Kurzgeschichten von Karopapier (das, was ich in ruhigen Minuten fabriziere) ================================================================================ Kapitel 15: Vorweihnachtsabend ------------------------------ Ich renne, muss mich beeilen. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, bis ich da sein muss. Überall hängt Wäsche auf den Leinen, die von Haus zu Haus gespannt sind... ich beachte sie kaum. Wie Farbschlieren nehme ich sie wahr, rot, braun, grün. Sie gehen ineinander über, verschmelzen zu einem bunten Himmel, unter dem ich durchrenne. Schnell. Händler kreuzen meinen Weg, in ihren Körben verschiedenste Dinge, die sie zum Verkauf anbieten. Die sie auch mir anbieten, aber was ich brauche habe ich schon. Glatt liegt es in meiner Hand, ein Rest Wasser gluckert im Inneren. Ich darf es mir nicht ausmalen, darf nicht einmal daran denken, was passiert wenn ich zu spät komme. Ich weiß, du würdest sagen dass es nicht so schlimm ist. Aber heute, heute will ich um jeden Preis nochmal bei dir sein. Bevor du zurückgehst. Zurück in deine Welt, in ein Land, in dem Winter herrscht, Nässe und Kälte. Das Hotel kommt in Sicht. Ich bemerke ein leichtes Stechen in der Seite, aber ich ignoriere es. Mein Ziel ist so nah, ich darf nicht aufgeben. Nur am Rande bemerke ich, dass mir die vom Salzwasser getränkten Hosenbeine hart gegen die Waden schlagen. Die Straße scheint immer länger zu werden, aber du bist noch da, ich kann es fühlen. Und das ist schließlich die Hauptsache. Und dann, als ich nur noch wenige Meter vom Eingang entfernt bin, sehe ich dich. Du willst gerade in ein Auto steigen, ich rufe dir zu. Renne so schnell ich nur kann. Mein Atem geht pfeifend, aber immerhin: Du hast mich gehört, wartest. Als ich stehen bleibe, habe ich das Gefühl umzufallen, meine Beine scheinen mir nicht mehr gehorchen zu wollen. Strahlend und glücklich darüber, dich noch erreicht zu haben, drücke ich dir mein Geschenk in die Hand, gerade noch rechtzeitig. Jemand, den ich nicht kenne, schiebt dich bestimmt in das Wageninnere. Mir bleibt nichts anderes übrig als hinter dir her zu winken, einem kleiner werdenden Menschen, der auf dem Rücksitz eines teuren Autos ungläubig auf eine Muschel starrt. Nein, traurig bin ich nicht, dass du weg bist. Schade nur, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann, wenn du aufwachst. Wenn du die Muschel siehst und dich fragst, wie sie in deine Hand kam. Außerdem, wer weiß? Vielleicht sehen wir uns wiedern, nächste Nacht? Ich setze mich auf die Hoteltreppe, genieße die letzten Strahlen der Sonne, die hier gerade untergeht. Innerlich bin ich mir schon fast sicher, dass du wiederkommst. Die schönsten Träume hat man schließlich immer zweimal im Leben. Morgen ist Weihnachten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)