Silent Hill - Deadscene von BlindDemon ================================================================================ Kapitel 9: Insasse 32 --------------------- In der zerfallenden Zelle sammelte sich der Staub, der von der Decke auf den Boden rieselte. Die Fliesen waren ringsherum zerschlagen, fast konnte man sie nicht mehr als solche bezeichnen. Kaum jemand erinnerte sich wohl daran, wie schön dieses Gebäude einmal gewesen sein musste, doch nun waren die Gänge leer und die Räume vereinsamt zurückgelassen worden. Bis auf diese eine Zelle mit der Nummer 32, in der ein Mann keuchend nach Atem rang. Der Staub der Wände ließ sein Haar grau erscheinen und er stotterte wie verrückt wilde Wortfetzen vor sich her, die für den Beobachter keinen Sinn ergaben. „Nein! Nicht! Er wird kommen... Nein, er kann es nicht... Das Leben gibt keinen Weg frei... nein!“ Seine Stimme klang zuletzt wie ein Echo, das sich in den unzähligen Gängen des Gefängnisses verirrt hatte. Obwohl er schrie, war seine Stimme so leise. War er sich darüber bewusst nur mit sich selbst zu sprechen? „Wenn er seine Hände um den Hals des Jungen legt, wird es kein Zurück mehr geben...! Es ist bereits jetzt schon viel zu spät!“ Plötzlich stand der Mann auf und erhob zitternd seine vom Schmutz gezeichnete Hand. Er streckte seine Finger nach vorne und ging wie in Trance auf die Türen seiner Zelle zu. Mit einem Mal rüttelte er kräftig an ihnen und schrie aus vollem Hals: „Ihr habt mich doch nicht etwa vergessen?! Ich warte schon seit Tagen auf ein Lebenszeichen von euch! Und was kriege ich? Seit Tagen nichts zu essen! Ist das etwa die Art, wie man mit einem Gefangenen umzugehen hat?!“ Der Mann keuchte, dann fiel er wieder zu Boden. Er stammelte nun in einem ruhigen Ton weiter, während er sich mit weit aufgerissenen Augen in seiner Zelle umblickte. „Und wie es hier aussieht... Sah dieser Ort schon immer so aus?“ Er legte sein Gesicht in seine dreckigen Hände. Wie war es nur zu dieser Situation gekommen? Er wusste es nicht mehr. Er konnte sich einfach nicht daran erinnern, seit wie langer Zeit er in dieser Zelle saß, noch daran, wann er hier zuletzt einen lebenden Menschen gesehen hatte. Doch er wusste nun, dass die Zeit dieser Welt ihrem Ende nahte. „Heath Hudson wird seinem Verderben begegnen. Er weiß noch nicht mal, wer er ist oder was seine Aufgabe ist. Ich wollte ihn warnen, aber er hat nicht auf mich gehört. Er weiß nicht mal, dass es mich gibt, noch wer ich bin.“ Ein sarkastisches Lachen suchte den Weg über seinen Mund in die Freiheit. Ein zaghaftes Klopfen sollte seinen Monolog jedoch beenden. „Wer... zur Hölle?“, fragte der Insasse ungläubig und wie auf diese Frage abgestimmt, erschien eine düstere Gestalt aus den Schatten, die auf den ersten Blick wie ein Monster aussah. Doch es war in der Tat nur ein Mann, der den in seiner Zelle Gefangenen mit einer Geste zum Stillschweigen beschwichtigen wollte. „Still, sonst hören sie es“, sagte der geheimnisvolle Fremde daraufhin. Der Gefangene betrachtete mit Entsetzen was der Unbekannte tat. Er zog wie von Zauberhand einen kleinen Schlüssel aus seinem Ärmel hervor und entriegelte das Schloss, das den Insassen von der Außenwelt abschotten sollte. Dieser war immer noch vollkommen verblüfft von der Erscheinung des Mannes, den er in irgendeiner von seinen Erinnerungen zu kennen glaubte. „Sind Sie nicht...?“ Der Fremde gab dem Insassen wieder zu verstehen, dass er seinen Mund besser halten sollte. Dabei drehte er sich nichtssagend wieder um und sein Gegenüber musste still mitansehen, wie er wieder in den Schatten verschwand. Der Gefangene rannte ungläubig auf die Zellentür zu und erschrak ein wenig, als sie sich tatsächlich öffnen ließ – wie lange war es sein Traum gewesen, diese Zelle zu verlassen? Er würde nun nicht mehr länger der Insasse mit der Nummer 32 sein, nein, ab heute würde er wieder Hugh Hamilton genannt werden. Vorausgesetzt, die Welt dort draußen war immer noch dieselbe. Als Hugh einen genaueren Blick in den Gang hineinwerfen konnte, stellte er fest, dass der Fremde, der ihm so verdammt bekannt vorgekommen war, wirklich in den Schatten verschwunden sein musste. War es nur eine Halluzination, die ihn in eine Wahnvorstellung entführen wollte? Nun war er sich nicht mehr sicher, ob die Türen seiner Zelle jemals verschlossen gewesen waren. Seufzend ließ er seinen Blick auf den Boden gleiten. Genau da, wo der Mann vorhin gestanden hatte, lag eine Notiz. War sie ihm etwa aus der Tasche gefallen? Hugh bückte sich, um sie aufzuheben. An den Insassen mit der Nummer 32. Du musst dir bewusst werden, dass du nicht verrückt bist. Nein, du bist es nie gewesen und doch haben sie dich hier eingesperrt, weil sie dich von dem Geschehen fernhalten wollten. (Falls sie es aber dennoch irgendwie geschafft haben sollten, deine Gedanken in Unordnung zu bringen, schreibe ich dir diese Zettel, die du auf deinem Weg finden wirst, damit dein Kopf wieder in Ordnung kommt. Falls es dir gut geht, kannst du sie einfach ignorieren, aber das weißt du in diesem Fall wahrscheinlich selbst.) Vertrau ihnen nicht. Vertrau keinem von ihnen. Ich befürchte, dass du es erst schaffen wirst, wenn es bereits zu spät ist, doch es gibt immer noch etwas, das du tun kannst. Nur du! Er wird immer mehr ein Monster sein, doch denke stets an meine Worte: „Gibt es noch das Licht in dir, so versuch zu denken, wie es ist, wenn Blut auf dein Gesicht sich legt und Schmerz zu deinem Freunde wird. Der Schatten tanzt auf deinen Venen Glaube ja nicht dran es auszusprechen Wenn der Schatten immer dichter wird Kommst auch du nicht mehr zurück.“ Finde wieder zu dir selbst, sonst wirst du wirklich deinen Verstand verlieren. -H. Hugh fuhr zaghaft die einzelnen Buchstaben des ordentlich verfassten Textes mit seiner Fingerspitze nach. Irgendetwas an dieser Handschrift kam ihm vertraut vor. Doch er wusste nichts mit diesem Gefühl der Vertrautheit anzufangen, genauso wenig, wie er etwas mit dem Inhalt der Notiz anfangen konnte. Doch da war etwas in seinem Unterbewusstsein, das ihn ständig dazu aufforderte, weiterzulaufen. Und er wusste auch, dass ihn am Ende seines Weges der Arzt mit dem Namen Heath Hudson erwarten würde. Ein Stechen in seinem Kopf ließ den Mann zusammenzucken und er hatte das Gefühl ein Rauschen wie aus einem kaputten Radio zu hören. Er fasste sich an die Schläfen und sank auf den Boden, als sich langsam aber sicher das Geräusch nasser Füße auf Beton näherte. „Sie... sind hier...“, stammelte Hugh unter Schmerzen. Schon lange war diese Art von Schmerz Vergangenheit für ihn gewesen, doch nun kam sie wieder. Er musste schleunigst von diesem unheilbringenden Ort verschwinden. Oder er musste dafür sorgen, dass sie ihm nicht länger folgen konnten. Hugh lächelte und stand trotz dem Schmerz in seinem Kopf auf. Er blickte sich um und sah ein paar lange Glasscherben auf dem Fußboden liegen, nach denen er instinktiv griff. „Angst liegt in der Dunkelheit. Ich fürchte nicht die Finsternis!“ Mit diesen Worten ging er dem unangenehmen Geräusch matschig klingender Füße entgegen, um zu sehen, was sich hinter der Ecke des Ganges befinden mochte. Es war eine zierliche Gestalt mit dem Gesicht einer jungen Frau. Sie war verhüllt von Bandagen und nassen Haaren, aber abgesehen davon nackt. Vereinzelte Brandnarben und verkrustete Stellen von Fleisch umschlungen ihre Beine und Arme, doch ihr Gesicht war von diesem Makel verschont geblieben. Blut klebte an ihren Händen und auch an ihrem Mund, vielleicht gehörte es einem ihrer Opfer, das dumm genug gewesen ist, auf ihr Lächeln zu reagieren. Hugh hingegen zeigte keine Reaktion auf ihre Reize, die sie in den Augen eines unschuldigen Wesens durchaus haben konnte. Er ging auf sie zu und rammte ihr eine der langen Glasscherben, die er gerade aufgehoben hatte, in eines ihrer Augen. Der ohrenbetäubende Schrei, der diesem Augenblick folgte, war kaum zu ertragen, doch Hugh stand es aus. Er drehte die Scherbe, die in ihrer Augenhöhle steckte unsanft zur Seite, so dass er ihren Augapfel völlig zerstören konnte. „Hat man keine Angst, kannst du einem auch nichts tun, was?“, fragte er mehr sich selbst, als das Monster. Danach trat er sie zu Boden und stampfte mit seinem Fuß kräftig auf ihren Oberkörper ein – so lange, bis das Rauschen in seinem Kopf immer leiser wurde. So lange, bis es endlich verschwand. Nachdem die Stille wieder eingekehrt war, fiel er mit einem Mal wie verändert auf die Knie. Leise Tränen liefen ihm über die Wangen. „Was... ist das für ein Gefühl?“, hauchte er kaum hörbar. „Bin das... ich?“ Er schlug mit beiden Händen auf den Boden ein. „Dann bin ich nicht besser als eines dieser Dinger!“ Hugh weinte entsetzt wegen dem, was er getan hatte. Doch in dem nächsten Augenblick wischte er sich auch schon wieder die Tränen aus dem Gesicht. Er holte stillschweigend den Zettel, den er vorhin gefunden hatte, aus seiner Hosentasche heraus. Er musste ihn vorhin einfach dort hineingestopft haben, auch wenn er sich dessen gar nicht so bewusst gewesen war. Langsam las er noch einmal jedes einzelne Wort. Endlich verstand er den Sinn hinter der Notiz. Er war noch lange nicht er selbst, doch auf einem guten Weg dorthin. Und er hatte keine Zeit, um gegen dieses Gefühl in ihm anzukämpfen. Er musste sich den Dingen fügen und den Arzt finden. Das war seine Bestimmung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)