The Bad and the Beautiful von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 6: Ein langer Weg ------------------------- Kapitel 6 - Ein langer Weg Er hatte seit vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, und die Müdigkeit kroch ohne sein Zutun unter seine Augenlider, in seine Arme und Beine, betäubte seine Gedanken. Der unstete Schein der einzelnen Kerze, die neben dem dicken Wälzer, über dem er brütete, auf dem Bibliothekstisch stand, ließ in Snape den Wunsch aufsteigen, einfach seinen Kopf auf das schwere Pergament zu legen und zu schlafen. Wobei ein ausgiebiges Bad davor auch sehr angenehm wäre, mittlerweile haftete der schwere Geruch nach Alter und Verfall, den die Bücher verströmten, in seinen Haaren und seiner Kleidung... Nein... Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht in einem schwachen Versuch, auch die Müdigkeit abzustreifen, er durfte einfach nicht einschlafen, er musste Hogwarts schützen... Die Tatsache, dass sie bis jetzt noch nicht von Muggeln entdeckt worden waren, sprach dafür, dass die Aufgabe nicht besonders dringend war, aber spätestens in einem guten Monat, wenn die Schüler zurückkehrten, sollten sie wieder vor versehentlicher Entdeckung gefeit sein. Wenigstens funktionierten die anderen Abwehrzauber noch, denn den Todessern, die vor den Toren Hogwarts lauerten, hatten ihn noch nicht ermordet, aber es war trotzdem eine Krise von veritablem Ausmaß. Und nach den Informationen, die er gefunden hatte, war es vollkommen unmöglich, sie zu lösen. Außergewöhnlich begabte Zauberer wie die vier Gründer waren ausgesprochen selten, und nach den Aufzeichnungen benötigte es vier von ihnen, um die Schutzbanne wieder zu erneuern. Dummerweise hatte er einen der wenigen Menschen, die dafür in Frage kamen, vor einigen Jahren selbst getötet, und die meisten anderen waren dem Dunklen Lord zum Opfer gefallen. Natürlich konnte es sein, dass er ein Buch übersehen hatte, oder einfach an den falschen Stellen gesucht hatte, denn Madame Pince machte Urlaub in Neuseeland, und es war nicht sicher, ob sie am Ende der Sommerferien zurückkehren würde, und er kannte die Bibliothek nicht so wie sie. Andererseits hatte er so ziemlich jedes Buch aus den Borden und Regalen gezogen und das Inhaltsverzeichnis durchgesehen, und er war sich recht sicher, dass... Moment. Im Büro des Schulleiters... nein, der Schulleiterin, er hatte sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, dass Minerva McGonagall jetzt dort residierte, aber dort stand ein kleines Bücherregal. Vielleicht befanden sich dort Informationen, die zu sensibel für die eigentliche Bibliothek waren – Nachsehen konnte auf jeden Fall nicht schaden. Er erhob sich langsam, und sofort protestierten sein Rücken und sein Genick gegen die plötzliche Belastung, sein Kopf fühlte sich wie in Watte gepackt an und seine Knie hatten die Konsistenz von Wackelpudding. Vorsichtig streckte er seine verspannten Muskeln, räkelte sich, was brennenden Schmerz in seinen Schläfen entfachte, dann löschte er mit einer Handbewegung die Kerze und trat am leeren Tisch von Madame Pince vorbei hinaus auf den Korridor. Die frische Luft fühlte sich nach dem muffigen Geruch der vielen alten Bücher an wie ein Glas kalten Wassers, und wenigstens für einen Augenblick wich die Müdigkeit aus seinem Geist. Er hastete zum Büro der Direktorin, der Wasserspeier blickte ihn gewohnt missmutig an, doch er murmelte nur unwirsch „Drachenblut“ und trat durch den neu entstandenen Durchgang. Die Rolltreppe bewegte sich viel zu langsam für seinen Geschmack, und seine langen Beine trugen ihn hinauf, er stieß die Tür mit dem schweren Klopfer auf und stand am Bücherregal, ohne sich daran zu erinnern, das Zimmer durchquert zu haben. Sein blasser Zeigefinger fuhr hastig über die Buchrücken, die Titel wirkten belanglos auf ihn, meist waren es Romane verschiedener Genres, sowohl Muggel- als auch Zaubererbücher, sie mussten von Dumbledore stammen. Aber er konnte keine Spur von sensiblen Informationen entdecken, und er wollte sich schon entnervt in den Stuhl der Direktorin fallen lassen, als eines der Porträts an den Wänden die Augen aufschlug. Es war Rowena Ravenclaw, die vier Gründer standen in der Reihe der Direktoren Hogwarts ganz am Anfang, und sie lächelte ruhig auf ihn herab. „Suchen Sie etwas, Professor Snape?“ Er wollte schon knurren, dass die Antwort doch eigentlich offensichtlich sei, aber dann besann er sich eines besseren – vielleicht war sie noch nicht über die neuste Entwicklung informiert. „Ich versuche herauszufinden, wie man die Muggelschutzzauber um Hogwarts erneuern kann.“ Noch einmal sah er die Buchtitel durch, doch keiner wirkte auch im Entferntesten so, als ob es für seine Belange wichtig sein konnte, und schließlich ließ er sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch sinken. „Warum?“ Es war wieder Ravenclaw gewesen, die gesprochen hatte, und langsam war Snape davon überzeugt, dass es mit ihrer vielgerühmten Klugheit nicht allzu weit her sein konnte. „Ist das nicht offensichtlich?“, knurrte er und ließ sich nach hinten sinken, Resignation machte sich in ihm breit, und doch bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass sich nun auch die anderen Porträts regten. Godric Gryffindor erhob sich aus seinem Stuhl und spielte mit dem Griff seines rubinbesetzten Schwertes, Snape hatte immer gefunden, dass das Porträt ein wenig dümmlich dreinsah, diesen Gedanken aber nie laut geäußert. „Das würde mich auch interessieren.“ Salazar Slytherin blickte missmutig auf ihn herab, seine tiefe Stimme dröhnte in Snapes übermüdetem Kopf, und trotzdem, irrationaler Stolz auf sein Haus bewog ihn, den toten Hogwartsgründer anzusehen und zu antworten. „Die Muggelschutzzauber funktionieren nicht, eine Muggel, die sich hier aufhält, kann das Schloss sehen und zeigt keinerlei Anzeichen von Furcht.“ Stille herrschte in dem runden Zimmer, die ehemaligen Direktoren huschten zwischen ihren Porträts hin und her, und langsam kroch das Morgenlicht durch die hohen Fenster, verhinderte, dass Snape einschlief. „Das ist unmöglich.“ Er schreckte hoch, anscheinend war er doch eingedöst und die Porträts der Gründer blickten ihn vorwurfsvoll an. Offensichtlich hatte wieder Slytherin gesprochen, und der Tränkemeister richtete sich unruhig in seinem Stuhl auf. „Es ist eine Tatsache.“ „Aber die Muggelschutzzauber sind wie alle anderen Banne Hogwarts' vollkommen intakt. Es ist unter anderem unsere Aufgabe, sie zu überprüfen und die Direktorin zu warnen, wenn das Schloss in Gefahr ist.“ Helga Hufflepuff lächelte freundlich wie immer, und trotzdem, Snape hätte ihr in diesem Moment am liebsten den Hals umgedreht. Er ließ sich in die weiche Polsterung zurücksinken. „Ist es möglich, dass Ihr Euch irrt?“ „Nein. Der Fehler muss bei Ihnen liegen, Professor.“ Er antwortete nicht, starrte nur brütend die Schreibtischplatte an, er hatte gesehen, was er gesehen hatte, und die Muggel offensichtlich auch. Es war doch einfach nicht möglich, dass plötzlich die Gesetze der Logik außer Kraft gesetzt waren, wegen einem einzigen, dummen Mädchen, das bis vor wenigen Tagen nicht einmal gewusst hatte, dass Magie überhaupt existierte, und es bald auch nicht mehr wissen würde. Er spürte Zorn in sich aufsteigen, eine Wut, von der der sein kalter Verstand wusste, dass sie ihr Unrecht tat, doch in diesem Moment fühlte es sich besser an. Er konnte ihr die Schuld geben dafür, dass seine Welt aus den Fugen geraten war, konnte die Logik in eine verborgene Ecke seines Geistes abschieben, in der sie ihn nicht behinderte. Rastlos erhob er sich aus dem Stuhl der Direktorin, schritt fast zwanghaft auf die Wand zu, drehte sich am Absatz und lief in die andere Richtung, hin und her, auf und ab, dasselbe Muster, das auch seine Gedanken nahmen. Wäre sie bloß nicht hier aufgetaucht, hätten die Todesser sie doch ermordet – im Moment wünschte er sich nichts weiter, als dass seine Räume im Kerker leer waren, wenn er dorthin zurückkehrte, dass sie irgendwo anders wäre... Er stolperte über die Teppichkante und schlug auf die Knie, fing sich gerade noch mit den Händen ab, um zu verhindern, dass er der Länge nach hinfiel. Hastig stand er wieder auf und klopfte den Staub von seinem Umhang, die Blicke der toten Schulleiter richteten sich auf auffällig uninteressante Dinge wie das Muster eines Strickkissens, und er unterdrückte einen Fluch. Er benahm sich dumm, dumm und so verdammt unlogisch, und trotzdem... Logik. Der Gedanke traf ihn wie ein Hammer. Zwei richtige Annahmen führen zu einem richtigen Schluss. Wenn zwei Annahmen zu einem falschen Schluss führen, müssen eine oder beide Annahmen falsch sein. Plötzlich steif wie ein Brett trat er zur Tür und fuhr die Treppe hinunter, blieb vor dem sich hinter ihm schließenden Wasserspeier stehen, um sich zu orientieren, und wandte sich dann zur nächsten Treppe. Höher und höher stieg er hinauf, Stufe um Stufe, manchmal über schmale steinerne Brückchen und durch enge Durchgänge, bis er schließlich in der Spitze eines der vielen Türme vor Hogwarts vor einer schweren Tür stand, die fast die gesamte Breite der Wand ausfüllte. „Wer da?“, schnarrte der Türklopfer und fixierte Snape mit einem schwarzen, metallischen Starren. „Severus Snape, Tränkemeister.“ „Was ist Euer Begehr?“ „Ich suche einen Namen. Die Sicherheit der Schule ist in Gefahr.“ Für einen Augenblick oder zwei passierte nichts, so als ob der eiserne Wächter über seine Worte nachdenken würde, dann schwang das Portal mit einem lauten Quietschen auf. Durch die großen Fenster drang Morgenlicht in das Zimmer an der Spitze des Turmes, beleuchtete ein Buch, das auf Brusthöhe in der Mitte des Raumes schwebte. Goldener Schimmer, ein Zeichen für die alte, starke Magie, die sich hier konzentrierte, umgab den Einband, das alte Pergament und die zierliche Feder, die allzeit bereit daneben schwebte, um einen Namen zu notieren, sollte ein Kind mit ihrem Talent geboren werden. Fast ehrfürchtig, auf Zehenspitzen trat er näher und betrachtete die Seiten, die so unendlich alt wirkten und doch die Zukunft der Zauberwelt in sich trugen, hier war der Name eines jeden magisch begabten Kindes notiert. Langsam begann er, die Seiten zurückzublättern, hier und da entdeckte er einen bekannten Namen, aber auch andere, durchgestrichene, die gestorben waren, bevor man sie nach Hogwarts hatte einladen können. Immer weiter sah er das Buch durch, ließ sich nicht von der Feder verwirren, die neben ihm summte, so als ob sie nur darauf wartete, ihre Aufgabe zu erfüllen. Er schätzte, dass die Muggel... nein, dass Caitlin McAngus um die dreißig Jahre alt war, doch als er die fragliche Zeit erreichte, fand er ihren Namen nicht, selbst wenn er um Seiten zurück oder nach vor blätterte, stand sie nicht da. Nur eine andere Caitlin konnte er entdecken, doch die hatte er selbst unterrichtet, und frustriert schlug er das Buch zu, achtete nicht auf das zornige Summen des Federkiels, als er nach draußen trat. So simpel wäre es gewesen, so angenehm, aber das Schicksal schien der Ansicht zu sein, dass heute nicht der Tag der einfachen Lösungen war. Wenigstens wusste er nun, dass die Muggelabwehrzauber intakt waren, also konnte er sich in sein Bett legen und sich ausschlafen, bevor er sich mit der Frage beschäftigte, warum sie auf genau diese eine Frau nicht ansprachen. Er erstarrte so plötzlich mitten auf der Treppe, dass er fast gestolpert wäre, doch dann flogen seine Schritte, trugen ihn tiefer, tiefer, durch das halbe Schloss und hinab in die Kerker. Er musste sie sprechen, denn nur sie konnte die Frage beantworten, die ihm eben durch den Kopf geschossen war. Unterwegs machte er nur einmal Halt, dann lief er weiter, bis er schließlich durch die schwere Tür in sein Büro trat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)