Plötzlich spürte ich eine sanfte Berührung an meinem Kopf. Sam fuhr mir zart durchs Haar und ich hob den Kopf ein Stück um ihn anzusehen. Er lächelte leicht. „Warum glaubst du nicht einfach an dich? Du bist so ein starker Mensch. Hast es bis hierher geschafft und plötzlich spuken in deinem Kopf solche Gedanken herum? Du bist kein Wrack. Und du hast vielleicht das Gefühl überfordert zu sein, aber damit bist du doch nicht allein. Ich stehe voll und ganz hinter dir, egal um was es geht. Es ist nicht schlimm jemanden zu haben der einem hilft. Und ich helfe dir.“ Sanft wischte er mir die einzelne Träne weg, die sich einen Weg zu meinem Kinn bahnte. „Hey…ich lasse dich nicht im stich.“, flüsterte er leise und lächelte mich erneut aufmunternd an. Schließlich nickte ich. Sam stand auf, kam zu mir und zog mich ein eine Enge Umarmung. Seufzend lehnte ich mich gegen seine starke Brust und schloss die Augen. „Danke.“, murmelte ich und spürte augenblicklich wie eine schwere Last von meinen Schultern fiel. Das hatte gut getan. Ich hätte schon viel früher mit ihm reden sollen. ******************************************************************************** Danke fürs Lesen. Ich freue mich über ein Review Kapitel 10: An Old Friend ------------------------- Herzlich Willkommen bei Another Solution Kapitel 10. Schön das ein paar von euch hierher gefunden haben. :) Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und freue mich über Reviews Kapitel 10: An Old Friend Jetzt, da sie beide endlich miteinander gesprochen hatten fühlten sich sowohl Joey als auch Sam wesentlich beruhigter. Sam quittierte das auch gleich mit einer zweiten Umarmung, auf dem Weg zurück zu Rick, der schon sehnlichst auf Sams Urteil wartete. Dieser konnte sich jetzt allerdings noch weniger auf den Möbelkauf konzentrieren als vorher. Die ganze Sache mit Jo machte ihm ein bisschen zu schaffen. Er machte sich sorgen. Gleichzeitig war er beruhigt, dass er jetzt endlich wusste, was seinen Mitbewohner die ganze Zeit beschäftigt hatte. Ich suchte nach wie vor Sams Nähe und wich erst mal nicht mehr von seiner Seite während wir die restlichen Möbel für Rick aussuchten und kauften. Als Sam schließlich nach meiner Hand griff und sie leicht drückte ließ ich es geschehen. Niemand schenkte dieser Geste sonderlich viel Beachtung und mir war es egal ob uns andere für ein Pärchen hielten oder nicht. Ich fühlte mich ihm so verbunden, dass alles andere keine Rolle mehr spielte. Also erwiderte ich stattdessen den sanften Druck und lächelte Sam von der Seite her an. Er erwiderte das Lächeln wurde allerdings gleichzeitig ein bisschen Rot. Die ganze Zeit über fragte er sich, weshalb er nach Jos Hand gegriffen hatte. Vielleicht um ihm noch näher sein zu können? Er mochte es, Joey körperlich nah zu sein, hatte es genossen, wenn Jo sich nachts an ihn gekuschelt hatte. Ob das vielleicht an den langsam aufkeimenden Gefühlen lag, die er für Jo empfand? Ihm war längst klar, dass da mehr als pure Freundschaft war. Zwischen ihnen knisterte es. Schon seit Jo bei ihm lebte knisterte es. Und Sam hatte aufgegeben sich einzureden dass da nichts wäre. Er konnte es eh nicht mehr Rückgängig machen. Er war seinem Mitbewohner längst verfallen. Ein paar Tage später stand schließlich Ricks großes Ereignis an. Der Umzug. Ich war erleichtert, dass weder Rick noch Sam von mir verlangten diverse Möbel aufzubauen. Ich hatte noch nie Möbel aufgebaut. Warum auch. In meiner kleinen Wohnung, die ich eine Zeit lang besessen hatte, passte gerade mal ein Bett und ein Schreibtisch hinein, was beides netterweise von Vormieter vor Ort gelassen worden war. Ich hätte mir zu dem Zeitpunkt eh nichts leisten können. Ricks Küche hatte ein Fachmann schon einen Tag früher eingebaut, sodass hier eigentlich nur noch die kleine Sitzecke und das Geschirr fehlten. Und das Geschirr hatte ich spontan für meine Aufgabe auserkoren. Also spülte ich. Schon seit bestimmt einer halben Stunde. Währenddessen hörte ich vom Nebenzimmer ausgelassenes Gelächter, zwischen dem vielen Hämmern, Bohren und Ächzen, dass die beiden veranstalteten. Auch wenn ich froh war mir eine solch einfache Aufgabe heraussuchen zu können fühlte ich mich…. Einsam… Und das versuchte ich momentan verzweifelt in Spülwasser zu ertränken, was mir doch reichlich misslang. Irgendwann kam das Gelächter näher. Die beiden legten wohl eine Pause ein, denn kurze Zeit später tauchten schon zwei muntere Arbeitstierchen in der Küche auf und griffen nach einer Flasche Mineralwasser die auf der Arbeitsfläche stand. „Hey Jo, alles okay?“ fragte Sam munter und ich nickte abwesend. Das mulmige Gefühl, dass sich jetzt in mir breit machte zeugte vor allem von der Angst davor, dass die beiden das Gefühlscaos in meinem innern mitbekommen könnte. Gott…Joey du weißt auch nicht was du willst! Stellte ich fest und schüttelte leicht seufzend mit dem Kopf. „Hm?“, machte Rick fragend, während er von einem der Brötchen abbiss die wir mitgebracht hatten. „Nichts.“, erwiderte ich rau. Und spülte weiter. Nach einer Stunde war ich fertig mit meiner Aufgabe. Ich hatte gespült, abgetrocknet und alles fein säuberlich in die Schränke geräumt. Meine Hände fühlten sich eigenartig schrumpelig an. Und waren dadurch auch total empfindlich. Mittlerweile hatte ich sie schon zwei Mal mit Handcreme eingecremt und war gerade dabei das schmierige Zeug ein drittes Mal auf meinen Händen zu verteilen. Gelangweilt stand ich am Fenster und sah nach unten. Die Aussicht war klasse, dafür das Rick im dritten Stock und in der Innenstadt wohnte, hatte er trotzdem gerade die Front des Hauses erwischt, die Richtung Park zeigte. Die Grünfläche vor mir war verlockend. Sehr verlockend. Also zog ich mir schließlich den Pullover aus, den ich momentan trug und ging kurz ins Wohnzimmer. „Bin ne Runde laufen.“ Kündigte ich an und hob kurz die Hand zum Abschied. „Okay.“ Erwiderten die beiden wie aus einem Munde und sahen sich schmunzelnd an. Ohne darauf zu reagieren drehte ich mich um und ging zur Haustür um mal für eine halbe Stunde zu verschwinden. Als ich durch den kleinen Park joggte und gemächlich meine Runden drehte fühlte ich mich richtig frei. Und vor allem fühlte ich mich richtig wohl. Das sonnige, gemütliche Wetter und die Umgebung trugen ihren Teil dazu bei. Mittlerweile liebte ich das Laufen sehr. Ich hätte anfangs nie gedacht, dass ich so viel gefallen daran finden könnte, doch es glich mich aus, beseitigte die innere Unruhe, wenn auch nur für ein paar Stunden. Vor allem zeigte es auch jetzt schon langsam seine Wirkung. Ich hatte ein paar Kilo zugenommen, zwar nicht sonderlich viel, doch ich fühlte mich jetzt schon wohler. Mein Gesicht wirkte nicht mehr so eingefallen und kränklich, und meine Kondition wurde langsam besser. Ich lief zwar nicht sonderlich schnell doch eine gute dreiviertel Stunde konnte ich mittlerweile schon gut bewältigen ohne an einem Kollaps zu sterben. Es machte mir Spaß! Und ich war Sam sehr dankbar dafür, dass er mich bisher immer so erfolgreich getrieben hatte. Dadurch hatte er mir sehr geholfen, die erste Hürde zu bewältigen. Der Anfang war immer das schwierigste. Irgendwann nach zirka zwanzig Minuten legte ich eine Pause ein und verlangsamte mein Tempo. Ich ging ein paar Schritte um meinen Kreislauf nicht zu überfordern und wandte mich zu dem kleinen See, in der Mitte des Parks, den ich in den letzten Minuten schon zweimal erfolgreich umrundet hatte. Ich suchte mir eine gemütliche Stelle im Gras, setzte mich hin und genoss die Sonne die auf mein Gesicht herabstrahlte. Langsam ließ ich mich nach hinten sinken, schloss die Augen und lauschte meiner Umgebung. Wasser, dass kleine Wellen gegen das Ufer schlug, Vögel, die fröhlich zwitscherten, Menschen, die sich leise unterhielten, andere die laut lachten und ganz entfernt vernahm ich die typischen Geräusche einer Stadt. Autos, die um die Kurven fuhren, andere, die laut Hupten und ich bildete mir ein, sogar das Zuschlagen einer Tür und das Klingeln einer Fahrradklingel hören zu können. Nach einigen entspannenden Minuten setzte ich mich wieder auf, betrachtete das Wasser, das die Sonnenstrahlen reflektierte und fragte mich, wie Sam die Umgebung hier wohl gefallen würde. Schließlich stand ich auf und machte mich auf den Rückweg. Die anderen sollten sich ja keine Sorgen machen. Auch wenn ich bezweifelte, dass sie während meiner Abwesenheit auch nur einen Gedanken an mich verschwendeten. Auch wenn ich Rick liebte, diese Bindung, die dieser gerade zu Sam aufbaute machte mir… Angst? War es Angst? Oder machte sie mich einfach nur Eifersüchtig… Machte meine Eifersucht mir Angst? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur eins: Was auch immer es war, ich wollte nichts lieber, als es zu verdrängen, tief in meinem Inneren zu verstecken, sodass es weder weiterhin mein Herz belastete, noch so sehr wuchs, dass einem der beiden dieses Gefühl auffiel. Zurück an der Haustür von Rick blieb ich erst mal geschlagene fünf Minuten vor verschlossenen Türen stehen. Keiner machte mir auf. Ungeduldig drückte ich erneut auf die Klingel. Was war jetzt los? Plötzlich hörte ich ein Rufen. „Jo!“, kam es von hinten. Ich drehte mich genervt um. Ein Junger Mann, vielleicht ein wenig jünger als ich, kam direkt auf mich zu. Schlagartig erhellte sich mein Gesicht. „Dennis! Wow! Mit dir hatte ich jetzt gar nicht gerechnet.“, lachte ich und erwiderte die freundschaftliche Umarmung die von ihm ausging. „Gott, Jo. Es ist ewig her! Bestimmt anderthalb Monate! Was hast du getrieben in letzter Zeit?“ Schlagartig wich mir das Lächeln aus dem Gesicht. Stattdessen ließen meine Augen schmerz verlauten. Ich spürte Dennis´Blick und sah weg. Dann schüttelte ich den Kopf. „Ich glaube nicht, dass du das wissen willst!“ „Doch! Erzähl es mir. Aber vielleicht nicht hier, oder? Mitten auf der Straße redet es sich nicht sonderlich toll. Lass uns in das Cafè da drüben gehen.“ Er zeigte auf einen kleinen, gemütlich wirkenden Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Kurz überlegte ich noch, ob ich das wirklich wollte, überwand dann meine Scheu und nickte schließlich. „Okay.“ Zusammen überquerten wir die belebte Straße und gingen in das kleine Cafè. Wir setzten uns an einen Tisch, etwas Abseits von den anderen Gästen und bestellten zwei Cappuccino und jeweils ein Glas Wasser. Relativ schnell kamen wir zur Sache und ich erzählte ihm, was ich in den letzten Wochen erlebt hatte. Er hörte mir gespannt zu, nickte immer wieder und lächelte zwischendurch. Dennis war schon immer der Typ gewesen, der ein offenes Ohr für Jedermann hatte. Wahrscheinlich lag das einfach an seinem Wesen. Und trotz der Drogen, die er nahm und nebenbei an andere verhökerte, war er ein netter Typ. Er wirkte nicht so weggetreten wie manch anderer und war auch nicht wirklich süchtig nach dem harten Zeug. Und er hatte nie jemanden gezwungen ihm etwas abzunehmen. Weshalb ich ihm auch nach wie vor keinen Vorwurf daraus machen konnte, dass ich so lange Zeit abhängig war. Er hatte es mir zwar angeboten, aber mich nie gezwungen. Also war das ganz immer auf meinen Mist gewachsen. Sein Aussehen hatte sich in den fast zwei Monaten nur wenig verändert. Er hatte wie immer leicht verwuscheltes, dunkles Haar, seine Lederjacke an und zerschlissene Hosen. Seine Augen waren wie immer leicht gerötet, zeugten von seinem Drogenkonsum. „Das heißt, du bist jetzt clean?“, fragte er. Es klang verwundert, und gleichzeitig war ich mir sicher so etwas wie Respekt aus seinen Worten herauszuhören. Ich nickte leicht. „Ja. Ich hab es geschafft.“ Er lächelte leicht und zog eine Packung Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Fragend sah er mich an. „Du auch?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Erst mal nicht.“ Er zog an seiner Zigarette und blies genüsslich den Rauch aus seinen Lungen. „Und wo wohnst du jetzt?“ fragte er neugierig. „Bei dem Polizisten, der mich vom Dach geholt hat.“ Er nickte. „Nicht schlecht. Und wie lebt es sich so mit nem Bullen unter einem Dach?“ „Ganz gut. Ich bin zufrieden und kann mich nicht beklagen. Vor allem hilft er mir sehr durch den Halt, den er mir gibt. Außerdem habe ich jetzt endlich wieder ein Ziel.“ Er lächelte leicht und zog erneut an seiner Zigarette. Ich erinnerte mich an mein Bedürfnis, nach einer Zigarette von vor ein paar Tagen. Unruhig rutschte ich auf meinen Stuhl hin und her. Ob es so schlimm wäre jetzt einfach eine zu Rauchen? Ach scheiß drauf, dachte ich mir schließlich und nahm seine Schachtel, die er auf den Tisch gelegt hatte. „Also doch?“ fragte er grinsend. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Die letzte ist schon eine weile her, und irgendwie hab ich grad mal Lust darauf.“ Er nickte und reichte mir sein Feuerzeug. Ich zündete mir die Zigarette an und zog leicht an ihr. Es ging. Auch wenn es kurz in meinen Lungen kratzte. Nach zwei weiteren Zügen hatte ich mich schon wieder daran gewöhnt. Wir redeten noch ein bisschen und er erzählte mir von den anderen Jungs. Den meisten ging es gut. Patrick war momentan noch in Gewahrsam, weil er unter Drogeneinfluss in einem Kaufhaus andere Passanten angepöbelt hatte. Doch da er erst Achtzehn war, würde er wohl bald wieder rauskommen. Seine Eltern würden sich schon darum kümmern. Fred war wohl immer noch mit Carmen zusammen. Und Tim ging es wie immer. Schließlich bezahlten wir unsere Getränke und gingen. Dennis brachte mich noch bis zur Tür von Ricks Haus und verabschiedete sich lächelnd von mir. „Also dann, Süßer. Wir sehen uns.“ Meinte er und drückte mich fest an sich. Ich erwiderte die herzliche Umarmung gern. Dann machte er sich auf den Weg. Gerade als ich mich wieder zur Tür umdrehen wollte um erneut bei Rick zu klingeln bemerkte ich aus den Augenwinkeln zwei junge Männer die auf mich zukamen. Rick und Sam. Ich sah sie leicht irritiert an und Rick lächelte übers ganze Gesicht. „Joey! Du bist auch schon da. Wir haben grad Pause gemacht und haben uns einen Döner gegönnt.“ Ich nickte nur und warf Sam einen kurzen Blick zu. Dieser sah mich misstrauisch an. Fragend blickte ich zurück. “Was ist?“ fragte ich leicht genervt. „Wer war dieser Typ?“ entgegnete er ebenfalls leicht genervt. „Ein Freund. Von früher.“ Wortlos nickte er und sah dann weg. Was sollte dass denn? Überlegte ich leicht aufgebracht und verschränkte die Arme vor der Brust. Rick hatte währenddessen endlich den Schlüssel herausgekramt und öffnete die Tür. Schweigend traten wir ein. *************************************************************** So dann wäre das also auch geschafft, Kapitel 11 ist schon in Planung. :) Ich hoffe ihr fandet dieses Kapitel nicht allzu Langweilig, mir selbst hat es ehrlich gesagt nicht so richtig gefallen, aber irgendwie musste ich Dennis schon mal ein bisschen mit einbauen, da er in dieser Geschichte noch eine kleine, nicht unwichtige Nebenrolle spielen wird. Sams Eifersucht am Ende habe ich hoffentlich gut hinbekommen ^^ Das Jo während dem Umzug auch übelst war, war denke ich mal ersichtlich, seine Flucht kam ja nicht von nirgendwo Bis zum nächsten Teil Kapitel 11: Bad Situation ------------------------- Kapitel 11: Bad Situation „Du riechst nach Rauch. Hast du geraucht?“ fragte Sam gereizt. Ich sah ihn leicht verstimmt an. Was sollte das ganze denn jetzt? Warum machte er so einen Aufstand? Ich nickte leicht. „Was soll das? Ich dachte der Scheiß mit den Drogen wäre vorbei!“, regte er sich weiter auf. Wütend verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Reg dich mal wieder ab! Es war nur eine Zigarette verdammt!“, entgegnete ich aufgebracht. „Ja, nur eine Zigarette. Und was kommt als nächstes? Ein Joint?“ Verletzt sah ich ihn an. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Warum vertraute er mir so wenig? Hatte er nicht erst vor wenigen Tagen gesagt, ich solle stark sein und er würde an mich glauben? War das hier etwa das, was er unter Vertrauen verstand? Ohne weitere Worte drehte ich mich um und ging. Leck mich doch am Arsch! Dachte ich wütend und gleichzeitig verletzt und verschwand um die Ecke. Sofort verfiel ich wieder in leichten Trab. Jetzt brauchte ich erst mal Bewegung und einen freien Kopf. Rick sah Sam vorwurfsvoll an. „Was sollte das? Bist du jetzt völlig von Sinnen??“ fragte er ihn laut und schubste ihn leicht gegen die Schulter. Sam sah ihn verwirrt an. „Was..?“ „Hast du nen Knall? Weißt du überhaupt was du gerade zu ihm gesagt hast?“ Verständnislosigkeit war wohl das einzige, was Sams Blick enthielt. „Was hat das jetzt mit mir zu tun?“ entgegnete Sam und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er wirkte leicht nervös. „Du hast meinem Bruder gerade eben unterstellt, wieder ein Scheiß Junkie zu werden, nur weil er sich mal ne Zigarette angezündet hat. Du hast so eben jedes Vertrauen, das jemals zwischen euch herrschte, in Frage gestellt und ihn somit erstens: tief getroffen, zweitens: verletzt und drittens: verdammt noch mal vertrieben! Was denkst du eigentlich wer du bist?“ „Ich habe mir nur Sorgen gemacht!“ „Sorgen gemacht? Sorgen gemacht??? Kannst du dir nicht ohne Vorwürfe und beschissene Unterstellungen Sorgen machen? Verdammt, Sam. Steh nicht so blöd hier rum, geh ihm lieber nach!“ Sam zuckte leicht zusammen. Scheinbar erst jetzt machte es in seinem Kopf klick und er kapierte endlich, dass er es gerade ziemlich verbockt hatte. Ohne weitere Worte drehte er sich weg und lief Joey nach. Ich spürte wie mir die Tränen kamen. Verdammt, sei kein Schwächling, ging es mir durch den Kopf, während ich langsamer wurde und schließlich mit normalem Tempo auf eine Parkbank zusteuerte. Ich setzte mich hin, zog meine Beine an und stützte meine Ellenbogen auf die Knie. Dann vergrub ich mein Gesicht in meinem Händen und versuchte verzweifelt diese scheiß Tränen zurückzuhalten. Ich wollte nicht heulen, mir damit eingestehen wie schwach ich war, wie sehr mich Sams Worte verletzt hatten. Ich wollte mich nicht so fühlen. Wollte nicht, dass mich das so traf. Wie blauäugig konnte ein Mensch überhaupt sein? Hätte ich nicht schon längst mit so etwas rechnen sollen? War es nicht irgendwie von Anfang an klar, dass es nicht lange dauern würde, bis der nächste Mensch mich verletzte, mir weitere seelische Schmerzen zufügte, mich wieder tiefer in dieses schwarze Loch hinab zog, in dem ich mich schon seit Jahren befand? Was hatte ich erwartet? Doch nicht ernsthaft, dass Sam, mein unfreiwilliger Lebensretter, anders wäre als der Rest dieser verdammten Menschen die mich umgaben und mir wehtaten. Und mein Gott, ja! Es tat weh! Verdammt weh! Und das störte mich wohl am meisten. Ich wurde wütend! Wütend auf mich selbst, wütend auf Sam, wütend auf diese scheiß Situation, die ich ums verrecken nicht gewollt hatte. Ich wollte sie nicht! Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, wie ich so da saß, mein Gesicht zwischen den Händen vergraben, tief versunken in meiner verkorksten Gedankenwelt, die mich wie einen Strudel tiefer zog, tiefer an den Punkt, an den ich doch gar nicht wollte. Ich wollte mein Vertrauen doch eigentlich gar nicht aufgeben, wollte doch an jemanden festhalten können, wollte Sams Vertrauen. Vor allem wollte ich seine Zuneigung, seinen Glauben und seine Unterstützung. Die Wärme, Geborgenheit und…auch die Liebe die er ausstrahlte. Doch momentan hatte ich das Gefühl, immer mehr davon wegzudriften, mich wieder in mich selbst zu verschließen. Verdammt! Ich war ein einziges Wrack! Da konnte dieser Idiot sagen was er wollte! Irgendwann hörte ich Schritte die näher kamen, roch einen Duft der mir so bekannt war wie mein eigener und spürte wie sich dieser Mensch vorsichtig neben mich setzte. Ich sah nicht auf, versteckte mich weiter zwischen meinen Händen, wollte nicht das er die Tränenspuren sah, wollte nicht das er von meinem Gesicht ablesen konnte, was ich fühlte, dachte und mir wünschte. Er schwieg. Ich tat es ihm gleich. War gewillt aufzustehen, einfach weg zu gehen von diesem Ort, diesem Menschen und allem was dazu zählte. Doch ich blieb sitzen, spürte weiterhin seine Nähe, roch weiterhin seinen Duft und wünschte mir sehnlichst, dieses Chaos in meinem Inneren weit weg. Schließlich regte er sich endlich und entschuldigte sich leise bei mir. „Es tut mir Leid...“ Ich reagierte nicht darauf, wartete auf eine Erklärung, auf irgendwelche Worte die mir zeigten, dass er seine Worte nicht ernst gemeint hatte, sie nur das Produkt seiner eigenartigen Laune waren die er vorhin ausgestrahlt hatte. Ich hatte Glück… „Das was ich gesagt habe war großer Mist. Und ich könnte es verstehen wenn du mich jetzt erst mal nicht sehen willst, beziehungsweise mit mir reden willst. Ich weiß nicht was in mich gefahren ist, als ich diesen Scheiß von mir gegeben hab. Natürlich glaube ich an dich, natürlich vertraue ich dir…ich war wohl einfach…keine Ahnung, wahrscheinlich hatte ich einfach Angst. Zu viel Schiss vor dem Gedanken, dass du dich von diesem Typen runter ziehen lässt…“ Wieder reagierte ich äußerlich nicht darauf. Doch mein Innerstes beruhigte sich schlagartig, meine negativen Gedanken waren wie weggeblasen und zurück blieb nur noch die Erleichterung. Die Erleichterung darüber, dass es ihm Leid tat, und er mir weiter vertraute. Die Erleichterung darüber, dass es nur Angst gewesen war. Irgendwann spürte ich seine sanfte Hand, die mir leicht über den Kopf fuhr und mich schließlich an seinen Körper zog um mich in den Arm zu nehmen. „Es tut mir leid!“, flüsterte er erneut und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Ich entspannte mich, lockerte meine verkrampfte Haltung, nahm die Beine von der Bank und lehnte mich beruhigt an ihn. „Schon okay…“ gab ich leise zurück, schloss die Augen und genoss einfach nur das Gefühl dieser körperlichen Nähe, die er mir gab. ********************************************************************* So, hab das elfte Kapitel wie man sieht gleich hinten rangesetzt, da es nicht sonderlich lang geworden ist :) Aber ich war der Meinung das dieses Gespräch irgendwie einzeln dargestellt werden sollte, um auch die Wichtigkeit hervorzuheben. Einfach weiterzuschreiben kam mir blöd vor, also vielen Dank fürs Lesen und Danke für ein Review! Kapitel 12: I´m Worry About You ------------------------------- Kapitel 12: I´m Worry About You Es dauerte länger, als ich gedacht hätte. Am nächsten Tag herrschte immer noch eine eher bedrückte Stimmung zwischen Sam und mir. Wohl fühlte ich mich dabei gar nicht. Dieser Zustand veränderte sich nur sehr langsam. Tag für Tag wurde es etwas besser, doch ich hatte das Gefühl es zog sich ewig hin. Das Vertrauen kam nur langsam wieder. Seit dieser Zeit hatte ich weder Alkohol noch Zigaretten auch nur angesehen. Nur um keinen weiteren eskalierenden Streit heraufzubeschwören. Dazu kam, dass ich die meiste Zeit alleine war. Auf dem Revier meines Mitbewohners schien eine Grippeepidemie ausgebrochen zu sein. Es gab so viele Krankheitsfälle, dass schon Polizisten von außerhalb kommen mussten. Jedenfalls hatte es zur Folge, dass Sam teilweise zwei Schichten hintereinander arbeiten musste und somit erst spät abends nach Hause kam. Während dieser Zeit versuchte ich mich vor allem durchs Laufen von meinen düsteren Gedanken abzulenken, was auch sehr gut klappte. Mittlerweile lief ich jeden Tag meine halbe bis dreiviertel Stunde und genoss die Runden, die ich täglich drehte sehr. Auch wenn es anstrengend war, und mir eigentlich jeden Tag irgendeine Muskelpartie schmerzte, war mir das Laufen viel zu wichtig geworden um es jetzt wieder zu missen. Ansonsten verbrachte ich jetzt gerne wieder zeit mit meinem Bruder. Nach einem bedrückenden Abendessen mit Sam flüchtete ich mich meist zu Rick, der mich auch gerne bei sich aufnahm. Trotzdem fuhr ich jedes Mal nach ein paar Stunden wieder zurück, wollte ich doch nicht allzu lange von zu Hause fern bleiben. Denn auch wenn es momentan irgendwie alles etwas kompliziert war, wollte ich Sams nähe nicht missen. Irgendwann wurde es auch leichter. Nachts, wenn wir nebeneinander lagen und versuchten einzuschlafen, redeten wir ab und zu noch ein bisschen und kamen uns dabei auch immer wieder ein kleines Stückchen näher, bis wir aneinandergekuschelt einschliefen. Meist legte ich meinen Kopf in seine Armbeuge und er streichelte mir sanft durchs Haar. Erst dann war ich in der Lage beruhigt einzuschlafen. Eine Woche, nach Ricks Auszug, hatte sich unser Verhältnis wieder komplett normalisiert. Keuchend verlangsamte ich meine Schritte und blieb schließlich neben einer Parkbank stehen. „Pause!“, jammerte ich außer Atem und setzte mich hin. Lachend drehte Sam, der ein paar Schritte vor mir gelaufen war sich zu mir um und setzte sich dann neben mich. „Du bist besser geworden.“, erwähnte er und ich lächelte leicht. Der Schweiß rann mir übers Gesicht und ich wischte mir kurz mit meinem leicht feuchten T-Shirt über die Stirn. „Danke.“ „Und macht es dir langsam mehr Spaß?“ „Oh ja. Sehr sogar. Ich genieße es. Vor allem wenn kein Sklaventreiber neben mir her rennt und mich quält.“ Ich lachte leise und versuchte so die Ernsthaftigkeit meiner Worte herunterzuschrauben. Sam stimmte leicht in das Lachen mit ein. „Na irgendwer muss dich ja ein bisschen mehr fordern. Wenn ich nicht ab und zu mal mitlaufe, bleibst du ja immer in deinem langsamen Trott.“ „Ach. Das ist eben mein Rhythmus. Du bringst mich doch nur raus.“ Fies grinste ich ihn an. Er dotzte mir leicht gegen die Schulter und grinste zurück. „Eigentlich genießt du es doch, mich dabei zu haben, stimmts?“ „Ja, da hast du recht.“ Ich lächelte und schloss dann meine Augen um das gute Wetter zu genießen. Ich liebte den Sommer. Nach einer weile machten wir uns dann etwas gemütlicher auf den Rückweg. Auch weil der Park immer voller wurde. An einem Samstagvormittag war es ja noch machbar, eine Runde zu laufen, doch da es jetzt langsam auf Mittag zuging, wurde es immer dichter und schwerer passierbar. Für den Abend hatte Rick uns zum Abendessen eingeladen um uns als Dank für unsere Hilfe einmal richtig zu bekochen. Sam freute sich darüber wie ein Schnitzel, und ich sah der Sache momentan noch eher skeptisch entgegen. Hatte doch unser letztes gemeinsames Treffen zu diesem beschissenen Streit geführt. Außerdem hatte ich Angst, mich wieder zu verschließen…gerade jetzt, wo ich mich wieder etwas mehr öffnete, gegenüber meinem Mitbewohner, wollte ich es nicht unbedingt riskieren, alles wieder kaputt zu machen. Bevor wir nach Hause liefen, holten Sam und ich uns noch ein Eis, beim Eismann vor dem Parkausgang. Er Vanille-Schoko, und ich Melone-Banane. Immer wieder hielt er mir sein Eis vor die Nase und ich probierte und tat es ihm gleich. Nach dem Eis liefen wir zügig zurück zu unserer Wohnung, gingen nacheinander unter die Dusche und setzten uns noch für eine halbe Stunde vor den Fernseher. Während Sam Nachrichten sah, saß ich an seine Schulter gelehnt da, und döste vor mich hin. Kurz vor halb Sechs weckte er mich und wir machten uns fertig. Schnell fuhr ich mir mit dem Kamm noch mal durch die Haare, brachte sie dann gewohnheitsmäßig wieder total durcheinander und ließ dann Sam vorbei, der sich mit Axe voll sprühte und sein Gesicht nach Bartstoppeln absuchte. Ich grinste bloß, drehte mich weg und griff schon mal nach meiner Jacke um mich fertig anzuziehen. Dann beugte ich mich zu Mikey runter, fuhr ihm liebevoll über den Kopf und ließ mich von ihm genüsslich anschnurren. Lachend kraulte ich ihn hinter den Ohren. Ich liebte dieses Viech. Meine Angst war total unbegründet. Das Abendessen verlief super, das Essen schmeckte gut, die Stimmung war ausgelassen und Rick schien heute nicht ganz so auf Sam fixiert wie sonst. Scheinbar hatte er mittlerweile bemerkt, dass er sich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte… Oder er wollte einfach keinen Ärger? Ach was weiß ich! Hauptsache er nahm sich etwas mehr zusammen. Nach dem Essen spielten wir noch eine Runde Mensch Ärgere Dich Nicht, da es scheinbar das einzige Spiel war, dass Rick besaß. Mir war es egal, primitive Spiele machten mir nichts aus und es sah sogar so aus, als hätte ich heute mal etwas mehr Glück. Allgemein gesehen konnte ich mich an diesem Abend also wirklich nicht beklagen, er war ein voller Erfolg. Als Sam und ich uns um zirka halb Elf schließlich verabschiedeten waren sowohl er als auch ich noch total aufgedreht. „Was machen wir jetzt noch?“ fragte er grinsend und legte einen Arm um meine Schultern. „Weiß nicht. Heim will ich noch nicht!“ entgegnete ich und strahlte ihn an. Kurz drückte er mich fester an seine Seite, dann ließ er den Arm wieder fallen und schlug ein paar Aktivitäten vor. „Kino!“ „Nein…“ „Bar…“ „Zu langweilig.“ „Disco!“ Kurz überlegte ich… Disco…hm…ja, das war jetzt genau das richtige. Ich nickte zustimmend. „Ja das ist ne gute Idee.“ Er lächelte, griff nach meiner Hand und zog mich mit sich. Etwa zehn Minuten später ließ er sie plötzlich wie elektrisiert los. Ich wollte ihn schon fragend ansehen, als ich plötzlich jemanden laut meinen Namen rufen hörte. Suchend sah ich mich um. Dennis! Und er kam direkt auf uns zu. „Heey!“ rief er freudig zur Begrüßung und fiel mir um den Hals. „Hi.“ Entgegnete ich lächelnd und erwiderte die herzliche Umarmung. „Na, alles klar?“ „Ja, alles okay. Darf ich dir meinen Begleiter vorstellen? Das ist Sam!“ Dennis Augen leuchteten. „Freut mich dich kennen zu lernen. Hab schon einiges über dich gehört.“ Damit streckte er Sam grinsend seine Hand entgegen. Dieser zog irritiert seine Augenbraue hoch und sah mich kurz an. Dann nahm er zögernd und mit deutlichem Unwillen Dennis Hand und wandte sich dann leicht ab. Etwas verwirrt sah ich ihn kurz von der Seite her an und wandte mich dann wieder an Dennis. „Was treibst du?“ fragte ich und lächelte ihn an. „Ach…dies und das. Du weißt schon.“ Ich nickte vage. Anscheinend vertickte er gerade. Gegenüber Sam so etwas zu erwähnen war wohl eher ununklug. „Und ihr? Geht ihr noch weg?“ „Ja. Sind auf dem Weg zu ner Disco, wollen uns noch mal richtig auspowern, bevor wir wieder nach Hause gehen.“ Er grinste übers ganze Gesicht und griff dann nach meinem Arm um mich ein paar Schritte von Sam wegzuziehen. „Sag…“ fing er dann leise an, „hast du nächste Woche mal Zeit?“ „Ja, denk schon. Warum?“ fragte ich verwundert. „Ach…das erzähl ich dir dann…wie wäre es mit Montag?“ „Ja okay. Um Zwei am Stadtpark?“ Er strahlte mich an. „Das passt perfekt.“ „Okay, dann mach ich mich mal aus dem Staub. Viel Spaß noch. Tschüss Sam!“ sagte er nun etwas lauter und ging dann gut gelaunt weiter. Ich trat zu Sam und sah ihn auffordernd an. „Was ist? Wollen wir los?“ Sam verschränkte die Hände vor der Brust und sah mich misstrauisch an. „Was hat er dir zugeflüstert?“ Ich schüttelte verwirrt mit dem Kopf. „Hä?“ „Was er wollte frage ich dich!“ „Was soll das?“ „Was das soll? Er hat dir was zugeflüstert, ich will nur wissen was es war!“ Bockig wandte er den Kopf ab. Was ging denn jetzt ab? Entwickelte sich das Gespräch gerade schon wieder zu so einem eskalierenden Streit, dessen Ursache mir absolut unbekannt war? Was sollte dieses Gezicke? „Fängst du schon wieder damit an?“ entgegnete ich ihm scharf. Ich spürte wie Sam zögerte. Er schien noch etwas sagen zu wollen. „Ich mache mir nur Sorgen.“ „Kannst du dir nicht auch mal normal Sorgen machen? Dein Verhalten ist total unbegründet.“ Er lockerte seine verschränkten Arme und schob schließlich die Hände in die Hosentaschen. Meine Laune war auf dem Nullpunkt. „Also Echt. Ich verstehe nicht was das soll.“ Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und ging den Weg zurück, den wir gerade eingeschlagen hatten. Auf Disco hatte ich jetzt keinen Bock mehr. Dann doch lieber nach Haus. „Ach...verdammt. Jo warte!“ rief er mir nach und holte auf. „Es tut mir leid! Keine Ahnung was in mich gefahren ist. Bitte sei nicht böse.“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Lass es einfach.“ Sam seufzte leise. „Bitte…es tut mir leid.“ Schließlich gab ich nach. Hatte keine Lust auf Streit. „Schon okay. Jetzt lass uns nach Hause gehen!“ Schweigend folgte er mir. „Jo…“ „Was?“ Ich drehte mich zu ihm um. Immer noch war meine Laune auf dem Nullpunkt. „Lass uns den Abend jetzt nicht so beenden. Wir wollten doch tanzen gehen…“ „Das Tanzen ist mir vergangen…“ erwiderte ich und seufzte ebenfalls. „Bitte…“ Schließlich willigte ich ein. „Gut…aber ich kann nicht versprechen, lange zu bleiben…“ Er lächelte mich warm an. Dann hielt er mir seine Hand hin. Kurz zögerte ich. Dann ergriff ich sie und ließ mich von ihm mit ziehen. Lachend bestellte ich mir einen zweiten Cocktail und drehte mich wieder zu Sam um. „Das ist total geil! Und dann? Was hat er dann gemacht?“ „Dann ist er gemeinsam mit der Kleinen durchgebrannt, obwohl er genau wusste, dass die Polizei direkt vor seiner Haustür stand. Fazit war jedenfalls das sie beide eingebuchtet worden sind.“ Ich grinste breit und stieß mit ihm an. „Auf uns!“ „Und auf den eingebuchteten Stalker!“ Er lachte laut und stieß erneut mit mir an. „Genau!“ Meine Laune hatte sich schnell gebessert. Die Umgebung, das Ambiente, die laute Musik und der Alkohol hatten ihr bestes dazu gegeben. Sam nahm mir das Getränk aus der Hand und stellte es zu seinem eigenen auf die Theke. „Los komm! Tanzen!“ rief er begeistert und zog mich mit zur Tanzfläche. Zum dritten Mal der noch relativ Jungen Nacht überredete er mich jetzt schon zum Tanz und wie auch die beiden Male davor, machte es riesig Spaß. Die Disco war gut besucht, somit war auf der Tanzfläche einiges los, doch wirklich behindern tat man sich gegenseitig nicht. Eine volle Tanzfläche war mir lieber als eine leere, da fühlte man sich nicht so beobachtet. Sam kam relativ schnell in den Rhythmus und tanzte freudig um mich herum. Lachend beobachtete ich ihn dabei und bewegte mich dann auch zaghaft zur Musik. Ich spürte zwei Hände, die sich um meinen Bauch schlangen und lächelte leicht vor mich hin. Sam tanze mich an und zog mich automatisch mit sich. Schnell passte ich mich seinen Bewegungen an und schloss die Augen. Die Musik dröhnte in meinen Ohren, der Alkohol rauschte durch mein Blut und gab mir das Gefühl einer eigenartigen Schwerelosigkeit. Sams erhitzter Körper fühlte sich gut an, passte sich perfekt dem meinen an und die Bewegungen wurden immer einfacher, wurden immer leichter. Die Lichter der Diskothek blitzten hinter meinen Augenliedern und hinterließen helle Punkte auf meiner Netzhaut. Der Geruch, aus Schweiß, Rauch und verschiedenen Parfümen, betäubte meine Nase und ließen meinen Atem schwer werden. Trotzdem war es nicht unangenehm. Weder die Hitze, noch die laute Musik, noch die tanzenden Lichter vor meinen Augen waren störend. Stattdessen berauschten sie mich, ließen mich alles um mich herum vergessen und nur eins Wichtig werden: Sam und mich, wie wir eins in eins tanzten und uns dem Rhythmus hingaben. ******************************************************************* So damit wäre dieses Kapitel auch geschafft :) Diesmal wieder etwas länger, dafür aber weniger informativ ^^ Aber keine Sorge. Demnächst sorgen meine Charas mal wieder für etwas mehr Aktion. Kommentare und Kritik sind gerne gesehen :) Kapitel 13: First Kiss ---------------------- Kapitel 13 – First Kiss Zu Hause angekommen ließen wir uns kichernd auf die Couch sinken. Ich legte meinen Kopf gegen Sams Schulter und lachte immer noch über einen unlustigen Witz den Sam vor zirka 10 Minuten gebracht hatte. Schließlich beruhigten wir uns wieder und wurden Still. „Sag Joey...wie war dein erstes Mal mit einem Mann?“, fragte Sam schließlich leise. Etwas verwundert hob ich den kopf und sah Sam lange an. Dann ließ ich mich wieder zück an Sams Schulter sinken und räusperte mich kurz. „Naja…ich kann nicht unbedingt behaupten, dass es mir gefallen hätte… Es war einer der Schlägertypen meiner Mutter. Sie wollte mich sozusagen langsam an das ganze heranführen, damit ich später bei meinem ersten Freier nicht vollkommen versage, schließlich sollte ich ihr auch etwas einbringen. Sie schickte mich Abends zum Zigarettenholen, sagte mir aber nicht das Unterwegs dieser Typ mir auflauern würde. Er schlug mich nieder und brachte mich in seine heruntergekommene, kalte Wohnung. ...Es war so kalt…unglaublich kalt in dem stickigen Raum. Keine Ahnung ob es an meiner Angst lag oder nicht, doch ich zitterte während er mir die Klamotten vom Leib riss und anfing mich zu küssen. Es war so widerlich…Ich glaube ich habe noch nie jemanden geküsst und es dabei wirklich genossen. Während des ganzen Aktes wehrte ich mich nicht, rührte mich nicht, ließ ihn machen und versuchte es so gut es eben ging zu der Zeit zu verdrängen, nicht an mich heran zu lassen. Als er fertig war, stand er auf, zog sich an und verließ die Wohnung. Danach…ich weiß nicht mehr, ich glaube irgendwann stand ich auf, zog mich an und ging nach Hause. Ich legte mich zu Rick ins Bett und heulte mich in den Schlaf…“ Ich spürte wie mir eine einsame Träne die Wange hinunter lief. Ich schloss die Augen, versuchte das Bild zu verdrängen und atmete einmal tief ein und aus. „Wie alt warst du da?“ fragte Sam leise. „Sechzehn…Oder Siebzehn, ich weiß es nicht mehr.“, antwortete ich und rückte automatisch etwas näher an Sam. Ich wollte nicht mehr an meine Vergangenheit denken. Ich wollte sie vergessen. Sam schwieg eine weile und drehte sich dann ein wenig in meiner Richtung um mich in den Arm zu nehmen. Ich erwiderte die Umarmung und rückte so nah an ihn heran wie es mir nur möglich war. Seine Wärme und Geborgenheit die er ausstrahlte schenkten mir Ruhe. Sein Atem streifte meinen Hals und hinterließ einen warmen Schauer. Schließlich löste ich mich etwas von ihm und sah ihn an. Er blickte zurück und lächelte leicht. Ich lächelte ebenfalls. Dann küsste ich ihn. Langsam näherte ich mich seinen Lippen und verschloss sie mit den meinen. Kurz erstarrte Sam, entspannte sich dann wieder und begann meinen Kuss zu erwidern. Als wir uns voneinander lösten wirkte Sam ziemlich perplex. Und ich? Nun, ich stand völlig neben mir. Ich hatte ihn gerade geküsst. Und es hatte mir gefallen. Oh mein Gott! Ich hatte ihn geküsst!!! Erschrocken fuhr ich mir mit der Hand zum Mund, berührte meine Lippen und bildete mir ein, die seinen immer noch auf ihnen zu spüren. Langsam stand ich auf. Verwirrt sah Sam mich an. „Ich…ähm…es tut mir leid!“, sagte ich leise und wandte mich dann ab. Langsam ging ich auf die Tür zu, öffnete sie und trat hinaus. Ich zog die Tür hinter mir zu, und ging zum Aufzug. Mit klopfendem Herzen drückte ich auf den Knopf und wartete… Sam sah Jo verwirrt nach. Hä? Was war denn jetzt passiert? Stirnrunzelnd fuhr sich Sam kurz über den Mund, versuchte verzweifelt seine Gedanken zu ordnen und sprang dann auf. Verdammt! Jo hatte ihn geküsst, ganz von allein, er hatte den Kuss erwidert und jetzt war Jo….gegangen??? Schnell jumpte Sam zur Tür riss sie auf und entdeckte seinen Freund, wie dieser etwas verpeilt und nervös vor dem Aufzug stand. Dieser kam gerade hoch und kündigte seine Anwesenheit mit einem kurzen „Pling“ an. Jo trat in den Aufzug und drückte einen Knopf. Sam rannte zu ihm, stellte seinen Fuß zwischen die sich schließenden Türen der Kabine und griff nach Jo´s Arm. „Was machst du?“ fragte Sam verwirrt. Jo sah ihn erschrocken an und antwortete etwas perplex: „Ich…dachte wohl es sei Besser erst mal zu verschwinden.“ „Ich will nicht das du verschwindest.“, entgegnete Sam schnell und spürte wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Jo sah ihn verwundert an. Dann, ohne groß darüber nachzudenken antwortete er mit einem unsicheren: „Okay!“ Sam nickte zog ihn aus dem wartenden Aufzug und schleppte ihn mit zurück in die Wohnung. Hinter sich schloss er die Tür ab und führte Joey dann ins Wohnzimmer. Dann blieb er stehen. Joey drehte sich langsam um und sah Sam mit einem undeutbaren Blick an. Sam konnte nicht anders, musste ihn ebenfalls ansehen. Langsam lies er seinen Blick über Joeys Gesicht gleiten. Er war so schön… Über seinen Gedanken verwundert schüttelte Sam leicht mit dem Kopf, ließ seinen Blick erneut zu Jo wandern sah ihm in die Augen, dann auf die Lippen. Langsam, um Jo nicht zu verschrecken, beugte er sich zu ihm und gab ihm einen zweiten Kuss. Schlagartig verschwand die Distanz zwischen ihnen. Joey trat einen Schritt auf Sam zu, griff nach seinem Shirt und zog ihn ganz nah an sich heran. Sam schlang seinen linken Arm und Jo´s Taille, verschränkte die Finger seiner Rechen in dem Schwarzen Haar und intensivierte den zaghaften Kuss. Ich war nur noch zu einem Gedanken fähig: Wow. Ja ich weiß, nicht sehr produktiv, war ich doch sonst der größte Denker doch in dem Moment konnte ich nichts anderes denken als: Wow. Und schließlich: Ich will mehr! Sams Zungenspitze fuhr über meine Lippen und ich ließ ihm freudig strahlend Einlass. Diese Einladung nahm er auch an, fuhr mit seiner Zunge durch meinen Mund, erkundete jeden Winkel und stupste schließlich vorsichtig an meine. Ich nahm die Aufforderung an, spielte ein bisschen mit ihm und musste mit Erstaunen erkennen, dass es mir wirklich gefiel. Ich küsste den Mann für den ich schon seit Wochen mehr als nur freundschaftliche Gefühle hegte und es gefiel mir. Zum ersten Mal gefiel es mir, einer anderen Person so nahe zu sein. Irgendwann lösten wir uns. Sahen uns an und wurden fast zeitgleich rot. „Es ist spät.“, sagte ich schließlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen und nur mit einem Ziel: Die bedrückende Stille zu durchbrechen. „Wir sollten ins Bett gehen.“, erwiderte Sam, auch nicht sehr viel produktiver und ich nickte leicht. „Ja. Bist du schon Müde?“ fragte ich ihn und er bejahte es leise. Dann griff er nach meiner Hand, die immer noch leicht an seiner Hüfte lag und zog mich mit in das angrenzende Schlafzimmer. Ich drehte mich leicht peinlich berührt von ihm weg und zog mich um. Hose, Hemd und T-Shirt wanderten in eine Ecke und mein Schlafshirt fand sich Sekunden später auf meiner Haut. Ich spürte Sams Blick, versuchte diesen zu ignorieren und drehte mich schließlich zu ihm um, sah ihn leicht verlegen an. Er erwiderte den Blick ebenso verlegen, schüttelte dann kurz verwirrt mit dem Kopf und zog sich ebenfalls um. Dann legten wir uns ins Bett, wie automatisch kuschelte ich mich an seine Seite und Sam löschte das Licht. Als ich am nächsten Morgen erwachte schlich sich ein seliges Lächeln auf meine Lippen als ich den warmen, weichen Köper neben mir spürte. Nicht im entferntesten hätte ich zu diesem Zeitpunkt auch nur einen Gedanken an den Kuss, oder eher gesagt die beiden Küsse verschwendet. Nur langsam wurde ich mir der leichten Übelkeit bewusst, die sich immer mehr in den Vordergrund drängte. Auch die Kopfschmerzen schienen mehr und mehr überhand zu gewinnen. Stöhnend vergrub ich mein Gesicht unter dem Oberarm meines Mitbewohners. Gestern…Einweihungsfete…Dennis…Disco…Kuss… Verwirrt runzelte ich die Stirn. Kuss…KUSS?? Erschrocken setzte ich mich auf und sah auf den schlafenden Körper neben mir herab. Verdammt…ich hatte…hatte…ich hatte Sam geküsst, und dann hatte er….mich geküsst… Oh Gott! Scheiß Alkohol…ging es mir verwirrt durch den immer noch schmerzenden Kopf. Resignierend Seufzend ließ ich mich zurückfallen und schmiegte mich wieder an meinen Mitbewohner. Rückgängig konnte ich es jetzt eh nicht mehr machen. Und dass Sam mich zurückgeküsst hatte sprach ja für sich. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich spürte wie mir das Blut in den Kopf schoss. Wie peinlich! Im Suff konnte auch nur mir so etwas passieren. Wie Sam jetzt darüber wohl dachte? Hoffentlich erinnerte er sich überhaupt noch daran! Verwirrt schüttelte ich mit dem Kopf und vertrieb meine eigenartigen Gedanken. Ich schloss die Augen, versuchte den hämmernden Kopfschmerz zu ignorieren und kuschelte mich noch näher an den warmen Körper. Nach einigen Minuten spürte ich wie sich Sam neben mir regte. Sofort schoss mir wieder die Röte ins Gesicht und mein Herz spielte verrückt. Oh nein! Konfrontation! Sam murrte etwas, was sich stark nach „Aua!“ und „Kopfweh“ anhörte und drehte sich seufzend zu mir um, um mir erst mal gediegen seinen linken Arm um die Hüfte zu schlingen. Perplex ließ ich es geschehen murmelte ein leises „Guten Morgen“. Schlagartig verschwand der Arm und Sam setzte sich keuchend auf. „Oh Gott!“ sagte er leise und sah mich leicht entsetzt an. „Was?“ fragte ich verwirrt und mir wurde leicht bange. Ob er mir jetzt wohl erst mal eine Abfuhr erteilen würde? „Betrunken…du…ich…wir…ähm…Kuss…?“ Ach Gottchen, mein Mitbewohner war ja total durcheinander. Ich nickte leicht! Er wurde rot und wandte den Blick ab und ich konnte erkennen wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Ich setzte mich ebenfalls auf und stützte mich mit einem Arm auf der Matratze unter mir ab. Einige Sekunden sagte keiner etwas. Mir wurde unbehaglich zu mute und ich musste mich regelrecht zwingen ihn weiterhin anzusehen. Schließlich wandte er zögerlich seinen Kopf und sah mich fragend an. „Und…jetzt?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Was meinst du?“ „Wie gehen wir jetzt damit um?“ „Das kommt denke ich darauf an, was du willst…“ Ich brach den Blickkontakt ab und sah auf die Bettdecke die zerwühlt vor uns lag. Ich wollte seine Antwort gar nicht hören… „Was willst du?“ fragte er leise zurück. Tja…was wollte ich? Ich lächelte leicht. Ihn…und das schon viel zu lange…erst jetzt wurde mir bewusst wie sehr ich die Augen vor meinen Gefühlen verschlossen hatte. Ich hatte es mir schon viel zu lange nicht eingestehen wollen… Schließlich sah ich ihm in die Augen „Du zuerst.“ Sagte ich grinsend und zwinkerte ihm zu. Er wurde rot. Diesmal unterbrach er den Blickkontakt. „Ich will…möchte…ich…ähm…“ „Ja?“ „Ich denke…ich will mit dir zusammen sein…so richtig…aber ich will nichts überstürzen und dich nicht bedrängen.“ „Tust du nicht.“ „Aber ich könnte. Und deshalb weiß ich nicht ob es schon an der Zeit ist…vielleicht ist es besser noch zu warten. Oder Schritt für Schritt vorzugehen. Ich will dich, aber ich will dich nicht verletzen.“ Schüchtern sah er auf. Ich lächelte leicht. „Sam…lass es uns einfach versuchen, ja? Lass uns einfach auf unsere Gefühle vertrauen. Und wenn es mir oder dir zu schnell geht, dann machen wir einfach etwas langsamer…ist das…okay? Ich mag dich sehr gern…und ich mag es dir nahe zu sein…“ „Okay…“ sagte Sam einfach nur und lächelte mich ebenfalls an. Dann beugte er sich leicht zu mir vor, vergrub seine linke Hand in meinem Nacken und zog mich näher zu sich heran. Seine Nasenspitze berührte meine und er stupste sie leicht an. Ich schloss die Augen und genoss diese leichte Zärtlichkeit. Schließlich kam er noch näher an mich heran und berührte sanft meine Lippen mit den Seinen. Leicht erwiderte ich den Druck und öffnete zaghaft den Mund. Seine Zungenspitze wagte sich vorsichtig hervor. Leicht fuhr er um meine Lippen herum, verschwand schließlich in meinem Mund und erkundete jeden noch so kleinen Winkel den sie erreichte. Dann stupste er wie am Vortag meine Zunge leicht an und verwickelte sie in ein kleines Spiel aus dem kein Sieger hätte hervortreten können. Als er sich von mir löste, lächelte er mich warm an und zog mich schließlich mit sich nach unten in die Kissen, griff dann nach der Decke und schlang sie um uns. Ich kuschelte mich nah an ihn heran, legte meinen Kopf in seine Armbeuge und umarmte ihn um den Bauch. Sanft kraulte er mich hinter den Ohren und ich seufzte leise. Dieser Tag war einer der Schönsten die ich je in meinem ganzen bisher verhältnismäßig kurzen Leben hatte. Wir standen erst gegen halb zwölf auf, machten uns ein verspätetes Frühstück und gingen dann bei dem herrlichen Sonnenschein, der uns draußen erwartete eine runde Laufen. Es war wie immer herrlich mit Sam zu joggen. Er trieb mich wie immer zu mehr Geschwindigkeit an und ich murrte hin und wieder, doch es war trotzdem schön. Wir umrundeten den kleinen See dreimal bevor er uns eine Pause gönnte. Geschafft ließen wir uns auf unserer Stammparkbank sinken und unterhielten uns ein bisschen. Er erzählte von der Arbeit und ich hörte ihm gerne zu. Danach aßen wir zur Belohnung wieder ein Eis und gingen gemütlich zurück zu unserem Heim. Nach einer ausgiebigen Dusche setzten wir uns zusammen auf die Couch und hörten Musik. Seelig lächelnd schloss ich die Augen und ließ den Kopf nach hinten sinken. Als wir uns am Abend ins Bett legten kuschelte ich mich wie immer eng an ihn und wartete darauf, dass Sam das Licht löschte. Doch er tat es nicht, sondern sah mich an, lächelte und beugte sich dann zu mir herunter. Ich hob leicht den Kopf und kam ihm somit etwas entgegen. Er legte vorsichtig seine Lippen auf meine und verschloss sie ihn einen schüchternen Kuss. Ich lächelte leicht gegen seine Lippen und öffnete leicht den Mund, um ihn zu mehr herauszufordern. Er stieg auch sofort darauf ein und gab mir einen leidenschaftlichen Zungenkuss. Mir wurde heiß und gleichzeitig lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Ich hob langsam meine Hand und legte sie ihm leicht in den Nacken um ihn noch enger an mich heran zu ziehen. Er beugte sich über mich, schob mir ein Bein zwischen die meinen und intensivierte den Kuss, soweit es noch möglich war. Meine andere Hand wanderte sanft seinen Rücken hinauf und hinab und schlich sich dann unter sein T-Shirt. Ich wollte seine Haut spüren, ihm noch näher sein, ihn noch mehr spüren. Sam erzitterte leicht unter meinen Berührungen und beendete schließlich den Kuss. Er lächelte gegen meine Lippen, küsste mich dann kurz auf die Stirn und ließ sich wieder neben mich fallen. Er zog mich wieder eng an seine Seite und löschte dann das Licht. „Gute Nacht.“ Sagte er leise und ich tat es ihm gleich. Dann schloss ich die Augen und schlief fast augenblicklich ein. ************************************** Es ist vollbracht! Und das mal wieder nach einer von mir gewohnten mehrmonatigen Zwischenpause...ich weiß ich bin unheimlich unzuverlässig, und das obwohl das Kapitel doch schon seit Wochen zur hälfte fertig war. Eigentlich sollte ich es was den Ausdruck her angeht noch mals überarbeiten, doch als mich gestern der Schreibfimmel packte, war ich einfach nur froh endlich wieder mal ein paar Seiten zustande bekommen zu haben, und das auch noch mehr oder weniger für mich zufriedenstellend. Ich habe es zwar noch mal überarbeitet, aber ich schätze man merkt, das ich am ende ziemlich schwächele -.- bin einfach zu unmotiviert in letzter zeit. Egal ich lasse es so stehen, das nächste Kap ist in Arbeit und wird hoffentlich in den nächsten Tagen folgen, versprechen will ich aber nichts, vllt schaffe ich es noch bis Mittwoch, danach hab ich erst mal drei Wochen frei und komme höchstwahrscheinlich noch weniger als sonst zum Schreiben. 3,5 Seiten habe ich schon und die gefallen mir auch sehr gut bisher XD Seht dieses Kapitel einfach mal als Ruhe vor dem Sturm an, jaa..ich bringe wieder etwas mehr Drama, aber das muss sein, sonst gefällt es mir nicht, außerdem will ich mich ja an meine Vorgaben halten, so gut wie es geht ^^ also ich hoffe ich habe euch nicht allzu sehr enttäuscht und ihr erwartet freudig mit mir das nächste Kapitel. Über Kritik und Kommentare freue ich mich sehr, vllt animiert mich das auch mehr... Kapitel 14: Utterly Devastating ------------------------------- Huhu hier kommt das neue Kapitel von Another Solution. Wie ich ja teilweise schon angekündigt hatte bin ich mit diesem Kapitel sehr zufrieden, von meinem Schreibstil her und auch von der Handlung entspricht es ziemlich meinen Vorstellungen. Ich entschuldige mich dafür, dass ich in meiner Story plötzlich so viel Druck mache, alles kommt etwas plötzlich, doch ich hoffe es ist mir gelungen, es trotzdem relativ real zu gestalten. Ich möchte mich auf diesem Wege bei meinen zwei fleißigen Kommentarschreiberinnen ReinaDoreen und Dayce bedanken. Schön, dass das letzte Kapitel doch noch ganz gut angekommen ist :) Viel Spaß beim Lesen - Ray ***************************************************************************** Kapitel 14 - Utterly Devastating(Absolute Katastrophe) Hätte ich am nächsten Morgen gewusst, was an diesem Tag noch auf mich zukommen würde, wäre ich wohl nicht aufgestanden. Hätte ich gewusst, dass der flüchtige Abschiedskuss von Sam an diesem Morgen erst einmal der letzte sein würde, hätte ich ihn wohl nicht so schnell beendet. Hätte ich gewusst, dass das Frühstück mit ihm an diesem Morgen erst mal das letzte war, hätte ich mir mit Sicherheit mehr Zeit gelassen. Wer hätte gedacht, das dieser gestrige Tag, den ich als so gut empfinden konnte, so hoffnungsvoll, erst mal der letzte sein sollte. Ich hätte mir im Traum nicht denken können, dass dieses Glück von so kurzer Dauer war. Doch die Ereignisse an diesem anfangs noch so viel versprechenden Tag sprachen für sich. Nie hätte ich angenommen, dass meine Vergangenheit mich so schnell einholen würde… So schnell war alles vergessen, all die Fortschritte der letzten Tage, all die positiven Veränderungen waren mit einem Schlag wie weggeblasen. Ich bereute so vieles an diesem Tag, doch was ich vor allem bereuen sollte, war das Treffen das heute Nachmittag stattfand. Woher hätte ich wissen sollen, dass dieser mehr oder weniger kleine Gefallen, den ich Dennis tun sollte, den ich ihm wenn man es genau nahm auch schuldete, so viel in so kurzer Zeit beenden und auch zerstören würde. Warum hatte ich nicht auf das mulmige Gefühl gehört, dass in mir aufstieg, als Dennis mir flüsternd mitteilte, was er von mir verlangte und einfach Nein gesagt? Warum hatte ich stattdessen genickt, das Päckchen genommen und in meine Jackentasche gesteckt? Als ich mich von Dennis verabschiedete, war ich nur noch kurz an einem Lebensmittelladen vorbei gegangen, hatte die georderten Kaugummis für Sam gekauft und war nach Hause gegangen. Meine Jacke hatte ich achtlos auf die Couch geschmissen, schon längst mit den Gedanken ganz wo anders, und vor allem nicht mehr bei dem unheilvollen Päckchen in meiner Jackentasche. Als Sam eine halbe Stunde später nach Hause kam, lächelte er geschafft und schmiss sich seufzend auf die Couch. „Alles okay?“ fragte ich besorgt und setzte mich ihm gegenüber auf den Sessel. Er nickte vage. „Du weißt schon. Das Übliche. Ein zerbrochenes Fenster, ein Überfall auf eine Dönerbude und schließlich eine Festnahme wegen Drogenbesitz. Der Stadtrat sitzt uns schon seit Monaten im Nacken, wegen den immer mehr werdenden Drogenfunden. Ein Kollege erzählte mir, er hätte heute einen Fünfzehnjährigen mit 200 Gramm Kokain aufgegriffen. Wie soll man da als Polizist überhaupt noch reagieren? Ich weiß langsam echt nicht mehr weiter, die Szene breitet sich immer weiter aus, immer mehr werden wegen einer Überdosis eingeliefert und immer mehr Druck kommt von oben, weil die Aufklärung fehlt und wir uns am besten um alles gleichzeitig kümmern sollen. Aber wie soll man, wenn man momentan eh unterbesetzt ist, denn gleichzeitig: Fahnden, Aufklären und am besten noch die halbe Welt retten.“ Mike kam miauend auf Sam zu geschlichen und hopste auf seinen Schoß. Sam lächelte leicht und kraulte seinen kleinen Kater sanft hinter den Ohren. Ich nickte nur und sah dann weg. Es war mir unangenehm mit Sam darüber zu sprechen, war ich doch selbst einer dieser Jugendlichen gewesen, die sich jeden Abend die Birne voll gedröhnt hatten. „Hast du Hunger?“, fragte Sam schließlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen. „Ja schon.“, antwortete ich leicht verwirrt und sah ihn fragend an. „Dann lass uns Essen gehen. Ich habe keine Lust zu kochen und möchte dich mal wieder einladen.“ „Okay.“ Sam nickte zufrieden und stand auf. „Ich mache mich schon mal fertig.“ Er verschwand im Bad und wenig später konnte ich das Wasser der Dusche prasseln hören. Lächelnd sah ich ihm nach und wandte mich dann an Mikey um ihn an Sams stelle mit den erwünschten Streicheleinheiten zu beglücken. Nach einer viertel Stunde kam Sam frisch geduscht und gestylt und nur mit einem Handtusch bekleidet aus dem Bad und verschwand kurz darauf im Schlafzimmer um sich umzuziehen. „Bin fertig im Bad!“ rief er aus dem Nebenraum und ich stand auf. „Okay!“ rief ich zurück und ging ins Badezimmer um mich ebenfalls fertig zu machen. Skeptisch stellte ich mich vor den Spiegel, sah mir meine immer noch etwas Mager wirkende Statur an und schüttelte dann kurz mit dem Kopf um meine pessimistischen Gedanken, die sich in meinem Kopf stahlen zu verdrängen. Dann zog ich mich aus, duschte kurz und schlüpfte, nachdem ich mich abgetrocknet hatte, wieder in meine Klamotten. „Du Jo!“, ertönte es dumpf aus dem Wohnzimmer. „Ja?“ rief ich zurück. „Hast du Kaugummis gekauft?“ „Jep! Sind in meiner Jackentasche.“ „Okay, danke!“ Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Ich kämmte mir die Haare, fixierte sie mit etwas Gel und wollte mich dann zur Tür umdrehen, als ich plötzlich ein lautes Geräusch vernahm, das eindeutig nach einem zerbrechenden Glas klang. Ich zuckte zusammen und verharrte mitten in der Bewegung. Dann hörte ich schnelle Schritte und die Tür wurde aufgerissen. Sam stand im Türrahmen. Sein Blick war kalt, und es jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Ich schluckte, als ich das Päckchen in seiner rechten Hand entdeckte. „Was ist das?“ fragte er zornig und hielt mir das Kokain unter die Nase. Ich antwortete nicht, starrte ihn nur an, wusste nicht was ich jetzt sagen konnte um ihn zu besänftigen, um ihn davon zu überzeugen, dass es nicht so war, wie er dachte, denn es war nicht zu übersehen was er dachte. Mir wurde schlecht. Wütend schleuderte er mir das Päckchen vor die Füße und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Oh Gott Jo! Sag mir nicht dass es das ist, für was ich es halte, denn dann weiß ich nicht, wie ich reagieren soll.“ Ich zuckte leicht zusammen und senkte den Blick, sah das Päckchen kurz an und hob dann den Kopf, suchte seine Augen. „Ich…“ „Nein! Nein! Ich glaube es nicht! Ich dachte du hättest das hinter dir! Ich dachte du hättest es geschafft. Und jetzt so was? Warum hast du nicht mit mir geredet? Seit wann nimmst du den Scheiß wieder?“ fragte er aufgebracht und schlug mit der flachen Hand gegen den Türrahmen. Erschrocken ging ich einen Schritt zurück. „Was…nein! Ich nehme das nicht!“ „Ach komm schon, Jo! Und warum dann das Päckchen?“ Er schüttelte leicht mit dem Kopf und kam einen Schritt näher. Er machte mir Angst. Wieder wich ich zurück, stieß gegen das Waschbecken und stützte mich mit beiden Händen darauf ab. „Das ist nicht meins. Ein Freund hat es mir gegeben, er ist in Schwierigkeiten und brauchte jemanden, der es ein paar Tage für ihn aufbewahrt.“ „Pff.“ Sam wandte den Blick ab. „Das ist ja wohl nicht dein ernst. Ich habe dir vertraut, Jo! Ich dachte wir hätten das Kapitel endlich hinter uns gebracht!“ Meine Augen weiteten sich als sich langsam die Erkenntnis in mir ausbreitete. Nein! Nein, nein, nein, das konnte einfach nicht passieren. Doch es war so. Eindeutig. All seine Gesten und Worte zeugten davon, dass mein Gedanke sich als richtig erwies. „Du…glaubst mir nicht?“ fragte ich leise. Er ignorierte die Frage und schwieg. Abwartend sah ich ihn an. Was war jetzt? Wie sollte ich das schweigen verstehen? Als eine Zustimmung? Ja…das war eindeutig ein weiterer Beweis für meine Annahme. Verzweiflung machte sich in mir breit. Dann Wut. Ich stieß mich vom Waschbecken ab und ging ruhig auf ihn zu. Immer noch versperrte er mir den Weg. Als ich direkt vor ihm stand sah ich ihn lange an. Dann schüttelte ich leicht mit dem Kopf. „Und das nennst du vertrauen?“ zischte ich wütend, schubste ihn leicht zur Seite und zwängte mich an ihm vorbei. Mit wenigen Schritten war ich bei der Haustür angelangt, zog mir meine Schuhe an und verschwand aus der Wohnung. Er hielt mich nicht auf. Ich spürte wie mir die Tränen kamen. Das…wars dann wohl, dachte ich ungläubig und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Als ich das Gebäude verlassen hatte, rannte ich los. Verdammt! Verdammt! VERDAMMT! War das sein Ernst? War das sein verfluchter ERNST?? Wieso glaubte er mir nicht? Warum dachte er, ich würde wieder diese scheiß Drogen nehmen? Wenn ich es täte, wäre ich nicht bei ihm und wenn ich es wirklich tun würde, dann hätte er es doch schon längst bemerkt… Es war nicht zu übersehen wenn man einen Drogensüchtigen Junkie als Freund hatte… Freund… Oh Gott… Mir wurde Schlecht. Ich wurde langsamer, spürte wie mich die Übelkeit übermannte und schleppte mich zur nächsten Seitengasse wo ich mich erstmal übergab. Bittere Galle bahnte sich ihren Weg hoch und ich hustete. Immer wieder würgte ich und es dauerte einige Minuten bis ich mich wieder im Griff hatte. Geschafft ließ ich mich an die Hauswand sinken und schloss die Augen. Verdammt! Ich versuchte mich zusammen zu reißen und stand schließlich wieder auf. Ich musste hier weg. Wieder begann ich zu rennen und hielt erst an, als mir die Luft so sehr in den Lungen brannte, dass ich das Gefühl hatte mich keine Minute länger mehr so auf den Beinen halten zu können. Keuchend hielt ich an, stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab und beugte so meinen Oberkörper nach vorne um meine Atemhilfsmuskulatur zu aktivieren. Nach einigen Sekunden richtete ich mich wieder auf und sah mich um. Ich hatte mir natürlich mal wieder das pure Stricherparadies herausgesucht. Es wimmelte nur so von Frauen und Männern in knappen, viel Haut zeigenden Klamotten. Oh Gott…ich hatte mich erfolgreich dort hin katapultiert wo ich her gekommen war. Kurz ließ ich meinen Blick über die Personen um mich herum streifen. Nein…da hin wollte ich nicht mehr zurück. Ich entdeckte eine heruntergekommene Spelunke auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ging langsam auf sie zu. Alkohol! Genau das brauchte ich jetzt. Ich musste sowohl meinen Körper als auch meinen Geist erst mal wieder beruhigen, und was gab es da besseres als Alkohol? ….Drogen…fiel es mir ein, und ich hätte mich am liebsten erschlagen für den Gedanken. War ja klar… Wütend schlug Sam mit der flachen Hand erneut gegen den Türrahmen. Verdammt! Wieder hatte er das verletzte, enttäuschte Gesicht seines Freundes vor Augen. Schnell verdrängte er das Bild und hob das Kokain wieder auf. Dann wandte er sich zur Toilette, hob den Deckel und riss gleichzeitig mit den Zähnen ein Loch in die Tüte. Dann schüttete er den Inhalt ins Klo, spülte und schmiss die leere Verpackung in den kleinen Badezimmermülleimer. Innehaltend sah er sich im Badezimmer um. Sein Blick fiel auf die Stelle, auf der Jo vor zirka zehn Minuten gerade noch gestanden hatte. Verdammt… Ihm wurde schlecht. Kurz presste er die Hand auf den Mund und kniff die Augen zusammen. Oh Gott…was hatte er nur getan? Dann schüttelte er kurz mit dem Kopf. Die Situation war zu eindeutig gewesen, zu viele Punkte sprachen dafür, dass seine Annahme der Wahrheit entsprach, doch dann fiel ihm wieder der verletzte Blick seines Mitbewohners ein, die Worte, die er ihm zugeflüstert hatte, bevor er gegangen war. Langsam ging Sam aus dem Raum und setzte sich auf die Couch. Er sah auf seine Hände hinab, bemerkte das leichte, kontinuierliche Zittern, das von ihnen ausging. Er hatte es verbockt. Und Jo war weg… „Hey, Barkeeper. Bring mir noch einen.“, verlangte ich leise und starrte weiterhin die Holztheke vor mir an. Der Barkeeper kam auf mich zu, setzte sich auf einen der Hocker auf der anderen Seite der Vorrichtung und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. „Nein..“, entgegnete er dann, nahm das Glas, das vor mir stand weg und stellte es zu den anderen benutzten, neben die Spüle. Verwirrt sah ich auf. „Warum?“ fragte ich ihn und schüttelte nicht verstehend mit dem Kopf. „Du siehst nicht aus wie einer, der sich jetzt die Kante geben sollte. Ich hab keinen Bock darauf, dass du am ende mit ner Alkoholvergiftung im Krankenhaus liegst, nur weil du in deinem Zustand nicht weißt, wann Schluss ist.“ „Ich hatte erst zwei Gläser!“ „Na und? Ein drittes bekommst du von mir nicht!“ Ich gab mich geschlagen. Na gut…dann halt doch kein Alkohol. „War es so offensichtlich?“ fragte ich schließlich leise. Der Barkeeper nickte. „Du siehst aus, als hättest du nen heftigen Streit mit deiner Alten hinter dir.“ Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ist jetzt auch egal.“ Langsam stand ich auf und zog einen Schein aus meiner Brieftasche. Ich warf ihn auf den Tisch und wandte mich dann ab. „Den Rest kannst du behalten.“ Lange streifte ich durch die Straßen. Überlegte, wo ich diese Nacht verbringen sollte und vor allem, wer mich aufnehmen würde… Es war zu spät um bei Rick zu klingeln und nach Hause wollte ich nicht. Seufzend sah ich auf, und stellte überrascht fest, dass ich mich nur im Kreis bewegt hatte. Ich stand an derselben Stelle wie noch vor zwei Stunden, mitten im Stricherviertel direkt vor der Spelunke, in der ich die zwei Whiskeygläser gekippt hatte. Wow…toll gemacht, Joey, dachte ich ironisch und wandte mich ab. Reingehen brauchte ich nicht, der Barkeeper würde mir ja doch nichts Alkoholisches zu trinken geben. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, in dem 24-Stunden-Laden nach einer Flasche Wodka zu suchen, verwarf ihn aber schnell wieder. Der Barkeeper hatte Recht. In meiner Verfassung würde ich nicht erkennen, wann Schluss ist, und eine Alkoholvergiftung war wirklich nicht das Wahre. Vor allem, da meine Situation so ja schon katastrophal genug war. Langsam ging ich auf die dunkle Seitengasse zu, die direkt vor mir lag. Diesen Weg hatte ich noch nicht eingeschlagen. Zu spät bemerkte ich die fünf Typen die mir folgten. Zu spät bemerkte ich, dass ich geradewegs in eine Sackgasse gelaufen war. „Hey!“ rief einer der finsteren Kerle und ich drehte mich perplex um. Sofort erfasste ich die Situation. Scheiße ey, dachte ich bei mir...mir war sofort klar, was hier ablaufen würde. „Was willst du?“ fragte ich unfreundlich zurück und spürte schon den ersten Stoß in der Schulter. Ich stolperte zur Seite und stützte mich Halt suchend an der Hauswand direkt neben mir ab. „Nicht so frech Kleiner. Gib uns die Kohle, oder es gibt Ärger. Und ich bin mir sicher das du den nicht willst.“ Ich lächelte voller Hohn. Ärger. Den hatte ich genug… Trotzdem tat ich nicht das, was er von mir verlangte, wusste ich doch, dass es damit eh nicht getan war. Ich hatte zwei Möglichkeiten, kannte ich die Typen die vor mir standen doch ganz genau. Sie waren alle vom gleichen Schlag. Entweder ich würde klein bei geben ihm die Kohle zustecken und dann zusammengeschlagen werden, oder ich würde mich wehren verprügelt werden und sie würden mir dann all mein Geld abnehmen. Da konnte ich getrost auch Variante Zwei wählen. „Vergiss es…“, lautete meine Antwort und ich wandte mich ab, wollte durch sie hindurchschlüpfen, wurde jedoch sofort von einer Faust in meiner Magengegend aufgehalten. Ich krümmte mich. Schlug zurück. Erwischte einen von ihnen am Kinn und sah wie er zu Boden ging. Dann ging alles ganz schnell. Einer schlug mich mit der Faust nieder und ich ging zu Boden. Dann folgten die Tritte. Mehrere trafen mich im Bauch, einige im Rücken und schließlich der ein oder andere am Kopf. Ich versuchte mich so gut es ging zu schützen, gab dieses Unterfangen jedoch relativ schnell auf. Fünf waren einfach zu viele. Schließlich ließen sie von mir ab, einer von ihnen griff in meine Hosentasche und zog meinen Geldbeutel heraus. Er nahm das Geld und schmiss mir die Brieftasche vor die Nase. Dann waren sie weg. Ich griff langsam nach dem Leder, steckte den Geldbeutel wieder in meine Hosentasche und versuchte dann mich aufzurichten. Mein Magen rebellierte und gleichzeitig nahm der Schmerz in meinem Kopf überhand. Alles drehte sich und zum zweiten Mal an diesem Abend übergab ich mich. Die kläglichen Reste des Alkohols verabschiedeten sich und ich ließ mich geschafft zurück auf den Asphalt sinken. Dann schloss ich die Augen. Wartete auf die erlösende Dunkelheit, die mich auch schnell einhüllte. *************************************************************+ Über Kommentare und Kritik freue ich mich sehr Kapitel 15: To Become Weak -------------------------- Hallo meine lieben Leser Hier innerhalb der letzten zwei Nächte schnell das nächste Kapitel zusammengeschrieben und vor allem zusammengekramt ;) hatte nämlich eine Szene schon vorgeschrieben und musste sie noch richtig verpacken mit darumherumblabla Wie auch immer, viel Spaß beim lesen :) es sind zwar nur 4 Seiten geworden aber ich hoffe euch gefällt es trotzdem Kapitel 15: To Become Weak Verzweifelt joggte Sam durch die Gassen und suchte jeden Winkel nach seinem Freund ab. Doch er fand ihn nicht. Sämtliche Kneipen hatte er schon durchforstet, nach Jo gefragt doch nichts. Egal in welcher er nachfragte…niemand hatte ihn gesehen. Verdammt…er konnte nicht die komplette Großstadt nach ihm absuchen, musste Jo denn so weit weglaufen. Bei Rick hatte er schon angerufen. Dieser hatte ihm im Halbschlaf mitgeteilt, das er keine Ahnung hätte von was er Spreche. Also auch Fehlanzeige. Irgendwann kurz vor halb Sechs machte sich Sam niedergeschlagen auf den Heimweg. Es hatte keinen Sinn mehr…und in einer Stunde musste er bei der Wache sein… Ich erwachte nur langsam. Spürte sofort den stechenden Schmerz der meinen gesamten Körper auszufüllen schien. Scheiße… Die Typen hatten mich richtig fertig gemacht… Ich öffnete langsam die Augen. Es dämmerte bereits leicht, das hieß ich hatte die halbe Nacht hier draußen gelegen. Kein Wunder das ich zitterte. Es war furchtbar kalt. Langsam versuchte ich mich aufzurichten, spürte die Übelkeit die sich sofort in mir ausbreitete. Mein Bauch tat weh. Kurz hob ich mein T-Shirt an und besah mir die Blessuren. Ein riesiges blau-rot-gefärbtes Hämatom zeichnete sich auf meiner Haut direkt unter dem Rippenbogen ab. Ich biss die Zähne zusammen und stand langsam auf. Kurz musste ich innehalten. Mir wurde schwarz vor Augen. Als es wieder ging schleppte ich mich heraus aus der Gasse und wandte mich nach rechts. Es gab nur einen Ort an den ich jetzt hingehen konnte. Also machte ich mich auf den Weg. „Oh Gott…wie siehst du denn aus?“ fragte Dennis erschrocken als er mich sah. Vor wenigen Minuten war ich in der heruntergekommenen, leerstehenden Fabrik angekommen, die Dennis und ein paar anderen Junkies als Unterschlupf diente. Ich selbst hatte vor wenigen Monaten noch in einer der dreckigen, zugigen Ecken gehaust…wenn man das so nennen konnte. Länger als ein paar Stunden am Tag verbrachte hier niemand. Die meisten schliefen ein bisschen und machten sich dann wieder aus dem Staub. „Tut mir leid…ich wollte dich nicht wecken.“ „Kein Problem, hätte sowieso nicht mehr lange weiterschlafen können.“ „Ich…hatte eine unliebsame Begegnung mit ein paar Straßenkids..:“ „…Das…sehe ich. Was ist passiert?“ „Es tut mir Leid…aber ich schätze das Kokain ist inzwischen in den tiefen der Kanalisation verschwunden.“ Ich schluckte. Dennis tat es mir gleich. „Was ist passiert?“ fragte er erneut. „Ich…keine Ahnung, du hast es mir gegeben, ich habe es in meine Jacke gesteckt, Sam hat es gefunden und dann…na ja…den Rest kannst du dir sicher denken.“ „Er glaubt…er glaubt es ist deins??“ Ich nickte leicht. „Verdammt…hast du mich verpfiffen?“ „Nein…ich habe deinen Namen nicht genannt…“ „Okay...wenigstens etwas…du weißt schon dass du mit diesem Päckchen gerade zirka 3000 Kröten verpuffen lassen hast, oder?“ Ich nickte erneut. Mein ganzer Körper zitterte und ich lehnte mich geschafft an den Türrahmen. Mein Gewissen plagte mich, die Wunden stellen an meinem Körper schmerzten und ich fühlte mich unheimlich schlapp, als hätte ich gerade einen Halbmarathon hinter mich gebracht… „Na gut...lassen wir das erst mal. Wo haben sie dich erwischt? Außer im Gesicht?“ „Übliche stellen. Bauch, Rücken, Arm, Bein…weißt schon.“ „Gebrochen?“ „Glaube nicht.“ „Gut…Schmerzen?“ Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. „Ja…“ „Wie arg?“ Kurz schüttelte ich mit dem Kopf. Das war nicht so wichtig. Er griff nach seiner Tasche und holte ein kleines Päckchen heraus. Dann kramte er nach einer Kanüle und einer noch zu geschweißten Nadel. Verwirrt sah ich ihn an. Was hatte er denn jetzt vor? „Ich geb dir was.“ Kurz schüttelte ich mit dem Kopf. „Nein…ich will nichts.“ „So wie du aussiehst, brauchst du was." „Nein.“ „Komm schon Jo, danach geht’s dir besser. Mach kein Drama daraus. Das eine Mal wird dich schon nicht wieder in den Sumpf hinein ziehen. Setz dir nen Schuss und schalte erst mal die nächsten Stunden ab, danach kannst du dir immernoch den Kopf zerbrechen. Das haben wir immer so gemacht, und werden es wohl auch immer so tun, also tue nicht so als wäre das etwas Neues für dich.“ Ich dachte über seine Worte nach...er hatte Recht, wir hatten es immer so getan, doch jetzt war damit Schluss, ich war clean und wollte das Zeug nicht mehr... Wollte das Zeug nicht mehr...konnte man das überhaupt so nennen? Eigentlich absurd...Wollen...war etwas anderes als das Gefühl zu haben, dass es falsch war es zu nehmen. Von Anfang an hatte ich es irgendwie immer wieder gewollt..und gleichzeitig auch nicht. Und wer hatte mich bisher davon abgehalten diesem Drang nachzugeben? Sam... Aber Sam war im Moment nicht, im Moment gab es nur Dennis und mich. Und die Spritze... Die mir helfen könnte abzuschalten. Zur Ruhe zu kommen... Einen Schuss…nur einen und schon würde sich in wenigen Augenblicken zumindest ein kleiner Teil meiner Probleme ins nichts auflösen. Ich würde alles vergessen können, alles verdrängen können was mich belastete und mich innerlich so aufwühlte. Ich könnte es einfach hinter mir lassen, wenn auch nur für wenige Stunden, doch war es das Wert? War es das wirklich Wert, eventuell alles hinzuschmeißen was ich bisher geschafft hatte? Und das nur wegen diesem dämlichen Streit? Aber...Sam hatte mich verletzt und im Moment wusste ich nicht einmal ob ich überhaupt je wieder ein Wort mit ihm sprechen würde. Er hatte so enttäuscht gewirkt, und so sehr davon überzeugt, dass seine Vermutungen der Wahrheit entsprachen. Nicht im entferntesten hatte er in diesem Moment daran gezweifelt, dass er das richtige tat, und vor allem das richtige dachte. Aber...er hatte mir nicht vertraut, mir nicht geglaubt, und dass obwohl wir dieses Thema doch eigentlich schon oft genug durchgekaut hatten. Seit ich Dennis während Ricks Umzug getroffen hatte gerieten wir in ein neues Dilemma. Und immer kristallisierte sich vor allem eines heraus: Sam vertraute mir nicht... Doch würde ich jetzt diese Möglichkeit abzutauchen, diesen Schuss einfach so durchziehen, wäre ich es dann überhaupt Wert, dass er mir vertraute? Aber Sam war im Moment nicht da, war nicht mehr präsent und zusätzlich hatte er mich mit seinem fehlenden Glauben an mich und meinen Willen so sehr verletzt, dass ich ihn auch gar nicht da haben wollte. Dennis hatte Recht. Es würde mir besser gehen. Meine Traumwelt würde mir helfen, die Sache erst einmal zu vergessen...und genau das wollte ich jetzt. Davonlaufen, fliehen, vor der Situation, vor dem Schmerz. Ohne weiter darüber zu diskutieren bereitete er den Schuss vor und kam dann langsam auf mich zu. Er hielt mir die Spritze entgegen. „Los nimm schon. Das eine Mal bringt dich schon nicht um.“ Nein…wahrscheinlich tat es das nicht… Zögernd streckte ich meine Hand aus… Dennis drückte mir die Spritze in die Linke. Diese Wunderschöne und gleichzeitig unheilvolle Spritze die es mir ermöglichen würde binnen kurzer Zeit diesem Leben zu entfliehen, diesem Schmerz in meinem Herzen zu entfliehen und abzutauchen in meine Traumwelt So lange hatte ich sie nicht mehr gebraucht, und trotzdem schien sie mir noch so bewusst, als wäre es gestern gewesen seit ich sie das letzte mal besucht hatte. Meine Welt. Meine andere Welt. Mein anderes Leben in dieser anderen Zeit, an diesem anderen Ort meines Unterbewusstseins, diese Welt, die mir so oft geholfen hatte meinem Leben zu entfliehen. Ich wollte eintauchen, in diese sanfte, fröhliche Atmosphäre... Oder? „Worauf wartest du?“ fragte Dennis und sah mich auffordernd an. Er riss mich aus meinen Gedanken, ich sah ihn an, blickte auf die Spritze und setzte diese Schließlich an. Meine Hand zitterte. Mir wurde kalt. Eiskalt. Wollte ich das wirklich? Scheiße...was machte ich mir hier eigentlich vor? Hatte ich sie noch alle? Was wollte ich eigentlich? Hin und her gerissen zwischen wollen und nicht wollen, lockerte sich mein Griff und die kleine Kanüle immer mehr. Ich spürte wie mir die Tränen kamen, wie sie unaufhaltsam meine Wangen hinab liefen und ließ die Spritze zitternd fallen. „Verdammt! Hast du sie noch alle? Weißt du wie viel Wert das zeug ist?“ fragte Dennis aufgebracht und kniete vor mir nieder um die Spritze wieder aufzuheben. Dem Plastik war nichts passiert. Dennis sah mich wütend an. Ich registrierte seinen Blick nicht, ging stattdessen in die Knie und heulte lautlos weiter, versuchte all meinem Schmerz durch meine Tränen sichtbar zu machen. Ich war ein Idiot. So ein Idiot! Dennis schüttelte nur mit dem Kopf, beruhigte sich wieder und legte die Spritze beiseite. Dann griff er nach einer schmutzigen Decke, die direkt neben ihm lag und legte sie mir um die Schultern. „Du bist eben clean. Eindeutig clean.“ Ich nickte nur abwesend, heulte einfach weiter und schluchzte leise auf. Verdammt. Nicht mal zum Abtauchen war ich noch in der Lage. Nicht mal einen Schuss konnte ich mir noch setzen. Kein Wunder also, dass Sam so enttäuscht von mir war, so zornig auf mich gewesen war, als er das Päckchen fand, dieses unheilvolle Päckchen, mit dem ich doch so wenig zu tun hatte… Ich hasste mich! Und ich hasste dieses Päckchen. Und es machte mich zornig, die Tatsache, dass Sam von mir dachte, ich würde wieder Drogen nehmen, wäre doch nicht übern Berg… Sieh dich doch an! Sagte ich in Gedanken zu mir. Du bist schwach! Ich hätte es beinahe getan. Und das nur, weil Sam es von mir dachte, vielleicht sogar erwartete? Ich schüttelte mich leicht, versuchte das Zittern meiner Hände zu unterdrücken doch es ging nicht. „Geh nach Hause. Geh zu deinem Bullen.“ Sagte Dennis leise und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich schüttelte mit dem Kopf. Das konnte ich nicht. „Du solltest es tun! Geh und gib ihm die Chance sich bei dir zu entschuldigen.“ Ich lachte hohl auf. „Noch eine dieser Entschuldigungen die doch nichts bringen? Er erwartet ja regelrecht von mir das ich Drogen nehme. Jetzt wollte ich ihm schon den gefallen tun und der Lüge Wahrheit verleihen und bin zu dumm, zu schwach dazu mir einen Schuss zu setzen…ich hasse mich!“ „Nein Jo du bist nicht Schwach! Du bist stark und du weißt genau dass du es eigentlich nicht willst.“ Dennis drehte sich kurz um, kramte in einer der herumliegenden Kisten und holte eine Flasche Whiskey hervor. Er drückte sie mir in die Hand. „Betäube den Schmerz und schlafe dich dann richtig aus. Und dann geh!“ Schluchzend griff ich nach der Flasche, drehte mit zitternden Fingern den Schraubverschluss auf und setzte dann an. Nach ein paar Schlucken ließ ich die Hand wieder sinken, machte die Flasche zu und ließ mich zur Seite sinken. Ich schloss die Augen, weinte still und versuchte zu vergessen. Einfach alles zu vergessen. Dann schlief ich ein. *************** Über ein Review würde ich mich sehr freuen :) Kapitel 16: To Keep Away ------------------------ Kapitel 16: To Keep Away Als ich erwachte hatte ich höllische Kopfschmerzen. Es war schon fast Abend und ich fühlte mich noch schlechter als noch vor einigen Stunden. Ächzend befreite ich mich von der muffigen Decke und stand auf. Meine Knie fühlten sich an als bestünden sie aus Pudding und meine Hände zitterten leicht. Mir schwindelte. Eindeutig Indizien für einen gewaltigen Kater, betrachtete man die dazugehörigen Kopfschmerzen. Eigentlich fehlte jetzt nur noch die Übelkeit, und…schwuppdiwupp wurde mir plötzlich so schlecht, dass ich dachte jeden Moment die modrige Decke voll zu kotzen. Doch ich hielt mich tapfer, wandte mich stattdessen zum Ausgang und stürzte nach draußen an die Frische Luft. Prompt lief ich einem alten Kumpan in die Arme. Steve. „Hoho, Vorsicht! Joey? Bist du das?“ ungläubig sah er mich an, während er mich an den Schultern festhielt, da ich bedrohlich schwankte. Ich lächelte zaghaft und nickte. „Hey Steve…“ „Wie geht’s dir? Wo hast du gesteckt?“ „Entzug…“ antwortete ich leise und befreite mich von seinen Händen. „Wow…hat’s funktioniert?“ „Ich denke schon.“ Er lächelte mich freundlich an und klopfte mir leicht auf die Schulter. „Ist doch klasse, Mann!“ Ich nickte und wandte mich dann ab. „Sorry…muss los!“ „Ja, bis bald, Mann. Man sieht sich!“ Ich winkte ihm zum Abschied kurz zu und machte mich auf den Weg. Ich musste hier weg. Musste weg aus diesem Sumpf von Armut, Drogen, Sex und Tod. Alles hier verband ich mit dem Tod. Mit meinem eigenen Tod… Alles erinnerte mich an den Tag an dem ich Sam zum ersten Mal traf. Der Tag auf dem Dach. Als mein altes Leben beendet wurde und einen Start schuf für ein neues, besseres… Ob ich wohl wieder zu diesem besseren Leben hin finden würde? Jetzt da ich selbst kurz davor gewesen war, meinem alten Leben mit Freuden die Arme zu öffnen und es wieder in mein Herz zu lassen. Konnte ich jetzt überhaupt noch diesem Kreislauf entfliehen? Oder war ich ihm dadurch, dass ich mir keinen Schuss verpasst hatte, schon längst entflohen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur eins. Ich wollte hier weg. So schnell wie möglich. Ich rannte. Rannte immer weiter, weg von der alten Fabrik, heraus aus dem Viertel, vorbei an der Kneipe, in der ich am Vortag gesessen hatte, vorbei an der Sackgasse, mit der ich meine schmerzenden Blessuren in Verbindung brachte. Schließlich brach ich keuchend zusammen. Das Atmen fiel mir schwer, die Rippen schmerzten, mir war übel und alles drehte sich. Es dauerte einige Minuten bis ich erkannte wo ich mich befand. Ich war nur einen Block von Ricks Haus entfernt. Leicht brachte ich ein Lächeln zustande. Ja, das wäre jetzt wohl das Beste für mich. Erst mal eine Nacht bei Rick bleiben. Ob er mich wohl so aufnehmen würde? Ich sah schrecklich aus. Meine Kleidung war zerrissen, blutverschmiert und dreckig. Ich stank nach Alkohol, getrocknetem Schweiß und Blut. Meine Haare waren fettig und verklebt, meine Hände voller Schürfwunden und Dreck und meine Augen waren blutunterlaufen. Rick würde denken, ich hätte mir Heroin gespritzt. Doch spielte das überhaupt noch eine Rolle was Rick dachte? Jetzt da Sam sich eine Meinung über mich gebildet hatte, war es doch egal was der Rest der Welt dachte. So gern ich Rick hatte, so stark das Band zwischen uns auch war, er allein würde es nicht schaffen mich am Leben zu erhalten. Ohne Sam war ich verloren. Er war der einzige Rettungsanker den es für mich gab. Trotz meiner negativen Gedanken rappelte ich mich wieder auf und ging nun wesentlich langsamer auf Ricks Haus zu. Ich brauchte zumindest ein bisschen Stabilität, sonst würde ich wohl spätestens morgen Früh auf dem nächsten Hochhaus stehen. Und das war eindeutig das letzte, was ich jetzt in diesem Augenblick wollte. Denn dann wäre wirklich alles umsonst gewesen. Und auch wenn ich wusste, das ich einen Hang zur Melodramatik hatte, war das noch nicht Grund genug, um meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft ob nun mit oder ohne Sam, komplett aufzugeben. Ich klingelte an der Haustür und wartete. Schließlich ertönte ein knackendes Geräusch und ich hörte Ricks Stimme im Lautsprecher ertönen. „Ja?“ „Rick ich bins.“ „Joey?“ „Ja…“ „Warte…ich lass dich rein.“ Der Summer erklang und ich stemmte mich gegen die Eingangstür um sie zu öffnen. Dann trat ich hindurch und wandte mich zu den Treppen. Beim richtigen Stockwerk angekommen stand ich schließlich vor meinem kleinen Bruder und sah ihn zögernd an. „Oh mein Gott! Jo! Was ist mit dir passiert?“ Ich sah kurz an mir herunter und versuchte dann ein entschuldigendes Lächeln. „Rick das ist…eine ziemlich lange Gesichte…“ „Gut, schieß los, ich will sie trotzdem hören…“ „...meinst du es wäre möglich vorher kurz zu Duschen?“ Er sah mich besorgt an und nickte schließlich. „Was hältst du von einem Bad? Und ich setzte mich neben dich und höre dir zu.“ Ich seufzte leise. „Eine Dusche reicht. Tut mir leid…ich…“ „Warte, du musst es nicht erklären. Ich versteh schon.“ Ich nickte dankbar und trat an ihm vorbei, als er einen Schritt zur Seite machte um mich herein zu lassen. Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und folgte ihm ins Bad. „Hier ist ein Handtuch. Warte ich hole dir noch frische Kleidung. Kurz verschwand er in seinem Schlafzimmer und kam wenig später mit einem frischen T-Shirt, einer Short und einer ausgewaschenen alten Jeans wieder. „Das müsste halbwegs passen.“ „Danke“ murmelte ich leise und wartete bis er aus dem Bad getreten war um die Tür hinter mir zu schließen. Langsam schälte ich mich aus meiner Kleidung und schaltete das Wasser der Dusche ein. Ich brauchte nicht lange. Zehn Minuten später stand ich frisch geduscht und in Ricks für mich zu weiten Klamotten etwas unbeholfen in der Küchentür und sah Rick beim Gemüseschneiden zu. Er drehte sich zu mir um, lächelte leicht und tat alles in den Kochtopf, damit es in Ruhe kochen konnte. Dann ging er an mir vorbei ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch, klopfte auffordernd auf das Harte Leder neben sich und sah mich abwartend an. Leise seufzend setzte ich mich schließlich neben ihn und fing an zu erzählen. Rick hörte mir aufmerksam zu, unterbrach mich nicht und legte mir schließlich aufmunternd die Hand auf die Schulter als ich endete. „Und wie soll es jetzt weiter gehen?“ Ich zuckte niedergeschlagen mit den Schultern und wandte meinen Blick zu Boden. „Ich weiß es nicht…“ „Willst du nicht noch mal mit ihm reden?“ „Im Moment nicht. Ich bin so…enttäuscht…“ „Das glaube ich dir. Auch wenn ich seine Reaktion im ersten Moment verstehen kann. Es war schließlich nahe liegend das es dein Zeug war.“ Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. „Er gab mir ja nicht mal die Chance es richtig zu erklären…“ „Ja ich weiß. Aber so ist er nun mal. Er handelt ohne nachzudenken, ist leicht aufbrausend. Was das angeht bist du nicht besser.“ Ich stöhnte genervt auf. „Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?“ „Nicht einfach davon laufen.“ „Ich bin nicht so stark wie alle denken! Ich hätte das nicht ausgehalten!“ Während ich sprach wurde ich immer lauter, stand schließlich ruckartig auf und lief angespannt durch den Raum. „Jo…wenn du nicht stark bist, wer dann? Was glaubst du, wie viele Typen in diesem Loch hätten zu einer Ampulle reinstes Heroin einfach nein gesagt?“ Ich seufzte erneut und blieb schließlich stehen. Mit hängendem Kopf und die Hände in den Hosentaschen vergraben flüsterte ich schließlich leise: „Ja vielleicht bin ich stark…aber nicht stark genug um Sam gegenüber stand zu halten. Ich…hatte Angst…“ „Ich weiß…und es ist nicht schlimm Angst zu haben, gerade wenn der wichtigste Mensch auf Erden einen so enttäuscht. Und trotzdem…schmeiß jetzt nicht alles weg, was du dir bisher aufgebaut hast.“ „Das ist das letzte was ich will!“ Rick schwieg. Schließlich hob er die Linke und winkte mich zu ihm. „Komm schon her…“ sagte er leise. Ich gab mir einen Ruck und setzte mich wieder neben ihn. Er schloss mich in die Arme und strich mir beruhigend über den Rücken. „Rede mit ihm, Jo…Ich bin mir sicher das er im Moment genauso aufgewühlt ist wie du. Und ich bin mir auch Sicher das ihm längst leid tut, was er gesagt beziehungsweise getan hat.“ „Wenn das nur so leicht wäre…“, flüsterte ich und schloss die Augen. Nach wenigen Minuten war ich an Ricks Schulter eingeschlafen. Als es an der Tür klingelte schreckte ich auf. Ich lag immer noch neben Rick auf der Couch, welcher den Fernseher an geschalten hatte und leise die Nachrichten hörte. Ich konnte mir schon denken, wer vor der Tür stand und setzte mich auf um mich ins Badezimmer zu verkriechen. Rick stand ebenfall auf und sah mich stirnrunzelnd an. „Was hast du vor?“ „Verschwinden…“ Er seufzte. „Jo…komm schon. Probier es wenigstens.“ Ich schüttelte verneinend mit dem Kopf. „Nicht heute…“ Schließlich nickte er. „Okay…ich schicke ihn fort.“ Er betätigte den Türöffner und öffnete die Haustür. Ich verschwand ins Bad, schloss die Tür hinter mir und ließ mich langsam an dem dunklen Holz hinab gleiten. … „Jo? Jo! Bitte! Lass mich rein…“ Wieder klopfte er an die Tür. „Lass uns Reden…bitte…“ Er klang verzweifelt. Ich schloss die Augen und schluckte die Worte, die mir in diesem Moment auf den Lippen lagen mühevoll runter. Er sollte verschwinden… Verflucht…Rick hatte gesagt er würde ihn wegschicken. „Sam…“, hörte ich seine ruhige Stimme bitten. „Nein Rick! Ich verlasse die Wohnung nicht bevor ich nicht mit ihm geredet habe! Jo? Bitte…“ Sein penetrantes Klopfen bereitete mir wahnsinnige Kopfschmerzen. Ich schüttelte nur stumm mit dem Kopf. Konnte er nicht einfach weggehen? Musste das jetzt unbedingt sein? Ich hatte mich kaum unter Kontrolle. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln. Ich wusste die Situation würde eskalieren, ließe ich ein Gespräch jetzt zu… Ich fühlte mich hundeelend. „Jo? Lass mich rein!“ Mit einem Ruck kam ich auf die Füße. Mit der Flachen Hand schlug ich wütend gegen die Tür. „Verdammt! Sam verschwinde einfach! Ich will nicht mit dir Reden! Geh und lass mich in Ruhe!“, schrie ich ihm durch die Tür gedämpft entgegen. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann endlich eine Reaktion. „Okay…ich gehe…aber bitte komm zurück nach Hause.“, bat er mich leise. Ich verstand die Worte kaum. Nach Hause? Welches Zuhause…dachte ich frustriert. Ich hörte Schritte die sich leise entfernten. Dann fiel die Haustür ins Schloss. Langsam ließ ich mich erneut an die Tür gelehnt nach unten sinken. Unendlich müde schloss ich die Augen und lehnte schließlich den Kopf zurück an das harte Holz. Und jetzt? fragte ich mich in Gedanken. Jetzt hast du das erreicht, was du erreichen wolltest…er lässt dich vorläufig in Ruhe… Zaghaft klopfte es erneut an der Tür. „Sam ist weg, Jo. Kommst du jetzt bitte wieder raus?“ Ich schwieg einen Moment. „Gleich…“, murmelte ich schließlich eine leise Antwort. Wäre es nicht so still gewesen, hätte Rick das Wort kaum verstehen können. „…Jo…bitte mach die Tür auf, damit ich dich wenigstens in den Arm nehmen kann.“ Ich lächelte leicht. Dann stemmte ich mich schwerfällig auf die Füße, drehte den Schlüssel einmal herum und öffnete die Tür. Rick stand vor mir und sah mich sorgenvoll an. Gleichzeitig wirkte er unendlich erleichtert. Er breitete die Arme aus und ich ließ mich von ihm in eine wohlige Umarmung ziehen. „Also komm…“ Immer noch in seinen Armen, führte er mich zum Schlafzimmer und drückte mich aufs Bett. Ich ließ mich zur Seite sinken, schloss die Augen und zog die Beine nah an meinen Körper heran. Rick setzte sich an die Bettkante, strich mich sanft und beruhigend über den Rücken und wartete, bis ich eingeschlafen war. *** „Jo ich muss weg. Ich bin heute Abend gegen halb Zehn wieder zu Hause, okay?“ Ich hörte die Worte zwar, verstand den Sinn dahinter jedoch nicht. Weiterhin starrte ich das Nachtkästchen neben meinem Kopf an und rührte mich nicht. „Jo…“ Erneut versuchte Rick meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Er rüttelte leicht an meiner Schulter. Schließlich wandte ich den Blick und sah ihn an. „Was…?“ „Ich muss Arbeiten. Bin um halb zehn Zuhause. Stell nichts an, ja?“ Besorgt musterte mein Bruder mich. Er strich mir mit den Fingerspitzen sanft die Haare aus dem Blickfeld. „Ja, okay.“, antwortete ich und wandte den Blick wieder ab. Seufzend erhob der Jüngere sich und verließ den Raum. Kurze Zeit später schloss sich die Haustür hinter ihm. Nach einer Stunde stand ich schließlich auf und ging aufs Klo. Dann wusch ich mir die Hände, streifte den Spiegel nur mit einem abfälligen Blick und ging dann in die Küche. Dort lag ein Zettel mit etwas Geld. „Solltest du was Brauchen dann nimm dir das Geld. Hab kein schlechtes Gewissen deshalb, das sind die Kröten die ich Mutter zum Abschied geklaut habe. Der Schlüssel hängt neben der Tür.“, stand auf dem Zettel. Ich lächelte leicht. Dann steckte ich das Geld ein und ging zurück ins Schlafzimmer. Ich öffnete den Kleiderschrank und nahm mir ein schwarzes T-Shirt heraus. Es war mir zu groß und ich sah noch dürrer aus als in meinen Eigenen, doch das spielte im Moment keine Rolle mehr für mich. Ich ging zur Tür, zog mir Schuhe an und griff nach dem Schlüssel. Dann trat ich aus der Tür, lief nach unten und wandte mich draußen nach rechts zu dem kleinen Supermarkt am anderen Ende der Straße. Dort versorgte ich mich mit Zigaretten, Feuerzeug und einer Flasche Wodka. Dann ging ich zurück zu Ricks Wohnung, sperrte die Tür auf, trat hindurch und hängte den Schlüssel zurück an den Haken neben der Eingangstür. Ich streifte meine Schuhe ab, holte mir ein Glas aus der Küche und schenkte mir einen guten Schluck der druchsichtigen Flüssigkeit ein. Dann ging ich ins Wohnhzimmer, trat durch den kleinen Balkon und setzte mich dort kurzerhand auf den Boden. Rick hatte noch keine Balkongarnitur besorgt, doch das störte mich nicht. Ich zog mir eine Zigarette aus der Verpackung und zündete sie mir an. Genüsslich zog ich an dem weißen, glühenden Stängel und nahm einen Schluck aus meinem Glas. Ich musste leicht husten. Der Alkohol brannte, ebenso der Zug von der Zigarette. Ich wiederholte das ganze mehrmals, bis das kratzen im Hals nachließ. Na also. So schnell gewöhnte man sich wieder an das alte Leben. Als Rick nach Hause kam fand er einen betrunkenen nach Zigaretten riechenden Bruder, schlafend auf dem Balkon. Er seufzte, schüttelte kurz mit dem Kopf und legte in der Küche erst mal seine Sachen ab. Dann griff der nach der Flasche und überprüfte deren Inhalt. Wodka. Die Flasche war halb leer. Ach Jo…dachte er besorgt und stellte die Flasche zurück auf den Küchentisch. Rick ging erneut zu seinem Bruder und rüttelte diesen an der Schulter. „Jo…Jo wach auf!“ Wie durch eine schwabbelnde Nebelwand starrte ich zu meinem Bruder auf. Ich hörte ihn kaum. Alles war verzerrt, sowohl mein Blickfeld als auch meine akustische Wahrnehmung. Das Denken fiel mir sichtlich schwer. „Was…“, begann ich, brach dann aber wieder ab. „Komm schon.“, erwiderte Rick nur und zog mich auf die Beine. Ich schwankte sichtlich, konnte mich kaum ohne seine Hilfe halten. Er zog mich in die Wohnung und verfrachte mich auf die Couch. Sogleich ließ ich mich wieder zur Seite sinken und schloss die Augen. „Was soll das, Jo?“ fragte Rick aufgebracht. Ich schüttelte nur leicht mit dem Kopf, bereute diese Aktion jedoch sofort als der Schwindel sich verschlimmerte. „Lass mich einfach in Ruhe.“ Rick sah mich einerseits wütend, andererseits besorgt an. „Hast du heute schon etwas gegessen?“ Ich antwortete ihm nicht sondern drehte mich zur Seite und machte Anstalten weiterzuschlafen. Rick gab auf, verließ schimpfend den Raum und holte mir eine Decke aus dem Schlafzimmer. Er legte sie über mich und schloss dann die Tür hinter sich. Ich seufzte leise und fuhr Karussell. Trotzdem dauerte es nicht lange, da war ich wieder eingeschlafen. **** vielen Dank fürs Lesen. :) Konstruktive Kritik ist sehr erwünscht! Kapitel 17: To Be Doomed ------------------------ Kapitel 17: To Be Doomed Die Vögel zwitscherten und die Sonne schien. Sie brannte auf der frei liegenden Haut, trotz des leichten Lüftchens das hier oben wehte. Der Himmel war fast wolkenlos und die wenigen Geräusche aus der belebten Straße unter mir drangen wie durch einen Wattebausch zu mir hoch. Es war alles genau wie damals… Alles wirkte entrückt und unwirklich. Ich lächelte leicht und zündete mir mit meinem Feuerzeug die Zigarette an, die ich zuvor aus der Verpackung geholt hatte. Ich lehnte mich nach hinten gegen den Belüftungskasten, der hier oben auf dem Dach stand, zog an der Kippe, schloss die Augen und dachte an den Tag zurück, als ich Sam das erste Mal getroffen hatte. Es war genau hier gewesen. Das Wetter war genauso heiß und schwül gewesen, der Himmel war klar und die Geräusche von der belebten Straße unten waren mir einerseits klar definierbar und andererseits komisch verzehrt vorgekommen. Es gab nur einen Unterschied: Heute würde Sam nicht kommen, um mich zu retten. Ich zog erneut an der Zigarette und bließ den Rauch langsam nach oben, gen Himmel. Ich dachte an Rick, daran, wie ich ihn in den letzten Tagen beinahe zur Weißglut gebracht hatte. Dachte daran, wie wütend er gewesen war, als ich sagte, er könne mich mal und einfach verschwunden war. Eigentlich wusste ich, dass er sich nur Sorgen machte. Und das war wahrscheinlich berechtigt. Durch meinen ausschweifenden Lebensstil in seiner Abwesenheit im Sinne von Trunkenheit und extrem hohem Zigarettenkonsum hatte ich ihn wahnsinnig unter Druck gesetzt. Er wollte mir unbedingt helfen, doch ich ließ ihn nicht an mich heran. Ich wusste, so konnte es nicht weiter gehen. Ich musste mich zusammen nehmen und endlich zulassen, dass jemand anderes als Sam, mich aus diesem Loch heraus zog, in dem ich mich vergrub. Ich wusste, ich hatte nicht mehr viel Zeit. Es war kein Zufall, dass ich ausgerechnet auf dieses Dach gestiegen war. Der Gedanke daran, das zu beenden, was ich vor einigen Wochen begonnen hatte, verfolgte mich bereits seit dem Morgengrauen. Doch wusste ich, tief in meinem Inneren, dass heute nicht der Tag war, an dem ich springen würde. Ricks Sorgen um mich, beunruhigten mich zu sehr. Ich wollte nicht, dass er sich Vorwürfe machte. Seit er wieder in mein Leben getreten war, hielt er mich fest, allein mit dem Gedanken, dass ein Stück meiner Familie zu mir zurück gekehrt war. Ich konnte ihn nicht einfach so verlassen. Ich konnte nicht mit dem Gedanken Sterben, dass er sich die Schuld daran geben würde. Also musste ich bleiben. Solange Rick ein Teil meines Lebens war, musste ich leben. Langsam öffnete ich die Augen wieder und ließ meinen Blick über die Dächer der Stadt schweifen. Wie wunderschön die Welt aus der Höhe doch war. Plötzlich wünschte ich mir, ich könnte fliegen. Wie ein Vogel meine Arme ausstrecken und mich von den Winden des Himmels davon tragen zu können. Langsam kam ich auf die Füße, trat näher an den Rand und streckte beide Arme gen Himmel. Der sanfte Wind, der hier oben herrschte, ergriff meine Kleidung, verfing sich in meinem viel zu weiten, dunklen T-Shirt und bereitete mir eine angenehme Gänsehaut. Ich lächelte, schnippte die Zigarette über den Abgrund, griff nach der Zigarettenpackung in meiner rechten Hosentasche und zündete mir noch eine an. Dann drehte ich mich um und setzte mich zurück auf meinen Platz. Ich zog an der Kippe und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche, die neben mir stand. Die Umgebung verschwamm vor meinen Augen und alles drehte sich. Die Mischung aus Alkohol, Nikotin, Sonne und Hitze machten mir zu schaffen. Seit Tagen hatte ich nichts gegessen. Auch wenn mein Bruder täglich versuchte mich zum Essen zu überreden, nahm ich nichts zu mir. Mir fehlte der Appetit und allein bei dem Gedanken zu Essen wurde mir übel. Hunger war ein Fremdwort für mich... Ich wusste, ich war ein Idiot. Schließlich schmiss ich gerade alles weg, was ich mir in den letzten Wochen so mühsam aufgebaut hatte. Routine, Nahrung, Kleidung, Sicherheit, ein Dach über dem Kopf. Ich verfiel in alte Gewohnheiten und mir war bewusst, dass es nicht lange dauern würde, bis Heroin, Kokain und ein Messer wieder in mein Leben treten würden. Seufzend stellte ich die Flasche wieder zurück an ihren Platz und schloss die Augen. Meine Gedanken kreisten und der stechende Kopfschmerz half mir nicht, diese zu ordnen. Ich saß seit vier Stunden auf diesem Dach in der prallen Sonne und wunderte mich langsam nicht mehr über den stärker werdenden Schwindel und die Übelkeit, die mich plagten. Ich war mir sicher, dass diese nicht nur von dem Alkohol und Nikotin kamen. Ich schloss die Augen und seufzte leise. Es wäre das Beste, den Alkohol weg zu schütten und die Zigaretten über das Dach zu werfen. Ich sollte nach Hause gehen, etwas Essen und Trinken und wieder anfangen mein Leben in die Hand zu nehmen. Bevor es zu spät war. Bevor der Mut mich verließ. Ich sollte nach Hause gehen. Zu Sam. Müde drückte ich die Zigarette, an der ich gerade erst zweimal gezogen hatte aus und schleuderte sie von mir weg. Dann ließ ich mich zur Seite sinken und vergrub mein Gesicht unter meinen Armen. Ich sollte nach Hause gehen. Doch ich war so kaputt, fühlte mich so schwach. Langsam drehte ich mich zur Seite. Ich wollte schlafen. Und einen Moment lang vergessen. Einen Moment lang nicht mehr über mein Dilemma, das sich Leben schimpfte, nachdenken… Also schlief ich ein. *** Sam *** Seufzend verabschiedete er sich von Rick und trottete frustriert zurück zu Jack, seinem Partner, der unten im Streifenwagen auf ihn wartete. Er hatte ihn mit dem Vorwand ein Paket für einen Freund vorbeizubringen abgespeist und war die drei Stockwerke schnell nach oben gegangen um erneut den Versuch zu wagen mit Jo zu sprechen. Jeden Tag hatte er vorbei gesehen, zu verschiedensten Uhrzeiten, doch Jo hatte ihm kein einziges Mal die Tür geöffnet. Es war purer Zufall dass er heute Rick erwischt hatte, hatte dieser schließlich rund um die Uhr Schichtdienst im Krankenhaus. Doch Jo war wie es schien nicht zu Hause… Ein Spaziergang… Wütend schlug er die Tür des Streifenwagens hinter sich zu. Rick hatte besorgt ausgesehen. Als hätte er Nächtelang wach gelegen. Die Augenringe unter seinen Augen und die leicht geweiteten Lider, als das Thema auf seinen Bruder kam, sagten ihm, dass irgendetwas schief lief. Warum sprach Rick nicht offen mit ihm? Natürlich, er war Jo´s Bruder. Und Blut war dicker als Wasser. Trotzdem störte es ihn, das Rick ihm nicht sagte, was mit Jo los war. Wie sollte er sich so um ihn kümmern. Andererseits, er wusste, er war selbst schuld an seiner Miserie. Er hatte Jo nicht vertraut. Dass er ihm jetzt die Kalte Schulter zeigte, sollte ihn nicht wundern. Doch er machte sich Sorgen. Und er vermisste ihn schrecklich. Er wollte ihn zurück. Sofort! Wo er wohl sein mochte? Kurz überlegte Sam, seinen Partner erneut stehen zu lassen und kurz in dem Park um die Ecke nachzusehen, doch er wusste, das wäre zu auffällig und unverantwortlich gewesen. Außerdem würde Jack dann Fragen stellen. Und im Moment hatte er wirklich keine Lust mit seinem Stockheterosexuellen Freund über sein Liebesdrama zu sprechen. Also seufzte er nur leise und ließ den Motor anspringen. „Gibt’s irgendwas?“, fragte er Jack der in der Zwischenzeit den Funk überwacht hatte, doch der schüttelte nur mit dem Kopf. Er fächelte sich mit der Broschüre ihrer Stammimbissbude Luft zu und stöhnte genervt. „Heute ist wirklich nicht der richtige Tag um den ganzen Nachmittag Streife zu schieben. Vor allem da diese scheiß Autos nicht mal ne Klimaanlage besitzen.“, beschwerte er sich und griff nach dem Becher Cola, welche inzwischen wahrscheinlich brüwarm war, und trank einen Schluck. Sein Gesicht verzog sich einen Moment zu einer angewiderten Grimasse. Sam stimmte ihm zu und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn. „Wer hätte auch gedacht, dass es heute noch so heiß wird.“, entgegnete er und bog nach links ab um ihr Revier abzufahren. „Weißt du an wann mich das Wetter erinnert? Als wir diesen Typen vom Dach geholt haben…wie hieß er doch gleich? Johnny? Jacky?“ „Joey…“ entgegnete Sam matt und stöhnte innerlich auf. Musste Jack gerade jetzt mit dem Thema anfangen? „Was ist eigentlich aus ihm geworden?“, fragte Jack neugierig. „Du hast ihn damals doch öfters besucht im Krankenhaus, oder?“ „Ja…Scheiße, guck mal da, unser Lieblingsgangster drangsaliert mal wieder die Jungen aus der Nachbarschaft.“ Dankbar für diesen Vorwand nicht näher auf das Thema eingehen zu müssen, beschleunigte er das Tempo und fuhr direkt vor besagtem Möchtegernmafiosi. Er ließ die Sirene kurz aufheulen, hielt den Wagen an und stieg schnell aus, um den jungen Mann am Kragen zu packen und gegen die Tür des Wagens zu schleudern. „Timmy mein Bester! Ich habe mich schon gefragt, wann wir uns das nächste Mal in dieser Konstellation wieder sehen würden.“, begrüßte er den bekannten Dealer und legte ihm die Handschellen an. Jack ratterte ihm seine Rechte herunter und half Sam, den Jungen auf die Rückbank ihres Wagens zu befördern. Dann machten sie sich auf zum Revier. ***Joey*** Langsam erwachte ich von dem stetigen Pochen in meinem geschundenen Kopf. Ich stöhnte leise auf und versuchte die Augen zu öffnen, doch es gelang mir nicht. Mühselig hob ich einen Arm und fuhr mir kurz über die Stirn. Alles tat weh. Ich versuchte mich langsam in eine aufrechte Position zu kämpfen, doch der Schwindel und die Übelkeit hielten mich davon ab. Seufzend ließ ich mich zurück sinken und atmete tief ein und aus. So elend ging es mir schon lang nicht mehr, ging es mir durch den Kopf. Ich versuchte mich zu orientieren und mich daran zu erinnern was geschehen war. Je mehr ich meinen müden Geist anstrengte darüber nachzudenken, desto mehr verstärkte sich das Hämmern hinter meiner Stirn. Die Frische Luft in meinem Lungen half. Erneut stemmte ich mit aller Kraft meine Lider nach oben und sah mich um. Das Bild vor meinen Augen war seltsam verzehrt und alles war verschwommen. Ich blinzelte. Schließlich schaffte ich es mit Mühe mich zumindest in eine halbwegs aufrechte Position zu kämpfen. Erneut ließ ich meinen Blick über meine unmittelbare Umgebung schweifen. Ich war immer noch auf dem Dach. Endlich registrierte ich den Fehler. Ohne Wasser, ohne Nahrung war ich auf diesem Dach aufgeschlagen, nur mit einer Packung Zigaretten und einer Flasche hochprozentigem. Dann war ich eingeschlafen. In der Prallen Sonne. Kein Wunder, dass es mir so elend ging. Der bittere Geschmack in meinem Mund und das Pelzige Gefühl auf meiner Zunge, halfen bei der Bestandsaufnahme. Ich war dehydriert. Und brauchte Wasser! Und zwar dringend. Langsam und vorsichtig, um meinen Kopf nicht zu sehr zu bewegen, robbte ich zur Tür, die in das Innere des Hochhauses führte. Bei jeder Bewegung verstärkte sich der Schmerz in meinem Schädel und das Zittern meiner Glieder nahm zu. Das beste wäre, einen Krankenwagen zu rufen, kam es mir in den Sinn. Doch das ging nicht, ich hatte weder ein Handy noch Kleingeld dabei. Schließlich stieß ich die Tür auf und rutschte zur Treppe. Zitternd griff ich nach dem Geländer und versuchte mich hochzuziehen, doch sofort verstärkte sich der Schwindel und die Übelkeit nahm zu. Stöhnend ließ ich mich zurück sinken und schob mich stattdessen sitzend eine Stufe nach der anderen hinunter. Dadurch dauerte es ewig, bis ich im Erdgeschoss ankam, doch anders ging es nicht. Du musst nach Hause!, sagte ich immer wieder in Gedanken zu mir selbst und gelangte auf allen Vieren zur Haustür die nach draußen auf die Straße führen würde. An der Haustür angekommen, nahm ich all meinen Mut zusammen und stemmte mich ind ie Höhe. Erneut verschlimmerte sich der Schmerz im meinem Kopf und ich hatte das Bedürfnis mich sofort wieder auf die Kühlen Fließen zu legen, doch ich wusste, es wäre mein sicherer Tod, würde ich hier bleiben und wieder einschlafen. Mit einem Sonnenstich war nicht zu spaßen, vor allem in meinem Zustand. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich doch noch an meinem Leben hing. Ich wollte nicht sterben. Nicht mehr. Vor allem jetzt, wo das Sterben so weh tat. Ich musste hier weg. Sofort. Mühsam stieß ich die Tür auf und musste erneut die Augen schließen und gegen den Drang ankämpfen, wieder in die Knie zu gehen. Die Lichter der Straßenlaternen schmerzten unangenehm in den Augen und verschlimmerten den Schmerz. Tief atmete ich durch, schob mich durch die schwere Tür und wandte mich wahllos in eine Richtung. Egal wohin, Hauptsache weg von hier! ***Sam*** Seufzend fuhr sich Sam durch die Haare und wandte sich an seinen Partner. „Gott sei Dank. In einer Stunde endlich Schluss für heute.“ Dieser nickte und gähnte herzhaft. „Ich glaube ich hole uns drüben noch einen Kaffee. Sonst pennen wir beide im Sitzen ein.“ Sam stimmte ihm zu und Jack trat aus dem Wagen und lief die wenigen Meter zu dem bereits schließenden Cafe um ihnen einen Coffee to Go zu holen. Sam schloss für einen Moment die Augen und ließ seine Gedanken schweifen. Er bereute im Nachhinein, die Chance nicht ergriffen zu haben, Jo zu suchen. Es wäre sicher kein Problem gewesen, hätte er es seinem Partner erklärt. Schließlich wusste dieser, dass er schwul war. Es war ja nicht so als müsse er sich erst outen. Doch Jack kannte Jo nicht. Nicht so wie er wirklich war. Er kannte nur den Drogensüchtigen, verschreckten jungen Mann auf dem Dach der bereit war seinem Leben ein Ende zu setzen. Also was würde es nützen, Jack von seinem Dilemma zu erzählen? Er würde es ja doch nicht verstehen. Wer verstand schon einen Polizisten, der sich hoffnungslos in einen Junkie verliebt hatte? Ach scheiße! Wütend schlug Sam mit der Flachen Hand aufs Lenkrad und konzentrierte sich wieder auf den Funk um sich von seinen kreisenden Gedanken abzulenken. ***Joey*** Ich wankte die Straße entlang und versuchte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich entgegenkommender Passanten auf mich zu ziehen. Ich musste einen erbärmlichen Anblick abgeben. Der Schweiß perlte auf meiner Stirn, ich zitterte am ganzen Leib und hielt mir verzweifelt den Magen um dessen kläglichen Inhalt ja bei mir zu behalten. Bei jeder Bewegung nahm das Hämmern in meinem Kopf noch ein bisschen mehr zu und der Schleier vor meinen Augen verstärkte sich. Ich verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse und senkte den Blick auf den Weg vor mir um wenigstens halbwegs zu erkennen, wo ich lang lief. Meine Konzentration schwand mit jedem weiteren Schritt. Das Rauschen in meinen Ohren nahm zu. Ziellos lief ich durch die Straßen, hatte meine Orientierung längst verloren und die noch weiter nachlassende Sehschärfe meiner Augen tat ihr übriges dazu bei. Das Schwindelgefühl nahm noch weiter zu, ich stolperte über die Bordsteinkante und torkelte auf die Straße. Eine Frauenstimme stieß einen Warnruf aus. Verwirrt sah ich mich um. War der für mich. Dann blitzten plötzlich zwei helle Lichter in der Dunkelheit zu meiner Linken auf. Erst das laut tönende Geräusch einer Hupe schreckte mich auf. Jedoch zu spät. Der Mann hinter dem Steuer sah mich entsetzt an und stieg auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Jemand schrie. ***Sam*** „...28 bitte kommen…“ Sam schreckte auf. Er sah Jack einen Moment lang blinzelnd an. Sie waren tatsächlich beide kurz eingenickt. Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte seinen Verdacht. Es war kurz nach Elf. Die Schicht war schon seit zirka fünf Minuten beendet. Er griff nach dem Funkgerät und antwortete: „Sylvia unsere Schicht ist seit fünf Minuten zu Ende. Wenn es nur eine Kabbelei zwischen zwei Nachbarn ist, die sich darum streiten, wer den lauteren Bass im Wohnzimmer laufen hat, dann schick Jim und Matt dort hin.“ Er schmunzelte, bei dem Gedanken. „Es tut mir leid euch enttäuschen zu müssen, aber das ist es nicht. Zwei Blocks von euch ist ein Fußgänger mit einem Auto frontal zusammengestoßen. Und ihr seid am nahesten dran.“, erwiderte sie schmunzelnd. Sam seufzte und sah Jack viel sagend an. Schien so als sei ihre Schicht noch lange nicht zu Ende. „Also gut, meine Liebe. Dann nenn uns die genaue Adresse…“, antwortete er ins Funkgerät und gebot Jack mitzuschreiben. ***Joey*** Die Wucht des Aufpralls traf mich am Becken und schleuderte mich über den Kotflügel. Dann stürzte ich zu Boden und schlug mit dem Kopf hart auf dem Asphaltboden auf. Ein mörderischer Schmerz machte sich in meinem linken Handgelenk breit und Schwindel benebelte meine Sinne. Ich schloss die Augen und war einen Moment lang weg. Dumpf, wie durch einen Vorhang hörte ich die Sirene. Lichter tanzten vor meinem Augen, doch ich nahm sie kaum war. Jemand rüttelte an meiner Schulter und der Schmerz in meinem Kopf entfachte von neuem. Ich lag auf der Seite. Jemand legte ein Kissen oder eine Jacke unter meinen Kopf und ich spürte wie der Schmerz etwas verebbte. Doch der Schwindel blieb und ich tat mir schwer die Augen zu öffnen. Jemand brüllte. Schrie meinen Namen doch ich verstand nicht wirklich was derjenige von mir wollte. Wieder wurde ich durchgeschüttelt. Ich öffnete die Augen einen spalt breit und erkannte über mir eine Gestalt. Der Mann wirkte geschockt und seine Augen waren voller Sorge. Er brüllte mich an, versuchte meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken doch ich nahm die Worte nicht wahr. Etwas warmes berührte meine Wange, eine Hand, erkannte ich. Ich spürte, wie die Müdigkeit mich wieder übermannte. Wie durch eine Nebelwand, drang das Geräusch einer weiteren Sirene zu mir durch. Jemand brüllte etwas. Stimmen, viele Stimmen über mir. Finger umschlossen meine unverletzte Hand und rote und blaue Lichter blitzten neben mir auf. Ich spürte tastende Hände auf meinem Körper, jemand hob meinen Kopf etwas an und etwas schweres umschloss meinen Hals. Dann rüttelte mich jemand durch und ich spürte eine Trage unter meinem Körper. Die Schmerzen nahmen überhand. Ich öffnete den Mund, versuchte etwas zu sagen, doch keiner schien mich zu bemerken. Dann wurde ich bewusstlos. Kapitel 18: Awakening --------------------- Kapitel 18: Awakening Piep…Piep…Piep… Piep…Piep…Piep… Langsam öffnete ich die Augen. Erst nach mehrmaligem Blinzeln gelang es mir den grauen Schleier vor meinem Sichtfeld zu lösen. Über mir befand sich eine weiße, trostlose Wand. Schnell schloss ich die Augen wieder. Eine weiße, trostlose Wand…das konnte nur eins bedeuten… Um meinen Verdacht zu bestätigen wagte ich einen erneuten Blick. Rechts neben mir standen ein Infusionsständer und ein Sauerstoffgerät. Links befand sich ein Überwachungsmonitor. Mehrere Linien waren darauf abgezeichnet. Es dauerte einen Moment bis mir klar wurde, dass es meine Herzfrequenz und O2-Werte waren. Ergeben ließ ich meinen Kopf zurück ins Kissen sinken. Krankenhaus. Eindeutig. So stellte ich mir das Paradies nicht vor. Das war schon eher die Hölle. Mit einem Ruck saß ich kerzengerade im Bett. Scheiße…Krankenhaus?! Ne nicht mit mir! Ich sah an mir herunter. Ich trug ein weißes T-Shirt und Boxershorts. Meine linke Hand war bis zum Ellenbogen eingegipst. Meine Rechte zierte eine dicke Nadel und ein Fingerklipp steckte an meinem Zeigefinger. Ich zupfte ihn mir, mithilfe meiner restlichen Finger der rechten Hand, runter und sofort schlug der Monitor links von mir Alarm. Ich beachtete ihn nicht. Stattdessen zog ich mir mit den Zähnen die Infusion aus dem Handrücken. Es schmerze höllisch und sofort sprudelte ein wenig Blut aus der Wunde, doch das war mir egal. Ich zog die Elektroden an meinem Oberkörper weg und schwang die Beine aus dem Bett. Dann stand ich auf. Und wäre beinahe auf dem Boden gelandet. Mit einem Mal kehrten die Schmerzen zurück. Mein Kopf fühlte sich an als würde er jeden Moment zerbersten, mein linker Arm pochte, ich spürte jeden blauen Fleck in meinem Körper und stöhnte leise auf. Verdammt…was…was hatte ich nur wieder angestellt? Ich hielt mich eisern am Nachtkästchen fest und versuchte den bodenlosen Schwindel der sich in meinem Kopf fest setzte zu ignorieren. Schließlich ebbte der Schmerz etwas ab und ich war in der Lage wieder klar zu denken. Ich griff nach dem Infusionsständer und missbrauchte ihn als Stütze. Mit wenigen Schritten war ich an der Zimmertür angekommen und öffnete sie einen Spaltbreit um zu sehen ob die Luft für meine Flucht rein war. Tatsächlich hatte ich Glück. Ich riss die Tür weiter auf und wankte auf den Flur. Die Kopfschmerzen wurden wieder schlimmer. Ich schloss für einen Moment die Augen und stützte mich mit der rechten am Geländer, doch auch das half nichts. Komm schon du Weichei. Beiß die Zähne zusammen und halte durch, dachte ich mir und kämpfte mich noch einige Schritte weiter. Doch meine Beine trugen mich nicht mehr. Meine Knie knickten ein und ich brach zusammen. Alles drehte sich, meine Sicht verschwamm und meine Akustische Wahrnehmung verschlechterte sich zusehends. Stimmen erklangen, Schritte näherten sich, ein erschrockener Aufschrei, dann war ich weg. Als ich das nächste Mal erwachte, fiel es mir noch schwerer die Augen aufzuschlagen. Durch meinen Fluchtversuch hatte sich mein Allgemeinzustand zusehends verschlechtert. Eine leichte Übelkeit und ein nachhaltiger, penetranter Kopfschmerz hinter meiner Stirn hatten sich eingenistet. Tief atmete ich durch, stemmte die Augenlieder nach oben und sah an mir herab. Man hatte meine rechte Hand verbunden und mir in der Armbeuge eine neue Nadel gelegt. Die Elektroden waren alle wieder an ihrem Platz, doch kein Sauerstoffschlauch kitzelte mich an der Nase. Ich wandte meinen Blick nach links zum Fenster und entdeckte meinen Bruder. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er vor der großen Glasfront und starrte nach draußen. Er trug eine weiße Hose und einen blauen Kittel. Arbeitskleidung, schätzte ich. Verwirrt ließ ich den Kopf zurück ins Kissen sinken und stöhnte leicht als der Schwindel sich durch diese Bewegung wieder verschlimmerte. Rick wandte den Blick ab und sah zu mir herüber. Seufzend schlenderte er zu mir ans Bett, machte das hochgestellte Bettgitter runter und setzte sich neben mich. „Hey…“, begrüßte er mich leise und legte mir sanft die Hand auf die bandagierte Rechte. „Hi…“, erwiderte ich heißer. „Wie geht’s dir?“ Leicht schüttelte ich mit dem Kopf, darauf bedacht, keine ruckartigen Bewegungen zu machen. „Was…ist passiert?“, fragte ich leise. Meine Stimme war belegt, ich hustete, doch schlagartig schmerzten mir die Rippen dabei. „Du bist kopflos vor ein Auto gerannt.“ „Ach ja…stimmt…“ Kurzes Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Eine ungewohnte Spannung lag in der Luft. Ich wartete. Wappnete mich innerlich. Schließlich kam der Ausbruch. „Was sollte das Joey?! Was hast du dir dabei gedacht?“ Vorwurfsvoll sah er mich an. Nicht-Verstehen und Schmerz blitzte in seinen Augen auf. Die dunklen Augenränder und die fahle blässe auf seinen Wangen sprachen für sich. Beschämt schlug ich die Augen nieder. „Sorry…“ „Erklärs mir Joey! Was ging nur wieder in deiner hohlen Birne vor sich, dass du dich vor ein Auto stürzt?!“, fragte er. Leicht zuckte ich zusammen, als ich den bissigen Unterton in seiner Stimme hörte. „Ich verstehe es nicht! Ich verstehe wirklich nicht, warum du mir das antust! Weißt du was für Sorgen ich mir gemacht habe? Erst bist du einen Tag lang verschwunden, dann kommt ein Anruf von Sam, du lägest im Krankenhaus, weil du vor ein Auto gerannt bist! War es Absicht? War das der zweite Selbstmordversuch?!“ Erneut zuckte ich zusammen. Seine Worte waren voller Sarkasmus. „Ich…“, begann ich, doch er unterbrach mich sofort. „Ach weißt du was? Scheiß drauf! Wenn du unbedingt meinst, sterben zu müssen, dann tu es doch! Aber streng dich das nächste Mal besser an, damit ich nicht wieder tagelang um dich bangen muss!“ Wütend stand Rick vom Bett auf und trat zurück ans Fenster. Betroffen starrte ich ihn an. Mir wurde eiskalt. „Ist das…dein ernst, Rick?“ fragte ich ihn leise. Meine Stimme zitterte. Ich biss die Zähne zusammmen, um das aufkommmende Schluchzen zu verhindern, doch gegen die Tränen, die sich langsam in meinen Augenwinkeln sammelten, konnte ich nichts ausrichten. Wollte mein Bruder wirklich meinen Tod? Wollte er mich endlich los werden, um sich nicht dauernd Sorgen um mich machen zu müssen? Wäre der Tod eine Erlösung für ihn? Täte ich ihm damit einen gefallen? Das konnte und wollte ich nicht glauben. Rick wandte sich erneut zu mir um und sein Blick sprach tausend Bände. Sorge und Schmerz standen darin. Sorge um meine Gesundheit, und Schmerz bei der Vorstellung ich könnte nicht mehr hier sein… Ich schloss die Augen voller Erleichterung. Ich musste mich einen Moment lang sammeln, um den Schmerz, den seine Worte ausgelöst waren, weit aus meinem Herzen zu verdrängen. Dann sah ich ihn wieder an. „Rick…das war keine Absicht.“ Er schnaubte genervt. „Und das soll ich dir glauben?“ Schweigend sah ich ihn an. Nach wenigen Sekunden schließlich antwortete ich: „Wenn auch du mir nicht mehr vertrauen kannst Rick, dann lohnt es sich wirklich kaum, dieses Dasein weiterhin zu fristen.“ Ricks Augen weiteten sich einen Moment. Dann trat er stumm auf mich zu, setzte sich zu mir und ließ sich nach vorne gegen meine Brust sinken. Ich hob meinen gesunden, rechten Arm und legte ihn beschützend auf seinen Rücken, drückte ihn so noch etwas näher an mich. „Es tut mir leid…“, flüsterte er und schluchzte. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken. „Schon okay…“, antwortete ich ebenso leise und schloss ruhiger werdend die Augen. „Ich wollte das nicht sagen…“ „Ich weiß…“ „Im ersten Moment habe ich wirklich gedacht du wolltest dich umbringen. Das hat mich so wütend gemacht.“ „Entschuldige.“ Rick löste sich aus meiner Umarmung und schüttelte mit dem Kopf. „Du musst dich nicht entschuldigen.“ „Doch. Ich habe mich in den letzten Tagen wie das Letzte benommen. Und keine Rücksicht auf dich und deine Gefühle genommen. Es tut mir leid dass ich mich so gehen ließ.“ Rick nickte leicht und ich strich ihm liebevoll über den Kopf. Kurz breitete sich angenehmes Schweigen aus. Dann sah er mir in die Augen und hob den Kopf etwas an. „Was ist passiert, Jo?“, fragte er leise. Ich seufzte leise. „Ich habe mich ziemlich idiotisch benommen. Statt spazieren zu gehen, bin ich auf das Dach gestiegen, wo ich…du weißt schon... Und dort habe ich nachgedacht. Über früher, über jetzt, über Sam… Leicht alkoholisiert wie ich war und durch das warme Wetter wurde ich müde und bin schließlich in der prallen Sonne eingeschlafen. Als ich erwachte war es Dunkel und ich hatte einen mordsmäßigen Sonnenstich, also hab ich mich hoch gequält und versucht nach Hause zu gehen. Doch dann wolle ich über die Straße und plötzlich waren da die Lichter. Jemand schrie auf, doch da war es schon zu spät. Dann hat es mich erwischt…“ Kopfschüttelnd vergrub Rick das Gesicht in den Händen und fing schließlich leise an zu kichern. Dann lachte er laut los. „Das…hahaha…das ist so typisch für dich! Hahaha…“ presste er heraus und Tränen bildeten sich in seinen Augenwinkeln. Ich grinste nur müde. Er hatte Recht. So was konnte nur mir passieren. Es verging kaum eine Woche, ohne dass ich durch mein andauerndes Pech neue Blessuren davon trug. Außer in der Zeit bei Sam…da hatte ich erstaunlich wenig schmerzauslösende Aktionen vollbracht… Schließlich beruhigte sich mein Bruder und sah mich lächelnd an. „Gut dass du nach wie vor immer Glück im Unglück hast.“ Ich lächelte ebenfalls und nickte. „Das stimmt.“ Schließlich klopfte es an der Tür und der Arzt betrat das Zimmer. „Ach da bist du ja, Rick. Die Stationsschwester sucht dich. Scheinbar hast du vergessen die Regale im Lager noch mal aufzufüllen.“ Erschrocken sprang mein Bruder auf und verabschiedete sich mit einem Winken von mir. „So ein Mist, das gibt Ärger.“, fluchte er und verschwand aus dem Raum. Lächelnd kam der Arzt näher und reichte mir die Hand. Ich schlug ein und erwiderte das Lächeln einen Moment lang. „Wie geht es Ihnen?“, fragte er und griff nach der Akte, die er auf dem Nachtkästchen abgelegt hatte und überflog die ersten zwei Seiten. „Bescheiden. Danke.“ Er lächelte erneut und sah von der Akte auf. „Sie hatten ganz schön großes Glück.“ Ich nickte leicht. „Ja…das hatte ich…“ „Bis auf die distale Radiusfraktur links haben Sie keine weiteren Brüche. Natürlich sind sowohl die Rippenprellung als auch die mittelschwere Gehirnerschütterung ernst zu nehmen doch im Großen und Ganzen hatten sie wirklich Glück.“ „Okay..“ Der Arzt wandte sich wieder seinem Klemmbrett zu und überflog die nächsten Seiten. „In ihrer Krankenakte ist ein vermerk, dass sie vor wenigen Monaten einen Drogenentzug begonnen haben. Wie steht es damit?“ „Schauen Sie bei meinen Blutwerten nach.“ Er lächelte leicht und blätterte weiter. „Gut wie es scheint. Waren sie auch medikamentenabhängig?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. Er vermerkte das in seiner Akte und sah dann wieder auf. „Tut mir leid für diese nicht sehr taktvollen Fragen. Doch es ist wichtig, der Schmerzmedikamente wegen.“ „Ich bin froh wenn Sie diese so gering wie möglich halten.“ Er nickte. „Die Schwestern sollen Ihnen bei Bedarf etwas geben.“ Ich lächelte dankbar. Schließlich erhob er sich. „Gut, dann werde ich meinen Rundgang beenden. Übrigens…vor ihrer Tür wartet seit ihrer Einlieferung ein junger Polizist auf Nachrichten über ihren allgemeinzustand. Soll ich ihn aufklären?“ Ich zögerte kurz und nickte dann. „Ja. Und wenn sie schon dabei sind, dann zeigen Sie ihm bitte meine Blutwerte.“ Er lächelte und verabschiedete sich mit einem Winken. Dann verließ er den Raum. Seufzend drehte ich mich so gut es ging auf die linke Seite und stopfte mir ein Kissen in den Rücken. Ich sah aus dem Fenster und versuchte das Chaos in meinem Inneren in den Griff zu bekommen. Sam saß vor dem Krankenzimmer und das schon seit meiner Einlieferung. Das hieß, er saß schon seit geschlagenen 48 Stunden dort und wartete vergebens auf Nachricht. Anscheinend hatte Rick ihm keine Auskunft über meinen Zustand gegeben. Doch warum? Konnte es sein…das Rick Sam insgeheim die Schuld an dieser ganzen Miserie gab? Und das obwohl er den Polizisten zu Beginn unseres…“Zerwürfnisses“ so in den Schutz genommen hatte? Ja…das war die einzige logische Erklärung dafür, dass Rick ihm nichts gesagt hatte… Verwirrt schob ich den Gedankengang zur Seite und widmete mich dem nächsten Problem: Was tun, wenn Sam einfach ins Zimmer hereinplatzte? Ich konnte ihm schließlich kaum davonlaufen in meinem jetzigen Zustand. Wollte ich das denn überhaupt? Wollte ich ihm nicht lieber die Chance geben sich bei mir zu entschuldigen? Und dann? Wie ging es dann weiter? Einfach dort anknüpfen wo wir aufgehört hatten ging wohl kaum. Doch vielleicht wäre es eine Möglichkeit sich langsam wieder einander anzunähern. Niemand zwang mich dazu mich ihm wieder voll und ganz anzuvertrauen. Ich konnte die Sache auch einfach nur laufen lassen. Sehen was passiert. Gucken wie sich das ganze entwickelt… Doch war die Wahrscheinlichkeit viel zu groß, dass ich ihn wieder zu sehr in mein Herz lassen würde. Würde er mich dann wieder so enttäuschen, wie sollte ich dass dann noch aushalten? Wie sollte ich damit umgehen? Ich schüttelte leicht mit dem Kopf und schob auch diesen Gedanken in die hintere Ecke meines Gedächtnisses. Also…wie sollte ich auf ihn reagieren? … Vielleicht wäre es das beste, einfach nicht so viel darüber nachzudenken… Gähnend schloss ich die Augen und kuschelte mich weiter in das weiche, flauschige Krankenhauskissen. Am besten ich versuchte erst einmal ein paar Stunden zu schlafen. Kapitel 19: Another Solution ---------------------------- Another Solution Kapitel 19: Another Solution Es sollte noch lange dauern, bis ich die Gelegenheit fand, endlich meinen Mut zusammen zu nehmen um mich dieser Situation mit Sam zu stellen. Tatsächlich hatte mein Bruder alles in die Wege geleitet, um diesen möglichst so weit wie möglich von mir fern zu halten. Trotzdem konnte er das kurze Wiedersehen, mit welchem ich bereits wenige Stunden nach meinem Erwachen, konfrontiert wurde, nicht verhindern. Doch er war zugegen, als die zwei Polizisten das Zimmer betraten, um meine Sicht der Geschehnisse von vor zwei Tagen, aufzunehmen. Als ich ihn sah, wusste ich sofort, was ich zu tun hatte. Ein kurzer Blick in seine Augen genügte voll und ganz, um endlich Klarheit zu bekommen, welchen Weg ich einschlagen sollte. In seinen Augen lagen so viele unterschiedliche Gefühle, dass ich einen Moment lang brauchte, um sie richtig zu verstehen. Schmerz, Trauer, Sehnsucht, las ich in ihnen, doch vor allem Schuld. Schuldgefühle, die ich nur auf mich und meine jetzige Situation beziehen konnte. Doch auch andere Gefühle, welche ich in der letzten Woche gerne ausgeschlossen und ignoriert hatte, las ich ebenfalls in seinen Augen. Liebe, Zuneigung und Hoffnung. Hoffnung auf ein gemeinsames Leben? Auch eine Klärung dieser Situation? Ich vermutete es. Und wünschte es mir. Plötzlich wurde ich mir bewusst, dass ich mir eigentlich nichts mehr wünschte, als ihn. An meiner Seite. Trotz der Enttäuschung, der Wut und des Gefühls Verraten worden zu sein, erkannte ich, dass ich längst entschieden hatte. Ich würde ihm eine zweite Chance geben. Er hatte mir ein neues Leben ermöglicht, mich bei sich aufgenommen und mir eine Heimat geboten. Erst jetzt erkannte ich, wie undankbar ich in den letzten Tagen gewesen war. So hatte ich nur seinen Verrat und sein fehlendes Vertrauen gesehen, doch keinen Moment lang daran gedacht, wie viel er bereits für mich getan hatte. Ich war ein Idiot. Doch auch ein blindes Huhn, findet mal ein Korn, oder? So sollte ich wohl dankbar darüber sein, dass es mir zumindest jetzt, wenn auch reichlich spät, bewusst geworden war. Ich hatte ihm ja nicht mal die Chance gegeben sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Scham breitete ich in mir aus, ob dieser Erkenntnisse. Es war nicht gerade die schönste Seite meiner Eigenschaften, die sich hier gerade in mein Bewusstsein schlich. Trotzdem wusste ich, dass jetzt nicht der richtige Augenblick war, um das zu klären, was sich zwischen uns angestaut hatte. Jetzt ging es darum die Fragen seines Partners halbwegs sinnvoll zu beantworten. Wissend, dass der Mann am Steuer des Wagens, nichts für den Unfall konnte, nahm ich ihn in Schutz und schonte mich nicht. Ich wusste, das die Schuld an mir lag, war ich schließlich mit einem Sonnenstich und dehydriert durch die Straßen gelaufen, kaum Herr meiner Sinne. Ehrlich erzählte ich meine Version, von dem Ausflug zum Dach, bis hin zum Zusammenstoß mit dem Wagen. Rick schüttelte neben mir nur immer wieder seufzend den Kopf über mich. Ein leichtes Grinsen schlich sich über meine Lippen, als ich ihn dabei ertappte. Aus Sams Augen konnte ich in diesem Augenblick nichts lesen. Er lauschte meiner Geschichte, ohne mit der Wimper zu zucken. Schließlich hatte ich die Fragen zu Jacks Zufriedenheit beantwortet und Rick schmiss die zwei Polizisten wieder aus meinem Zimmer. Sehnsüchtig sah ich einen Moment auf die Tür, die sich hinter Sam schloss, und schlug die Augen nieder. Rick hatte das Zimmer ebenfalls verlassen. Ich seufzte leise und versuchte wieder zu schlafen, denn die Kopfschmerzen hatten sich durch das viele Reden wieder etwas verschlimmert. Trotzdem gingen mir Sams Augen in diesem Moment nicht mehr aus dem Kopf. Drei Tage später wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Rick war mir in der Zeit kaum von der Seite gewichen und nach und nach hatte sich das Band zwischen uns weiter verstärkt und wir waren uns noch näher gekommen, als in unserer Jugendzeit. Sam hatte ich jedoch seit der Vernehmung nicht mehr gesehen. Von Rick wusste ich, dass dieser bei meinem Unfall dabei gewesen war. Dass er es gewesen war, der meinen Namen rief und erste Hilfe leistete. Von Rick wusste ich auch, obwohl dieser es nur zähneknirschend zugegeben hatte, das Sam auch nach der Vernehmung öfters im Krankenhaus vorgesprochen hatte, um über meinen Gesundheitszustand informiert zu werden. Doch Rick hatte ihn jedes Mal, nachdem der Arzt ihm Auskunft gegeben hatte, rausgeschmissen. Ich wusste, dass mein Bruder mich nur schützen wollte, doch eigentlich störte es mich, dass er so über mein Leben bestimmte. Andererseits war ich auch irgendwie froh, somit einer Konfrontation im Krankenhaus zu entgehen. Es war mir lieber mit ihm auf bekannten Terrain aufeinander zu treffen, als an diesem trostlosen, kalten und sterilen Ort. Daheim bei Rick angekommen, nahm ich mir diesen endlich zur Brust und breitete vor ihm meine Erkenntnisse der letzten Tage aus. Erstaunt und auch etwas erschüttert sah er mich aus großen Augen an, als ich ihm offenbarte, dass ich Sam noch eine zweite Chance geben wollte. „Warum hast du das nicht früher gesagt? Ich hätte ihn doch niemals im Krankenhaus so behandelt, wenn ich gewusst hätte, was du vor hast.“, warf er mir vor und verschränkte mürrisch die Hände vor der Brust. Ich zuckte leicht mit den Schultern. „Ich fand es schön, wie du dich um mich gekümmert hast“, erwiderte ich grinsend und tätschelte seinen Arm. Eingeschnappt wandte er sich ab und begab sich in die Küche, um uns eine Kleinigkeit zu kochen. Ich folgte ihm in den angrenzenden Arm und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Entschuldige, Rick. Ich wollte dich damit nicht ärgern. Aber ich war wirklich froh darüber, nicht schon im Krankenhaus mit ihm sprechen zu müssen. Denn dieser Ort ist mir nicht geheuer, das weißt du doch.“, erklärte ich leise und war erleichtert zu sehen, das Rick sich etwas entspannte. „Schon okay. Aber denk bloß nicht, dass ich ihn das nächste Mal wenn er hier auftaucht, wieder so Rüde raus schmeiße. Denn eigentlich mag ich diesen Polizisten ganz gern.“ Ich lächelte leicht und setzte mich auf einen der Küchenstühle, um ihm Gesellschaft zu leisten. Ich hätte ihm gern geholfen, doch mit meiner gegipsten Linken war das schier unmöglich. Außerdem schmerzte der Arm bei der kleinsten Bewegung und ich fühlte mich durch die Gehirnerschütterung immer noch etwas wackelig auf den Beinen. Nach dem Abendessen, wo Rick erleichtert bemerkte, dass mein Appetit wieder deutlich zugenommen hatte, auch wenn ich nicht viel aß, aß ich doch genug, machten wir es uns noch ein bisschen auf der Couch gemütlich, bis wir schließlich ins Bett gingen. Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um mich mit einer Mülltüte bewaffnet im Badezimmer zu verschanzen. Ich wollte Duschen und hatte seit gestern morgen auch die Erlaubnis des Arztes dazu, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass mein linker Arm trocken blieb. Umständlich wickelte ich diesen in die Tüte ein und zog mich dann aus, um mich unter den heißen Wasserstrahl zu stellen. Die Seife brannte etwas in den noch nicht verheilten Schürfwunden an meiner Schulter und meinem linken Becken, doch es war auszuhalten. Nach der Dusche lieh ich mir frische Kleidung von meinem Bruder und zog mich an. Dann gesellte ich mich zu Rick in die Küche und half ihm ein bisschen beim Frühstück zubereiten, so weit wie das einhändig möglich war. „Es tut gut, dich wieder so fröhlich zu sehen.“, bekannte dieser schließlich lächelnd, als wir uns gegen über saßen. Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee und lächelte leicht. „Wann willst du zu ihm gehen?“, fragte Rick und warf einen nachdenklichen Blick auf die Uhr. Ich folgte seinem Blick und zuckte leicht mit den Schultern. „Heute ist Sonntag und meistens hat er Sonntags frei. Ich denke nach dem Frühstück.“ Rick lächelte leicht. „Ich denke es ist gut, wenn du so bald wie möglich zu ihm gehst.“ Ich nickte. Ich wusste, Sam hatte jetzt lange genug gelitten. Nach dem Frühstück half ich meinen Bruder noch etwas Ordnung zu schaffen, verabschiedete mich dann ohne viele Worte von ihm mit einer Umarmung und nahm den Zweitschlüssel zu seiner Wohnung mit einem sanften Lächeln entgegen. Ich wusste, was er mir damit sagen wollte. Ich war jederzeit willkommen und sollte mich wie zu Hause fühlen. Dankbar umarmte ich ihn ein zweites Mal, dann verließ ich die Wohnung. Vor Sams Haus verließ mich kurzzeitig der Mut. Geschlagene zehn Minuten stand ich nur vor der Tür, starrte auf die Klingel die unsere Namen, die Betonung liegt auf: UNSERE Namen, trug und suchte in meinem Inneren verzweifelt nach dem kleinen Stimmchen, welches vor ein paar Stunden noch so überzeugt war, diese Unternehmung durchzuziehen. Es dauerte. Doch schließlich klingelte ich. Ein paar Augenblicke später vernahm ich seine Stimme. Erkannte die Müdigkeit in ihr und fragte mich, ob ich ihn wohl geweckt hatte. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr, doch es war bereits nach zehn Uhr. „...Ja?“ Ich holte tief Luft, straffte einen Moment lang die Schultern und erwiderte schließlich: „Ich bins...“ Stille. Es dauerte lange, bis er sich zurück meldete. Einen kurzen Augenblick dachte ich, er hätte mich nicht gehört, doch schließlich vernahm ich seine Stimme wieder. „....Jo?“ „Ja.“ Wieder hörte ich lange nichts. Gerade in dem Moment, als ich mich umdrehen und wieder gehen wollte, ertönte schließlich der Surrer der Tür und ich stieß sie schnell auf, bevor der Mut mich verließ. Ich sah ihn im Türrahmen gelehnt stehen, als sich die Türen des Aufzuges öffneten und ich einen Schritt nach draußen trat. Er trug eine bequeme Jogginghose und ein weißes, einfaches T-Shirt. Seine muskulösen Oberarme waren vor der Brust verschränkt. Sein Blick gab seine Gedanken und Gefühle nicht preis. „Hey...“, begrüßte ich ihn leise und kam vor ihm zum stehen. Er musterte mich kurz von oben bis unten, seine Augen blieben einen Moment zu lange auf meinem gegipsten linken Arm liegen, dann stieß er sich vom Türrahmen ab, löste seine Arme und vergrub stattdessen die Hände in den Hosentaschen. „Hey...“, antwortete ebenso leise und zögerte einen Moment, dann wies auf den Flur hinter sich. „Willst du rein kommen?“, fragte er mich und ich hörte eine kleine Nuance Hoffnung in seiner Stimme. Erleichtert nickte ich bestätigend und er ließ mir den Vortritt. Unsicher wartete ich, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlüpfte zögernd aus meinen Schuhen und folgte ihm schließlich ins Wohnzimmer. Bevor ich die Couch erreichte, sprang mich ein kleines, getigertes Fellknäuel an und ich lächelte als ich Mikey erkannte. Schnell hob ich ihn hoch, drückte ihn kurz an mich und streichelte sein weiches Fell. Er maunzte zufrieden und sah mich aus großen, braunen Katzenaugen erwartungsvoll an. Wieder schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. „Ich kann dir noch nicht versprechen, ob ich bleibe, oder nicht. Das kommt ganz auf dein Herrchen an.“, flüsterte ich ihm leise zu und setzte ihn dann auf dem Boden ab. Wissend sah er mir noch einen Augenblick in die Augen und wandte sich dann seinem Spielzeug zu, mit dem er wohl gerade gespielt hatte. Ich setzte mich zögerlich wieder in Bewegung, sah Sam bereits vor der Couch stehen und trat auf ihn zu. „Willst du was trinken?“, fragte er mich leise und sah mir wieder mit diesem undefinierbaren Blick in die Augen. Ich schüttelte leicht mit dem Kopf. „Nein...danke. Gerade nicht.“ Er nickte und wies auf die Couch. „Wollen wir uns vielleicht setzen.“ Ich sparte mir die Antwort und ließ mich in das weiche Leder sinken. Er tat es mir gleich, zog ein Knie auf die Couch und wandte sich so mit dem Körper zu mir. Schweigend betrachteten wir uns gegenseitig, keiner schien recht zu wissen, wie er das ausstehende Gespräch beginnen sollte. Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und setzte zum Sprechen an, doch er kam mir zuvor: „Wie geht es dir?“, fragte er beinahe tonlos und betrachtete während seiner Worte meinen linken Arm. Ich zuckte mit den Schultern. „Geht so. Tut noch weh, aber ist auszuhalten. Bin schließlich selbst schuld.“, erwiderte ich und wagte ein erstes Lächeln in seine Richtung. Doch er bemerkte es nicht. Sein Blick veränderte sich und ich las Schmerz und Schuld in seinen Augen. „Nein ist es nicht...“, erwiderte er und wandte seinen Blick schließlich ab. Ich schüttelte nachdrücklich mit dem Kopf. „Doch ist es. Ich habe mich in den letzten Tagen wirklich unmöglich benommen. Mein Verhalten dir und Rick gegenüber war unter aller Kanone. Es tut mir leid, dass ich dich ignoriert und mit meinem Verhalten verletzt habe. Ich hoffe du kannst mir noch mal eine Chance geben...“ Verwundert sah er auf und unsere Augen trafen sich. „Was...spinnst du? Nicht du solltest dich bei mir entschuldigen. Das ist vollkommener Blödsinn! ICH habe dir schließlich nicht vertraut und dir vorgeworfen mich belogen zu haben. Dass du damals gegangen bist und ich dich nicht aufgehalten habe...ich kann dir nicht beschreiben, wie oft ich dies schon bereut habe in den letzten zwei Wochen.“, erwiderte er ernst und ich spürte wie mir ein warmer Schauer den Rücken herunter rann, bei seinen Worten. Erleichtert atmete ich auf. „Das heißt du vergibst mir?“, fragte ich ihn leise und traute mich etwas näher zu ihm zu rücken. „Es gibt nichts zu vergeben. Die Frage ist eher, kannst du mir noch eine zweite Chance geben?“, entgegnete er fest und wieder trafen sich unsere Augen. Ich lächelte und schob mich noch etwas näher zu ihm, bis sich unsere Knie berührten. Dann hob ich meinen unverletzten Arm, legte ihn in seinen Nacken und zog ihn etwas zu mir nach unten. Seine Lippen waren meinen ganz nah und ich atmete tief durch um ein bisschen von seinem typischen Duft einzuatmen. Er lächelte zögerlich, vergrub ebenfalls eine Hand in meinem Haar und überbrückte die letzten Zentimeter die uns trennten. Seine weichen Lippen trafen auf meine und ich hatte mühe weiter zu atmen. Langsam bewegte er seine Lippen und ich öffnete den Mund einen spalt breit. Seine Zunge wagte sich zögerlich vor und verwickelte meine in einen kleinen Kampf. Mein Herz machte einen kleinen Sprung und ich spürte die Hitze in meinem Inneren, die sich langsam ausbreitete. Warme Schauer rannen über meinen Körper, als auch seine zweite Hand aktiv wurde und langsam meine rechte Seite entlang wanderte. Sein Kuss wurde intensiver, hungriger und ich ließ es zu, dass er mich noch näher zu sich zog. Ich spürte die Sehnsucht und war in diesem Moment glücklicher als je zuvor. Schließlich, als die Luft uns beiden zu knapp wurde, löste er seine Lippen von mir und sah mich schwer atmend an. Sein Blick war voller Zärtlichkeit, voller Liebe und ich wusste, jetzt würde ihn nichts mehr davon abbringen lassen, endlich die Worte auszusprechen, die ihm seit meinem Auftauchen auf den Lippen lagen. „Ich liebe dich!“ Ich lächelte. Und wusste, dass die Strapazen der letzten Monate es wert gewesen waren, um diese Worte, von diesem Mann, hören zu dürfen. Epilog: -------- Epilog „Ja...bis gleich!“, antwortete ich lächelnd, nahm dann das Handy vom Ohr und drückte auf die rote Taste. Glücklich schob ich das kleine Gerät in meine linke Hosentasche, griff dann nach meinem kleinen Rucksack, in dem ich die benötigte Kleidung aufbewahrt hatte und wandte mich endgültig Richtung Ausgang. Die Sonne stand noch hoch an Zenit und erneut schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen als ich nach oben in den tiefblauen, wolkenlosen Himmel sah. Ich kannte dieses Wetter. Ich wusste genau, wann ich es zum ersten Mal bewusst erlebt hatte. Auch wenn es schon knapp vier Jahre her war. Kurz dachte ich an die schwere Zeit von damals zurück, an die ich mich jetzt nur noch gelegentlich erinnerte. Tatsächlich waren die Schwierigkeiten von damals, jeden Tag ein wenig mehr in den Hintergrund gerückt. Während ich im ersten Jahr nach meinem missglückten Selbstmordversuch noch häufig an meine Zeit als Stricher und Obdachloser zurück gedacht hatte, so war sie jetzt wie in weite Ferne gerückt. Und je mehr Zeit verging, desto mehr verblassten die Bilder. Auch wenn sie mich nachts noch oft einholten, so konnten sie mir nun nichts mehr anhaben. Gemütlich schlenderte ich den Weg durch die Innenstadt hindurch, weiter in Richtung der vornehmeren Wohnviertel und schlug schließlich den Weg nach Hause ein. Von hie raus brauchte ich knapp zwanzig Minuten zu Fuß. Vor einem kleinen Häuschen in einer ruhigen, fast schon spießigen Gegend hielt ich schließlich an, kramte meinen Haustürschlüssel heraus und schloss die Tür auf. Sofort kam mir ein kleiner, maunzender Kater entgegen, welcher wohlig schnurrend um meine Beine huschte. Ich lachte leise in mich hinein, beugte mich nach unten zu dem fellbesetzten Tier und kraulte es einen Moment lang hinter den Ohren. Dann richtete ich mich wieder auf, schlüpfte aus meinen Schuhen und legte meinen Rucksack auf die kleine Bank, neben der Kommode. Fröhlich pfeifend ging ich in die Küche, nahm mir einen Milchshake aus dem Kühlschrank und öffnete dann die Terrassentür im Wohnzimmer, um mich einen Moment nach draußen zu setzen. Der Kater folgte mir, setzte sich maunzend auf meinen Schoß und ich überschüttete ihn mit Liebesbekundungen und Streicheleinheiten. Als es ein paar Stunden später langsam zum Dämmern anfing, griff ich nach meinem leeren Becher, der neben mir auf einem kleinen Tisch stand und kehrte dem gepflegten kleinen Garten den Rücken zu. Im Badezimmer, im ersten Stock, zog ich mir die kurzen Shorts und das leichte Hemd aus, welches ich heute getragen hatte und stieg unter die Dusche. Dann zog ich mir eine leichte Jeans und ein schwarzes, langärmliges Hemd an, krempelte beide Ärmel ein Stück nach oben und richtete das schwarze Chaos auf meinem Kopf vor dem Spiegel des Schlafzimmers. Dann ging ich nach unten, zog mir meine inzwischen wirklich stark mitgenommenen Chucks an, griff nach der leichten Sommerjacke und nahm meine schwarze Umhängetasche, packte alle wichtigen Gegenstände, wie Schlüssel und Handy ein, und machte mich auf den Weg zurück in die Innenstadt. Als ich mich der kleinen Bar näherte, verlangsamte ich meine Schritte. Schon bevor ich den Laden, welcher durch eine lange, große Glasfassade von der Straße getrennt war, konnte ich die drei Menschen, die mir die wichtigsten auf der Welt waren, erkennen. Mein Bruder Rick und seine Freundin Sandy saßen nebeneinander an einem der Hochtische und unterhielten sich lachend mit einem dritten, der mir den Rücken zugewandt hatte. Sandy war seit bald zwei Jahren ein Teil von Rick und ich hatte sie sehr ins Herz geschlossen. Sie war fertig ausgebildete Krankenschwester, in dem Haus, in dem auch mein Bruder seine Ausbildung abgeschlossenen hatte. Sie hatten sich nicht gesucht, aber gefunden und ich war froh darüber, denn Rick war so glücklich mit ihr wie noch nie zuvor. Ich mochte ihre offene, lustige Art und die Tatsache, dass sie immer ehrlich und direkt war. Außerdem war sie bildhübsch, doch das war mir persönlich egal. Ich hatte nur Augen für jemand anderen. Der ebenfalls am Tisch saß, jedoch mit dem Rücken zu mir gewandt. Ich lächelte noch mehr, als ich den breiten, muskulösen Rücken des anderen einen Moment lang versonnen betrachtete, der mir so vertraut war, wie alles an ihm. In dem Moment erkannte mich Rick hinter der Tür und winkte mir freudig zu. Ich winkte zurück, stieß die Tür auf und wandte mich zu den dreien, welche zeitgleich aufstanden, um mich zu begrüßen. Der, der mit dem Rücken zu mir stand, war am schnellsten, drehte sich um und zog mich in eine liebevolle Umarmung und drückte mir dann einen sanften Kuss auf die Stirn. Ich hob den Blick und schmunzelte als ich die Sehnsucht in seinen Augen sah. Dann gab ich ihm einen leichten Kuss auf die Lippen und löste mich dann von ihm. Er lächelte mich an, voller Liebe und Zuneigung und ich genoss diesen kleinen Augenblick in vollen Zügen. „Hey Bruderherz, wir haben schon auf die gewartet!“, unterbrach mich Rick schließlich, drehte mich an der Schulter zu ihm herum und zog mich in eine kurze, brüderliche Umarmung. Auch Sandy umarmte mich einen Augenblick später, mit einem „Schön das du da bist!“ und wir setzten uns zu viert wieder an den Tisch. „Und? Erzähl endlich! Sam wollte uns nichts verraten.“, fragte mein Bruder ungeduldig und sah mich mit einem erwartungsvollen Leuchten in den Augen an. Ich grinste, warf meinem Freund ein wissendes Lächeln zu und griff nach meiner Tasche, die ich neben den Stuhl abgelegt hatte. Langsam, um die Spannung noch zu steigern, zog ich schließlich ein mit Glassichthülle geschütztes Dokument im DinA4 Format heraus und reichte es meinem Bruder über den Tisch hinweg. Dieser musterte das Papier einen Moment schweigend, dann leuchteten seine Augen noch einen Grad heller und das Lächeln in seinem Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde breiter. „Ich wusste du schaffst es mit links! Herzlichen Glückwunsch!“, rief er aus, stand auf und zog mich erneut jubelnd in eine schnelle Umarmung. Ich lachte und auch Sandy ließ es sich nicht nehmen mich noch mal zu umarmen. „Ich freu mich so für dich!“, sagte sie ebenfalls mit leuchtenden Augen und ich konnte in dem Moment nicht anders, als Sam, meinem Freund, erneut einen Blick zuzuwerfen. Er lächelte mich wissend an und ich erwiderte sein Lächeln. Als die Beiden endlich von mir abließen, legte er mir einen Moment lang den Arm um die Schultern und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Stolz erzählte ich den dreien von meinem erfolgreichen Tag und der Bekanntgebung der Prüfungsergebnisse. Endlich war ein lang ersehnter Traum von mir in Erfüllung gegangen. In wenigen Tagen, würde ich meinen Dienst als Polizist in Sams Revier antreten und mich damit meinem Zukunftsträumen einen großen Schritt entgegen bringen. Wieder sah ich Sam in die Augen. Wieder sah ich die Liebe in seinem Blick. Ich beugte mich zu ihm rüber und flüsterte ihm leise ins Ohr. „Ich liebe dich!“ Er lächelte voller Wärme, griff nach meiner Hand, die unter dem Tisch lag und drückte sie leicht. Das war für mich Antwort genug. Jetzt gab es nichts mehr, was meinem Glück im Wege stand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)