Miss Keep-Your-Distance von Carikku (Auftrags-Killer) ================================================================================ Kapitel 10: Episode 5: Gucken erlaubt. Anfassen verboten. --------------------------------------------------------- Gucken erlaubt. Anfassen verboten. Am Freitagmorgen, der Tag ihres nächsten Auftrages, hatte Trysha sich entschieden anstatt mit der U-Bahn lieber zu Fuß zu gehen. Erstens, weil das Wetter so schön und zweitens, weil sie sowieso zu früh war. Sie war aber nicht auf dem Weg zur Zentrale, sondern zu dem Beruf, der ihr tausendmal lieber war. Also machte sie einen kleinen Umweg durch den Grant Park. Dort herrschte zu dieser Jahreszeit immer ein reges Treiben. Und dieses Jahr war da keine Ausnahme. Kinder tobten auf den Spielplätzen herum. Auf den Wiesen wurde mit Hunden gespielt. Frauen sonnten sich auf ihren Handtüchern und freuten sich insgeheim wenn ein Ball in ihre Nähe rollte, sie ihren großen Strohhut abnehmen und ihn ungeschickt zurückwerfen konnten. Hinter sich hörte Trysha plötzlich schnelle Schritte. Als sie sich umdrehte, sah sie wie drei kleine Jungs auf sie zu gerannt kamen. Aber sie rannten nicht auf Trysha zu, sondern wollten an ihr vorbei auf den neuen Spielplatz, der erst vor kurzem fertig geworden war. „Jetzt wartet doch mal!“, rief der letzte von ihnen. „Tja, wenn du gewinnen willst, musst du mich schon überholen!“, schrie der erste über die Schulter nach hinten und achtete nicht mehr auf seinen Weg. Trysha wollte noch ausweichen und machte einen Satz schräg nach hinten, wobei sie mit jemandem zusammen stieß und als sie sich umdrehen wollte, rannte der kleine Junge schon in sie hinein. Durch die Wucht des Zusammenpralls wurde sie nach hinten geworfen und fiel zusammen mit dem Jungen und der Person hinter sich auf den Gehweg, der aus Kieselsteinen war. „Aua“, stöhnte Trysha, die auf etwas Kantigem landete. Der kleine Junge sprang auf, er hatte sich nichts getan. „Entschuldigung!“, rief er und rannte seinen Freunden hinterher, „Tim! Dan! Das gilt nicht! Bleibt doch stehen!“ Trysha starrte ihm nach. Wie nett. Jemand räusperte sich und sie bemerkte, dass sie immer noch auf dem Boden saß oder eher auf einem Knie. Außerdem wurde ihre Position dadurch noch verschlechtert, dass ihr Rock, der sowieso schon kurz war, noch höher gerutscht war und allen umher stehenden Leuten einen großzügigen Einblick auf ihre wohl geformten Oberschenkel gewährte. Schnell richtete sie sich auf und streckte dem Mann, wie sie jetzt sah, die Hand entgegen und half ihm auf. Er war groß, gut aussehend und braunhaarig. „Oh, verzeihen Sie, ich war eben abgelenkt“, sie lächelte ihn entschuldigend an und betrachtete den Schaden, sie war genau wie der Junge unversehrt. Doch der Mann hatte ein paar Flecken an seiner Hose und sie fühlte, dass seine Handfläche etwas rau war. Doch er schüttelte abwehrend den Kopf. „Nein, nein. Sie können ja nichts dafür.“ Er grinste sie ebenfalls an. An seinem Verhalten erkannte sie, dass er darauf aus war, aus diesem Unfall seine Vorteile zu ziehen, was unter anderem wohl daran lag, dass sie fast auf ihm gesessen hatte und er mehr gesehen hatte als sie beabsichtigte zu zeigen. „Ich bin David.“ Trysha zögerte, schüttelte dann aber trotzdem seine Hand. „Ich heiße Trysha.“ „Ah. Tja, also die Jugend von heute“, er verdrehte spielerisch die Augen. Trysha musterte ihn, er sah aus wie ein Geschäftsmann, auch wenn er keinen Anzug trug, er hatte diese gewisse Art. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. „Ja, da haben sie Recht.“ „Hätten sie vielleicht Lust auf einen Kaffee, oder-“, wollte er gerade anfangen zu fragen, als sie eine Bewegung mit ihrem Kopf machte, wobei ihr Haar nach hinten flog und sie ihm genau in die blauen Augen sehen konnte. Das ließ ihn verstummen. Sie grinste ihn bedauernd an und säuselte: „Entschuldigung, aber ich muss jetzt zur Arbeit.“ Dann senkte sie die Lieder, schlängelte sich elegant an ihm vorbei und ließ ihn stehen. So machte sie es mit den Männern, die ihr zu nahe kamen. Sie konnte nicht anders. Gucken erlaubt. Anfassen verboten. Wenig später betrat sie das Grundstück des großen Gebäudes, an dem mit schlichter Schrift über dem Eingang stand: Kinderkrankenhaus. Der Weg, der zu dem Eingang führte, war auf beiden Seiten von Bäumen und Grasflächen umgeben. Links befand sich ein kleiner Spielplatz, auf dem bei diesem Wetter auch ein paar der Kinder spielten. Es war ein privater Platz, also nur für die Kinder, die im Krankenhaus stationiert waren. Aber Krankenhaus war eigentlich nur ein Oberbegriff, denn hier wurden auch Waisenkinder aufgenommen, sowie Frühchen, die noch in ihrem Inkubator liegen mussten. Das Hauptkrankenhaus war nämlich gleich nebenan und unterirdisch mit diesem Gebäude verbunden. Manchmal holten sie auch Babys aus Afrika oder anderswo aus der dritten Welt um diese aufzupeppen, weil sie so abgemagert waren und sie dann zur Adoption freizugeben. Trysha öffnete die Tür und der bekannte Krankenhausgeruch umschloss sie. Sie ging zum Informationsschalter, wo sie überrascht von Rita empfangen wurde: „Oh! Heute bist du ja besonders früh!“ „Ja ich weiß. Ich hatte gerade nichts anderes zu tun und dann bin ich noch durch den Park gegangen“, sie schaute kurz durch die Glastüren nach draußen. „Außerdem ist es draußen doch so schön...“ „Da hast du Recht. Wenn du magst kannst du ja Steven schon ablösen, der freut sich bestimmt wenn er schon etwas früher Feierabend machen kann“, sie deutete auf den rechten Gang. „Ich glaube er ist gerade bei den Kindern im Spielzimmer.“ Rita strich sich eine blond gefärbte Haarsträhne hinters Ohr und beugte sich wieder über ihre Arbeit. „Okay, danke!“, sagte Trysha, bemüht ihre Bitterkeit nicht zu zeigen, wenn sie daran dachte wie ihr Feierabend aussehen würde. Irgendjemand würde wieder sterben müssen und auch die Chancen auf eine Auseinandersetzung mit ihrem Vater standen nicht schlecht... Trysha ging den hellen Gang hinunter, an den zahlreichen Zimmern, in denen die kleinen Patienten lagen, vorbei. Das Krankenhaus wirkte auf sie immer etwas zu steril und ungemütlich mit seinen weißen Gummiböden, Wänden und Türen. Man musste immer Angst haben, dass man etwas schmutzig machte. Sie betrat durch eine Schwingtür, die Abteilung der Waisen, in der sie arbeitete. Die Atmosphäre änderte sich abrupt und hier sah es nicht mehr so sehr nach Krankenhaus aus. Die Deckenlampen waren altmodisch und die Türen bestanden aus naturbelassenem Holz. Die Zimmer der Kinder besaßen sogar Teppichböden und Holzbetten, anstatt der unheimeligen Gummiböden und Plastik oder Metallbetten wie in der Krankenhausabteilung. Die Zimmer waren mit viel Spielzeug und schönen Tapeten, auf denen Luftballons, Blumen und Tiere drauf zu sehen waren, eingerichtet. Trysha fand, dass die Kinder im Krankenhaus sich in solch einer Umgebung bestimmt ebenfalls wohler fühlen würden, doch anscheinend war die Hygiene wichtiger. Vom Weiten sah sie wie sich die Zimmertür mit der Nummer 27 öffnete und ein kleines Mädchen in einem rosa, bodenlangen Nachthemd auf den Flur getippelt kam. Ihr weißes Kuschelkissen fest unter den Arm geklemmt, bewegte sie sich ihr entgegen in Richtung Toilette. „Fely!“, rief Trysha und winkte ihr entgegen. Felizitas schien sie erst jetzt zu bemerken und ihr Gesichtsausdruck erhellte sich augenblicklich. Sie strahlte Trysha an und stolperte ihr entgegen, wobei ihr platinblondes Haar wild umher flog. „Fely, wieso gehst du denn alleine? Was ist denn mit deiner Freundin?“, fragte Trysha und kniete sich vor sie hin. Sie schien einen wunden Punkt getroffen zu haben, denn Felizitas Lächeln erstarb und sie blickte zögernd zu ihrem Zimmer hinüber. „Aishe will nicht“, sagte sie mit der größten Überzeugung, die eine Vierjährige aufbringen konnte und schmollte vor sich hin. Wahrscheinlich hatten sie sich gestritten, aber wie Trysha die beiden kannte, würden sie sich innerhalb kürzester Zeit wieder vertragen und spielten weiter mit ihren Puppen. „Ach! Das kann ich gar nicht glauben. Komm doch gleich ins Spielzimmer, dann klären wir alles auf“, sagte Trysha in ihrem verständnisvollsten Tonfall und schüttelte den Kopf. Felizitas schaute sie erst zweifelnd an, ihre großen blauen Augen blinzelten ein paar mal, doch dann drückte sie ihre Decke fester an sich und lächelte. „Ja. Trysh hat immer Recht“, sie nickte, steckte sich den Daumen in den Mund und setzte ihren Weg ins Bad weiter fort. Trysha grinste und erhob sich. Felizitas war als Einjährige hier hergekommen. In ihrer Wohnung hatte es gebrannt, dabei war ihre Mutter gestorben und da ihr Vater, während der Schwangerschaft seiner Freundin, abgehauen war, war sie hier einquartiert worden. Bis jetzt hatte sie noch keiner adoptieren wollen, was wohl unter anderem an ihren Brandnarben lag, die größtenteils an ihrer linken Körperhälfte waren. Sie musste deswegen spezielle Kompressen tragen, die bei der Heilung halfen und die Schmerzen linderten. Am stärksten waren ihr Oberarm und ihre Füße betroffen. Auf ihrer Wange waren auch noch Spuren von dem Brand zu sehen, aber Trysha fand, dass es sie keinesfalls entstellte, sondern nur noch niedlicher machte. Sie liebte ihren Nebenjob, obwohl sie so gut wie nichts daran verdiente. Es gab ihr einfach ein gutes Gefühl auch mal zu helfen und nicht immer nur der Todesengel zu sein. Sie hasste es nachts Menschen umzubringen, von denen sie nichts wusste, auch nicht ob sie es vielleicht gar nicht verdient hatten. Deswegen fühlte sie sich besser, wenn sie hier half junges Leben zu erhalten, die Waisen in Familien zu bringen und einfach nur auf die Kinder aufzupassen. Auch wenn sie wusste, dass sie dadurch ihre Taten nicht wieder gut machen konnte. Sie öffnete die große Glastür, neben der an der Wand ein selbst getöpfertes Schild mit der bunten Aufschrift „Spielzimmer“ hing. Der Raum war groß und mit zwei langen Tischreihen versehen, an denen zahlreiche Stühle standen. Das Ganze natürlich in Kindergröße, so dass Steven, ihr Kollege, der auf einem der Stühle saß und einem Kind beim Malen zusah, viel zu groß wirkte. „Hallo Steve“, grüßte sie und trat hinter ihn, um auf das Bild zu schauen. „Na, was malt ihr?“ „Der kleine Jonathan Jonas... versucht sich gerade an einem Elefanten“, antwortete er lächelnd und fuhr sich durch das dichte blonde Haar. Trysha warf einen belustigten Blick auf den großen blauen Fleck auf dem Bild. Doch dann musterte sie das Sorgenkind der Gruppe nachdenklich. Jonathan Jonas war fünf Jahre und erst vor einigen Wochen zu ihnen gekommen, da seine Eltern ihn einfach vor der Tür abgesetzt hatten und dann spurlos verschwunden waren. Sie hatten nicht gewusst wer dieser Junge war und er hatte stockend gesagt, dass sein Name Jonathan Jonas war. Das war aber auch so ziemlich das einzige was der Junge wusste oder sagte. Er war von seinen Eltern wohl stark vernachlässigt worden, denn er beherrschte nur wenige Wörter und kannte keine selbstverständlichen Verhaltensweisen oder Namen von Gegenständen. Sie waren dabei ihn von Grund auf neu zu erziehen, doch er lernte in diesem Alter nur noch langsam. „Wieso bist du eigentlich schon hier?“, fragte Steve interessiert und drehte sich auf seinem kleinen Holzstuhl zu ihr um. „Bin heute früher gekommen, wenn du willst kannst du Schluss machen.“ Er nickte, wollte aber noch Jonathan bei der Beendung seines Bildes zusehen und den kurzen Tagesbericht schreiben. Trysha ging durch den Raum, um die verschiedenen Kinder zu begrüßen und sich einen Überblick zu verschaffen. Momentan waren dreiundzwanzig Kinder hier im Waisenhaus und sie hatte jedes einzelne in ihr Herz geschlossen. Es war immer schwer für sie und ihre Kollegen, wenn eines ihrer Schützlinge adoptiert wurde. Auf der einen Seite freute man sich natürlich, aber auf der anderen war man auch traurig, weil man es aus den Augen verlor und seinen Wachstum nicht mehr mitverfolgen konnte. Doch man hatte die Gewissheit, dass es bei seinen neuen Eltern wenigstens in guten Händen war. Die kleinen Zwerglein wuchsen ihr immer zu sehr ans Herz, aber sie konnte nichts dagegen tun. Mit ihrer Lebensfreude und ihren Begeisterungsstürmen für völlig belanglose Dinge schafften sie es immer wieder Trysha um ihre kleinen Finger zu wickeln. Zudem liebte sie es zuzuschauen, wie sie Spiele spielten. Verstecken, Fangen, Plumssack oder Mutter, Vater, Kind. Das erinnerte sie dann teilweise an ihre eigene Kindheit, die immer schön gewesen war, solange sie im Kindergarten oder in der Schule war. Zu Hause, bei ihrem Vater war es dann meistens langweilig und später unerträglich gewesen. „Ich bin jetzt fertig!“, rief Steve zu ihr herüber und machte sich zur Tür auf, wobei er sich seine dünne Sommerjacke schnappte „Ja, dann übernehme ich jetzt!“, antwortete sie und er nickte eifrig. „Danke.“ „Gern geschehen“, meinte sie lächelnd und warf ihm eine Kusshand zu, er fing den Luftkuss gespielt dramatisch auf und torkelte ein paar Schritte rückwärts. Dann zwinkerte er ihr amüsiert zu und verließ den großen Raum. Trysha grinste in sich hinein und setzte ihren Rundgang fort. Sie mochte ihre Kollegen. Als sie bei Jonathans Jonas ankam blickte sie liebevoll zu ihm hinunter. Sie setzte sich neben ihn und versicherte, dass sein Elefant wunderhübsch war. Er sollte ihr erzählen was er als nächstes zeichnen wollte, er antwortete es würde ein Löwe werden und patschte mit seiner Hand auf eine aufgeschlagene Bilderbuchseite, auf der ein Löwe abgebildet war. Trysha freute sich über jedes Wort, dass er mit ihr redete und gesellte sich dann zu den Mädchen, die gerade mit Puppen spielten. *** Ah gut. Die 5. Episode ist auch fertig! Als nächstes kommt wieder etwas Action. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)