Days of Horror von Mikito (Bomben auf der Christopher Street) ================================================================================ Kapitel 47: Samstag – 20. August -------------------------------- ~~~~ Medical Center ~ Intensivstation ~~~~ Wie in den letzten beiden Tagen saß Dee ständig an Ryo’s Seite. Fast zwei Wochen waren nun vergangen und er fühlte sich eigentlich recht gut. Körperlich gesehen. Seine Wunde heilte schneller als erwartet. Nach der kritischen Phase zu Beginn, wo man fast mit seinem Tod hatte rechnen können, ging es nur noch steil bergauf. Da er immer noch nicht gehen sollte, jedenfalls nicht solche weiten Strecken von der Chirurgie bis hierher auf die Intensivstation, fuhr ihn immer eine Schwester oder ein Sani mit dem Rollstuhl. So gut es ihm auch ging, so schlecht sah Ryo aus. Dee hielt seine Hand, ließ den ein Jahr Älteren spüren, dass er nicht mehr allein war. Redete leise über dies oder das, nur damit die Stille, die nur von den Geräten, an denen Ryo angeschlossen war, durchbrochen wurde, nicht alles war, was der Blonde hörte. Noch immer zuckte der gerettete Entführte zusammen. Sei es bei einem lauten Geräusch, beim Türöffnen oder sogar wenn man vom Schwesternzimmer das Telefon hörte oder es Alarm auf der Station gab. Schon merkwürdig, wie sich das Leben hier veränderte. Die Sichtweise. Auf einmal gab es Dinge im Leben, die einem so unwichtig erschienen waren, aber hier auf einmal so viel Gewicht an den Tag legten, dass es einem schier die Luft abdrücken konnte. Dee sehnte sich so nach einem Lächeln von seinem Mann. Selbst ein kleines Funkeln in dessen Augen würde ihn schon erfreuen, aber alles, was er in diesen dunklen Augen sah, war erst einmal Panik und Angst, sobald sie sich öffneten. Dies ließ erst nach, wenn sich Ryo sicher war, dass er aus seiner Hölle gerettet war. Sara war noch nicht hier gewesen. Auch wenn Ryo täglich, oder wohl deutlicher gesagt, jedes Mal nach ihr fragte, wenn er wach war. Dee hingegen hielt es noch für zu früh. Ihre Tochter hatte auch schon einiges durchgemacht in den letzten Tagen und Wochen. Sie hatte Dee geholfen, schneller gesund zu werden. Doch seine Verletzung war nicht so deutlich zu sehen gewesen. Dass er sich schon wieder so gut bewegen konnte, war an sich schon ein medizinisches Wunder. Aber dazu gehörte wohl auch Glück. Seine Lunge war nicht verletzt worden, wie man erst angenommen hatte, nein, sie war um einen winzigen tausendstel Millimeter verfehlt worden. Obwohl diese Eisenstange einiges an Gewebe verletzt hatte, war dies im Gegensatz zu Chris, der noch immer ruhig liegen bleiben sollte, eher harmlos gewesen. Nun gut, heute sah er das so. Aber wenn er sich das Bild betrachtete, welches vor der OP von ihm aufgenommen worden war, kam auch er ins Grübeln. Nicht, dass er für die ärztliche Hilfe hier nicht dankbar gewesen wäre, aber es musste doch eine höhere Macht geben, die ihn dort in der schmalen Gasse beschützt hatte. Das warf in Dee mal wieder diese Frage auf, warum man ihn beschützte und nicht seinen Mann, der doch weit mehr hatte erleiden müssen. Sanft sah er ihn an. Wenn er schlief, konnte man erst deutlich sehen, wie tief Ryo seelisch verletzt war. Körperlich brauchte man kein Arzt zu sein. Auch wenn sie hier alles für den Cop taten, was in ihrer Macht stand, etwas konnten sie hier nicht tun: die Vergangenheit ändern. Oder dafür sorgen, dass Ryo sie verarbeiten konnte. Leise seufzte er. Seine Hand glitt nur leicht über die rechte Hand von Ryo. Die linke war mit der Infusionsnadel bestückt und sollte so weit wie möglich nicht bewegt werden. Die OP war vor zwei Tagen gut verlaufen. Obwohl Ryo’s Herz kurzfristig zu flimmern anfing, konnten der Anästhesist ihn rasch stabilisieren. Das war der einzigste kritische Moment in der gesamten Operation. Auch danach war er rasch wieder bei Sinnen gewesen. Der Rücken machte den Ärzten hier noch am meisten Sorgen. Die Brandnarbe, die Ryo sich beim Basra zugezogen hatte, war nie richtig verheilt gewesen. Durch die diversen Peitschenhiebe auf seinen Rücken war sie immer wieder aufgerissen und durch eine Salzbehandlung sogar entzündet. Auch wenn der Entführer sich hin und wieder dieser Wunde angenommen hatte, so war sie nur oberflächlich geheilt, aber im inneren schürte der Brand weiter. Nur einem glücklichen Umstand verdankte es Ryo wohl, dass er keine Blutvergiftung bekommen hatte. Ryo’s körperliche Wunden waren vielseitig und würden dennoch nach und nach heilen. Was jedoch mehr Zeit und auch mehr Ausdauer in Anspruch nehmen würde, waren die Wunden, die nicht sichtbar waren. Keiner konnte hier nur erahnen, was für ein Martyrium Ryo dort in den unterirdischen Katakomben aushalten hatte müssen. Nur die sichtbaren Wunden sprach davon. „Dee?“ kam es leise von Ryo, dessen Augen noch immer geschlossen waren. Deswegen hatte der nun Angesprochene auch angenommen, dass sein Mann noch schlief. „Ich bin bei dir!“ sagte er leise. Denn Dee hatte inzwischen herausgefunden, dass alles laute Ryo Angst machte. Und diese Angst wollte er ihm gerne nehmen. Er hatte auch schon ein längeres Gespräch mit Doktor Brian Foster geführt und dieser hatte die Schwestern und Pfleger darauf aufmerksam gemacht, besonders ruhig in Ryo’s Krankenzimmer zu sein. „Durst...“ Viel sprach er noch immer nicht. Seine Kehle war noch immer wund. Obwohl die äußeren Hämatome nach und nach abklingen würden. Die inneren jedoch brauchten Zeit. Auch hier schien er Glück gehabt zu haben, dass sich kein Gewebeknoten gebildet und ihm womöglich die Luftröhre zugeschnürt hatte. Entweder das, oder der Entführer kannte sich mit so was aus. Wie man nun wusste, war dies wohl der Fall. Denn FBI-Agenten bekamen für so was wohl eine Spezialausbildung. Dee nahm eine Schnabeltasse vom Tisch, hob Ryo’s Nacken leicht an, so dass dieser bequem trinken konnte. Doch schon nach nur wenigen Tropfen drehte Ryo den Kopf zur Seite. Ein Grund mehr, warum Dee nun ein befeuchtetes Tuch nahm und erst einmal Ryo’s Gesicht abtupfte, um ihn zu erfrischen. Mit einem anderen, das er in eine spezielle Feuchtigkeitspaste tunkte, bestrich er ihm die Lippen, damit das aufgerissene spröde Gewebe sich nicht löste und in den Mund des Kranken rutschte. „Ruh dich aus... schlaf noch ein wenig... Ich werde über dich wachen, Ryo!“ sagte Dee sanft, fuhr ihm mit den Fingerkuppen nur hauchzart über die Stirn. Doch auch schon diese Geste erweckte bei Ryo eine Abwehrreaktion. Wie immer drehte er den Kopf zur Seite und hielt seine Augen auch weiterhin geschlossen. „Sara?“ Dee hatte mit dieser Frage gerechnet. Aber er würde sie noch nicht hereinlassen. Wenn auch Sara schon fünf war, so war der Anblick von Ryo nun nichts für die Kleine. Jedenfalls noch nicht. „Bald... Ihr geht es gut, Ryo...“ Dee’s Finger legten sich nun wieder auf Ryo’s Hand. Den einzigsten Kontakt, den dieser wirklich erlaubte. Der dunkelhaarige Cop sah auf seinen Partner und Ehemann hinunter, wusste nicht, ob dieser nun schlief oder ob er wach war. Aber eins wusste er: wenn er nicht bald zu ihm durchdringen konnte, würde es schwerer und schwerer werden. „Ich liebe dich... ich liebe dich, Ryo... ich werde dich immer lieben,“ sagte er leise, und dass ihm dabei Tränen über die Wangen liefen, war ihm egal. ~~~~ Medical Center ~~~~ Nur eine Etage tiefer und einige Zimmer weiter rechts lag ein weiterer Cop. Seine Wunden waren zwar gut verheilt und er bewegte sich schon wieder recht gut. Wenn auch langsam, aber er wollte einfach nicht mehr liegen. Dabei riskierte er ständig Stress mit den Ärzten. Aber sie konnten ihm auch keine Schwester zuteilen, die ihn ständig bewachte. Chris hatte es gerade mal bis zum Fenster geschafft und lehnte dort nun schwer atmend und sichtlich erschöpft an der Wand. Ein Stuhl gab es in der Nähe nicht, aber er wusste, dass er den Rückweg alleine nicht schaffen würde. Es sei denn, er ließ sich auf den Boden nieder und robbte dorthin zurück. Was aber auch nicht gut für ihn wäre, weil möglicherweise die Wunde wieder aufreißen konnte. Als sich die Tür nach einem flüchtigen Klopfen auftat, schaute er direkt in ein strahlendes braunes Augenpaar, das sich aber schlagartig verfinsterte, als er ihn am Fenster ausmachte. „Du Idiot!“ wurde er auch schon angefahren, als sich ihm zwei starke Arme hilfreich entgegenstreckten und ihm dann einfach nur bis zu Dee’s Bett halfen, wo Chris sich erst einmal erholend niederließ. „Danke!“ sagte er und hielt die Hand, die er eben noch zart, aber dennoch stark an seiner Seite gefühlt hatte. „Du spinnst. Willst du nicht gesund werden?“ fuhr Robin ihn erneut an. Lächelte dann aber, als er die Spielerei an seinen Fingern wahrnahm. „Mir geht’s doch schon besser. Ich kann nicht ständig nur rumliegen. Ich werde hier noch verrückt,“ seufzte Chris und sah zu dem Jüngeren hoch. „Ich hatte ja so eine Idee... aber wenn du nicht brav bist...“ Leicht hob er seine Schulter ein Stückchen an, bevor er sie wieder seufzend senkte, wobei sich seine Lippen zu einem kleinen fiesen Grinsen verzogen. Chris konnte es einfach nicht glauben. Da war er ständig ausgewichen, hatte alles mögliche versucht, um Robin zu entkommen, aber nun, wo er hier praktisch gefangen war, musste er erkennen, dass er ihm gar nicht entkommen wollte. Dass alles, was er vorgebracht hatte, nichts als Selbstschutz oder Lüge war. „Okay... ich bin brav. Was schwebt dir vor mit einem Invaliden wie mir?“ fragte er und gab sich mal wieder geschlagen. Nur schwach erinnerte er sich an die Zeit auf der Intensivstation, wo Robin in nur einmal besuchen durfte. Aber hier war er ständig an seiner Seite. Nur dass er weg ging, wenn er Schicht im Diner hatte, aber auch dort ließ man es ihn locker angehen. Schließlich, so befand Mark Steward, Robins älterer Bruder, war ihre Liebe noch am erblühen und da sollte man recht viel Zeit miteinander verbringen. Etwas, was ihnen fast nicht möglich gewesen wäre. Chris war sich nun sicher, dass sie eine Chance hatten. Er musste nur ein wenig mehr von sich geben. Und nicht nur alles von dem anderen erwarten. Es würde ein Geben und Nehmen sein. Eine richtige Partnerschaft, wie er es sich wünschte. „Nun, da wäre zum einen das Versprechen, dass du dich ab sofort nur mit mir zusammen bewegst. Also ich meine...“ Robin wurde bei seinen eigenen Worten tatsächlich leicht rot. Aber nicht, weil ihm diese Worte erst viel zu klar bewusst wurden, als er sie ausgesprochen hatte, sondern wohl eher, weil der Blick von Chris diesen Worten eine ganz andere Bedeutung eingehaucht hatten. Und das nur, weil er ihn mit diesem treuen Hundeblick anschaute, dass es Robin richtig weich um die Knie wurde. „Ich weiß, was du meinst... aber dazu bin ich noch nicht fit genug,“ grinste nun auch Chris und gab somit unumwunden zu, in welche Richtung seine Gedanken geschweift waren. „Erst nichts von mir wissen wollen und dann nur noch an das eine denken,“ seufzte Robin theatralisch auf. „So sind wir Männer nun mal. Denken wir nicht laut irgendwelchen Studien alle sechs Sekunden an Sex? Da fragt man sich doch dann, an was wir Männer sonst noch denken?“ „Du wohl an nichts anderes,“ konterte Robin. Beugte sich runter und fing diese vorlauten Lippen mit seinen eigenen ein. ~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~ Justin Timber betrag das Untersuchungsgefängnis. Sein rabenschwarzes Haar glänzte in der Nachmittagssonne auf. Seine ebenfalls dunklen Augen kamen erst zum Vorschein, als er seine Sonnenbrille absetzte, um sich bei dem Polizisten an der Anmeldung in das Register einzutragen. Dort trug er auch sein Vorhaben vor, den in U-Haft sitzenden Patrick McNear zu besuchen. Dieser hatte ihn zu seinem offiziellen Rechtsbeistand erwählt. Justin war schon lange Jahre ein erfahrener Anwalt. Hatte schon einige böse Buben rausgehauen, oder mit der Staatsanwaltschaft einen zuvorkommenden Handel abgeschlossen. Aber soviel wie ihm bekannt war, hatte der FBI-Agent nichts, mit dem er Handeln konnte und die Fakten, die er in seiner ebenfalls schwarzen Aktentasche durch die Gegend schleppte, ließen kaum Raum, als zu dem Urteil ‚schuldig’ zu gelangen. Der noch immer recht robuste Körper, mit einem Maß von etwas weniger als 1,80, schob sich durch die Sicherheitskontrolle. Schließlich durften keine Waffen oder scharfes Gerät mit ins Gebäude genommen werden. Die Sicherheitsvorkehrungen waren auch hier, wie überall in den Behördengebäuden, gestiegen. Aber das galt ja auch zum Schutz der Insassen. Die breiten Schultern steckten in einem dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine ebenfalls blaue Krawatte, passend zum Anzug, rundeten das Bild des Anwaltes ab, als er mit einem freundlichen Nicken die letzte Schranke passierte und endlich in einem Raum ankam, in dem er schon bald seinem Mandanten gegenüber stehen oder sitzen würde. Der Fünfundfünfzigjährige ließ sich auf einen der fest montierten Stühle nieder. Er mochte dieses Ambiente des Untersuchungsgefängnisses nicht. Aber wenn man keine andere Wahl hatte... Gut, er hätte auch einem jüngeren Kollegen den Fall abtreten können, aber wenn er von einem angesehenen Mann der in den oberen Geldschichten angesiedelten Mafiosi aufgefordert wurde, den Fall zu übernehmen, dann schlug man das nicht ungeschadet aus. Und Justin Timber liebte sein Leben und er hing auch an seiner Familie. Doch deswegen war er nicht nur hier. Nein. Jeder hier kannte ihn und jeder wusste, dass er für die Mafia arbeitete. Aber er war auch gerecht und ehrlich. Spielte nie mit falschen Karten und deswegen war auch sein Honorar recht hoch. Nachdem er jedoch die Fakten vorliegen hatte und dem Gönner von McNear, so nannte er diesen mal, davon in Kenntnis setzte, dass ein Freispruch nicht möglich war, so erhielt er von diesem die Erlaubnis, alles in seiner Macht stehende zu tun, damit das Urteil so milde wie möglich ausfiel. Nur deswegen war er nun hier. Die Tür öffnete sich und Patrick McNear wurde in Handschellen in den Raum geführt. „Würden Sie bitte,“ bat Timber und deutete auf die Handfesseln, die der Cop dann auch gleich löste. Patrick rieb sich die Handgelenke und kam zögernd und auch recht vorsichtig näher auf den sitzenden Mann zu. „Wer sind Sie?“ fragte er nun auch neugierig. Bisher war er lediglich von dem Revier hierher verlegt worden. Selbst seinen Anruf durfte er noch nicht durchführen, obwohl ihm der Haftbefehl vorgelegt worden war und er somit amtlich angeklagt wurde, den Polizisten Ryo MacLane und dessen Tochter Sara entführt zu haben. Wobei bei dem Cop sogar Folter mit hinzukam. Möglicherweise kam auch noch eine Anklage wegen Mordes an Gary Logan dazu. Doch bisher fehlten ihnen die eindeutigen Beweise. Aber da die Zeugenaussage von MacLane wohl noch nicht vorlag, konnte das noch folgen. „Justin Timber. Ihr Anwalt. Setzten Sie sich doch, Mr. McNear,“ erklang es ruhig. Dabei hob der Anwalt noch nicht einmal den Kopf, sondern kramte weiter in aller Ruhe in seiner Aktentasche herum, bis er all die Papiere, die er anscheinend brauchte, gefunden und vor sich ausgebreitet hatte. „Mein Anwalt?“ Die Frage hallte im Raum wieder. „Ja. Ich wurde beauftragt, Ihren Fall zu übernehmen und, sagen wir mal... das bestmögliche für Sie herauszuholen,“ erklärte der Dunkelhaarige weiter in aller Ruhe. „Von wem?“ Justin seufzte. Er mochte es nicht, wenn er so in einen Fall eingebaut wurde. Aber anscheinend wusste der Angeklagte rein gar nichts. „Sagt Ihnen der Name Goro etwas?“ Patrick dachte eine Weile nach, dann hellten sich seine Züge auf. „Mr. Goro rief mich gestern an und bestellte mich als Ihren Anwalt. Wenn Sie mich nicht möchten, dann machen Sie das bitte mit dem Herrn aus,“ sagte er und machte Anstalten, wieder alles einzukramen. „Nein...“ hielt Patrick den älteren Anwalt auf. „Ich bin einverstanden.“ Nie im Leben hätte er daran gedacht, Goro anzurufen. Das musste Jahre her sein. Doch darüber würde er später nachdenken. Nun wollte er Antworten auf seine diversen Fragen. „Sie wissen, was Ihnen vorgeworfen wird und wie die Anklage lautet?“ begann Timber gewohnt routiniert mit seinem Frage-und-Antwort-Spiel. „Ja. Aber...“ „Antworten Sie bitte erst nur auf meine Fragen. Sie wissen, dass dieser Raum nicht abgehört wird?“ „Ja!“ Timber kramte in seinen Akten und fischte einen Bogen Papier hervor. „Nach den mir vorliegenden Zeugenaussage steht bisher lediglich fest, dass Sie zwei Menschen entführt haben. Wobei bei dem einen auch Körperverletzung hinzukommt. Eine mögliche Mordanklage hängt wohl noch in der Schwebe, wie ich aus den Akten entnehmen kann. Ich wurde beauftragt, Sie so gut wie möglich zu verteidigen. Jedoch...“ Timber nahm seine randlose Brille ab und legte sie vor sich auf die Akten, bevor er sich die Nasenwurzel massierte. Patrick schwieg. Das mit dem Mord war ihm noch neu. Wenn sie ihm den wirklich anhängten, dann käme er wohl nicht mit Gefängnis davon. Nein. Bei Mord gab es in den Staaten selten ein andres Urteil als die Todesstrafe. Ihm war nun klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Er hätte nicht mit diesem Schneewittchen spielen, sondern es von Anfang an erledigen sollen. Dann hätten sie ihn niemals gefangen. Aber so war sein Spieltrieb wohl sein Untergang. „Wie sind meine Chancen?“ Die Brille fand ihren Weg zurück und Timber nahm bei seiner Antwort auch kein Blatt vor den Mund. „Bei Entführung, selbst mit Körperverletzung, würde ich Sie bei den momentanen Beweisen mit 20 Jahren raushauen. Eine mögliche vorzeitige Entlassung nach fünf Jahren wäre möglich, wenn die Geschworenen weich werden. Kommt drauf an, wie ich es ihnen verkaufe. Und somit auch, wie Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Sollte jedoch der Mord noch mit hinzukommen... Tja, Mr. McNear. Dann sieht es für Sie übel aus.“ Erneut kramte der Anwalt in der Akte und fischte ein anderes Dokument heraus. „Ich bräuchte hier noch Ihre Unterschrift. Damit machen Sie mich offiziell zu Ihrem Anwalt. Ansonsten wären mir für weitere Schritte die Hände gebunden.“ Flüchtig nur warf Patrick einen Blick auf den Zettel, bevor er den Stift nahm und seinen Namen unter das nun amtliche Dokument setzte. „Ich habe nur eine Frage. Obwohl die Beweise sehr belastend sind, muss ich wissen, von welchem Standpunkt aus ich die Verteidigung aufbauen muss. Nun... Plädieren Sie auf schuldig oder unschuldig?“ Patrick schob in aller Seelenruhe das Dokument zurück. Überlegte in dieser kurzen Zeitspanne, wie er sich entscheiden sollte. „Unschuldig!“ sagte er dann. „Gut. Ganz wie Sie meinen.“ Timber wäre es lieber gewesen, wenn sein Mandant sich anders entschieden hätte, aber er konnte ja noch immer mit ihm reden. „Sie sind sich darüber bewusst, dass die Beweise belastend genug sind, Sie in diesem frühen Stadium der Ermittlung schon jetzt der Entführung von Sara MacLane zu überführen? Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie mit einem möglichen Schuldeingeständnis die Geschworenen erweichen könnten, das Urteil abzumildern. Dazu gehört natürlich auch, dass Sie Reue zeigen. Aber schieben wir das noch mal zurück. Warten wir ab, was die Staatsanwaltschaft noch alles vorbringt. Dann reden wir noch einmal über Ihre Einstellung. Es besteht natürlich noch eine weitere Option, indem ich Sie für unzurechnungsfähig erkläre. Es würden...“ sagte Timber. Begann dann in aller Ruhe, die Akten wieder einzupacken. „Nein. Das werde ich nicht machen,“ fiel McNear dem Anwalt ins Wort. „Es wäre eine Option, die Sie sich gut überlegen sollten.“ „Nein. Ich bleibe dabei.“ „Es ist Ihre Entscheidung, Mr. McNear. Ich werde jeden zweiten Tag vorbeikommen, um Sie auf den aktuellen Stand der Ermittlung zu bringen. Das wäre dann alles. Es sei denn, Sie haben noch eine Frage.“ Das alles ging Patrick nun doch zu schnell. Er hatte noch nicht einmal ganz verarbeitet, dass Goro ihm hier Hilfe bot. Etwas, was er wohl später noch bezahlen musste. Aber das war ihm gleich. Immerhin verdankte er dem Mafiosi einen der besten Anwälte hier in New York. Deswegen schüttelte er nur den Kopf. Da Timber in zwei Tagen wiederkommen würde, konnte er dann noch immer Fragen stellen. Fragen, die er zwar in sich fühlte, aber die auch lächerlich wirken konnten. „Gut... dann sehen wir uns am Montag wieder,“ sagte Timber noch, bevor er schließlich ohne ein weiteres Wort den Besucherraum des Untersuchungsgefängnisses verließ. Kaum war der Anwalt jedoch verschwunden, hörte er auch schon, wie sich hinter ihm die Tür öffnete. Ohne Gegenwehr ließ Patrick sich wieder die Handschellen anlegen und zurück in seine Zelle führen. Denn er hatte es noch im Ohr, dieses ‚Gute Führung’, und wenn er auch einen von den Cops entführt hatte, umgebracht hatte er Ryo ja leider nicht. Dennoch war die Behandlung hier nicht gerade sanft. Aber das erwartete er auch nicht. Patrick spielte da schon eher mit dem Gedanken, eine der Wachen zu provozieren und ihm dann eine Klage wegen Übergriffen anzuhängen. Aber das würde er wohl dann doch erst mit dem Anwalt absprechen. Schließlich kannte er diesen nur vom Hören. Kannte einige Fälle, in denen er auf der gegnerischen Seite gewesen war. Ihn nun auf seiner Seite zu wissen, war auch eine Spur beruhigend. ****** TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)