The Past von abgemeldet (Meine (dunkle) Vergangenheit) ================================================================================ 3. Tag ------ „Never thought this day will come so soon” Arisha wurde vom Geräusch eines klingelnden Handys geweckt. Verschlafen drehte sie sich auf die Seite und griff nach dem Rucksack, der neben dem Bett stand. Nach einer kurzen Suche fand sie das nervende Plastikteil. Verdammt sei die Technik. Sie stütze sich mit dem Ellenbogen auf dem Bett ab und besah sich den Display des dauerpiepsenden Ungetüms. Ares, wer sonst? „Halt die Klappe, Ares.“, murmelte Arisha, drückte den Anruf weg und ließ sich seufzend ins Kissen zurücksinken. Der Kerl hatte ja Probleme, sie frühmorgens anzurufen. Anscheinend wollte er einen langsamen und schmerzvollen Tod sterben. Sie schloss die Augen und bereitete sich seelisch auf einen Wutanfall vor, dann riskierte sie einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr in der früh. Gut, JETZT war sie sauer. Sie setzte sich auf, als ein Klopfen an der Tür erklang. Sie konnte sich schon denken wer das war, aber sie ließ sich Zeit. Sollte Ares doch warten. Fünfzehn Minuten später stand ein wütender Ares im Raum. „Spinnst du eigentlich total? Warum hast du nicht abgenommen?“ Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. „Ich hab geschlafen. Es ist fünf Uhr! Der Einzige der hier spinnt, bist ja wohl du.“ Darauf wusste er nichts zu sagen. „Gibt es wenigstens einen Grund warum du mich so früh aus dem Bett klingelst?“ „Klar gibt es den: Leun.“ „Was ist mit ihm?“ „Wolltet ihr euch nicht treffen?“ Arisha stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Um drei, Ares, um drei! Nachmittags! Jetzt ist es fünf!!“ Ares nahm seinen gewohnten Gesichtsausdruck ein: dieses überhebliche Grinsen, welches Arisha so hasste. „Schön, dann lassen wir ihn mal unbeobachtet herumlaufen. Es ist ja auch völlig normal, dass jemand frühmorgens herumrennt. Davon hast du mich ja gerade eben überzeugt.“ Mehr musste Ares nicht sagen. Kaum eine Minute später standen beide unten auf der Straße. „Also? Wo ist er hin?” Sie sah Ares fragend an. Er nickte Richtung Straßenkreuzung. „Dahin. Und weiter weiß ich nicht, da ich ja auf eine gewisse Person warten musste.“ „Es ist gut, Ares.“, knurrte sie leise. „Ich hab’s verstanden, okay? Also sei einfach still.“ Das Grinsen wich nicht von seinem Gesicht. Wie konnte eine einzelne Person nur so nervtötend sein? Arisha wandte den Blick ab und sah suchend zur Straßenkreuzung. Wohin war Henry gegangen? Sie dachte an das Kloster, das in der Nähe lag. Angeblich hatte Henry ja Verbindungen zu den Templern, also war das die erste Adresse, an der sie suchen mussten. Das Ganze konnte sich natürlich auch als Fehlalarm herausstellen. „Was ist mit dem Kloster?“, fragte sie den Schwertmeister. Ares zuckte mit den Schultern. „Daran hab ich auch schon gedacht, allerdings wären die Templer selten dämlich, wenn sie sich neuerdings in Gotteshäusern treffen.“ Arisha erinnerte ihn an Charney und Ares verzog das Gesicht. „Stimmt. Du hast gewonnen.“ In stillem Einverständnis schlugen sie unterschiedliche Wege ein, nur für den Fall, dass Templer in der Nähe waren. Arisha war den Templern unbekannt, ein großer Vorteil für die Prieuré, denn so konnte sie offen handeln ohne Verdacht zu erregen, was bei Ares oder dem Rest der Prieuréritter sowie einigen Söldnern, Shareef eingeschlossen, unmöglich war. Wenn man sie aber mit dem Schwertmeister zusammen sah, dann wäre sie aufgeflogen. Überhaupt fragte sie sich, warum sie bei Gisbert noch keine Anhaltspunkte gefunden hatten. Klar, Gisbert hatte zurückgezogen gelebt, aber so sehr? Selbst in der Zeitung hatte nur eine kurze Anzeige gestanden, dass man ihn ermordet aufgefunden hatte. Anscheinend gehörten Mord und Totschlag inzwischen wirklich schon zum Alltag. Arisha betrachtete das Kloster aus einiger Entfernung. Es war nicht sonderlich groß, aber es machte einen gepflegten Eindruck. Zwei, drei Gestalten arbeiteten im Kräutergarten, sonst schien alles wie ausgestorben. Sie lies ihren Blick über das Gelände schweifen. Weit und breit waren weder Henry noch irgendwelche Templer zu sehen. Anscheinend hatten sie sich geirrt. Oder die Templer waren klüger geworden und jemand Anderes als Charney führte jetzt die Verhandlungen. Von Antin vielleicht, oder de Loyolla und wie sie alle hießen. Arisha ging auf das Portal zu, als ihr Handy anfing zu Summen. In weiser Voraussicht hatte sie es auf stumm geschaltet, damit nicht jedes Mal jeder darauf aufmerksam wurde. Mit einem Seufzen las sie die Nummer auf dem Display ab und ging dann ran. „Was ist los, Ares?“ „Du hast in verpasst.“ Seine Stimme klang leicht höhnisch. Arisha stellte sich vor, dass er jetzt irgendwo stand und seinen persönlichen Triumph genoss. Sie unterdrückte die kalte, berechnende Wut, die in ihr aufstieg. „Was meinst du?“ „Er ist bereits fort.“ „Und woher weißt DU das?“ Eine Weile war Stille und Arisha begann bereits sich zu fragen, ob er sie überhaupt gehört hatte. „Ich rede mit den Leuten.“, sagte er schließlich. „Das solltest du vielleicht auch mal tun.“ „Ich staune.“ Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar. „Neuerdings redest du mit den Leuten, bevor du sie abschlachtest. Du wirst ja immer menschlicher. Nicht mehr lange und du bittest sogar um Entschuldigung, wenn du jemanden abstichst.“ „Das reicht!“ Er sagte das nicht sehr laut, tatsächlich war es kaum mehr als ein Zischen. Doch der Tonfall brachte Arisha zum Verstummen. „Ich glaube, du vergisst gerade mit wem du es zu tun hast. Du solltest nicht vergessen, wen du zu respektieren hast. Verstanden?“ Sie hielt sich davon ab zu nicken, da er es sowieso nicht sehen konnte und begnügte sich mit einem leisen „Ja“. Ihr Temperament war tatsächlich mit ihr durchgegangen. Selbst wenn sie Ares nicht leiden konnte, musste sie ihm das nicht zeigen. Kurz kämpfte sie noch mit ihrem verletzten Stolz. „Wo ist er hingegangen?“, fragte sie dann und ließ den Blick über den Kräutergarten und den sorgfältig geschnittenen Rasen wandern. „Angeblich kehrt er schon wieder zurück. Er hat sich mit niemandem getroffen, sondern nur ein paar Skizzen von den Kirchenfenstern gemacht. Drinnen, wohlgemerkt, keine Ahnung wieso. Vielleicht wegen dem Lichteinfall oder sonst was...Künstler, eben.“ Er sagte das in einem abfälligen Ton. „Den Altar soll er wohl auch abgezeichnet haben und ein paar von den Türen.“ „Klingt nach Puzzle.“, bemerkte Arisha und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie besah sich die bunten Glasfenster. „Als würde er ganz viele Einzelteile malen und sie zu Hause wieder zusammensetzen wollen.“ „Als Detektiv würdest du ein Vermögen machen, Frau Hobbypsychologin.“ Es war keine ernst gemeinte Beleidigung, mehr eine der harmloseren Sticheleien, die sie schon durch den Rest der Söldnerschaft kannte. „Weiter im Text. Nachdem er fertig war mit seinen kleine Skizzen, ist er wohl wieder gegangen. Du müsstest ihn gesehen haben.“ „Nein. Vielleicht ist er noch drinnen?“ „Angeblich nicht.“ „Wirklich sehr zuverlässig, deine Quelle. Gibt es da drinnen einen Hinterausgang?“ „Nichts gegen meine Quellen!“ Sie hörte kurzes Gemurmel. „Ja, anscheinend schon.“ „Dann muss er den genommen haben, sonst hätte ich ihn gesehen. Aber wieso?“ „Vielleicht wusste er, dass er verfolgt wurde?“ Sie konnte die stille Anschuldigung hören, die in diesem Satz mitschwang. Aber er konnte sie nicht gesehen haben. „Vergiss es, die Möglichkeit gibt es nicht.“ „Vielleicht geht er auch gerne durch Hintertüren. Was weiß denn ich! Der Kerl ist so undurchsichtig wie eine meterdicke Betonwand.“ Jetzt warf er auch noch mit Metaphern um sich. Arisha wandte den Blick von der Kirche ab. „Dann können wir ja gehen. Wenn er nicht mehr hier ist, haben wir keinen Grund nicht auch zu verschwinden.“ Sie legte auf, bevor Ares noch irgendetwas sagen konnte. Ihr war es egal, ob er jetzt mitkam oder nicht. Sollte er doch bleiben wo der Pfeffer wuchs. Zum wiederholten Male fragte sie sich, wie jemand wie Ares so lange überleben konnte. An den Drogen lag es mit Sicherheit nicht. Sie bemerkte aus dem Augenwinkel eine Bewegung und fuhr herum. Ares hob abwehrend die Hände. „Seit wann bist du so schreckhaft?“ Ihr Gesicht blieb unbewegt. „Seit ich nicht weiß, wo du dein Schwert hast. Man hat immer das Gefühl, es könnte im nächsten Moment im eigenen Rücken stecken.“ Er lachte leise. „Ich wird doch nicht einen meiner Trümpfe abstechen. Wenn es dich nicht mehr gäbe, wer würde dann für uns die ganzen Informationen besorgen?“ War das jetzt ein Kompliment? „SO freundlich?“, fragte Arisha argwöhnisch. „Ich hab das kleine Ding hier gefunden.“ Ares wedelte mit einem schwarzen Notizbüchlein. „Das Date mit dir steht übrigens auch drin.“ „Es ist kein Date.“, knurrte sie und schnappte sich das Buch. Das Treffen um drei war tatsächlich eingetragen, doch davor stand noch etwas. Sie klappte das Buch wieder zu. „Soviel zum Thema ‚Altar abzeichnen’. Der Kerl hat sich mit Antin getroffen!“ „Richtig“, stimmte Ares ihr mit einem Nicken zu. „Damit wäre die Verbindung zu den Templern wohl unwiderlegbar bewiesen. Oder hast du immer noch Zweifel?“ Die hatte sie nicht. „Es hat keinen Sinn, hier noch rumzustehen.“, meinte sie stattdessen. „Hier ist er nicht mehr.“ „Hast du das ganz alleine rausgefunden?“, stichelte Ares. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, ging aber wegen der vorigen Zurechtweisung nicht weiter darauf ein. Stattdessen machte sie sich miesgelaunt auf den Rückweg und merkte nicht einmal, dass Ares die ganze Zeit an ihrer Seite blieb und munter weiter redete. Sie war in ihren eigenen Gedanken versunken, die weder ihn, noch den Rest der Welt etwas angingen. Den Rest der Zeit, die bis zum Treffen mit diesem Künstler blieben, verschanzte Arisha sich in ihrem Zimmer und brütete über dessen Akte, um so viel über ihn zu erfahren wie möglich und sich dadurch nutzlose Fragen zu ersparen. Ares war so klug, sie in Ruhe zu lassen und meldete sich auch nicht bei ihr, als sie das Hotel schließlich verließ und zu Henry ging, dessen Wohnung direkt neben seinem Stammcafé stand. Was für ein glücklicher Zufall. Henry schien sie schon erwartet zu haben, jedenfalls ging die Tür verdächtig schnell auf, nachdem sie geklingelt hatte. Er begrüßte sie mit einem Lächeln und bat sie herein, doch während sie ging, spürte sie seinen Blick auf ihr Ruhen. Eigentlich genau das, was sie bezwecken wollte und musste, dennoch gefiel es ihr nicht. Henry konnte nicht genau sagen, was ihn an Arisha so faszinierte. Die Art, wie sie ihren Kopf schief legte und ihn ansah, übte eine unnatürliche Anziehungskraft auf ihn aus. Sie war mehr als nur ein Zeichenmodel, weit mehr. Vielleicht waren es ihre dunklen Augen, die auf ihn einen so toten Eindruck machten. Vielleicht war es ihr Gesicht, welches ihm wie eine Maske erschien. Vielleicht war es ihre ganze Körpersprache, ihre Art sich zu bewegen. Das alles wirkte falsch, gespielt, und es reizte Henry herauszufinden, wer Arisha wirklich war, welcher Mensch sich unter ihrer Fassade verbarg, die sie mit allen Regeln der Kunst aufrecht erhielt. Vor allem aber wollte er wissen, was sie gesehen hatte. Was hatte sie erlebt, das sie so geworden war, so ausdruckslos? Henry beobachtete sie genau, als sie die Wohnung betrat. Ihre Schritte waren leise, fast lauernd, ihre Bewegungen geschmeidig und fließend, wie die einer Schlange. Er war froh, sie getroffen zu haben. Vielleicht konnte er etwas von ihr in seinen Bildern einfangen. Das Lauernde. Das Schöne. Das Verletzliche. Das Tödliche. Ja, da war etwas tödliches. Wenn er genau hinsah, hatte er das Gefühl, das Töten würde zu ihrem Beruf gehören. Die Wendigkeit, das Gefühllose, das alles sprach dafür. Und Arisha hatte ihm nicht verraten, was sie beruflich tat. Überhaupt hatte sie ihm nichts verraten als ihren Namen und ihr Alter, während er mehr über sich preisgegeben hatte, als er für richtig hielt. „Schön, dass sie kommen konnten.“, sagte er mit einem verlegenen Lächeln, während die Araberin ihn abschätzend musterte. Er wusste nicht, zu welchem Ergebnis sie kam, da sie es ihm nicht mitteilte, aber allzu schlecht konnte es nicht sein, denn sie erwiderte immerhin sein Lächeln. „Alles in Ordnung? Sie sehen müde aus“ Sie merkte aber auch alles. „Jaja. Ich bin heute etwas früh aufgestanden, aber das ist auch alles.“ ‚Um dich mit einem Templer zu treffen.’, fügte sie in Gedanken hinzu. Statt aber etwas zu sagen, ließ sie ihren Blick durch seine Wohnung schweifen und besah sich diverse Bilder, die er an die Wand gehängt hatte, die meisten mit Kohle oder Bleistift gemalt. „Sind die von ihnen?“ „Bitte, können wir uns nicht duzen?“ Er schien nervös. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, anscheinend hatte sie genau die Wirkung auf ihn, die sie hatte erreichen wollen. „Gerne. Also, sind das deine Bilder?“ Er trat neben sie und betrachtete das Bild, welches sie gerade eben noch gemustert hatte. „Ja, die Bilder sind von mir. Aber das sind nur diejenigen, die ich nicht verkaufen will.“ Sie war ihm einen linkischen Blick von der Seite zu. „Würdest du die Bilder verkaufen, die du von mir malst?“ Mit der Frage hatte er offensichtlich nicht gerechnet. „Dazu brauch ich erst mal welche.“, entgegnete er. Schlagfertig war er ja. Arisha verstand die Aufforderung sofort. „Dann fang mal an.“ Als Ares an diesem Abend Arishas Zimmer betrat, fand er sie auf dem Bett liegend, während sie die Decke betrachtete. Sie setzte sich auf, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Warum muss der Kerl unbedingt Maler sein?“, fragte sie ihn. Offensichtlich war es nicht ganz nach ihren Vorstellungen gelaufen. „Wieso?“ Sie seufzte. „Wenn der einmal anfängt mit zeichnen, redet der kein Wort mehr.“ Ares lachte. „Dann bring ihn zum reden.“ Er ignorierte ihren giftigen Blick. „Morgen ist auch noch ein Tag.“, meinte er aufmunternd. „Du darfst dir nur nicht zu viel Zeit lassen.“ „Das werde ich schon nicht.“, sagte sie leise, aber Ares hörte es schon nicht mehr. Wahrscheinlich würde er jetzt erst mal runter zur Hotelbar gehen und sich zusaufen. Sollte er doch. Sie ließ sich wieder nach hinten sinken und blickte nach oben. Wenn nur diese verdammte Müdigkeit nicht wäre. Arisha warf einen genervten Blick über ihre Schulter zu Shareef und Djamila, die hinter ihr herliefen, allerdings in einem Tempo, dass ihr gar nicht passte. „So kommen wir doch nie an.“, drängelte sie, aber Shareef lachte nur. „Lauf doch schon mal vor. Wenn wir dann immer noch nicht da sind, kommst du zurück und schaust nach, wo wir geblieben sind.“ Ihr gefiel der Vorschlag nicht sonderlich, sie war nicht gerne von den beiden getrennt. Aber dann musste sie eben ihr Tempo etwas zurückschraubneu und sich das Geturtel ihres Bruders und seiner Freundin anhören. Letztere war schuld am langsamen Vorwärtskommen, was daran lag, dass sie im neunten Monat schwanger war. Fast ein Jahr lang waren sie nun schon in Ägypten und nun war Shareef kurz davor Vater zu werden. Für Arisha ein unheimlicher Gedanke, weil sie in Shareef fast schon eine Vaterfigur sah. Außerdem wäre sie dann Tante und das mit sieben Jahren. Reichlich früh, fand sie, weshalb sie dem Kind mit viel Skepsis entgegen sah. Shareef schien von ihren Sorgen nichts zu merken, er war ganz auf Djamila konzentriert und auf seine baldige Vaterrolle. Arisha kam sich überflüssig vor, sagte es aber nicht. Sie war selbst Schuld, immerhin hatte sie ja unbedingt mitkommen wollen. Sie bereute ihre Entscheidung auch nicht, sie war im Moment nur nicht ganz glücklich. Djamila riss sie aus ihren Gedanken. Anscheinend hatte sie mit Shareef gemeinsam überlegt, welchen Namen sie der Kleinen geben sollten –denn dass es eine „sie“ wurde, wussten sie bereits- und waren zu keinem Ergebnis gekommen. „Weißt du nicht einen Namen?“, fragte sie Arisha lächelnd, aber diese schüttelte nur still den Kopf. Sie wollte sich da gar nicht einmischen. „Na schön.“, seufzte Djamila. „Dann müssen wir wohl selbst weiterüberlegen.“ Eigentlich mochte Arisha sie und in dem einem Jahr, dass sie nun schon fast in Ägypten waren, hatte sie sich eng mit ihr angefreundet. Aber Momentan war sie einfach genervt. Vor ein paar Wochen hatte sie mit ihren Sorgen noch zu Daniel gehen können, einem deutschen Ex-Soldaten, der seine letzten Jahre in Ägypten hatte verbringen wollen. Er war es gewesen, der Shareef Deutsch beigebracht hatte, wenigstens soviel, dass er sich verständigen konnte. Auch Arisha konnte ein paar Worte, hatte aber irgendwann das Interesse an der fremden Sprache verloren. Dafür hatte sie sich von dem alten Mann erklären lassen, warum die Menschen sich gegenseitig bekämpften. Das Erlebnis von vor zwei Jahren ließ sie immer noch nicht los. Und auch, wenn sie nicht alles verstand, was Daniel ihr sagte, so wusste sie am Ende doch, dass es meistens die Unschuldigen traf, diejenigen, die mit der ganzen Sache am wenigsten zu tun hatten. Doch Daniel hatte vor zwei Wochen die Reiselust gepackt und er war weitergezogen, so dass Arisha jetzt nicht mehr mit ihm reden konnte, wenn sie genug von Shareef und Djamila hatte. So wie jetzt zum Beispiel. Sie ließ sich Shareefs Vorschlag noch mal durch den Kopf gehen, dass sie schon mal voraus laufen sollte, dann gab sie ihrem Bruder Bescheid. Aber schon nach einigen Metern stoppte sie. Sie hatte in der Menge vor ihr eine Gestalt gesehen, die einfach nur still stand und wartete; jemand, den sie kannte. Ihr Cousin, Djamilas Verlobter. Sie erschauerte, als sie die Waffe in seiner Hand sah und machte auf der Stelle kehrt. Sie rannte fast in ihren Bruder rein. „Was ist denn los?“, fragte er besorgt, als er ihren panischen Blick sah. „Er ist hier.“, murmelte sie und drückte sich an ihn. Ihr Herz schlug wie verrückt, weil sie ahnte, was jetzt passieren würde. Es traf immer die Unschuldigen... „Wer ist hier, Arisha?“ Er sah über sie hinweg, um herauszufinden, wen sie meinte und er sah ihn...doch zu spät. Ihr Cousin hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Schalldämpfer auf seine Waffe zu schrauben, der Schuss war weithin hörbar. Allgemeines Chaos breitete sich auf und für einen Moment verschwand der Schütze aus ihrem Blickfeld. Arisha umklammerte Shareefs Hand und sah zu Djamila, die auf den Boden gesackt war. Shareef schaffte es irgendwie, Djamila und seine Schwester in eine Seitengasse zu bringen, wo er seine Geliebte auf den Boden legte und sich neben sie kniete. Traurig betrachtete er ihr Gesicht und Arisha bemerkte, dass er mit seiner Fassung rang. Sie sah den Schmerz in seinen Augen, doch auf seinem Gesicht zeigte sich nicht die kleinste Regung. Sanft küsste er Djamila auf die Stirn und drückte ihr die Augen zu. „Warte hier.“, sagte er dann zu Arisha. Seine Stimme klang entschlossen, der Schmerz hatte sich in puren Hass verwandelt. „Was machst du?“, wollte sie wissen, traute sich aber nicht, ihn zurückzuhalten. „Warte einfach hier.“, wiederholte er. „Ich bin gleich wieder hier.“ Mit diesen Worten verschwand er und Arisha blieb zitternd zurück. Voller Angst wartete sie darauf, dass Shareef zurückkam und die ganze Zeit ging sie davon aus, dass er sterben würde oder dass ihr Cousin kam oder sonst etwas passierte. Doch Shareef kam zu ihr zurück, blutend zwar, aber er lebte. Mit einem letzten Blick auf Djamila nahm er Arisha auf den Arm. „Wir müssen gehen. Hier können wir nicht bleiben. Wenn er uns gefunden hat, kann es nicht lange dauern bis der Rest seiner Familie nachkommt.“ Arisha verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. „Er wird uns töten, oder?“ „Nein, das wird er nicht. Er kann uns nichts mehr tun.“ Arisha erfuhr nie, was Shareef getan hatte, dass er den Mann, der ihm alles genommen hatte –seine Geliebte, sein Kind und beinahe seine Schwester und sein Leben- dass er diesen Mann getötet hatte. Er nutzte den noch vorhandenen Tumult um mit Arisha zum Hafen zu gelangen. In Ägypten konnten sie nicht bleiben, ebenso wenig in allen angrenzenden Ländern. Überall würde man sie finden, egal ob sie nun eine gefälschte Identität hatten oder nicht. Also beschloss er, dass nächste Land zu nehmen in dem er sich einigermaßen verständigen konnte. Nachdem er die zwei Karten für das Schiff gekauft hatte – ihm fiel dabei schmerzlich auf, das es nur zwei Karten waren und nicht, wie sonst immer, drei- stand er mit Arisha an der Reling. Er hielt seine kleine Schwester immer noch auf dem Arm, aber sie schien zu dösen. Das ganze war ein Schock für sie gewesen und er wollte sie nicht wecken, deshalb sah er nur stumm dabei zu, wie die Sonne langsam unterging. „Shareef.“, murmelte Arisha schläfrig. „Sie werden uns töten, wenn wir noch mal hierher kommen, oder?“ „Keine Sorge.“, antwortete Shareef leise. „Wir werden nicht mehr hierher kommen. Nie mehr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)