December Love von DJ ================================================================================ Kapitel 1: Remember Me... ------------------------- Noch ein kurzes Vorwort: Wie manche eingefleischte Fans vielleicht erkennen, hab ich die eigentliche Grundinspiration zu dieser FF von Gackts "December Love Song" (deren eine Textzeile "Remember me and love me always" meine Kapiteltitel bilden werden ^^). Ich fand die Lyrics eigentlich zu DC relativ passend (http://www.lyricsdownload.com/gackt-december-love-song-lyrics.html)... Das wollte ich noch als Hintergrundinfo vorausgeschickt haben ^^ Jetzt hör ich allerdings auf zu Labern x33 Lob und Kritik wie immer herzlichst erwünscht ^-^ Und jetzt *Mund zusperr und wink* ________________________________________________________________ Kapitel 1 - Remember Me... „Paps, ich hab dir doch schon gesagt, dass es mir Leid tut, also schau mich nicht so grimmig aus dem Rückspiegel an!“ Ran und ihr Vater saßen im Auto, die Luft war ziemlich dick. An seiner Zigarette kauend knetete Kogoro an seinem Lenkrad herum, während er gerade elegant um ein Auto lenkte, das satte 30 km/h zu langsam fuhr. Er versuchte, die Erklärungsversuche seiner Tochter zu ignorieren, er war sowieso schon genervt – von den zu langsamen Autos und von der dicken Eisschicht auf der Straße. Was musste seine Tochter ihn auch nach einer durchzechten Nacht mit seinen Kumpels schon um acht Uhr morgens aus den Federn werfen? Und das auch noch bei diesem Wetter? „Was bist du denn noch sauer, ich hab dir doch schon tausend Mal dafür entschuldigt... Meinst du nicht, ich hätte dich nicht lieber schlafen lassen?“ Ran hatte sich vom Rücksitz aus nach vorne gebeugt und hielt sich an der Kopflehne des Vordersitzes fest, auf dem ihr Vater saß. Er wollte ihre Sorgenfalte anscheinend nicht sehen, sie meinte ihre Entschuldigung wirklich ernst, stattdessen moserte er sie an: „Wieso muss ich dich eigentlich in die Stadt fahren? Kannst du keinen Bus nehmen, um dich mit Sonoko in den Kaufrausch zu stürzen?“ Langsam hatte Ran es satt. Sie ließ sich zurück in den Sitz fallen und maulte zurück: „Und das hab ich dir heute auch schon mindestens zehn Mal gesagt: Die Busse und U-Bahn haben heute Morgen angefangen zu streiken, und die werden bis zum Nachmittag auch nicht aufhören. Was meinst du, warum die Straßen so voll sind? Ich hätte den Tag auch lieber gemütlicher angefangen, als damit, dich aufzuwecken...“ Kogoro brummte nur noch unverständliches Zeug. Er hatte einen Kater, und der war ihm auch verdammt noch einmal anzusehen. Gesund sah er an diesem Morgen wirklich nicht aus. Glücklicherweise hatte er an diesem Samstag einmal keinen Klienten – der hätte bei seinem Anblick wohl sowieso Reißaus genommen... Das Nächste, was man von seinem Gemeckere wieder verstehen konnte, war: „Und dann darf ich mich heute auch noch um den kleinen Bälger kümmern... Warum hast du den eigentlich nicht aufgeweckt und mitgenommen?!“ Jetzt war Ran wirklich nicht mehr erpicht darauf, ihre Wut über das Verhalten ihres Vaters zurückzuhalten. Was musste er auch immer so viel trinken? „Stell dir vor, der ist schon aus dem Haus.“ meckerte sie im gleichen Ton wie ihr Vater zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. „Conan will nämlich heute mit seinen Freunden wegfahren und kommt auch nicht vor morgen Abend zurück.“ Das Letzte, was Ran noch von ihrem Vater hörte, bevor er anhielt und sie aussteigen konnte, war: „Das will ich doch mal hoffen...“ Dann knallte die Autotür und Kogoro fuhr mit quietschenden Reifen davon. Ran war am Marktplatz ausgestiegen. Alles war voll von der weißen Pracht, die vom Himmel fiel, Gerüche sammelten und vermischten sich in den Gassen, alles war in Rot, Grün und Gold dekoriert, sogar an der Zierfigur im Brunnen hatte man ein paar Tannenzweige befestigt. Vom anderen Ende des Platzes kam die Musik eines kleinen Chors, der fröhlich schallend ein Weihnachtslied nach dem anderen trällerte. Wären da nicht diese hupenden und ratternden Autos gewesen, hätte der Platz noch viel schöner wirken können. Doch als Ran den riesigen Weihnachtsbaum erblickte, der sich mitten in der Menschenmasse dem Himmel entgegenstreckte, hörte sie die nervenden Autos nicht mehr. Wie jedes Jahr war der Baum das Schönste, was auf dem ganzen Platz zu sehen war... Mehrere Meter hoch, geschmückt wie es kein anderer – oder kaum einer – in der Hauptstadt war, mit Engelsfiguren, meterlangem verschiedenfarbigem Lametta, hunderten von Christbaumkugeln und anderen Anhängern. Aber irgendwie freute sie sich nicht. Sie war zwar fröhlich, konnte aber diesen Anblick nicht wie sonst immer genießen. Immerhin war dieses Mal nicht einmal Conan mit dabei, um den Baum mit ihr anzusehen... Es würde das zweite Weihnachten werden, das sie ohne Shinichi verbringen musste. Und das vermieste ihr die Vorfreude auf das Fest der Liebe schon seit Wochen. Denn jedes Mal, wenn sie an die Tanne, den Plätzchengeruch, den kalten Schnee draußen und die fröhliche Stimmung im Haus dachte, dachte sie gleichzeitig an ihn. Wo er jetzt wohl war...? Doch auf einmal fiel ihr ein, wieso sie da eigentlich so verloren stand. Sie blickte sich um. Irgendwie war Sonoko noch nicht da, obwohl Pünktlichkeit doch eher eine ihrer Stärken war... Gestern hatten sie sich doch noch per Telefon genau hier vor dem Baum um halb neun verabredet, um ein bisschen bummeln zu gehen und die einen oder anderen Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Jetzt war sie schon über zehn Minuten zu spät. Irgendwie komisch... Ran wartete noch weitere fünf Minuten, sich immer wieder umblickend, doch von ihrer besten Freundin keine Spur. Schließlich beschloss sie, ihr Handy aus ihrer Tasche zu nehmen und sie anzurufen, um zu fragen, was los war. Die Sache war jetzt nicht mehr geheuer, und Ran wollte jetzt wissen, ob etwas passiert war oder ihre beste Freundin vielleicht nur im Stau steckte. Jedoch kam sie nicht einmal zum Wählen, da sie plötzlich nichts mehr sah. Jemand war von hinten auf sie zugeschlichen, lautlos im zertretenen Schnee, und hatte ihr mit nichtbehandschuhten Händen die Augen zugehalten – eine stumme Aufforderung, dass sie raten sollte, wer dieser Jemand war. Natürlich überlegte sie nicht lange, natürlich dachte sie, es sei Sonoko. Sie drehte sich grinsend um, doch als sie nicht in Sonokos Gesicht blickte, erstarb ihr Lächeln. Aber nicht wegen der Person, die ihr nun gegenüber stand, sondern wegen der Tatsache, dass diese Person ihr gegenüberstand. Die Stirn runzelnd und somit ihre Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen wollend sprach sie letztlich flüsternd den Namen ihres Gegenübers aus: „Shinichi...?“ Grinsend stand er da vor ihr, auf dem Weihnachtsmarkt, mitten im Dezember. So als ob sie sich erst am Tag zuvor in der Schule gesehen hätten, als ob sie sich hier verabredet hätten. Als ob die letzten zwei Jahre nie vergangen wären... Keine Telefongespräche, keine gelegentlichen kurzen Besuche, kein Bangen, keine Angst, keine Sorgen... Ran war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht einmal gemerkt hätte, wenn Shinichi mit ihr gesprochen hätte. Doch er hatte es nicht. Er musste sich selbst nämlich ziemlich dazu zwingen, so unbefangen zu lächeln. Er wusste ja, wie sehr er Ran verletzt hatte, in den letzten zwei Jahren... Er selbst hatte zwar auch gelitten, sehr sogar, jedoch hatte er in gewisser Weise wegen sich selbst gelitten... An seinem Leid hatte er selbst Schuld, sie konnte nichts dafür. Absolut nichts... Als Ran den ersten Schock überwunden hatte, rannen endlich die lang unterdrückten Tränen über ihre Wangen und wollten gar nicht mehr aufhören. Shinichis gespieltes Lächeln erstarb. Das zu sehen verpasste ihm einen stärkeren Schmerz als Rans gleich darauf folgende Ohrfeige. Irgendwie hatte er ja schon damit gerechnet, es war ja auch mehr als gerecht. Denn was er Ran ‚angetan’ hatte, konnten selbst tausend Ohrfeigen nicht mehr gut machen... Ran, selbst erschreckt von ihrer plötzlichen Kurzschlussreaktion, wollte sich gleich sichtlich peinlich berührt bei ihrem Sandkastenfreund entschuldigen, doch dieser winkte schon allein bei ihren stotternden Versuchen ab. Langsam fasste er sich an seine Wange, die wegen der Kälte und der Ohrfeige ein ungesundes rot angenommen hatte, und antwortete ihr in einem ruhigen Ton: „Ich hab es doch verdient.“ Er hatte sie dabei nicht angesehen. Es war fast so, als ob er es nicht hätte sagen können, hätte er in ihre Augen geblickt, die vor lauter Tränen einen dunkelroten Schatten erhalten hatten. Er hatte sie einfach im Stich gelassen und sie entschuldigte sich noch für eine eigentlich gerechtfertigte Ohrfeige. Hätte er anders reagiert? Gut, er als Junge hätte sie nicht geschlagen, aber er wäre verletzt gewesen... Wie auch immer er als Mädchen es letztendlich zum Ausdruck gebracht hätte... Verwundert über seine Antwort sah Ran Shinichi ungläubig an. Anscheinend tat ihm das Ganze wirklich Leid, hätte er sonst so etwas gesagt? Dass er es verdient hatte... Obwohl es ein Ausrutscher von ihr gewesen war, der von dem ganzen Leid, der Sorge zeugte, die sie in der letzten Zeit wegen ihm erlitten hatte, wusste sie selbst nur zu gut, dass eine Ohrfeige eine zu heftige Reaktion war. Seiner Aussage war sein typisches Lächeln gefolgt. Daher wusste Ran auch, dass sie es dabei belassen konnte. Das sagte sein Gesichtsausdruck klar und deutlich. Dennoch entgegnete sie ihm leise und mit einer sich schuldig fühlenden Miene: „Es tut mir aber trotzdem Leid... Ich habe heute mit dir nur wirklich nicht gerechnet, weil ich hier mit... Moment, wo ist Sonoko eigentlich?“ Etwas besorgt blickte sich Ran nun um. Es war nun schon eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit. Entweder kamen hier mehr als zwei Zufälle zusammen oder etwas Anderes steckte dahinter. Gerade wollte sie erneut ihr Handy herausnehmen, doch Shinichi hielt sie wiederum davon ab, zu wählen, diesmal, indem er seine Hand auf das Mobiltelefon legte und kopfschüttelnd sagte: „Vielleicht wunderst du dich jetzt, aber Sonoko kommt heute ganz sicher nicht. Als ich ihr nämlich am Telefon gesagt habe, dass ich dich hier überraschen will, hat sie prompt beschlossen, gleich zu Hause zu bleiben...“ In Gedanken fügte er noch hinzu: Dass sie mir viel Spaß bei meinem ‚Date’ gewünscht hat, sage ich Ran aber besser nicht... Rans Gesicht schien für einen kurzen Moment einzuschlafen und es war offensichtlich, dass ihre Gedanken über Sonoko in diesem Moment wohl nicht gerade die positivsten waren. Aber das war schnell vergessen und sie stellte die zugegeben etwas gemeine Frage, die sie nicht zurückhalten konnte: „Wieso hast du Sonoko denn eigentlich angerufen und nicht mich? Dann hätte ich dir gerade vielleicht keine Ohrfeige gegeben.“ Als sie das sagte, sah sie ihn einerseits entschuldigend, aber auch etwas vorwurfsvoll an, was von Shinichi nur mit einem Gesichtsausdruck erwidert wurde, den man kaum beschreiben konnte. Irgendwie verschmitzt und doch ernst, als ob jemand gerade wieder etwas Falsches über Sherlock Holmes gesagt hätte. Eine Art Steigerung des Halbmondgesichtes. Mit dieser Miene entgegnete er ihr: „Hätte ich dich sonst überraschen können?“ Dieser Satz entlockte Ran unweigerlich ein sanftes Lächeln. Irgendwie konnte sie sich erst jetzt richtig darüber freuen, dass ‚ihr’ Shinichi hier am Weihnachtsmarkt vor ihr stand. Und das, was ihr gerade noch merkwürdig vorgekommen war, hatte sie fast schon wieder vergessen. Sie hatte gerade noch mit dem Gedanken gespielt, woher Shinichi denn von ihrem Ausflug mit Sonoko gewusst hatte... Der war sich darüber jedoch ganz sicher gewesen, hatte er ja am Abend zuvor als Conan alles mitbekommen. Wie Sonoko angerufen hatte, und mit welch fröhlicher Stimme Ran zugesagt hatte. Doch ihr Lächeln war traurig gewesen. Der Weihnachtsmarkt. Shinichi hatte nicht vergessen, dass er jedes Jahr mit Ran dorthin gegangen war. Nur wusste sie nicht, dass es wirklich ‚jedes’ Jahr gewesen war, sie ahnte ja noch nichts von seiner Identität als Conan. Doch er hatte heute vor, ihr alles zu erzählen. Vor allem, weil er wusste, dass das Gegengift nicht lange anhalten würde... Er wollte es ihr aber nicht jetzt sagen. Noch nicht. Diesen einen Tag, den er mit seiner Ran verbringen durfte, den wollte er dieses Mal nicht von irgendetwas auf dieser Welt gestört wissen. Konnte es doch der Letzte sein... Ai hatte ihn gewarnt. Sie hatte ihm gedroht. Sie wollte ihn davon abhalten. Doch er hatte das nicht zugelassen. Sie wusste, dass das Gegengift dieses Mal tödlich sein konnte, Shinichis Körper war einfach schon zu gequält. Inzwischen war er ja schon mehrere Male gewachsen und dann wieder geschrumpft, lange würde er den Zustand, den er hatte, sowieso nicht mehr ohne Risiko aushalten können. Es war eben nur eine Frage der Zeit gewesen, bis... Und wenn es statt in einem Monat erst in einem halben Jahr passiert wäre, gebracht hätte es ihm im Endeffekt nichts. Geahnt hatte er es ja irgendwie... Doch dass es wirklich schon so kritisch um ihn stand, hätte er nicht einmal in seinen wildesten Träumen befürchtet. Nicht einmal in seinen Alpträumen... Aber gerade deswegen wollte er Ran noch die Wahrheit sagen. Ihr alles erzählen, auch von dem, was noch passieren würde. Er wollte sie unbedingt vorwarnen und nicht so wie damals einfach aus ihrem Leben verschwinden, ohne ein Wort. Auch wenn er wusste, wie sehr er sie damit verletzen würde. Wie sehr es sie schmerzen würde... Doch er wäre noch da, beim ersten Schmerz, beim anfänglichen Schock und hätte dann noch die Möglichkeit, ihr wenigstens etwas Kraft zu geben. Sie wenigstens noch ein kleines bisschen zu trösten... Nein, er hätte es nicht fertig gebracht, darüber einfach Stillschweigen zu bewahren und es geschehen zu lassen. Und wenn doch, hätte er sich selbst im Grab dafür noch Vorwürfe gemacht. Das wusste er. Und deshalb wollte er, irgendwann an diesem Tag, wenn es sich ihm die Möglichkeit ergab, mit ihr darüber reden. Auch wenn er nicht wusste, wie sie reagieren würde... Von seinen Gedanken an die nächsten Stunden wieder in die Gegenwart zurückkommend merkte Shinichi, dass Ran ihm die ganze Zeit tief in die Augen gesehen hatte. Ihr Gesichtsausdruck sagte zu ihm: „Was denkst du gerade? Du siehst so traurig aus...“ Er bemerkte das natürlich, und erfand schnell die Notlüge, dass alles in Ordnung sei. Sie kaufte ihm das nicht wirklich ab, erwähnte jedoch nichts mehr. Da standen die beiden nun, auf ‚ihrem’ Weihnachtsmarkt. Es lag das Gefühl von Harmonie in der Luft, auch der Stau begann, langsam etwas abzuklingen. Je länger man an diesem Ort war, desto mehr nahm man wohl die weihnachtliche Stimmung wahr, die Düfte, die Geräusche, der Schnee, der unter den Füßen knisterte und sanft schimmerte, wenn Licht darauf fiel, und all die anderen Sachen, die Weihnachten zu etwas Einmaligem im Jahr machen. Der kleine Chor, der gerade von ein paar Zuhörern beklatscht wurde, machte kurz Pause, um die nächsten Lieder auszuwählen. Dann stimmten die Sänger „Last Christmas“ an, wofür sie wiederum einen begeisterten Applaus ernteten. Last Christmas... ein Weihnachten, das ihnen geraubt wurde... This Year... das Jahr, dessen Weihnachten das letzte sein sollte... So verbrachten die beiden den Großteil des Tages auf dem Weihnachtsmarkt, schlenderten durch die verschneiten Gässchen, blieben hier und da an einem Stand stehen und sahen sich die wunderschönen Christbaumkugeln, die weihnachtlichen Accessoires und die Weihnachtsmann-Nussknacker an. Sie waren fröhlich. Zumindest nach außen hin... Ran war es nicht entgangen, dass Shinichi etwas bedrückte. Dafür kannte sie ihn zu gut, vorspielen konnte er ihr kaum etwas. Sie machte sich Gedanken darüber, was es wohl sein mochte. Machte er sich Vorwürfe, dass er sie allein gelassen hatte? Sie hatte ihm doch schon längst verziehen. Musste er bald wieder weg? Sie würde es doch aushalten. Sie liebte ihn. Allein seine Nähe beruhigte sie, und wenn sie noch zwei weitere Jahre auf ein erneutes Treffen warten müsste... Sie würde es tun. Jedoch schmiedete sie auch eigene Gedanken. Jetzt, da Shinichi endlich wieder bei ihr war... Sie hatte das Bedürfnis, ihm endlich ihre Gefühle zu gestehen. Auch deshalb, weil sie nicht wusste, wie lange er bleiben würde. Aber wie nur...? Was würde sie tun, wenn er sie abweisen würde...? Dann hätte sie eine jahrelange Freundschaft verloren, nur wegen drei dummen Worten. Sie glaubte irgendwie, sich nicht dazu überwinden zu können, es ihm einfach zu sagen. Vor den möglichen Konsequenzen hatte sie viel zu viel Angst. Ran warf ihrem besten Freund einen flüchtigen Blick zu. Und dachte einfach nicht mehr daran. Versuchte es. Was sein sollte, würde so sein. Das Beste war wohl, sie ließ diesen Tag einfach auf sich zukommen... Shinichi jedoch dachte die ganze Zeit darüber nach, wie er es Ran wohl am besten erklären könnte, dass... Ja, dass die Möglichkeit bestand, dass er das nächste Weihnachten nicht mehr mit ihr verbringen könnte. Dass es sogar ziemlich sicher war... Aber so weit wollte er noch gar nicht denken. Er sah dieses Mädchen neben sich hergehen und dachte nur: Soll es wirklich so enden? Er wollte es ganz einfach nicht. Er hatte so lange darauf gewartet, sie endlich wieder sehen zu können, wieder mit seiner Stimme, von Angesicht zu Angesicht, mit ihr sprechen zu können... Und dann wurde ihm deswegen einfach seine Zukunft geraubt? Seine Zukunft, die er gemeinsam mit seiner großen Liebe verbringen wollte? Er wollte, nein, er konnte das einfach nicht glauben, nicht begreifen. Und doch... wusste er es. Wieso...? Wieso war er damals nur so neugierig gewesen? Sein Gewissen zermarterte ihn innerlich. Er hatte nichts, rein gar nichts erreicht. Hätte er von Anfang an reinen Tisch mit Ran gemacht und ihr am ersten Abend die Wahrheit gesagt, dann hätte er sie gar nicht so sehr verletzt. Vielleicht... In den zwei Jahren war nichts vorangekommen. Die Männer in Schwarz lauerten immer noch im Dunkeln auf ihre nächsten Opfer, auch das FBI war ihnen noch nicht näher gekommen, Shinichi lief als Steppke herum und ließ es einfach zu, dass sich Ran Abend für Abend in den Schlaf weinte... Und jetzt sollte das alles umsonst gewesen sein, jetzt sollte er einfach sterben? Wofür dann alles? Er atmete tief aus. Ebenso tief wieder ein. Er musste sich jetzt beruhigen, um Ran nicht zu beunruhigen. Es war schon genug, was er an diesem Tag noch mit ihr vorhatte. Zumindest diesen einen Tag wollte er noch genießen... Daher versuchte er, seine Gedanken einfach abzuschalten. Es klappte, fast. Wenigstens für ein paar Minuten. Die beiden gingen gerade gedankenverloren an einem Stand mit Schlüsselanhängern, Ringen und Halsketten vorbei. Auf einmal blieb Ran stehen. Einer der Kettenanhänger, der da so verloren baumelte, erinnerte sie an den Glücksbringer von Heiji und Kazuha. Es war ein kleines, sandfarbenes Säckchen, gerade groß genug für ein Passfoto, und darauf war ein Orakelspruch genäht, den Ran aber aufgrund der Entfernung noch nicht lesen konnte. Shinichi war natürlich auch aufgefallen, dass Ran nicht mehr neben ihm herging. Ein paar Meter, nachdem er dies gemerkt hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und ging zu ihr zurück, folgte ihrem Blick. Dann sah auch er die Kette. Wären nicht so viele Leute vor diesem Stand angestanden, hätten die zwei ja einen näheren Blick auf die schönen Sachen werfen können, aber so mussten sie versuchen, die Dinge aus etwa drei Metern Entfernung zu erkennen, und das war bei einem Spruch, der gerade mal auf ein drei mal sechs Zentimeter großes Stück Stoff gestickt war, wahrlich nicht einfach. Ran versuchte noch, die Augen zusammenkneifend, zu erkennen, was da wohl drauf stand. Irgendwie faszinierte sie diese Kette... Als auf einmal... „Ich liebe dich.“ Ran wäre beinahe das Herz stehengeblieben. Sie hatte sich verhört, ja ganz sicher hatte sie sich verhört. Shinichi hatte das gerade eben nicht gesagt. Nein! Der Schock in ihr saß so tief, sie konnte sich nicht einmal mehr bewegen. Nach diesen Worten war ihr Gehirn wie ausgeschaltet. Bis sie merkte, dass Shinichi schon ein paar Minuten versuchte, sie wieder anzusprechen, verging eine Ewigkeit. Er hatte das gerade nicht gesagt... Oder doch? „Ran?“ Er wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum. „Jetzt hör doch mal. Auf dem Anhänger, den du dir da gerade angesehen hast, steht ‚Ich liebe dich’. Also guck nicht so abwesend, nur weil ich dir etwas vorlese, ja?“ Die Miene, die dann das Gesicht der Angesprochenen zierte, war erstens rot und spiegelte zweitens eine riesige Enttäuschung wider, nicht zu vergessen das Gefühl, gerade aufs Äußerste veralbert worden zu sein. Er hatte ihr also nur das Spruchband vorgelesen... Die Empfindung, die Ran gerade verspürte, konnte man nicht mit einem Wort beschreiben. Einerseits war sie enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert, konnte man sagen. Aber irgendwie wusste sie nicht, was sie fühlte... Eine seltsame Situation... Aber Shinichis Gefühlschaos war weit größer... Er sah, wie er Ran gerade enttäuscht hatte. Obwohl er es doch eigentlich auch ernst gemeint und nicht nur abgelesen hatte... Wieso hatte er das gerade nur gesagt? Und wieso dann abgestritten, als es endlich aus ihm heraus war? Wenn auch auf eine seltsame Art und Weise... Er ohrfeigte sich innerlich. Da Ran gerade wirklich fast nicht mehr ansprechbar war, beschloss sie, erst einmal für Shinichi und sich je eine Tasse Glühwein zu besorgen, um sich auf dem Weg wieder etwas zu fangen. Etwas Warmes war wahrscheinlich bitter nötig, es war nämlich inzwischen richtig kalt geworden und beide hatten schon ein ziemlich rotes Gesicht – wegen der Kälte natürlich. Sie sagte ihm Bescheid und war für ein paar Minuten weg. Als sie kurze Zeit später mit zwei bordeauxroten Tassen in den Händen wieder zum Stand zurückkam, sah sie nur aus dem Augenwinkel eine kleine Tüte aus Shinichis Manteltasche baumeln, konnte sie jedoch nicht genauer ansehen, da er sie einfach etwas tiefer in seine Tasche steckte, als er bemerkte, wo Rans Blick gerade hing. Er wäre dabei ein bisschen rot geworden, hätte er sowieso nicht schon ein wegen der Kälte in dieser Farbe angelaufenes Gesicht gehabt. Dankend nahm Shinichi seiner Jugendfreundin die Tasse Glühwein ab – auf der unverschämterweise ein Pfand von 1400 Yen war – und sie stellten sich an ein kleines Tischchen, von denen am ganzen Platz mehrere Dutzend aufgestellt waren, damit man seine Tasse, Tasche oder was auch immer nicht auf den Boden legen musste. Während Shinichi seinen Glühwein trank – ihn eher vorsichtig schlürfte, weil er noch ziemlich heiß war – blickte er kurz umher und musterte die wirklich weihnachtlich gestimmte Umgebung mit einem wohligen Vorweihnachtsgefühl in seiner Brust, seine eigentlichen Sorgen für einen kurzen Moment vergessend. Als er seinen Blick jedoch Ran wieder zuwandte, hatte er plötzlich ein ungutes Gefühl. Ihr Gesicht war ziemlich rot, sie schwitzte. Wie konnte sie bei diesem Wetter nur schwitzen? Er sagte jedoch nichts, weil er glaubte, ihr zumindest bezüglich der Gesichtsfarbe um nichts nachzustehen... Nun blickte er einfach wieder in den Schnee, der weiß gewesen wäre, wenn die Leute nicht mit ihren dreckigen Schuhen darin herumgestapft wären. Winter war schon etwas Sonderbares... Besonders um die Weihnachtszeit. Leute liefen herum wie aufgescheuchte Hühner, rafften von ihrem das ganze Jahr über gesparten Geld Weihnachtsgeschenke zusammen, holten sich einen Christbaum und schmückten ihn glückselig daheim. Einerseits wurden sie von den ganzen Marketing-Strategen nur sinnlos ausgebeutet und andererseits verbreitete jeder das große „Ich liebe meinen Nächsten mehr als mich selbst“ - Gefühl, obwohl man doch eigentlich nur herumhetzte und versuchte, das von der Tochter gewünschte und in jedem Laden ausverkaufte Puppenhaus doch noch irgendwie zu bekommen. Oder der Frau nach Jahren wieder einmal eine teure Halskette zu schenken, wenn am Schluss eh nur wieder ein Schal unterm Baum lag. Aber irgendwie... Es klappte doch jedes Jahr wieder, also musste an diesem „Weihnachten“ schon etwas Besonderes sein... Kapitel 2: ...And Love Me Always -------------------------------- Schönen 4. Advent euch allen ^-^ Nur noch eins, dann halt ich meine Klappe: Im 1. Teil hab ich noch zwei kleine RS-Fehlerchen verbessert (danke Lina^^), nur für die, die sich über das "Update" wundern. Und jetzt halte ich meine Klappe und lasse euch einfach selbst lesen, was ich hinter meiner Geheimniskrämerei um Happy/Bad End versteckt hab x33 Also, viel Spaß beim Lesen^^ Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! ________________________________________________________________ Kapitel 2 - ...And Love Me Always Ran blinzelte. Sie war ganz benommen und schaffte es kaum, ihre Augen zu öffnen. Was war geschehen? Langsam erkannte sie schemenhafte Umrisse von Einrichtungsgegenständen. Sich an etwas zu erinnern fiel ihr schwer, anscheinend hatte sie einen Filmriss. Wie lange war sie eigentlich schon hier...? Endlich schaffte sie es, ihre Augen ganz zu öffnen. Das Zimmer kam ihr auf den ersten Blick nicht bekannt vor, das Einzige, was ihr auffiel, war, dass es ungewöhnlich warm war, obwohl draussen sicherlich Minusgrade herrschten und – der Dunkelheit nach zu urteilen – es mitten in der Nacht war. Auch kam die Wärme nicht nur von der Heizung... Als Ran sich langsam wieder orientieren konnte und sich etwas umblickte, merkte sie, dass sie nicht alleine auf dem Sofa geschlafen hatte. Jemand lag bei ihr, aber um das Gesicht dieser Person zu sehen, musste sie sich erst mit dem Ellbogen etwas nach oben hieven. Sofort erkannte sie denjenigen, an dessen Schulter sie eingenickt war, und konnte es kaum glauben. Ihr Herz schlug von einer Sekunde auf die andere mit doppelter Geschwindigkeit und ihre Atemzüge waren unberuhigend schnell und flach. Dort lag Shinichi. Ihr Shinichi... Und träumte wahrscheinlich gerade noch von Sherlock Holmes, während sie ihn einfach nur anstarrte. Ziemlich ungläubig sogar. Was machte er hier? Und vor allem: Was machten sie beide zusammen auf einer Couch? Etwas verdutzt ließ Ran sich wieder zurücksinken, da ihr langsam die Hand, mit der sie sich stützte, einschlief – wobei sie bemerkte, dass Shinichi seinen Arm um sie gelegt hatte. Es war ihr nicht unangenehm, im Gegenteil, nur hätte sie eine Begründung wirklich interessiert, da sie aufgrund ihres Filmrisses schon ziemlich schlimme Gedanken hatte... Ihre Fantasie verpasste ihrem Gesicht einen kräftigen, roten Schatten. Rans Herzfrequenz hatte sich gerade wieder etwas normalisiert – war ja auch schon etwa eine Viertelstunde vergangen, seitdem sie aufgewacht war – als sie plötzlich zwei Worte hörte, die ihren Herzschlag wieder auf Hochtouren brachten. „Guten Morgen!“ Beinahe wäre sie erschrocken, als Shinichi die Nachttischlampe eingeschaltet hatte, da sie ja angenommen hatte, er würde bis in die frühen Morgenstunden durchschlafen und nicht so wie sie – verrückterweise – mitten in der Nacht aufwachen. Etwas verdutzt jedoch erwiderte sie schließlich seinen Gruß, worauf eine peinliche Stille folgte. Immerhin lagen die zwei dort Arm in Arm und einer von ihnen wusste ja noch nicht einmal, was passiert war. Um das Schweigen zu brechen, stellte Ran schließlich die Fragen aller Fragen, irgendwann musste sie es ja sowieso erfahren: „Was ist eigentlich passiert...?“ „Hast du es denn etwa vergessen?“ Aufgrund der Formulierung und Betonung von Shinichis Gegenfrage setzte Ran sich schlagartig auf, drehte ihren Kopf in Shinichis Richtung und fragte mit rosa Backen, schon das Schlimmste erwartend: „Was vergessen?!“ „Na, du bist doch nach unserem Tag auf dem Weihnachtsmarkt einfach vor meiner Haustür ohnmächtig geworden...“ Etwas kleinlaut stützte sich Shinichi auf seine Ellbogen und kratzte sich verlegen an der Wange. „Und dann habe ich dich hier hereingetragen und wollte dich erst einmal aufs Sofa legen, doch... na ja... Als dann mein Arm unter dir feststeckte und du so fest geschlafen hast, wollte ich dich nicht...“ Shinichi brauchte gar nicht weiter zu reden, da Ran so schon verstanden hatte und ihn sehr verlegen ansah. Sie erinnerte sich wieder daran, dass sie auf einmal Fieber bekommen hatte. Einen fixen Punkt der Wolldecke auf dem Sofa anstarrend entschuldigte sie sich fast schon flüsternd dafür, doch ihr Sandkastenfreund tat die ganze Sache mit einer winkenden Handbewegung ab, als wäre es selbstverständlich, und setzte sich ebenfalls auf, sodass er nun neben ihr auf dem Sofa saß. Komischerweise hatte dies aber anscheinend noch mehr Punkte auf der Peinlichkeitsskala von beiden, da ein schönes dunkles Rot nun alle zwei Gesichter zierte. Und der Teppich, der auf dem Boden ausgebreitet lag, war anscheinend ziemlich interessant, da alle zwei ihren Blick nicht davon lassen konnten – besser: nicht mehr davon lassen wollten. Shinichi warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr, die auf dem Couchtisch stand und gerade halb drei Uhr morgens anzeigte, und widmete sich dann wieder dem Teppich. Er überlegte kurz, kam dann zum Schluss, dass es von nun an nicht noch peinlicher werden konnte und fasste sich ein Herz zur Tat: Er griff nach Rans Hand – und sah mit pochendem Herz in die andere Richtung. Das blieb von ihr natürlich nicht unbemerkt. Und sie wandte ihren Blick, der zu den zwei sich haltenden Händen gewandert war, erwartungsvoll zu Shinichis Gesicht. Schließlich ergriff dieser wieder das Wort oder versuchte zumindest, seinen Stimmbändern einige Töne zu entlocken, was ihm nach kurzem Aufwärmen auch wunderbar gelang. „R-Ran... Ich glaube, ich muss dir was sagen...“ Endlich sah er sie wieder an, aber auch nur zögerlich. So wie er sich jetzt benahm, erkannte Ran ihren Meisterdetektiv, der sonst nur so vor Selbstvertrauen strotzte, gar nicht wieder. So nervös und herumdrucksend hatte sie ihn noch nie erlebt. Was wollte er ihr nur sagen? War in der Nacht etwa doch...? Ran wartete immer noch auf die ihr zustehende Antwort und Shinichi überzeugte sich schließlich selbst davon und sagte es einfach. „Ich liebe dich, Ran...“ Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ein Liebesgeständnis von Shinichi... Ihrem Shinichi... Und diesmal sogar ein echtes! Auf einmal überwältigten sie all die Gefühle der letzten Monate. Die Hoffnungslosigkeit, als sie auf ihn gewartet hatte... Die Verzweiflung, wenn er sie einmal angerufen hatte... Die Wut, dass er sie einfach so alleine gelassen hatte... Der schöne Tag, den sie heute mit ihm hatte erleben dürfen. Die Liebe, die sie für ihn empfand, und das Glück, das sie nun verspürte. Sie küsste ihn. Und das, ohne groß darüber nachgedacht zu haben. Der Kuss kam wahrscheinlich genauso überraschend für ihn wie für sie die Tatsache, dass er ihn erwiderte. Beide versanken regelrecht in diesem Kuss und vergaßen alles um sich herum, die Zeit stand still, die Erde ebenso. Langsam brachten sie ihre Zungen mit ins Spiel und tauschten ein paar Minuten lang ihre Leidenschaften aus. Als sie sich wieder voneinander lösten, sahen sie einander nur an. Nichts weiter. Sie wollten die Zeit nachholen, die man ihnen genommen hatte. Natürlich war das nicht mehr möglich, doch es war in diesem Augenblick beiden ziemlich egal... Sie sahen sich jetzt nur an und wussten doch ganz genau, was der andere gerade dachte. Ohne Worte. Erneut versanken sie in einem feurigen Kuss und waren auf einmal ganz berauscht von der bisher unterdrückten Liebe, die sie schon so lange füreinander empfunden hatten. Langsam ließen sie sich von ihrer sitzenden Haltung wieder zurück in die liegende sinken, hörten aber unterdessen nicht auf, sich zu küssen. Es war, als hätten sie jetzt alle Zeit der Welt... Es war sicher gegen fünf Uhr, als sie sich nur noch in den Armen lagen. Immer noch war es still. Seit einer Stunde hatten die zwei Verliebten kein Wort mehr miteinander gewechselt, obwohl es doch wirklich noch einige Sachen zu bereden gegeben hätte. Dringende Sachen... Beide wussten es, aber sie wollten es nicht wahrhaben. Das ganze Spiel dauerte noch eine halbe Stunde, sie lagen sich immer noch in den Armen, als Ran erneut begann, Shinichi zärtlich zu küssen. Es war aber kein Kuss wie die vielen zuvor. Der Meisterdetektiv hätte auch ohne seine begnadete Kombinationsgabe gemerkt, dass ziemlich plötzlich ein Wasserfall von Tränen von Rans Gesicht auf seines tropfte. Als er sich ihrem Kuss entwand und sie ansehen und trösten wollte, sah sie weg, legte ihren Kopf aber trotzdem behutsam auf seine Schulter und flüsterte mit einem Kloß im Hals: „Lass mich nicht mehr alleine...“ Jetzt wusste er, dass er durch seine letzte Rückkehr alles nur noch schlimmer gemacht hatte... Shinichi war froh, dass Ran noch wegsah, denn sonst hätte sie die Verzweiflung gesehen, die sein Gesicht nun deutlich kennzeichnete. Er fühlte die Tränen, die sie weinte und nun wusste er, wie sehr sie das Ganze wirklich belastet haben musste. Es war, als würde Ran mit diesen Tränen sich an seiner Schulter ausweinend das letzte Jahr verarbeiten, doch es war noch nicht vorbei... Dieser Abend sollte der Anfang vom Ende sein, und Shinichi wusste das. Mit einem stark klopfenden Herzen legte Shinichi seine Arme um Rans Hüfte und drückte sie fester an sich. Sie fühlte sich in seinen Armen geborgener als je zuvor und langsam versiegten auch ihre Tränen, doch sie hatten Spuren hinterlassen. Wegen des schwachen Lichts konnte man ihr verweintes Gesicht fast nicht erkennen, doch beide wussten, dass es da war. Nachdem Ran einige Zeit in Shinichis Armen verweilt war, drehte sie sich wieder zu ihm um und sagte, als ob sie nicht aufgehört hatte zu sprechen, zu ihrem vorhergehenden Satz ergänzend: „Versprichst du mir das?“ Doch er antwortete nicht. Auch ihr hoffnungsvoller Blick veranlasste ihn nicht dazu, ihr die Wahrheit zu sagen. Oder überhaupt etwas zu sagen. Er sah nur ihre Augen, die ihm sagten, dass sie sich nichts mehr wünschte, als dass er „Ja“ sagte. Dass er von nun an immer bei ihr bleiben würde. Und dass, wenn er nein sagen würde, eine Welt in ihr zusammenbräche... Langsam merkte auch Ran, dass das ersehnte „Ja“ nicht kam. Von Sekunde zu Sekunde verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck und die Unsicherheit sowie die Verzweiflung in ihr drin wuchsen. Was hielt ihn davon ab, einfach ja zu sagen? Würde er am nächsten Tag etwa wieder für Monate ins Nichts verschwinden und sie wieder alleine zurücklassen? Das würde sie nicht ertragen. Jetzt nicht mehr. Ran hatte Shinichi nun schon fünf Minuten in die Augen geblickt, mit diesem durchdringenden Blick, der Shinichi durch Mark und Bein fuhr. Es war ein Blick, der ihm zeigte, wie sehr sie ihn liebte. Wie sehr sie bei ihm sein wollte. Und wie sehr sie sich ein einfaches „Ja“ wünschte... Er musste es ihr sagen. Hier und jetzt. Denn später hätte er nie wieder die Zeit dafür... „Ran... Ich... Ich werde in Kürze sterben...“ Sie hatte es gar nicht gehört. Ihre Ohren ausgeschaltet, ihr Gehirn tot, ihre Augen leer, ihre Seele fort. Alles einfach weg. Sie glaubte ihm nicht. Obwohl sie es tat. Aber sie wollte es nicht glauben. Ihr Herz wäre zersprungen, hätte sie es akzeptiert. Sie würde es nie akzeptieren... ~~~ Der Chor hatte aufgehört zu singen und die Sänger holten sich, wie Ran und Shinichi es zuvor getan hatten, eine kleine Stärkung. Es war richtig kalt geworden und wäre der Schnee nicht sowieso schon gefroren gewesen, wäre er spätestens nun zu Eis erstarrt. Shinichi bereute es jetzt, dass er keine Handschuhe dabei hatte. Obwohl er gehofft hatte, auf diese Weise etwas Eindruck schinden zu können. Wieso hatte er dem Wetterbericht nur vertraut...? „Heute erwartet Sie ein wundervoller Wintertag, nicht zu kalt und nicht zu warm, den man am besten mit einer Person, die man gern hat, auf dem hiesigen Weihnachtsmarkt verbringt!“ Jaja, die hatten gut reden. Von wegen nicht zu kalt... Er sah zu Ran, die gerade ganz angetan die Krippenfiguren an einem Stand betrachtete, der Handgeschnitztes verkaufte. An ihren kleinen, hüpfenden Bewegungen erkannte er – der Meisterdetektiv – dass wahrscheinlich auch ihr nicht mehr allzu warm war. Zum Glück fiel ihm ein, dass ein, zwei Blocks weiter ein kleines Café war, wo sie sich vielleicht aufwärmen konnten. Auch hatte er ein bisschen Hunger, das musste er sich eingestehen. Und der Imbiss war schon fast berühmt für seine Sandwichs. Die perfekte Wahl also. Als Ran sich an den hübschen und fein gearbeiteten Holzfigürchen satt gesehen hatte, wurde sie von Shinichi bereits mit der Frage empfangen, ob sie nicht in dieses Café gehen wollten, um kurz einen Happen zu essen und der Kälte zu entfliehen. Da ihr wahrlich etwas kalt war, stimmte sie fröhlich zu. Der Weg war nicht weit, daher waren die zwei schon nach etwa fünf Minuten Fußmarsch am Ziel angekommen. Sie betraten den Imbiss. Begrüßt wurden sie von einem hellen Glöckchen und einem freundlichen „Guten Abend!“ der Bedienung. Guten Abend? Shinichi und Ran warfen synchron einen Blick auf die Uhr, die an der Wand des Garderobenständers hing. Es war doch erst kurz nach 16 Uhr. Verdutzt sahen sie die Bedienung an. Die kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Entschuldigen Sie bitte. Das ist ein kleines Gewinnspiel. Jeder, der den Schwindel sofort merkt, bekommt ein Getränk umsonst. Und die anderen müssen ihr Getränk selbst zapfen, ihr Sandwich selbst belegen oder so etwas in der Art. Haben Sie das Schild draußen gar nicht gesehen?“ Ran und Shinichi hatten die gleiche ungläubige Miene im Gesicht. Aber draußen war wirklich ein Schild, auf dem stand: „Kleiner Aufmerksamkeitstest bei uns im Café! Täglich ab 16 Uhr. Bei Bestehen ein Getränk frei Haus pro Gast!“ Während Shinichi dachte, welcher Wahnsinnige sich das wohl ausgedacht hatte, jammerte die Kellnerin weiter, dass sie seitdem mehr Freigetränke ausschenken müsse denn je. Das wunderte Shinichi nicht, welcher Idiot merkte schon nicht, wann es hell und wann es dunkel war... Immer noch geschockt von der Minderbemitteltheit mancher Imbissbetreiber setzte er sich mit Ran an einen Tisch am Fenster, von wo aus man das ganze weihnachtliche Treiben des Marktes noch ziemlich gut mitbekommen konnte. Die Bedienung stellte sich nach einiger Zeit wieder zu den beiden an den Tisch, um deren Bestellung aufzunehmen und die Speisekarten, die sie ein paar Minuten vorher gebracht hatte, wieder mitzunehmen. Nach einer knappen Viertelstunde kam sie wieder und hatte ein großes Tablett dabei, beladen mit zwei Sandwichs und den zwei Freigetränken, je ein großer Pott voll dampfender, heißer Schokolade mit Sahnehäubchen. Während Ran und Shinichi ihre Sandwichs mümmelten, redeten sie nebenbei über Themen wie die Schule, die Shinichi ja nun schon seit etlicher Zeit nicht mehr von innen gesehen hatte, Ereignisse, die Shinichi verpasst hatte und – natürlich – über Sherlock Holmes, wobei Ran versuchte, nachdem ihr Gegenüber das Thema angeschnitten hatte, es schnell wieder zu wechseln. Durch das große Fenster, an dem der Tisch stand, an den die beiden sich gesetzt hatten, hatten sie gut das Treiben im Blick, das sich draußen abspielte. Schneeflocken rieselten vom Himmel, Kinder tollten darin, lachten und scherzten mit ihren Müttern. Alte Ehepaare gingen spazieren und junge Pärchen schlenderten über den Weihnachtsmarkt. Die Stimmung war überall feierlich, alles war wunderschön und festlich geschmückt... Ein perfekter Spätnachmittag. Nach einiger Zeit hatten Ran und Shinichi fertig gegessen und bezahlt – es war inzwischen halb sechs – und entschlossen sich, frisch gestärkt, noch einmal eine Runde über den Weihnachtsmarkt zu schlendern, bevor sie wieder nach Hause gingen. Auf dem Weg zurück ins Beika-Viertel redeten sie über dieses und jenes, über die Schule, Sherlock Holmes, Rans Vater, Sherlock Holmes, über Weihnachten, Sherlock Holmes und Sir Arthur Conan Doyle. Als Ran aber doch letztendlich genervt von Shinichis ewigem Detektivgelaber schien, hörte er auf damit. Eine kurze Pause entstand. Shinichi wollte gerade ein neues, holmesfreies Thema anschneiden, als er in Rans Gesicht blickte. „Ran… Geht’s dir gut?“ Sie hatte einen seltsamen Glanz auf ihren Wangen und ihrer Stirn, offenbar schwitzte sie. Ihre Augen schienen auf einmal eigenartig glasig und bevor Shinichi sich recht versah, brach sie zusammen. Seiner schnellen Reaktion verdankte sie es, dass ihr bewusstloser Körper nicht vollkommen im Schnee versank – er hatte sie noch rechtzeitig auffangen können. Da sein Haus nicht mehr weit weg war, trug er sie erschrocken und besorgt zugleich zu sich nach Hause. ~~~ Ihm brach es fast das Herz, nun ihren geschockten Gesichtsausdruck zu sehen. Und sie konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Warum? Jetzt, da er endlich wieder zurück war, er endlich wieder bei ihr war… Sie endlich wusste, was er wirklich für sie empfand. Jetzt würde er so einfach – mir nichts, dir nichts – sterben? Fassungslos starrte sie in sein Gesicht. Und nur langsam realisierte sie es. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie mit fast schon erstickter Stimme fragte: „Warum?“ Shinichi brauchte einige Zeit, sich für die Antwort zu wappnen. Er wusste wirklich nicht, wie sie auf diese ganze Geschichte reagieren würde, aber er musste es ihr jetzt sagen. Sie sollte es nicht von jemand anderem erfahren müssen, was er ihr die letzten Jahre zugemutet hatte. Also erzählte er ihr mit schuldiger Stimme die ganze Geschichte, über die Organisation, das Gift und den kleinen Conan, anfangs noch etwas stotternd, doch bald ziemlich flüssig. Sie hörte es sich geduldig an. Richtig nachdenken schien aufgrund dieser Informationsflut unmöglich. Es kam ihr so unwirklich vor. Obwohl sie einige Male vermutet hatte, dass Shinichi Conan war... In diesem Zusammenhang zu hören, dass es ein missglückter Mordversuch gewesen war, dass dieses Gift, das ihn hatte schrumpfen lassen, ihn aber als Langzeitwirkung nun bald doch umbringen würde... Die Tatsache, dass er die ganzen Fälle ihres Vaters gelöst hatte... Dass er, indem er es ihr verschwieg, sie einfach nur hatte schützen wollen... Als er endete, kam es ihr beinahe vor, als ob sie gerade aus einem bösen Traum erwachte. Doch es war noch nicht vorbei. Ihre Tränen waren versiegt. Ihr Hals schien ausgetrocknet, sie brachte kein einziges Wort zustande. Ihre Miene war glanz- und leblos. Und langsam schien das Fieber vom Nachmittag wieder zurückzukehren. Shinichi war einerseits froh, endlich reinen Tisch gemacht zu haben, andererseits hätte er es lieber unter anderen Umständen getan. Nicht als letzten Ausweg für sein Seelenheil. Er drückte sie wieder fester an sich. Freiwillig, das schwor er sich, würde er sie nicht loslassen. Doch sein Körper war da anderer Meinung. Einen Tag vor Weihnachten starb er. Und sie folgte ihm am Neujahrstag. Und die kleine Kette, die mit einem Liebesbekenntnis bestickt worden war, blieb vergessen in einer kleinen Tüte in seiner Manteltasche zurück... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)