Kunan von _miku-kun_ (Das Amulett von Thana) ================================================================================ Kapitel 2: Die zweite Welt -------------------------- Die zweite Welt Das erste, was er spürte, war ein stechender Schmerz in seiner rechten Schläfe. Er fühlte sich benommen. Entfernte Stimmen drangen durch den dichten Nebel, der in seinem Kopf herrschte, doch er verstand nicht, was sie sagten. Er hatte das Gefühl, dass sein Kopf platzen würde, wenn er nur versuchte, etwas zu denken. Seine Augenlider waren schwer; er konnte sie nicht öffnen. Als er es noch einmal versuchte, klappte es, doch er sah nur verschwommen. Er blinzelte und sofort nahmen die Umrisse deutlichere Formen an. Luca konnte erkennen, dass er sich in einem Zelt befinden musste, denn die Wände und auch die Decke bestanden aus Stoff. Er lag auf einer Decke auf einem dunkelroten Teppich. Plötzlich bewegte sich ein Vorhang und ein Mann trat ein. Luca studierte ihn genauer. Er trug die seltsamsten Kleider, die er je gesehen hatte – außer in Fantasy-Filmen. Er trug eine dunkelblaue Tunika und einen schwarzen Umhang. An einem Ledergürtel hing ein Schwert. „Wie fühlst du dich?“, fragte er mit sanfter Stimme, ging zu Lucas Lager und hockte sich hin. Luca versuchte zu sprechen, doch es kam nur ein leises Krächzen heraus. Ihm wurde schwindelig und er musste die Augen schließen. Er hörte die Stimme des Mannes, doch was er sagte, konnte er nicht verstehen. Alles drehte sich in seinem Kopf. Als der Schwindel nachließ, öffnete er erneut die Augen. Sein Blick fiel auf den fremden Mann, der sich immer noch über ihn gebeugt hatte und ihn besorgt musterte. „Wer…wer sind Sie?“, brachte Luca nur mühsam hervor. „Wo bin ich eigentlich?“ Der Mann lächelte. „Wie dumm von mir“, sagte er entschuldigend. „Mein Name ist Canis und du liegst gerade in unserer Zeltstadt Kailu.“ „Wo sind meine Eltern und meine Schwester?“ Canis runzelte die Stirn. „Du wurdest bewusstlos von einer Wache an der Grenze von Kailu gefunden.“ „Das kann nicht sein!“, rief Luca. Er wollte sich aufsetzen, doch Canis’ Hand drückte ihn wieder runter. „Das kann nicht sein“, flüsterte er erneut. „Sie waren bei mir, als es passierte.“ Das Gesicht des Mannes kam näher. „Als was passierte?“ „Wir hatten einen Autounfall. Wir sind mit einem BMW zusammengeprallt. Er hat sich absichtlich vor uns gestellt und unsere Bremsen funktionierten nicht und -“ Canis winkte ab. „Ich versteh kein einziges Wort, was du da sagst.“ Er holte tief Luft. „Ich weiß, dass es für dich momentan schwer ist, dies zu glauben “, sagte er, „aber ich möchte es dennoch versuchen. Du bist hier nicht in der Welt, in der du bis jetzt gelebt hast.“ Bei diesen Worten klappte Luca der Mund auf, schloss ihn jedoch schnell wieder. „Du hast vermutlich noch nie von Kunan gehört, oder?“ Luca schüttelte verneinend den Kopf. „Ihr – also die Menschen in deiner Welt– merkt es zwar nicht, dass es noch eine zweite Welt gibt, aber deine Welt und meine Welt sind miteinander verbunden.“ Luca schaute den geheimnisvollen Mann verwirrt an. „Fragst du dich eigentlich nie, woher all diese Geschichten mit Elfen, Feen, Einhörnern und Trollen kommen? Sie leben hier in Kunan. Ohne eure Fantasie kann diese jedoch Welt nicht überleben, denn sie hält unsere Welt zusammen. Im Gegensatz dazu geben wir euch die Ideen für die Bücher, die viele von euch Menschen schreiben. Es können sogar Menschen hier nach Kunan kommen, doch nur, wenn wir es wollen.“ „Dann bin ich also extra hier?“, fragte Luca, obwohl er ihm immer noch nicht recht Glauben schenken wollte. „Ja. Deine Eltern und auch deine Schwester sind noch in deiner Welt. Ihnen geht es gut“, versicherte er Luca, als er dessen besorgten Gesichtsausdruck sah. „Das haben uns Feen berichtet. Sie können beliebig hin und her wechseln. Sie sind überall. Ihr könnt sie nur nicht sehen, wie sie der Natur helfen. Sie geben den Samen auf den Äckern der Bauern wichtige Nährstoffe, die sie schneller wachsen lassen.“ Canis ging zum Vorhang, und wollte ihn gerade hochheben, als Luca rief: „Aber wieso bin ich hier?“ „Das wird dir der Hohe Rat erklären. Er ist das Oberhaupt von Kunan. Ich werde dich bald dahin führen“, sagte er noch, bevor er aus dem Zelt trat. „Hey!“ Doch Canis kam nicht wieder zurück. Stattdessen kam ungefähr eine Stunde später ein Mädchen, das ihm etwas zu Essen brachte. Sie trug ein einfaches Kleid. Luca wollte mit ihr ein Gespräch anfangen, doch die Fremde antwortete nicht auf seine Fragen. Nachdem sie verschwunden war, betrachtete Luca das Essen. Es bestand aus einem Apfel und einer Schale Wasser. „Wie soll ich davon denn satt werden?“, murmelte Luca, nahm sich aber den Apfel. Kaum hatte er ein Stück abgebissen, breitete sich ein ungeheuer leckerer Geschmack in seinem Mund aus. Und er hatte das Gefühl, dass dieses Stück Apfel ihn schon satt gemacht hätte, doch weil er noch nie so etwas Leckeres gegessen hatte, aß er ihn auf. Danach probierte er das Wasser. Auch dies schmeckte besonders gut und nach einigen Schlucken hatte er schon gar keinen Durst mehr. Luca konnte sich über diese Welt nur wundern. Wie hieß sie noch gleich? Ach, ja, Kunan. „Was für ein schöner Name für so eine wunderschöne und geheimnisvolle Welt“, murmelte Luca lächelnd. Doch er wusste nicht, ob er Canis vertrauen konnte oder nicht, denn seine Geschichte über Kunan war eindeutig verrückt. Nach einigen Tagen waren die Kopfschmerzen weg und er konnte sich ohne Schmerzen im Zelt frei bewegen. Er hatte sogar versucht, aus dem Zelt zu kommen, um sich Kailu anzuschauen, sah jedoch nur für einen Augenblick etwas, denn zwei Wachen standen vor seinem Zelt und scheuchten ihn wieder rein. Die Wachen mussten dies jemandem erzählt haben, denn kurz danach betrat Canis das Zelt. Er hielt ein grünes Bündel in seiner Hand. „Hier“, sagte er und warf ihm das Bündel zu. „Zieh das an.“ Luca betrachtete das Bündel genauer. Es war eine dunkelgrüne Tunika mit silbernen Stickereien und eine schwarze Hose. „Beeil dich bitte. Wir haben nicht ewig Zeit.“ Canis verschwand aus dem Zelt. Luca wechselte seinen Pullover gegen die Tunika und seine Jeans gegen die Hose aus Stoff. Dabei berührte er mit der Hand die Münze, die er gefunden hatte. Er nahm sie aus der Tasche und packte sie in einen kleinen Lederbeutel, den er in einer Ecke im Zelt gefunden hatte, hängte diesen mit einer Schnur um seinen Hals und packte den Beutel unter seine Tunika. Er ging zu dem Spiegel, der in einer Ecke stand, und sah hinein. Dort stand ein Junge mit schulterlangen, schwarzen Haaren und mit braunen Augen. Sein Gesicht war etwas bleich, doch man konnte gleich sehen, dass es ein hübscher Junge war. Die dunkelgrüne Tunika betonte dies noch mehr. Er trat aus dem Zelt, wo Canis schon auf ihn wartete. „Komm!“, befahl er und ging einen breiten Weg hinunter. Der Junge folgte ihm und sah sich um. Zu beiden Seiten standen Zelte in einheitlicher Form und Größe. Sie waren so platziert, dass sie parallel zu dem Weg standen, auf dem sie gerade entlang gingen. Nach etwa zehn Zelten – wie Luca zählte – bog ein schmalerer Weg ab und die Farbe der Zelte veränderte sich. Die Zelte, an denen sie gerade vorbei liefen, waren kastanienbraun. „Warum sind die Zelte nach Farben geordnet?“, fragte Luca Canis. Es dauerte einen Augenblick, bis dieser lässig sagte: „Die Bewohner hier in Kailu konnten sich nicht auf eine Farbe einigen, also haben wir hier jede Farbe, die gewünscht wurde, vorhanden. So gibt es keinen Ärger.“ Luca runzelte die Stirn. Er hätte alles erwartet, nur das nicht. Noch einige Farbumschläge folgten, bis Canis vor dem größten Zelt stehen blieb. Zwei muskulöse Männer bewachten den Eingang. Neben ihnen stand jeweils ein Banner mit einem silbernen Wolf, der ein Lamm- ebenfalls in Silber- mit der Schnauze berührte. Der Hintergrund war rot. „Auf diesem Banner“, erklärte Canis, als er Lucas Blick bemerkte, „ist das Wappen von Kunan abgebildet. Es symbolisiert den Frieden zwischen den verschiedenen Völkern.“ Canis senkte etwas die Stimme. „Nun zu etwas wichtigerem: Es gibt drei Regeln, die du da drin unbedingt beachten musst: Erstens, du sagst kein Wort, ohne, dass sie dich direkt ansprechen. Zweitens, du sagst nur so viel wie nötig ist. Drittens, du verhälst dich höflich. Alles klar?“ Luca nickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)