Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 21: Eine kurze Nachtwache --------------------------------- Siri saß allein am Feuer in der Mitte des Lagers und sah gelangweilt zu, wie Flammen tanzten und Funken dem schwarzen Himmel entgegen wirbelten, bis sie schließlich erloschen. Um sie herum war es still, aber nicht so still, dass sie sich hätte Sorgen machen müssen. Wenn man genau darauf achtete, hörte man die Grillen zirpen und gelegentlich war drang das Heulen eines Wolfes zu ihr ans Ohr. Die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Nähe, die sie aus diesem Ruf heraushörte, sprachen ihr aus dem Herzen und so erschauderte sie jedes Mal, wenn ein weiterer Ruf durch die Nacht hallte. Langsam wurde ihr kalt, also beugte sie sich dem Feuer entgegen. Sie streckte ihre offenen Handflächen der Wärme entgegen. Deutlich spürte sie das Streicheln der Hitze auf ihrer Haut. Ist schon komisch, dachte sie bitter, eigentlich ist das Feuer ganz angenehm und bewahrt mich vor dem Erfrieren, doch wenn ich ihm zu nahe komme, verbrenne ich mich und bin für den Rest meines Lebens gezeichnet. Ihr Blick fiel auf das Schwert, welches neben ihr lag. Sie hob es vom Boden auf und nahm es zögernd in beide Hände. Langsam und sachte zog sie die Klinge etwa eine Hand breit aus der Scheide und beobachtete, wie sich warmes Licht im kalten Stahl spiegelte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte eine besorgte Männerstimme und riss Siri so aus ihren Gedanken. Sofort glitt das Schwert wieder zurück in die Scheide und Siri legte es wieder neben sich auf den Boden. „Ja, alles bestens.“, antwortete sie und erhob sich steif. Mit eleganten Schritten trat Allen aus den Schatten heraus in das Licht des Lagerfeuers. „Ich dachte, ich hätte gehört, wie jemand sein Schwert zieht.“, sagte er verwundert. „Ich hab nur meine Klinge auf Schäden untersucht.“, beruhigte Siri ihn und setzte sich zurück auf den Boden. „Sind die Seile straff gezogen?“, fragte sie pflichtbewusst. „Ja, ich hab sie alle kontrolliert.“ „Keine schlechte Idee einfach ein Käfig aus Seilen über die Karren zu spannen. Ich hatte mich schon gefragt, was für einen Sinn die Haken an den Wagen haben sollten.“, lobte Siri Allen, der sich neben ihr setzte. „Van hat die Falle gut vorbereitet.“, stimmte er ihr zu. „Der König hat das alles hier geplant?“, erwiderte Siri überrascht. „Natürlich, es war seine Idee.“, antwortete Allen. „Hat er auch befohlen, die Gefangenen auszuziehen, sie nackt und gefesselt in die Säcke zu stecken, so dass gerade mal ihre Köpfe zu sehen sind?“ „Wir haben in diesem Punkt keine Wahl. Räuber haben immer versteckte Waffen an ihrer Kleidung, die wir mit Sicherheit nicht alle bei einer Durchsuchung gefunden hätten. So gehen wir auf Nummer sicher.“, rechtfertigte sich Allen. „Schlafen sie wenigstens?“, erkundigte sich Siri. „Kaum einer von ihnen bekommt ein Auge zu. Kein Wunder, angesichts dessen, was sie erwartet.“ „Was erwartet sie denn?“ „Zwangsarbeit auf Feldern, in Steinbrüchen und Minen aller Art für den Rest ihres Lebens.“ „Ziemlich hart.“, fand sie und starrte auf den Boden. „Niemand hat sie gezwungen uns auszurauben.“, konterte der Ritter. „Vielleicht doch, wer weiß?“ „Was meint ihr?“ „Ich meine, dass wir gar nicht wissen, unter welchen Bedingungen diese Menschen bisher gelebt haben. Wissen wir, wie sie aufgewachsen sind, von woher sie kommen und was sie alles schon erlebt haben? Kennen wir überhaupt ihre Namen?“ „Wohl kaum. Höchstens kennen wir die Decknamen, die sich die Räuber geben.“ „Wie können wir dann über sie richten, wenn wir nichts über sie wissen?“ „Das ist nicht unsere Aufgabe.“, klärte Allen sie auf. „Wir sollen sie nur fangen, nichts weiter. Es gibt andere, die für das Richten verantwortlich sind.“ „Ihr lehnt also jede Verantwortung für das Schicksal dieser Männer ab?“, fragte Siri vorwurfsvoll. „Indem ich diese Männer aus dem Verkehr ziehe, beschütze ich die Händler, die nach uns kommen. Dafür bin ich verantwortlich.“, verteidigte sich Allen. „Bei der Festnahme sind sechs Räuber gestorben. Ich selbst hätte beinahe jemanden umgebracht.“ „Ja, und?“ „Als Sani ist es meine Aufgabe Leben zu retten, als Kriegerin ist es meine Aufgabe Leben zu beenden. Beides schließt sich aus und doch erwartet man beides von mir.“, zweifelte Siri. „Wer erwartet das?“, erkundigte sich Allen. „Bevor ich…diesem Konvoi zugeteilt wurde, war ich der Sani der königlichen Leibgarde.“ „Hast du schon mal getötet?“ „Nein, aber ich habe jemanden schwer verletzt.“ Siri hielt für einen Moment inne. „Dann habe ich ihn behandelt und so sein Leben gerettet. Das ist doch schwachsinnig!“ „Nein, ist es nicht. Das Leben eines Kriegers ist immer dazu da um andere zu beschützen. Insofern schließen sich die Aufgaben eines Arztes und eines Kriegers nicht aus.“ „Das mag vielleicht in der Theorie so sein, aber die Praxis sieht anders aus.“, widersprach Siri verbittert. „Wirklich?“, wunderte sich Allen. „Als ihr euren Gegner verletzt hattet, habt ihr es getan um das Leben des Königs zu schützen. Anschließend habt ihr ihm das Leben gerettet. Ihr wart also eine Kriegerin und eine Sani.“ „Stimmt, aber was ist, wenn ich wirklich jemanden töte?“ „Das werdet ihr nicht, außer es ist notwendig um ein anderes Leben zu retten.“, antwortete er überzeugt. „Ich wäre mir da nicht so sicher.“, flüsterte Siri. Allen sah mitleidig zu ihr hinab. Vor ein paar Stunden noch hatte sie sich im Kampf einen Furcht erregenden Gegner gestellt und ihn besiegt, doch jetzt war sie nichts weiter als ein Kind, das Angst vor der eigenen Zukunft hatte. „Warum bist du überhaupt aus der königlichen Leibgarde ausgestiegen?“, fragte er, um sie auf andere Gedanken zubringen. „Ich wurde rausgeworfen.“, antwortete Siri schlicht und emotionslos. „Rausgeworfen? Angesichts deines Talentes im Umgang mit dem Schwert kann ich mir das kaum nicht vorstellen.“ „Es ist aber so. Ich hatte einen Auftrag und ich hab ihn vermasselte, also schickte mich König Van höchstpersönlich fort.“, berichtete sie verbittert. „Was für ein Auftrag war das?“, fragte Allen. Das Mädchen zögerte. „Ich sollte…etwas bewachen. Etwas, was dem König sehr am Herzen lag.“ „Und das wurde gestohlen? Wie viel war es denn wert?“ „Es war eine Frau und sie war König Van wohl wichtiger als alles andere auf dieser Welt.“, antwortete Siri bedrückt. Auf Allens Gesicht spiegelten sich Entsetzen und pure Angst. „Diese Frau, die du beschützen solltest…war ihr Name Hitomi?“, erkundigte er sich mit mühsam kontrollierter Stimme. Das Mädchen fühlte sich ertappt. „Entschuldigt, aber ich habe schon zu viel gesagt.“, blockte sie, doch Allen sah seine Vermutung bestätigt. „Wer hat sie entführt?“, fragte er wütend. Siri schluckte. „Ich darf nicht darüber sprechen.“, wiederholte sie. Großartig, dachte sie, noch jemand, dem die Frau viel bedeutet hatte. „Darfst du nicht oder möchtest du nicht?“, drängte Allen sie. „Ich darf nicht. Bitte fragt mich nicht mehr.“, bat sie und wendete sich von dem Ritter ab. Eine Zeit lang herrschte Stille, bis Allen sich schließlich sicher war, dass er seine Stimme wieder im Griff hatte. „Falls es dich interessiert, ich glaube nicht, dass deine Versetzung zu uns eine Strafe war. Van wusste, wie gefährlich diese Reise sein würde und trotzdem hat er dich uns zugeteilt. Du solltest darin ein Beweis seines Vertrauens in deine Fähigkeiten sehen.“ „Ja, wahrscheinlich.“, gab Siri wenig überzeugt zu. „Wenn du aber weiterhin mit uns mitreisen möchtest, solltest es du ein paar Regeln beherzigen.“ „Regeln?“ „Zum Beispiel solltest du nie meine Autorität vor den anderen in Frage stellen.“ „Wann bitte schön habe ich das getan?“, fragte Siri unschuldig. „Du hast dich einfach so für die erste Wache eingeteilt, obwohl ich Gades dafür vorgesehen hatte.“ „Oh nein, Kommandant, ihr habt eure Autorität selbst in Frage gestellt, indem ihr mir nicht widersprochen habt.“, widersprach Siri. „Ich, für meinen Teil, hatte euch nur eine Gelegenheit gegeben eure Autorität zu beweisen.“ „Die Soldaten erzählen sich so schon Geschichten über mich, da brauchst du sie nicht noch zu ermutigen, sich über mich das Maul zu zerreißen. Meine Befehlsgewalt wird dadurch empfindlich gestört.“ „Pah!“, platzte es laut aus Siri heraus. „Ihr selbst bestätigt die Meinung der Soldaten über euch.“ „Kommandant, hier kommt die Wachablösung.“, sagte Theo und trat plötzlich zusammen mit Pail an das Lagerfeuer heran. „Ist es schon soweit?“, wunderte sich Allen. „Nein, aber solange ihr beide euch unterhaltet, kann eh kein Mensch schlafen.“, erwiderte Pail mürrisch. Der Himmelsritter warf dem Mädchen einen strengen Blick zu. Sie zuckte mit der Schulter und machte sich auf zu den Schlafsäcken. Allens leise Schritte folgten ihr. Während sie ihren Umhang und ihr Kleid auszog, fühlte sie Allens erwartungsvolle Blicke auf ihr haften. Von der eisigen Kälte und ihrem Scham angetrieben schlüpfte sie so schnell wie möglich unter die warme Decke ihres Lagers, das sie bewusst so weit wie möglich von seinem gelegt hatte. Während der Zeit, in der sie wach lag, schmiedete sie schon neue Pläne, wie sie dem berühmten Allen Shezar am nächsten Tag eins auswischen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)