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Sorglospunks forever

von

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Träume sind Schäume

Nach dem letzten Überraschungshit der Sorglospunks (Talent) herrschte mal wieder Ebbe auf dem Inspirationskonto der Band. Und zwar dergestalt, dass das Projekt „Best of“-Album, welches alle bislang veröffentlichten Sorgloshits auf einer Scheibe vereinen sollte, ernsthaft auf Eis gelegt zu werden drohte. Es fehlte schlicht noch an Sorgloshits.

Ursache dafür waren die Musen, welche jede aus eigenen Gründen daran gehindert waren ihrer kreativitätsfördernden Arbeit nachzugehen. Da wäre zunächst Easys Muse, welche sich nach dem letzten Höhenflug spontan ein Pseudo-Burn-Out-Syndrom zugelegt hatte, und nun aufopferungsvoll von der Muse der offiziellen Bandmuse abranka gepflegt wurde. Eurestia, die Muse des Managements, war auf einem Familientreffen, und hätte sie sich nicht wenigstens ein klein wenig Arbeit mitgenommen, hätte Nifen wohl endgültig Land unter melden müssen, und dass obwohl sie dafür bekannt war, die Herrscherin über das Chaos zu sein. Was nun Jack und Chris betraf, so verwiesen die beiden auf ihren Vertrag, der sie von jeder Songschreibepflicht entband. (Das schloss natürlich keineswegs freiwillige Beiträge aus, aber was die beiden nicht verraten wollten, war, dass ihre Musen in den Streik getreten waren und mehr bezahlte Urlaubstage forderten. Und ein Ende dieses Arbeitskampfes war noch nicht in Sicht.)

Aus diesem Grund traf sich die gesamte Band, samt der beiden M&Ms (Muse und Management), an einem wunderschönen, verregneten Nachmittag zu einer Kreativ-Sitzung. Kiwi, das Bandmaskottchen, thronte in der Mitte des Tisches, vor sich eine Schale mit Dosenkarotten, welche Easys neuste Katzendiätidee darstellten. Der Rest der Truppe sah sich mit einem weißen Blatt Papier, einem Kugelschreiber (schreibgetestet, selbstverständlich) und einem roten Bürogummi bewaffnet.

„Ähm“, sagte Chris und sah skeptisch auf den Bürogummi, „was sollen wir damit?“

„Frag das nicht mich“, entgegnete ihm die Bandmuse. „Es war Nifen, die darauf bestanden hat.“

Irritierte Blicke wandten sich dem Management zu, welches total vertieft versuchte, aus den ausgelegten Materialien eine intergalaktische Konzerthalle für den nächsten Auftritt der Sorglospunks zu basteln. „Ist was?“, fragte sie vollkommen entrückt, als sie schließlich bemerkte, dass alle Augen auf sie gerichtet waren.

„Nifen? Die Bürogummis?“

„Was ist damit?“ kam es arglos zu Easy zurück.

„Chris fragt, wozu wir die brauchen.“

„Irgendwas Kreatives sollte die Grundausstattung doch enthalten, oder? Und buntes Papier war grad nicht zur Hand.“ Wenn das keine logische Erklärung war... Zumindest zogen es die anderen vor, darauf nichts mehr zu erwidern.

„Gut, nachdem das geklärt wäre, könnten wir ja wieder zu dem eigentlichen Grund dieses Treffens kommen: Das Songtief!“, brachte die Bandmuse den ersten und einzigen Punkt der Tagesordnung zur Sprache.

„Hey, das ist nicht meine Schuld. Meine Muse ist die, die da nicht mitspielt“, ereiferte sich Easy sofort. „Ich würd ja gerne. Und wenn ich von meiner Muse so inspiriert würde, wie ich es wollte, würde wir in Sorgloshits nur so schwimmen. Wie Dagobert Duck!“

„Wissen wir, wissen wir“, versuchte Jack Easy zu beruhigen. „Und du bist ja nicht die einzige, deren Muse nicht mitspielt.“

„Nur Nifens Muse scheint noch aktiv zu sein.“ Mit einem leisen Seufzer wandten sich die vier zum Management um, das wieder selbstvergessen vor sich hinbastelte, während Kiwi den Tisch mit Karotten dekorierte. Offenbar hatte sie wenig Interesse an einer Karottendiät.

„Stimmt! Sag mal Nifen“, und abranka stupste das Management sicherheitshalber an, damit es auch mitbekam, dass es angesprochen wurde, „wieso arbeitet deine Muse noch? Ich dachte, alle Musen wären auf die ein oder andere Weise im Ausstand? Mit Ausnahme natürlich von meiner Person.“

„Und wieso schreibst du dann nicht die Songs?“, mischte sich Jack ein.

„Wie? Ach so...“ Das Management schaute auf die intergalaktische Konzerthalle. „Das hier ist eine alte Idee. Die Inspiration hierzu hat mir Eurestia schon vor Wochen gegeben. Nur hatte ich bislang noch keine Zeit sie umzusetzen.“

Ohne es zu wissen, war mit dieser Antwort eigentlich die Lösung zu dem Song-Problem gefunden, aber da die Band das ja nicht wusste, wurde stattdessen eine Runde Spontan-Songtitel-Würfeln gespielt. Aber irgendwann mussten selbst Easy und die Bandmuse, die beiden eifrigsten Würflerinnen einsehen, dass Songtitel wie „Morgen Bratpfanne zwei trinken“ oder „Dein Erle sprengen Flasche“ nicht gerade nach Sorgloshits klangen, auch dann nicht, wenn man die Verben deklinierte und die Substantive konjugierte. (Was natürlich aus Blödsinn auch versucht wurde. Aber wie bitte lautet der Genitiv zu „es explodiert“?)

Es war schließlich Chris, welcher, abgesehen von seinem Einwand gegenüber den Bürogummis, bis zu diesem Zeitpunkt der Sitzung eher schweigend beigewohnt hatte, der den Stein ins Rollen brachte. „Es kann doch nicht sein, dass Nifen die einzige ist, die noch alte Ideen von ihrer Muse hat, die darauf warten, von ihr umgesetzt zu werden“, brach es aus ihm heraus. „Unsere Musen haben doch bestimmt auch ein paar Überschussideen produziert, oder?“

„Meine nicht“, meinte Easy sofort. „Sonst hätte ich die doch schon längst umgesetzt.“

„Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist es so, dass wir gar nichts von diesen Ideen wissen.“

„Hä?“ Verwirrt sah Easy ihren Bandkollegen an. „Das muss ich jetzt aber nicht verstehen, oder?“

„Das Unterbewusstsein. Dort könnten die Musen Ideen eingelagert haben“, führte Chris seine Theorie aus.

„Toll... ich mein das Unterbewusstsein. Damit kann man auch ganz schnell lesen. Man kann mit dem Unterbewusstsein etwa das 300fache oder so aufnehmen wie mit dem Oberbewusstsein. Wobei, heißt das eigentlich Oberbewusstsein, oder nur Bewusstsein?“, fragte das Management in die Runde. „Egal, auf jeden Fall ist so ein Unterbewusstsein toll. Die Frage ist nur: Wie sollen wir an die Ideen aus dem Unterbewusstsein rankommen?“

„Müssen wir gar nicht“, ließ sich die Bandmuse triumphierend vernehmen. „Denn es gibt bereits etwas, wo die Ideen im Unterbewusstsein zu Tage treten.“ Ungeduldige Blicke von Easy veranlassten abranka dazu sie nicht allzu sehr auf die Folter zu spannen. „Unsere Träume! Meist ziemlich verwirrend, nicht wirklich zusammenpassend und seltenst real. Aber voller Potenzial.“ Stolz blickte sie in die Runde, und auch die Gesichter der anderen hatten sich aufgehellt. Ja, eindeutig, jeder von ihnen hatte noch den ein oder anderen merkwürdigen Traum, der sich vielleicht zu einem Song umarbeiten ließ.

Und als sich der Tag dann endlich dem Ende zuneigte, konnte die Band stolz einen neuen Song aufweisen, der Traumaspekte aller an dem Projekt beteiligten aufwies, sogar inklusive des Bandmaskottchens Kiwi:
 

Träume sind Schäume
 

Träume sind Schäume

Und meine wie Sekt:

Da werd ich vom

Finnischen Kronprinz geweckt.
 

Träume sind Schäume

Und meine Baisser:

Da überquer ich zu Fuß

Den Erie-See.
 

Träume sind Schäume

Und meine Shampoo:

Da gewinn ich den Oscar

Und Franzi schaut zu. (miau)
 

Träume sind Schäume

Und meine wie Gischt:

Da gibt es Kampfgeishas

Mit Schlagsahne vermischt.
 

Träume sind Schäume

Und meine wie Mousse:

Da entdeck ich ’ne Formel

Und aus Gold wird dann Ruß.
 

Träume sind Schäume

Und meine Styropor:

Da tanzen die Royals

Im Nussknackerchor.
 

Träume sind Schäume

Nur unsere nicht:

Denn Sorglos-Erfolg

Steht uns gut zu Gesicht!

Wunderland

Werwölfe! Wer bitte konnte ahnen, dass es sich bei dem Club mit Namen ‚Wolfshöhle’ um den Lieblingstreffpunkt von Werwölfen handelte? Okay, zugegeben, vielleicht sollte ich aufhören die Spam-Mail-Schreiber nach guten Auftrittsorten zu fragen, aber hey, mit irgendwas muss man als Manager ja schließlich arbeiten. Und leider waren die Spam-Mailer die einzigen, die bislang mein Postfach entdeckt hatten. Abgesehen davon hatte ich die singenden Pilze aber irgendwie süß gefunden… Nun ja, hinterher die Bandmitglieder von dem fauligen Modergeruch des Beetmists, den diese Pilze mit sich rumgeschleppt hatten, befreien zu müssen, während Easy, Jack und Chris ihren Rausch ausschliefen, war nicht ganz so süß, aber egal.

Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema. Die Sorglospunks brauchten einen neuen Ort, an dem sie auftreten und einen neuen Versuch starten konnten, die musikalisch ignorante Welt des Massenpops von der unschlagbaren Qualität des Sorglos-Punks zu überzeugen. Nur, wenn die Spam-Mail-Kontakte für die Wirklichkeit so unbrauchbar waren…

Kurz seufzte ich, denn es gab durchaus ein paar von den Mailern, die ich gern hatte. Zum Beispiel Hot JaCOb, der mich regelmäßig mit Pillen versorgen wollte… Okay, natürlich gehe ich nicht auf das Angebot ein, schließlich bezweifle ich, dass Kiwi gerne Versuchstier spielt (außer natürlich es geht um Motivationsschokolade, und das auch nur, weil Easy es an ihr testet).

Moment mal, bevor ich wieder abgelenkt werde und den eigentlichen Faden verliere… Vielleicht… Ein genialer Gedanke durchzuckte mein Gehirn! Wenn wir die musikalisch ignorante Welt des Massenpops in der Realität nicht überzeugen konnten, dann konnten wir sie vielleicht auf anderem Wege infiltrieren. Quasi virtuell, nur viel besser! Und dabei konnten mir Hot JaCOb und Konsorten wirklich behilflich sein.

„Muahahahahahahahahaha!“

Okay, ich glaube, gerade eben habe ich Jacks Triangel den Schock ihres Lebens verpasst, aber was soll’s, schließlich bin ich die einzige, die weiß, dass die Instrumente der Sorglospunks sprechen können. Die Bandmitglieder müssen schließlich nur auf ihnen spielen können, nicht mit ihnen über Shakespeare diskutieren.

Jetzt galt es aber erst einmal zu planen. Im Geiste ging ich alle möglichen Orte durch, die sich zwecks Realitätsinfiltration eigneten. Da wären vornehmlich Nimmerland, Narnia, Mittelerde und natürlich das Wunderland. Hm, für Nimmerland müsste ich Peter Pan erreichen… ob Robin Williams noch dessen Telefonnummer hatte? Narnia schied vorerst aus, denn mit gerade mal einem von sieben verfilmten Bänden war die Massenerreichbarkeit noch nicht ganz gegeben. Und was Mittelerde betraf, so war ich zwar persönlicher Fan der Schlacht von Helms Klamm, und ich war auch sicher, dass Easy Eowyn mit Vorliebe ihre Zeile klauen würde („Die Mitglieder der Sorglospunks haben gelernt, dass auch jene, die kein Instrument spielen, von der Musik infiziert werden können“ oder so ähnlich), bezweifelte ich, dass die angreifenden Orks je die höheren Weihen des Sorglos-Punks erreichen würden und somit ein Auftritt vor ihnen Verschwendung von Bandtalent wäre. Blieb also nur noch das Wunderland. Gar keine so schlechte Idee. Mir vielen spontan mindestens zwei Filme, eine Zeichentrickserie und natürlich das Buch selbst ein. Einschließlich des Merchandise, das wir mittels geschicktem Product-Placement (was meines Wissens nach im Wunderland noch nicht verboten war) auch mit einbeziehen konnten, war es eigentlich die perfekte Breitbandbasis. Also nichts wie ran an die Anfrage. Auf gut Glück schrieb ich eine E-Mail an concerts@wunderland.gov, beschloss aber sicherheitshalber auch noch bei Lewis Carroll höchstpersönlich nachzufragen. Zwar glaubte ich nicht wirklich an Seancen und Geisterbeschwörung, aber was tat man nicht alles für die Band, die man managte.
 

Na ja, irgendwie war diese Madama Estrella leider nicht in der Lage Lewis Carroll zu erreichen. Vermutlich weil sie gar kein echtes Medium war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie vergessen hatte, im Vorfeld ihr Geister-Beschwörungs-Wikipedia zu benutzen, denn sonst hätte sie gewusst, dass der Geist, den wir suchten, eigentlich Charles Lutwidge Dodgson heißt.

Egal, mussten wir also ohne Erlaubnis von ihm ins Wunderland, denn mittlerweile hatte ich eine Antwort auf meine E-Mail erhalten. „Blablabla, die Herzkönigin, blablabla, wenn nicht gerade mit Flamingo-Krocket beschäftigt, blablabla…“ Auf jeden Fall, die Band hatte einen Auftritt! Im Garten der Herzkönigin. Yesssah!

Dann rief ich abranka auf ihrem Handy an, damit sie Jack, Easy und Chris dazu inspirierte, mal bei mir nachzufragen, ob es denn einen neuen Auftritt gäbe. So etwas ist nämlich viel netter, als die Bandmitglieder einfach zu sich zu bestellen, als wäre man der Boss oder so. Denn zugegeben, eine Band ohne Manager hat es schwer, aber in Manager ohne Band genauso. Und außerdem, mit einer so netten Bandmuse wie abranka, wer konnte da schon widerstehen?

Wie gut abranka war, zeigte sich, als die drei kurz darauf, gefolgt von der Muse höchstpersönlich auf ihrer Wolke, in mein Büro kamen, wobei Easy die Fetzen eines Liedes mit dem Titel ‚Ich gehe jetzt zum Bandmanager’ vor sich hin summte.

„Kinder, wir haben einen neuen Auftritt! Im Wunderland, bei der Herzkönigin“, verkündete ich auch gleich die großartigen Neuigkeiten.

„Yeah! Wir gehen ins Wunderland. Hey, dann können wir auch gleich Kiwi mit dem Grinsekater verkuppeln“, war Easys Reaktion, Jack hingegen fragte nur nach, ob auch die Triangel mitkäme, was ich ihr versicherte, einzig Chris sah ein wenig skeptisch drein.

„Ähm, und wie sollen wir dort hingelangen? Wenn ich mich recht erinnere, musste Alice einen Schrumpfungstrank trinken, um durch die Tür zu passen.“

Nein, wir fragen nicht Snape! Falsches Fandom! „Ich hab da so meine Kontakte, die haben mir versichert, dass sie mir rechtzeitig eine ganze Ladung Schrumpf- und Wachstumspillen schicken werden.“ (Ihr erinnert euch an meinen Kumpel Hot JaCOb? Genau!)

„Gut, aber wie sollen wir uns im Wunderland zurecht finden?“

Ich rollte mit den Augen. Wie schön, dass die Organisation in meine Hände fiel und nicht der Band selbst überlassen war. „Ihr bekommt euren eigenen Führer von der ‚weiße Kaninchen kommen nie zu spät-Agentur’“, erklärte ich, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Nun ja, für mich war es das auch. Denn wie sonst sollten die drei rechtzeitig von der Tür zum Wunderland bis zur Herzkönigin kommen, ohne unterwegs ewig und drei Tage mit dem verrückten Hutmacher so viel Tee zu trinken, dass das Konzert ausfallen musste, weil die Bandmitglieder ständig aufs Klos mussten?

„Alles was ihr also tun müsst, ist dem weißen Kaninchen folgen…“
 

***
 

In diesem Moment beschloss Kiwi auf meinen Schoß zu springen und mich damit aufzuwecken. Wieso nur musste diese Katze immer dann schlafen, wenn alle anderen wach waren, und hielt man selbst mal ein Nickerchen plötzlich aktiv werden? Aber halt, Moment! Ich hatte die Idee… Das Wunderland! Oder noch besser: Wir nannten gleich die ganze nächste Tour die ‚Weiße Kaninchen-Tour’ und die Fans würden den Sorglospunks folgen. Wenn das nicht genial war…!

Ein Hundeleben

Eine wohlgenährte Katze lag friedlich schlummernd auf einem Sofakissen, das sie vom Sofa auf den Boden geholt und so platziert hatte, dass jeder, der es nicht gewohnt war, diese Katze ständig im Weg vorzufinden, über sie drüber stolpern musste. Doch der friedliche Schein trog, denn Kiwi – handelte es sich bei besagter Katze doch um niemand geringeren als das phänomenal geniale Bandmaskottchen der Sorglospunks – wurde gerade von einem Alptraum geplagt…
 


 

Kiwis Traumebene
 

Was gibt es wichtigeres im Leben einer phänomenal genialen Katze, die obendrein noch zum echten, wahren und einzigen Bandmaskottchen der Sorglospunks gekürt wurde, wie ich es bin, als zu schlafen? Ja, okay, ihr habt Recht – Essen ist eigentlich noch wichtiger. Aber auch wenn ich durchaus in der Lage bin jeden Schrank in der Küche zu öffnen, so ist der Mensch in der Futterfabrik meist so gemein, alles zu verpacken. (Was nicht verpackt ist, schmeckt meist auch nicht.) Und mal ehrlich, Konservendosen mit den Krallen zu öffnen ist ungesund für die gepflegte Pfote, Plastik schmeckt beim Durchbeißen einfach nicht und bei Tiefgefrorenem muss man obendrein noch ewig warten, bis das Essen genießbar ist. Denn wer hat schon Lust ein Lachsfilet weich zu lutschen? Ich nicht! Und deswegen schlafe ich so gerne. Dann geht nämlich die Zeit schneller rum, bis mich Easy zum Essen ruft. (Ich glaube ja, Gott hat den Menschen nur deswegen so talentierte Werkzeuge wie ihre Hände und die Erfindungsgabe für Dosenöffner und Scheren gegeben, damit sie uns Katzen das Futter anrichten können, miau.)
 

Doch irgendwie sollte das heute nichts mit dem Schlafen werden. Denn ich war noch nicht ganz weggedöst, als plötzlich jemand rüde über mich drüberstolperte. Gut, zugegeben, ich liege gerne im Weg, aber die meisten Menschen in meiner Umgebung wissen das mittlerweile und sind entsprechend vorgewarnt. Besonders Easy, die da gerade über mich drüber gestolpert ist. Ob es wohl an diesem, was auch immer es ist, liegt, das sie auf dem Arm hält, dass ihre Motorik beeinträchtigt ist und sie mich deswegen nicht bemerkt hat?

Nun doch ein wenig neugierig geworden, erhebe ich mich von meinem Sofakissen und folge ihr mit jener elegant geschmeidigen Art, wie sie nur Katzen und insbesondere den phänomenal genialen Bandmaskottchen-Katzen eigen ist.

„Miau! Easy, was ist das?“

„Ein Hund.“ Ich seufze. Gut, was habe ich auch anderes als Antwort von einem Menschen erwartet? Durchaus korrekt in der Aussage, aber darüber hinaus… nichts! Da hilft nur nachhaken, in der Hoffnung, dass der Mensch vor mir, den ich bislang für intelligent gehalten habe (immerhin ist Easy so freundlich mir regelmäßig mein Futter hinzustellen), erkennt, dass diese Antwort nicht ausreichend war.

„Das sehe ich. Aber was willst du mit dem Hund?“ Schließlich ist das eine Katzenband, wie man eindeutig an dem phänomenal genialen Maskottchen erkennen kann.

„Der wird unser neues Maskottchen!“

Neues Maskottchen??? „Miiiauuuu! Und was ist mit mir?“ Falls ich gerade ein wenig schockiert und eine Winzigkeit verzweifelt klinge, so entspringt das nur der momentanen Empörung. Denn wie bitte soll ein Hund Maskottchen bei einer Katzenband werden? Noch dazu, wo ich das einzige, echte und wahre Maskottchen der Band bin! Ist das vielleicht ein teuflischer Hundeplan, mich loszuwerden? Hilfe! Ich soll durch einen Hund ersetzt werden!!!

„Du bist mein Maskottchen. Aber Jack und Chris haben noch kein eigenes Maskottchen!“, kommt es da beruhigend von Easy. Die Logik ist zwar nicht überwältigend, aber immerhin will sie mich nicht ersetzen. Allerdings…

„Es kann doch immer nur ein offizielles Maskottchen geben.“

„Wieso? Wir haben doch auch zwei Bandhymnen.“ Und schon wieder diese nicht ganz überwältigende Logik. Also gut, folgen wir ihr dennoch mal. Ein Bandmaskottchen für Easy, eine Hymne für Easy. Ein Bandmaskottchen für Jack oder Chris und eine Hymne für Jack oder Chris. Aber da fehlt doch noch etwas!

„Müssten es dann nicht drei Hymnen sein?“

„Nö. Schließlich haben wir ja jetzt auch erst zwei Bandmaskottchen.“ Ähm, ich glaube, an dieser Stelle wäre es vergebene Liebesmüh Easy erklären zu wollen, dass sie die zwei Bandhymnen schon hatten, ehe sie diese komische schwarze Hundevieh angeschleppt hat, damit es neben mir Bandmaskottchen werden soll. Überhaupt, wie ist das, wenn dieser bellende Vierbeiner auch Maskottchen wird, kriegt er dann auch sein eigenes Merchandise? Bringe dann nicht mehr nur ich der Band Glück? Will der gar auf meinem Kissen liegen und mir mein Futter streitig machen?????? Hilfe!!! Ich brauche dringend irgendeinen Plan, um dieses Pseudo-Maskottchen loszuwerden. Überhaupt, wie soll diese Kläffmaschine eigentlich heißen? Mal Easy fragen…

„Und wie soll dieser Köter heißen?“

„Das ist kein Köter. Das ist ein Hund, genauer ein schwarzer Terrier. Und der wird bestimmt mal ein ganz tolles Maskottchen.“ Ach ja?

„Woher, miau, willst du das wissen?“

„Nun ja, ein anderer Terrier aus seinem Wurf wurde schließlich von einem namhaften Softwarehersteller, den wir alle kennen und lieben, entdeckt und ist seitdem dort als Suchmaskottchen unterwegs.“ Ah ja… auf gut Deutsch der Hund hat sich als realitätsuntauglich erwiesen und wurde auf die virtuelle Software-Ebene beschränkt.

„Und das soll für seine Qualitäten als Maskottchen sprechen? Wo diese Suchfunktionen meist eh nicht weiterhelfen.“

„Wieso, Nifen kommt damit klar.“ War ja klar, dass Widerspruch kommen musste. Selbst im Grunde ihres Herzens nicht viel von dieser Software halten und die Technik im Normalfall lieber anderen überlassen (O-Ton Easy: Ich bin schließlich fürs Songschreiben zuständig, da hab ich keine Zeit für so Technikzeugs!), aber Hauptsache mal widersprochen. Nur, dass ich es besser weiß.

„Behauptet sie! Schließlich hat sie als Managerin einen gewissen Ruf zu wahren. Doch nun zurück zu meiner Frage. Wie soll dieses ach so erfolgversprechende Maskottchen denn heißen?“ Ein Erfolg, an den ich noch nicht so recht glaube, und den ich mit allen Mittel versuchen werde zu verhindern! So wahr ich Kiwi heiße! Denn schließlich bin ich das einzige, wahre und echte Bandmaskottchen der Sorglospunks, miau!!

„Wie wäre es mit Kunibert?“ Kunibert? Kunibert?? Was ist das denn für ein mehr als merkwürdiger Name? Ich soll mir den Maskottchen-Posten mit einem Hund namens Kunibert teilen? Okay, zugegeben, so bescheuert, wie dieser Name ist, dürfte sein Erfolg bei unter Null dümpeln während ich der Star am Bandmaskottchen-Himmel bliebe. Aber andererseits kann ich nicht zulassen, dass die Einzigartigkeit der Band durch diesen Hund gefährdet wird. Denn…

„Kunibert ist der Ritter mit der rostigen Rüstung vom Handballverein Hintertupfingen.“ Und somit definitiv nicht in einem Namen mit der genialst-imaginärsten Band der Welt zu nennen.

„Okay, dann halt nicht Kunibert.“ Easy ist da zum Glück leicht zu überzeugen. „Wie wäre es mit Esmeralda?“ Allerdings sind ihre Fähigkeiten Alternativen zu finden nicht gerade überragend.

„Esmeralda ist nach ‚Der Glöckner von Notre Dame’ von dieser Zeichentrickfilm-Gesellschaft rechtlich geschützt worden“, werfe ich ein.

„Woher weißt du was von Copyright? Außerdem ist unser Maskottchen ja keine Zigeunerin sondern ein Terrier.“ Wieso unterschätzen Menschen uns Katzen eigentlich prinzipiell? Noch dazu so phänomenal geniale Katzen wie ich eine bin? Miau?? Natürlich weiß ich alles über Copyright.

„In Nifens Büro schläft es sich einfach gut.“ Abgesehen davon, dass es Spaß macht, die Managerin immer dann zu stören, wenn sie es gar nicht gebrauchen kann. Und somit kriegt man eine Menge Dinge mit, unter anderem auch die Geschichte mit dem Copyright. Und natürlich weiß ich auch alles über Maskottchen. Ist doch logisch, oder? So logisch, dass es auch Easy überzeugt.

„Also gut, dann auch nicht Esmeralda. Hm…“ Ein paar Minuten angestrengtes Überlegen folgen, dann sagt Easy plötzlich: „Du hast nicht zufällig eine Liste mit Namen parat, die als Maskottchen ausscheiden, weil es sie entweder schon gibt, oder sie schon Copyright-mäßig besetzt sind?“ Ob ich eine Liste habe? Ob ich eine Liste habe?? Natürlich habe ich eine Liste! Und ich kann sie sogar auswendig, miau!! Gut, das wird jetzt eine Weile dauern, aber Easy hat ja darum gebeten. Also hole ich noch einmal tief Luft und lege dann los:

„Antje, Otto, Jünter, Misha, Ronald, Arielle, Tux, Puffy, Fritzle, Eisenhart, Frankie….“

Eine halbe Stunde später…

„…Al, Iceburgh, Spartacat, Murray, Cheeky…”

Eine weitere halbe Stunde später…

„Funiu, Nini, Mokona...“

„Hör auf, hör auf!“, unterbricht mich Easy schließlich erschöpft. „Gibt es auch irgendeinen Namen, der nicht vergeben ist? Wobei, ha! Ich hab’s! Wir nennen den Hund ‚Melancholie’!“

Melancholie? Der Hund soll Melancholie heißen? Zugegeben, der Name ist noch nicht als Maskottchen-Name vergeben, aber ehrlich, das hat kein Tier verdient. Noch nicht einmal ein Hund. Armer Hund. Wobei, halt, arme Kiwi! Denn schließlich würde ich als Bandmaskottchen Nummer 1 ja immer im gleichen Atemzug genannt wie Bandmaskottchen Nummer 2! Miiiiiaaaaaaauuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!
 

abruptes Aufwachen
 


 

Irgendjemand war über die im Weg liegende, schlummernde Katze gestolpert. Augenblicklich schlug das Bandmaskottchen die Augen auf. Wer hatte es da gewagt ihren Schlaf zu unterbrechen? Zugegeben, sie hatte gerade einen Alptraum gehabt, aber… In diesem Moment erkannte Kiwi, wer da über sie gestolpert war und vor Schreck stellten sich all ihre Haare auf. Das… das… das konnte doch nicht wahr sein!? Easy war über sie gestolpert und in den Armen hielt sie ein undefinierbares schwarzes Bündel!!!

Das sonst so faule Bandmaskottchen fasste einen verzweifelt aktiven Plan. Auf keinen Fall würde es zulassen, dass es sich seinen Posten mit einem mickrigen Hund teilen musste!

„Kiwi!!! Was ist bloß in dich gefahren? Lass die frisch gewaschene Wäsche in Ruhe! Aus! Kiwi! Lass das! Was sollen wir heute Abend sonst auf dem Konzert anziehen???“

Die Sorglospunks erobern das Weltall

„Three, two, one, lift off. We have a lift off!”

Laut donnernd schoben die kerosinbetriebenen Triebwerke die Sojus-Rakete durch die Atmosphäre dem luftleeren Raum des Weltalls entgegen.

Freudiger Applaus brandete in der Bodenüberwachung der Kosmodroms in der kasachischen Steppe von Bayqoñir auf.
 

Ein Knacken an den Funkgeräten verkündete, dass die Astronauten an Bord der Raumkapsel bereit waren, sich zu melden.

„Sojus, wir hören“, sandte einer der Funker in den Äther und drehte an dem Schaltknopf für die Bildübertragung. Sekunden später erschien das freudig aufgeregte Gesicht einer dunkelhaarigen, jungen Frau. Fingerknöchel klopften gegen die Scheibe des Videomonitors. „Darf ich? Darf ich??“ Ein breites Grinsen erschien auf dem eifrigen Gesicht. „Houston, wir haben ein Problem!“

„Waaah! Nein!“ Das Gesicht der jungen Frau wurde augenblicklich von dem eines leicht hektisch wirkenden, sportlichen Mannes abgelöst. „Bayqoñir? Hören Sie? Hier ist alles in Ordnung.“

Im Hintergrund sah man, wie die junge Frau von einem Kollegen eine Kopfnuss versetzt bekam und mit einem scharfen „Easy!“ zurecht gewiesen werden sollte.

Der Einwand einer zweiten jungen Frau, dass es außerdem „Bayqoñir, wir haben ein Problem“ und nicht Houston heißen müsse, ging unter, denn Easy versuchte sich von ihrem Kollegen loszumachen. „Lass mich, Chris! Der Igor da vorne hat nicht Recht, wir haben ein Problem: Die Nachos sind alle!”

Unglauben zeichnete sich auf den Gesichtern in Bayqoñir ab. Was waren denn das für Vögel? Und wer hatte überhaupt die Schnapsidee, Zivilisten in den Weltraum zu lassen?
 

Tja, der geneigte Fan hat sicher schon geahnt, dass es sich bei diesen ‚Vögeln’ um niemand geringeren als die Sorglospunks – die imaginärste Band der Welt – handelte. Doch was machten Easy, Jack und Chris auf dem Weg ins All?

Spulen wir einfach mal die Zeit in paar Wochen zurück. Ein paar mehr Wochen...
 

Zu diesem Zeitpunkt saß Nifen, die Managerin der Band, wie üblich hinter ihrem Schreibtisch und ging ihrer Arbeit nach. Sprich, den Sorglospunks neue Auftritte und dadurch möglichst den Durchbruch und weltweiten Ruhm zu verschaffen. Doch die diversen Internet-Musik-Plattformen zu durchforsten und E-Mails zu beantworten, war nur ein Teil ihrer Arbeit, denn ihr oblag es auch, dafür zu sorgen, dass die Bandkasse nicht allzu sehr in die Miesen rutschte. Erstaunlicherweise hatte sich das Kiwi-Merchandise als steter Geldsegen in kleinem Maße erwiesen und die Band schon gelegentlich vor dem Ruin gerettet. Nun ja, auf jeden Fall, solange der Weltruhm und die damit verbundenen gigantischen Einnahmen, die zu zählen dann der Bandphilosoph LennStar helfen würde, noch auf sich warten ließen, versuchte Nifen durch die Teilnahme an diversen Gewinnspielen und Preisausschreiben die Bandkasse ein wenig aufzustocken. Bislang war dabei zwar nur eine Sendung Katzenfutter, das Kiwi nicht geschmeckt hatte, und ein Halbjahresabonnement einer Radsportzeitschrift, die nach drei Ausgaben eingestellt worden war, dabei herausgekommen, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und bei den Sorglospunks noch später. Und so machte Nifen munter weiter.

Das war auch gut so, denn andernfalls hätte sie nie das Preisausschreiben von Michajl Kieswiehoyskij entdeckt. Dieser schwerreiche, russische Erdgasmagnat lobte auf der Homepage seines Konzerns einen Trip ins Weltall für eine Gruppe von bis zu drei Personen aus. Alles was man für die Teilnahme machen musste, war ihm darzulegen, wieso man ins All wollte und was er, Michajl Kieswiehoyskij davon hätte, diese Reise zu finanzieren. Natürlich auf Russisch. Und das ganze sollte man dann per Post an ihn schicken – E-Mail war nicht möglich, da er keine Lust auf Spam hatte. (Eine Sache, die Nifen irgendwie gar nicht verstehen konnte!)

Nun konnte die Bandmanagerin gerade mal drei Worte auf Kyrillisch-Russisch lesen und nachschreiben: System, Reaktor und Bogdan. (Bei dem letzten Wort handelte es sich um einen Eigennamen, der zu einem verdammt süßen, sehr coolen Typen gehörte, den die Bandmanagerin während des Studiums bei einem anderen musikalischen Projekt kennengelernt hatte.) Doch die geringen Russischkenntnisse hielten sie nicht davon ab, es zu versuchen. Wozu gab es in Windoof eine Zeichentabelle und in Word die Möglichkeit gleich auf Kyrillisch zu schreiben? Rasch noch die Russisch-Rechtschreibung installiert und schon konnte es losgehen!

Voller Enthusiasmus, mit einer Extraportion Inspiration für Formulierungen (Marke Bandmuse abranka), machte sich die Managerin ans Werk, diesem Michajl Kieswiehoyskij zu erklären, wie toll doch die Sorglospunks waren, Weltruhm für sie mit einem Konzert im All sicher sei und er selbst sich auf die Flagge schreiben könnte, das erste Musikkonzert im Weltall ermöglicht zu haben, was ihm bestimmt auf ewig einen Eintrag in die Geschichtsbücher bescheren würde. Klang alles super, sah auf Kyrillisch toll aus, nur wer Word kennt und um Nifens nicht vorhandene Russischkenntnisse weiß, ahnt, wie viele Worte auf dem Bildschirm rot-schraffiert unterstrichen waren. Es genügt festzuhalten, dass es weit weniger aufwändig war, die Wörter zu zählen, die nicht unterstrichen waren.

„abranka?“, fragte Nifen leicht zweifelnd. „Ich glaube, damit gewinnen wir nicht.“

Die Bandmuse manövrierte ihre Wolke so, dass sie den Text auf dem Bildschirm kritisch unter die Lupe nehmen konnte. „Hm, sieht irgendwie Russisch aus“, kam es schließlich von ihr.

„Soll ja auch Russisch sein“, erklärte Nifen.

„Ich kann aber kein Russisch“, gestand abranka.

„Ich auch nicht.“

Womit man zwar eine toll formulierte Bewerbung hatte, die aber kein Mensch und schon gar nicht Michajl Kieswiehoyskij lesen und beurteilen konnte.

„Du hast nicht zufällig eine russische Kollegin, die uns vielleicht helfen würde?“, fragte Nifen wenig hoffnungsvoll.

abranka legte ihre Stirn in inspirierende Falten und dachte nach. „Ich könnte es ja mal versuchen...“, war alles was sie nach einer kurzen Weile sagte. Und schon düste Wolke samt Muse zum Olymp, wo das Arbeitsamt für Musen, Erinnyen, Klabautermänner und ähnliche Wesen untergebracht war.

Der ‚Versuch’ hieß witja und war eine altgediente, aber dennoch jung aussehende Muse, die für die russischen Beiträge des Grand Prix d’Eurovision de la Chanson jahrelang verantwortlich gewesen war. Und das beste: Sie konnte Russisch!

Nifen allerdings immer noch nicht und so verstand sie die Inspiration für die russischen Formulierungen, die natürlich ebenfalls auf Russisch auf sie niederprasselte, nicht. (Für alle, die sich jetzt fragen, wie dann abranka als deutsche Muse witja verstehen konnte, so lautet das Zauberwort ‚Musisch’, eine interne Musensprache, eine Art Summ-Singsang, der zwar schön klingt, aber leider nicht als Dolmetscher-Zwischenstufe geeignet ist.)
 

Letztendlich schafften sie es als Vierergespann, bestehend aus Nifen, abranka, witja und Fanchef/Bandphilosophen LennStar, der in der Schule zumindest noch die Grundzüge der russischen Sprache gelernt hatte, eine vernünftige Bewerbung zu schreiben. Auf Russisch und sogar mit einer Unterschrift des Bandmaskottchens. Und dank einiger inspirierter Postboten in Deutschland und Russland schaffte es das Bewerbungsschreiben sogar termingerecht zu Michajl Kieswiehoyskij. Etwas, dass außer der Bewerbung der Sorglospunks nur noch eine Doujinshi-Gruppe aus Japan, deren Mitglieder ihre mangelnden Russischkenntnisse einfach mit umgangen hatten, dass sie ihre Bewerbung gezeichnet hatten, und ein Beitrag der mexikanischen Eishockeypuck-Befreiungsfront geschafft hatten.
 

Die Band erfuhr nie, ob Michajl Kieswiehoyskij wenig Interesse an einem Feriencamp für Eishockeypucks auf dem Mond hatte, oder ob die Doujinshi-Gruppe vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde, nachdem die Mitglieder als chinesische Werksspione enttarnt wurden, fest stand am Ende nur, dass Easy, Chris und Jack ins Weltall fliegen durften.

Na ja, nicht sofort, denn zuerst mussten unsere geliebten Sorglospunks weltraumtauglich fit werden. Sprich trainieren, und zwar nicht nur ihre Instrumente unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit spielen zu können, sondern auch die Belastungen des Starts und der Landung zu ertragen.

Nicht selten versuchte während dieser Schinderei das ein oder andere Bandmitglied, Kiwi davon zu überzeugen, mit ihm/ihr den Platz als Bandmaskottchen zu tauschen. Unnötig zu erwähnen, dass die wohlgenährte Katze wenig geneigt war, auf diese Vorschläge einzugehen. Und eigentlich wollte ja auch keines der Bandmitglieder, trotz des ständigen „Kiwi hat’s gut“-Gestöhnes, auf den Trip ins Weltall verzichten.
 

Womit wir wieder in der Gegenwart wären, wo Easy noch immer sich darüber entrüstete, dass der Peter, der deutsche Astronaut, der die Sorglospunks auf dieser außergewöhnlichen Reise begleitete, ihr alle Nachos weggefuttert hätte.
 

Ein Kommentar auf Russisch des zweiten Astronauten, Igor, rief bei der Bodenbesatzung wahlweise ein breites Grinsen oder ein Augenrollen und vor die Stirn schlagen hervor.

„Was ist los, was hat er gesagt?“, fragte Nifen abranka, die wiederum witja fragte. Denn natürlich waren sowohl die Managerin als auch die beiden Musen und Kiwi mit nach Bayqoñir gekommen.

abranka lächelte amüsiert. „Laut Igor mag Peter gar keine Nachos, aber anscheinend mag er Easy“, erklärte sie nach einer kurzen Summkonferenz.

„Okay, ich order dann schon mal den mobilen Heizkörper mit passenden Ketten“, erwiderte Nifen grinsend. Denn sollte Easy die Flirtversuche des Astronauten, als welche man den Nacho-Klau wohl ansehen musste – und hatte Peter ihr nicht auch überaus bereitwillig geholfen, den Raumanzug richtig anzuziehen? –, bemerken und auch erwidern, würde sie spätesten, wenn die Band wieder in Deutschland und Peter wieder auf dem Weg zur ISS war, das Verlangen haben, sich an eine Heizung ketten zu lassen, damit sie nicht ständig versucht war, nach Bayqoñir durchzubrennen. Easy eben... Und es war ja nicht so, dass man ihr so ein kleines, romantisches Abenteuer nicht gönnte! Nur ergab sich bei einem an der Wand verankerten Heizkörper das Problem, dass die Band unter diesen Umständen nicht auftreten konnte. Deshalb also ein mobiler Heizkörper, der im natürlichen Umfeld der Sorglospunks, sprich der Bühne und dem Rampenlicht, einfach als Besonderheit der Bühnenshow deklariert wurde.
 

Mittlerweile hatte abranka beschlossen, Easys Nacho-Tirade ein Ende zu bereiten, und war mit ihrer Wolke zum Funkgerät geschwebt. „Eeeasyyyy!“, rief sie die Frontfrau der Sorglospunks. „Sag mal, du bist im Weltraum und hast nichts Besseres zu tun, als dich über Nachos, beziehungsweise deren Fehlen zu beschweren? Während du hier rumzeterst versäumst du bestimmt ein halbes Dutzend Sonnenaufgänge, einen atemberaubenden Blick auf den Mond, von der ungestörten Aussicht auf die Sterne ganz zu schweigen!“ Dieses so beschriebene Panorama müsste doch eigentlich dermaßen inspirierend sein, dass ungeachtet des bevorstehenden Konzertes noch mindestens ein halbes Dutzend potenzieller neuer Sorgloshits dabei heraussprangen.

Ob diese Ansprache bei Easy den gewünschten Erfolg hatte, war spontan nicht auszumachen, aber abrankas Worte schienen zumindest Peter zu inspirieren, Easy die Sonnenaufgänge zu zeigen und die Romantik der Situation für sich sprechen zu lassen. Abgesehen davon, dass die Enge der Raumkapsel ihm dabei erlauben würde, ein wenig mit Easy auf Tuchfühlung zu gehen, sofern das eben durch zwei Raumanzüge hindurch möglich war...
 

Tatsächlich schien Peters Plan aufzugehen, denn knapp vier Stunden später, als das erste Weltraumkonzert in der Geschichte der Menschheit begann, begrüßte Easy das Publikum auf der Erde mit folgendem Satz, begleitet von einem verschwörerischen Zwinkern: „Hallo liebe Sorglosfans und Nachos-Diebe, live von hier oben bringen wir unser Urknall-ist-besser-als-Urwald-Konzert ‚Sonne, Mond und Sterne’!“
 

**O*C**O*C**O*C**
 

„Argh! Easy! Das darf doch nicht wahr sein! Hast du schon wieder alle Nachos aufgegessen?“ Mit wutverzerrtem Gesicht starrte Jack ihre Schwester an, die sie verschlafen vom Sofa her anblinzelte.

„Das war ich nicht, das war der Peter“, murmelte Easy und drehte sich um, um weiterzuschlafen.

„Nix Peter! Das warst du!“ Empört wies Jack auf die verräterischen Krümel rund um das Sofa und rüttelte Easy an den Schultern.

„Hey Mädels, seid ihr soweit? Wir müssen los“, kam es da von der Wohnzimmertür, wo Chris schon die ersten Instrumente vorbeischleppte.

„Was? Fahren wir nach Bayqoñir?“ Schlagartig hellwach, schoss Easy auf dem Sofa in die Senkrechte.

„Wieso Bayqoñir? Hast du vergessen, dass wir heute im Kindergarten auftreten?“, fragte Jack kopfschüttelnd.

Kindergarten? Ach ja, die Aktion ‚Rettet die Kinder vor gemeingefährlichen Teeniebands und Boygroups und rekrutiert sie frühzeitig als Sorglosfans’. Zumal Kinder von Natur aus sorglos und deshalb als Fans der Sorglospunks geradezu prädestiniert waren! Eine neue geniale Idee aus dem Hause des Managements, der eine Logik innewohnte, der sich auch Easy nicht entziehen konnte. Und so stand sie ächzend vom Sofa auf und machte sich mit Jack und Chris auf den Weg zum Kindergarten, obwohl sie doch viel lieber nach Bayqoñir gefahren wäre...
 

Knapp eine Stunde später stand die Band in der Dämmerung des Novemberfrühabends ihren zukünftigen Fans gegenüber, die sie aus großen Augen ansahen.

„Lets punk!“, forderte Easy ihre Bandkollegen auf und das taten sie auch: „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne...“
 

Und die Moral von der Geschicht?

Klau Easy ihre Nachos nicht!

(Es sei denn du bist ein gutaussehender Astronaut mit romantischen Absichten. *g*)

Relax

Ein Konzert ist etwas, wo eine Band ihre fertigen Songs einem interessierten Publikum präsentiert. Oder?

Tja, so mag das vielleicht normalerweise bei einer normalen Band mit einem normalen Publikum sein, aber dies ist eine Geschichte über die Sorglospunks, und wie jeder Fan weiß, ist diese Band weit davon entfernt normal zu sein.
 

Denn welche Band kam schon auf die Idee, auf ihre Eintrittskarten bei jedem Konzert einen anderen Bandnamen zu drucken? Wobei, das wiederum hing vielleicht mit diversen eventuell rachsüchtigen Besuchern nicht ganz so gut gelaufener Konzerte zusammen... Aber egal, schließlich stand die Band kurz vor ihrem internationalen Durchbruch (ob immer noch oder schon wieder wusste keiner so genau), es konnte also mit jedem neuen Konzert nur besser werden. Und dann, wenn der Durchbruch erst mal geschafft wäre, würden auch diese eventuell rachsüchtigen Konzertbesucher die weniger geglückten Auftritte verzeihen. Weshalb es eigentlich keinen der wirklich eingefleischten Fans interessierte, dass an diesem Abend auf den Eintrittskarten "Ali Baba und die sieben Zwerge" angekündigt wurden. Im Gegenteil, voller Vorfreude versammelten sie sich in der Kellerdiskothek und harrten des Auftritts der Sorglospunks.
 

Derweil saßen die Mitglieder der Band, Easy, Chris und Jack, in der Garderobe - eigentlich mehr eine Allzweck-Vorrats-Rumpelkammer mit einem alten Sofa darin - und beratschlagten das Programm für den Abend.

"Ich würde gerne mal was Neues spielen", ließ sich Jack vernehmen. "Nicht, dass ich ‚Kapitalismus ich liebe dich, Kommerz ich find ich geil' nicht mögen würde, aber das spielen wir immer."

Betretenes Schweigen in der Runde, schließlich war der letzte Teilsatz von Jacks Aussage nur zu wahr. Auch die neueren Sachen wie ‚Talent' oder ‚Träume sind Schäume', ja sogar das (mittlerweile überarbeitete) Lied über die Tomaten hatten sie bei fast jedem Auftritt in den letzten Wochen gespielt.

Da hellte sich auf einmal Chris Miene auf. "Ist doch ganz einfach. Wir haben noch knapp eine Viertelstunde bis zu unserem Auftritt, das sollte doch wohl mal reichen, dass Easy uns noch schnell wenigstens einen neuen Song schreibt!"

Auch Jack war ganz begeistert von der Idee. "Genau, sperren wir Easy für die Zeit einfach mit unserer Muse in... äh..." Suchend sah sich die Frau mit den tausend Schlaginstrumenten um. "...ins Damenklo ein und dann klappt das schon."
 

Überflüssig zu erwähnen, dass weder Easy noch die Bandmuse abranka von dieser Aussicht allzu begeistert waren. Allein, weil Songschreiben unter Druck und Easy noch nie gut harmoniert hatten, und dann auch noch auf der Damentoilette einer zweitklassigen Kellerdiskothek? Nichtsdestotrotz fanden sich beide nur wenig später mit der strikten Auflage mindestens einen Sorgloshit zu produzieren in selbiger wieder.

"Die können doch nicht... Ich kann doch nicht... Waahhh... Wie soll das gehen...? Ich will hier raus... abranka, hilf mir... Wo ist der Notausgang...? Wieso ist das Fenster nicht fluchttauglich groß...? Was soll ich tun...? abrankaaaaa....." So oder so ähnlich klang wohl Easys hilfloses Jammern, während sie panisch in dem kleinen Raum auf und ab lief und zu befürchten stand, dass die Fußbodenfliesen bald um ein interessantes Rillenmuster reicher sein würden.

Wenig hilfreich war auch, dass Chris alle zwei Minuten von draußen an die Toilettentür hämmerte und den aktuellen Countdown verkündete.

"Ganz ruhig, Easy, irgendwie kriegen wir das schon hin", versuchte abranka sie zu beruhigen und schob ihr flink ein Inspirationsbonbon in den Mund, als Easy zu einer weiteren Jammertirade ansetzen wollte. Die Muse verkniff sich den Vorschlag vielleicht einen Song über dass Jammern zu schreiben, wollte sie doch nicht wieder ein ähnliches Desaster wie mit dem Tomatenlied erleben. Denn wenn es ums Jammern ging, dann war Easy dermaßen von ihren Profiqualitäten überzeugt, dass sie auf keine noch so wohlgemeinten Hinweise irgendeiner Muse, von der eigenen Bandmuse mal ganz zu schweigen, hören würde. Nicht, dass Easy ständig jammerte, nein so war das nicht. Aber Jammern beim Songschreiben unter Druck hatte sie zu einer wahren Kunst verfeinert.

"So, und jetzt ganz ruhig", versuchte sich abranka in einer möglichst meditativen Stimmlage. "Relax, take it easy. Du schaffst das!" Diese und ähnlich kluge Sprüche wiederholte sie immer und immer wieder. Und tatsächlich, es schien zu wirken, denn das Hin- und Herlaufen hörte allmählich auf und auch das verzweifelte Lutschen an dem Inspirationsbonbon wurde weniger.

Doch gerade, als abranka Easy so weit hatte, dass man vielleicht ernsthaft über das Songschreiben hätte nachdenken können, ging die Tür zur Damentoilette und Jack erschien mit einem erwartungsvollen Grinsen auf dem Gesicht. "Die Zeit ist um, Mädels. Und, wie heißt unser neuer Hit?"

"Ähm..." Verzweifelt versuchte Easy wenigstens einen halbwegs vernünftigen Titel aus ihrem Hirn zu kramen, alles andere würde ihr abranka dann halt auf dem Weg zur Bühne einflüstern müssen, aber alles, woran sie sich in diesem Moment erinnern konnte, war eines von abrankas Mantras der vergangenen Minuten: "Take it Easy!"

Oh weh, und schon hatte sie es laut ausgesprochen.

Und während Jack noch mehr einen Gesichtsausdruck zur Schau trug, der in etwa aussagte: "Aber sonst geht es noch...", meldete sich Chris begeistert zu Wort.

"Cool! Und für das nächste Konzert schreibst du dann einen Song über mich, was weiß ich, "Schoko-Chris-Crossies sind mein Leben" oder so und für den Auftritt danach einen Song über Jack und das ganze gibt es dann als das persönlichste Sonderalbum rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft. Genauen Titel und Werbung überlassen wir wie immer einfach Nifen." Und damit schleifte Chris Easy auch schon aus der Toilette und in Richtung Bühne, während abranka auf ihrer Wolke hinterher flitzte und nebenbei ihre kleinen grauen Musenzellen Überstunden schieben ließ.
 

"Und hier sind sie, live und in Farbe, so sorglos, wie wir sie kennen und lieben: Die Sorglospunks!", kündigte der Veranstalter die Band an. Das leise Protestgemurmel im Publikum von den wenigen Gästen, die tatsächlich eine Band mit dem Namen ‚Ali Baba und die sieben Zwerge' erwartet hatten, wurde rasch von den strategisch im Raum verteilten Sorglosfans erstickt. Und dann hieß es auch schon Showtime!

Zunächst eine Bandhymne, dann einen Klassiker und dann, so beschloss Chris, war es an der Zeit für ihren neusten Hit. Er ergriff das Mikro: "Kommen wir nun zu einer Weltpremiere! Denn heute spielen wir, extra für euch, zum ersten Mal unseren neuen Sorglossong ‚Take it Easy!'"

Wunder geschehen bekanntlich immer wieder, erst recht bei dieser Band, und nicht selten hat die Bandmuse da ihre Finger im Spiel. Hymne und Klassiker hatten ihr zwar nicht gerade viel Zeit gelassen, schon gar nicht so viel wie sie eigentlich gebraucht hätte, oder gar gern gehabt hätte, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Auf ihrer Wolke hatte sich abranka in luftige Höhen geschwungen und schwebte nun für das Publikum unsichtbar knapp unter der Decke über der Bühne. Als Chris den neuen Song ankündigte, öffnete sie kurzerhand eines der vielen Geheimfächer ihrer aufgemotzten Musenwolke und schon regnete es herrlich glitzerndes Eingebungskonfetti auf die Band.

"Genau liebe Fans, Premieren über Premieren heute Abend", verkündete Easy da auch schon. "Denn wir haben uns gedacht, dass so ein einseitiges Konzert - wir hier, ihr dort - auf Dauer langweilig ist, und deshalb gibt es nun den ersten interaktiven Hit der Sorglospunks. Wir liefern euch den Refrain, ihr uns die Strophe. Und los geht's!

Take it Easy, Easy

Relax!

Take it Easy, Easy

Relax!"

Sommer in Deutschland

I.
 

Sommer in Deutschland. Ein endloser Wechsel, Jahr für Jahr, zwischen strahlendem Sonnenschein, wo alle Welt unter der Hitze litt, und endlosem Regen, so dass besonders die Bauern mit steigenden Obstpreisen drohten. Ganz zu schweigen vom Rest der Nation, der sich über durchweichte Schuhe freute, frustriert Lieder wie "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" sang (als ob es diesen Bilderbuchsommer je gegeben hätte) und selbst die Optimisten, die den Regen freundlich als Flüssigsonne betitelten, langsam ihre notorisch gute Laune verloren. Man kann schon an der Ausführlichkeit der Regen-Sommer-Beschreibung erkennen, dass die Sorglospunks in diesem Jahr von einem solchen Sommer heimgesucht wurden.

Aber vielleicht wäre ja all das noch zu ertragen gewesen, inklusive der omnipräsenten Matschspuren in Katzenpfotenform, wann immer die Frontfrau Easy der Ansicht war Kiwi bräuchte Frischluft, wäre Nifen nicht mal wieder auf einem absoluten Ace of Base-Trip gewesen. Eine musikalische Hölle, an der Bandteufel Chibichi vollkommen unschuldig war, und die aufgrund der Tatsache, dass Nifen von dieser Band stolze viereinhalb Alben besaß ausdauernder war als ihr restjährliches Weihnachtsspektakel. Denn in Punkto Weihnachtsmusik besaß die Bandmanagerin zum Glück nur drei Alben und eine Single, wobei sie selbst aber letztere nur einmal pro Jahr abspielte, war ihre eigene Toleranzschwelle was "Last Christmas" betraf doch ähnlich niedrig wie beim Rest der Welt. So aber beschallte sie das ganze Sorglospunk-Hauptquartier mit Schweden-Pop, so dass sogar Kiwi bald "Happy Nation" einschließlich des lateinischen Intros fehlerfrei miauen konnte. Nicht, dass das jemand von der Band (mit Ausnahme des Bandteufels Chibichi) verstanden hätte, aber im Hause Sorglospunks war man schon ganz anderen Katzenjammer gewöhnt.

Besonders schlimm aber traf die Band ein Song mit dem Titel "Every time it rains", der noch dazu das Pech hatte, auf dem halben Album zu sein und entsprechend bei eingestelltem ‚Repeat all' etwa doppelt so häufig gespielt zu werden, wie die Lieder auf den ganzen Alben.
 

"... Look here comes the very first drop
 

Cause every time it rains

I fall to pieces

So many memories the rain releases

I feel you... I taste you

I cannot forget

Every time it rains..."
 

Unbewusst den Refrain vor sich hinträllernd, betrat Easy das Wohnzimmer und musste sich gleich darauf ducken, denn ein finster dreinblickender Chris hatte sich die Metalldose mit den übriggebliebenen Weihnachtskeksen geschnappt, um sich in aller Ruhe und von ordentlich Zucker unterstützt seinem Weltschmerz hinzugeben, und bombardierte die Frontfrau der Band nun mit Ninja-Zimt-Sternen. (Diese waren zwar noch herrlich weich gewesen, als die Truppe sie aus dem Backofen geholt hatte, doch bereits zum ersten Advent waren sie so steinhart gewesen, dass noch nicht einmal die Allzweckwaffe der Sorglospunks - Kaffee - da hatte helfen können.)

"Autsch! Chris! Lass das! Aus! Chris! Was soll das?", schimpfte Easy, fast als wäre ihr Bandkollege ein Hund.

"Dieses blöde Lied. Dieser doofe Refrain", grummelte Chris und aß schleunigst ein paar Plätzchen, um seiner Depression wenigstens einen zuckrigen Anstrich zu geben. "Und dann noch dieses Wetter. Das alles erinnert mich an Katja." Und ein langgezogener Seufzer war zu hören, ehe der Bassist sich wieder seiner Rolle als Krümelmonster widmete.

Easy rollte bloß mit den Augen. Sinnlos, ihren Bandkollegen darauf hinweisen zu wollen, dass er besagte Katja bei Sonnenschein getroffen hatte, oder Stefanie, die er im Supermarkt kennen gelernt hatte, während draußen höchstens ein leichter Frühlingswind ging, oder Beatrice, die ihm während des romantischsten Schneefalls im Februar begegnet war. Alle waren sie natürlich seine einzige, seine große, seine wahre Liebe gewesen (selbstverständlich ohne dass Chris es geschafft hätte, auch nur bei einer seine himmlischen Gefühle in einen Song umzusetzen, obwohl die Bandmuse abranka wirklich ihr Bestes gegeben hatte, was Inspiration und ähnliches betraf), und natürlich erwachten bei obengenanntem Lied alle Erinnerungen an die gemeinsame Zeit - meist ganze zehn Minuten, ehe die Angebetete wieder ihrer Wege ging, weil Chris zu schüchtern war, sie anzusprechen. Und so war gestern Beatrice der Grund für meditative Kaffeepulver-Mandalas auf dem Wohnzimmertisch (Song und Wetter das gleiche wie an diesem Tag) gewesen, sehr zum Missfallen des Rests der Band, der plötzlich ohne Lebenselixier auf dem Trockenen hockte, und Stefanie am Tag davor der Grund für seinen Entschluss seiner Angebeteten ein Erinnerungsfreundschaftsband aus Bandmaskottchenhaaren zu knüpfen und dafür sämtliche Möbel peinlichst genau nach Katzenhaaren abgegrast hatte und schließlich bei der Quelle selbst gelandet war. Etwas, das Kiwi ihm noch immer nicht verziehen hatte, wie er später feststellen sollte.

Easy kannte also schon die Sachlage und wusste, dass jeder Versuch, Chris zur Einsicht bewegen zu wollen, zwecklos war. Und da sie obendrein wusste, dass es nichts brachte, mit Nifen darüber reden zu wollen, endlich andere Musik durch das Sorglospunk-Hauptquartier dudeln zu lassen, ging sie gleich zu Plan C über. C wie Chibichi. "Chibichi! Chihibichiiiii!", tönte sie munter und suchte nach dem einzig wahren Teufel, den diese Band Stabsmitglied nannte.
 

Sie fand sie schließlich in Chris' Schlafzimmer, wo der Bandteufel mit diabolisch vergnügtem Grinsen Kiwi dabei zusah, wie diese Rache für die Katzenhaaraktion nahm. Chris würde sich nie wieder darüber beschweren, nicht genug herumliegende Katzenhaare zu finden, denn gründlich, wie das Maskottchen war, gab es in dem durchwühlten Kleiderschrank kein einziges Kleidungsstück mehr, das zu diesem Zeitpunkt noch haarfrei gewesen wäre. Außerdem hatte Kiwi mit scharfer Kralle dafür gesorgt, dass Chris' sämtliche Garderobe eine nette Streifenoptik bekommen hatte. Was für den Bassisten angesichts der noch immer nicht gerade rosigen finanziellen Situation der Band (zwar hatten die Sorglospunks mittlerweile den Teufel höchstpersönlich auf ihrer Seite, aber da die Bandmitglieder ihre Seelen behalten hatten, waren Übernachtwunder ausgeschlossen... immerhin musste nicht mehr befürchtet werden, dass die Grundnahrungsmittel Kaffee und Schokolade dauerhaft ausgingen) höchstens ein neues Briefchen Nähnadeln und eine extra große Rolle Garn bedeutete. Und viele Stunden fleißiger Stichelei, wo er sich bei Heft- und Steppstich seinen heißgeliebten Erinnerungen bezüglich der einzelnen Kleidungsstücke hingeben durfte.

"Chiiiiiiiiiiiiiiii, größte aller Bandteufelinnen", rief Easy freudestrahlend, fischte aber als Allererstes Kiwi aus dem Kleiderschrank. "Na Bommel, wie geht es dir? Oh, du hast Chris' Garderobe einen neuen Look verpasst." Diese und ähnliche Kommentare gelassen vor sich hinmurmelnd, gesellte sich Easy zu Chibichi und setzte sich im Schneidersitz auf das Bett.

"Wir haben ein Problem", begann die Frontfrau schließlich.

Lässig zog der Teufel eine Augenbraue hoch. "Nur ein Problem? Das wäre ja mal was Neues." Waren doch die absurden, täglich über diese Band hereinbrechenden Probleme ihr ein steter Quell der Belustigung.

"Gut, zumindest nur ein Problem, das man lösen könnte", korrigierte Easy.

Jetzt lachte Chibichi. "Okay, und welches Problem wäre das?"

"Das Wetter."

"Das Wetter? Inwiefern ist das Wetter ein lösbares Problem?" Irritiert sah Chibichi Easy an. Seit wann konnten Menschen das Wetter beeinflussen und so ihre Probleme bezüglich zu viel Regen oder zu viel Sonnenschein lösen?

"Chris macht mich noch wahnsinnig, und wenn Nifen auch nur noch ein einziges Mal ‚Every time it rains' spielt, könnte es sein, dass unser lieber Bassist uns mit einem melancholischen Feuer die Bude über dem Kopf anzündet. All das bloß, weil ihn das Lied an irgendeine Verflossene erinnert, die vermutlich gar nicht weiß, dass es ihn gibt", erklärte Easy.

Chibichi erkannte blitzschnell die Lage. Sie wusste, wie wenig kooperativ (um nicht zu sagen halsstarrig) die Managerin war, wenn sie mal wieder eine ihrer Musik-Phasen hatte (nicht, dass nicht jeder in dieser Band die ein oder andere Phase hatte und damit dem Rest der Band auf den Wecker fiel), und sie wusste auch, wie wenig zugänglich Chris war, wenn es um seinen höchstpersönlichen Weltschmerz ging. So betrachtet... "Also hast du dir gedacht, wenn ich mit ein wenig Höllenzauber und Fegefeuerhitze dafür sorge, dass es nicht mehr regnet, kann Chris auch nicht mehr dieses Regenlied für seinen Dauerblues heranziehen?", vergewisserte sie sich.

Easy nickte enthusiastisch.
 


 

II.
 

Sommer in Deutschland. Ein endloser Wechsel, Jahr für Jahr, zwischen endlosem Regen, wo alle Welt sich stets nasser Hosensäume erfreuen durfte und andauerndem, strahlendem Sonnenschein, begleitet von beinahe sengender Hitze, so dass besonders die Bauern mit steigenden Obstpreisen drohten. Einzig der Einzelhandel freute sich, weil er endlich alle, bereits zu Ladenhütern verkommenden Ventilatoren und Klimaanlagen verkaufen konnte. Und für all jene, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, ein solches Wunder der modernen Kühltechnik zu ergattern, boten diverse Import-Export-Läden Chinafächer minderer Qualität mit Pastelldruck an.

Man ahnt schon, ob der ausführlichen Beschreibung des Sonnensommers, dass Chibichi tatsächlich Easys Vorschlag in die Tat umgesetzt hatte und sich das Land nun nach wochenlangem Regen über schönsten Sonnenschein freuen durfte. Aber das Land der Sorglospunks war immer noch Deutschland und keine Nation beherrschte Jammern auf hohem Niveau als erste Fremdsprache so gut wie die Deutschen, und so dauerte es keine zehn Tage, bis die Bevölkerung einhellig beschloss, dass es der Sonne schon wieder genug sei.

"Undankbares Pack", knurrte Chibichi nur, schnappte sich einen Eistee und verzog sich dann mit Kiwi in den kühlsten Raum des Hauses - den Keller. Sie hatte nicht vor, das Wetter schon wieder zu ändern, bloß weil es den Menschen dann besser in den Kram passte. Abgesehen davon, dass der alte Zottelbär im Himmel gar nicht so glücklich über ihre meteorologische Einmischung gewesen war, aber da sie auf die Wärme der Hölle zurückgegriffen hatte, konnte er wenig dagegen sagen.

Auf dem Weg zur Kellertreppe wären Teufel und Maskottchen beinahe Jack in die Arme gelaufen, die eindeutig auf der Flucht vor Chris, oder besser gesagt seinem Gesang, war. Denn es schien als hätte die schwedische Geheimwaffe, die Nifen über die Hausstereoanlage zum Einsatz brachte, beinahe für jedes Wetter und jede Jahreszeit ein passendes Lied geschrieben. Und während das Regenlied den Bandbassisten zwar deprimiert hatte, war es wenigstens eine stille Depression gewesen, deprimierte ihn das Hitzelied ihn ebenfalls, weil es ihn an all seine Verflossenen erinnerte, aber dummerweise animierte es ihn auch noch zum Mitsingen.
 

"Hot summer streets and the pavements are burning

I sit around

Trying to smile but the air is so heavy and dry

strange voices are saying (ah what did they say)

Things I can't understand

It's too close to comfort this heat has got right out of hand
 

it's a cruel, cruel summer

leaving me, leaving me here on my own

it's a cruel, cruel summer

now you're gone

you're not the only one..."
 

Gut, den Text hatte Chris mittlerweile drauf, aber an der Melodie haperte es noch ein wenig, besonders, weil er darauf bestand, den Off-Gesang in der Strophe mitzusingen und dieser nun mal leider nicht für männliche Stimmlagen geschrieben worden war.

Ein geschicktes Ausweichmanöver nach links, rechts antäuschen und mit einem erleichterten Aufseufzen ließ Chibichi die Kellertür hinter sich und Kiwi zufallen. Und das Ganze, selbstverständlich, ohne Jack über den Haufen zu rennen oder sich von der Drummerin für irgendwelche hirnrissigen Pläne einfangen zu lassen. Ein Sorglospunkwunsch pro Woche zu erfüllen sollte doch wohl bitte mal mehr als genug sein. Schließlich machte sie das alles für lau.

Unten im Keller war es deutlich dunkler, deutlich kühler und deutlich ruhiger, auch wenn man immer noch Bruchstücke von Ace of Base hören konnte, hatte sich die Band doch bislang keine Schallisolierung für einzelne Räume oder Stockwerke leisten können. Und selbst wenn, hätte man wohl zuerst Nifens Büro mit einem solchen Schallschutz versehen, damit die restlichen, schwerarbeitenden Bandmitglieder zukünftig von ihren musikalischen Irrungen verschont blieben.

"Seid ihr auch vor der Hitze da oben geflohen", klang es plötzlich aus einer Ecke zu Kiwi und Chibichi hinüber. Augenblicklich wandten beide, Katze und Teufel, sich um und durchteilten mit ihren übernatürlichen Sehkräften die Dunkelheit.

"Ach, du bist es, Lenn", meinte Chibichi und ging zu dem Bandphilosophen und Chef-Fan hinüber. Dass dieser sie trotz der im Keller herrschenden Finsternis hatte sehen können, wunderte den Teufel nicht weiter. Entweder lag es am Wesen des Philosophen, oder er hatte Kiwi miauen gehört und einfach Eins und Eins zusammengezählt, was bei den Sorglospunks seit neustem bedeutete, dass dort wo das Maskottchen war, der Teufel nicht weit sein konnte, fühlten sich doch die beiden in der Gegenwart des anderen äußerst wohl. "Nein, eigentlich mehr vor dem Wahnsinn... Und vor Easy", gab Chibichi vor. "Denn bestimmt will sie den Regen wieder zurück, um Chris abzustellen. Aber:
 

...I'm not normal

I know it

I don't care
 

I'm never gonna say I'm sorry

I'm a clown for everyone..."
 

Erschrocken hielt Chibichi inne. Hatte sie soeben tatsächlich Ace of Base als Antwort zitiert? Heftig den Kopf schüttelnd begann sie ein paar altdämonische Zauberformeln zu murmeln um den bösen Geist des Schwedenpops aus ihrem Unterbewusstsein zu verbannen.

Interessiert sah Kiwi ihr zu, während LennStar wieder in seine philosophischen Gedanken verfiel, die nun neue Bahnen einschlagen mussten. Denn tatsächlich hatte er nach einem denkerisch ausgereiften Ansatz gesucht, wie er Chibichi davon überzeugen konnte, doch bitte die Temperatur wieder etwas herunterzuschrauben. Denn bei der draußen herrschenden Hitze fiel es selbst einem Vollprofiphilosophen wie ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Allerdings war LennStar nur ein Mensch und kannte sich daher nicht wirklich mit dem komplizierten Geflecht zwischen Himmel und Hölle, Regen und Sonnenschein aus und wusste somit auch nicht, dass Chibichi einen sehr guten Grund hatte, wenn sie sich schon ins Wetter einmischte, die Sonne voll aufzudrehen. Denn nur drei Grad weniger an Außentemperatur hätten bedeutet, dass der Regen wieder eine Chance gehabt hätte und Deutschland war leider nicht wirklich ein tropisches Land und die Bevölkerung entsprechend wenig widerstandsfähig, was ein solches Klima betraf.
 

Etwa zwei Stunden und etliche gedankliche Irrungen später, hatte LennStar schließlich die einzig logische Möglichkeit gefunden, mit dem Temperaturproblem umzugehen. Zumindest die einzig logische Möglichkeit seiner Meinung nach. Denn wenn die Sommerhitze nicht aus Deutschland verschwinden wollte, so seine Überlegungen, dann mussten sich die Sorglospunks eben ins nicht so heiße Ausland begeben. Vielleicht Schweden. Wobei, nein, nicht Schweden! Dort kam schließlich der momentane Hausterror her. Island? Zu viele unberechenbare Geysire. Grönland? Zu viel Eis. Denn auch wenn der Bandphilosoph es gerne kühler gehabt hätte, wollte er wiederum nicht riskieren, dass seine Gedanken oder das Bandkonto, das auch zu seinen Obliegenheiten bei den Sorglospunks zählte, eingefroren würden. Wohin also? Und das möglichst Budget-freundlich... Vielleicht hatte abranka ja eine Idee. Als Bandmuse war das doch praktisch ihr Fachgebiet.

Seufzend stand LennStar auf und machte sich gedanklich Mut, als er schweren Herzens Abschied von dem kühlen Keller nahm und die Treppe zum Erdgeschoss erklomm. Wie wünschte er sich doch, auch so eine Superwolke zu besitzen, wie abranka sie ihr Eigen nannte. Denn mit Hilfe ihrer Wolke konnte sich die Muse ihre eigene, unsichtbare Wetterblase schaffen, weshalb es ihr ziemlich egal sein konnte, wenn die Sorglospunks in dieser Hitze fast zerflossen. Wie gesagt, konnte, aber als gute Muse fühlte sie natürlich mit ihren Schützlingen, auch wenn sie das nicht daran hinderte, die Wolkenklimaanlage ordentlich auf Touren zu bringen.
 

Besagte Bandmuse war gerade im Wohnzimmer und versuchte dringend Chris dazu zu inspirieren, doch bitte nicht mehr "Cruel Summer" mitzusingen. Denn Klimawolken waren schön und gut, schallisoliert war sie deswegen noch lange nicht. Ein vergebliches Unterfangen, aber wenigstens war es ihr gelungen, Jack mit einer Oropax-Eingebung zu versehen, so dass zumindest nicht mehr akut Gefahr bestand, dass die Drummerin Amok lief.

"abranka, bist du hier?", fragte LennStar leise und lugte vorsichtig um die Ecke. Tatsächlich, über dem Sofa war ein verräterischer Schimmer zu sehen, der auf eine unsichtbare Muse hindeutete. Vermutlich reiner Selbstschutz, um nicht von Jack für die Erarbeitung hirnrissiger Pläne eingefangen zu werden. Denn nach allem, was das Triangelwunder der Sorglospunks in den vergangenen Tagen in Punkto Chris hatte ertragen müssen, war deren Geisteszustand mehr als verzweifelt, ja schon beinahe bedenklich. Und jeder wusste, wie schmal der Grat zwischen Genie und Wahnsinn war. Und bei den Sorglospunks war jeder ein Genie - auf seine/ihre ganz persönliche Art und Weise.

Erleichtert, einen triftigen Grund zu haben, das Wohnzimmer zu verlassen, tuckerte abranka sogleich auf ihrer Wolke zu LennStar hinüber und folgte ihm in den Flur, wo sie sich auf dessen Bitte hin wieder sichtbar machte.

"Was gibt es?", fragte die Muse, nachdem die Tür zum Wohnzimmer sorgfältig geschlossen war.

"Wir müssen Nifen dazu inspirieren, mit uns Urlaub zu machen. Du weißt schon, anderes Wetter, andere Umgebung, neue Mädchen für Chris zum Anhimmeln... Und das ganze natürlich möglichst so, dass wir uns das auch finanziell leisten können", erklärte LennStar ohne Umschweife.
 


 

III.
 

Sommer in Deutschland. Das war traditionell die Zeit des Jahres, wo sich die Menschen in endlosen Blechschlangen gen Süden bewegten, um dann Handtuch an Handtuch friedlich neben ihren Nachbarn, mit denen sie sich sonst über den Zaun hinweg bekriegten, am Strand zu liegen, während zu Hause die Obstbauern mit der immergleichen Botschaft von steigenden Preisen das Sommerloch zu füllen versuchten. So lange, bis die mit Souvenirs überladenen Ferienflieger aus Spanien und der Türkei wieder zurückkehrten, diverse Reiseunternehmen mittendrin pleite machten und die unfreiwillig gestrandeten Urlauber die Nachrichten füllten und so die Bauern aus den Fernsehbildschirmen verdrängten.

Auch im Hause Sorglospunk herrschte Urlaubs- und Aufbruchsstimmung, denn gemeinsam war es LennStar und abranka gelungen, Bandmanagerin Nifen davon zu überzeugen, dass sich die Band nach dem arbeitsreichen Jahr, das hinter ihnen lag, einen Urlaub redlich verdient hatte. Eine Überzeugungsarbeit, die erstaunlicherweise (besorgniserregenderweise?) gar nicht mal so schwer gewesen war...
 

"...and snap I'm with you

we are on vacation you and me together

laying in sunshine
 

I travel to Romantis

I travel to Romantis

where nothing 'bout the blue skies

will tell me that the time flies

I travel to Romantis

every time I think of you

you're giving me my life back

I travel to Romantis..."
 

Ausnahmsweise waren sich mal alle drei Sorglospunks einig und so klang gleich dreistimmig ein weiteres Lied von Ace of Base durch das Haus, während Easy, Jack und Chris, dergestalt ihre Hoffnungen bezüglich der bevorstehenden Reise ausdrückend, ihre Taschen und Koffer packten. (Lediglich aus Chris' Zimmer wurde der Gesang von Zeit zu Zeit durch ein Fluchen unterbrochen, erst als er die Shredder-Optik seiner Kleidung im Schrank entdeckte - bislang hatte er sich einfach am Korb mit der frisch gewaschenen Wäsche bedient, um seine Klamotten zu wechseln -, dann als er keine Fusselbürste für die Katzenhaare finden konnte und zuletzt als er die Nähsachen suchte, um sich während des Flugs die Zeit damit zu vertreiben wenigstens die Badehose zu flicken. Zwar wusste noch niemand aus der Band, wo die Reise hingehen würde, aber eine Badehose brauchte ja wohl mal jeder im Urlaub.)

Apropos unbekanntes Reiseziel... "Nifen, willst du uns nicht langsam mal verraten, wohin wir fliegen?", fragte abranka vorsichtig bei der Bandmanagerin nach. Zwar wusste die Muse, dass Nifens Ideen meist doch ein wenig realitätsnaher waren als etwa die Einfälle der Frontfrau Easy, wenn man dieser freie Hand ließ, aber andererseits hatte die Managerin bislang nicht gerade ein glückliches Händchen bewiesen, wenn es um Lokalitäten für Auftritte der Sorglospunks ging. Weshalb sie also dieses Mal so fest davon überzeugt war, in Punkto Urlaubsziel das Richtige gefunden zu haben, war der Muse ein Rätsel.

"Geduld, abranka, Geduld. Sobald alle fertig sind und ihr Gepäck in den Flur geschafft haben, erzähle ich es", versicherte Nifen, die nicht gewillt war, sich den Mund fusselig zu reden, bloß weil sie es jedem einzeln erklären sollte.

Geduld - jene Eigenschaft, die bei abranka im letzten Jahr aufgrund des ständigen Songschreibzeitdrucks, unter dem Easy immer wieder stand, reichlich gelitten hatte, denn der Muse war gar keine Zeit geblieben, diese Tugend zu pflegen, wenn die Band auch nur ansatzweise Erfolg haben sollte. Natürlich war das mit Chibichis Auftauchen etwas einfacher geworden, aber halt auch nur etwas... Der Haken mit den behaltenen Seelen eben. Aber Nifen war bei so etwas unerbittlich, egal wie laut abranka seufzte, weshalb die Bandmuse nach kurzem Überlegen beschloss, der Band lieber beim Packen zu helfen. Vielleicht gelang es ihr ja, die drei Diven dazu zu inspirieren, nur mit leichtem Gepäck zu reisen? Kiwi brauchte schließlich nur ihr Fell und sogar LennStar kam mit nur einer Badehose und einer Ersatzbettlakentoga aus.
 

Endlich war es geschafft und das Gepäck von drei Sorglospunks, einer Katze, einem Bandteufel, einem Bandphilosophen, einer Managerin und einer Muse stapelte sich im Flur.

"So, und jetzt spuck endlich aus, wohin die Reise geht", sagte abranka und baute sich fast schon drohend auf ihrer Wolke vor Nifen auf. Auch die restlichen Mitglieder der Reisegesellschaft sahen so aus, als wollten sie sich nicht länger auf die Folter spannen lassen.

"Ja, ja, hatte ich doch versprochen", sagte die Managerin und zog aus einer Außentasche ihres Handgepäcks einen Computerausdruck. "Also, unsere Reise geht nach..."

"Wehe du bittest jetzt um einen Trommelwirbel", unterbrach Jack die spannungssteigernde Pause, noch ehe überhaupt irgendwelche Spannung hatte erzeugt werden können.

"Nach Balkonien", verkündete Nifen.
 

Minutenlanges Schweigen.
 

"Balkonien?", brach es schließlich aus LennStar hervor. "Urlaub auf Balkonien? Das soll wohl ein Witz sein? Der erste April war in diesem Jahr bereits, oder hast du einen Auftritt bei der versteckten Kamera organisiert, und alle Welt darf sich bei der Ausstrahlung darüber kaputtlachen, wie das ganze Haus für einen vermeintlichen Urlaub packt?" Seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. Schließlich war es allgemein bekannt, dass Urlaub auf Balkonien nur eine beschönigende Umschreibung für die traurige Tatsache war, dass man seine Ferien zu Hause verbrachte.

"Nein, kein Scherz", widersprach die Managerin und zeigte den anderen den Computerausdruck. "Erinnert ihr euch, wie ich vor ein paar Jahren bei einer von abranka gestarteten Aktion über die wichtigsten Fragen der Menschheit bei der NASA auf dieses Projekt über die versunkene Insel Mathematika[1] gestoßen bin?"

Vereinzeltes, zögerndes Nicken.

"Tja, das Projekt war so erfolgreich, dass sie die Mittel bewilligt bekommen haben, nach weiteren versunkenen Inseln zu suchen. Und Balkonien ist auch so eine Insel. Sie hatte ganz viele überstehende Felsnasen, daher der Name Balkonien. Und bei dem großen Erdbeben 1906, wo unter anderem Großteile von San Francisco in Schutt und Asche gelegt wurden, ist diese Insel im Pazifik versunken. Sie war in dem Jahr ein neu entdecktes Reiseziel bei den Kunden der gerade aufblühenden Tourismusindustrie, und plötzlich mussten alle Reisen abgesagt werden", erzählte Nifen. "Weil man damals aber nicht mal eben mit dem Computer solche Reisen stornieren und die Touristen stattdessen nach Mallorca umbuchen konnte, mussten damals die meisten Reisenden zu Hause bleiben. Natürlich hatten sie aber im Vorfeld schon mächtig damit angegeben hatten, dass sie Urlaub auf Balkonien machen würden, und so kam es zu dem geflügelten Wort, als die gehässigen Nachbarn sie mit der geplatzten Reise aufzogen.

Auf jeden Fall, als ich mich vor ein paar Tagen bei der NASA mal wieder eingeloggt habe - fragt lieber nicht, wem ich den Zugang verdanke -, stand auf der Seite mit den Inselprojekten plötzlich, dass sie für die Balkonien-Expedition noch ein Team suchen. Und da hab ich uns spontan angemeldet. Wir kriegen einen Tauchkurs, freie Unterkunft auf einem großzügig ausgestatteten, umgebauten Kreuzfahrtschiff, auf dem auch Katzen erlaubt sind, werden voll verpflegt und die Flugtickets bekommen wir auch bezahlt. Das einzige, was wir als Gegenleistung machen müssen, ist jeden Tag etwa fünf bis sechs Stunden im Wasser planschen und nach der Insel suchen."

Freudestrahlend sah Managerin die übrigen Teammitglieder an.

Diese blickten erst ungläubig zu Nifen, dann auf den Computerausdruck, aber tatsächlich, oben in der Adresszeile stand der offizielle Link zu dem Projekt (http://www.nasa.gov/missions/earth/lost-islands/project-balconia.html) und darunter die Details der Reise.
 


 

IV.
 

Sommer in Deutschland. Jene Zeit des Jahres, wo man aufregende Abenteuer wie etwa der Kampf mit der Sonnencreme LSF 35+ oder die Schlacht um die Liegestühle erlebte, die, mit einigen hundert Fotos beweiskräftig dokumentiert, als Unterhaltung bei den bald hereinbrechenden Weihnachtsfeierlichkeiten herhalten mussten. Nicht, dass sich die Sorglospunks mit derartigen Kleinigkeiten begnügt hätten. Oh nein! Diese Sorgloseste aller Bands hatte doch wirklich und wahrhaftig an einer sechswöchigen Expedition zur Entdeckung der versunkenen Insel Balkonien teilgenommen. Und sie waren sogar in sofern erfolgreich gewesen, als die NASA nun gleich drei Suchquadrate auf ihrer Karte mit der möglichen Lage der Insel ausschließen konnte. Doch nicht nur das: Chris war endlich aus seinem Ex-Angebeteten-Blues heraus. Denn an Bord des Expeditionskreuzers hatte es eine bildschöne Barkeeperin aus Japan mit Namen Umeko gegeben, die nicht nur mit dem Bassisten geflirtet hatte, sondern ihm zum Abschied sogar ihre E-Mail-Adresse gegeben hatte, damit sie in Kontakt bleiben konnten. (Und ja, es war wirklich ihre E-Mail-Adresse, denn Chris hatte es noch am gleichen Abend ausprobiert.)
 

"Tokyo girl, Tokyo girl

you've got the moves to rule the world

that cute inscru-tability

Tokyo girl, you're a mystery
 

Tokyo girl, Tokyo girl

shaking up hearts around the world

you can't forget that stunning face

smiling at you it's your destiny
 

she's got the face sweet as a baby

elegant taste..."
 

Glücklich vor sich hinsingend, trug Chris ohne zu murren das gesamte Gepäck der Band ins Haus, während diese sich freute, das mit den ersten Lebkuchen im schnell herannahenden September Nifen wohl endlich ihre Ace of Base-Phase zugunsten der beginnenden Weihnachtszeit beenden würde.
 

Und was die Obstpreise betraf, nun, letztendlich war der Sommer doch nicht so verheerend gewesen, so dass die Bauern schließlich verstummten und die Äpfel auch nicht viel mehr kosteten als im Jahr zuvor...
 

_________________________________________________________________________________
 

[1] Informationen zu Mathematika: http://www.chaotizitaet.hive-network.de/Chaos/FAQ.htm#q7

Edgar

Unter Ächzen und Stöhnen, aber mit einem siegessicheren Grinsen auf dem Gesicht, schleppte Easy, die Frontfrau der Sorglospunks, eines schönen Tages einen großen Pappkarton, aus dem allerlei Kabel hingen, in das Wohnzimmer des Bandhauptquartiers.

„Tadaaa!“, verkündete sie triumphierend, nur um gleich darauf festzustellen, dass die faule Bande, die sie eigentlich zu ihrem neuesten Geniestreich beglückwünschen – oder doch wenigstens mit neugierigen Fragen bombardieren – sollte, ausgeflogen war.

Jack hatte eine Nachricht an den Kühlschrank geklebt, dass sie mit Kiwi Katzenfutter einkaufen war (das Maskottchen hatte darauf bestanden, mitzukommen, damit die Drummerin ihr nicht klammheimlich irgendwelches minderwertige Futter unterjubelte), abranka brachte ihre Wolke zur jährlichen Wolkeninspektion und Nifen hatte Chibichi mit zu dem Verleger genommen, bei dem der Sorglospunks-Sonderbildband mit all den Unterwasseraufnahmen vom letzten Urlaub gedruckt werden sollte, damit der Teufel der Band ein möglichst gutes Geschäftsabkommen mit dem Verlag sicherte. Einzig Chris war also im Sorglospunkhauptquartier zurückgeblieben, aber der Gitarrist hatte die Gunst der Stunde genutzt und Nifens Computer mit der schnellen Internet-Leitung besetzt, um mittels Webcam und Internettelefonie Umeko seine neuste Gitarrenkünste vorzuführen. Es drang also zwar leises Saitengeklimper aus dem Büro der Managerin, doch Easy wusste es besser, als dort jetzt zu stören.

„Na egal“, meinte die Leadsängerin und zuckte mit den Schultern, „bau ich dich eben alleine auf, Edgar, und überrasche die anderen halt später mit dem genialtastischen Endprodukt! Muahahahaha!“ Das versuchte, bösartige Lachen klang zwar aus Easys Mund nicht ganz so bösartig, hielt die junge Frau aber nicht davon ab, voller Tatendrang sich über all die Kabel, die Stecker und Metallteile herzumachen.
 

Etwa eine dreiviertel Stunde später war der Karton leer und auf dem Wohnzimmertisch stand ein Gerät, das man landläufig wohl als Computer bezeichnen würde. Doch es war nicht irgendein Computer, nein, das war…

„Easy? Was bitte macht dieser überholte Schrotthaufen von einem Computer auf dem Wohnzimmertisch?“, fragte Jack auch schon in diesem Moment, die Taschen mit dem Katzenfutter noch in der Hand.

„Das ist kein Schrotthaufen!“, verteidigte Easy den wehrlosen Computer vehement. „Das ist Edgar. Unser neuestes Bandmitglied und die Antwort auf all unsere Gebete.“

„Ihr betet?“, fragte da eine Stimme grinsend von der Tür her. „Zu mir oder dem alten Rauschebart im Himmel?“ Auch Chibichi und Nifen waren von ihrem Geschäftstermin zurück.

„Wir beten um ein Wunder. Wer unsere Gebete erhört, ist meist egal“, antwortete die Managerin achselzuckend. „Die alten Griechen vom Olymp haben uns abranka vorbeigeschickt, unsere Schutzengel, die hier bestimmt irgendwo rumflattern, hat vermutlich die Abteilung da oben geschickt, und du hast uns schließlich auch gefunden. Ausgewogenes Verhältnis…“

Chibichi lachte, doch das Lachen blieb ihr förmlich im Hals stecken, als ihr Easy um selbigen fiel.

„Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii! Stimmts, du siehst in Edgar auch mehr als bloß einen Haufen Schrott, oder? Oder?“

Wie sollte der Teufel da auch etwas anderes tun als Easy zuzustimmen? Allerdings war sie sich zugleich sicher, dass eine pauschale Antwort wie ‚ein hübscher Haufen Schrott mit schön blinkenden Lichtern’ nicht das war, was Easy sich unter ‚mehr in Edgar sehen’ erhofft hatte.

Zum Glück griff in diesem Moment Jack rettend ein und fragte trocken: „Also gut, wenn das kein Schrotthaufen sondern Edgar ist, dann solltest du uns vielleicht auch erklären, was für Wunder Edgar vollbringen kann.“

„Edgar kann Songs schreiben!“ Der Stolz stand Easy ins Gesicht geschrieben, als sie diese magischen Worte verkündete. Nie wieder würde sie von ihren Bandkollegen unter Druck gesetzt werden, wenn diese für einen Auftritt ein neues Lied wollten. Einfach Edgar mit ein paar Infos füttern und fertig wäre der Sorgloshit. Und noch dazu war dieses Verfahren beinahe sorgloser als die Sorglsopunks selbst. Wenn das also mal nicht perfekt war!

„Du meinst, der Rechner hat ein Programm, das Songs schreiben kann?“, fragte Chris misstrauisch, denn angelockt von dem Stimmengewirr im Wohnzimmer hatte er sich von Umeko verabschiedet und war zu den übrigen Sorglospunks gestoßen.

Easy nickte enthusiastisch. „Wollen wir es gleich mal ausprobieren?“ Ungeduldig hibbelte sie herum, wollte sie doch endlich Edgar und seine Wundersongs vorführen.

Zögerlich, aber dennoch für die quirlige Frontfrau ausreichend genug, stimmten die übrigen Hausbewohner zu.

Ein leises Fauchen, ein Biepen, ein Summen und schließlich erschienen auf dem Bildschirm die ersten Zeichen.

*~ Ich bin Edgar ~*

Munter begann Easy zu tippen.

# Hallo Edgar #

*~ Wenn Sie einen Song von mir geschrieben haben möchten, drücken Sie jetzt bitte gleichzeitig auf {@~\]µ}² und ich starte das gewünschte Programm ~*

„Seht ihr, ist ganz einfach!“ Triumphierend wandte sich Easy zu den anderen um.

„Okay, du Genie, und wie willst du all diese Tasten auf einmal drücken?“, fragte Jack mit hochgezogener Augenbraue.

„Ähm, na also so…“ Und Easy legte ihre Finger auf die Tastatur. Doch wie sie die Hände auch drehte und verknotete, irgendeine Taste ließ sich maximal suboptimal erreichen, was im Klartext bedeutete, dass sie nicht gleichzeitig sondern höchstens verspätet gedrückt würde. Doch so schnell war Easy nicht bereit aufzugeben. „Ha! Ich hab’s! Das ist ein Bandcomputer, also müssen auch alle Bandmitglieder drücken helfen. Sonst würde am Ende der Song ja nur vielleicht mir gefallen, aber euch nicht und dann wäre es kein Sorgloshit. Los, Chris, du drückst die Q-, die E, und die 2-Taste, Jack, du übernimmst 7, 0 und ß und ich drückte Alt-Gr und M“, forderte sie ihre Bandkollegen zur Mithilfe auf.

Immer noch skeptisch, aber bereit Easys Kommandos auszuführen, stellten sich Chris und Jack links und rechts hinter Easy und gemeinsam schafften sie es, die seltsame Tastenkombination gleichzeitig zu drücken.

*~ Willkommen in Edgars Songschreibprogramm ~*

*~ Geben Sie bitte den Titel ein, den Ihr Song haben soll ~*

„Ähm, ja, wie wollen wir denn unseren neusten Hit nennen?“ Ein fragender Blick in die Runde und spontan beschloss Easy, dass die Welt unbedingt ein Lied mit dem Titel ‚Bunte Kokosnüsse machen Tiger reich’ brauchte.

*~ Bitte geben Sie den Inhalt des Liedes in fünf Substantiven wieder ~*

# Tiger, Kokosnüsse, Regenbogen, Sammelbildchen, Küchenschwamm #

Fleißig klapperte Easy auf der Tastatur herum.

*~ Bitte geben Sie den Inhalt des Liedes in fünf Verben wieder ~*

# singen, werden, einfangen, tauchen, kochen #

War ja auch noch soweit logisch, dass man dem Programm erst einmal ein paar Informationen zukommen lassen musste.

*~ Bitte geben Sie den Inhalt des Liedes in fünf Adjektiven wieder ~*

Und gut, mit Adjektiven würde der Hit bestimmt noch lebendiger…

# reich, berühmt, blau, klein, durstig #

*~ Bitte geben Sie fünf US-Bundesstaaten an, in denen Sie das Lied irgendwann einmal veröffentlichen wollen ~*

Hä? Was bitte hatte das damit zu tun? Aber egal, solange am Ende ein brauchbarer Hit heraus kam – noch dazu einer von internationalem Format, wenn Edgar schon nach US-Bundesstaaten fragte – würde die Frontfrau den Rechner eben mit noch ein paar mehr Informationen füttern.

# New York, Washington, Kalifornien, New Mexiko, Minnesota #

*~ Bitte geben Sie fünf Konkurrenzbands an, die diesen Song auf gar keinen Fall covern dürfen ~*

Oh, an mögliche Coverversionen dachte das Programm auch!

# Backstreet Boys, 50 Cent, alle DSDS-Kandidaten, Marianne Rosenberg, Ace of Base #

Die letzte Band hatte Easy aufgrund der gerade erst überstandenen Terrorattacke von Seiten des Bandmanagements hinzugefügt. Nicht auszudenken, wenn diese Band sich tatsächlich zu einem Cover-Album mit Sorglospunkhits aufraffte... Nifen würde nie wieder etwas anderes spielen wollen.

*~ Bitte nennen Sie fünf Gemüsesorten, mit denen Sie im Videoclip zu dem Song für eine gesundheitsbewusste Ernährung sorgen wollen ~*

# Gurke, Tomate (vor allem Tomaten – Produktplacement ^^), Blumenkohl, Aubergine, Avocado #

*~ Bitte geben Sie fünf Zigarettenmarken an, die mit Ihrem Song keinen Werbeclip unterlegen dürfen ~*

Brav nannte Easy die gewünschten Zigarettenmarken.

*~ Bitte nenne Sie fünf Kuscheltiere, die während dieses Songs bevorzugt auf die Bühne geworfen werden sollen ~*

So langsam wurde es wirklich sonderbar, welche Informationen das Programm alle abfragte. Aber felsenfest von ihrer genialen Idee überzeugt, machte Easy einfach weiter.

Auch als sich, eine halbe Stunde später, Jack in die Küche verzog, um endlich das Katzenfutter wegzuräumen, und Chris nach weiteren dreißig Minuten des Wartens und Fragenbeantwortens wieder dazu überging, seine Gitarre zu polieren, gab sie nicht auf. Schließlich verabschiedete sich Chibichi am Nachmittag, weil sie für Mitternacht, Ortszeit, in Singapur einen Seelenhandel vereinbart hatte und Nifen beschloss, doch lieber mal ihre E-Mails abzufragen, vielleicht hatte sich ja ein Konzertveranstalter in der Zwischenzeit gemeldet.
 

Gegen sieben Uhr abends kehrte abranka von ihrer Wolkeninspektion mit einer frisch gewarteten und sauber glänzenden Wolke in das Sorglospunkhauptquartier zurück. Wie üblich führte ihr erster Weg sie ins Wohnzimmer, war es doch meist so, dass diejenigen unter den Bandmitgliedern, die dringend einer Eingebung bedurften, dort ideenlos auf dem Sofa rumlungerten. Doch heute war nur Easy im Wohnzimmer und schien vollauf beschäftigt.

*~ Bitte nennen Sie fünf Bibelstellen, mit denen der Song auf religiösen Versammlungen in Verbindung gebracht werden darf ~*

„Bibelstellen? Wo, verflixt noch mal, ist eine Bibel, wenn man sie braucht?“ Easy wusste, sie stand soooo kurz vor einem Megahit, da sollte das Ganze doch bitte nicht daran scheitern, dass sie jetzt keine Bibel finden konnte.

„Oh, ein Edgar?“, fragte abranka neugierig, nachdem sie den Computer von allen Seiten in Augenschein genommen hatte. „Wo hast du denn den gefunden?“

„abranka!“, rief Easy freudig überrascht, die Frage der Muse ignorierend. „Du kennst Edgar?“

Die Bandmuse nickte. „Ja, die haben wir mal versuchsweise im Musenarbeitsamt auf dem Olymp gehabt. Irgendjemand war wohl auf die Idee gekommen, dass wir damit den vielen Schülern dieser Welt helfen könnten, die nach Eingebungen für Schulprojekte suchen. Hat sich aber nicht durchgesetzt. Doch sag mal, Easy, wenn ich mich richtig entsinne, funktionieren Edgars nur dann richtig, wenn sie am Inspirationsstromnetz hängen. “ Das war damals auch der Grund gewesen, warum man auf dem Olymp wieder von der computerisierten Methode der Ideengebung abgekommen war – die Edgars hatten einfach zu viel Inspirationsstrom verbraucht. Aber nur so war die Masse an Informationen, die im Hintergrund mit jeder Idee verknüpft werden mussten, abfragbar.

„Inspirationsstromnetz?“ Verwirrt sah die punkige Leadsängerin abranka an. „Gibt’s das vielleicht auch als Batterien?“ Kaum hatte sie die Frage laut gestellt, als auf ihrem Gesicht jener gefährliche Ausdruck erschien, der auf weniger gute Ideen schließen ließ. „Aber klar! Inspirationsbonbons!“ Und ehe die Muse sich versehen hatte, hatte Easy das Wolkenfach mit den Bonbons aufgemacht und sich eines herausgeholt. (Dieses Fach war das einzige Fach in abrankas Musenwolke, das Easy auf Anhieb erkannte...) Doch nicht nur das, fix war das Bonbon ausgewickelt, dann mit einem herumliegenden dicken Wälzer von Buch zertrümmert, die Brösel auf einen angefeuchteten CD-Rohling geschoben – angefeuchtet, damit die Bonbonbrösel auch hielten – und zu guter Letzt das Ganze in das CD-Laufwerk von Edgar geschoben.

Jetzt, ja jetzt... und ein weiteres nicht wirklich bösartig klingendes, bösartiges Lachen bahnte sich seinen Weg Easys Kehle hinauf... jetzt war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis Edgar ihr den neuesten Sorgloshit für die Sorglospunks liefern würde. Mit internationaler Erfolgsgarantie, Cover-Schutz, gesundheitsbewusster Einstellung und religiöser Zitierbarkeit!

Gespannt lauschte Easy dem flitzenden Summen, das darauf hindeutete, dass die CD gelesen wurde.

Und dann... Ein Britzeln, ein Spratzeln, ein Knacken, ein Krachen, ein... Rauchen? Mit schreckgeweiteten Augen starrte die Frontfrau den Bildschirm an, der mit einem Mal so verdächtig schwarz und ruhig vor ihr stand, während der Lüfter verzweifelt versuchte, der Rauchschwaden im Rechnergehäuse Herr zu werden, ehe auch er mit einem letzten Fauchen den Dienst quittierte.

„Easy, bist du mit...“ Nifen kam nicht dazu, ihre Frage bezüglich des neuen Songs zu Ende zu stellen, denn abranka kam ihr entgegengeflitzt und erklärte mit knappen Worten, welch unseliges Ende der Songschreibcomputer genommen hatte. Derweil Easy ganz vorsichtig und mit einer Spur Verzweifelung in der Stimme fragte:

„Edgar...?“

Kiwi im Wundermarkt

Diese Geschichte spielt während/parallel zu abrankas Geschichte "Take it, Easy - Nimm's schon, Easy!" und enthält zwei Zitate aus selbiger (die aber zwecks Lesefluss nicht gesondert gekennzeichnet sind).
 


 

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Ein Nachwuchswettbewerb für Bands? Diese zwei überdimensionalen Plüschküken namens Chuck und Chuck hatten Easy mit einem Flyer für einen Nachwuchswettbewerb im Supermarkt aufgelauert? Und dafür hatte die Frontfrau der Sorglospunks so lebenswichtige Dinge wie Brot oder KATZENFUTTER vergessen? Wie konnte man bitte so grausam, selbstsüchtig, undankbar, pflichtvergessen, gemein, hinterhältig, garstig, Bandmaskottchen quälend, etc., etc. sein?

Kiwi, Hauskatze, Stolperfalle und einzig anerkanntes Bandmaskottchen der Sorglospunks bekam sich ja fast nicht mehr ein. Dabei hatte sie doch extra dafür gesorgt, dass sie sich der Leadsängerin der Band noch einmal ins Gedächtnis rief, als diese mit Jack „Wer hat Angst vor’m pinken Einkaufszettel“ gespielt hatte. Aber nun gut, was geschehen war, war geschehen und so würde die Bandkatze sich eben die nächsten Tage dazu herablassen müssen, Lachs und ähnliche Dinge aus der Tiefkühltruhe zu fressen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Ganze bitte schön liebevoll zubereitet und nicht bloß schnöde in der Mikrowelle aufgewärmt wurde. Oder noch schlimmer: Chris als einziger daran dachte, die Katze zu füttern, und ihr nach dem Motto „Alle Katzen lieben Fisch – egal wie er aussieht, riecht oder angemacht ist“ einfach eine Dose Hering in Tomatensoße aufmachte. Denn solches Dosenfutter war schlichtweg schlecht für die Figur. Besonders, wenn man so gerne Sahne oder Schokolade naschte wie Kiwi. (Immerhin war sie ja ein Mitglied der sorglospunkigsten Band der Welt und diese Band kam bekanntlich nun mal nicht ohne Schokolade aus. Auch das Maskottchen nicht.)

Doch auch wenn Easy sich wirklich mit raffiniert angerichteten Fischfilets und ähnlichen Spielereien reichlich Mühe gab, Kiwi den Katzenfutterentzug leicht zu machen, so einfach verzieh das Maskottchen der Frontfrau nicht. Weshalb, als diese am darauf folgenden Wochenende nach der Katze suchte, um sie zusammen mit dem Schlagzeug von Jack im Kofferraum des Bandbullis – an normalen Werktagen auch als Libertad, der Punto der Managerin, bekannt – zu verstauen, sich Kiwi in Nifens geräumiger CD-Schublade versteckte. Dass dafür die Ace of Base-Scheiben und die Weihnachtsalben aus selbiger fliegen mussten, erschien dem Bandmaskottchen nur ausgleichende Gerechtigkeit zu sein. Und es hatte zusätzlich den Vorteil, dass keiner der Band sich auch nur auf einen Meter an einen Ort heranwagen würde, der von Schwedenpop-Tretminen und Weihnachtstreibsand gesichert war.

Schließlich gab Easy die Sucherei auf und kurz darauf war Kiwi alleinige Herrscherin über das Sorglospunkhauptquartier. Und was machte eine beleidigte Katze, die sturmfrei hatte? Richtig – sie rächte sich. Wie gut das Maskottchen das konnte, hatte sie schließlich schon bei Chris unter Beweis gestellt und heute würde sie eben dafür sorgen, dass Easy nie wieder vergaß, Katzenfutter vom Supermarkt mitzubringen.
 

Samtpfotig schlich sich Kiwi über den Flur in Richtung Easys Zimmer. Ein leichter Stoß gegen die nur angelehnte Tür und schon war der Spalt breit genug, dass sich eine geschickte Katze wie Kiwi hindurchquetschen konnte. Jetzt konnte sie ihr Werk beginnen. Doch wie sollte sie sich dieses Mal rächen? Die Kleidung im Schrank und in der Kommode schied aus, das hatte sie schon bei Chris gebracht, um ihr Missfallen an seinem Verhalten zu bekunden. Hm, vielleicht wenn sie den inspirationsfördernd eingerichteten Schreibtisch verwüstete? Aber andererseits schrieb Easy so gut wie nie einen Song an diesem Schreibtisch, weshalb sie das Chaos vielleicht erst im nächsten Jahr oder so entdecken würde. Und das war ein eindeutig viel zu langer Zeitraum, um auf Genugtuung zu warten. Denn auch wenn Katzen sprichwörtlich neun Leben hatten, bedeutete das noch lange nicht, dass man eines mit langweiligem Warten verschwenden durfte.

Dann aber fiel der Blick des Bandmaskottchens auf Easys Glücksbringerlenkrad, das die Frontfrau von Chibichi zu Weihnachten bekommen hatte, und augenblicklich begann es in ihrem kleinen Hirn zu arbeiten. Ja... wenn sie das versteckte, dann würde Easy das sofort auffallen. Gab es doch für die Leadsängerin nichts Schöneres als Jacks Kaffeeentzugsdrohungen ein Schnippchen zu schlagen, indem sie sich gleich nach dem Aufwachen mit einem kurzen Reiben einen heißen Nocciola-Latteccino (Sorglospunk-Höllenspezial-Kreation) herbeiwünschte. Doch noch während die Katze überlegte, was ein geeignetes Versteck für das Lenkrad wäre, kam ihr eine neue Idee.

Denn das hier war nicht bloß irgendein einfaches Glücksbringerlenkrad, nein, das war ein Glücksbringerlenkrad mit teuflischen Wunderkräften. Von Chiiii, dem Teufel, höchstpersönlich. Dem gleichen Teufel, der als einziger in diesem Haus sie, Kiwi, verstand. Also war es doch nur logisch anzunehmen, dass dieses Glücksbringerlenkrad auch bei einer Katze – noch dazu einer so genialen Katze wie Kiwi – funktionierte. Und weil Katzen bekanntlich kleiner waren als Menschen, waren auch die größten Katzenwünsche kleine Wünsche, oder? Daraus folgte, dass das Glücksbringerlenkrad all ihre Wünsche erfüllen würde. Auch dann, wenn der Wunsch darin bestand, selbst beim WWWB-Markt einkaufen gehen zu können.

„Miiiiiiiiiiiiiiiiiiau!“

(Wäre Chibichi in diesem Moment anwesend und nicht zufällig mit Seelenkäufen im amerikanischen Wahlkampf beschäftigt gewesen, so hätte sie diese Aussage als „Katzenfutter, ich komme!“ übersetzen können. Aber Chibichi war, wie schon gesagt, auf der anderen Seite des großen Teichs, wo man Seelen gegen Stimmen tauschen konnte, und außerdem war die Band ja eh ausgeflogen, so dass keiner eine Übersetzung verlangte.)

Mit einem Satz war Kiwi auf Easys Bett gesprungen, von dort auf den Nachttisch und schon hatte sie das Glücksbringerlenkrad in den Pfoten.

„Miauuu!“ ( = „Ich möchte bitte zum WWWB-Markt.“)
 

Sekunden später fand sich Kiwi vor dem Eingang zum unter-über-super-irdisch-himmlisch-höllischen Einkaufsparadies: Dem Wunderbar-Wundersames-Wunderbar-Billig-Markt.

„Guten Tag und willkommen im Wunderbar-Wundersames-Wunderbar-Billig-Markt“, ertönte eine freundliche Stimme, als das Bandmaskottchen auf die Tür zu ging und diese mit einem leisen Zischen aufglitt. „Alles was das anspruchsvolle Katzenherz begehrt, finden Sie in der Mäuseabteilung. Folgen Sie einfach den kleinen Mäusen auf dem Boden.“

Na, wenn das kein Service war… Bereits beim Eintreten die Kunden in die gewünschte Abteilung zu führen, ohne dass diese erst groß nachfragen mussten, war wirklich nicht zu verachten. Kurz überlegte Kiwi noch, in welcher Abteilung sich wohl alles befand, was das Mäuseherz begehrte, doch dann entdeckte sie die kleinen Käseecken, die auf den Boden gemalt waren. Ein Grinsen schlich sich auf ihr pelziges Gesicht. Vielleicht sollte sie nachher noch einen Abstecher in die Käseabteilung machen? Allerdings könnte das vielleicht zu Hausverbot führen… Nein, das wollte Kiwi lieber nicht riskieren und so folgte sie schlicht den kleinen Mäusebildchen ins Katzenparadies.

Und es war ein wahres Katzenparadies. Dosenfutter, Schälchenfutter, Trockenfutter, ein großes Aquarium zum Selberfischen (ausschließlich gefüllt mit Fischen, die eine feste, freiwillige, unumstößliche, vertraglich bestätigte Selbstmordabsicht hegten), Kratzbäume in allen Formen und Materialien, Katzentoiletten in hundert verschiedenen Duft- und Farbvariationen, Spielzeuge in Hülle und Fülle und natürlich alles aus dem menschlichen Lebensmittelsektor, worauf eine Katze scharf sein konnte. (Also auch Sprühsahne mit Schokoladengeschmack und einer katzenfreundlichen Sprühvorrichtung.)

Wie in Trance ging Kiwi durch die Regalreihen, alle so angelegt, dass vor jedem Regalbrett ein kleiner Katzenlaufsteg angebracht war, den man mit bequemen Sprüngen von unten erreichen konnte. Am meisten hatten es ihr ja die Dosen mit den Drei-Gänge-Deluxe-Menüs angetan, bestehend zum Beispiel aus einer cremigen Hühnersuppe, gedünstetem Lachs und einem Sahnedessert in Mäuseform. Aber Dosen hatten die lästige Angewohnheit, dass man dafür einen Dosenöffner brauchte und Dosenöffner waren bislang immer nur für Menschen konzipiert worden.

Da hörte sie auf einmal ein amüsiertes „Miau!“ aus der Regalreihe unter ihr, das sie frech grinsend fragte, ob sie das erste Mal im WWWB-Markt sei.

Neugierig geworden, ließ sich Kiwi elegant auf das Laufbrett unter ihr fallen. Vor ihr stand ein schwarzer Katzendämon mit weißen Pfoten und musterte sie keck.

„Du bist kein Dämon und auch keine der altägyptischen Gottheiten“, stellte dieser dann schnurrhaarzitternd fest. „Du riechst wie eine ganz gewöhnliche Hauskatze.“

Empört funkelte Kiwi den Kater an. Was maßte sich dieser dämliche, schwarze Fellball eigentlich an? Sie war schließlich alles andere als eine gewöhnliche Hauskatze, sie war das weltbeste und einzigartigste Bandmaskottchen, das es gab. Eine Tatsache, über die sie den Kater mit einem indignierten „Miaau!“ aufklärte.

„So, so, Bandmaskottchen. Aber das erklärt immer noch nicht, wie eine sterbliche – und somit gewöhnliche – Hauskatze, zumindest im Vergleich zu einem Dämon wie mir“, beeilte sich der Kater erklärend hinzuzufügen, „es in den WWWB-Markt geschafft hat.“

Stolz auf ihren Einfallsreichtum und weil der Dämon es offensichtlich nicht beleidigend gemeint hatte, als er sie gewöhnlich genannt hatte, erzählte Kiwi ihm von dem Glücksbringerlenkrad und von Chibichi.

Es dauerte einen Augenblick, ehe der Kater erkannte, dass sich hinter der vertraulichen Anrede „Chiiii“ niemand Geringeres als der Teufel höchstpersönlich verbarg und sogleich wuchs besagte Hauskatze enorm in des Dämons Ansehen. Von dem Zusatz „gewöhnlich“ war keine Rede mehr. Denn wer den Teufel mit einem Kosenamen ungestraft anreden durfte, ja, von diesem gar Glücksbringerlenkräder geschenkt bekam, der musste in der Tat etwas Besonderes sein. Und abgesehen davon, dass ihm die stolze Katze bereits vorher gefallen hatte, konnte es nie schaden, sich durch Hilfsbereitschaft mit dem Teufel gut zu stellen. Außerdem hatte dieses Bandmaskottchen, als das sich die Katze selbst bezeichnete, einen ausgezeichneten Geschmack in Sachen Futter bewiesen. Die Dosen, vor denen sie kurz zuvor noch gestanden hatte, waren wirklich Spitzenklasse.

„Überlegst du noch, wie viele von den Menü-Dosen du per Knopfdruck in deinen Einkaufskorb an der Kasse schicken sollst?“, fragte der Dämon nun höflich, neugierig und hilfsbereit in einem.

Da Katzen (wie auch andere Tiere) ja schlecht einen Einkaufswagen durch die Gegend schieben konnten, gab es vor jeder Ware einen praktischen Knopf, wo man einfach so oft, wie man etwas haben wollte, drauf drückte und die Sachen erschienen automatisch an der Kasse.

Kiwi hatte sich schon gefragt, wie genau das funktionieren sollte, dass sie, was auch immer sie letztendlich kaufte, zur Kasse bekam, ließ sich aber mit keinem Zucken anmerken, dass dieser eingebildete Kater ihr zumindest schon mal in dieser Sache hatte helfen können. Doch das löste immer noch nicht das Problem mit dem Dosenöffner. Denn auch elektrische Dosenöffner, wo man nur eine Taste drücken musste – etwas, das man gut auch mit einer Katzenpfote tun konnte –, verlangten ein eher kompliziertes, katzenuntaugliches Einklemmen des Dosenrandes. Und so schüttelte sie widerstrebend den Kopf. „Das sind Dosen.“

„Und?“, kam es schwanzzuckend zurück. „Wozu gibt es einen Felinopyximatic 2000?“

„Felinopyximatic 2000?“ Nun konnte Kiwi ihre Neugier doch nicht mehr verbergen.

„Der über-unter-menschenweltbeste Dosenöffner, den sich eine Katze nur erträumen kann“, erklärte der dämonische Kater grinsend. „Wenn du willst, zeig ich dir einen. Die stehen nur zwei Gänge weiter in der Techniksektion.“ Beinahe schon übereifrig in seinem Bemühen, bei Kiwi Pluspunkte zu sammeln, begann der schwarze Kater den Abstieg über die Regale.

Der WWWB-Markt war wirklich einzigartig und so gab es tatsächlich auch einen Bereich in der Mäuseabteilung, der sich nur mit Technik speziell für die anspruchsvolle Katze befasste. Da gab es KP3-Player für entspannende Musik während des täglichen Fellputzens, KVD-Spieler und dazu passende Mäusejagd-KVDs für verregnete Tage, interaktive Kratzbaum-Klettergerüst-Spielstationen, und, und, und. Und eben auch Dosenöffner wie den Felinopyximatic 2000. Ein wahres Wunderwerk der Technik, das man einfach nur auf eine zu öffnende Dose legen musste, wo es sich von selbst in eine optimale Position manövrierte und dann den Dorn in das Blech stieß. Mittels einer Fernbedienung konnte anschließend der Öffnungsvorgang gestartet werden. Ein wahrgewordener Katzentraum!

Es war Liebe auf den ersten Blick! Zumindest bei Kiwi. Ihr dämonischer Einkaufsbegleiter konnte gar nicht so schnell gucken, wie die Bandkatze auf den Kassenknopf gedrückt hatte. Aber was für den kleinen, vierbeinigen Dämon noch schlimmer war: Er war augenblicklich bei der Katze vollkommen abgemeldet. Kein Schwanzzucken des Danks, keine Schnurrhaarmorsebotschaft der Anerkennung, noch nicht einmal ein hoheitsvolles Kopfnicken. Einzig ein vager Schatten auf der Netzhaut, der auf eine davonsprintende Katze hindeutete. Denn nach dieser Dosenöffneroffenbarung war Kiwi schnurstracks zum Dosenregal zurückgekehrt, um nach Herzenslust Einkaufsknöpfe zu drücken.

Vielleicht wäre der Kater Kiwi gefolgt, wäre in diesem Moment nicht seine Ex-Katze um die Ecke gebogen, und da ihre Trennung alles andere als einvernehmlich verlaufen war, zog der Katzendämon es dann doch vor, ganz schnell das Weite zu suchen. Aber davon bekam Kiwi in ihrem Kaufrausch natürlich nichts mit.
 

Erst als das Sorglospunks-Bandmaskottchen eine Stunde später den kleinen Kassenzeichen auf dem Boden gen Ausgang folgte, wurde ihr bewusst, dass sie ja gar kein Geld besaß, um all die schönen Sachen zu bezahlen. Und natürlich hatte sie das Glücksbringerlenkrad zu Hause vergessen, mit dessen Hilfe sie sich einfach ihre Einkäufe als Geschenk hätte wünschen können. Apropos zu Hause… Wie sollte sie ohne Glücksbringerlenkrad wieder nach Hause kommen? Leichte Panik stieg in Kiwi auf. War sie etwa dazu verdammt, hier, in diesem – zugegeben paradiesischen – Supermarkt, zu bleiben, bis Chibichi die Sorglospunks mal wieder zu einem Einkauf mit hier her nahm? Wobei, Moment mal. Chibichi! Genau! Das war die Lösung. Alles, was sie tun musste, war der freundlichen Dame an der Kasse, welche die Katze abwartend ansah, klarzumachen, dass sie bitte den Teufel kontaktieren sollte, damit Chibichi das Bandmaskottchen im WWWB-Markt abholte. Also maunzte Kiwi so herzerweichend wie es nur ging ein „Chiiii“ und wartete dann, dass der Teufel auf diese Hilfe-SMS reagierte.

Glücklicherweise war die Wahlkampfveranstaltung in den Vereinigten Staaten so gut wie beendet, so dass es keine zehn Minuten dauerte, ehe Chibichi mit quietschenden Reifen und olfaktorischer Schwefeluntermalung vor dem Supermarkt ankam. Grinsend schlenderte sie zu Kiwi hinüber.

„Kiwi, Kiwi, was hast du denn hier zu suchen?“, fragte der Teufel die Katze mit belustigtem Kopfschütteln.

„Miau!“

„Katzenfutter? Ach so, Easy war mit Einkaufen dran und hatte mal wieder nur Kaffee im Kopf?“ Verständnisvoll nickte Chibichi.

„Miiau, miaau, Miiauu“, erzählte Kiwi weiter.

„Ah… Ich wusste ja schon immer, dass du eine kluge Katze bist.“

„Miiiiiaaau.“

Jetzt lachte der Teufel. „Nein, tut mir leid, ohne Bezahlen kannst du die Sachen nicht mitnehmen.“

„Miaaauuu?“

„Nein, auch nicht den Felinopyximatic 2000. Allerdings… Du bist doch ein offizielles Mitglied der Sorglospunks, oder?“, vergewisserte sich die Höllenfürstin.

„Miau!“ Eifrig nickte Kiwi mit dem Kopf.

„Dann kannst du doch einfach das Bandkonto belasten. Pfotenabdruck genügt. Wir sind hier schließlich im Wunderbar-Wundersames-Wunderbar-Billig-Markt und nicht in so einem kleinkarierten Menschensupermarkt, wo die Kassiererinnen Deutsch als erste Fremdsprache neben ihrer Muttersprache Schwäbisch sprechen, aber keine Ahnung von so wichtigen Sprachen wie Katzisch haben“, erklärte Chibichi grinsend und sorgte so bei Kiwi für helle Begeisterung.
 

Chibichi war dann auch gleich noch so nett, Kiwi samt Einkäufe nach Hause zu fahren, konnte aber leider nicht bleiben, um mit dem Bandmaskottchen auf die Rückkehr der Sorglospunks zu warten. In Alaska bahnte sich nämlich ein spektakulärer Wahlskandal an, und den konnte sich Chibichi natürlich nicht entgehen lassen, war Skandal doch ein Beinahe-Synonym für Seelenschnäppchen.

Kiwi bedauerte es zwar, dass der Teufel so bald schon wieder an die Arbeit zurück musste – sie wäre sogar bereit gewesen, ihr etwas von ihren Drei-Gänge-Deluxe-Dosen abzugeben –, aber sie tröstete sich schnell mit ihrem neuen Felinopyximatic 2000. Über ihre Spielerei mit dem Dosenöffner merkte sie noch nicht einmal, wie schnell die Zeit verging und schon waren Easy, Jack, Chris, abranka und Nifen wieder von diesem Nachwuchsbandwettbewerb zurück. Offenbar war der Wettbewerb nicht ganz so gut gelaufen.

„Was nen Mist, Mist, Mist!“

„Hey, Kopf hoch. Immerhin habt ihr einen neuen Song, auch wenn die 100€ dafür doch ein bisschen teuer waren“, versuchte Nifen die drei aufzumuntern.

100€ für einen Song galt als teuer? Na, da konnte Kiwi froh sein, dass die Managerin noch nichts von den 300€ für den Felinopyximatic 2000 wusste. Besser, das Maskottchen ging erst einmal mitsamt dem heißgeliebten Dosenöffner auf Tauchstation. Nicht, dass da noch irgendjemand auf die Idee kam, man könnte jenes Wunderwerk der Technik zurückgeben. Nein, nein, nein! Das kam gar nicht in Frage!

„Oh, ja, verdammt teuer!“, moserte Jack und verschwand Richtung Küche.

„Ah, Easy!“, kam der Aufschrei keine Minute später. „Du hast das verdammte Brot vergessen!“

Eine Drei-Gänge-Deluxe-Dose vor sich herrollend, den Felinopyximatic 2000 hinter sich herschleifend, waren das die letzten Worte, die Kiwi noch mitbekam, ehe das Bandmaskottchen sich wieder in die geräumige CD-Schublade von Nifen zurückzog.

Traumberufe

Traumberufe
 

„Aber das Rechnungsstellungsdatum und der Eingangsstempel besagen, dass wir noch über zwei Wochen Zeit haben, Ihnen das Geld anzuweisen. Sie haben also kein Recht, uns bereits jetzt mit einer Mahnung zu drohen.“ Mit diesen Worten beendete Easy das Telefonat, ehe sie sich dann auf ihrem Bürostuhl um die eigene Achse drehte und zu ihrem Kollegen hinüber sah. „Ist denn das zu fassen? Bloß weil bei denen in der Buchhaltung jemand die Rechnung zu spät erstellt hat, glauben die auf einmal, wir würden uns mit der Zahlungsanweisung beeilen, damit deren Chef das nicht merkt. Wenn sie wenigstens lieb und nett angefragt und uns die Sache erklärt hätten, hätte man ja vielleicht darüber reden können, aber uns gleich mit einer unrechtmäßigen Mahnung zu drohen…“ Gefährlich pulsierte eine Ader an dem Hals der jungen Frau.

„Ganz ruhig, Easy“, versuchte sie der etwas untersetzte Mann mittleren Alters zu beruhigen. „Komm, lass uns in die Teeküche gehen und einen Kaffee trinken, und dann schauen wir mal, bis wann wir das Geld einbehalten können, ohne ernsthaft mehr als eine Mahnung zu riskieren.“ Er grinste. Genau wie seine junge Kollegin waren Zahlen sein Leben, und der Anblick langer Kolonnen von Ziffern, die gegeneinander addiert hübsche Summen und somit Kontostände im Plus und Minus ergaben, war für ihn immer wieder ein so schöner Anblick, dass daneben selbst die Mona Lisa oder die berühmten Seerosen von Monet verblassten. Aber er hatte nicht ganz das Temperament Easys, weshalb er seiner energischen Kollegin gerne derartige Anrufe wie den heutigen überließ. Zum Ausgleich dafür schwang er dann aber hinterher brav den Schaumschläger, damit sie auch richtigen Milchschaum zum Capuccino bekamen.

Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, war Easy von der Aussicht auf Kaffee sofort begeistert, ließ Telefon Telefon sein und Buchhaltungsprogramm Buchhaltungsprogramm. Denn Kaffee war Lebenselixier schlechthin. Kaffee und Schokolade.

„Wieso heißt das eigentlich Teeküche, wenn wir dort doch eh alle nur Kaffee trinken?“
 

„Und dann habe ich ihm erklärt, dass die Mehrwertsteuer etwas ist, das alle Bürger gleichermaßen zu zahlen haben, und dass er sie nicht als Werbekosten von der Steuer absetzen kann. Also wirklich, Ideen haben die Leute.“ Jack schüttelte den Kopf und schlürfte genüsslich den leicht mit Schokoladenpulver bestäubten Milchschaum von ihrem Cappuccino. „Das war fast so schön, wie der Kfz-Schildermacher, der mir erklären wollte, dass er seine Umsatzsteuer in Form der Kfz-Steuer seiner Kunden bereits bezahlt hätte.“

Easy kicherte. „Als ob wir nicht rechnen könnten.“

Genau wie bei ihrer Zwillingsschwester gehörte Jacks große Liebe den Zahlen, nur dass es sie nicht in die Privatwirtschaft gezogen hatte, sondern sie lieber als Finanzbeamtin Steuererklärungen bearbeitete.

„Und dann erst dieses Belegchaos… Ich hatte heute bestimmt wieder drei Steuererklärungen, wo die Leute einfach jeden Kassenzettel in eine große Plastiktüte gestopft hatten, frei nach dem Motto: Wer suchet, der findet, und die beim Finanzamt werden schon die richtigen Zettel finden. Als ob der Wocheneinkauf bei Aldi von der Steuer absetzbar wäre“, erzählte Jack weiter. „Von den großzügigen Rechenfehlern beim Addieren der einzelnen Steuerkartenbeträge ganz zu schweigen. Sag mal, Chris, was bringst du deinen Schülern eigentlich heutzutage bei? Dass 1+1=3 ist? Zumindest, solange es um Beträge geht, die sie bekommen können? Und dass immer dann, wenn sie die Beträge zahlen müssen 1+1 plötzlich nur 1,5 ergibt?“ Herausfordernd sah die junge Frau das dritte Mitglied des 0=0-Clubs an. Sie alle liebten Zahlen, erlagen regelmäßig der Faszination der Ziffer ohne Wert und trafen sich nach Möglichkeit einmal in der Woche zum gemeinsamen Kaffeetrinken.

Chris lachte. „Na ja, wenn man lange genug auf dem Taschenrechner herumrechnet, kommt irgendwann was anderes bei raus. Aber das hängt mehr mit den Nachkommastellen zusammen, die der Chip in dem Rechner speichern kann, als mit korrekter Mathematik. Doch ich kann dich gut verstehen, Jack.“ Er nippte an seinem Kaffee. „Ich habe heute den Fehler begangen, in Erdkunde eine Matheaufgabe zu stellen. Wenn der Lago Maggiore mit einer Gesamtfläche von 212,5 km² zu 19,28% auf Schweizer Territorium liegt, wie groß ist dann die Fläche in km², die zur Schweiz gehört?“

Augenblicklich konnte man den beiden jungen Frauen ansehen, wie es in ihren Köpfen ratterte, als Chris die Aufgabe, die er seinen Schülern gestellt hatte, nannte.

„40,97 km²“, verkündete Easy nach wenigen Augenblicken und warf ihrer Schwester einen triumphierenden Blick zu, hatte sie Jack doch mal wieder im Kopfrechnen geschlagen.

Aber diese zuckte nur gelassen mit den Schultern. Aus dem Alter, sich wegen so kindischer Wettstreite zu ärgern, war sie schließlich schon längst hinaus. Dass sie sich überhaupt noch auf solche Wettrechnereien einließ lag einzig am Sportsgeist. Stattdessen sagte sie: „Lass mich raten: Es kam alles zwischen 2,125 und 100 km² raus, wobei die Leute mit 2,125 wenigstens noch versucht haben zu rechnen, wohingegen die Leute mit 100 einfach wild geraten haben.“

„So ungefähr“, stimmte Chris zu. „Dabei weiß ich, dass sie alle im letzten Jahr erst bei mir Prozentrechnung gehabt haben. Aber es geht wohl heutzutage nichts über ein gutes Kurzzeitgedächtnis und ein paar geschickte Spickzettel, um die Klassenarbeit zu bestehen und hinterher alles wieder zu vergessen.“ Chris seufzte. Dabei war er doch Lehrer aus Leidenschaft und versuchte wirklich alles, damit die Schüler am örtlichen Gymnasium die Schönheit von Ziffern und Landesgrenzen ebenfalls erkannten. Meist aber war es vergebene Liebesmüh.

In diesem Moment unterbrach ein leises Handypiepsen die gemütliche Runde. „Piep! Piep! Piep!“

„Verflixt, das hatte ich ja beinahe vergessen. Ich hab heute Abend Elternabend“, sagte Chris und fischte sein Mobiltelefon aus seiner Jackentasche.

Auch Easy und Jack schauten überrascht auf die Uhr, hatten sie doch gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit bei ihren gegenseitigen Erzählungen aus den jeweiligen Zahlenalltagen vergangen war.

„Ich muss dann mal los.“ Damit beendete Chris das Treffen des 0=0-Clubs.

„Piep! Piep! Piep! Piep!“

„Hä? Aber Chris ist doch schon weg, wieso piepst es dann noch?“, fragte Easy Jack ein wenig verwirrt, als das Handygeräusch blieb.
 

„Piep! Piep! Piep!“
 

„Chris, mach dein Handy aus“, grummelte Easy und kuschelte sich tiefer in ihre Bettdecke. Doch das nervige Geräusch blieb. Allerdings es dauerte noch geschlagene fünf Minuten, ehe die Frontfrau der Sorglospunks registrierte, dass das penetrante Piepsen kein Bestandteil des Traumlebens mit Traumberufen und Traumkaffee war, sondern ihr Handywecker, der sie in die Realität zurückholte. Und vor allem, dass dieser Traum gar kein Traum, sondern viel mehr ein Alptraum war. Buchhalterin? Sie sollte Buchhalterin gewesen sein? Oder war das am Ende gar kein Traum, sondern die Wirklichkeit und ihre Band nur der Traum?

Jetzt schon beinahe panisch stürzte die Bandsängerin in die Küche, wo Jack und Chris schon bei der ersten Tasse Kaffee saßen.

„Jack, was ist der aktuelle Mehrwertsteuersatz in Deutschland?“, fragte Easy mit schreckensweiten Augen. Denn wenn ihre Zwillingsschwester wirklich Finanzbeamtin wie in dem Traum war, dann wusste sie diese Frage aus dem Stegreif zu beantworten.

„Öhm, keine Ahnung. Sechzehn Prozent?“, kam es mutmaßend zur Antwort.

„Neunzehn!“, ließ sich da aus dem im Vorgarten residierenden Fass die Stimme des Bandphilosophen und Finanzgewissens durch das gekippte Fenster vernehmen.

Erleichtert ließ sich Easy auf einen Stuhl fallen. „Puh, dann war das also alles nur ein Traum, und wir sind keine Finanzbeamten, Buchhalter oder Mathelehrer.“ Auf den Schock brauchte sie erst einmal einen Kaffee.

„Hä? Finanzbeamte? Mathelehrer? Scheint ja echt ein übler Traum gewesen zu sein“, sagte Chris und überließ Easy großzügig seine Tasse.

„Oh ja, und was für einer. Davon kann ich euch echt ein Lied singen“, seufzte die Frontfrau und gönnte sich erst einmal einen großen Schluck des koffeinhaltigen Gebräus.

Jack spitzte die Ohren. „Du kannst uns ein Lied davon singen?“, fragte sie grinsend. „Dann lass mal hören! Denn wir könnten gut mal wieder einen neuen Song gebrauchen.“
 

Nun ja, so spontan wurde das mit dem Singen dann doch nichts, zumal Chris seine liebe Mühe hatte, seine Kaffeetasse zu retten, als Easy ihren Kopf mit einem frustrierten „Klonk“ auf die Tischplatte hatte fallen lassen. Aber weil sie der Traum wirklich den ganzen Tag über nicht loslassen wollte und weil abranka die Frontfrau mit jeder Menge Motivationsschokolade bei ihrer Traumbewältigung unterstützte, kam am Ende doch noch ein brauchbarer Song heraus:
 

Finanzbeamter ist ein Traum

Die Welt umher bemerkt es kaum

Wie gut der Job, wie schön die Zahl

Addiert, geteilt, exponential
 

Ohohoho
 

Umsatzsteuer, Mehrwertsteuer

Zahlendschungel-Abenteuer

Umsatzsteuer, Mehrwertsteuer

Zahlendschungel-Abenteuer
 

Das Rechnen und die Länderkunde

Versüßt so manche Lehrerstunde

Mit Pi-Quadrat und Integral

Erstrahlt beinahe jede Zahl
 

Ohohoho
 

Mathearbeit, Notenfeuer,

Zahlendschungel-Abenteuer

Mathearbeit, Notenfeuer,

Zahlendschungel-Abenteuer
 

Rechnungen mit einem Skonto

Zahlt man heute – freut das Konto,

Buchhaltung als Elixier

Zahlen, Zahlen wollen wir
 

Ohohoho
 

Rechnung, Mahnung, das wird teuer,

Zahlendschungel-Abenteuer

Rechnung, Mahnung, das wird teuer

Zahlendschungel-Abenteuer
 

Ich wache auf, ein Alptraum nur

Ein Zahlenleben – Horror pur

Ich bleibe lieber Sorglospunk

Und trage Knöpfe auf die Bank.
 

Ohohoho
 

Ein Song, drei Punks, ein Auftritt heuer

Sorgloskonzert-Abenteuer

Ein Song, drei Punks, ein Auftritt heuer

Sorgloskonzert-Abenteuer
 

Ein Song, drei Punks, ein Auftritt heuer

Sorgloskonzert-Abenteuer

Ein Song, drei Punks, ein Auftritt heuer

Sorgloskonzert-Abenteuer
 

(Repeat and fade)

Große Ereignisse und kleine Schatten

Erwartungsvolle Spannung hatte sich über den Kontinent gelegt, alle fieberten sie dem einen, dem ultimativen Ereignis des Frühsommers entgegen. Und mittendrin, in einem kleinen schwäbischen Fleckchen, die Sorglospunks samt Entourage, Maskottchen und natürlich einem Fußball-EM-Euro-2008-tauglichen Hauptquartier. Dafür hatten Frontfrau Easy und die höchsteigene Bandmuse abranka gesorgt. War ja schließlich Ehrensache, wo man doch im Schwabenland so nah am Eurogeschehen dran war, wie das in Deutschland nur irgend möglich war. Gut, vielleicht gab es noch einen kleinen Zipfel in Bayern, der südlicher war, aber der zählte ja nicht. Auch nicht die etwa 80 Kilometer bis zur Schweizer Grenze. Im Herzen war das Hauptquartier der sorglosesten Punkband südlichster Punkt Deutschlands und somit ganz nah dran am Ball. Und wer wusste schon, vielleicht waren ja in der Schweiz und in Österreich alle Quartiere ausgebucht und irgendwelche spät angereisten Fußballstars mussten deswegen ins benachbarte Deutschland ausweichen… Da würde sich doch bestimmt noch eine Luftmatratze auf dem WG-Dachboden finden lassen. Oder man bot einfach den Vorgarten als Trainingsplatz an. Zum Torschießen könnte man ja dann Lenns Philosophenfass nehmen. Dann hätte der Bandphilosoph wenigstens ordentlich was zu philosophieren.
 

Wen wunderte es da also, dass Easy in mühevoller Kleinarbeit die Post-its an den Wänden zu wahren Fußball-Mosaik-Kunstwerken neu angeordnet hatte – die darauf verewigten Songtexte waren eh schon verinnerlicht und was so Notizen wie „Bitte neues Brot einkaufen“ betraf, so waren die sowieso dauerhaft überholt – und abranka fleißig in alle Schrankschlüsselreiden, Blumenvasen, Schirmständer, herumstehende Konzertgitarren, Blockflöten, Topfpflanzen, etc., etc. Deutschlandfähnchen gesteckt hatte. Ganz zu schweigen von dem Nachmittag, den die beiden fußballverrücktesten Mitglieder dieser WG damit verbracht hatten, mit Hilfe eines Eddings einer ganzen Wagenladung Tischtennisbällen zu einer neuen Fußballoptik und damit einem neuen Deko-Leben zu verhelfen. (Erst als Bluesspezialist Chris freudestrahlend und glückselig durch die Wohnung tanzend – Umeko hatte ihm gerade verkündet, dass sie sich für eine Praktikumsstelle in Deutschland beworben hatte – auf den neuen schwarz-weißen Gefährten ausgerutscht und dabei beinahe in seine geliebte Lady Guitar gerauscht wäre, hatten die beiden Bastler eingesehen, dass sie wohl genug Mini-Fußbälle produziert hatten.)

Einzig Nifen hatte sich von dem Fußballfieber bislang reichlich wenig anstecken lassen, sondern sich schlicht mit einem „ruft mich, wenn wir das Viertelfinale erreicht haben“ in ihr Büro verzogen. Schließlich gab es da ja auch noch einen Altador-Cup, auf den es sich vorzubereiten galt, und das war viel (un)wichtiger. Aber die pseudo-ablehnende Haltung der Managerin zählte ja eh nicht, auf die Dauer würde auch sie sich nicht dem Wahnsinn entziehen können und garantiert spätestens am achten Juni mit den anderen Mitgliedern der Band auf dem Sofa sitzen und ihre Jungs anfeuern. Und wenn sie dafür die Internetleitung kappen müssten!
 

Noch aber war es nicht soweit, noch herrschte Ruhe vor dem Sturm und noch saß Easy mit Kiwi allein auf dem Sofa und übte mit dem Maskottchen die Laola-Welle. Schließlich war Kiwi die intelligenteste Katze unter den Maskottchen und als solche würde sie sicher stolz die Katzen-Laola-Welle durch das heimische Wohnzimmer anführen wollen. Also hieß es üben, üben, üben, damit auch jede noch so kleine Pfotenbewegung saß.

Kurz bevor die Bandkatze davor war, sich einen echten Muskelkater einzuhandeln – den hätte sie dann selbst fleißig trainiert und auf Easy losgelassen – verkündete das Klicken des Schlosses an der Eingangstür das Ende der Übungsstunde. Jack, die Drummerin der Band und sonstiges musikalisches Allroundtalent, hatte gemeinsam mit abranka und Chibichi, dem Teufel höchstpersönlich, noch einen Abstecher zum WWWB-Markt gemacht, um sicher zu stellen, dass ihnen während des Fußballgroßereignisses nicht so lebenswichtige Dinge wie Schokolade, Kaffee oder Chips – von dem allgegenwärtigen Brot ganz zu schweigen – ausgingen.

„Wir sind wieder da!“, rief Jack auch gleich bedeutungsschwer, während sie die schweren Taschen und Tüten mit den Vorräten gen Küche trug.

Aufgeregt maunzend rannte Kiwi hinterher, um zu sehen, was für Katzenfutter das Blockflötenwunder der Band für sie dieses Mal mitgebracht hatte, während Chiiiiiiii ihr beruhigend erklärte, dass sie Jack und abranka extra noch mal an das Futter erinnert hatte und auch aufgepasst hatte, dass die Tüte nicht beim WWWB-Markt zurückblieb.

So kam es, dass bei dem allgemeinen Trubel niemand den katzenförmigen Schatten bemerkte, der durch die Eingangstür gehuscht kam und sich rasch hinter dem (geschmückten) Regenschirmständer versteckte.
 

Zwei Tage später war es dann soweit. Und während im ausverkauften St. Jakob-Park in Basel die Fans auf den Beginn der Eröffnungsfeierlichkeiten warteten, wirbelte Easy hektisch durch das Sorglospunk-Hauptquartier. Es gab ja noch so viel zu erledigen! Es mussten alle Thermoskannen mit Kaffee gefüllt werden (damit man nicht im entscheidenden Moment in Versuchung geriet, in der Küche Nachschub zu holen und dann am Ende den Einmarsch der Spieler, das erste Foul oder gar die erste Torchance verpasste, vom eigentlichen Tor ganz zu schweigen), ein paar belegte Brote vorbereitet, die Chips und die Schokolade in Reichweite des Sofas positioniert werden – aber keineswegs in der Rennbahn zum Badezimmer, denn schließlich war selbst in der Halbzeitpause jede Sekunde kostbar, besonders dann, wenn man nicht die einzige war, die dringend auf die Toilette musste – und vor allem die Fernbedienung hinsichtlich der Leistungsstärke der Batterien überprüft werden. Von dem passenden Outfit, das es anzuziehen galt ganz zu schweigen. Und weil Deutschland heute noch nicht spielen würde, gebot die geographische Nähe, dass man zu der Schweizer Mannschaft hielt, also das rote T-Shirt und bloß eine kleine Deutschlandfahne auf die Wange geschminkt.
 

Plötzlich gellte ein durchdringender, spitzer Schrei durch die sonst so sorglose WG!

Augenblicklich versammelten sich alle in der Küche. Sogar Nifen kam, trotz der akuten Fußballfieber-Ansteckungsgefahr, aus ihrem Büro geschossen.

„Easy, was ist los?“, fragte abranka die kalkweiße Leadsängerin.

Noch immer am ganzen Körper zitternd, deutete Easy auf ein harmlos aussehendes, frisch geöffnetes Päckchen Kaffeepulver.

Argwöhnisch betrachteten die Versammelten erst die Packung, dann Easy und dann wieder die Packung, ehe sich Nifen ein Herz fasste und den Kaffee genauer unter die Lupe nahm.

„Eewwww!“ Eindeutig hatte sie zuletzt in ihrem englischen Chat gesurft. „Scheint als hätte die Packung irgendwie Feuchtigkeit gezogen. Das hier drin sieht aus wie der Kaffeefilter nach unserem letzten Urlaub.“ Im Eifer des NASA-Expeditionsgefechts hatte die Truppe nämlich den letzten Kaffeefilter in der Maschine vergessen und dieser hatte munter vier Wochen lang mit allen Schimmelsporen in der Luft Freundschaft geschlossen.

„Alles halb so wild“, versuchte abranka Easy zu trösten. „Zum Glück hat Jack ja mehr als nur das eine Päckchen mitgebracht. Nehmen wir einfach das nächste und dieses hier reklamieren wir beim nächsten Besuch im WWWB-Markt.“

Doch auch das zweite Päckchen lächelte ihnen bläulich-grün entgegen, und das dritte und das vierte und das fünfte und das sechste und das.... Kurz und gut, alle Päcken waren innen drin verschimmelt.

„Hehehehehe!“ Ein feines, leises, fieses Lachen schwebte durch die Luft; nicht von dieser Welt und somit allenfalls von Kiwi, abranka oder Chiiiiiiii wahrnehmbar, aber diese drei waren gerade zu sehr mit der aktuellen Krise beschäftigt, als dass sie diesen unirdischen Laut gehört hätten. Schließlich galt es Easy davon zu überzeugen, dass selbst wenn alle Kaffeevorräte der Welt verschimmelt waren, es noch lange nicht die Apokalypse bedeutete, diese sei nämlich in vertraglich festgelegter Übereinkunft zwischen Himmel und Hölle erst für das Jahr 2222 (nach muslimischem Kalender) geplant. Und während Muse und Teufel die Frontfrau damit zu trösten versuchten, dass man an diesem Tag halt einfach auf die eiserne Reserve in Form von löslichem Kaffee zurückgreifen würde, machte sich Kiwi mit dem Felinopyximatic 2000 daran, systematisch alle Dosen Katzenfutter zu öffnen, um sicherzustellen, dass ihr Futter nicht auch von dem mysteriösen Schimmelbefall betroffen war. Doch bis auf die Tatsache, dass sich ihr aus unerfindlichen Gründen das Fell aufstellte, war in dem von Futter und Schlaf geprägten Universum des Maskottchens alles in Ordnung.
 

Eine halbe Stunde später war die Küche wieder aufgeräumt und angesichts des stetig runterzählenden Countdowns hatte sich Easy dann doch mit löslichem Instant-Kaffee zufrieden gegeben. Denn jetzt galt es erst mal Posten zu beziehen. Couch – wir kommen!

Plötzlich hallte abermals ein durchdringender, spitzer Schrei durch die WG, dieses Mal aber in vierfacher Lautstärke. Erneut kam Nifen aus ihrem Büro gestürzt – sie hätte eben gleich dableiben sollen – nur um zu erfahren, dass der Fernbedienung die Batterien fehlten.

„Und? Dann tut ihr eben neue rein, oder bedient den Fernseher auf die altmodische Art und Weise direkt am Gerät.“

Oh, oh! Das hätte die Managerin wohl besser nicht so lapidar in die Runde werfen sollen. Denn prompt wurde sie mit aller Deutlichkeit darüber aufgeklärt, dass eine Bedienung am Gerät gar nicht in Frage käme, weil dann ja immer einer durch das Bild liefe und so mindestens einem Sofa-Fußball-Fan die Sicht auf weltbewegende Fußballereignisse nehmen würde. Nicht auszudenken, wenn ausgerechnet dann ein Tor fiele. So ignorant und herzlos konnte doch wohl mal bitte niemand sein!

Was allerdings den Vorschlag von Ersatzbatterien betraf, so wurde dieser schon gnädiger aufgenommen, weshalb Jack und Chris auch gleich auf die Suche nach neuen Batterien das ganze Sorglospunk-Hauptquartier auf den Kopf stellten. Nur, um schließlich einsehen zu müssen, dass sie zwar so ziemlich alles an Batteriesorten vorrätig hatten, nur nicht die dünnen AAA-Batterien für die Fernbedienung. Noch nicht mal abranka hatte welche in ihrer sonst für alle Notfälle gerüsteten Musenwolke.

Easy, schon einem Herzkoller nah, japste bloß: „Supermarkt... neue...“, während sie in ihre Schuhe stürzte, um zum nächsten Endverbraucherversorger zu hetzen.
 

„Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!“ Das Wehgeheul war sogar bis ins heimische Wohnzimmer zu hören. Ausgerechnet an diesem Tag hatte der örtliche Discounter und einzige Supermarkt am Platz wegen der Fußball-EM früher geschlossen.

„Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii! Die sind soooooooooo gemein!“ Schluchzend klammerte sich Easy, nach einem schier endlos scheinenden Rückweg, wo die Füße vor lauter Niedergeschlagenheit mit jedem Schritt schwerer geworden waren, an den Teufel.

Und selbst abranka war mittlerweile der Verzweiflung nahe – ein für Musen eigentlich nahezu unmöglicher Gemütszustand. Auch ihr entrang sich ein mitleidig flehendes „Chiii!“, das den Teufel wohl zu einer wie auch immer gearteten Rettungsaktion inspirieren sollte. Was bei so materiellen Dingen wie Batterien meist auf einen Expresstrip zum WWWB-Markt hinauslief.

„Sorry Leute, aber der Wundbar-Wundersames-Wunderbar-Billig-Markt hat heute wegen Inventur geschlossen“, erklärte Chibichi schließlich leise.

„Hehehehehe!“ Und wieder lag dieses fiese, unirdische Lachen in der Luft. Doch dieses Mal verhallte es nicht ungehört.

Augenblicklich richtete sich Chibichi zu ihrer wahren dämonischen Größe auf, und auch abranka suchte ihre spitzesten Pfeile für die stumpfsten Ideen – so sinnfrei, dass es nur wehtat – heraus. „Murphy!“, polterte das Höllenoberhaupt dann laut und vernehmlich.

„Murphy? Klar, kann man wohl sagen. Alles was schief gehen kann, geht auch schief“, murmelte Nifen wenig hilfreich.

Chibichi aber ließ sich von diesem Zwischenkommentar nicht ablenken. „Murphy, komm sofort raus, du räudiger Fellball von einem Dämonenkater!“

Und tatsächlich erschien plötzlich hinter der großen Topfpflanze ein schwarzer, katzenförmiger Schatten, teilte sich, verdichtete sich und dann stand auf einmal der schwarze Kater, den Kiwi seinerzeit im WWWB-Markt kennengelernt hatte, samt seinem Schatten im Sorglospunk-Wohnzimmer.

Überrascht starrte ihn die ganze WG an, während Kiwi nicht recht wusste, ob sie sich über das plötzliche Wiedersehen freuen oder den frechen Eindringling anfauchen sollte.

Derweil hatten Teufel und Dämon stumme Zwiesprache gehalten. Schließlich seufzte Chibichi und sagte kopfschüttelnd: „Also gut, meinetwegen kannst du hierbleiben und mit uns die EM schauen. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass du die Batterien wieder rausrückst und morgen neuen Kaffee kaufst. Und wenn dich Kiwi attackiert, werde ich nicht eingreifen.“

Kurzes, bedeutungsvolles Schweigen.

„Oh nein, mein Lieber, nichts da mit Dämonenkräften. Die habe ich vorübergehend gebunden. Du wirst also auf die altmodische Art und Weise Kiwi von deinem Charme überzeugen müssen.“
 

Und so kam es, dass die Sorglospunks dann doch noch rechtzeitig zum Eröffnungsspiel Schweiz gegen Tschechien den Fernseher einschalten konnten. Sogar Nifen hatte schlussendlich beschlossen, für die nächsten neunzig Minuten Altador Cup Altador Cup sein zu lassen und stattdessen Fußball zu sehen...

Zu erfolgreich

Es war ein ganz normaler Tag in der Sorglospunks-WG, und mit normal war dieses Mal wirklich normal gemeint. Wenn man mal davon absah, dass der Teufel höchstpersönlich in der Küche saß und mit Frontfrau Easy bei einer Tasse Kaffee plauderte. Aber überall auf der Welt war Sommer, was gleichbedeutend mit Sommerloch war und entsprechend wenig gab es für die Höllenfürstin zu tun und ein Besuch bei den Sorglospunks war noch immer das bewährteste Mittel gegen aufkeimende Langeweile.

Also, wie gesagt, es war ein ganz normaler Tag im Hauptquartier dieser sorglosesten aller Punkbands.

Gitarrist Chris und Managerin Nifen balgten sich im Büro der Managerin um den schnellen PC – ersterer wollte eine möglichst zeitnahe und vor allem von anderen Bandmitgliedern ungestörte Bildübertragung beim Chat per Webcam mit Umeko genießen, während letztere dagegen hielt, dass es ja wohl mal ihr Büro und folglich ihr PC sei und überhaupt würde Yooyuball, das Spiel beim Neopets-Altador-Cup schlechthin, am besten auf schnellen Rechnern funktionieren. Wie sollte sie sonst bitte ihren Schnitt von über sieben Toren pro Spiel halten, wenn sie mit dem PC im Wohnzimmer vorlieb nehmen sollte? Und überhaupt, wer wusste schon, ob nicht zwischendurch eine wichtige Mail mit einem neuen Auftrittsangebot für die Band im Postfach landete, die sie dann umgehend beantworten müsste? Nun ja, man kann sich in etwa das Wortgefecht ausmalen.

Kiwi, das genialste Bandmaskottchen der Welt, lag in der Küche auf der Fensterbank, ließ sich die Sonne wärmend auf den Pelz scheinen und trug von Zeit zu Zeit miauend etwas zur Unterhaltung von Chi und Easy bei, wobei der Teufel jedes Mal so freundlich war, das Gesagte prompt zu übersetzen. Denn bislang waren noch alle Versuche, Easy und dem Rest der Truppe katzisch beizubringen, kläglich gescheitert.

Draußen, im Vorgarten des Hauptquartiers, hatte sich Bandphilosoph LennStar in seinem Fass verschanzt. Ohne Internetkabel und Kaffeemaschine war das noch immer der beste Ort um ungestört über die Welt, die Band, deren Erfolg und Pistazieneis zu philosophieren.

Jack, das Percussionswunder der Band, hatte nach dem letzten Besuch der drei Furien beschlossen, etwas mehr über diese Damen in Erfahrung zu bringen und betrieb im Wohnzimmer ein wenig Recherche in Eigenregie. Ja, genau, am langsameren PC der Band, aber weder Chris noch Nifen wussten, dass der Ausweichrechner somit eh schon besetzt war.

Und die höchst eigene Bandmuse abranka? Die war wie jeden Mittwoch auf ihrer Wolke zum Olymp gedüst, um ihr dortiges Postfach zu leeren. Meist fanden sich dort nur Werbeflyer befreundeter Musen, die auf irgendwelche Öffentlichkeitsauftritte ihrer Schützlinge hinweisen wollten und einmal im Monat der ‚göttliche Wolkenbote’, sowie ein paar Kataloge von Online-Wolkenzubehör-Versandhäusern. Gelegentlich aber war auch wichtige Post darunter, etwa wenn die nächste Wolkeninspektion anstand, oder eine Nominierung zur Muse des Jahres oder so.

Alles ganz normal also. Bis...
 

... abranka von ihrem Briefkastentrip zurückkehrte.

Man sah sofort, dass etwas im Argen lag, war die Muse doch beinahe so weiß im Gesicht wie die Wolke, auf der sie schwebte.

„abranka! Was ist los?“, fragte Chris erschrocken. Er hatte das Wortduell gegen Nifen verloren und war auf dem Weg ins Wohnzimmer gewesen, als die Bandmuse heimgekehrt war.

Seine besorgten Worte riefen augenblicklich den Rest der Truppe auf den Plan. Denn wenn etwas mit der Muse nicht stimmte, dann bedeutete das höchste Alarmstufe. Ohne Muse, das wussten sie mittlerweile, gab es einfach Situationen, denen die Band nicht wirklich gewachsen war, und selbst wenn sie – aus welchem Missgeschick auch immer – mit heiler Haut herauskamen, würde es sie definitiv meilenweit auf der Erfolgsstraße zurückwerfen. Alles in allem also kein wirklich empfehlenswerter Zustand.

Doch erst nachdem Easy abranka zu einem Kaffee und einem extra großen Schokoladenkeks verholfen hatte, rückte die Muse langsam mit der Sprache raus. Das Erste, was sie sagte, war ein mattes „Wir waren zu erfolgreich!“.

Darauf folgte erst einmal allgemeines Schweigen, denn keiner wollte so recht verstehen, wie man zu erfolgreich sein konnte, wenn sie doch im Grunde von einem Auftritt zum nächsten lebten.

„Ich fürchte, du musst uns da schon ein wenig auf die Sprünge helfen“, sagte Jack schließlich, während Chibichi sich heimlich fragte, ob das irgendwas mit dem Endzeit-Konzert zu tun hatte, das ja aber noch gar nicht stattgefunden hatte... irgendwie... zumindest insofern als sich die Band des Erfolges nicht bewusst war.

abranka holte tief Luft, ehe sie erklärte: „Wir waren so erfolgreich, dass die Band sich für die triolympischen Spiele qualifiziert hat.“

„Trio-was?“

„Ach stimmt ja, hab ich ganz vergessen, dass die bald sind.“

„Wofür haben wir uns qualifiziert?“

„Kann man das irgendwie gewinnbringend vermarkten?“

„Miau!“

„Müssen wir da mitmachen?“

„Moment mal!“, unterbrach da Nifen das allgemeine Chaos. „Chi, du wusstest davon?“

Der Teufel zuckte mit den Schultern. „Ich wusste nicht, dass ihr euch qualifiziert habt, ich wusste nur, dass die Spiele bald sind, hatte den genauen Termin aber vergessen. Finden ja schließlich nur alle 333 Jahre statt. Spätestens, wenn mein Handy-Terminkalender sich gemeldet hätte, wäre es mir wieder eingefallen.“

„Also schön, und was sind diese triolympischen Spiele?“, wollte LennStar wissen.

Da abranka sich mittlerweile wieder soweit gefasst hatte – und einfach mit einem resignierten Seufzen akzeptiert hatte, dass sie wohl oder übel die Band da durch manövrieren musste – übernahm sie die Erklärung. „Nachdem die antiken Griechen untergegangen waren, und die Römer kurz nach ihnen, lag auf dem Olymp der Sportsektor ziemlich brach. Was heißt, dass all die Götter, Halbgötter, Götteranverwandten, Engel, Musen, aber auch Dämonen, Teufel, Feen, Elfen, Kobolde, etc., etc. ziemlich schnell Fett ansetzten, unansehnlich und faul wurden... Kurz, die gesamte über- und unterirdische Abteilung stand davor zu hässlichen Couch-Potatoes zu verkommen. Und das alles, weil sie keine Sportler mehr hatten, die sie aktiv anfeuern konnten, die sie beflügeln konnten, die sie sabotieren konnten, die sie was auch immer konnten, und dabei hübsch fleißig die Nektar- und Ambrosia-Grillparty-Kalorien verbrennen. Und bis zu den anstrengenden Kreuzzügen der Christen waren es noch ein paar Jahrhunderte hin. Gut, die Völkerwanderungen standen kurz bevor, aber das war mehr ein schleichender Prozess und somit nicht als göttliches Trainingsprogramm zu gebrauchen. Weshalb Himmel und Hölle, Olymp und Tartaros sich zusammensetzten, um ihre eigenen Sportspiele ins Leben zu rufen. Da sich aber inzwischen bereits ein gewisses Phlegma eingeschlichen hatte, beschloss man, einen größeren Zeitraum zwischen den Spielen, statt der bislang üblichen vier Jahre, einzulegen. Letztlich war es die Vorliebe der Leute aus dem Himmel für die Zahl Drei, dass alles bis zum heuten Tag irgendwie mit selbiger Ziffer zu tun hat. Zeitraum ist also 333 Jahre zwischen den Spielen, sie heißen nicht olympische Spiele, sondern triolympische Spiel und die Mannschaften müssen aus drei mal drei Athleten bestehen, die wiederum drei verschiedenen Gruppen zugeordnet sein müssen.“

„Und wie passen wir da rein?“, fragte Easy neugierig.

„Nun ja, eine der Ideen dieser triolympischen Spiele war gewesen, den Kontakt zwischen Göttern und Menschen beizubehalten, aber in dem Maße, wie sich die monotheistischen Religionen in der Welt durchsetzten, nahm auch die Fähigkeit der Menschen ab, mit all den übersinnlichen Wesen umzugehen. Gerade bei den Spielen, die ins Mittelalter fielen, war es schwer Menschen zu finden, die bereit waren, an uns zu glauben und sich nicht hinterher geißelten oder so, um bei Gott Vergebung zu erlangen. Obwohl ihr Gott ja mit von der Partie war...“ abranka schüttelte den Kopf.

„Der aufgeklärte, moderne Mensch ist übrigens nicht viel besser“, warf Chibichi ein. „Der glaubt einfach an gar nichts mehr.“

„Wie dem auch sei“, nahm die Bandmuse den Faden wieder auf, „habt ihr euch mit eurer offenen Art und nicht zuletzt im Umgang mit Chi und mir für die triolympischen Spiele qualifiziert. Außerdem besteht die Band an sich aus drei Menschen, womit auch schon der erste Mannschaftsteil erfüllt wäre.“

Wieder herrschte erst einmal Schweigen, waren das doch ganz schön viele Informationen, die da auf die WG eingeprasselt waren.

„Ähm, du sagtest, dass die Band selbst den ersten Mannschaftsteil erfüllt, wie sehen denn die anderen beiden Mannschaftsteile aus?“, wollte Nifen schließlich wissen.

„Drei Übersinnliche und drei Mitglieder, die mit den menschlichen Athleten auf eine wie auch immer geartete, enge Weise verbunden sind“, erklärte Chibichi.

„Übersinnliche? So wie abranka und du?“, fragte Easy.

„Dann brauchen wir ja nur noch einen weiteren Übersinnlichen und dieser Mannschaftsteil wäre auch komplett“, sagte Jack, zwar nicht gerade begeistert davon, zu irgendwelchen Sportspielen verpflichtet worden zu sein, ohne recht zu wissen, was sich dahinter verbarg, aber mit dem Teufel an ihrer Seite und abranka auf der Wolke würde es schon nicht all zu schief gehen.

Chibichi schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, ich kann nicht bei euch in der Mannschaft mitmachen. Ich sitze zusammen mit dem Rauschebart, Zeus und Hades im Komitee und muss die Improvisationsnummer für die Abschlussfeier der einzelnen Mannschaften bewerten.“

„Wie, du lässt uns im Stich, Chiiiiiiiiiiiiii?“ Augenblicklich hatten die Augen der sonst so sorglosen Frontfrau Ausmaße von Untertassen angenommen, in denen schon eine verdächtige Tränen-Sintflut glitzerte.

„Nein, so würde ich das auch wieder nicht sagen“, erwiderte Chibichi abwehrend, war aber gleichzeitig zuversichtlich sogar Easy dazu bringen zu können, ihr nicht böse zu sein, weil sie als Teufel nun mal im Komitee sitzen musste. „Schließlich ist es für euch nur von Vorteil, wenn ich im Komitee sitze. Niemand erwartet ernsthaft, dass der Teufel objektiv bewertet, sprich, ich kann euch jede Menge Punkte zuschustern.“

So betrachtet machte es natürlich wirklich mehr Sinn, wenn Chi mit dem Rauschbart die Jurybank drückte.

„Aber wen sollen wir dann neben abranka als Übersinnlichen in die Mannschaft holen?“, fragte Chris und Jack schloss sich an: „Und was ist mit den anderen drei?“

„Die anderen drei sind relativ einfach. Da können wir Nifen, Lenn und Kiwi nehmen“, sagte abranka rasch.

Entgeistert sah Nifen die Muse an. Sie war ja wohl mal mit Abstand die Unsportlichste aus der WG und nun sollte sie bei so was wie den triolympischen Spielen mitmachen? Das konnte doch nur in einer verletzungsreichen Katastrophe enden, denn sie bezweifelte sehr stark, dass Yooyuball oder ihretwegen auch Zwei-Km-Badesee-Planschen als triolympische Disziplinen vorgesehen waren. Aber jeglicher Einwand von Seiten der Managerin wurde von Easys begeistertem Quietschen im Keim erstickt.

„Kiwi kann auch mitmachen? Ja? Ja??“

„Aber natürlich“, erwiderte Chibichi und versuchte Easy davon abzuhalten, ihr Maskottchen vor Freude kaputt zu knuddeln. „Schließlich ist das eine Veranstaltung von Himmel, Hölle, Olymp und Tartaros, und da Dämonen als Athleten zugelassen sind, schließt das Tierdämonen mit ein, was wiederum bedeutet, dass man die nicht dämonischen Tierverwandten nicht prinzipiell ausschließen kann, weil das sonst Diskriminierung wäre. Allerdings müssen die Tierathleten eine Art Intelligenztest bestehen. Was bei Kiwi aber kein Problem ist. Mit ihrem Ausflug in den WWWB-Markt hat sie schon zu Genüge bewiesen, dass sie mehr als intelligent ist.“

„Miau!“, bekräftigte Kiwi diese letzte Aussage, war sie doch schließlich genial.

„Hey, wenn das so ist, könnten wir dann auch Murphy in unser Team holen?“, fragte Jack. „Der zählt doch auch als Übersinnlicher, oder? Und für eine Gelegenheit, mit Kiwi zu flirten, macht der bestimmt bei uns mit. Abgesehen davon, wenn er bei uns im Team ist, kann er nicht für eine andere Mannschaft rekrutiert werden. Denn wenn ich das mit Murphy und seinen Gesetzen richtig verstanden habe, dann funktionieren die nicht, wenn man auf Murphys Seite steht. Sprich mit Murphy an Bord geht bei uns alles glatt und bei den anderen Teams schief!“

„Tolle Idee!“, sagte abranka anerkennend und überging ein weiteres Mal die noch immer vor sich hingrummelnde Bandmanagerin, während Kiwi indigniert maunzte, schätzte sie es doch gar nicht, als Lockmittel für besagten Katzendämon missbraucht zu werden. „Dann brauchen wir nur noch einen Übersinnlichen und die Mannschaft ist komplett.“

„Warte, ich glaub, ich hab die Lösung“, mischte sich Chibichi wieder ein und zückte ihr Handy. „Ich frag einfach Oma!“

Die anderen nickten begeistert, war des Teufels Großmutter doch fast so gut wie den Teufel selbst in der Mannschaft zu haben.

«Mäuschen! Wie schön, dass du dich auch mal wieder meldest. Wie geht es dir? Hab ich dir schon erzählt, wie...»

„Oma?“, unterbrach Chibichi den großmütterlichen Wortschwall. „Du weißt doch, dass die triolympischen Spiele vor der Tür stehen. Und da wollte ich fragen, ob du bei den Sorglospunks in der Mannschaft mitmachen willst.“

«Die triolympischen Spiele? Ist es schon wieder so weit?», fragte des Teufels Großmutter scheinbar desinteressiert zurück. «Ach Mäuschen, du weißt doch, für gewöhnlich trete ich da mit Dornröschen und den sieben Zwergen an...»

„Das kriegst du jedes Mal aber auch nur beim TOK durch, weil du glaubhaft versicherst, Hatschis Niesen würde deine Blumen im Garten besser wachsen lassen und Happys Grinsen sei so ansteckend, dass sogar die Katzen im angrenzenden Wunderland deswegen grinsten – allen voran ein gewisser Grinsekater – und die beiden Zwerge folglich als Übersinnliche zu werten seien“, konterte Chibichi ungerührt. Sie kannte schließlich das ganze Repertoire an Ausreden auswendig.

«Aber du musst doch zugeben, dass der Grinsekater wirklich grinst und meine Blumen im Garten die schönsten der ganzen Nachbarschaft sind.»

„Klar, bei der großen Konkurrenz...“ Chibichi verdrehte die Augen, wohnte ihre Großmutter doch mindestes drei Märchenmeilen von der nächsten Behausung entfernt. „Aber mal im Ernst Oma, du hast hier die Chance in die Geschichte einzugehen... von dem ganzen Sorglospunks-Merchandise, den du dabei abstauben kannst, ganz zu schweigen.“ Als höllische Enkelin wusste Chi nur zu genau, dass Oma seit dem apokalyptischen Konzert der Band alles von den Sorglospunks sammelte und alles, was sie doppelt hatte, bei einschlägigen Online-Märchen-Auktionsplattform vertickte. Oma eben.

Kurzes Schweigen, dann tönte aus dem Handy nur noch ein «Okay, ich mach mit. Bin gleich da.» und schon war in der Leitung nur noch ein leeres Tuten zu hören.

„Das wäre geklärt“, sagte Chibichi zufrieden und packte ihr Mobiltelefon weg.
 

Fünf Tage später war es bereits soweit. Mit einer Laune, die je nach Mitglied zwischen missmutig grummelnd und freudig erregt schwankte, folgte die Mannschaft der Sorglospunks einer aufgekratzten Muse, die beim ‚Einmarsch der Nationen’ enthusiastisch von ihrer Wolke herab die schwarzgrundige Fahne mit dem blau geflügelten Gitarrenlogo schwenkte.

„Ich will endlich wissen, worin ich mich vor allen Unsterblichen blamieren muss“, maulte Nifen. Denn eine der Regeln der triolympischen Spiele besagte, dass die Sportarten jedes Mal andere sein mussten und erst bei der Eröffnungsfeier bekannt gegeben würden, damit keine Mannschaft durch entsprechende Wahl der Übersinnlichen einen Vorteil gegenüber den anderen Teams hatte.

Plötzlich blieb Easy stehen, und zwar so abrupt, dass Jack, die hinter ihr lief, mit ihr zusammenstieß. „Hey, was ist los?“, fragte die Drummerin wenig begeistert ob des unfreiwilligen Halts.

„Da!“, brachte Easy bloß hervor und zeigte mit zitternder Hand in Richtung einer der anderen Mannschaften, die bereits auf dem Feld standen.

Den Blick in die angegebene Richtung wendend, hatten auch die anderen rasch entdeckt, was die sonst so sorglose Frontfrau aus der Fassung gebracht hatte.

„Shit!“, entfuhr es LennStar und die anderen konnten dem nur zustimmen. Denn dort auf dem Feld, zwischen den unterschiedlichsten Teams, standen ausgerechnet Alekto, Megaira und Tisiphone, die drei Furien, welche die Sorglospunks auf dem Kieker hatten und der Band bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit Schwierigkeiten bereiteten.

„abranka!“, zischte Chris so unauffällig wie möglich, um der Muse zu signalisieren, dass sie hier ein kleines Problem hatten und sie bitte nicht so schnell vorweg marschieren sollte. Sofern man bei auf Wolken schwebenden Musen von marschieren sprechen konnte.

„Wer ist das da bei den Furien?“, fragte Nifen, nun von dem Problem der noch nicht bekannt gegebenen Disziplinen abgelenkt.

„Ist das nicht Sisiphos? Der mit diesem Steinbrocken, den wir in der Hölle gesehen haben?“, fragte Chris und deutet auf den muskulösen Mann, der direkt hinter Alekto stand.

„Ja, ist er“, nickte abranka, die sich mittlerweile von ihrem Fahnenträgerhoch wieder in der Realität eingefunden hatte. „Und der Mann neben ihm ist Daidalos, der Vater von Ikaros. Ui, und da ist ja auch Ganymed!“

„Hach, und er sieht noch genauso gut aus, wie damals, als ich jung war“, ließ sich Oma seufzend vernehmen.

„Miau!“, gab Murphy lachend seinen Senf dazu.

„Natürlich weiß ich, dass die Götter auf dem Olymp ihren schönen Knaben nicht alt und runzelig lassen werden“, sagte Oma zu dem Dämonenkater. „Aber festzustellen, dass er immer noch zum niederknien schön ist, wird ja wohl noch erlaubt sein.“

Vollkommen desinteressiert, was den Dialog zwischen Oma und Murphy betraf, hatte sich LennStar zu abranka vorgearbeitet. „Weißt du auch, wer die anderen drei sind, die ebenfalls diese lila Kutten mit den giftgrünen Blitzen tragen?“ Tatsächlich war das Trikot der Furien-Mannschaft ausgesprochen augenkrebserregend.

„Noch nicht“, erwiderte die Bandmuse leise, „aber sobald wir unseren Platz auf dem Feld erreicht haben, werde ich mein Wolken-LAN aktivieren und mir aus dem Olymp-Wide-Web das aktuelle Mannschaftsregister herunterladen.“

Gesagt, getan. Kaum hatte das Team seinen Platz auf dem Feld erreicht, wo sie nun darauf warten mussten, dass sich die übrigen Mannschaften einfanden und das TOK endlich die Disziplinen verkündete, loggte sich abranka in das Informationsnetz von Himmel und Hölle ein.

„Das darf doch nicht wahr sein“, stöhnte sie leise. „Wobei, eigentlich sollte mich das bei dem alten Schwerenöter nicht wundern.“

„Was ist?“, fragte Nifen besorgt.

„Die drei Menschen in der Furienmannschaft... Das sind alles Urururururururururururururururururururururururururururururururururururur-

urururururururururururururururururururururururururururururururururururur-

urururururururururururururururururururururururururururur-Enkel von Daidalos.“

„Die haben tatsächlich Nachkommen von Daidalos ausfindig gemacht?“ LennStar war gegen seinen Willen beeindruckt.

abranka zuckte nur mit den Schultern. „Moderne DNS-Analsyse macht es möglich. Zumal die Furien ja Originalproben des Urahnen anschleppen konnten. Ist aber irgendwie auch logisch, dass sie sich auf Daidolos versteift haben. Bei Sisiphos ist allgemein bekannt, dass seine Linie bei dem großen Brand von Rom, der auf Neros Mist gewachsen ist, endgültig untergegangen ist und Ganymed ist mehr oder weniger fest mit Zeus liiert. Sofern man bei dieser Beziehung von einer Liaison sprechen kann. Und auch wenn die Herrschaften auf dem Olymp einiges zustande bringen, Mpreg ist zum Glück selbst bei göttlicher Beteiligung nicht möglich.“ Die Muse schauderte allein bei der bloßen Vorstellung eines von Zeus schwangeren Ganymeds. Um sich von diesem Horrorszenario abzulenken, fuhr sie fort: „Und mit Megaira, Tisiphone und Alekto möchte keiner verwandt oder befreundet sein. Blieb also nur Daidalos.“

In diesem Moment ging ein Raunen durch die Sportlermenge, hatte doch endlich auch das letzte Team seine Runde durch das Stadion beendet und sich auf dem Feld in der Mitte eingefunden. Was bedeutete, dass sie nun endlich erfahren würden, in welchen Sportarten es sich dieses Mal zu messen galt.
 

„Was bitte sollen das denn für Sportarten sein?“, fragte Jack aufgebracht, als sie zwei Stunden später im Mannschaftsquartier beisammen saßen.

„Na ja, das sind eben die triolympischen Spiele... und wenn du, wie die Götter hier, so oft beim Ringen hättest zugucken müssen, würde dich das auch nicht mehr vom Hocker reißen“, versuchte abranka das Percussionswunder zu beruhigen.

„Müssen wir alle in allen Sportarten antreten, oder reicht es, wenn jeweils einer sich auf eine Disziplin konzentriert?“, wollte Lenn wissen.

„Es reicht nicht nur, sondern ist auch zwingend vorgeschrieben“, mischte sich nun Oma ein. „Bis auf die Team-Disziplin ‚Improvisieren’ darf immer nur einer von uns pro Sportart antreten.“

„Dann will ich Mensch-ärgere-dich-nicht!“, ließ sich Nifen vernehmen. Seit das TOK die Sportarten verkündet hatte, hatte sich ihr seit fünf Tagen andauerndes Gegrummel schlagartig gelegt.

abranka, die als inoffizieller Mannschaftskapitän fungierte, sah die Bandmanagerin kurz an, nickte dann aber. Denn bei diesem Würfelspiel war Nifen beinahe unschlagbar, vorausgesetzt, sie bekam die grünen Spielsteine. Aber das durchzusetzen sollten sie ja wohl noch mal hinkriegen. Um gleich Nägel mit Köpfen zu machen, ergriff sie ihr Klemmbrett mit der Liste der Sportarten und den jeweiligen Wettkampfterminen und notierte Nifens Namen hinter dem Brettspiel.

„Okay“, wandte sie sich an die Runde, „wer von euch möchte beim Teebeutelweitwurf antreten?“

Es dauerte eine Weile, einige Tassen Kaffee und ein wenig Kompromissbereitschaft, aber am Ende fand sich jeder der Mannschaft mit einer Sportart wieder, mit der er leben konnte.

Nifen hatte sich durchgesetzt und behielt Mensch-ärgere-dich-nicht.

Easy würde den Teebeutelweitwurf übernehmen, hatte sie doch schließlich gestanden, dass sie das schon immer mal hatte ausprobieren wollen.

Beim Fassrollen hatten sich Kiwi und LennStar beinahe ernsthaft in die Wolle bekommen, schlussendlich hatte der Philosoph aber der eigenwilligen Katze ihren Willen gelassen und vertraute darauf, dass ihre vielen Trainingsstunden mit den Konservendosen ihnen im Wettbewerb weiterhalfen. Er selbst würde beim Cocktail-Shaken antreten, denn, so hatte Nifen ihm überzeugend erklärt, wäre das schließlich fast das Gleiche wie zu Hause das Bandsparschwein zu schütteln.

abranka startete beim Gummitwist-Hüpfen, denn sie hatte festgestellt, dass das triolympische Regelwerk mit keiner Silbe den Einsatz von Mini-Wolken unter den Schuhsohlen verbot. Nur die Benutzung von Flügeln war nicht gestattet.

Somit konnte Jack beim Matchbox-Autos-Aufwickeln mitmachen, während sich Oma bereiterklärt hatte, das Marathonstricken zu übernehmen.

Dass Chris sich freiwillig für das Karaokesingen gemeldet hatte, war zunächst mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden, bis Kiwi verlauten ließ, dass der Bassist gar nicht mal so übel sei, vorausgesetzt, er dürfe auf Japanisch singen. Oma, die so freundlich war, das Miauen des Maskottchens zu übersetzen, erzählte dem Rest der Band, dass die Katze es sich eines Tages wohl mal wieder in der CD-Schublade bequem gemacht hätte, als Chris mit Umeko gechattet hätte und die beiden, bei dem Versuch einem richtigen Date möglichst nahe zu kommen, einer der Lieblingsbeschäftigungen der Japaner nachgegangen wären. Und auch wenn Chris im normalen Bandalltag sich immer vor den Strophen drücke und nur den Refrain sänge, könne er bei dem japanischen Geklangsel erstaunlich gut die Melodie halten.

Somit blieb für Murphy nur noch jene Disziplin, von der Nifen bloß kopfschüttelnd gesagt hatte, dass, wer auch immer sich das ausgedacht hatte, wohl zu viele Miss-und-Mister-Pauschaltourist Shows gesehen hatte: Möglichst viele Küsse von Menschen sammeln. Aber der geflügelte Kater hatte nur dämonisch gegrinst und verkündet, dass ihm noch nie ein Mensch begegnet sei, bei dem sein ‚Ich bin ein süßer, kleiner Dämonenkater, du musst mich lieb haben’-Blick nicht gewirkt hätte.

„Wunderbar“, sagte abranka mehr als zufrieden. „Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist eine Abschlussdisziplin, bei der wir alle mitmachen können.“

„Müssen wir alle live und vor Ort und zeitgleich mitmachen, oder reicht es, wenn wir alle dazu beitragen?“, fragte Nifen mit einem inspirierten Gesichtsausdruck.

„Wieso fragst du?“ Hellhörig geworden, wandte sich die Muse der Managerin zu. Denn selbst wenn sich Nifens Idee als nicht durchführbar erwies, konnte man daran vielleicht anknüpfen.

„Na, die Disziplin heißt ‚Improvisieren’, und diese Band ist bekanntlich am besten darin, auf der Bühne zu improvisieren, was heißt, wir setzen Easy unter Songschreibdruck, was zwar nichts bringt, aber am Ende klappt es doch. Chris und Jack dürfen einfach mal ihr ‚Für alle Fälle’-Eventualitätsübungsprogramm durchziehen und der Rest arbeitet an der Bühnengestaltung“, erklärte Nifen.

„Klingt ja schon mal nicht übel... Aber was hattest du dir als Bühnengestaltung vorgestellt?“, mischte sich LennStar ein.

Das Grinsen auf Nifens Gesicht erreichte beinahe schon 360°-Ausmaße. „Etwas, das ich schon immer mal machen wollte...“ Und sie beugte sich vor, um den anderen flüsternd ihre Idee mitzuteilen. Schließlich konnte man nie wissen, welche gegnerische Mannschaft gerade beschlossen hatte, sie auszuspionieren und ihnen die Idee zu klauen. Denn die Idee war wirklich gut.
 

Trotz der eher weniger ernstzunehmenden Sportarten, nahmen alle Athleten die Wettkämpfe sehr ernst. Denn wie sich schon in der Vorrunde des Auto-Aufwickelns herausstellte, gab es genug Konkurrenzdenken zwischen den einzelnen Mannschaften, lang schwelende Feindschaften, die hier ihr Ventil fanden, um die Spiele zu einer spannenden Angelegenheit werden zu lassen.

Zwar klagte LennStar bald über einen multidimensionalen Muskelkater in den Oberarmen, während Chris ständig mit lauwarmem Salzwasser gurgelte und nur noch mit Honig gesüßten Tee trank, um seine strapazierten Stimmbänder wieder zu beruhigen, aber beide wurden damit belohnt, dass sie in die jeweiligen Viertelfinals einzogen. Besonders bei Chris war die Freude groß, denn im internen Wettkampf Furien gegen Sorglospunks führten die Sorglospunks damit 1:0, war doch Tisiphone, die für die Furien in dieser Disziplin angetreten war, gleich in der ersten Runde ausgeschieden. Denn sie vermochte zwar mit ihrem Gekreische Menschen in den Wahnsinn zu treiben, aber musikalisch begabt war sie deswegen halt noch lange nicht.

Um wieder einen Ausgleich zu schaffen, beschworen Tisiphone und Alekto einen Platzregen herauf, als Easy und Megaira zusammen mit vierzehn anderen Athleten ihre Vorrunde im Teebeutelweitwurf hatten, eindeutig in der Hoffnung, dass die sorglospunkige Frontfrau ob des plötzlich ungleich schwereren Teebeutels einen Fehlwurf hinlegen würde. Leider aber ging dieser Schuss nach hinten los, war doch Megairas Teebeutel nun ebenfalls schwerer. Allerdings nur Easys Teebeutel nass zu machen hätte gegen die Regeln der triolympischen Spiele verstoßen und zu einem sofortigen Ausschluss der gesamten Furien-Mannschaft geführt. So aber erreichten sowohl Easy als auch Megaira die nächste Runde.

Jack dagegen hatte ein leichtes Spiel, Trick beim Matchbox-Auto-Aufwickeln zu schlagen, war sie darin doch der unangefochtene Kindergeburtstagschampion. Auch wenn sie es in der Grundschule nie mit fünfhundert Meter langen Wollfäden, die es aufzuwickeln galt, zu tun gehabt hatte.

Auch Track (die Band hatte die Nachfahren Daidalos kurzerhand nach den Neffen von Donald Duck benannt) hatte keine Chance beim Mensch-ärgere-dich-nicht gegen Nifen. Insbesondere nachdem Murphy die Auslosung der Spielsteinfarben zu Gunsten der Sorglospunks beeinflusst hatte.

Der Vorentscheid im Fassrollen war dann eine erste Nervenprobe. Denn Kiwi hatte, als sie darauf bestanden hatte, dass sie diese Disziplin bekam, vollkommen außer Acht gelassen, dass die Fässer, die es zu rollen galt, deutlich größer waren als die Konservendosen, die sie sonst immer durch die WG gekullert hatte. Und so hatte sie größte Mühe das Fass überhaupt in Bewegung zu setzen. Für die Furienmannschaft dagegen sah es nach einem klaren Sieg aus, war doch ein leeres Fass zu rollen für Sisiphos nach so langer Zeit des Felsbrockenwälzens eine seiner leichtesten Übungen. Drei Schritte vor dem Ziel jedoch hielt der muskelbepackte, antike Hüne plötzlich inne und starrte das Fass abwartend an. Und egal wie laut seine Mannschaftskameraden ihn anfeuerten, doch endlich die letzten Meter zu gehen, Sisiphos war so daran gewöhnt, dass sein Stein kurz vor dem Ziel wieder zurückrollte, dass es ihm jetzt unmöglich war, die gesamte Strecke hinter sich zu bringen. So kam es, dass Kiwi zwar nicht den Einzug in die nächste Runde schaffte, aber immerhin doch noch Sisiphos überholte. Sehr zum Missfallen der Furien.
 

Die nächste, die ausschied, war abranka im Gummitwist-Viertelfinale, welches am Tag nach dem Teebeutelweitwurf-Vorentscheid stattfand. Ihre Miniwolken waren von Alektos und Tisiphones Platzregenbeschwörungsformel in Mitleidenschaft gezogen worden und konnten sie deswegen nicht mehr in ungeahnte Höhen tragen. Kleines Trostpflaster war wenigstens, dass auch Tick, der für das Furienteam angetreten war, in dieser Runde aus dem Wettbewerb ausschied.

Für Chris war im Halbfinale Schluss, denn gegen eine Sirene, die ja ein Karaoke-Profi schlechthin war, hatte er einfach keine Chance.

Nifen schaffte es zwar ins Finale beim Mensch-ärgere-dich-nicht, doch leider war Murphy zu dem Zeitpunkt zu sehr damit beschäftigt, Ganymed den hässlichsten Pickel seines Lebens zu verpassen, um dessen Chancen beim Kusswettbewerb zu verringern, um in Sachen Spielsteinfarbe helfend einzugreifen, und so erhielt die Managerin bei der Auslosung Gelb statt des gewünschten Grüns und landete auf dem undankbaren vierten Platz.

Zur Überraschung aller Zuschauer und zur großen Freude der Sorglospunks gingen sowohl Easy als auch Jack in ihren jeweiligen Wettbewerben als Sieger hervor. Vielleicht lag es ja auch daran, dass bei Megairas Teebeutel im letzten Durchgang auf unerklärliche Weise der Faden riss und der Teebeutel in die vollkommen falsche Richtung davonflog... Oder war das doch eher auf einen gewissen schwarzen Kater zurück zu führen, der von der Seitenlinie aus die Frontfrau der Sorglospunks anfeuerte?

Besagter schwarzer Kater musste sich übrigens bei seinem eigenen Wettbewerb, der in der Cevahir Shopping Mall in der Türkei stattfand, nur Helena und Adonis geschlagen geben und erreichte somit für die Band einen wirklich tollen dritten Platz.

LennStar dagegen hatte Pech, er unterlag Alekto im Finale des Cocktailshakens aufgrund eines bitterbösen Krampfes im Oberarm, der dazu führte, dass ihm der Shaker aus der Hand glitt und zu Boden fiel, ehe Murphy rettend eingreifen konnte. Während Lenn sich also, wie Nifen, mit dem undankbaren vierten Platz begnügen musste, entschied die Furie den Wettkampf für sich und holte so den ersten Sieg für ihre Mannschaft.

Mit Spannung wurde daher der Ausgang des Marathonstrickwettbewerbs erwartet. Wenn Oma gewann, dann lägen die Sorglospunks im internen Duell mit den Furien unschlagbar vorn. Was wiederum zur Hoffnung Anlass geben würde, dass diese drei Damen der Unterwelt endlich davon absehen würden, der Band weitere Schwierigkeiten zu bereiten. Oder gerade deswegen erst recht damit weitermachten. Egal wie, ein solcher Vorsprung wäre auf jeden Fall mehr als nur gut für das Ego dieser sorglosesten aller Punkbands. Würde dagegen Daidalos mit seiner sonderbaren Strick-Konstruktion Oma schlagen, dann bräuchte die Band auf jeden Fall Chibichis punkteträchtige Unterstützung bei der alles entscheidenden Improvisationsnummer. Aber auch unter den übrigen Teilnehmern dieser Disziplin gab es ernstzunehmende Konkurrenten. Etwa Ariadne, die schon in der Antike für ihre überlangen Fäden bekannt war, oder Elise aus dem Märchen der sechs Schwäne. Penelope, Gattin des Odysseus, dagegen erwies sich für ihre Mannschaft als ein ähnlicher Reinfall wie Sisiphos für die Furien. Denn aufgrund jahrelanger Angewohnheit trennte sie des nächtens alles, was sie am Vortag gestrickt hatte, wieder auf.

Am Ende siegte Daidalos knapp vor Oma, während Ariadne auf den dritten Platz verbannt wurde.

„Ach, das macht nichts“, sagte Oma, als die Band zu ihr kam, um sie dennoch für die gute Leistung gebührend zu loben. „Mäuschen wird es schon richten.“
 

Die Wettkämpfe im Gummitwist-Hüpfen waren kaum vorbei gewesen, als abranka auch schon die Halle für die Sorglospunks für ihre Improvisationsnummer gesichert hatte. Und seither hatten alle Teammitglieder jede freie Minute damit verbracht, dort die Bühne und das Bühnenbild aufzubauen. Als trotz all der Planung und all des Eifers die Zeit knapp zu werden drohte, waren sie sogar dazu übergegangen während der Wettbewerbe weiter zu bauen, und nur der jeweilige Athlet und drei Mannschaftskameraden zum Anfeuern waren zu der entsprechenden Sportstätte gegangen, während die übrigen fünf in der Halle weiter machten. Schließlich galt es Unmengen kleiner Holzklötzchen in den verschiedensten Farben ordentlichst aufzustellen. Denn ja, die Band hatte sich auf Nifens Vorschlag hin nichts Geringeres vorgenommen, als einen triolympischen Rekord für die größte Domino-Kettenreaktion aufzustellen. Gut, der Rekord wäre ihnen schon mit dem ersten Stein sicher, hatte bis dato doch noch niemand in der Geschichte der triolympischen Spiele einen solchen aufgestellt. Aber der Ehrgeiz wollte es nun mal, dass man möglichst viele Bilder, möglichst viele Steine aufbaute und im entscheidenden Moment zu Fall brachte.

Und dann war es endlich soweit. Jeden Moment würde das TOK die Halle betreten.

„Auf die Plätze Leute!“, mahnte Nifen, wieder in ihre Rolle als Managerin schlüpfend.

„Easy, was macht der Song?“, fragte abranka, wollte sie doch abschätzen, welche Inspirationsgeschütze sie auffahren musste.

Ein klein wenig verzweifelt linste die Frontfrau zu Jack und Chris hinüber, die damit beschäftigt waren, ihre Instrumente fertig zu stimmen. „Ähm, ich hab die Kernaussage und den Folgesatz für den Refrain...“

abranka nickte nur kommentarlos. So etwas in der Art hatte sie schon befürchtet, aber andererseits waren sie schon mit weit weniger bei Konzerten angetreten. Also würden vermutlich eine Handvoll Geistesblitze und eine mittlere Wolkenladung Inspirationskonfetti ausreichen. Die Utensilien herauskramend, machte sie sich nun mit ihrer Wolke auf entsprechender Höhe bereit, derweil Oma und LennStar am linken und rechten Bühnenaufgang neben Kiwi und Murphy Stellung bezogen. Die beiden Teamkatzen würden nämlich den jeweils ersten Stein der gegenläufigen Ketten starten, deren erste Bahn quer über die Bühne und dann die Treppen hinab in die Halle führte.

Schließlich nickte die Frontfrau Nifen von der Bühne aus zu und die Managerin öffnete die Hallentore, um das TOK und all die Schaulustigen einzulassen.

„Live und aus Holz, echt brennbar, zum Um- und nicht Wegschmeißen, präsentieren wir nun: Domino meets Song!“ Und schon schmetterte Easy voller Elan den Refrain, soweit er eben bereits vorhanden war, ins Mikrophon, während Kiwi und Murphy die Kettenreaktion in Gang brachten und abranka mit ihrer Effektshow dafür sorgte, dass die Band zwischen Basssolo und heißem Stakkatobeat vom Schlagzeug nicht plötzlich ohne Worte dastand...
 

„Di Da Domino

Ich setz den Stein

Ganz Comme il faut
 

Ich setz den Stein, ich stoß ihn an

Die Kette fängt zu laufen an
 

Di Da Domino

Ich setz den Stein

Ganz Comme il faut
 

Es läuft und läuft, drei Bilder schon

Laola-gleich durchs Pantheon
 

Di Da Domino

Ich setz den Stein

Ganz Comme il faut
 

Die Treppe rauf und klick, klick, klick

Die Steine fallen mit Geschick
 

Di Da Domino

Ich setz den Stein

Ganz Comme il faut
 

Der letzte Stein, dann ist es still

Und in mir tobt ein Glücksgefühl
 

Di Da Domino

Di Da Domino

Di Da Domino!“
 

Noch als die Band längst den letzten Ton des Liedes gesungen hatte, skandierte das begeisterte Publikum den Kernsatz des eindeutig neusten Hits der Sorglospunks mit nicht enden wollender Begeisterung. Und was den Ausgang des Improvisationswettbewerbs betraf, so gab es nach dieser Reaktion keinen Zweifel mehr, wer hier als Sieger vom Platz gehen würde. Was der Band in der Gesamtwertung einen überragenden dritten Platz hinter der Mannschaft der Sirenen und jener Mannschaft, zu der auch Ariadne und Helena gehört hatten, einbrachte, während die Furien, weit abgeschlagen, auf Rache sannen.

Interdimensional

Das Schwabenland – unendliche Weiten… zumindest für den regen Geist der Phantasie.

Wir schreiben das gegenwärtige Jahr.

Dies sind die Abenteuer der Sorglospunks, der imaginärsten Band diesseits wie jenseits des Rio Spätzle, die mit ihren drei Mitgliedern und ihrer treuen Crew unterwegs ist, um weltweiten und galaktischen Ruhm zu erlangen.

Weit entfernt von der für den normalen Menschen begreiflichen Realität, dringen die Sorglospunks dabei in Regionen und Dimensionen vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
 

Stakkato-artige, eingängige Klänge einer achtziger Jahre Vorspannmelodie drangen aus dem Wohnzimmer des Sorglospunks-Hauptquartiers, irgendwo im schönen Schwabenland. Dort hatte die Bandmanagerin Nifen an diesem Samstag den Kampf um die Fernbedienung gewonnen und saß nun selig grinsend auf dem Sofa, während sie einem blonden, jungen Mann dabei zusah, wie er sich mehr oder weniger elegant aus einem Lüftungsschacht herabließ. MacGyver, Held ihrer Kindheit und unangefochtener Bastelkünstler in brenzligen Situationen, flimmerte wieder über die Mattscheibe. Was kümmerte es sie da noch, dass Chris, seines Zeichens Bassist der Band, sich den schnellen Rechner unter den Nagel gerissen hatte, um mit seiner Freundin Umeko zu chatten, oder dass das Bandmaskottchen Kiwi mit den Sicherungskeilen des großen Fasses im Vorgarten, in dem der Bandphilosoph LennStar wohnte, spielte.

Wieder einmal hatte MacGyver einen brenzligen Fall, wo er die Unschuldigen retten musste und wieder einmal stand er dabei schier unlösbaren Problemen gegenüber. Wie etwa dem Raum, der mit dichten, nebelartigen Gasschwaden gefüllt war. Und obgleich Nifen diese Folge bestimmt schon drei Mal gesehen hatte – wenn nicht gar häufiger – fand sie gerade diese Aufnahmen besonders realistisch. Beinahe als würden die Nebelschwaden aus dem Fernseher herausquellen... Als dann aber dieser Nebel im Wohnzimmer, vor ihren Augen, Konturen annahm, rang die sonst so unerschrockene Bandmanagerin doch sichtlich um Fassung. In bester Fischimitation saß sie wie angewurzelt auf ihrem Platz, starrte das gespenstische Wesen an, ehe sie mit einem erstickten Schrei den Rest der Hausbewohner herbeiholte.

Nun sei an dieser Stelle erklärend hinzugefügt, dass es weniger die geisterhafte Erscheinung selbst war, die Nifen so in Aufregung versetzte, schließlich hatten die Sorglospunk schon vor einem ganzen Schloss kopfloser Menschen und auf einem Schiff voller Geisterpiraten gespielt. Und meist war es Nifen gewesen, die diese Auftritte organisiert hatte. Nein, vielmehr war es die Tatsache, dass das Nebelwesen aus dem Fernseher gekrochen kam, dem inoffiziellen Schrein der WG, der je nach Sendung dem Fußball, Regina Regenbogen-DVDS oder wie heute MacGyver gewidmet war. Konnte diese merkwürdige, durchsichtige Erscheinung nicht wie alle ungebetenen Gäste an der Haustür klopfen oder wahlweise in den Gartenteich plumpsen? Also wirklich, ein solch dramatischer Auftritt war selbst für die stärkste Sorglospunkmanagerin zu viel!

„Hey, cool! Ein Gespenst!“, freute sich Easy, Frontfrau und Songschreiberin der Band. „Willst du bei uns auf dem Dachboden spuken? Willst du? Willst du??“ Und aufgeregt besah sie sich den angeblich neusten Hausbewohner von allen Seiten.

abranka, die Bandmuse, tat es auf ihrer Wolke Easy gleich, nur um als nächstes ihr Handy zu zücken und aus dem Kurzwahlspeicher die Nummer des Teufels herauszusuchen und bei selbiger durchzuläuten. Denn wenn sie eines in den vergangenen Monaten gelernt hatten, dann dass derlei Überraschungsbesuche meist eine von zwei möglichen Ursachen hatte, und beide ließen sich am besten von der Hölle aus überprüfen. „Chi?“, fragte abranka, als am anderen Ende abgehoben wurde. „Bist du zufällig gerade im Büro?“

Das Grummeln, welches durch die Leitung zu hören war, war Bestätigung genug. Wenn Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, eines hasste, dann den lästigen Papierkram, den jede erbeutete Seele nach sich zog. Aber nur so ließ sich verhindern, dass die Herrschaften von der himmlischen Fraktion später Ansprüche auf besagte Seele geltend machen konnten.

„Fein. Hör mal, könntest du bitte mal das HPS (Höllische Positionssystem) aktivieren und uns sagen, wo Murphy und die drei Furien sind?“

Nun horchte Chibichi, irgendwo zwischen Erdkern und Oberfläche, jener Dimension, die auch als Unterwelt bekannt war, gespannt auf. Wenn abranka derartige Fragen stellte, war bei den Sorglospunks meist etwas im Busch. Und das versprach immer viel interessanter zu sein als langweilige Aktenberge.

Für ein paar Augenblicke war nur das Klappern der Tastatur aus dem Handy zu hören, dann verkündete Chibichi: „Murphy ist hier in der Hölle, wie es sich gehört, und Alekto, Megaira und Tisiphone sind auf einem Fortbildungskurs im Hades – ‚Gewaltlose Konfliktbewältigung’ und ‚Wie ich über Provokationen erhaben bin’.“ An dieser Stelle musste der Teufel lachen, hatte sie doch selbst diese Kurse extra für die drei herausgesucht. Und da Morpheus der Dozent war, die Kurse aber erst als beendet galten, wenn aller Stoff durchgenommen war, würde es noch eine ganze Weile dauern, bis die Furien wieder zurück wären. „Aber wieso fragst du?“

„Ach nichts“, meinte abranka, betont harmlos klingend. „Nur ein Geist, Nebelwesen oder so was. Das Übliche halt.“ Sie wusste genau, dass nichts den Teufel schneller auf den Plan rufen würde, wie so eine angeblich alltägliche Situation. Schließlich war Chibichi erst durch einen akuten Langeweileanfall damals auf die Sorglospunks gestoßen, und da verstand es sich von selbst, dass sie bei allem, was garantiert nicht langweilig werden würde, sofort den höllischen Eilaufzug ins Schwabenland nehmen würde.

Und tatsächlich, keine zehn Sekunden später klingelte es an der Eingangstür und Chibichi war da.

Nun waren sie schon zu siebt, wenn man Kiwi mal nicht mitzählte, die um den Geist herumschlichen, der immer unruhiger und auch ungehaltener wurde.

„Also, ich weiß nicht, irgendwie kommt mir dieses Nebelwesen bekannt vor. Nicht als Nebelwesen... Aber sein Gesicht...“, sagte LennStar und strich sich nachdenklich über seinen nicht vorhandenen Bart.

In diesem Moment beschloss das Wesen seinerseits lauthals Betrachtungen über die versammelten Sorglospunks und ihren Anhang anzustellen. „Eine Macht, zwei Anwesende mit erweitertem Geist und fünf unterhaltsame, emotionsgesteuerte Lebensformen, die mir in ihrem Aufbau vertraut scheinen...“

Es dauerte genau 1,3682940306 Sekunden, ehe jeder der anwesenden Sorglospunks die Rechnung im Kopf angestellt hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass sie selbst, Nifen und LennStar wohl die emotionsgesteuerten Unterhalter waren, womit es zumindest bei der Band richtig lag. Und es zweifelte niemand an dem erweiterten Geist von Kiwi und abranka, was Chi einwandsfrei als Macht identifizierte. Einzig LennStar und Nifen zweifelten noch an ihrem eigenen Unterhaltungswert, während abranka und Chibichi schon wieder zur Tagesordnung übergegangen waren, was bedeutete herauszufinden, wer das Nebelwesen wirklich war, wo es hergekommen war und wie sie es wieder zurückschicken konnten.

Easy, die den letzten Punkt gehört hatte, hielt in ihrem Rundgang um das Gespenst empört inne. „Wieso, das ist Kunibert, unser neues Bandgespenst. Er hat bestimmt jede Menge Kontakte ins Leben danach, die uns helfen können, die erfolgreichste Band der Welt zu werden. Und wohnen wird er auf dem Dachboden!“

Ehe Jack, Chris oder Nifen sie von der Hirnrissigkeit dieser Idee in Kenntnis setzen konnten – obwohl ein derartiges Ansinnen durchaus auf dem Mist eben eines dieser drei hätte wachsen können – mischte sich das Nebelwesen wieder ein.

„Ich mag zwar nicht wissen, wie ich heiße, oder woher ich komme, eines weiß ich ganz genau: Ich trage garantiert nicht einen so demütigenden Namen wie Kunibert.“

Es folgte eine Runde wildes ‚Wer rät den Namen’ und erst als Easy Arabica vorschlug, Jack mit Robusta auftrumpfte und Chris das Ganze noch mit Excelsa toppte, wurde klar, dass es an der Zeit für eine Kaffeepause war.

Mit dem schwarzen Bandgetränk Nummer Eins versorgt, wurde die Stimmung auch gleich viel produktiver. Zumindest was den ungebetenen Überraschungsgast betraf. Auch wenn wie so häufig der Zufall eine Rolle gespielt hatte.

„Du hast da einen Fussel“, sagte Nifen und pflückte hilfsbereit einen roten Faden von Chibichis schwarzem Anzug.

In dem Moment erstarrte das neue Nicht-Hausgespenst in seinem Schweben. „Ein roter Faden... Ich erinnere mich an irgendwas. Und es hat mit einem roten Faden zu tun.“

„Der älteste rote Faden, den ich kenne, ist der von Ariadne, mit dem sie Theseus aus dem Labyrinth ihres Vaters herausgeholfen hat. Hat damals für reißenden Absatz auf dem Wollmarkt im gesamten antiken Griechenland gesorgt“, ließ sich abranka von ihrer Wolke vernehmen. Die griechische Mythologie war schließlich neben der Inspiration aufstrebender Persönlichkeiten ihr Fachgebiet.

„Na, dann will ich mal sehen, ob das Wunderauto zu einer kleinen Zeitreise bereit ist“, meinte Chibichi und stand auf, um ihr höllisches Fahrzeug zu holen. „Denn vielleicht hilft ja eine Vorortbesichtigung unserem nebelartigen Besucher bei seiner Gedächtnisfindung weiter.“ Schließlich war allen Anwesenden klar, dass das Gespenst sein Gedächtnis brauchte, wenn sie je erfahren wollten, weshalb es nun wirklich bei den Sorglospunks gelandet war.

„Nicht nötig“, sagte das Wesen mit herablassender Arroganz und ein Fingerschnippen später befanden sich die Sorglospunks und die Crew – die Kaffee- und Teetassen noch in den Händen –, Kiwi und natürlich Freund Nebelschwade im antiken Kreta wieder, wo Ariadne sich gerade mit Theseus darüber stritt, dass es ja wohl mal gar nicht weibisch sei, ein Wollknäuel mit sich herumzuschleppen.

„Ich will dein dämliches Wollknäuel nicht“, sagte der Königssohn. „Wie sieht denn das aus, wenn man später meine Heldentat auf einer Vase verewigt? In der einen Hand meinen treuen Knüppel, in der anderen ein Wollknäuel? Oder willst du mir am Ende gar noch vorschlagen, dass ich statt meines Knüppels deine Stricknadeln mitnehmen soll?“, ereiferte er sich und versuchte die Wolle wieder in Ariadnes Handarbeitskorb zu stopfen. Doch er kam nicht dazu, denn plötzlich schoss ein bepelzter Blitz durch die Luft, schnappte sich das Knäuel und verschwand, damit tollend, im Gebüsch.

Kiwi hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Ein großes, rotes Wollknäuel… Das war ja fast so schön wie in dem Wollknäuel-Pool im WWWB-Markt!

„Hey, mein Knäuel!“ rief Theseus, während Ariadne zeitgleich fragte:

„Hey, wer seid ihr?“

Sollten die Sorglospunks je vorgehabt haben, unentdeckt zu bleiben, war dieses Unterfangen soeben fehlgeschlagen. Es herrschte ein Augenblick köstlichster Verwirrung. Zumindest Freund Nebelschwade schien von dem Theater mehr als begeistert zu sein. Denn mit Ausnahme von Chi und abranka hatte keiner der Zeitreisenden die beiden antiken Griechen verstanden. „Menschen!“, lachte er jetzt leise. „Ich hatte ganz vergessen, wie unterhaltsam allein ihr universalsprachliches Unvermögen ist.“

Während Nifen in aller Seelenruhe die Teetasse abstellte und ihren Terminkalender herauskramte, um auf dem Vorsatzblatt zu notieren, dass es sich bei ihrem unverhofften Besucher wohl nicht um einen Menschen handelte, versuchte abranka in bestem, musischem Altgriechisch Ariadne und Theseus davon zu überzeugen, dass sie nicht von den Göttern gesandt worden seien, um Theseus’ Vorgehen gegen den Minotauros zu vereiteln, oder ihm zu helfen, oder ihn zu verdammen, oder was der Vielzahl der Götter auf dem Olymp noch so alles einfallen könnte.

Easy war derweil losgezogen, Kiwi wieder einzufangen. Zwar kannte sie die Gegend so null und gar nicht, aber glücklicherweise hatte sich etwas von der Wolle beim Spielen von dem Knäuel abgewickelt, so dass die sorglose Frontfrau der Band problemlos das Maskottchen wiederfand. Die Katze allerdings war wenig erfreut darüber, dass Easy sie so schnell gefunden hatte, und noch weniger erfreut darüber, dass diese sie auch noch von ihrem Wollknäuel getrennt hatte. Deshalb zappelte Kiwi auf dem Arm ihres Frauchens wie wild, miaute irgendwelche unfreundlichen Worte, die Easy aber eh nicht verstand, während selbige zu der Gruppe zurückkam, und war allgemein unzufrieden mit der Situation.

Theseus, zukünftig auf Vasen verewigter Held, war auch nicht begeistert, als er die Katze sah – ohne Wollknäuel. „Wo ist mein Wollknäuel?“, wollte er auch prompt wissen und abranka war so frei, den altgriechischen Wortschwall zu übersetzen.

„Och, da hinten, im Gebüsch. Folge einfach dem roten Faden und du kannst es nicht verfehlen“, erwiderte die Frontfrau gelassen und deutete auf das Ende der Wollschnur, welches zwischen den Zweigen eines Busches hervorlugte.

Nachdem abranka abermals alles übersetzt hatte, sah sich Theseus um. Überraschung zeichnete sein Gesicht, als er mit einem Mal die Möglichkeiten erkannte, die dieser ‚weibische’ Wollfaden ihm bot. „Hey, damit könnte ich mir den Weg durch das Labyrinth markieren und so auch wieder zurückfinden.“

Allen Anwesenden (nach Übersetzung) war klar, dass genau das der Gedanke von Ariadne gewesen war, als sie Theseus das Knäuel gegeben hatte, aber sie war klug genug, ihm das nicht vorzuhalten. Im Gegenteil. „Schatz! Das ist ja eine fantastische Idee! Du bist ja so schlau!“

Kollektives Augenrollen und Chibichi konnte Freund Nebelschwade gerade noch mit einem multidimensionalen Pieks ihrer höllischen Mistgabel im Taschenformat mit original Hell-o-Kitty-Anhänger daran hindern, durch einen altklugen Kommentar Theseus doch noch auf das Offensichtliche – seine Dämlichkeit – hinzuweisen. Wobei der antike Held das vermutlich eh nicht mitbekommen hätte, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich ordentlich von Ariadne zu verabschieden. Mit hübsch viel Speichelaustausch. Was Chris zu einem spontanen Ich-vermisse-Umeko-Sit-in veranlasste. Denn immerhin war seine Herzdame jetzt nicht nur mal wieder mehrere tausend Kilometer von ihm entfernt, sondern auch mehrere tausend Jahre. LennStar schloss sich ihm spontan an. Weniger weil er Alekto vermisste, tatsächlich wusste er ja nicht einmal, dass diese Furie auf ihn stand, sondern weil er endlich einmal im antiken Griechenland war, und dann sah die Reiseplanung keinen Trip zu seinen berühmten Zunftvorfahren vor. Das war in seinen Augen einfach nur ungerecht.

Bevor sich Kiwi wegen des Wollknäuels, mit dem sie nun nicht mehr spielen durfte, ebenfalls diesem Sitzstreik anschließen konnte, lenkte Jack die Truppe ab, indem sie sich an Freund Nebelschwade wandte und ihn fragte, ob ihm irgendwas von alledem bekannt vorkäme oder ob er gar sein Gedächtnis zurückerlangt hätte. Als dieser den gespenstischen Kopf schüttelte, sagte Chi resolut: „Na dann, auf zur nächsten Station.“

„Ja, auffii!!“, rief Easy begeistert, ohne wirklich eine Idee zu haben, wohin sie als nächstes gehen würden. Eine Frage, die Nifen neugierig nachholte.

„Och, ist nicht weit. Zu Juda und Tamar nach Israel“, erklärte Chibichi.

„Juda? Tamar?“ Zwar war die Truppe einigermaßen bibelfest, kannte die wichtigsten Stellen wie Moses und das goldene Kalb oder den verlorenen Sohn, aber von Tamar hatten sie noch nicht gehört.

„Juda ist der vierte Sohn Jakobs und somit einer der Stammväter der zwölf Stämme Israels“, erklärte Chibichi bereitwillig. „Und Tamar ist seine Schwiegertochter, die von ihm Zwillinge bekommt.“

„Betrügt Juda seinen eigenen Sohn mit der Schwiegertochter?“, fragte Easy mit großen Augen. Sicherlich, die Familienstrukturen in der Bibel waren manchmal reichlich verwirrend, aber das war nun doch arg merkwürdig.

„Sein Sohn war schon tot…“, setzte Chibichi an, doch Freund Nebelschwade wählte genau diesen Augenblick, die Truppe ins biblische Israel zu schnipsen.

„Wieso ist es hier so dunkel? Und so eng?“, fragte Easy, als sie sich mit einem Mal nicht mehr im sonnigen Kreta sondern in einer engen, dunklen Höhle befanden.

„Www...was ist das?“, fragte Jack da und deutete auf zwei riesige Fleischberge.

Chibichi sah anklagend zu ihrem gespenstischen Besucher hinüber, während abranka kurzerhand das Wetterleuchten in ihrer Musenwolke einschaltete.

„Ähm, sieht so aus, als ob er hier“, Chi nickte in Richtung der Nebelgestalt, „der Ansicht war, dass mittendrin besser sei als nur dabei...“

„Soll das heißen...?“, fragte Nifen vorsichtig.

Der Teufel nickte. „Genau das. Wir sind in Tamars Körper, genauer in der Gebärmutter. Und diese beiden Fleischberge sind Rotglanz und Durchbruch.“

„Ihre Kinder?“, hakte die Managerin nach.

Chibichi nickte.

„Merkwürdige Namen. Wer nennt denn sein Kind Durchbruch?“, wollte Easy wissen.

„Auf Hebräisch klingt das längst nicht so merkwürdig. Oder zumindest nicht so offensichtlich. Lea heißt ja schließlich auch nichts anderes als Hirschkuh“, gab der Teufel zu bedenken.

In diesem Moment regten sich die Fleischberge und begannen, sich mit einer Mischung aus Walsingen und Vogelgezwitscher zu unterhalten. Dankenswerter Weise waren Chibichi und abranka abermals in der Lage, die Worte zu übersetzen.

„Wird reichlich eng hier. Lang können wir nicht mehr bleiben, wenn wir so weiterwachsen“, sagte das erste Baby.

„Ich glaub, ich sehe da unten einen Ausgang“, erwiderter sein Zwilling.

„Meinst du, dort ist mehr Platz?“, fragte der Bruder.

„Möglich wäre es. Selbst wenn dort nur eine größere Höhle ist, könnten wir dort auf alle Fälle weiterwachsen. Vielleicht sollten wir dorthin schwimmen.“

„Hm, hier ist es aber so kuschelig warm und geborgen. Was wenn es dort kalt ist?“

„Wie wäre es, wenn einer von euch beiden einfach mal einen Arm rausstreckt, um zu überprüfen, wie warm oder kalt es dort ist?“, mischte sich nun Freund Nebelschwade mit einem süffisanten Grinsen in die Unterhaltung ein.

Chibichi verpasste ihm dafür abermals einen Pieks mit der höllischen Mistgabel. „Keine Einmischung in die Geschichte der Menschheit!“, wies sie ihn zurecht, während abranka kurz die übrigen Anwesenden in die Geschichte um Durchbruch und Rotglanz einweihte.

„Wieso? Wir wissen doch, dass es so laufen wird“, verteidigte sich der gespenstische Gast.

Chi seufzte. „Als ob das Alte Testament nicht schon unlogisch genug ist... Aber nein, der Herr muss ja unbedingt noch ein Paradoxon heraufbeschwören.“

Nifen sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du meinst, wenn er hier“, sie deutete kurz in Richtung von Freund Nebelschwade, „jetzt nichts gesagt hätte, gäbe es vielleicht die Aktion mit dem Arm und dem Faden daran gar nicht? Aber wir sind nur hier, weil es diese Aktion gab? Und wenn er nichts gesagt hätte, wäre alles ganz anders verlaufen, und es stünde nicht in der Bibel, aber weil es da drin steht, musste er oder jemand anderes was sagen?“ Zeitreisen und die paradoxen Situationen hatten die Managerin schon immer fasziniert.

„Genauer gesagt ist das kein Paradoxon, sondern eine Unabdingbarkeit der Ereignisse“, belehrte Freund Nebelschwade Chibichi. „Im Kosmos wird es immer einen Impuls geben, der das Unabdingbare bedingt. Hätte ich nichts gesagt, hätte jemand anderes etwas gesagt oder die Katze hätte sich eingemischt und den Arm nach draußen gedrängt oder ein Wolkenwattebausch“, bei diesen Worten blies abranka empört die Wangen auf – ihre Wolke bestand nicht aus Wattebäuschchen! –, „wäre entfleucht und eines der Riesenbabys hätte danach gehascht.“

Nifen fügte ihrer Liste an Informationen über ihren Gast einfach ein ‚außerirdisch’ hinzu, während der Rest der Truppe ergeben nickte und zusah, wie die beiden Babys mittels ‚Schnick, Schnack, Schnuck’ (auch bekannt als ‚Stein, Schere, Papier’) ausknobelten, wer denn nun die Außentemperatur testen würde. Und so kam es, dass Rotglanz, als er die Hand wieder zurückzog, einen hübschen, roten Faden um das Handgelenk gebunden bekommen hatte.

„Herzlichen Glückwunsch!“, verkündete Freund Nebelschwade auch prompt. „Damit bist du der Sieger im ‚Wer erbt Papas ganzen Besitz’-Spiel.“

Zum Glück für die Truppe wussten die Babys noch nicht, was erben bedeutete. Auch würden sie sich an die merkwürdige Begegnung kurz vor ihrer Geburt schon in wenigen Tagen nicht mehr erinnern. Sonst hätte es vielleicht zu einem ernsthaften Bruderkrieg führen können, oder Durchbruch hätte versucht Freund Nebelschwade mit der Nabelschnur zu erwürgen. Wie gut, dass Murphy bei diesem Ausflug nicht mit von der Partie war.

Doch das änderte nichts daran, dass der gespenstische Gast sein Gedächtnis immer noch nicht zurückerlangt hatte. Also wurde es Zeit für den Sprung zum nächsten roten Faden in der Geschichte. Aber wohin?

„Ich bin für das alte Rom“, ließ sich LennStar vernehmen. Wenn schon nicht Sokrates, dann wenigstens die ewige Stadt. „Eine Toga besteht aus mehr als genug roten Fäden.“

Da kein Einspruch kam, dauerte es lediglich ein Fingerschnipsen und das Dunkel wich der gleißenden Sonne Italiens. Genauer: der Sonne des alten Roms zu Zeiten eines gewissen Imperators namens Gaius Julius Cäsar. Aber letztlich brachte es für ihre Suche nach dem Gedächtnis des gespenstischen Besuchers nicht viel. Außer einem netten Plauderstündchen bei Cäsar und einem überlegenen „Der Cäsar ist tot, es lebe der Cäsar“ von Freund Nebelschwade, als Gaius Julius die gut gemeinte Warnung, dass Brutus ihn letztlich auch verraten würde, nicht ernst nahm. Was bekanntlich dazu führte, dass der Herrscher Roms sich mit unschönen und vor allem unpraktischen Löchern im Oberkörper nach der berühmten Messerstecherei im Senat wiederfand. Und Nifen fügte ein ‚steht auf dumme Sprüche’ ihrer Liste an Fakten über ihren Besucher hinzu und die Zeitreise ging weiter.

Ähnlich fruchtlos blieb der Abstecher zu den Kreuzrittern des Mittelalters. Auch wenn die Truppe dort die Erfahrung machen durfte, dass das Nebelwesen von Kriegshandlungen wenig hielt. Selbst wenn sie in so brutaler Zeitlupe abliefen, wie das bei den Rüstungen und beidhändig zu führenden Schwertern der europäischen Kreuzfahrer der Fall war. Und da angesichts des Gestanks und des Bluts auch die Sorglospunks, oder vielmehr ihre Mägen, nicht sonderlich viel von diesem geschichtlichen Schauplatz hielten, waren sie froh, schnellstmöglich weiterzuziehen.

Es war Nifen, die mit dem nächsten wirklichen roten Faden mit Bedeutung aufwarten konnte. Denn irgendwo in einer Ecke ihres Gehirns, wo sie allerlei Wissen, das die Welt nicht wirklich brauchte, aufbewahrte, war auch die Information untergebracht, dass die Britische Marine seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in ihre Taue einen roten Faden einspinnen ließ, um im Falle eines Diebstahls jederzeit das entsprechende Seil als Eigentum der königlich-britischen Marine identifizieren zu können.

„Au ja! Auf in die Karibik. Port Royal, wir kommen! Hach ja... Captain Jack Sparrow, Barbossa, Will Turner und all die anderen Piratenhelden... “ Bei der Vorstellung ihre Helden aus dem goldenen Zeitalter der Seeschlachten und Kaperfahrten einmal in ihrer natürlichen Umgebung sehen zu dürfen und nicht als Geister auf einem Clubschiff, ließ Jacks Augen vor Freude glänzen.

Sofort wurden lauthals Proteste angemeldet.

„Was? Erst ‚Königreich der Himmel’ und jetzt ‚Fluch der Karibik’?“, beschwerte sich Chris. „Als nächstes wollt ihr wohl auch noch nach ‚Elizabethtown’ mit der Begründung, dass die dämliche rote Mütze von Kirsten Dunst ja auch einen roten Faden symbolisieren könnte. Ich dachte, wir sind hier auf einer Zeitreise mit ernstzunehmender Mission und nicht auf einer Orlando Bloom Sightseeing-Tour.“

Seit die weiblichen Hausbewohner nach dem letzten Jenga-Duell um das Recht, das Wochenendfernsehprogramm bestimmen zu dürfen, auf einem DVD-Marathon mit Orlando Bloom-Filmen bestanden hatte, konnte Chris noch nicht einmal mehr ‚Herr der Ringe’ sehen, ohne beim Anblick eines gewissen Elben auf die Vorspultaste zu drücken, was den Filmgenuss dann doch arg beeinträchtigte.

Aber Jack war für Chris’ Argumente eh nicht zugänglich. Ebensowenig interessierte sie LennStars Einwand, dass es um die hygienischen Bedingungen an Bord eines Piratenschiffes nicht viel besser bestellt war als in der syrischen Wüste, aus der sie gerade kamen. Von dem Blut und dem Gemetzel bei den Überfällen ganz zu schweigen.

Erst als abranka das musikalische Multitalent der Sorglospunks vorsichtig darauf hinwies, dass Port Royal seinen Status als wichtige Hafenstadt in der Karibik bereits Ende des 17. Jahrhunderts durch eine Naturkatastrophe eingebüßt hatte, die königlich-britische Marine aber erst gut achtzig Jahre später angefangen hatte, die Seile mit dem roten Faden zu versehen, nahm sie schweren Herzens von der Vorstellung eines Piraten-Karibik-Abenteuers Abschied.

Stattdessen verbrachte die Band einen vergnüglichen Nachmittag an Bord eines Schiffes, das Truppen nach Indien brachte. Freund Nebelschwade erschreckte die alten Seebären, indem er ihnen einzureden versuchte, er sei der Klabautermann, Kiwi hatte reichlich Ratten zu jagen und die weiblichen Mitglieder hatten jeden Menge zuvorkommender Offiziere, mit denen sie flirten konnten. Auch wenn der erste Handkuss bei Easy ein leichtes Kichern hervorrief und Nifen an sich halten musste, nicht unauffällig ihren Handrücken an ihrer Kleidung abzuwischen. Chris diskutierte angeregt mit dem Kapitän über fernöstliche Kulturen und LennStar philosophierte mit dem Koch – ein Mann mit Ambitionen, der sich weigerte den Titel Smutje zu tragen – über die Zusammenhänge von Essen, Zufriedenheit und einem langen Leben.

Irgendwann aber, so auf Höhe des Äquators, wurde es den Sorglospunks, die ja überwiegend die weniger heißen Gefilde des Schwabenlandes gewöhnt waren, doch zu heiß – und das lag nicht an dem heftigen Flirt, der sich zwischen Jack und einem der Offiziere entsponnen hatte – und so beschloss man weiterzuziehen.

„Ab in die Gegenwart“, meinte Nifen kurzentschlossen.

Chris sah sie entsetzt an. Wartete jetzt am Ende doch noch eine Begegnung mit der roten Mütze aus ‚Elizabethtown’ auf ihn?

Freund Nebelschwade aber, über den die Managerin auf ihrer Liste mit Fakten vermerkt hatte, dass er offenbar von allem fasziniert war, was Schiff hieß, fragte nur süffisant, welche Gegenwart Nifen meinte. Denn schließlich seien Begriffe wie ‚das Hier und Jetzt’ ja immer relativ. Aber die Bandmanagerin wenig Sinn für derlei philosophische Betrachtungen – diese hob sie lieber für ein Plauderstündchen mit LennStar im Fass im heimischen Vorgarten bei einer guten Tasse Tee auf – und so sagte sie nur knapp: „Unsere Gegenwart, die da heißt der Zeitpunkt kurz nachdem du bei uns aus dem Fernseher gestiegen bist und uns einfach mal eben so ins antike Griechenland geschnipst hast.“ (Apropos antikes Griechenland und eine Tasse Tee... Im Jahr 2267n.Chr. sollte übrigens eine Archäologengruppe die Geschichte des Porzellans auf den Kopf stellen, als sie bei Ausgrabungen auf Kreta Scherben einer Teetasse fanden, die aufgrund der wissenschaftlichen Datierung eindeutig aus der minoischen Zeit stammte und somit rund 5000 Jahre älter war als das älteste in China gefundene Porzellan. Aber das hatte Nifen ja schließlich nicht wissen können, als sie ihre Tasse bei Theseus und Ariadne vergaß...)

„Also schön, einmal Mitteleuropa, ausgehendes Benzinzeitalter“, sagte die Nebelerscheinung und hob schon die weißlich durchsichtige Hand, zum zu schnipsen, als Nifen noch hinzufügte: „Hannover bitte.“

„Hannover?“, klang es vielstimmig fragend von den anderen und Freund Nebelschwade wandte leicht beleidigt ein: „Da hab ich euch aber nicht eingesammelt.“

„Ich weiß“, erwiderte die Managerin begütigend. „Aber im Gegensatz zu unserem Heimatort gibt es in Hannover einen roten Faden.“

Bei diesem roten Faden handelte es sich eine dicke, rote Linie, die sich kreuz und quer durch die Innenstadt der niedersächsischen Landeshauptstadt schlängelte und so willige Touristen zu allen Sehenswürdigkeiten führte: von der Aegidienkirche über das Wappenportal an der städtischen Bauverwaltung bis hin zum Kröpcke. An sich eine interessante Art, Hannover kennenzulernen, aber auch sehr laufintensiv und so wanderten von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit mehr neidvolle Blicke zu abranka auf ihrer fliegenden Wolke und mehr als ein Sorglospunk wünschte sich, ähnlich wie Kiwi, auf dem Schoß der Muse einfach so weich gepolstert ein bis zwei Meter über dem Boden umherschwirren zu können. Und so verwunderte es niemanden, dass Nifens Vorschlag, nach dem Leibnizhaus einen Abstecher zum Pfannkuchenhaus zu machen, auf breite Begeisterung stieß.

Auf die Frage der Band hin, woher sie soviel über Hannover wisse, zuckte die Managerin nur mit den Schultern. „Managerseminar zum Thema ‚Spam richtig nutzen’.“

Ein vielsagendes, schiefes Grinsen machte die Runde. Auf so eine Antwort hätten sie schließlich nach all den Abenteuern mit Werwölfen und kopflosen Schlossgesellschaften rechnen müssen.

Als sie schließlich alle gestärkt waren, um nicht zu sagen, pappsatt und somit mehr als träge und unwillig weiterzulaufen, sahen sich Chibichi und abranka an und beschlossen, dass, so unterhaltsam diese Reise durch die Geschichte auch gewesen sein mochte, es nun an der Zeit war, das Ganze zu einem Abschluss zu bringen. „So, lasst uns zum letzten roten Faden kommen!“

„Hö? Noch ein roter Faden?“, fragte Jack überrascht. „Aber wir sind doch schon wieder in unserer Zeit angekommen.“

„Ja, schon“, meinte abranka, „aber das heißt noch lange nicht, dass wir in seiner Zeit angekommen sind.“ Sie nickte in Richtung von Freund Nebelschwade. Sie grinste verschwörerisch. „Der nächste rote Faden, den ich kenne, ist in der Uniformjacke von Captain Jean-Luc Picard auf der USS Enterprise.“

„Was??? Aber...“ Viel mehr konnte der Rest der Gruppe nicht sagen, denn da waren sie schon von Freund Nebelschwade wieder einmal in der Zeit weitergeschnipst worden. Mitten auf die Krankenstation, wie es aussah, wo auf einer Liege eine für Star Trek Fans nicht unbekannte Gestalt leblos dalag. Q! Und er sah aus, wie das fleischgewordene Abbild ihres geisterhaften Zeitreisebegleiters.

Die gespenstische Nebelerscheinung lächelte, stolz wie ein Vater auf sein Kind, das nun endlich Fahrrad fahren kann, und sagte dann: „Sieht so aus, als hättet ihr am Ende doch herausbekommen, wer ich bin...“

„Ach ja... Bist du dir da ganz sicher?“

Zum Entsetzen aller Anwesenden, was einen halbwüchsigen Klingonen, der soeben zur Tür hereingekommen war, mit einschloss, setzte sich plötzlich der bis dahin leblose Körper auf der Liege auf. Q war lebendig geworden.

Aber wenn Q lebendig auf der Krankenliege saß, wer war dann...

Freund Nebelschwade fuhr herum. „P....Papa?“

Papa? Beinahe alle Anwesenden zogen die Augenbrauen hoch. Jemand war so wahnwitzig gewesen mit Q ein q zu zeugen?

„Ganz recht! Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“ Drohend sah Q seinen Sprössling an.

„Zeitreisen sind nicht verboten?“ Was eigentlich als unumstößliches Argument hatte hervorgebracht werden sollen, klang nun mehr wie ein vorsichtiges Nachfragen.

„Und wie steht es mit dem Gebot, sich nicht in die Existenz unterentwickelter Lebensformen einzumischen?“, entgegnete Q kalt. Schließlich hatte er sich deswegen oft genug vor dem Rat verantworten müssen.

„Mir war langweilig. Und du sagst doch selbst immer, dass die Menschen die unterhaltsamste Spezies seien, die du kennst. Die hier sind wirklich lustig. Sogar lustiger als Onkel Jean-Luc, mit dem du immer abhängst. Mit dem, was ich heute über sie gelernt habe, krieg ich in Speziologie bestimmt eine 1 für meinen Aufsatz. Und ich kann diesen Ausflug auch gleich noch in der nächsten Geschichtsstunde nutzen. Du siehst also, dass ich nicht bloß eine Dimensionsspritztour zum reinen Vergnügen gemacht habe. Sieh es doch einfach als Bildungsreise an“, verteidigte sich q.

„Und deshalb hast du die Vermessenheit besessen, dich als mich auszugeben? Was für eine Geschichte hast du ihnen denn aufgetischt?“ Q sah noch immer nicht so aus, als würde er seinem Sohn innerhalb der nächsten Viertelstunde vergeben. Nicht so sehr, weil er eine Gruppe ahnungsloser Menschen hinters Licht geführt hatte, schließlich waren es ja nur Menschen, sondern weil q es gewagt hatte als er aufzutreten. Das schmeckte förmlich nach einem Äon Dimensionsarrest.

„Dass ich, äh du, äh, also eigentlich doch ich, oder eher doch du... wir...?“, setzte q an, wurde aber von seinem Vater zur Ordnung gerufen. „Auf jeden Fall, dass wir Onkel Jean-Luc besucht hätten, als der zu einem Kuraufenthalt in den Thallassianischen Salzbädern weilte und uns dort mit den arcuturusischen roten Fadenwürmern infiziert hätten, was zu einer Spaltung von Körper und Geist geführt hätte. Und mein Geist wäre wahllos durch die Zeiten und das Universum gereist, auf der Suche nach den Wesen, die ihn wieder mit seinem Körper vereinen könnten. Alexander hat versprochen, hier auf die fleischliche Hülle aufzupassen, die ich generiert habe. Das war zumindest der Plan. Aber soweit sind wir ja gar nicht gekommen.“ Der leicht anklagende Unterton in qs Stimme, weil sein Vater ihn um das Finale seines kleinen Streiches gebracht hatte, war nicht zu überhören und trug nicht unbedingt dazu bei, Q gnädiger zu stimmen.

Alexander sah bei der Erwähnung seines Namens aus, als würde er sich am liebsten klammheimlich aus dem Raum schleichen, besann sich dann aber eines Besseren. Denn erstens war es unmöglich, sich vor Q zu verstecken, zweitens würde dieser bestimmt mit seinem Vater, Worf, über die Angelegenheit sprechen und drittens war es eines klingonischen Kriegers unwürdig, sich feige davon zu stehlen. Und wenn er schon dem Zorn seines eigenen Vaters nicht entkommen konnte – Q würde nämlich so oder so mit dem Sicherheitsoffizier des Schiffes reden – konnte er vielleicht ein wenig Milde erhoffen, wenn er sich so verhielt, wie es ein Klingone tat. Egal, wie viel Alexander tatsächlich von all den klingonischen Traditionen hielt. Aber wenn sein Vater nun einmal darauf stand, wäre es unklug den Firlefanz von Ehre und Mut und so weiter nicht zu seinen Gunsten zu nutzen.

Sicher hätte Q seiner Empörung über den haarsträubenden Unsinn, den q da zusammengesponnen hatte, lautstark Luft gemacht, wäre er nicht in diesem Moment von der Frontfrau der Sorglospunks in seiner beginnenden Schimpftirade unterbrochen worden.

„Soll das heißen, dass unser Hausgespenst hier gar kein Hausgespenst ist und auch nicht an Gedächtnisverlust leidet?“, fragte Easy und bekam ganz große, traurige Kulleraugen. Denn sie hatte schon seit langem ein eigenes Hausgespenst haben wollen. Und ein Hausgespenst, dass einem zudem Zeitreisen ermöglichte, war unschlagbar. Nie wieder irgendwo zu spät hinkommen, nie wieder einen Auftritt verpassen, nie wieder nicht ausschlafen können, weil der Wecker klingelte, nie wieder…

LennStar und Nifen, die etwa zur Pfannkuchenpause endlich erkannt hatten, weshalb ihnen Freund Nebelschwade so bekannt vorgekommen war (abranka und Chibichi hatten bereits im alten Rom alles durchschaut gehabt), sahen einander an. Dann begannen sie die gesammelten Fakten herunterzurattern, die alle gegen ein Gespenst und für einen Besucher aus dem Kontinuum sprachen, wobei Arroganz und Überheblichkeit an erster Stelle genannt wurden. Dann noch die Liebe für dramatische oder ungewöhnliche Auftritte und nicht zuletzt eine gewisse Ähnlichkeit mit einem allseits bekannten Science-Fiction-Quälgeist, der erst die Menschheit vor Gericht stellte und dann doch vor den Borg warnte. Die Beweislast war wirklich erdrückend.

„Und wieso habt ihr mitgemacht, wenn ihr wusstet, dass mein werter Sprössling euch nur benutzt?“ Qs Gesichtsausdruck drückte deutlich aus, was er – noch immer – von der Intelligenz der Menschheit und den Sorglospunks im Allgemeinen hielt. Etwas, das Nifen so nicht auf sich sitzen lassen konnte.

„Abgesehen von der Tatsache, dass solche Besuche und merkwürdigen Trips für uns schon bald zur Normalität gehört, wieso sollten wir nicht bei etwas mitmachen, wo am Ende vielleicht ein Auftritt für die Band rausspringen könnte? Ich dachte da an ein Konzert in Zehn Vorne, vor der gesamten Mannschaft der USS Enterprise unter dem Kommando von ‚Onkel Jean-Luc’.“ Nur eine waschechte Managerin vom Format Nifens brachte es in einer solchen Situation fertig unschuldig und doch zugleich knallhart als Geschäftspartner zu wirken. Wobei es vermutlich nicht schadete eine Entität wie abranka mit frisch gespitzten Inspirationsblitzen, die auch bei Wesen den Kontinuums zu funktionieren versprachen, und Chibichi, Teufel und Träger der höllischen Mistgabel in allen Größen, zu beiden Seiten von sich zu wissen. „Und ich meine das echte Bordkasino und nicht eine holographische Projektion wie diese Krankenstation“, fügte sie hinzu, hatte doch Kiwi ihren Logenplatz auf abrankas Schoß verlassen, war durch die Wolke geplumpst und hatte einen eleganten Sprung auf ein Sideboard neben der Tür hingelegt. Dort spielte sie nun selbstvergessen mit den bunten Lichtern der Konsole herum, was dazu führte, dass die Wände statt in einem sterilen Einheitston plötzlich durch einen lichten Wald ersetzt wurden.

Q seufzte, sah von der Managerin zum Teufel und der Muse und dann zu seinem Sohn hinüber. „Also schön, wenn q und Alexander es schaffen, den Captain dazu zu überreden...“

Er hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da waren die beiden Jungen schon aus dem Holodeck gestürmt, wobei q im Laufen seine menschliche Gestalt annahm, um ihre Chancen auf Erfolg nicht durch unschickliches Auftreten zur ruinieren.
 

Und so kam es, dass an jenem Abend, zu unbekannter Sternzeit, die Sorglospunks ihre erstes wirkliches Konzert an Bord eines Raumschiffes gaben. Und was für eines... Sogar Data rockte mit, als Easy ihren neusten Song – nach altbekannter Sorglospunks-Manier frisch per Ideenblitz auf der Bühne noch zu improvisieren – ankündigte und die Band auch gleich mit Feuereifer loslegte. Und nachdem man sich nach ein paar nicht ganz so harmonischen Eingangsklängen auch noch auf eine Tonart geeinigt hatte, klang es wirklich gut:

„Hier ist er, extra eingeflogen von weit, weit weg, exklusiv für euch, im Dunkel der Nacht, im Schatten des Universums, im Glanz der Sterne...“

„Easy!!!“

„Ja, ist ja schon gut. Hier ist er also, der Rote-Faden-Song!
 

Was andre übertragen sehn

Wir selbstverständlich so verstehn,

Wie’s uns die Worte in den Mund

Und die Geschichte tun uns kund.

Ein Roter Faden am Anfang stand,

An Bord der Enterprise ein Ende fand.
 

Durch das All und durch die Zeit,

Roter Faden, der Weg ist weit.

Durch die Zeit und durch das All

Sorglospunks phänomenal!
 

Bin weder Captain, noch ein Held,

Umsegel nicht die ganze Welt,

Bin auch nicht Ritter oder Kaiser,

Und doch um so viel weiser,

Als bei Beginn der lust’gen Fahrt

Von Theseus bis zu dir, Picard.
 

Durch das All und durch die Zeit

Roter Faden, der Weg ist weit.

Durch die Zeit und durch das All

Sorglospunks phänomenal!
 

Kontinuum, ob groß, ob klein,

Bewohner Selbigen zu sein

Bedeutet Macht im Überfluss,

Aber auch Langeweile und Verdruss.

Auch gibt’s dort keinen Kaffeetrank,

Drum bleib ich lieber Sorglospunk!
 

Durch das All und durch die Zeit

Roter Faden, der Weg ist weit.

Durch die Zeit und durch das All

Sorglospunks phänomenal!!!“
 

Und als Q dann auch noch so freundlich war, die Truppe nach dem Konzert und der anschließenden After-Concert-Party wieder so pünktlich im Sorglospunkshauptquartier abzusetzen, dass Nifen doch noch in den Genuss ihres Samstagsprogramms kam, konnte man ausnahmsweise wirklich einmal von ‚Ende gut – Alles gut’ sprechen.

Ich seh den Sternenhimmel

Terror hatte im Sorglospunks-Hauptquartier Einzug gehalten. Und damit war ausnahmsweise einmal nicht Schwedenpop auf voller Lautstärke gemeint und auch kein Anschlag der Furien. Nein, es war viel schlimmer: Nifens liebste Jahreszeit war über ihnen hereingebrochen. Denn im gleichen Maße, wie sie Fasching aus dem Weg ging, umarmte sie alles, was auch nur entfernt mit Weihnachten zu tun hatte.

Nun hatte sich die Band ja schon längst daran gewöhnt, dass die Managerin völlig unabhängig vom Kalender durch das Haus lief und dabei „Jingle Bells“, „Let it Snow“ und ähnliche Weihnachtslieder zum Besten gab und seit September kein Einkaufszettel lebend das Haus verließ, auf dem sich nicht Lebkuchen als Grundnahrungsmittel, welche es zu besorgen galt, wiederfanden. Und auch gegen die Tannengirlanden, Nussknacker, Weihnachtsmänner und Engel an Türstürzen, auf Regalen und an Fenstern sagten sie nichts, schließlich herrschte in dieser WG eine stille Gleichberechtigung, und wenn abranka und Easy zu Fußball-Hochereignissen die Bude mit Fußbällen und Fahnen dekorieren konnten, stand Nifen das gleiche Recht mit ihrem Weihnachtskram zu. Aber an einem schönen, kalten Sonntagnachmittag vom Adventsfußballtreff mit Jacks persönlichem Fanclub nach Hause zu kommen und eine fröhlich lallende Managerin vorzufinden, die eine reichlich unwillige Kiwi auf dem Schoß hielt und ihr Weihnachtslieder vorsang, neben sich eine große Punschschüssel, deren oberster Rand anzeigte, dass sich einmal mehr als doppelt so viel Eggnog darin befunden hatte, war selbst für so eine hartgesottene Truppe wie die Sorglospunks zu viel. Besonders weil Nifen offenkundig den größten Teil der Liedtexte vergessen hatte und munter sorglos einfach die eine Zeile, die ihr jeweils einfiel, wiederholte.

„Oh holy night, the stars are brightly shining...

Oh holy night, the stars are brightly shining...

Oh holy night, the stars are brightly shining...

Oh holy night, the stars are brightly shining...

Oh holy night, the stars are brightly shining...

Oh holy night, the stars are brightly shining...

Oh holy night, the stars are brightliy shining...“

Eine kurze Pause, der Griff zu einem ebenfalls bereits reichlich leeren Eggnog-Glas, dann ein anderes Lied.

„Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...

Star of wonder, Star of night, Star with royal beauty bright...“

Wie erstarrt stand die Band im Türrahmen zur Küche und blickte minutenlang fassungslos auf das Treiben. Erst als Kiwi mit einem verständnislosen Miauen ihrer Empörung darüber, dass offenbar noch nicht einmal Easy es für nötig befand, sie aus ihrer Misere zu befreien, lautstark Ausdruck verlieh, erwachten die Bandmitglieder aus ihrer Trance. Mit wenigen Schritten war die Frontfrau bei Nifen und rettete das Bandmaskottchen vor weiterer Weihnachtsfolter, während Chris kopfschüttelnd murmelte: „Ganz eindeutig, Nifen ist für heute vollkommen hinüber.“

Jack war da schon etwas praktischer veranlagt und piekte abranka auf ihrer Wolke in den Arm. „Los, inspirier sie, dass sie jetzt ins Bett will. Je eher sie ihren Rausch ausschlafen geht, desto eher hören unsere Ohren auf zu bluten.“

Ein Argument, dem die Muse nichts entgegen zu setzen hatte, auch wenn sie unhörbar seufzte. Betrunkene Personen waren immer so schwer zu etwas Vernünftigem zu inspirieren. Wenn es um Blödsinn ging, ja, da hatte man leichtes Spiel. Aber Vernünftiges? Doch abranka wäre nicht die einzigartigste Sorglospunks-Bandmuse gewesen, wenn ihr nicht auch das geglückt wäre, und so begleitete sie kurz darauf eine leicht torkelnde, aber für den Blutalkoholwert erstaunlich gerade gehende Nifen in ihr Zimmer. „Hey, abranka... weiss suu, isch kenn noch einsss...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...

Hang a shining star upon the highest bow...“

Zu sagen, dass abranka froh war, als sie endlich das Schlafzimmer der Managerin erreicht hatten, wäre untertrieben gewesen. Aber schließlich war auch das geschafft und wenige Minuten später lag Nifen in ihrem Bett, träumte von einem Eggnog-hervorgerufenen Sternenhimmel und grinste selig.
 

Und die Moral von der Geschichte:

Versteck lieber deine Katze, wenn dein Manager Eggnog ansetzt.

Urlaub

„Bei aller Liebe für die Menschen, aber so kann das nicht weitergehen. Falsche Wettervorhersagen – meinetwegen. Die verschüttete Milch, der verschwundene letzte Keks – bitte. Von mir aus sogar auch die defekten Keramikkacheln am Spaceshuttle, oder die Tatsache, dass die fossilen Brennstoffe auf der Erde nicht unerschöpflich sind. Aber jetzt auch noch eine Weltwirtschaftskrise, an der ich schuld sein soll? Bloß weil die Menschen Euren uralten Rat, Häuser nicht auf Sand zu bauen, nicht beherzigt und ihre Taschenrechner so programmiert haben, dass Eins und Eins plötzlich Drei ergibt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie sie diese logische Lücke füllen sollen? Ich kündige!“

Aus milde dreinblickenden Augen, hinter denen sich ein stahlharter Wille verbarg, sah der Herrscher des Himmels und Schöpfer der Erde seinen Untergebenen an, der nach dieser Tirade erst einmal Luft schöpfen musste. „Kündigen?“, fragte er ruhig. „Du kannst nicht aufkündigen, was du bist. Deine gesamte Existenz basiert darauf, dass die Menschen dir seit Urzeiten für alles Mögliche die Schuld in die Schuhe schieben. Täten sie es nicht, gäbe es dich gar nicht. Und umgekehrt braucht die Menschheit dich, wenn sie nicht im Chaos versinken wollte. Ohne dich gäbe jeder jedem die Schuld, Konflikte würde nur noch mit Gewalt ausgetragen und am Ende wäre dieser schöne Planet nur noch ein einziger Trümmerhaufen. Du siehst: Du kannst nicht kündigen!“

Göttliche Logik – dagegen kam niemand an. Doch so schnell war die Gestalt vor dem Himmelsthron nicht bereit aufzugeben und plötzlich war sie da: Die Erinnerung an eine Verhandlung zwischen Gott und dem Teufel, aus der die antike Verwicklung rund um Hiob und Jahrhunderte später das Remake mit einem gewissen Dr. Faustus entstanden war. Zwar hatte der alte Herr in beiden Fällen am Ende die Sache zu seinen Gunsten gedreht, aber dennoch dem Teufel für seine Bemühungen widerstrebend Achtung zollen müssen. „Und wenn ich euch beweise, dass es auch ohne mich geht? Lass Ihr mich dann meiner Wege ziehen?“

Der Herrscher des Himmels überlegt einen Moment, doch er war sich sicher, dass seine Pläne zur Personalunion gründlich gewesen waren und so nickte er schließlich. „Einverstanden. Wenn du eine Familie oder einen Haushalt mit nicht weniger als drei Menschen findest, die dir bei keinem einzigen Missgeschick, das ihnen während des nächsten Monats widerfährt, die Schuld gibt, bist du frei.“
 

Niemand hielt ihn auf seinem Weg durch die geheimen Gänge und düsteren Passagen auf, die vom Himmel zur Unterwelt führten. Aber das überraschte ihn nicht, erkannten ihn die meisten doch erst dann, wenn sie ihn brauchten. Erst im Vorzimmer des Teufels stellte sich ihm ein Sekretariatsdämon in den Weg und verlangte zu wissen, was er vom Boss der Unterwelt wolle.

„Eine alte Schuld, die es zu begleichen gilt, führt mich hier her“, gab er zur Antwort.

Erfreut sah ihn der Sekretär an. Der Teufel trieb nur zu gerne ausstehende Schulden ein und so meldete er seinem Chef ohne zu zögern den mysteriösen Besucher.

In ihrem Büro sah Chibichi von dem Aktenberg auf, der sich einmal mehr auf ihrem Schreibtisch angesammelt hatte, während sie mit den Sorglospunks auf deren Suche nach Weltruhm im Musikgeschäft allerlei Abenteuer erlebt hatte. Als sie den Besucher erblickte, unterdrückte sie einen Fluch. Offenbar war ihr Sekretariatsdämon dringend urlaubsreif, wenn er einen Schuldner nicht mehr von einem Gläubiger unterscheiden konnte. „August!“, grüßte sie die Gestalt mit einem gezwungen Lächeln. „Was führt Dich hier her?“

„Chibichi“, erwiderte dieser den Gruß mit einem Kopfnicken und setzte sich unaufgefordert auf einen der Lehnstühle vor dem Schreibtisch. „Du erinnerst dich an Hiob und Faust?“, kam er gleich zur Sache.

Chi nickte. Verdammt aber auch. Sicher, sie hatte geahnt, dass August nicht bloß gekommen war, um ihr ein paar Lose der Sieben-Tage-Regenwetter-Lotterie anzudrehen. Aber dass er diese alte Sache herauskramen würde...

„Beide Male habe ich dir erlaubt, mir die Schuld zuzuschieben, damit du kein Ansehen einbüßt...“

Ja, ja, das wusste sie. Und sie wusste auch, dass August nun dafür aller Voraussicht nach eine Gegenleistung verlangen würde. Schließlich war sie der Teufel und kannte sich mit dem Eintreiben von Schulden – vorzugsweise Seelen – bestens aus. Blieb nur die Frage, wie dessen Forderungen aussehen würden.

„Weißt du, ich bin die ewigen Schuldzuweisungen leid. So leid, dass ich zum Chef gegangen bin und ihm gesagt habe, dass ich kündige!“

Jetzt lehnte sich Chibichi grinsend zurück. Wenn der alte Rauschebart involviert war, würde es interessant werden. Vielleicht würde es ja sogar ganz spaßig, ihre Schulden bei August zu begleichen. Dennoch sagte sie: „Das lässt er dir nicht durchgehen. Du bist viel zu eng mit dem Gleichgewicht der Welt verbunden.“

„Verschon mich.“ August winkte ab. „Das ganze Rhabarbergesülze von wegen Chaos und so durfte ich mir oben schon anhören. Aber am Ende haben wir eine Art Wette abgeschlossen.“ Und er erzählte dem Teufel von der Vereinbarung. „Wenn du mir also hilfst die Bedingungen zu erfüllen, werde ich uns als quitt ansehen.“

Ein teuflischer Funke glomm in Chibichis Augen auf. „Du weißt, dass er dich trotzdem nicht gehen lassen wird, sondern dich einfach umfirmiert?“

Ihr Besucher nickte. „Das ist auch in Ordnung so, denn eigentlich liebe ich meinen Job. Was sollte ich sonst auch mit all der Zeit anfangen? Socken stricken und hier in der Hölle verkaufen? Aber seit 2000 Jahren habe ich keinen Urlaub mehr gehabt und so geht es nicht weiter.“

Dem konnte Chibichi nur zustimmen und sie brauchte auch gar nicht lange zu überlegen, wie sie August helfen konnte. Sie griff zum Telefon und wählte die Kurzwahl 7.

Nach kurzem Klingeln meldete sich am anderen Ende eine Stimme in professionellem Tonfall: „Sorglospunks-Hauptquartier, Bandmangerin Nifen am Apparat, guten Tag.“

„Nifen? Hier ist Chibichi. Hast du deinen Kalender greifbar? Ich wollte nämlich mal wissen, ob ihr in den nächsten vier Wochen viel zu tun habt...“
 

Eine Stunde später parkte der Teufel sein höllisches Wunderauto Baby vor dem Hauptquartier der Sorglospunks, irgendwo im schönen Schwabenland.

„Chiiiiiiiiiiiiiiiiii!“ Angelockt vom Motorengeräusch kam Easy, die Frontfrau der Band, aus dem Haus gestürmt und quetschte sich sogleich an der Höllenfürstin vorbei auf den Fahrersitz, in der Hoffnung, dass das Wunschlenkrad ihr vielleicht an diesem Tag wohlgesonnen war. Dabei fiel ihr Blick auf die Gestalt, die noch immer auf dem Beifahrersitz saß. „Hallo! Wer bist du? Bist du ein Freund von Chi? Bleibst du länger? Oder nur auf einen Kaffee?“, fragte sie neugierig.

Aber Chibichi winkte erst einmal ab und lotste die mittlerweile vollzählig im Eingang erschienene Band zurück ins Haus und ins Wohnzimmer. Erst als sie es sich dort gemütlich gemacht hatten, lüftete sie das Geheimnis um die Identität des geheimnisvollen Besuchers. „Das, Leute, ist August Buhmann. Und ja, er ist *der* Buhmann. Er ist der dumme August, der Sündenbock, der dumme Esel, kurz er ist derjenige, dem immer alle die Schuld an allem geben.“

Damit wagte der Gast auch endlich die schwarze Kapuze seines Umhangs, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, vom Kopf zu ziehen. Zum Vorschein kam ein eigentlich sehr freundliches Gesicht, das aber von zwei hängenden, langen, grauen Eselsohren, violettem Haar, einem Ziegenbärtchen und einer roten Clownsnase verunstaltet wurde. Auch die riesigen, grünen Schuhe, die unter dem langen Umhang deutlich hervorragten, halfen wenig, den optischen Eindruck zu verbessern.

Während der Rest der Band sich noch eifrig bemühte, August nicht allzu sehr anzustarren, wandte sich abranka, die als olympische Muse schon sonderbarere Kombinationen gesehen hatte, an Chibichi. „Als du gerade ‚alle’ gesagt hast, war das so nicht richtig. Hier, in diesem Haushalt gibt niemand dem Buhmann die Schuld für irgendwas. Schließlich wissen wir, dass bei uns entweder Murphy, oder die Furien dahinter stecken.“

„Oder Kiwi, die aus Langeweile den Einkaufszettel verbommelt hat“, warf Easy ein, die nach dem letzten unvollständigen Einkauf mal wieder von ihren Bandkollegen wegen des Fehlens bestimmter nicht kaffeeartiger Lebensmittel gerügt worden war.

Der Teufel nickte. „Deswegen sind wir ja hier. Denn August braucht dringend eine Auszeit und das geht nur, wenn ihm niemand die Schuld gibt...“

Rasch waren auch die Sorglospunks in die Wette zwischen dem Buhmann und dem Himmelsvater eingeweiht. Und auch, wenn die Band persönlich nichts gegen die himmlische Fraktion hatte, sondern sich eher als neutral in den Angelegenheiten zwischen Himmel und Hölle betrachtete, fanden sie, dass jeder Urlaub verdient habe, und das schloss den Buhmann mit ein.
 

„Boss, ich glaube, Euch bleibt nichts anderes übrig, als den Buhmann gehen zu lassen“, sagte Petrus einen Monat später zu seinem Herrn. „Er hat bewiesen, dass die Welt auch ohne ihn existieren könnte.“

Dieser seufzte. „Für eine Handvoll Menschen, ja... Aber für x Milliarden? Das kann nicht gut gehen!“ Doch als Herrscher des Himmels konnte er unmöglich sein Wort brechen. „Was für Alternativen haben wir?“, fragte er seinen Torhüter, doch es schwang nicht viel Hoffnung in seiner Stimme mit.

Petrus schüttelte bedauernd den Kopf. „Ihr habt im Laufe der Jahrhunderte alle Alternativen, die wir hatten, mit dem Buhmann fusioniert oder wegrationalisiert.“ Wie etwa die ganzen niederen Gottheiten polytheistischer Glaubensrichtungen, die nun im Nirwana ihren Ruhestand genossen.

In diesem Moment erschienen Chibichi und August im himmlischen Thronsaal. Mit einer spöttischen Verbeugung trat der Teufel vor. „Ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst...“, sagte sie in ihrer besten Paten-Imitation und reichte Petrus eine Visitenkarte, damit dieser sie wiederum an den Himmelsfürsten weiterreichte. „Höllische Personalvermittlung – Denn schlimmer geht immer“, stand darauf.

„Sechs Wochen bezahlten Urlaub pro Jahr, davon jedes Schaltjahr die Weihnachtstage von Heilig Abend bis einschließlich Heilig Drei Könige“, mischte sich nun der Buhmann ein. „Unter diesen Bedingungen wäre ich bereit, meine Kündigung zurückzuziehen. Als meine Urlaubsvertretung schlage ich einen gewissen Murphy vor...“

Chibichi grinste den Rauschebart auf seinem Thron teuflisch an. „Ich glaube, das wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft...“

(Und bei den Sorglospunks trat der DVD-Player nach so vielen Filmklassikern, die August in den vergangen vier Wochen nachgeholt hatte, erst einmal in den Streik. Aber noch immer gab niemand von der Band dem Buhmann dafür die Schuld.)

Krank

Winter, das bedeutet Erkältungszeit, Grippewelle, Taschentuchkonjunkturhoch und Bikiniabsatzschwäche. Es bedeutet schniefende Nasen und überfüllte Wartezimmer beim Arzt und einen Kampf um das Vorrecht auf dem heimischen Sofa zu kampieren, die Thermoskanne mit Tee für sich zu beanspruchen und das Fernsehprogramm bestimmen zu dürfen.

Dass all dies nicht nur auf Menschen zutrifft, sondern auch auf Musen, durften die Sorglospunks an einem schönen Wochenende, nicht lange nach dem Besuch von August Buhmann feststellen, denn Bandmuse abranka hatte sich die französische Inspirationsgrippe eingefangen.

Es begann eigentlich ganz harmlos, hatte abranka doch an jenem Tag nichts weiter getan als ihr Postfach auf dem Olymp zu leeren, wie sie es jede Woche einmal tat. Dabei war sie allerdings auf ihrer Wolke mit der Wolke einer anderen Muse, welche die Krankheit hatte, zusammengestoßen, und schon war sie infiziert. Denn wie bei Musen üblich wurden derlei Krankheiten von den Wolken übertragen. Doch davon ahnte sie zu dem Zeitpunkt nichts. Erst am Nachmittag, als sie ein für Musen eigentlich untypisches Kribbeln in der Nase verspürte, begannen ihre Alarmglocken zu schrillen. Aber da war es bereits zu spät. Sekunden später nieste sie und als Folge dessen sprachen alle, die sich in ihrem direkten Inspirationsradius aufhielten, spontan nur noch Französisch. Da aber zu dem Zeitpunkt nur Kiwi in ihrer unmittelbaren Nähe gewesen war, bemerkte das natürlich niemand und abranka dachte, sie hätte sich lediglich eine handelsübliche Zwei-Tage-Grippe eingefangen.

So war es am anderen Morgen, als Easy in die Küche kam und die dort versammelte Gruppe mit einem fröhlichen „Bonjour!“ begrüßte und darauf bestand statt ihres üblichen Cappuccino Spezial einen Café au lait zu trinken, dass den Anwesenden dämmerte, dass irgendetwas mal wieder nicht stimmte. Die Sache war nämlich so, dass bei einer solchen französischen Grippe nicht nur Nieser spontane Folgen für die Umgebung hatten, sondern auch alle, die regelmäßig von der betreffenden Muse inspiriert wurden als Nebenwirkung immer häufiger Französisch sprechen würden, solange eben, wie die Krankheit andauerte. Und dummerweise hatten die Sorglospunks seit den Schultagen mehr Französisch vergessen als sie je gelernt hatten, weshalb durch die Krankheit das Sprechen dieser Sprache zwar kein Problem darstellte, aber das Verstehen dafür um so mehr.

„Deshalb ist auch Jacks Vorschlag, die unfreiwillige Inspiration zu nutzen und neue Songs zu schreiben reichlich zwecklos, denn weder die Band noch der größte Teil unseres Publikums würden die darin enthaltenen Sorglosbotschaften verstehen.“

Mittlerweile war es Abend geworden und da abranka befürchtete, Chibichi anzustecken – war diese doch ebenfalls eine nichtmenschliche, übernatürliche Entität – war es Nifen, die den Teufel über das aktuelle Geschehen im Hauptquartier der sorglosesten Punkband im schönen Schwabenland informierte. Per Telefon, um ganz sicher zu gehen.

„Das klingt echt übel“, klang es aus dem Hörer. „Die Farbe ihrer Wolke?“

„Rot, weiß und blau … wie man es von der Trikolore erwartet“, gab Nifen mit einem Anflug von Galgenhumor zurück.

„Immerhin ist es dann eine moderne Grippe… Stell dir nur vor, wie es wäre, wenn die Wolke die Bourbonen-Lilie zeigen würde. Dann würdet ihr vermutlich nicht mal die simpelsten französischen Brocken verstehen“, entschied Chibichi mit einem kleinen teuflischen Grinsen in der Stimme.

„Auch wieder wahr.“ Nifen zuckte am anderen Ende der Leitung zusammen, als aus dem Wohnzimmer ein Schwall französischer Schimpfwörter zu hören war.

„Was war denn das?“, fragte der Teufel auch prompt.

„Och, das war Chris. Seit etwa drei Stunden versuchen er, Easy und Jack den DVD-Player zu überreden, endlich wieder seinen Dienst anzutreten, denn abranka faselt die ganze Zeit was von einer Glücksbärchi-DVD, die sie unbedingt gucken will.“

Chibichi lag schon ein spöttischer Kommentar ob dieser Filmauswahl auf der Zunge, aber eingedenk ihrer eigenen Vorliebe für Regina Regenbogen würde jede Verbalattacke in diese Richtung eindeutig nach hinten losgehen. Und so meinte sie nur: „Na, die hat vielleicht Sorgen... Dabei sollte sie doch alles in ihrer Macht stehende tun, um die Grippe wieder loszuwerden.“

Aber genau das versuchte abranka ja. Nun wusste Chibichi als Teufel zwar fast alles, aber eben nur fast und Musenmedizin gehörte nicht unbedingt zu ihrem Metier. So wusste sie nicht, dass bei einer solchen Grippe nur eine Wolkendekontamination helfen würde. Und die einzigen Spezialisten, die abranka auf diesem Gebiet kannte, waren die Glücksbärchis. Deswegen hatte sie ja die DVD und deswegen bestand sie darauf, jedes Mal, wenn sie krank war, selbige zu sehen. Denn durch das integrierte Musensignal auf der kleinen Silberscheibe wurde im Wolkenland ein Alarm ausgelöst und die Glücksbärchis konnten ein Dekontaminationskommando zu ihr schicken. Aber ohne DVD-Player... Und wie es bei den Sorglospunks nun mal üblich war, anders konnte man es nicht bezeichnen, hatten sich die DVD-Laufwerke in den beiden Computern dem Streik angeschlossen, so dass es unmöglich war, auf diesem Weg das Alarmsignal zu schicken. Und auch der Versuch mittels eines von Chuck & Chuck geliehenen DVD-Players zum Ziel zu gelangen, war fehlgeschlagen.

So vergingen mehrere Tage, der Anteil des gesprochenen Französischs nahm stetig zu, ebenso der Berg leerer Tempo-Taschentücherpäckchen rund um das Sofa.
 

Seufzend sah Chibichi von dem omnipräsenten Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch auf. Es schien fast, als wäre sie nur noch am Papierkram erledigen, wenn sie im Büro war. Gut, das konnte vielleicht daran liegen, dass sie in letzter Zeit so viele Außeneinsätze gehabt hatte und ihre spärliche Freizeit am liebsten bei den Sorglospunks verbrachte. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass ihr der bürokratische Wahnsinn dadurch sympathischer wurde. Und ausgerechnet jetzt schied eine Erholungsstippvisite bei ihrer Lieblingsband wegen der akuten Ansteckungsgefahr aus. Allerdings... Eine Idee formte sich in ihrem Kopf. Nicht bei den Sorglospunks vorbeischauen zu können, bedeutete ja noch lange nicht, dass sie nicht Anteil an dem Geschehen nehmen und die Band auf ihre Art unterstützen konnte. Und womit unterstützte man Kranke und ihr Umfeld? Richtig! Mit Hühnerbrühe für abranka und Nervennahrung für den Rest der Band. Und sie selbst würde in den Genuss eines kleinen Shopping-Ausflugs in den WWWB-Markt kommen.

Rasch waren die Aktenstapel beiseite geschoben und zwischen Hell-o-Berry und Taschen-Dreizack die Autoschlüssel für Baby lokalisiert.

Eine Viertelstunde später schob Chibichi in einem Zustand, der beinahe schon an Glückseligkeit grenzte, einen Einkaufswagen durch die Gänge des über-/unter-/zwischenirdischen Einkaufsparadieses. Sie hatte bereits Ambrosia-Hühnerbrühe gefunden, dazu eine Sorte Kaffee, die ganz neu im Sortiment und folglich von den Sorglospunks noch nicht getestet worden war, und jetzt war sie auf dem Weg in die Katzenabteilung, um für das Bandmaskottchen Schokolade einzukaufen.

„Hallo Chibichi!“, wurde ihr da plötzlich aus der Richtung der Gourmet-Menüs entgegenmiaut. Als der Teufel aufsah, um herauszufinden, wer sich da anmaßte, sie so vertraulich anzusprechen – schließlich trug sie noch ihre Arbeitskleidung und die war nun mal respekt- und furchteinflößend – entdeckte sie einen kleinen schwarzen Kater.

„Ach du bist es, Murphy“, begrüßte sie den Dämon. „Hängst du mal wieder hier herum, weil du hoffst, dass Kiwi vorbeikommen könnte? Oder bist du schon wieder auf der Flucht vor deiner Ex?“, neckte sie ihn.

„Ein wenig von beidem“, gab Murphy grinsend zurück. „Aber wenn ich den Inhalt deines Einkaufswagens so betrachte, brauche ich wohl nicht auf einen Besuch von Kiwi zu hoffen.“ Und er schubste geschickt ein paar Dosen von Kiwis Lieblingsmenü in den Wagen. „Wie ist es, nimmst du mich nachher mit zu den Sorglospunks?“

„Sorry, geht nicht. abranka hat sich eine Musengrippe eingefangen und für uns herrscht Ansteckungsgefahr“, erklärte der Teufel. „Das hier“, sie wies auf den Einkaufswagen, „werde ich wohl mit dem Aufzug schicken müssen.“

Der dämonische Kater hatte enttäuscht das Gesicht verzogen, als Chibichi die Erkrankung der Bandmuse erwähnt hatte. „War denn das Dekontaminationskommando noch nicht da?“, fragte er jetzt ein wenig verständnislos, wussten die Musen doch eigentlich sehr genau, wie sie solchen Krankheiten Herr werden konnten.

„Dekontaminationskommando?“, fragte Chibichi neugierig.

„Na, die Glücksbärchis. Ihre Glücksstrahlen können mehr als nur den Menschen ihre gute Laune wieder zurückgeben. Wenn sie damit die Wolken der Musen durchdringen, töten sie dabei alle Viren, Bakterien und sonstige Krankheitserreger ab. Und ist erst einmal die Wolke gereinigt, dann kann sich die Grippe nicht mehr lange halten“, erklärte Murphy als sei es das Selbstverständlichste der Welt. „Oder was meinst du wie sie sonst ihr Wolkenland auf Dauer zu einem Hort des Glücks machen könnten?“

Das war mehr als einleuchtend, wie Chibichi zugeben musste. Und es erklärte vor allem, wieso abranka so vehement darauf bestanden hatte, die DVD sehen zu wollen. „Aber sag mal“, fragte sie Murphy, „woher weißt du, ein Bewohner der Hölle, wie man bei so himmlischen Wesen wie einer Muse eine Grippe bekämpft?“

Ein dämonisches Grinsen breitete sich auf dem bepelzten Gesicht aus. „Ein gewisser Leo Löwenherz ist ein entfernter Cousin von mir und brüstet sich gerne mit den Fähigkeiten seiner Freunde und Kollegen.“

Das entlockte dem Teufel ein Lachen. „Lass mich raten, dieser Leo Löwenherz ist ein sehr, sehr, sehr entfernter Cousin.“

„Erfasst!“
 

„On y va!“, ließ Easy begeistert ihren Schlachtruf hören, während sie zu Chibichi ins Auto sprang. Man musste keinerlei Französisch beherrschen, um ihr sonst so bekanntes ‚Auffiiiiiiii!’ in den drei Worten zu verstehen.

Nach der aufschlussreichen Unterhaltung mit Murphy hatte der Teufel Eins und Eins zusammengezählt, das Ganze mit einem streikenden DVD-Player multipliziert und dann kurzerhand – Grippe hin, Ansteckungsgefahr her – einen Abstecher ins Schwabenland gemacht, die Sorglospunks auf den neusten Stand gebracht, und jetzt waren sie auf dem Weg ins Wolkenland. Denn wenn der Prophet nicht zum Berg kam, weil der Berg aufgrund technischer Probleme das entsprechende Signal nicht schicken konnte, dann musste der Prophet eben abgeholt werden. So einfach war das Ganze! Und auch wenn das Wolkenland auf herkömmlichen, regenbogenfreien Straßen nicht zu erreichen war, stellte das für so ein Superauto wie Baby keinerlei Schwierigkeiten dar. Nur kurz, als es am dritten Stern links abbiegen wollte, musste Chibichi ihr Auto daran erinnern, dass sie nicht zu Peter Pan ins Nimmerland wollten, doch danach dauerte es nicht lange. Hupend hielten sie vor dem Eingang zum Wolkenland, wo sie prompt Schlummerbärchi aus seinem Nachmittagsschlaf aufweckten. Doch noch ehe sich das Bärchen mit dem blauen Fell gähnend gereckt und gestreckt hatte, kam auch schon Brummbärchi an und wollte die Eindringlinge verscheuchen, hatten Menschen doch eigentlich nichts im Wolkenland zu suchen. Und der Teufel erst recht nicht! Der war doch bestimmt mit Meister Herzlos und dem gemeinen Beastly im Bunde. So jemanden konnten sie auf keinen Fall im Glücksbärchiland dulden.

„Aber abranka...“, setzte Easy an, während Brummbärchi resolut die Wagentür von Baby zuhielt, um zu verhindern, dass die Sorglospunks aus dem Auto ausstiegen.

Inzwischen hatte der Tumult auch die anderen Bärchen auf den Plan gerufen.

„Die Muse abranka?“, fragte jetzt Hurrabärchi, die sich von einem früheren Einsatz an diesen Namen zu erinnern glaubte.

Die Menschen samt Teufel nickten. Chibichi erklärte: „Sie ist unsere Freundin und hat sich eine französische Grippe eingefangen. Weil aber die DVD-Player streiken, konnte sie euch kein Signal schicken, und so sind wir hergekommen, um euch zu holen.“

Sofort brach ein aufgeregtes Tuscheln unter den Glücksbärchis aus. Eine Grippe, die sich offenbar schon über mehrere Tage hin zog, war eine ernstzunehmende Sache.

„Und wenn das ein Trick des Teufels ist?“, grummelte Brummbärchi.

„Ach, papperlapapp“, erwiderte Freundschaftsbärchi. „Du hast doch selbst gehört, wie der Teufel höchstpersönlich abranka ihre Freundin genannt hat. Hab ein wenig mehr Vertrauen!“

„Genau!“, unterstützte Lieb-mich-Bärchi sie. „Immerhin sind sie extra hierher gekommen, um uns zu benachrichtigen!“

„Und genau deshalb werden wir jetzt auch gleich ein Dekontaminationskommando zusammenstellen“, entschied Schmusebärchi und beendete damit die Diskussion. „Wie wäre es, wenn du, Freundschaftsbärchi, zusammen mit Hurrabärchi, Brummbärchi und Glücksbärchi die Sache übernimmst?“

Während die vier Bärchis das Wolkenmobil startklar machten, hatte Nifen auf der anderen Seite des Wagens das Fenster heruntergelassen und war nun mit Geburtstagsbärchi eifrig am tuscheln. Aufgeregt blitzten die Augen des kleinen Bären mit dem Geburstagskuchen auf dem Bauch und es nickte eifrig. Dann rannte es blitzschnell zu seinen Gefährten, die sich gerade auf den Weg ins Schwabenland machen wollten, und flüsterte ihnen was zu.

Worum es ging?

Natürlich um ein Fest. Aber nicht irgendein Fest. Nein, das erste Sorglospunk-Wolkenfestival! Und Geburtstagsbärchi hatte nur dafür sorgen wollen, dass das Dekontaminationskommando auch die Instrumente der Sorglospunks sowie die dann hoffentlich wieder genesene Bandmuse mitbrachte. Denn dann stand einem gelungenen Live-Auftritt der Band als Highlight des Wolkenfestivals nichts mehr im Weg.

Und was für ein Fest es war...! Sogar Brummbärchi tanzte ausgelassen mit, als die Sorglospunks schließlich ihre eigene Version der Glücksbärchi-Hymne anstimmten:
 

Ich möcht' ein Sorglospunk sein

Das wäre wunderbar!

Ein Sorglospunk sein

Das ist doch sonnenklar!

Ein Sorglospunk sein

alles tun, was ein Sorglospunk tut

Ein Sorglospunk möcht' ich sein so wie du

so wie du
 

Wie Sorglospunk-Easy

machte ich nen Sorglossong

Mein Herz wird sein

wie das von Bassist Chris

Wie Multitalent Jack

werd' ich die Triangel spielen

Die glücklichsten Sorglospunks im Schwabenland
 

Ich möcht' ein Sorglospunk sein

Bring Sorglosmusik in die Welt!

Ein Sorglospunk sein

Ein Traum, der mir gefällt!

Eine wunderbare Band

das fest zusammenhält

wie Leim werden wir sein
 

Ich werd' kein Koch,

kein Feuerwehrmann

Fang nicht als Balancierer

bei 'ner Zirkustruppe an

Ein Sorglospunk möcht' ich sein

so wie du
 

Ich möcht' doch bloß ein Sorglospunk sein!
 

Dass sie dabei vielleicht ein paar mehr Wörter umdichteten als notwendig gewesen wäre, merkte im Eifer der Feier niemand, aber schließlich musste man der Band ja auch zu Gute halten, dass abranka glücklicherweise nicht so oft krank war und das Sorglospunkhauptquartier somit die meiste Zeit des Jahres von diesem Ohrwurm verschont blieb.

Unabridged *

Kirchen waren eine tolle Erfindung. Zumindest dann, wenn man in einem reichlich chaotischen Haushalt wohnte und einen Hort der Stille suchte. Gut, eine weitere Voraussetzung war, dass die Kirche es nicht als Sehenswürdigkeit in irgendeinen Reiseführer gebracht hatte und somit von Touristen überlaufen war, aber davon war die kleine Kirche irgendwo im Schwabenland und unweit des Sorglospunks-Hauptquartiers weit entfernt. Weshalb also Nifen, die Managerin der Band, hier ungestört in ihrem Lieblingsbuch lesen konnte: ‚Stolz & Vorurteil’. Insbesondere seit sie und Chibichi sich kürzlich erst die britische TV-Miniserie ‚Lost in Austen’ angesehen hatten, konnte sie das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Auch wenn sie sich nicht wie Amanda Price, die Heldin von ‚Lost in Austen’, an die Seite von Darcy wünschte, schließlich gehörte ihr Herz diesbezüglich einem anderen fiktiven Charakter, konnte Nifen Amandas Sehnsucht nach den Umgangsformen, der Höflichkeit und der Sprache jener Zeit nachempfinden.

Im Hintergrund knarrte mehrmals die hölzerne Kirchentür, aber die Bandmanagerin blickte nicht von ihrer Lektüre auf. Längst hatte sie sich an die örtlichen Witwen gewöhnt, die zum täglichen Gebet kamen, um so ihrer verstorbenen Lieben zu gedenken, und auch diese hatten sich an die Gegenwart der Managerin gewöhnt. Man akzeptierte einander einfach, beachtete sich sonst aber kaum.

Umso überraschter war Nifen also , als eine Gestalt auf eben jener Kirchenbank Platz nahm, auf der sie saß. Und als sie dann doch aufsah, hätte sie vor Schreck beinahe das Buch fallen lassen. Denn neben ihr saß eine junge Frau, die so aussah, als sei sie soeben einem Jane Austen-Roman entstiegen. Den ersten Gedanken an eine Cosplay-Veranstaltung in der Nähe verwarf sie sofort wieder, denn als Bandmanagerin der Sorglospunks hätte sie von einer solchen potenziellen Auftrittsmöglichkeit gewusst. Als die junge Frau neben ihr dann auch noch im besten, altmodischen Oxford-Englisch zu sprechen begann, wusste Nifen entgültig, dass hier etwas nicht stimmte. Zum Glück konnte die Managerin genug Englisch, um problemlos zu verstehen, was die Fremde sagte. International Neopets hätscheln zahlte sich eben manchmal aus.

„Ich hoffe, Sie halten mich nicht für aufdringlich, wenn ich Sie einfach so anspreche, ohne dass wir einander vorgestellt wurden, aber ungewöhnliche Umstände ließen mir keine Wahl. Wäre es Ihnen wohl möglich, die Kirchentür zu öffnen und mir zu sagen, was Sie sehen?“

Nifen nickte stumm und stand auf. Schließlich waren ungewöhnliche Vorkommnisse im Umfeld der Sorglospunks beinahe schon alltäglich, lediglich das Ausmaß des Ungewöhnlichen variierte. Einen Blick auf den Kirchhof zu werfen war also eine Kleinigkeit.

Keine Kleinigkeit aber war, als sie statt des süddeutschen Dorfes sanfte, grasbewachsene Hügel in der Ferne und ein paar niedrige weißgekalkte Fachwerkhäuser ein Stück die Straße hinunter erblickte. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, wäre Nifen glatt versucht gewesen zu sagen, die Landschaft sähe englisch aus.

„Na wunderbar“, seufzte sie und ging zu der jungen Frau zurück. Dieser genügte ein Blick in Nifens Gesicht, um ihre Vermutung bestätigt zu sehen. „Sie sehen auch die falsche Umgebung, nicht wahr? Die Häuser sind zu dicht bei der Kirche und das nächste Postamt ist erst in Meryton, nicht in Sichtweite der Kirche. Und dann diese pferdelosen Metallkutschen...“

Meryton? Nifen zog beide Augenbrauen hoch. Pferdelose Metallkutschen? „Sie meinen die Autos?“ Erkenntnis durchzuckte sie wie ein Blitz. „Ich fürchte, Sie sehen, was ich sehen sollte und ich sehe, was Sie sehen sollten...“

Tatsächlich schien die Kirche an diesem Tag ein Raum-Zeit-Multidimensions-Portal zu beherbergen, das Charlotte Lucas von Lucas Lodge nahe Meryton, Hertfordshire in England und Romanfigur aus ‚Stolz & Vorurteil’ mitten in das moderne Schwabenland und Heimat der sorglospunkigsten Punkband versetzt hatte. Doch natürlich war das noch nicht alles, denn der Zufall wollte es, dass eben dieses Portal jetzt eine Fehlfunktion aufwies und Miss Lucas als einzigen Ausgang das Schwabenland präsentierte und Nifen das ländliche England des frühen 19. Jahrhunderts. „Wie es aussieht stehen uns zwei Möglichkeiten offen: Wir tauschen vorübergehend die Plätze und Sie informieren meine Freunde über die Misere, Miss Lucas, oder wir warten hier, bis wir vermisst werden und Hilfe kommt.“

„Ehrlich gesagt, Miss Hill“, Nifen hatte es für klüger gehalten, eines der zahlreichen Pseudonyme, über die alle Sorglospunks verfügten, zu verwenden, „ziehe ich die erste Möglichkeit vor, auch wenn es schwierig sein dürfte, unseren beiden Familien die Situation zu erklären.“ Dem konnte Nifen nur zustimmen, auch wenn die Sorglospunks wohl weit weniger Probleme damit haben würden als Sir William und Lady Lucas.

Eine halbe Stunde später hatte Nifen Miss Lucas die Grundzüge der Sorglospunks und den Weg zum Hauptquartier erklärt und Miss Lucas hatte einen Brief an ihren Vater verfasst, worin sie ihm erklärte, dass sie überraschend eine Brieffreundin aus Übersee in der Kirche getroffen hätte, die auf dem Weg zu einer ältlichen Verwandten in London gewesen wäre, um dort in die Gesellschaft eingeführt zu werden, und sie beide hätten spontan beschlossen, die Plätze zu tauschen.
 

„Nachdem ich so lange mit meinem Bruder auf unseren überseeischen Besitzungen gelebt habe, war der Gedanke an London ein wenig furchteinflößend. Die liebe Charlotte hingegen war zu der Einsicht gekommen, dass es ihr in einem größeren gesellschaftlichen Kreis vielleicht eher gelingen könnte, einen Gatten zu finden und so ist sie statt meiner nach London gefahren. Großtante Augusta wird das gewiss verstehen“, schloss Nifen ihre Erklärung der Familie Lucas gegenüber.

„Oh Miss Hill, wie schön! Endlich wurden Charlottes Gebete erhört.“ Maria Lucas ergriff beide Hände der literaturgestrandeten Bandmanagerin und drückte sie herzlich. „Sie ist jeden Tag zur Kirche gegangen und hat dort für eine Änderung in ihrem Leben gebetet. Und dann sind Sie gekommen! Wie schade nur, dass Charlotte jetzt den Ball auf Netherfield Park verpassen wird. Denn vorhin erst kam ein Bote mit der Einladung...“
 

***
 

Schon wieder Jane Austen! Und schon wieder ‚Stolz & Vorurteil’!

Professor Severus Snape, Lehrer für Zaubertränke an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei, war ernsthaft versucht, seine private Bibliothek mit all den Bänden über die Dunklen Künste zu durchforsten, um herauszufinden, ob es eine Möglichkeit gab, nachträglich noch bereits verstorbene Autoren daran zu hindern, ihre bekanntesten Werke zu schreiben. Schließlich verging kein Schuljahr, wo er nicht irgendwelchen irregeleiteten Schülerinnen eines dieser Werke abnahm. Vermutlich hätte er der Autorin und ihren Geschichten längst nicht so ablehnend gegenübergestanden, wenn seine Schüler nicht auf die selten unintelligente Idee gekommen wären, ausgerechnet in seinem Unterricht heimlich in diesen Büchern schmökern zu müssen. Als ob ihnen die Liebesgeschichte zwischen Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy dabei helfen würde, einen korrekten Trank zu brauen.

Wohl eher nicht!

Doch um diese Möglichkeit nicht gänzlich auszuschließen, erklärte Snape jedes Mal der betreffenden Schülerin, dass sie ihr Buch zurück bekäme, wenn sie bei den UTZ-Prüfungen ein ‚Ohnegleichen’ in Zaubertränke erzielte.

Bislang hatte er noch kein einziges Exemplar zurückgeben müssen, weshalb seine private Jane Austen-Sammlung mittlerweile nicht weniger als 23 Bände von ‚Stolz & Vorurteil’, elf Ausgaben von ‚Sinn & Sinnlichkeit’, je sieben Exemplare von ‚Überredung’ und ‚Emma’, klägliche zwei Bücher mit dem Titel ‚Northanger Abbey’ und ein vereinsamtes Taschenbuch von ‚Mansfield Park’ umfasste. „Wenn Sie also das nächste Mal in meinem Unterricht unbedingt Austen lesen müssen, tun Sie mir den Gefallen und wählen eines der bislang unterrepräsentierten Bücher“, erklärte er der unglücklichen Ravenclaw-Schülerin, ehe er das Buch in einer Tasche seiner Robe verschwinden ließ und sie anwies das Nachsitzen damit zuzubringen, Flubberwürmer auszunehmen.

Gerade als er sich an seinen Schreibtisch setzen wollte, um einen Stapel zweifelsfrei eher kläglicher Zaubertrankaufsätze zu korrigieren, drang von draußen Lärm in den Klassenraum. Es schien, als nahm die Idiotie der Schüler an diesem Tag kein Ende, denn andernfalls hätten sie sich garantiert einen anderen Korridor ausgesucht, um ihre Streitigkeiten auszutragen.

Der Anblick, der sich dem Professor bot, als er aus dem Klassenzimmer trat, ließ ihn mit den Augen rollen. Die üblichen Verdächtigen waren einmal mehr aneinander geraten – auch bekannt als das Goldene Trio von Gryffindor auf der einen Seite und Draco Malfoy mit seinen beiden treuen Schatten auf der anderen Seite.

Vincent Crabbe war von einem Incarcerus getroffen worden und lag sorgfältig verschnürt auf dem Steinboden, während Ronald Weasley Opfer eines Schockzaubers geworden war. Kurzentschlossen hob Severus Snape den Zauberstab, um alle Anwesenden zu entwaffnen, kam jedoch nicht mehr dazu, denn Gregory Goyle suchte sich genau diesen Augenblick aus, um zu versuchen, seinen Freund aus dessen misslicher Lage zu befreien. Nur dass Zauberkunst nicht gerade zu Goyles Stärken zählte (wie vermutlich keines der Fächer). Es kam, wie es kommen musste: Er betonte eine Silbe falsch, aus einem Liberatis wurde ein Literatis, und weil Draco Malfoy ausgerechnet in diesem Moment einen Schritt zur Seite machte und Goyle anrempelte, wurde Professor Snape statt Vincent Crabbe getroffen.

Als er das nächste Mal die Augen öffnete, fand er sich in einer hellen, wenn auch nicht sonderlich großen, so doch wohlproportionierten Eingangshalle wieder, die mit Hogwarts in etwa so viel gemeinsam hatte, wie die Pyramiden von Gizeh mit einer Forschungsstation am Südpol...
 

„Und Mr. Collins...“

„Musste leider wegen dringender Angelegenheiten für ein paar Tage nach London reisen“, erklärte Severus Snape der aufgebrachten Dame, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Jahre als Spion hatten ihre Spuren hinterlassen und nicht nur sein schauspielerisches Talent gefördert, sondern auch dafür gesorgt, dass er binnen weniger Sekundenbruchteile Situationen einschätzen konnte. Und so hatte er auch, kaum dass Mrs. Bennet ihren Namen genannt hatte, erkannt, dass Goyles missglückter Zauber ihn offenbar direkt in ‚Stolz & Vorurteil’ gezaubert hatte, wo er dem Anschein nach mit diesem aufgeblasenen Windbeutel Collins den Platz getauscht hatte. Oh ja, Severus Snape kann, Lily Evans sei Dank, den Inhalt von ‚Stolz & Vorurteil’. Und von ‚Jane Eyre’, ‚Vanity Fair’ und einer Handvoll weiterer Klassiker, die romantisch veranlagte Mädchen früher oder später als Lesemuss betrachteten und auch nicht davor zurückschreckten, ihre besten Freunde zur Lektüre selbiger zu verdonnern. Jetzt war Snape dafür annähernd dankbar – so dankbar man eben in dieser Situation und bei seiner Veranlagung sein konnte –, war es ihm doch so möglich, sein plötzliches Auftauchen einigermaßen plausibel darzustellen. Allerdings verbot sich der Professor in diesem Moment, darüber nachzudenken, was Mr. Collins in Hogwarts alles anstellen würde. Derartige Gedanken waren zu katastrophenlastig und verursachten bloß Kopfschmerzen. „Ein Schreiber bei der Erzdiözese hatte seinen Namen fälschlich auf die Liste der Missionare gesetzt, die sich nächsten Monat nach Indien einschiffen sollen. Zufällig aber war mir bekannt, dass er erst kürzlich die Pfründe von Hunsford übernommen hat. Wenn allerdings solche Fehler nicht augenblicklich und am besten persönlich geklärt werden, könnte dies für Mr. Collins unangenehme Konsequenzen haben.“

„Da haben Sie ja so recht, Professor“, sagte Mrs. Bennet und Snape konnte deutlich in ihrem Gesicht lesen, dass sie daran dachte, dass ein Mr. Collins, der zwangsweise nach Indien abkommandiert wurde, wohl kaum ihr Lizzy heiraten würde. Besser also, er klärte seine Angelegenheiten in London. „Hoffen wir, dass alles sich zum Guten wendet und er rechtzeitig zum Ball auf Netherfield Park wieder da ist. In der Tat wäre es sehr unhöflich von ihm, so lange fortzubleiben, wo wir Mr. Bingley doch bereits fest zugesagt haben. Abgesehen davon, dass Lizzy natürlich enttäuscht sein wird, wo er sie doch um den ersten Tanz gebeten hat.“

Dass ihre Tochter Collins’ Abwesenheit bedauern würde, wagte Professor Snape zu bezweifeln, aber Mrs. Bennet würde noch früh genug der Wahrheit ins Auge blicken müssen. Vorausgesetzt natürlich, es gelang Albus Dumbledore rechtzeitig den Zauber umzukehren, so dass Mr. Collins planmäßig seinen unmöglichen Heiratsantrag machen konnte.

„Sie müssen natürlich so lange unser Gast sein, Professor, wo Sie doch so zuvorkommend waren, nicht nur Mr. Collins von dem Irrtum zu unterrichten, sondern ihm auch gleich Ihre Kutsche zur Verfügung zu stellen.“

Severus Snape nahm mit einem Nicken und einer angedeuteten Verbeugung an, schließlich gab es in ‚Stolz & Vorurteil’ weder Hogwarts noch irgendwelche Magie und er hätte nicht gewusst, wo er sonst bleiben sollte.

„Wo sagten Sie noch, unterrichten Sie, Professor?“, plauderte Mrs. Bennet munter weiter.

„An einer exklusiven Schule nahe der schottischen Grenze.“

„Und sind Sie verheiratet?“
 

***
 

Tanzen! Wie hatte sie das bloß übersehen können? Ein Ball wurde schließlich exakt aus diesem Grund veranstaltet. Bloß, dass Nifen von den hier üblichen Tänzen allenfalls Walzer konnte. All die übrigen Gesellschaftstänze, die sie seinerzeit in der Tanzschule gelernt hatte, mussten erst noch erfunden werden und sich dann auf der Welt verbreiten. Gut, damals, für den Abschlussball des Grundkurses, hatten sie auch einen altertümlichen Schreittanz einstudiert, aber die Bandmanagerin konnte sich lediglich daran erinnern, dass da eine Schrittfolge vorkam, die sie mit ‚Stampf & Kick’ bezeichnet hatte. Himmel, sie wusste ja nicht einmal mehr den Namen dieses Tanzes, den sie anno dazumal mit der widerstrebenden Grazie eines albernen Teenagers auf das Parkett gebracht hatte. Sie wusste nur, dass es kein Menuett und kein schottischer Reel gewesen war, eben jene Tänze, die zweifellos zum Ballprogramm auf Netherfield gehören würden.

„Und was ist Ihr liebster Tanz, Miss Hill?“, wandte sich Maria Lucas nun an Nifen, nachdem das Mädchen die vergangenen fünf Minuten damit zugebracht hatte, den anwesenden Familienmitgliedern darzulegen, wieso ihrer Meinung nach das Menuett der schönste Tanz überhaupt war.

Nifen überlegte fieberhaft und dankte still Chi für all die gemütlichen Teestunden bei Oma, wo sie von des Teufels Großmutter viel über spontane Flunkereien und Ausreden gelernt hatte. „Der Walzer“, sagte sie jetzt, obgleich sie eigentlich lieber Rumba tanzte, wohl wissend, dass etwas Wahrheit jede Notlüge glaubhafter erscheinen ließ. Wie etwa die Existenz eines nichtexistenten Bruders und den dazugehörigen überseeischen Besitzungen. „Tatsächlich ist das der einzige Tanz, den ich überhaupt beherrsche.“ Auf die ungläubigen Gesichter ihrer Gastgeber hin, fuhr sie fort: „Sehen Sie, die Plantagen in Übersee sind so weit voneinander entfernt, dass Bälle so gut wie nie stattfinden. Auch würde man dort keinen geeigneten Tanzmeister finden, so dass Tanzen dort sträflich vernachlässigt wird. Zwar wird jeder Gast, der aus Europa herüber kommt nach der neusten Mode und den neusten Tänzen befragt, aber viele der Schreittänze enthalten Figuren, wo das Paar sich eine Gasse von Tänzern hinunter bewegt. Etwas, das sich nur schwer mit lediglich zwei Tänzern üben lässt. Walzer hingegen war ein Tanz, den mein Bruder auch alleine mit mir üben konnte.“

„Oh, Sie Ärmste!“, rief Lady Lucas aus. „Gewiss hätte Ihre Tante für die notwendigen Tanzstunden gesorgt, ehe Sie auf einen Ball gingen, aber jetzt haben wir Mr. Bingley bereits informiert, dass Sie uns begleiten werden. Komm, Maria, hole deinen Vater und deine übrigen Geschwister, so dass wir gleich damit beginnen können, Miss Hill die Grundzüge des Menuetts beizubringen.“ Und noch ehe Nifen irgendwelche Einwände hatte erheben können, war Maria bereits aus dem Raum geeilt.
 

An und für sich war die Schrittfolge eines Menuetts nicht sonderlich schwer, aber Nifen war Linkshänderin und brachte deswegen ständig die Füße und Arme, die es zu bewegen galt, durcheinander. Und wenn sie sich darauf konzentrierte, versprühte sie den Charme und die Anmut einer Planierraupe.

Nach etwa einer Stunde gab sie genervt auf. „Schluss damit!“, sagte sie vehement und als Lady Lucas einwenden wollte, dass sie ohne solide Fähigkeiten beim Menuetttanzen ihnen allen auf dem Ball Schande bereiten würde, erwiderte die Bandmanagerin so liebenswürdig, wie sie nur konnte: „Dann werde ich eben kein Menuett tanzen.“ Und um weiteren Widersprüchen von Lady Lucas vorzubeugen, fuhr sie fort: „Wenn einer der Gentlemen mich zum Tanz auffordern sollte und es sich dabei nicht um einen Walzer handelt, werde ich ihn einfach charmant anlächeln und ihn bitten, stattdessen mit mir durch den Saal zu promenieren.“ Damit war für Nifen die Sache erledigt.

Nicht aber für Maria und Lady Lucas, die das Thema immer wieder ansprachen, bis Nifen es schließlich nicht länger aushielt und trotz des schlechten Wetters unter dem Vorwand, sich in Meryton über den Verbleib ihrer (nichtexistenten) Truhe mit Kleidern, die ihr (nichtexistenter) Bruder ihr hatte schicken wollen, erkundigen zu wollen, das Haus verließ.
 

Der Regen vom Vortag war einem anhaltenden Nieseln gewichen, was dafür sorgte, dass die Felder und Wege in ihrem aufgeweichten Zustand erhalten blieben und kaum jemand unterwegs war. Instinktiv schlug Nifen den Weg zu der Steinkirche ein, immerhin konnte es nicht schaden, nachzusehen, ob Charlotte Lucas zurückgekehrt war. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.

Schließlich machte sie an einem großen, altehrwürdigen Baum Halt, um an dessen Wurzeln den Schlamm notdürftig von den Schuhen abzustreifen. Denn je mehr Matsch sie mit sich herumschleppte, desto schwerer wurden ihre Füße und desto tückischer wurde der lehmige Boden. Die Aussicht, darauf auszurutschen und hinzufallen war nicht gerade verlockend.

Plötzlich hörte sie von der anderen Seite des breiten Stammes jemanden fluchen: „Gebe Merlin, dass ich mich nie wieder über die engstirnigen Moralvorstellungen von Minerva McGonagall oder besserwisserischen Ravenclaws oder Gryffindors wie Miss Granger aufrege. Lieber stelle ich mich freiwillig Hagrids privatem Streichelzoo als noch eine Stunde länger in Gegenwart von Mary Bennet und ihren jämmerlich intellektuellen Flirtversuchen zu verbringen!“

Ravenclaw? Minerva McGonagall? Hagrid? Das alles kam Nifen nur allzu bekannt vor und sie lugte vorsichtig hinter dem Baumstamm hervor. Beim Anblick der mürrischen, schwarzgekleideten Gestalt entfuhr ihr ein ungläubiges „Professor Snape?“ und die Art, wie der so Angesprochene reagierte, bestätigte ihre Vermutung. Vor ihr stand niemand anderes als Professor Severus Snape, der jedoch wenig begeistert darüber zu sein schien, so unverhofft ihre Bekanntschaft zu machen.

„Wer sind Sie und woher kennen Sie meinen Namen?“, fuhr er sie ungehalten an. „Sind Sie etwa auch eine Bennet, die man mir aber bislang vorenthalten hat, in der Hoffnung, ich würde mit dann diesem langweiligen Moralapostel widmen und nun, da ich die Flucht ergriffen habe, wurden Sie vorgeschickt, mich wieder einzufangen?“ Er sah dabei so wütend, durch den Regen aber zugleich so verloren aus, dass Nifen kichern musste, während sie den Kopf schüttelte.

Snape zog nur ungehalten die Augenbrauen hoch und verfluchte stumm ein ums andere Mal, dass er in dieser nichtmagischen Geschichte gestrandet war. „Ich warte...“, sagte er schließlich grimmig und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

„Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sagte, dass ich ebenso wenig hierher gehöre, wie Sie? Dass ich aus einer Welt außerhalb dieser Geschichte stamme?“, fragte Nifen, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Dass sie außerdem noch aus einer Welt außerhalb seiner Geschichte stammte, behielt sie für sich.

„Ich wage zu bezweifeln, dass Sie ebenfalls von einem missglückten Zauber getroffen wurden, den Sie einem Ihrer geistig minderbemitteltsten Schüler zu verdanken haben...“

Fasziniert erkannte Nifen, dass die Originalstimme des Professors zwar nicht ganz so Gänsehaut verursachend betörend klang, wie die von Alan Rickman, der die Rolle Severus Snapes in den ‚Harry Potter’-Filmen spielte, dafür hatte der Original-Snape aber auch nicht so ein schlaffes Puddinggesicht. Als sie hörte, was den Zaubertrankmeister hierher gebracht hatte, entschlüpfte ihr spontan: „War es Crabbe oder war es Goyle?“

Die Miene des Professors verfinsterte sich noch mehr und er baute sich bedrohlich vor der Sorglospunksmanagerin auf. „Ich frage Sie noch einmal: Wer sind Sie und woher kennen Sie mich?“

Oh, oh! Gar nicht gut! Nifen konnte ihm ja schlecht erklären, dass sie ihn aus sieben Büchern, derzeit fünf Filmen und unzähligen Fanfictions kannte. „Drücken wir es so aus“, formulierte sie vorsichtig, „ich habe eine Bekannte, die wiederum die magische Welt und besonders Hogwarts sehr gut kennt. Und aufgrund von einigen ungewöhnlichen Umständen, die näher zu erläutern mir nicht gestattet ist, wurde bei mir eine Ausnahme bezüglich des Statuts zur Geheimhaltung der magischen Gemeinschaft gemacht.“ Das klang doch alles schön vage, so dass sie sich jederzeit aus allem herausreden konnte, mit der gleichzeitigen Implikation, irgendwelche Behörden hätten ihr untersagt, weiter ins Detail zu gehen, was bei dem universellen Ruf von Behörden durchaus glaubwürdig schien. Nifen war stolz auf sich. Und tatsächlich sah es so aus, als würde Snape ihr glauben. „Mein Name ist übrigens Margaret Hill“, fuhr Nifen fort, ehe der Professor sie zum dritten Mal auffordern konnte, sich vorzustellen. „Zumindest hier. Schließlich will ich kein literarisches Zeitparadoxon heraufbeschwören oder so...“ Die Managerin erkannte, dass sie in nervöses Plappern verfiel und verstummte abrupt. Da der Zaubertranklehrer neben ihr nicht geneigt schien, die so entstehende Stille zu durchbrechen, wandte Nifen ihre Gedanken wieder dem zu, was sie hier hinaus und unter diesen Baum getrieben hatte: Der Ball auf Netherfield Park!

Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Severus Snape hinüber, als sie sich vorstellte, wie es wohl wäre, mit ihm einen Walzer zu tanzen, genau so, wie es in vielen ihrer geliebten Fanfictions beschrieben wurde, und sie konnte gerade noch ein sehnsüchtiges Seufzen unterdrücken. Professor Severus Snape, Meister des Sarkasmus, war nun mal ihr unangefochtener Liebling im ‚Harry Potter’-Universum und sie hatte sich schon oft gewünscht, ihn einmal wirklich kennen zu lernen. Aber ihn hier, unter diesen Umständen, zu treffen, war selbst für den abenteuererprobtesten Sorglospunk zu viel des Guten. Überhaupt war hier einiges selbst für Nifens Maßstäbe zu sonderbar...

Ein Verdacht keimte in ihr auf und ihr entfuhr ein Fluch, von dem manch ein Seemann noch etwas hätte lernen können. Das war unmöglich... die drei waren doch...

Fragend hob Snape eine Augenbraue und sagte trocken: „Seien Sie froh, dass Sie keiner meiner Schüler sind, Miss Hill. Denn sonst hätten Sie sich dafür wenigstens einen Abend Nachsitzen eingehandelt.“

Nachsitzen? Bei Professor Snape? Jener Anteil von Nifen, der sie gerne als Mary Sue in Hogwarts sähe, hyperventilierte beinahe vor Aufregung bei dieser Vorstellung, während ihr Realitätssinn dagegen hielt, dass sie dann höchstwahrscheinlich eine so romantische Aufgabe bekäme wie Molchaugen zu sortieren oder so. Es verstand sich von selbst, dass ihr Realitätssinn in dieser Situation gewann, war er doch deutlich enger mit ihrem Überlebenssinn verbunden als ihre Vorstellungskraft.

„Wie schön für mich also, dass wir nicht in Hogwarts sind. Auch wenn Sie dort vor Mary Bennet und ihren Moralansichten sicher wären“, sagte Nifen deshalb leichthin und hoffte, den Professor so davon ablenken zu können, sie zu fragen, was sie zu dem Fluch veranlasst hatte.

„Touché, Miss Hill. Ich sehe, Sie gehören wenigstens nicht zu den Menschen, die leicht klein beigeben, sondern auch austeilen. Auch wenn der Seitenhieb auf Mary Bennet alles andere als subtil war“, zollte ihr Professor Snape widerwillig Anerkennung.

Nifen zuckte scheinbar ungerührt mit den Schultern, auch wenn sie sich innerlich riesig über das angedeutete Kompliment freute. „An Mary Bennet ist ja auch nichts Subtiles, was sich für eine entsprechende Bemerkung verwenden ließe.“

Snape ließ ein Grollen hören. „Fürwahr! Weder die Art, wie sie ihre moralischen Ansichten vertritt, noch ihre Unterhaltungskunst musikalischer Natur lassen irgendeine Raffinesse oder überragende Fähigkeit auch nur im Ansatz erahnen.“

Bei der Erwähnung der Musikvorträge war Nifen kreidebleich geworden. So bleich, dass es sogar ihrem unfreiwilligen Gesprächspartner auffiel und er sie schroff anwies: „Fallen Sie jetzt bloß nicht in Ohnmacht, Miss Hill!“

Nifen schüttelte den Kopf und zwang sich, ein paar ruhige Atemzüge zu tun. „Keine Sorge, Professor, damit es soweit kommt, müsste ich erst mehr als einen halben Liter Blut verlieren und obendrein über Stunden meinen Kreislauf strapazieren. Nein, Sie haben mich nur gerade an die zweite Foltermethode erinnert, die man gewöhnlich auf Bällen dieser Art anwendet.“

„Foltermethoden?“

„Gesellschaftlicher Art. Die erste ist Tanzen, genauer gesagt Schreittänze. Die zweite ist, die Gäste, insbesondere die holde Weiblichkeit, dazu aufzufordern, am Klavier oder auch nur gesanglich zur Abendunterhaltung beizutragen.“ Und für Nifen stand jetzt schon fest, dass sie, trotz aller Liebe zu Ace of Base, es nicht wie Amanda Price machen würde, die mit ‚Downtown’ in ‚Lost in Austen’ einfach einen modernen Klassiker zum Besten gegeben hatte.

„Ihrer Panik nach zu urteilen, darf ich darauf schließen, dass Sie nicht Klavier spielen können, aber davon ausgehen, zum Musizieren aufgefordert zu werden?“, erkundigte sich Snape spöttisch.

„Ja, leider befürchte ich genau das“, gab Nifen seufzend zurück. „Schließlich bin ich neu in dieser Nachbarschaft und man wird neugierig auf mich sein. Genauer gesagt, will man einschätzen, wie ich in Konkurrenz zu den hiesigen Töchtern, Nichten und anderen ehemannsuchenden Damen stehe.“ Dann aber hellte sich ihre Miene auf. „Meinen Sie, man würde es mir abkaufen, wenn ich erklärte, ich könne leider nur Ophikleide spielen?“

„Ophikleide?“

„Ein Vorläufer der Tuba.“

„Können Sie denn Ophikleide spielen, Miss Hill?“

„Nein“, erwiderte sie nun schon wieder gelassen, „aber wie groß wird schon die Wahrscheinlichkeit sein, dass es auf Netherfield Park eine Ophikleide gibt und man sich dann auch noch die Mühe macht, sie extra für mich zu holen, wo es genügend andere junge Damen gibt, die begierig sind, ihr musikalisches Können zur Schau zu stellen?“ Hier zwinkerte Nifen dem Professor kurz zu, dessen Miene sich entsprechend verdüsterte, dachten sie doch beide diesbezüglich an die gleiche junge Dame. „Ich werde einfach erzählen, meinem Bruder sei es zu riskant erschienen, ein Klavier so weit mit dem Schiff zu transportieren, aber als er von der Erfindung der Klappentrompete gehört hätte, hätte er zwecks meiner musikalischen Ausbildung eine solche bestellt. Leider habe es aber auf dem Weg über den Atlantik eine Verwechslung gegeben und so sei stattdessen eine Ophikleide auf unserer Plantage gelandet.“

„Plantage? Bruder?“ Ungläubig starrte Snape Nifen an.

„Nun, irgendwie musste ich doch meinen amerikanischen Akzent und meine teilweise ungeschliffenen Manieren erklären, vom Verbleib Charlotte Lucas’ ganz zu schweigen“, erläuterte die Bandmanagerin, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Und gewisser Weise war es das ja auch, schließlich hatte Snape selbst ein ziemliches Gewirr an Ausreden gebraucht, um seine plötzliche An- und Mr. Collins’ Abwesenheit akzeptabel erscheinen zu lassen, wie er sich eingestand.

„Für wen sind Sie eigentlich hier, Professor?“, fragte Nifen da, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie von dem Platztausch mit Mr. Collins erfuhr. Auch der Zaubertrankmeister konnte sich der Ironie der Situation nicht ganz entziehen, weshalb er zwar nicht in Nifens Lachen einstimmte, aber einen Ausdruck spöttischer Belustigung nicht ganz unterdrücken konnte.

„Nun, immerhin können wir uns somit ungestraft unterhalten, ohne uns um zusätzliche Literaturparadoxe Gedanken machen zu müssen“, meinte Nifen fröhlich, nachdem der Lachanfall vorüber war.

„Und wer sagt, dass ich das will?“, verlangte der Professor ungehalten zu wissen.

„Die Logik“, erwiderte Nifen schlicht. „Ich mag Ihnen zwar beizeiten wie eine nervig plappernde Besserwisserin vorkommen, aber verglichen mit den Alternativen derer, die Ihnen Gesellschaft leisten wollen, bin ich so etwas wie der Einäugige unter den Blinden!“ Es schmerzte sie zwar in diesem Moment zu erkennen, dass sie in seinen Augen wohl wirklich in diese Kategorie der Nervensägen fiel, aber das Leben bei den Sorglospunks hatte sie gelehrt, dass man eben nicht alles haben konnte.

Snape verzog das Gesicht und grollte. „Ich hasse Logik!“

Nifen verkniff es sich, ihn darauf hinzuweisen, dass er nicht die Logik im Allgemeinen hasste, sondern nur Logik, die zu seinen Ungunsten ausfiel. Stattdessen sagte sie: „Schön, nachdem das nun geklärt wäre, sollte ich wohl meinen Weg nach Meryton fortsetzen. Denn wenn eine der örtlichen Klatschtanten den Lucases hinterbringt, dass ich, obwohl ich doch genau mit dieser Absicht das Haus verlassen habe, mich nicht nach meiner nichtexistenten Truhe erkundigt habe, werden mir meine Gastgeber kein Wort mehr glauben und das könnte meinen Aufenthalt hier reichlich schwierig gestalten.“ Als Sorglospunk hatte man eben auch gelernt, den örtlichen Dorfklatsch nicht unbeachtet zu lassen. „Vielleicht sehen wir uns morgen in der Kirche? Ich würde mich jedenfalls über die Gelegenheit schon vor dem Ball offiziell Ihre Bekanntschaft zu machen, freuen“, verabschiedete sich Nifen. Doch sie war noch keine fünf Schritte gegangen, als Snape sie wieder eingeholt hatte.

„Wenn Sie gestatten, würde ich Sie gerne begleiten. Als ich vorhin in Longbourn House erklärte, ich wolle trotz des schlechten Wetters nach Meryton gehen, wurde ich darum gebeten Schuhrosetten zu besorgen. Was auch immer das ist...“
 

***
 

Natürlich hatte Nifen nichts dagegen gehabt, dass der Professor sie begleitete. Und sie schaffte es sogar erfolgreich gegen den Drang, ihn sinnlos zuzutexten, anzukämpfen.

Wie vorgeschlagen, waren sie sich am darauffolgenden Tag beim Gottesdienst begegnet und dann auch offiziell einander vorgestellt worden, wo gleichzeitig die Neuigkeit, dass sowohl Charlotte Lucas als auch Mr. Collins überraschend und zur selben Zeit nach London gereist waren und statt ihrer zwei Neuankömmlinge in der Nachbarschaft weilten, überall für Aufregung gesorgt hatte.

„Irgendwie fühle ich mich rein gar nicht beobachtet“, hatte Snape mit einem kaum unterdrückten Anflug von Sarkasmus gemeint, als er unbehaglich und unter den wachsamen Augen der Gemeinde auf der Kirchenbank Platz genommen hatte. „Als würden sie nur auf einen Fehler von mir warten, was angesichts der Tatsache, dass ich mit der Liturgie absolut nicht vertraut bin, nicht ganz auszuschließen ist.“ Letzteres war nur noch ein leises Raunen gewesen, das einzig Nifen, die neben ihm gesessen hatte, hatte hören können.

„Stellen Sie es sich ähnlich wie eine Todesserversammlung vor. Sie stehen auf, wenn alle aufstehen, Sie knien sich hin, wenn alle sich hinknien und singen (oder tun zumindest so), wenn alle singen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Pfarrer vorne auf der Kanzel Sie nicht wie Voldemort mit dem Cruciatus-Fluch belegt, wenn Sie nicht schnell genug sind, oder den Ton nicht richtig treffen“, hatte sie grinsend erwidert.

„Danke auch für Ihre aufmunternden Worte!“ Der Spott in Snapes Stimme war nicht zu überhören gewesen, aber das hatte Nifen nicht gestört. Wie auch, war es doch einer der Züge, der ihr schon immer an dem Zaubertrankmeister gefallen hatte.

Was vielleicht auch erklärte, wieso sie es sich jetzt, wo sie im Ballsaal von Netherfield Park waren, nicht wirklich verkneifen konnte, ihn ein wenig zu necken: „Sie wissen, Professor, dass die Rolle des Stoffels in dieser Geschichte bereits vergeben ist? Und sogar Mr. Darcy wird heute Abend wenigstens drei Mal das Tanzbein schwingen.“

„Drei Mal?“, fragte Snape mit hochgezogener Augenbraue. „Mir ist nur von einem Tanz bekannt.“

„Weil im Buch nur einer beschrieben wird. Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass er darum herum kommt, nicht wenigstens einmal mit Mrs. Hurst und einmal mit Miss Bingley zu tanzen. Zusammen mit Elizabeth mach das dann drei Tänze“, klärte die Managerin ihn auf.

„Das mag auf Darcy zutreffen, aber ich bin nicht Mr. Darcy“, meinte der Professor abweisend.

„Zum Glück!“, entfuhrt es Nifen und auf seinen fragenden Blick hin, erwiderte sie ernst: „Auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben, wünsche ich mir gar nicht, dass Sie jemand anderes als Sie selbst sind.“

„Soll das ein Versuch sein, mich dazu zu bringen, Sie zum Tanzen aufzufordern?“, fragte Snape argwöhnisch.

Nifen schüttelte heftig den Kopf. „Bloß nicht. Im Moment sind nur Schreittänze dran, ich kann aber nur Walzer tanzen. Und der erste Walzer wird frühestens in einer halben Stunde gespielt.“

„Dann muss ich für die nächste halbe Stunde Mr. Darcy wohl oder übel den Rang als Stoffel, wie Sie es ausdrückten, ablaufen, Miss Hill“, meinte Professor Snape trocken und bekannte dann: „Ich kann nämlich ebenfalls nur Walzer. Wie wäre es also, wenn Sie mir eben jene Tänze für den restlichen Abend versprächen? Auf diese Weise wäre der Pflicht Genüge getan und keiner von uns liefe Gefahr, sich durch moderne Schrittfolgen bei einem der hiesigen Tänzer einen Fauxpas zu leisten.“

So einleuchtend die Erklärung auch klang, schüttelte Nifen augenblicklich wieder den Kopf. „Das wäre höchst schockierend, Sir. Wissen Sie denn nicht, dass mehr als ein Walzer oder generell mehr als zwei Tänze mit der selben Dame an einem Abend einer Heiratsabsichtserklärung gleichkommt? Wenn Sie die hier Anwesenden beobachten, werden Sie sehen, dass Darcy keinen zweiten Tanz mit Miss Bingley riskieren wird, weil er weiß, dass sie das bei ihrem offenkundigen Besitzanspruch auf ihn sofort falsch auslegen würde. Und sogar Mr. Bingley wird Jane Bennet nur zweimal auf die Tanzfläche führen, auch wenn er sonst noch möglichst viel Zeit im Gespräch mit ihr verbringen wird und jeder in dieser Nachbarschaft es nur noch für eine Frage der Zeit hält, ehe die Hochzeit stattfindet, wie uns mein werter Gastvater Sir William später noch vorführen wird.“

„Die Anzahl der Tänze pro Dame ist also streng reglementiert?“ Unglaube und Belustigung hatten sich in Snapes Stimme gemischt.

Nifen nickte.

„Woher zum Kuckuck wissen Sie das alles eigentlich? Ich habe ‚Stolz & Vorurteil’ zwar auch gelesen, aber an ein Kapitel über die Schicklichkeit und Fallstricke auf der Tanzfläche kann ich mich nicht erinnern. Man könnte fast meinen, Sie hätten ein Lexikon mit Benimmregeln für diese Zeitepoche verschluckt, aus dem Sie jetzt genauso freigiebig zitieren, wie Miss Granger aus ‚Hogwarts, A History’!“ Der Tonfall des Professors hatte einen ätzenden Klang angenommen, doch Nifen zeigte sich davon wenig beeindruckt. Stattdessen grinste sie nur und sagte: „Exzessiver Schmachtfetzenkonsum. Quasi als Ausgleich zu den Spammails, die ich regelmäßig durchforsten darf. Und da nicht wenige der historischen Romane hier in der Regency-Zeit spielen...“

„Dann muss Ihnen dieser Trip ja wie eine Reise ins Märchenland vorkommen.“

„Mitnichten!“, widersprach die Bandmanagerin. „Denn erstens sieht es im Märchenland ganz anders aus und zweitens ziehe ich es vor, in einer Zeit zu leben, wo Strom, WCs und Supermärkte allgegenwärtig sind. Ich glaube, einer der Gründe, weshalb die holde Weiblichkeit hier meist so schlank ist, ist der, dass der Gang zum Stillen Örtchen einer Tortur gleicht.“ Sie zupfte unwillkürlich an den, ihrer Meinung nach, viel zu vielen Lagen Stoff, die ihre, zugegeben, wunderschöne, Ballrobe besaß.

Snape bedachte sie mit einem spöttischen Lächeln. „Das ist kein angebrachtes Thema für eine Unterhaltung auf einem Ball“, tadelte er sie. „Das weiß sogar ich.“

„Ja, ja“, grummelte Nifen und wandte sich nach einem kurzen, finsteren Blick in dessen Richtung von dem Zaubertranklehrer ab, um den Ballsaal und die übrigen Anwesenden genauer in Augenschein zu nehmen. Da entdeckte sie plötzlich etwas, dass ihr schier den Atem stocken ließ. „Murphy!“, hauchte sie erkennend, dann packte sie den Arm des Professors. „Schnell, helfen Sie mir! Wir müssen den Kater dort fangen.“ Und sie deutete aufgeregt auf die andere Seite des Saals, wo sich tatsächlich die geflügelte Katzengestalt Murphys zwischen den Beinen der Ballgäste herumtrieb.

„Sind Sie jetzt vollkommen übergeschnappt?“, herrschte Severus Snape sie an.

„Professor, das ist vielleicht unsere einzige Chance, wieder heimzukommen“, bat Nifen inständig.

Professor Snape zog eine Augenbraue hoch. „Eine Katze...“

„Ein Kater“, verbesserte sie. „Genaugenommen ein Dämonenkater mit Namen Murphy, nach dem die gleichnamigen Gesetze benannt wurden. Außerdem höchstwahrscheinlich die Ursache dafür, dass wir hier sind. Zumal ich weder Poe noch Grinsekater hier sehe, aber gut, die beiden sind ja auch noch nicht geschrieben“, plapperte Nifen nervös, während sie Murphy im Auge behielt. „Doch selbst wenn Murphy unschuldig sein sollte, können wir über ihn mit Chi Kontakt aufnehmen und auf diese Weise wieder nach Hause zurückkehren. Vermutlich ist er genau deswegen hier...“

„Ich habe zwar nicht im Ansatz verstanden, was Sie da alles gefaselt haben, Miss Hill, aber sehe ich das richtig: Wenn wir diese Katze, pardon, diesen Kater dort nicht einfangen, könnte es uns passieren, dass wir hier bis zum Sankt Nimmerleinstag festsitzen?“, erkundigte sich der Professor.

„Ja“, nickte Nifen knapp. „Entweder wir fangen den Kater oder wir dürfen Lady Catherine davon überzeugen, dass Mr. Collins tatsächlich als Missionar nach Indien gegangen ist und uns gebeten hat, uns an seiner Statt um die Pfarre von Hunsford zu kümmern.“

„Lady Catherine?“, fragte Snape irritiert.

„Sie wissen schon: Sanftmütiges Auftreten wie Minerva McGonagall, zurückhaltend wie Albus Dumbledore und Feingefühl wie Tom Riddle junior. Als Platzhalter für Mr. Collins und Charlotte Lucas wird uns die Strömung dieser Geschichte früher oder später in diesen Teil Kents treiben, es sei denn natürlich, Sie ziehen es vor, Mary Bennet zu heiraten. Doch selbst dann wäre nicht garantiert, dass Sie nicht doch in Kent landen – mit Mary an Ihrer Seite...“
 

***
 

Es genügt wohl zu sagen, dass die Aussicht auf den literaturörtlichen Voldemort und einen dauerhaften Cruciatus-Fluch in Form eines Moralapostels als Ehefrau für Severus Snape eine ausreichende Motivation dargestellt hatte, Nifen bei der Jagd nach Murphy zu helfen.

Natürlich hatte es der Kater den beiden nicht gerade einfach gemacht, so dass die wilde Jagd durch den Ballsaal Miss Bingley ausreichend Gelegenheit gegeben hatte, sich über die ungehobelten Landmanieren auszulassen. Doch nachdem der kleine Dämon erst einmal gefangen war, war alles ganz einfach. Dank HPS war es für Chibichi ein Leichtes, die vermisste Bandmanagerin und den gestrandeten Zaubertranklehrer zu orten, auch wenn letzterer für den Teufel im ersten Moment eine Überraschung darstellte, hatte sie doch nicht damit gerechnet, dass das Chaos weit größere Ausmaße hatte, als sie angenommen hatte.

Charlotte Lucas hingegen war wenig begeistert, in ihr trostloses Dasein zurückkehren zu müssen. Tatsächlich hatte sie den Sorglospunks irgendeine abwegige und somit für die Band vollkommen glaubhafte Geschichte über den Verbleib der Managerin aufgetischt und dann einfach ihr neues Leben genossen. Vermutlich wäre sie auch weiterhin damit durchgekommen, hätte Murphy nicht so argwohnerregend selbstzufrieden ausgesehen, als er Chi beim Einkauf im WWWB-Markt begegnet war. Doch da er, wie alle Dämonen, vertraglich verpflichtet war, dem Teufel gegenüber alle Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, erkannte Chibichi nur zu schnell, welches Chaos der Dämon angerichtet hatte. „Es ist nämlich so“, erklärte sie den Sorglospunks, die nun, mit ihrer Managerin, wieder komplett waren, „dass einmal alle 666 Jahre jeder Dämon eine gute Tat vollbringen muss, indem er einem Menschen einen geheimen Wunsch erfüllt. Andernfalls verliert er seine Dämonenlizenz und muss ins Engel-Boot-Camp in den Himmel. Bei Murphy war letzte Woche dieser ‚Wünsch-Dir-Was-Tag’ und offenbar hatte er sich Nifen als Opfer auserkoren.“

Snape, der noch zu Besuch war, weil Dimensionsübergänge literarischer Art für fiktive Charaktere nach einem längeren Aufenthalt in einer fremden Fiktionsdimension immer nur mit Pausen zwischen den einzelnen Dimensionsübergängen möglich waren, ohne dass der fiktive Charakter Schaden nahm, blickte Nifen finster an. „Also war es doch Ihre Schuld!“

„War es nicht!“, protestierte diese. „Hätte Murphy genauer hingesehen, hätte er erkannt, dass mein Wunsch nach Strom und all den anderen Annehmlichkeiten der Moderne überwiegt. Wir wären dann allenfalls auf einer ‚Stolz & Vorurteil’-Cosplay-Veranstaltung gelandet, wo die Sorglospunks einen Auftritt hätten haben können und Sie sich dann gleich mit zehn Mary Bennets hätten herumschlagen dürfen.“ Hier grinste sie ihn herausfordernd an.

„Sie...“, knurrte Severus Snape und überraschte dann die versammelte Mannschaft, indem er Nifen kurzerhand mit einem leidenschaftlichen Kuss zum Schweigen brachte.
 

Seit jenem Tag entbrannte wieder ein heißer Kampf zwischen Nifen und Chris um die Nutzungsrechte des schnellen Computers im Sorglospunks-Hauptquartier. Denn wenngleich die Chancen, dass der Professor und die Bandmanagerin sich jemals wieder in der Form wiedersehen würden (also auf nicht-platonische Art), verschwindend gering war, hinderte das die beiden nicht daran, eifrig trafficlastige Briefe über den Spamordner von Nifens E-Mailfach auszutauschen. Schließlich hatte Chibichi doch diesen Ordner mit dem Flohnetzkamin in Professor Snapes Quartier in Hogwarts verlinkt, als Wiedergutmachung für Murphys naturgemäß katastrophal schiefgegangenen Versuch im Wünscheerfüllen. Was zugleich noch den netten Nebeneffekt hatte, dass der Dämon seine Lizenz behalten durfte und nicht zum Wolkendrill musste.

Titanic

Wer ein friedliches Leben führen möchte, sollte sich nach Möglichkeit keine Haustürklingel zulegen. Oder für den Fall, dass das Wohnobjekt, welches man bezieht, vom Bauherren bereits mit einer solchen Klingel ausgestattet wurde, sollte man diese stumm schalten. Nicht nur, dass man auf die Weise nie in Versuchung gerät, lästigen Vertretern die Tür zu öffnen, man hat auch nie Probleme ungebetene Konfessionsbekehrer wie die Zeugen Jehovas wieder loszuwerden. Man muss noch nicht einmal als inoffizielle Paketannahmestation für die ganze Nachbarschaft dienen, wenn man die Klingel abstellt. Das zumindest sind die Übel, mit denen sich der normale Durchschnittsbürger herumplagen darf.

Bei den Sorglospunks hingegen bedeutet das Klingeln an der Haustür meist Ärger. Wenn nicht gerade der örtliche Tierschutzverein aus nicht näher bekannten und generell nicht nachvollziehbaren Gründen wieder einmal eine Beschwerde vorbringt, endet das Klingeln meist mit einem lebensgefährlichen Abenteuer, bei dem zuweilen auch durchaus mal die ganze Welt auf dem Spiel stehen kann. Die einzige Ausnahme stellt ein Besuch von Chi dar, aber dieses Klingeln wird meist schon von der Band sehnlichst erwartet, ist diesem doch nicht selten ein Notruf vorausgegangen.
 

An diesem schönen Sonntagnachmittag aber wussten die versammelten Sorglospunks sehr wohl, dass der Teufel sich derzeit auf diversen Wahlveranstaltungen herumtrieb und fleißigst Seelenfang betrieb, und so waren sie mehr als misstrauisch, als es an der Tür klingelte.

„Will nicht mal jemand die Tür aufmachen?“, fragte Easy von der Couch im Wohnzimmer, wo sie gerade Kiwi kraulte. Inspirative Pause beim Songschreiben nannte sie das, aber da augenblicklich kein Konzert-Song-Druck herrschte, beschwerte sich niemand über die Länge dieser mittlerweile stundenlangen Pause.

„Wieso gehst du nicht selber? Bei mir will höchstens wieder jemand sein Haustier abgeben“, erwiderte Jack und sah flüchtig von der Fachzeitschrift auf, in der sie las.

„Nö, soll Chris machen.“

Stille breitete sich im Wohnzimmer aus, denn Chris, der am Computer saß und mit Umeko chattete, hatte alles um sich herum ausgeblendet.

Als es erneut klingelte, erbarmte sich abranka schließlich. „Ja, ja, schon gut, dann geh ich eben.“ Wobei ‚gehen’ natürlich die Sache nicht ganz traf, flog sie doch auf ihrer Wolke zur Tür. „Ja bit...“ Die Worte blieben der sonst so abgeklärten Muse förmlich im Hals stecken, als sie sah, wer dieses Mal den Weg zum Sorglospunks-Hauptquartier gefunden hatte.

Hochgewachsen, ein leicht wettergegerbtes Gesicht, das von dunklem, gewelltem Haar umrahmt wurde, stand ein Mann vor der Tür, der eine Jacke mit einem Emblem auf der Brust trug, auf welchem die Buchstaben NUMA zu lesen waren. Seine opalgrünen Augen sahen ein wenig irritiert auf die Wolke und die darauf sitzende Muse. „Hallo“, sagte er schließlich. „Ähm, ich wollte eigentlich die Tischtennisbälle abholen...“ Auch seinen Worten merkte man seine Verwirrung an.

In diesem Moment aber kam Nifen schon um die Ecke. „Ah, Sie müssen numadirk56 sein“, begrüßte sie ihn. „Ich hätte nicht so früh mit Ihnen gerechnet, immerhin ist die Auktion erst vor knapp zwei Stunden zu Ende gegangen. Sie schrieben zwar, Sie hätten hier in der Gegend zu tun und würden deswegen keinen Versand benötigen, aber dass Sie schon so bald hier wären... Nun ja, kommen Sie doch kurz herein, während ich die Kiste mit den Bällen hole.“

Endlich erwachte abranka wieder aus ihrer Starre und gab den Eingang frei, damit der Besucher eintreten konnte. „Das ist Dirk Pitt“, flüsterte sie, noch immer ein wenig freudig benommen, Nifen zu.

Diese nickte. „Gut möglich. Würde zumindest vom Aussehen und auch vom ebay-Profil her passen.“ Ihr selbst sagte der Name nur bedingt etwas, aber sie wusste, dass eines der Wolkenfächer abrankas Privatbibliothek beherbergte, und dass dort einige Bände der biographischen Abenteuerromane um Dirk Pitt zu finden waren.

Als die übrigen Sorglospunks, die im Wohnzimmer kaum etwas von dem Gespräch an der Haustür mitbekommen hatten, das Wort ‚ebay’ mit ihren Radarohren hörten, zuckten sie zusammen. „Sag bloß, du hast uns mal wieder für ein Konzert versteigert?“, kam es prompt und mit deutlich drohendem Unterton von Easy.

„Hab ich nicht!“, widersprach Nifen sofort begütigend. „Ich hab lediglich die Fußballtischtennisbälle, die ihr, also du und abranka, letztes Jahr gebastelt habt, eingestellt und für gutes Geld versteigert.“

„Hast du nicht!“ Fassungslos sprang die Bandleaderin vom Sofa auf und ließ Kiwi dabei achtlos fallen. Ein Glück nur, dass Katzen immer auf allen vier Pfoten landeten und so trollte sich das Maskottchen nach einem indignierten Fauchen in Richtung der annektierten CD-Schublade. „Die brauchen wir doch nächstes Jahr wieder! Dann ist Weltmeisterschaft!“

„Bis dahin sind die doch längst in dem Chaos hier verschwunden und ihr hättet neue bemalt“, verteidigte sich Nifen. „Oder willst du mir ernstlich weismachen, dass du nächstes Jahr auch hinter den Konserven nachgeschaut hättest, oder in der untersten Schublade deines Schreibtisches? Von der Kiste im Keller, die ich hinter einem Berg alter Gitarren- und Basssaiten gefunden habe, ganz zu schweigen.“ Es hatte die Managerin nämlich fast fünf Tage gekostet jeden einzelnen Tischtennisball im Sorglospunks-Hauptquartier ausfindig zu machen, der seinerzeit als EM-Dekoration hatte herhalten müssen. „So habt ihr wenigstens einen guten Grund euch nächstes Jahr wieder ins Bastelfieber zu stürzen.“

Bei diesen Worten sahen sich Easy und abranka kurz an und nickten dann einmütig.

Während Nifen also die Kiste mit den Tischtennisbällen holte, fasste sich abranka ein Herz. „Mr. Pitt... oder darf ich Dirk sagen?“ Der Angesprochene nickte und die Bandmuse fuhr fort: „Für was genau brauchen Sie die Tischtennisbälle, Dirk? Oh, und wollen Sie vielleicht einen Kaffee?“

Dieser lächelte und ließ sich nicht lange bitten. Die Erklärung, die er abgab, war ebenso simpel wie fantastisch, weshalb die Sorglospunks keine Probleme hatten, das Ganze zu glauben. Wie es schien, plante die NASA nach den Erfolgen von Cassini nun eine bemannte Weltraummission zum Saturnmond Titan. Da aber die Preise für Metall auf dem Weltmarkt bekanntlich ständig stiegen, die Gelder für Forschung aber ebenfalls bekanntlich ständig gekürzt wurden, sah sich die US-Weltraumbehörde gezwungen nach interessanten Alternativen zu suchen. So hatte es sich als wirtschaftlicher erwiesen, die Titanic, die seit bald hundert Jahren im Nordatlantik lag, zu bergen und für den Weltraum flott zu machen, als ein neues Spaceshuttle zu bauen. Für die Bergung hatte man die NUMA beauftragt, deren Mitarbeiter nach eingehender, wissenschaftlicher Prüfung sich für ein Verfahren entschieden hatten, das sie leider nicht patentieren lassen konnten, weil dies bereits von Daniel Düsentrieb in einem Lustigen Taschenbuch gezeigt worden war: Man würde je einen riesigen Sack in das Innere der beiden Schiffshälften bringen und dann die Säcke mit den Tischtennisbällen befüllen, so dass für den notwendigen Auftrieb gesorgt würde. Einmal geborgen, würden die Wrackteile an Land geschleppt und dort von der NASA zu einem weltraumtüchtigen Schiff umgerüstet.

Kaum hatte Nifen mitbekommen, dass die NASA an diesem Projekt beteiligt war, hatte sie Tischtennisbälle Tischtennisbälle sein lassen, die Kiste wenig dekorativ aber dafür stolpergefährlich im Flur stehen lassen und war an den Computer gestürzt. Und noch ehe Dirk Pitt seinen Kaffee ausgetrunken hatte, war ein kleiner Siegesschrei aus ihrem Büro zu hören. Gleich darauf kam die Managerin freudestrahlend ins Wohnzimmer. „Wir haben es geschafft! Wir sind dabei, wenn es zum Titan geht. Titanisches Titan-Titanic-Sorglospunks-Konzert!“ Nifen und ihr geheimer NASA-Zugang eben.
 

Die NASA hatte sich ausnahmsweise sogar einmal beeilt und ein halbes Jahr später war alles für den großen Start ins Weltall fertig. Einzig Kiwi musste zurückbleiben, weil die NASA eine Vorschrift hatte, wonach nur Versuchstiere in den Weltraum durften und Kiwi definitiv kein Versuchstier. So etwas überließ sie lieber Hamstern oder Affen. Da aber Oma sich bereit erklärt hatte, solange die Sorglospunks im Weltraum unterwegs waren, auf das Maskottchen aufzupassen, musste niemand von der Crew auf dieses Abenteuer verzichten.

Pünktlich zur vereinbarten Zeit, fanden sich die Sorglospunks, ein paar NASA-Wissenschaftler und eine Abordnung der NUMA, die ebenfalls mitreisen würden – zu abrankas Freude war auch Dirk Pitt bei dieser Abordnung – am Weltraumhafen in Florida ein.

„Willkommen an Bord, willkommen!“, lächelte ein blonder Mann in Uniform, die allerdings den Eindruck machte, als passe sie nur, solange der Besitzer sich wie James T. Kirk in den späteren Enterprise Filmen des Baucheinziehens befleißigte, den oben Erwähnten entgegen, als sie das Schiff betraten. „Mein Name ist Zapp Brannigan und ich bin für die Reise zum Titan Ihr Kapitän.“ Das schleimige Getue, das falsche Lächeln und der lüsterne Blick, den der Mann Jack zuwarf, ließ bei den Sorglospunks die Frage aufkommen, ob die NASA nicht auch beim Personal gezwungen gewesen war, auf kostengünstigere Alternativen umzusteigen. Chi hielt es an dieser Stelle für geboten, ihrem Kapitän den kleinen Hell-o-Pieks, den sie stets bei sich trug, unter die Nase zu halten, um ihm klar zu machen, dass er seine Aufmerksamkeit lieber der Steuerung des Schiffes statt der Banddrummerin schenken sollte. Schließlich stand die Band unter ihrem persönlichen, inoffiziellen Schutz und da ging es nicht an, dass so ein widerlicher Schleimbeutel sich ungestraft an Jack heranmachen durfte. Zapp Brannigan verstand. Zumindest für die ersten paar Lichtminuten der Reise, was in Bordzeit etwa einer Woche entsprach, schließlich war die Titanic zwar von der NASA nicht mit einem Lichtgeschwindigkeitsantrieb ausgestattet worden, dafür aber zumindest mit einem neuartigen Antrieb, der etwa 1,5 Lichtminuten pro Tag schaffte. Immerhin wussten die Passagiere jetzt, wohin sämtliche, an anderer Stelle eingesparten Gelder geflossen waren.

An Bord stellte sich bald Langweile ein. Schließlich waren alle Ereignisse erst für den Zeitpunkt geplant, wenn die Titanic weniger als eine Lichtminute von dem Saturnmond entfernt war. Die Band hatte zwar zwischendurch ein paar mal versucht zu proben, aber das war immer wieder gescheitert. Entweder hatte sich Jack vor dem Kapitän verstecken müssen, Chris wegen Umeko-Entzug Blues geschoben oder Easy war wegen akuter Songschreibunlust vor abranka und ihren Ideenbonbons geflüchtet. Weshalb man die Bandmuse meist bei einer Partie Schach mit Dirk Pitt antreffen konnte, während Nifen und LennStar zwei der NASA-Wissenschaftler Doppelkopf beigebracht hatten und nun munter zockten und Chibichi sich mit den Versuchstieren unterhielt. Der Rest der Truppe las, schlief oder vertrieb sich sonst wie die Zeit. Bis nach etwa drei Wochen Reisezeit Zapp Brannigan eines schönen Morgens ganz aufgeregt in den ehemaligen Speisesaal der Ersten Klasse, der jetzt als allgemeiner Aufenthaltsraum diente, kam und strahlend mitteilte, man habe das Ziel fast erreicht und würde in wenigen Stunden in die Umlaufbahn von Titan eintauchen.

Irritiert sahen alle zum schiffsinternen Kalender an der Wand und sprangen dann alarmiert auf. Irgendetwas stimmte da nicht. Sie konnten unmöglich schon nach der Hälfte der berechneten Zeit Titan erreicht haben.

„Sie inkompetenter Hornochse!“, schrie der erste Wissenschaftler, der die Schiffsbrücke erreichte, als er sah, was sich auf dem Sichtschirm abzeichnete. „Können Sie denn nicht mal Jupiter von Saturn unterscheiden?“

Ein anderer rief bestürzt: „Sie steuern uns direkt auf Io zu! Auf Kollisionskurs! Schnell!“

Tatsächlich war auf dem Sichtschirm deutlich die kreisrunde, quergestreifte Scheibe mit dem großen roten Fleck zu sehen, die Jupiter charakterisierte. Von den berühmten Ringen des Saturns dagegen fehlte jede Spur.

„Sie sind mit sofortiger Wirkung ihres Amtes enthoben!“, rief ein dritter NASA-Wissenschaftler, der als Missionsleiter an Bord fungierte, während hinter ihm nun auch die übrigen Passagiere auf die Brücke strömten.

„Das können Sie nicht machen“, widersprach Brannigan empört. „Das ist Meuterei! Außerdem bin ich der einzige, der dieses Schiff durch den Weltraum fliegen kann. Und ich werde ja wohl mal wissen, wo wir uns im All befinden, weshalb ich den Kurs nicht verändern werde!“

Derweil sahen sich die abenteuergeprüften Sorglospunks an und winkten dann Dirk Pitt zu sich hinüber. „Was meinen Sie, Dirk, wären Sie in der Lage mit Hilfe der Wissenschaftler und Ihrer Air-Force-Ausbildung die Raum-Titanic zu fliegen?“, fragte abranka ihren Schachpartner.

Dieser nickte zögerlich und sah zu Brannigan hinüber. „Was machen wir so lange mit ihm?“, fragte er, den Kopf in die Richtung des Ex-Kapitäns geneigt. „Der würde mir doch ständig ins Handwerk pfuschen.“

Hier grinste Nifen überlegen. „Lassen Sie den mal meine Sorge sein. Ich bin schließlich nicht umsonst Summa Cum Laude-Absolventin der MacGyver-Fernuniversität. Ich werde einfach einen Kryogentank bauen und den guten Zapp für etwa 1000 Jahre einfrieren. Hat jemand eine Büroklammer und etwas Kaugummipapier?“
 

~*~*~*~*~
 

„abranka! abranka, wach auf!“

Nur langsam drangen die Worte in das Bewusstsein der selig schlummernden Muse. Im Halbschlaf noch, versuchte sie den Störenfried zu verscheuchen. „Geh weg, wir müssen den Kapitän einfrieren, sobald Nifen den Kryogentank fertig hat.“

Leises Lachen war im Hintergrund zu hören, während der sonstige Geräuschpegel um sie herum schlagartig abnahm und so dafür sorgte, dass die Muse nun doch aufwachte. Irritiert sah sie von ihrer weichen Wolke auf und erkannte, dass jemand den DVD-Player und den Fernseher ausgeschaltet hatte, wo zuvor in Endlosschleife eine der Planeten-Doku-DVDs von BBC gelaufen war.

„Sag mal, abranka, kann es sein, dass dir ein wenig langweilig war, weil du so viel ferngesehen hast?“, fragte die Managerin da auch schon besorgt, während sie Chris zusah, der am Computer die fünf Fenster mit Youtube-Clips des Films ‚Hebt die Titanic’ schloss.

Etwas bedröppelt sah sich die Muse im Wohnzimmer um. Tatsächlich sah es dort nach einem einzigen Mattscheiben-Gelage aus. Aber schließlich war es ja nicht ihre Schuld, dass die Sorglospunks die letzten beiden Tage ausgeflogen waren, um mit allerlei Hilfsarbeiten im Ort das notwendige Geld für die Reparatur des Bandbullis aufzubringen, damit sie heute zum Konzert beim Familientag der etwa 100km weit entfernten Titanic Spezialfahrzeuge GmbH fahren konnten. Apropos Auftritt... fehlte dafür nicht noch ein Song?
 

„Vom Rost befreit schwebt sie durchs All,

Bei Io kommt es fast zum Knall.

Der Capt’n seines Amts enthoben,

Wird in den Kryo-Tank geschoben
 

Titanic heißt das edle Schiff,

Die Sorglospunks als letzter Schliff.

Als Bordband retten sie die Lag’

Und singen am Familientag:
 

Titanic, auf ewig im All, Titanic...“

Sechs von Zehn

„Mir ist langweilig“, jammerte Tisiphone. „Wie lange müssen wir denn noch für Pandora diese Schlüssel hüten? Der Job ist ja noch öder als die Goldfisch-Aktion.“

Megaira nickte und gähnte leicht. „Ja, aber die Fische allein waren auch langweilig. Erst als wir ein paar von den herkulischen Löwen zur Poolparty eingeladen habe, wurde es interessant.“

„Nur, dass die himmlische Fraktion leider keinen Spaß verstanden hat und uns postwendend gefeuert hat“, warf Alekto ein.

Tatsächlich hatten die Furien seit ihrer Entlassung aus der Hell-o-zei kaum einen Job länger als drei Tage gehabt und so langsam bekamen die Mitarbeiter des Entitäts-Arbeitsamtes schon regelrechte Panikattacken, wenn die drei Schwestern einmal mehr die Schalterhalle betraten. Es wäre sogar richtig amüsant gewesen, wie viele der Herrschaften plötzlich beschlossen, genau dann ihre Mittagspause zu nehmen, und sei es die Mittagspause des nächsten Tages, nur um nicht diejenigen sein zu müssen, die den drei gefallenen Rachegöttinnen ihre nächste Arbeitsstelle verschafften, wäre da nicht zugleich die eigene, wachsende Unzufriedenheit gewesen, die Alekto, Megaira und Tisiphone mit jedem Job, den sie verloren, spürten. Hinzu kam, dass sie aufgrund ihrer jahrelangen Tätigkeit als höllische Gesetzeshüter hauptsächlich für Wächterberufe qualifiziert waren und für das Entitäts-Arbeitsamt war es unerheblich, ob das zu bewachende Objekt ein Tor zu Raum und Zeit oder Goldfische waren. „Demnächst teilt ihr uns noch ein, Parkplatzwächter auf der Erde zu spielen“, hatte Alekto gemurrt, als sie von dem zuständigen Sachbearbeiter ihren neusten Posten vermittelt bekommen hatten.

„Ist bloß als Urlaubsvertretung und wenn ihr das bis zum Ende durchzieht habt ihr immerhin einen gut erledigten Job in eurer Akte stehen“, hatte dieser erwidert. „Vielleicht müsst ihr dann ja doch nicht Menschenautos bewachen.“

Trotz ihres Missgeschicks mit der einen berühmten Büchse, war Pandora im Laufe der Jahrtausende zur angesehensten Schlüsselbewahrerin jenseits der Menschenwelt aufgestiegen. Ihr riesiger Schlüsselbund umfasste die Schlüssel für alle Kisten, Truhen, Schränke und Türen des überirdischen Refugiums und wann immer ein göttlicher Einfall etwas Unterstützung besonderer Art benötigte, bekam Pandora eine Nachricht, welches Schloss sie öffnen sollte, um das, was dahinter verborgen war, freizulassen. Aber nach mehreren Jahrtausenden ununterbrochener Arbeit für die himmlischen Geschicke und einem kürzlich eingetretenen rebellischen Akt eines gewissen Buhmanns, hatte die Chefetage beschlossen, Urlaub auch für andere Entitäten in Erwägung zu ziehen, sofern sich eine entsprechend geeignete Vertretung fand. Pandora war eine der ersten, die dank der arbeitsuchenden Furien in diesen Genuss kam, und nachdem sie ihrer Vertretung den Schlüsselbund und den Schlösserkatalog in die Hand gedrückt hatte, war sie eiligst und freudestrahlend von dannen gezogen.

Bislang allerdings hatte es keinen einzigen göttlichen Einfall gegeben, weshalb die drei Rachegöttinnen noch kein einziges Schloss hatten öffnen dürfen. Dabei waren sie nun schon zwei Tage hier. Zwei volle Tage! Wie unkreativ konnte die himmlische Chefetage eigentlich sein? Offenkundig ziemlich unkreativ.

„Ich wüsste zu gerne, was sich hinter den einzelnen Schlössern verbirgt“, meinte Megaira, die lustlos in dem Katalog herumblätterte. „Da steht zwar, wo wir welche Kiste, Truhe oder Tür finden und wie der passende Schlüssel aussieht, aber nicht, was wir damit freilassen, wenn wir denn mal in den Genuss von Arbeit kommen und nicht vorher vor Langeweile zu Grunde gehen.“

Augenblicklich blitzten Tisiphones Augen verschwörerisch auf. „Zeichnet es nicht eigentlich einen guten Mitarbeiter aus, wenn er schon im Vorfeld ahnt, was sein Chef als nächstes für Unterlagen braucht? Oder in unserem Fall, welches Schloss zu öffnen ist? Wir wollen doch Pluspunkte sammeln, oder?“

„Was genau hast du vor?“, fragte Alekto ein wenig zurückhaltend. Nicht, dass sie am Ende nicht doch wieder mitmachen würde, aber allzu schnell nachgeben konnte dem Ruf schaden.

„Ein wenig Recherche. Schließlich können wir kaum etwas vorausahnen, wenn wir nicht wissen, was die Kisten und Kästen und Schränke enthalten. Wir können ja einen Bogen um die Schlösser machen, hinter denen es eh schon rappelt und poltert als würden da nur Schwierigkeiten auf uns warten.“

"Genau, wir machen einfach um die großen Türen, hinter denen sie sicher eine ganze Herde Bergtrolle samt Bergkönig verstecken, einen Bogen." Megaira war sofort Feuer und Flamme.

"Und um die ganz kleinen auch", erwiderte Alekto trocken.

"Wieso? In den ganz kleinen stecken wenigstens keine Trolle."

"Vielleicht keine Trolle, aber womöglich Bakterien. Ich persönlich habe wenig Lust, dass man uns die Schuld an der nächsten Ameisenbärengrippewelle und darauf folgenden Impfwut gibt", erklärte Alekto. Auch wenn das daraus resultierende Chaos unter den Menschen köstlich wäre.

"Okay, also mittelkleine Kisten und nur Türen, hinter denen nicht Peer Gynt gespielt wird", legte Megaira fest und nahm Alekto prompt den Schlüsselbund aus der Hand. "Dann lasst uns mal ausprobieren, wozu die Schlüssel passen." Und schon war sie, Tisiphone dicht auf den Fersen, im Schlösserarchiv verschwunden. Alketo zögerte noch kurz, dann aber siegte auch bei ihr die Neugier.

Es war beinahe wie ein Rausch. Schlüssel ins Schloss stecken, umdrehen, Tür öffnen, hineinspähen und nicht selten ganz schnell die Tür wieder zuschlagen. Etwa, als sie die Tür mit der Sintflut entdeckten.

Schließlich fanden sie einen Regalabschnitt, wo zehn identische Kisten nebeneinander standen. "Hm, was passiert wohl, wenn wir mehr als nur ein Schloss auf einmal öffnen?", überlegte Tisiphone laut. Kaum war dieser Gedanke ausgesprochen, als Megaira schon mit dem Schlüsselbund fingerte, um den passenden Schlüssel zu finden. "Ich schließe auf und ihr haltet die Kisten zu, so dass wir alle auf einmal öffnen können", rief sie und machte sich ans Werk. Nun hatten aber auch Furien nur zwei Hände, weshalb jede nur zwei Kistendeckel herabgedrückt halten konnte und sie sich mit sechs der zehn Kisten zufrieden geben mussten. Auf ein Kommando hin ließen sie diese gleichzeitig aufspringen... und sahen erst einmal nichts mehr. Dafür hörten sie umso mehr. Ein Summen, ein Zirpen, ein Quaken und ein stakkatoartiges Klopfen. Als dann auch noch eine kleine, harte Eiskugel Megaira schmerzhaft am Kopf traf, war das Chaos perfekt. „Ich glaube, ich weiß was sich in diesen Kisten verbirgt“, sagte diese alles andere als glücklich. „Scheint als hätten wir die Kisten mit den zehn biblischen Plagen gefunden und sechs davon geöffnet!“

„Du meinst...“ Weiter kam Tisiphone nicht, denn Alekto war vor Schreck ohnmächtig geworden und gegen ihre Schwester gefallen.

„Ist sie tot?“, fragte Megaira bestürzt. Schließlich wussten sie ja nicht, welche Kisten sie genau geöffnet hatten und am Ende hatten sie auch die erwischt, wo die Erstgeborenen dran glauben mussten.

„Blödsinn!“ Erstaunlicherweise war Tisiphone ganz ruhig. „Die Plagen können nur Mensch und Tier etwas anhaben, nicht aber Entitäten. Also würde Alekto selbst dann nicht sterben, wenn wir tatsächlich die Erstgeborenenplage freigelassen hätten. Ich glaube eher, wir haben die Plage mit dem Ungeziefer erwischt und du weißt doch, dass Alekto panische Angst vor Spinnen hat.“

„Ungeziefer... ebenso Hagel und Dunkelheit. Bleiben noch drei Plagen, die wir spontan nicht zuordnen können. Verdammt, wir brauchen Hilfe, um dieses Chaos wieder zu bereinigen.“ Megaira klang alles andere als begeistert.

„Hilfe? Na du bist gut. Das hier sind die biblischen Plagen. Nicht einmal Moses und Aaron hatten darüber Gewalt. Sie haben sie nur gerufen, geschickt und kontrolliert hat sie ein anderer.“ Tisiphone war mehr als skeptisch. „Und du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die himmlische Fraktion uns hilft einen weiteren vermasselten Job wieder ins Reine zu bringen.“

Dem konnte Megaira nur zustimmen. „Dummerweise wird uns aber auch die einzige andere Macht, die dazu in der Lage wäre, nicht helfen“, sagte sie betrübt. Womit sie nicht ganz unrecht hatte, schließlich war ihr Ex-Chef, der Teufel, alles andere als gut auf sie zu sprechen. Dennoch ahnten die beiden Furien, dass sie bei Chibichi bessere Karten hatten als beim Rauschebart.

„Also gut, lass uns überlegen, wie wir den Teufel dazu bringen könnten, uns zu helfen“, sagte Megaira jetzt, während Alekto langsam wieder zu sich kam.

„Vielleicht sollten wir erst einmal eine Bestandsaufnahme machen, damit wir wissen, was genau Chibichi für uns wegräumen soll“, warf Tisiphone ein.

Alekto flüsterte schaudernd: „Spinnen!“

„Ungeziefer, das wissen wir schon. Dunkelheit und Hagel. Und so wie es klingt auch Frösche“, zählte Tisiphone auf. „Hat eine von euch vielleicht eine Taschenlampe oder ein Feuerzeug?“

„Ich hab noch ein Knicklicht von einem der letzten Konzertbesuche“, meinte Megaira und wühlte in den Falten ihres Gewandes herum. Gleich darauf war ein blassgrünes Licht zu sehen.

„Heuschrecken und Blut“, sagte Alekto zitternd und musste sich zusammenreißen, um nicht beim Anblick all der Spinnen und anderen Krabbeltiere wieder in Ohnmacht zu fallen.

„Damit wäre die Liste komplett. Fehlt nur noch ein Köder, um Chibichi auf unsere Seite zu locken.“

Nachdenkliches, angestrengtes Schweigen senkte sich über die drei.

Plötzlich stieß Tisiphone einen triumphierenden Schrei aus. Erschrocken sahen ihre Schwestern sie an. „Im Grunde ist es doch ganz einfach! Meg, erinnerst du dich, was du vorhin zuerst gedacht hast, als Alek in Ohnmacht gefallen war?“

„Du meinst die Sache mit den Erstgeborenen, die nur bei Mensch und Tier funktioniert?“

„Genau“, sagte Tisiphone grinsend. „Und kennen wir nicht ein paar Menschen, die dem Teufel dringend am Herzen liegen, so sehr, dass sie uns dafür sogar aus der Hell-o-zei rausgeworfen hat? Würde mich doch schon sehr wundern, wenn da nicht ein paar Erstgeborene dabei wären.“

Die Sorglospunks! Bei drei Bandmitgliedern, einer Katze und zwei menschlichen Crew-Mitgliedern war die Chance auf ein paar Erstgeborene durchaus gegeben.

„Aber eines hast du vergessen“, warf Alekto ein, auch wenn sie nichts gegen ein Treffen mit der gesamten Band hätte, denn die gesamte Band bedeutete auch die Anwesenheit eines gewissen Philosophen. „Wir haben die Kiste mit der Erstgeborenenplage gar nicht geöffnet.“

„Na und? Wir können einfach behaupten, die Heuschrecken würden sich durch das Holz der Kiste fressen und es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese Plage ausbricht.“ Tisiphone sah da keine Schwierigkeiten.
 

Sich den Bauch vor Lachen haltend, starrte Chibichi im Wohnzimmer der Sorglospunks die drei Furien an. „Und ich soll euch allen Ernstes glauben, dass die Heuschrecken es schaffen, sich durch eine von Pandoras Sicherheitsbüchsen zu fressen? Guter Scherz. Versucht es im nächsten Millennium noch einmal!“

Ganz offensichtlich hielt der Teufel nicht viel von der Geschichte, die ihr ihre Ex-Angestellten da auftischten. Doch so schnell gaben diese nicht klein bei. „Es sind biblische Heuschrecken, vom Rauschebart persönlich kreiert und darüber hinaus äußerst hungrig, weil sie seit ein paar Jahrtausenden nicht mehr raus durften, um alles kahl zu fressen. Da fressen die sogar überirdisches Sicherheitsholz!“, erklärte Megaira mit Nachdruck.

„Ihr meint...“, Easy, die Frontfrau der Sorglospunks, sah aus, als würde sie jeden Augenblick hyperventilieren, „dass dann alle Erstgeborenen sterben?“ Panik sprach aus ihrer Stimme, doch dann fiel ihr ein, dass ja nicht sie die Erstgeborene war, sondern Jack. In ruhiger Panik, eine wahrlich ungewöhnliche Kombination, besonders im Zusammenhang mit Easy, wandte diese sich zu ihrer Zwillingsschwester um.

Jack hatte offenbar schneller erkannt, dass sie diejenige wäre, die diese Plage träfe, und saß nun vor Schock stocksteif gefroren auf dem Sofa.

„Chi?“ Hilflosigkeit klang aus Easys Stimme, als Jack selbst dann nicht reagierte, als die Schwester ihr drohte, ihre geliebte Triangel dem örtlichen Tierschutzverein zu stiften, damit diese damit alle streunenden Katzen zum Mittagessen rufen konnten.

Der Teufel selbst hatte aber gerade alle Hände voll damit zu tun, ein aufgebrachtes Fellbündel in Griff zu kriegen, bei dem es sich um niemand geringeren handelte als das Bandmaskottchen Kiwi, die Chibichi soeben wortreich auf Katzisch erklärte, dass die Erstgeborenenplage ja wohl auch Tiere beträfe und dass sie, Kiwi, genialstes Bandmaskottchen seit der Erfindung der Bandmaskottchen, eine erstgeborene Katze wäre.

Bandmanagerin Nifen, ihres Zeichens ebenfalls erstgeboren, umklammerte derweil krampfhaft ihre Teetasse, während Chris vorsorglich schon mal seiner Gitarre eine Abschiedspolitur verpasste.

Wie es aussah, gab es in der Band mehr Erstgeborene als die Furien sich hätten träumen lassen.

Endlich hatte sich Chi von der tobenden Katze befreit und abranka Jack mittels einer duftenden Tasse Kaffee wiederbelebt. Ernst sah der Teufel die Furien an. „Angenommen, ich wäre gewillt euch zu helfen, was bietet ihr als Gegenleistung? Wegen der Sache mit den Erstgeborenen würde es theoretisch reichen, die betreffende Kiste in meinen Safe in der Hölle zu sperren. Da kommen dann auch keine Heuschrecken ran, abgesehen davon, dass die Dämonen schon lange keine gegrillten Heuschrecken mehr als Delikatesse hatten. Allerdings zieht so eine Kistenentführung immer eine Menge Papierkram nach sich und ich hasse Papierkram.“ Erwartungsvoll sah Chibichi Alekto, Megaira und Tisiphone an, die sich zu getuschelten Beratungen in eine Ecke des Wohnzimmers zurückzogen.

Minuten vergingen, ohne dass die drei sich einigen konnten. Wartend sahen die Sorglospunks ihnen zu, bis es Nifen schließlich zu bunt wurde. Nun, da der unmittelbaren Gefahr des eigenen Ablebens eine mögliche Lösung gegenüberstand, arbeitete ihr Managergehirn wieder auf Hochtouren. Sie wandte sich an Chibichi. „Wie wäre es, wenn die drei als Gegenleistung die nächsten hundert Jahre ehrenamtlich als Security bei den Sorglospunkskonzerten tätig werden? Dann bräuchten wir uns wenigstens keine Sorgen mehr über wackelige Scheinwerfer machen und die Band würde auch nicht mehr mit fauligen Tomaten und anderem Blödsinn beworfen.“
 

Tatsächlich wurde dieser Vorschlag von allen Seiten angenommen. Auch wenn Tisiphone und Megaira Alekto ein paar böse Blicke zuwarfen, hatte diese doch, beflügelt von der Aussicht häufiger mit LennStar zusammenzutreffen, der Vereinbarung zugestimmt, ohne ihre Schwestern nach deren Meinung zu fragen.

Chibichi hielt Wort und mit einem Fingerschnippen und etwas höllischer Energie aus dem Hell-o-Pieks waren die Plagen wieder in ihren Kisten verschwunden und alles war wieder wie zuvor. Bis auf das Blut, das auf dem Boden des Schloss & Schlüssel-Archivs klebte und das die drei Furien nun in schönster Handarbeit, bewaffnet mit Schrubbbürsten entfernen durften. Nun, immerhin waren sie so beschäftigt, bis Pandora aus dem Urlaub zurückkam.

Ein salomonisches Urteil

Die Stimmung im Sorglospunkshauptquartier, irgendwo im schönen Schwabenland, war unterirdisch. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Auslöser für das alles war eine Bemerkung Jacks während der letzten ‚Rettet die Welt, oder zumindest einen Teil davon’-Reise der Sorglospunks gewesen, die seither an der Stimmung der Band nagte. Während jenes Abenteuers auf der Insel der Frühlingsstimmen hatte sich Jack gegenüber ihrer Zwillingsschwester als Bandleaderin ausgegeben und als solche Easy Befehle erteilen wollen. Dass Easy letztlich Jacks Worten gefolgt war, hatte wenig mit der Anerkennung ihrer Schwester als Bandleaderin zu tun, sondern mehr mit der Tatsache, dass Jacks Vorschlag letztlich das einzig Vernünftige in dieser Situation gewesen war, wollten sie das Abenteuer überleben. Denn Bandleaderin war Jack in Easys Augen auf gar keinen Fall. Dazu fehlte ihr jegliche Legitimation.

Gut, Jack war bei weitem die Vernünftigste von ihnen, beizeiten sogar vernünftiger als die Bandmanagerin Nifen mit ihren seltsamen Ideen zur Auftrittsbeschaffung, doch das verlieh Jack allenfalls das Recht, sich Bandvernunft zu nennen. Hätte Chris sich als Bandleader ausgegeben, hätte Easy das ja noch irgendwo akzeptieren können, war Chris doch, neben ihr selbst, Gründer der Sorglospunks. Sogar sie selbst, auch wenn sich Easy nicht wirklich um den Posten riss, hatte eher einen Anspruch auf den Titel Bandleaderin als Jack. Immerhin war sie Gründerin der Band, Songschreiberin und Frontfrau. Jack hingegen war keine Bandgründerin, sondern lediglich Multi-Percussion-Talent und eben die Bandvernunft. Und überhaupt, seit wann brauchten die Sorglospunks eine Bandleaderin? Sie waren über Jahre hinweg herrlich als Demokratie in Reinkultur ausgekommen. Weshalb also jetzt einen Bandleader an die Spitze setzen, der in Easys Augen eher früher als später – das hatten sie ja schließlich schon bei den Frühlingsstimmen gesehen – absolutistisch monarchische Züge annehmen würde? Am Ende würde das noch so weit gehen, dass Jack Easy den Kaffee und die Schokolade vorenthielt und ihr nur dann gnädigerweise ein gewisses Quantum zuteilte, wenn wieder ein neuer Song benötigt wurde. Außerdem, was war das für eine Bandleaderin, die schon mal ernsthaft versucht hatte, die Band zu verlassen und sich beruflich anderweitig zu orientieren? Kein ernstzunehmender Bandleader machte so etwas!

Je mehr Easy darüber nachdachte, desto ungeheuerlicher erschien ihr Jacks Amtsanmaßung und desto erboster wurde sie. Zaghafte Versuche, dieses Problem den anderen im Hauptquartier gegenüber zu artikulieren, waren schon im Ansatz zunichte gemacht worden. Chris war nur mit Umeko beschäftigt, Nifen entweder mit Neopets (es war wieder einmal Altador-Cup-Zeit) oder der Organisation irgendwelcher obskurer Auftritte, Abranka war im Fußballfieber (und allein die Tatsache, dass Easy sich ihr nicht im neuerlichen Fußballwahn anschloss, zeugte davon, wie tief die Wunde war, die Jacks Worte bei ihr hinterlassen hatte) und Chi auf Urlaub. Sogar LennStar war zum alljährlichen Weltwunder-Philosophen-Kongress abgedüst und hatte kein genaues Rückkehrdatum hinterlassen, da man nie wusste, wie heftig die Kongressteilnehmer ins Philosophieren gerieten und darüber alle Zeit vergaßen.

Also war Easy sich mit diesem Dilemma alleine überlassen.

Ihre erste, spontane Idee basierte auf der altbekannten Redewendung: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Was in Easys Fall bedeutet hätte, sich den Careless-Punks anzuschließen. Allerdings wäre sie dann nicht besser als Jack gewesen, als diese die Band hatte verlassen wollen, dazu käme noch, dass sie bei den Careless-Punks noch nicht einmal den Status einer Bandgründerin gehabt hätte und außerdem hätte das für Easy doch zu sehr den Beigeschmack von Hochverrat an der eigenen Band gehabt. Natürlich war da auch noch diese winzigkleine Nebensache, dass die Careless-Punks vielleicht gar nicht daran interessiert waren, einen Original-Sorglospunk bei sich aufzunehmen. Da jedoch die bereits die zuerst erwähnten Argumente ausreichten, Easy von dieser Idee abzubringen, machte sich die Frontfrau der Sorglospunks darüber keine Gedanken.

Dann kam die Trotzphase. Das war zwar vielleicht kindisch, verschaffte Easy jedoch zumindest ein klein wenig Genugtuung. Während der Wochen jener Phase, war Easys Standardantwort auf alles: „Nö, soll Jack machen, die ist schließlich Bandleaderin.“ Und es war wirklich die Standardantwort auf alles! Egal, ob es darum ging, zum WWWB-Markt zu fahren, um die heimischen Vorräte an Kaffee, Schokolade, Brot und Katzenfutter aufzufüllen, Songtexte zu schreiben oder Oma im Märchenland einen Besuch abzustatten, von so unangenehmen Dingen, wie Hausflur wischen, Wäsche waschen und Gartenteich entschlacken ganz zu schweigen, immer verwies Easy den Vorschlagenden an Jack. Was Jack oder die anderen im Haus darüber dachten, war ihr dabei herzlich egal. Und wenn jemand gar so dämlich war, sie zu fragen, weshalb sie sich derzeit wie ein störrisches Kleinkind benahm, sagte Easy nur: „Das solltet ihr eigentlich ganz genau wissen.“ War ja schließlich nicht ihre Schuld, dass ihr niemand hatte zuhören wollen, als sie vor Jacks Tyrannei-im-Keimstadium hatte warnen wollen.

Als nächstes griff die Politik ein, erst auf Landesebene, dann auf Bundesebene. Denn erst kündigte in Hessen der amtierende Ministerpräsident seinen Rücktritt an und dann, nur wenige Tage später, trat mit sofortiger Wirkung der Bundespräsident zurück. Und während erstere Nachricht von Easy nur als weitere Politmeldung zwischen Unglücken wie Ölpest und Flugzeugabstürzen und der Wetteraussicht wahrgenommen wurde, war die zweite Nachricht geistesblitzbeschwörend. Denn der Bundespräsident war so etwas wie ein ungekrönter König in Deutschland. Er wohnte in einem Schloss und solange der Amtsinhaber nicht seine Unterschrift unter ein Gesetz setzte, war es nicht gültig. Wenn sie also Bundespräsident würde, dann wäre sie Königin von Deutschland und stünde somit ganz weit über einer simplen Bandleaderin. Dann könnte Jack noch so oft auf ihre unrechtmäßig angeeignete Bandgewalt pochen, sie, Easy, bräuchte sich nie mehr darum zu kümmern. Im Gegenteil, sie könnte als Bundespräsidentin Jack Befehle erteilen! Easy I. von Deutschland. Klang doch ganz nett, oder? Einen Haken hatte die ganze Sache allerdings: So ein Bundespräsident war eigentlich ständig auf Reisen. Und damit war keine Konzertournee gemeint, sondern eher ein so langweiliges Programm wie andere Staatsoberhäupter besuchen, Paraden abnehmen, Hände schütteln, Reden halten, sich immer gut benehmen, und so weiter. Von den zu unterzeichnenden Gesetzen und dem Punkt, die Menschen in Deutschland wieder mehr für Politik zu begeistern, ganz zu schweigen. Bei so einem vollen Terminkalender blieb irgendwo keine Zeit mehr für eine eigene, aufstrebende Punkband und die Sorglospunks standen bei Easy doch immer noch an erster Stelle. Bandproben per Telekonferenz, bloß weil sie gerade sonst wo auf dem Planeten war, gingen einfach nicht. Und sie jedes Mal erst für ein Bandabenteuer einfliegen lassen zu müssen, ging auch nicht. Und überhaupt müsste sie dann in Berlin wohnen und Berlin lag, bei aller Liebe für die Hauptstadt, nicht im Schwabenland. Gut, als Bundespräsidentin könnte sie vielleicht die ganze Republik zum Schwabenland erklären, doch irgendwie wäre das zu viel Aufwand und selbst dann nicht das wirkliche Schwabenland. Also wurde dieser Geistesblitz wieder verworfen und als sich einen Monat später die Wahl über endlose neun Stunden hinzog, war Easy nur froh, dass sie bei diesem Zirkus nicht dabei war, denn mit ihrer Geduld war es derzeit nicht zum Besten bestellt und sie bezweifelte, dass sie solange durchgehalten hätte.

Für den Moment war die sonst so quirlige Frontfrau dazu übergegangen, ihre Opposition dergestalt zu zeigen, dass sie aus dem Hauptquartier ausgezogen war. Aus dem Sorglospunkshauptquartier auszuziehen, ohne dabei jedoch die Band zu verlassen, war gar nicht so einfach, denn eigentlich gab es damit nur noch einen Ort, wo sie hinkonnte: Lenns Philosophenfass im Garten. Da allerdings stündlich damit zu rechnen war, dass LennStar von seinem Kongress zurückkehrte, konnte sie nicht einfach dessen Ein-Zimmer-Fass okkupieren und den Bandphilosophen dazu zwingen statt ihrer im Haus zu wohnen. Also hatte sie beschlossen, Lenns Fass zu unterkellern. Der Keller wäre ihr Jack-Schutzbunker und sollte sich die Lage je wieder normalisieren (etwas, das Easy derzeit noch stark bezweifelte), hätte Lenn einen Ort, wo er überflüssiges und unnützes Philosophenzeug lagern konnte. Gut, Lenns Fass kam ohne Strom und ohne fließend Wasser, doch wer brauchte das schon? Geduscht wurde im Hauptquartier, wenn es jackfrei war, Licht kam von der Taschenlampe und Kaffee über das Wunschlenkrad. Viel mehr brauchte es zum Leben nicht. Außerdem hatte sie in ihrem neuen Keller ganz viele Ameisenfreunde. Vielleicht würde sie ja eine Ameisenband gründen, wo sie dann unangefochtene Bandleaderin war. Gut, es gab da noch so etwas wie eine Ameisenkönigin, allerdings glaubte Easy nicht, dass sich diese um musikalische Belange kümmerte. Die Kellerumgebung war sogar kreativitätsfördernd!
 

„Unterirdisch – Paradies

Hier bin ich Held,

Ich rett’ die Welt,

hier bin ich Königies.
 

Ich habe Kaffee, habe Licht

Hier bin ich ich,

Ich brauch nur mich,

Und keinen falschen Bandleaderwicht.“
 

Gut, zugegeben, die Reime waren nicht gerade überragend und bei ein paar Wörtern bezweifelte Easy deren Existenz, doch wer wollte sich schon beklagen? Immerhin war das ihre ganz eigene Kellerrebellionshymne, die sie noch dazu ohne Druck und ohne Abranka geschrieben hatte.
 

Sehr zu Easys Verdruss sollte ihr Auszug allerdings noch eine Weile unbemerkt bleiben, denn der Rest der Truppe war entweder körperlich oder doch wenigstens geistig abwesend und mit anderen Dingen beschäftigt. Einzig Kiwi, das Bandmaskottchen, hatte Easys Kellerbuddelaktion von ihrem Ruheplatz in der Sonne mitbekommen, jedoch vertrat sie die Meinung, dass sie sich nicht einmischen würde, solange ihre Futterversorgung nicht darunter litt. Und das war bislang nicht der Fall gewesen. Erst als die Achtelfinalrunde der Fußballweltmeisterschaft beendet war und eine zweitätige Zwangspause zwischen dem letzten Achtelfinale und dem ersten Viertelfinale einsetzte, tauchte Abranka wieder aus den Tiefen des Fußballfiebers auf, um am alltäglichen Bandchaos teilzunehmen. Ihre erste Tätigkeit bestand darin, mittels ihre übersinnlichen Musenfähigkeiten die einzelnen Bandmitglieder aufzuspüren. Als sie allerdings Easy unter Lenns Fass ortete, sauste sie blitzschnell und voller Sorge auf ihrer Wolke in den Garten. Hatte Kiwi etwa wieder mit den Sicherungskeilen gespielt und Easy war versehentlich von dem Fass überrollt worden? Eine plattgerollte Sorglospunksfrontfrau war nicht wirklich gut...

Dann jedoch hörte sie, erst leise, beim Näherkommen immer lauter, Easys Kellerrebellionshymne. Mit hochgezogenen Augenbrauen lauschte sie dem etwas ungeschliffenen Text und mit jedem Wort verdunkelte sich die Wolke unter ihr ein wenig. Das klang ganz so, als hätten sie hier ein ernsthaftes Problem. Und allem Anschein nach, wenn sie die Intention aus Easys Lied richtig heraushörte, lag das Problem in Jacks ewig zurückliegender Aussage über die Sache mit der Bandleaderin.

Fürs erste beschloss Abranka Easy in ihrem Keller in Ruhe zu lassen und stattdessen mit Nifen einen Kriegsrat zu halten. Überhaupt musste sie der Bandmanagerin mal gehörig den Kopf waschen, weil diese es soweit hatte kommen lassen, dass Easy offenbar ausgezogen war. Sie selbst hatte ja immerhin Fußball als Entschuldigung... Gut, als sie sah, wie Nifen sich mit dem Hell-o-Berry, welches sie von Chi geschenkt bekommen hatte, abmühte beim Altador Cup auf vernünftige Punkte zu kommen, während Chris den schnellen Rechner für einen Chat mit Umeko okkupierte, musste sie einsehen, dass Nifens Entschuldigung mindestens genauso gut war, wie ihre eigene. Was allerdings nichts an der aktuellen Krise änderte.

„Easy ist ausgezogen!“, brachte Abranka die Sache gleich auf den Punkt und da sie gleichzeitig Nifen das Hell-o-Berry wegnahm, hatte sie auch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Bandmanagerin.

„Wohin ausgezogen?“, fragte diese ein wenig verwirrt.

„In Lenns Keller.“

„Lenns Fass hat doch gar keinen Keller“, widersprach Nifen, nicht wirklich weniger verwirrt als zuvor.

„Jetzt schon!“, erwiderte Abranka schlicht.

„Okay...“ Die Managerin nickte. „Und wieso ist Easy ausgezogen?“

Rasch war Nifen auf den Stand der Dinge gebracht.

„Oh je... Hat Easy das tatsächlich ernst genommen? Das war doch nur eine Aussage, die aus der Situation heraus geboren wurde, nichts, das auf Dauer in dieser Band überlebt...“

„Du weißt, dass jede Idee eine Chance hat, wenn sie auch nur von einem Menschen ernst genommen wird“, widersprach die Bandmuse. Das hatte ihr die Geschichte schon oft genug bewiesen. Wie etwa die Idee eines antiken Römers überflüssige Fälle wie Ablativ einzuführen. Oder neuzeitlicher eine Zeichentrickserie über Brummkreisel zu drehen.

„Hm...“ Nifen hüllte sich daraufhin erst mal in nachdenkliches Schweigen, ehe sie schließlich sagte: „Gehe ich recht in der Annahme, dass, sollten wir versuchen, Jack dazu zu bringen, sich einfach zu entschuldigen, unser Percussionswunder auf stur schalten wird und wir gar nichts gewinnen?“

Abranka nickte nur, dann seufzten die beiden in ihrem Kriegsratbrüten.

„Hast du etwas Ideenschokolade für mich?“, fragte Nifen irgendwann.

Da Musen sich ja schlecht selbst inspirieren konnten, schien es Abranka nur logisch, dass die Bandmanagerin diesen sorglospunkbewährten Weg einschlagen wollte, einen Geistesblitz für diese Situation hinaufzubeschwören und so händigte sie Nifen ein hübsches Stück der beliebten Kreativschokolade aus.

Noch während diese die Schokolade genoss, angelte sie sich wieder ihr Hell-o-Berry.

„Oh nein, so haben wir nicht gewettet!“, fuhr Abranka dazwischen. „Du darfst erst wieder Neopets hätscheln, wenn wir die Situation hier wieder unter Kontrolle haben.“

„Ich wollte doch nur Chi anrufen. Ich weiß, dass sie eigentlich gerade Urlaub macht, doch ich finde, mit der momentanen Krise können wir jeden Störanruf rechtfertigen.“

„Ist Chi alles, was dir aufgrund der Schokolade eingefallen ist? Für die Idee hättest du wirklich keine Schokolade gebraucht“, ereiferte sich Abranka, auch wenn sie Nifens Idee Chi anzurufen, zustimmte indem sie ihr das Mobiltelefon Deluxe zurückgab.

Die Bandmanagerin grinste. „Schokolade ist nie verkehrt.“ Sicher, für die Idee mit Chi hätte sie die Schokolade nicht gebraucht, allerdings... eine Krise ohne Schokolade bewältigen, dass ging in diesem Haushalt nun wirklich nicht. Und Abrankas Schokolade schmeckte immer noch am besten.

Rasch war aus dem integrierten Adressbuch Chis Hell-o-Berry-Nummer herausgesucht und der Teufel höchstpersönlich angerufen.

„Wer stört?“, klang es auch nicht gerade begeistert aus dem Lautsprecher.

„Wer wohl?“, entgegnete Nifen nur, die sich ein Schmunzeln, trotz der Krise, nicht verkneifen konnte. „Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du Lust auf eine Tasse Kaffee hast.“

„Du rufst mich an, weil bei euch der Kaffee alle ist und ich mal eben ne neue Plantage in Babys Kofferraum werfen soll, damit du mich hinterher großzügig zu einer Tasse Kaffee einladen kannst?“ Man hörte dem Teufel an, wie wenig sie von dieser Idee hielt.

„Nein, falsch. Ausnahmsweise haben wir noch Kaffee im Haus“, erwiderte Nifen gespielt gelassen.

„Dann hat Murphy es endlich geschafft, Kiwi zu einer höllischen Spritztour einzuladen und jetzt sitzt euer Maskottchen in der Tierheimhölle fest und ich soll sie rausholen“, mutmaßte Chi weiter.

„Nein, auch nicht. Dennoch danke, dass du uns vor der Tierheimhölle warnst, wir sollten diese Info dringend an Kiwi weitergeben.“ Nifen machte sich nebenbei eine entsprechende Post-it-Notiz.

„Dann...“

„Easy ist ausgezogen!“, unterbrach Abranka das muntere Rätselraten, denn so langsam wurde es ihr einfach zu bunt.

„Easy ist was???“, fragte Chi alarmiert.

„Das war das, was ich dir bei einer netten Tasse Kaffee erzählen wollte.“ Nifen zuckte gespielt ungerührt mit den Schultern.

„Bin gleich da!“ Damit war die Leitung tot und das Gespräch beendet. Vorerst. Denn wenn Chi ‚gleich’ sagte, meinte sie auch ‚gleich’, weshalb Abranka schon mal in weiser Voraussicht zur Haustür flitzte, während Nifen in der Küche Kaffee organisiert. Und noch mehr Schokolade. Herkömmliche diesmal, denn sie bezweifelte, dass Abranka noch etwas Musenschokolade rausrücken würde.

Und tatsächlich war Chi exakt zwei Minuten und vierzehn Sekunden später da. Dem hastig übergeworfenen Pareo merkte man an, dass sie eigentlich jetzt viel lieber an einem Pool irgendwo zwischen hier und da liegen und ihren Urlaub genießen würde.

Nun waren sie also schon zu dritt und brüteten über einer Lösung. Stunde um Stunde verging, der Kaffee leerte sich und die Schokolade ging auch schon zur Neige, ehe Chi schließlich zähneknirschend sagte: „Es hilft wohl nichts... wir brauchen ein salomonisches Urteil.“ Wie alles, was von der Welt als Erfolg des alten Rauschebarts angesehen wurde, schmeckte dem Teufel auch Salomons Weisheit nicht sonderlich. Wenn es jedoch darum ging, ihre Lieblingsband zur retten, war sie bereit diverse Opfer zu bringen.

„Du willst, dass wir mit dir und Baby ins antike Israel reisen, damit ein noch antikerer König vorschlägt, Chris zu halbieren, damit jeder der Zwillinge eine halbe Sorglospunksband hat, bei der sie dann Bandleaderin sein darf?“, fragte Nifen zweifelnd, denn die Blutrünstigkeit dieses ach so weisen Königs war ihr schon immer ein wenig suspekt gewesen. Übertroffen wurde dies nur noch von der überlieferten Kaltblütigkeit der falschen Mutter.

„Nicht ganz“, beruhigte Chi sie. „Ich dachte da eher an Salomons letzten noch lebenden Nachfahren, in der Hoffnung, dass die Urteilsfähigkeit erhalten geblieben ist, sich die Methoden allerdings ein wenig verfeinert haben.“

Obgleich noch nicht ganz überzeugt, ließ sich Nifen von dem in Abranka aufkeimenden Enthusiasmus anstecken, frei nach der Devise, dass jeder Plan besser war als gar kein Plan. „Ich geh Jack und Chris einfangen“, sagte die Managerin schnell, ehe die Muse die Aufgabe, Easy aus ihrem Erdloch zu holen, ihr übertrug.

Tatsächlich grummelte Abranka etwas unzufrieden, waren doch Erdflecken immer so schwer aus Wolkenwatte herauszubekommen.
 

Zum Glück hatte Chi Baby als Transportmittel genommen, denn interdimensional war dieses Wunderauto immer noch der schnellste Weg, um von A nach B zu kommen und hatte in der Menschenwelt den Vorteil, dass, sofern das Auto nicht irgendwelche Starallüren hinlegte, es kaum von anderen Autos auf der Straße zu unterscheiden war. Außerdem bot es genug Platz für die ganze, sich anschweigende Band.

Wenig später hielt der Wagen vor einem, der Truppe nur allzu bekannten Haus: Dem Hauptquartier ihrer Freunde Chuck und Chuck.

„Hä?“, fragte Nifen wenig intelligent. „Ich dachte wir wollten zu Salomons Zigmal-Urenkel. Was wollen wir dann bei Chuck und Chuck?“

„Chuck 2 ist der Zigmal-Urenkel von Salomon“, erwiderte Chi nur, als sei dies das Offensichtlichste auf der Welt, während sie zur Tür ging, um zu klingeln. „Und ihr habt Glück, denn er ist zugleich der höchstwahrscheinlich allerletzte Zigmal-Urenkel.“

„Wieso das?“, wollte nun Abranka wissen, während die Sorglospunks weiter schwiegen.

Der Teufel zuckte mit den Schultern. „Schwule Einzelkinder neigen nun mal nicht dazu sich fortzupflanzen. Es sei denn sie legen eine äußerst unwahrscheinliche Seepferdchen-Bauchhöhlenschwangerschaft hin oder lassen sich sturzbetrunken doch mal mit einer Frau ein und landen einen äußerst unwahrscheinlichen goldenen Treffer. Doch wie gesagt, alles äußerst unwahrscheinlich.“

Nun schwiegen auch Nifen und Abranka. Solche Neuigkeiten wollten eben erst einmal verdaut werden. Nicht, dass das irgendetwas zwischen den Sorglospunks und der Küken-Countryband geändert hätte, zumal Chuck 2 nie auch nur andeutungsweise Interesse an Chris oder LennStar gezeigt hatte – vermutlich waren die beiden einfach nicht sein Typ – allerdings war es überraschend.

„Nun kommt schon, Kinder, ist euch das denn nie aufgefallen?“, fragte Chi ein wenig ungeduldig.

Die anderen schüttelten den Kopf.

Der Teufel stutze daraufhin kurz, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. „Ach so, klar, hatte ich ganz vergessen... Bevor die Gesellschaft wieder toleranter wurde, hatte der alte Rauschebart so eine Phase gehabt, wo er Homosexualität als Sünde verdammte, sprich die Akten dieser Menschen landeten auf meinem Schreibtisch. Und damit ich die entsprechenden Opfer auch ja aus all dem himmlischen Aktenchaos herausfischen konnte, hat man mir beim interdimensionalen Rat eine Art Schwulenradar erlaubt. Nur eben viel präziser. Und das hat man mir nie wieder weggenommen. Ich kann also Schwule schon drei Monate vor ihrer Geburt identifizieren.“

In diesem Moment machte Chuck 1 die Tür auf. „Easy!“, rief er derart freudestrahlend, dass seine Zuneigung für die Frontfrau der Sorglospunks sogar dieser hätte auffallen müssen, wäre Easy nicht gerade mit Schmollen und Ignorieren beschäftigt gewesen.

„Ist Chuck 2 auch zu Hause?“, fragte Nifen nun, den eigentlichen Grund ihres Besuches wieder vor Augen.

Chuck 1 nickte. „Er betet gerade den Videorekorder an, in der Hoffnung, dass dieser sich erbarmt und die alten, ausgeleierten ‚Queer as Folk’-Aufzeichnungen noch einmal abspielt.“ Es war offensichtlich, dass Chuck 1 von der Vorliebe seines Bandkollegen wusste. „Doch kommt erst mal rein“, sagte er, ehe er sich umwandte und in die Tiefen des Hauses brüllte: „Chuck, du hast Besuch!“

„Wehe es ist jemand, der nicht wenigstens so gut aussieht wie Jude Law!“, tönte es etwas frustriert zurück.

„Ne, sind nur Brad Pitt, Cristiano Ronaldo und Markus Schenkenberg“, erwiderte Chuck grinsend.

„Zu muskulös, zu muskulös, zu muskulös!“, kam das vernichtende Urteil. Offenbar stand Chuck 2 nicht sonderlich auf Jungs mit zu muskulösem Oberkörper. Dennoch schien er sich von dem Videorekorder gelöst zu haben, denn er stieß nun zu seinem Bandkollegen und den Sorglospunks, die noch immer im Flur versammelt waren. „Wo brennt’s? Müssen wir Chris mal wieder nach Japan schaffen und dafür den Bandbully zum Amphibienfahrzeug umrüsten?“, fragte er die Truppe.

„Nicht ganz. Ich mein, sicher, Chris hätte nicht gegen einen weiteren Paddelbootausflug, doch heute bräuchten wir eher einen Schiedsspruch von dir“, erklärte Nifen.

„Schiedsspruch? Wieso ausgerechnet von mir?“, wollte Chuck 2 wissen und Chuck 1 nickte bekräftigend. „Ja, wieso nicht von mir?“ Schließlich waren sie ebenbürtige Bandkollegen.

Abranka klärte auf. „Weil du, Chuck 1, im Gegensatz zu dir, Chuck 2, nicht einen Zigmal-Uropa mit Namen König Salomon hast. Zumindest sagt Chi, dass Chuck 2 der Zigmal-Urenkel von Salomon ist.“

„Ihr meint den Salomon? Der, der hinter der Königin von Saba her war?“ Ungläubig blickten die Countrymusiker den Teufel an.

Diese nickte nur. „Genau der.“

Kurze Sekunden der Stille, dann schlug Chuck 1 Chuck 2 kräftig auf die Schulter. „Weißt du, was das heißt?“

„Dass ich künftig vor lauter Sorgerechtsstreitigkeiten nicht mehr dazu komme ‚Queer as Folk’ zu gucken?“, kam die rhetorische Gegenfrage.

„Nein! Es heißt, dass dir Musik im Blut liegt und wir auf jeden Fall berühmt werden. Denn schließlich war dein Zigmal-Ururopa König David und der hat ein halbes Gesangsbuch für die Bibel hinterlassen! Wir werden berühmt!“ Und Chuck 1 begann spontan einen Freudentanz in dem engen Flur aufzuführen.

„Ähm, ja, alles ganz schön und gut“, mischte sich Nifen wieder ein. „Doch könntet ihr bitte die musikalische Siegesfeier noch ein wenig vertagen? Zumindest solange, bis Chuck 2 sein salomonisches Urteil für die Sorglospunks gefällt hat?“

„Und was haben wir davon?“, wollte Chuck 1 prompt wissen, ohne dabei in seinem Tanz innezuhalten.

Chris verkniff es sich an dieser Stelle seinen Standardsatz von einem Kuss auf den frisch gewaschenen Hintern zum Besten zu geben, schließlich wollte er Chuck 2 nicht doch noch auf falsche Gedanken bringen.

Derweil tuschelten Nifen und Chi hektisch miteinander. Schließlich konnte man ja kaum erwarten, dass man so einen Schiedsspruch umsonst bekam. Doch wie es schien, gab es im WWWB-Markt gerade ein Supersonderangebot, wo man beim Kauf von drei Kaffeeplantagen eine ‚Queer as Folk’-DVD-Superbox gratis erhielt. Blieb nur noch die Frage, wo man die zwei überzähligen Kaffeeplantagen zwischenlagerte, bis die erste aufgebraucht war. Vielleicht hatte Oma ja noch ein wenig Platz auf dem Speicher.

Ein kurzes Telefonat später war das Platzproblem gelöst und Chuck 2 mit seiner Bezahlung zufrieden. „Allerdings bekommst du die DVDs nur, wenn du nicht vorschlägst wahlweise Chris oder Kiwi zu halbieren“, fügte Nifen noch rasch hinzu, ehe der Deal mit einem Handschlag besiegelt wurde. Dann berichteten Abranka, Chi und die Bandmanagerin von der aktuellen Krise, während Jack und Easy sich abwechselnd mit beinahe-tödlichen Blicken durchlöcherten oder sich ignorierten. Sturköpfe eben, wenn es um solche Kleinigkeiten ging. Chris hielt sich derweil vornehm zurück, zufrieden, dass seine Unteilbarkeit vertraglich festgelegt worden war. Denn er wollte nur höchst ungern zwischen die Fronten geraten. In wie vielen Teilen auch immer.

„Hm...“, sagte Chuck 2 nach einer nachdenklichen Schweigeminute, während Chuck 1 endlich aufgehört hatte, im Flur zu tanzen – vermutlich hatte er sich einfach genug blaue Flecke an der Garderobe geholt – und war stattdessen in der Küche verschwunden, um das Allheilmittel Kaffee zu kochen. „Wenn wir also die Band nicht teilen wollen, die aktuelle Alleinherrschaft jedoch nicht anerkannt wird, müssen wir also anderweitig für Gleichberechtigung sorgen. Weshalb im Grunde nur eines bleibt: Wir müssen etwas anderes teilen!“

Abwartend fragend sah die Truppe Chuck 2 an. Chris zitterte ein wenig, denn ihm war gerade eingefallen, dass weder seine Gitarre, noch sein Bass, noch die Chat-Standleitung zu Umeko vom Unteilbarkeitsabkommen geschützt wurden. Und mitten ein einem tollen Chat mit Umeko plötzlich die Leitung geteilt zu bekommen...? Und dann nicht mal seine Ladies zum Trost zu haben...?

„Wir teilen einfach das Jahr. Jeden Monat ist ein anderer von euch Bandleader. Im Januar wäre es Easy gewesen, im Februar Chris, März Jack und April wieder Easy“, erklärte Chuck 2 endlich seinen genialen Lösungsplan.

„Wie? Das soll alles sein? Und so was einfach ist uns nicht selbst eingefallen?“, klang es durcheinander von der Sorglospunkstruppe. „Und soll das heißen, dass ich meinen Bandleader-Monat damit verbracht habe, für Lenn einen Keller zu buddeln?“, wollte Easy wissen.

Chi grinste nur. Sie war voll und ganz mit Chucks Vorschlag einverstanden. „Tja Easy, das nennt man eben Pech. Allerdings sind es nicht einmal mehr zwei Monate, bis du wieder Bandleaderin bist. Sieh es also positiv.“

Am Ende des Tages und viele Tassen Kaffee später waren dann auch Jack und Easy zu dem Schluss gekommen, dass Chucks Lösung eigentlich gar nicht so schlecht war. Easy träumte schon von dem Augenblich, da die Reihe wieder an ihr wäre und sie alle herumkommandieren könnte und Jack hegte vermutlich schon Rache-Verweigerungspläne, wo sie alle unangenehmen Arbeiten auf Bandleaderin Easy abwälzte. Und garantiert würde sie jeden zweiten Tag einen neuen Song von Easy sehen wollen. Denn schließlich war das als Frontfrau und Bandleaderin dann ja Easys oberste Pflicht.

Abgesehen davon wussten natürlich alle Anwesenden, dass Kiwi die eigentliche Bandleaderin war.

Computerliebe

Merkwürdige Ereignisse, egal wie vorhersehbar sie eigentlich sind, treffen einen immer unvorbereitet. Und die Sorglospunks bilden da keine Ausnahme…

Es war viel zu früh an einem eigentlich schönen Sommermorgen, irgendwo im noch schöneren Schwabenland, als das Unheil zuschlug. Tatsächlich war es so früh, dass noch nicht einmal die Vögel im Garten richtig erwacht waren, als ein ebenfalls noch nicht wirklich wacher Chris leise die Treppe ins Erdgeschoss hinuntertappte. Doch der Gitarrist der sorglosesten Punkband diesseits wie jenseits des Rio Spätzle hatte einen ausgezeichneten Grund, an diesem Tag bereits in aller Herrgottsfrühe aufzustehen: Umeko. Seit seine Freundin wieder in Japan weilte, war Chris einmal mehr auf die Kommunikationsmittel der modernen Neuzeit angewiesen, um mit ihr in Kontakt zu bleiben. Doch egal wie schnell die Internetleitung war, es nutzte wenig, wenn derjenige, mit dem man sprechen wollte, nicht da war, um zu antworten. Und angesichts der Tatsache, dass Japan zeittechnisch nicht weniger als neun Stunden dem Schwabenland voraus war, bedeuteten die Chats mit Umeko nicht selten ein exaktes Zeitmanagement. Unter anderem, dass man(n) eben zu nachtschlafender Zeit aufstehen musste, wenn man(n) mit Umeko ein Schwätzchen zur Mittagspause halten wollte. So wie heute.

Einen Vorteil, so gestand sich Chris ein, hatte diese Frühaufsteheraktion ja: Man(n) musste sich nicht mit der Bandmanagerin Nifen um den schnellen PC prügeln.

Durch diesen Gedanken noch ein wenig mehr mit der frühen Stunde versöhnt, schaltete Chris den Computer ein und ging dann in die Küche, um sich erst einmal mit dem Lebenselixier aller Sorglospunks zu versorgen: Kaffee. Auf diese Weise entging ihm die merkwürdige Betriebssystembereitschaftsmelodie, die der Rechner an diesem Morgen statt der üblichen vier Töne anstimmte. Als er jedoch zurückkehrte und statt der üblichen Benutzeroberfläche nur einen schwarzen Hintergrund sah, auf dem sich am laufenden Kilometer Herzchen trafen, begann Chris dumpf zu ahnen, dass heute irgendwas anders war. Doch natürlich ließ man(n) sich davon nicht so schnell aus dem Konzept bringen. Hatte er eben heute etwas länger bei der Organisation des Kaffees gebraucht und irgend so ein Scherzkeks – er hatte da ganz arg die Bandmanagerin im Verdacht – hatte wohl seine allmorgendlichen Frühchateinlagen mitbekommen und beschlossen ihn mit diesem ultrakitschigen Bildschirmschoner zu ärgern. Ein kurzes Mauszucken würde genügen und der Rechner hätte vergessen, dass Chris ihn lange genug allein gelassen hatte, um dieses animierte Grauen zu laden. Gedacht – getan. Doch nichts änderte sich! Noch immer flirrten die roten Herzen über den Schirm.

Also kein Bildschirmschoner und somit Zeit für Plan B. Plan B bedeutete einfach einen Neustart, denn wie sagte Nifens Onkel stets bei allem, was Computerprobleme betraf: Reboot tut immer gut!

Dieses Mal hörte Chris die veränderte Eingangsmelodie, mit welcher der Rechner eigentlich seine Bereitschaft signalisierte. An dem Herzchenbild auf dem Schirm änderte aber auch der Neustart nichts. Und ein Blick auf die Wanduhr verriet Chris, dass Umekos Mittagspause unaufhaltsam verrann, ohne dass er in der Lage war, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Denn jetzt erst noch den langsamen Rechner zu starten, hatte wenig Sinn. Am Vorabend hatte Bandmaskottchen Kiwi beim Spielen den rückwärtigen Hauptschalter des Rechners erwischt und dadurch ein unplanmäßiges Herunterfahren erzwungen. Dieses brachiale Gewaltabschalten hatte zur Folge, dass der Computer heute beim Erststart ein Überprüfen der Festplatte fordern würde und käme man dieser Forderung nicht nach, würde der eigensinnige Rechner garantiert die Funktion, die man benutzen wollte, blockieren. So eine Festplattenüberprüfung dauerte aber immer ewig und ewig dauerte bekanntlich länger als eine japanische Mittagspause.

Unter diesen Umständen war es wohl wenig verwunderlich, dass nur Sekundenbruchteile später ein langgezogener, gequälter Schrei durch das Sorglospunkshauptquartier gellte und die übrigen Hausbewohner unsanft aus dem Schlaf riss. Mit müden Augen und zerknitterten Gesichtern gesellte sich die Truppe zu Chris, der wie ein hypnotisiertes Kaninchen die Uhr anstarrte, ganz so als wollte er damit die Zeit zwingen, stehen zu bleiben.

„Was ist los? Was soll das Geschrei?“, fragte Easy, Frontfrau und Songschreiberin der Band, gähnend. Es war einfach zu früh für ihr übliches, quirliges Auftreten.

Stumm deutet Chris auf den Computer.

„Reboot…“, murmelte Jack, die Bandvernunft, nur verschlafen und drückte schon mal auf den Einschaltknopf um die Zwangsabschaltung zu bewirken.

„Meinst du, da wäre ich nicht schon selbst drauf gekommen?“, fauchte Chris das Multi-Percussions-Talent an. Egal wie sanftmütig der Bassist sonst war, wenn man(n) durch die Tücken der Technik an der Kommunikation mit der Liebsten gehindert wurde, konnte es schon zu aufbrausendem Verhalten kommen.

Doch Jack zuckte nur mit den Schultern. Konnte ja nicht schaden, die ganze Prozedur noch einmal zu durchlaufen. Einen Knopfdruck später hörte man das vertraute Summen des Lüfters. Gerade als die ungekrönte Bandvernunft sich triumphierend zu Chris umwenden wollte, ertönten abermals die verräterisch falschen Betriebsbereitschaftstöne.

Ohne sich dessen recht bewusst zu sein – ihr Gehirn arbeitete noch im Schlafmodus –, hatte Nifen den Melodiefetzen aufgenommen und weitergeführt.

Überrascht stupste Bandmuse Abranka Nifen mit ihrer Wolke an. Denn dass die Managerin neuerdings unter die Komponisten gegangen war, wäre ihr neu. Easys Sorgloshits zu vertonen war schließlich Chris’ Aufgabe. Also, so schloss Abranka, hatte Nifens musikalisches Unterbewusstsein das Lied wiedererkannt und die Folgetöne abgespielt.

„Hö?“, fragte Nifen, die sich mehr oder weniger krampfhaft bemühte, nicht allzu wach zu werden. Sie hatte nämlich gerade so schön geträumt, als Chris’ Klagegeschrei durch das Haus getönt war und hoffte, dass sie, wenn sie nicht allzu wach würde, nach Bereinigung der Krise wieder zu dem Traum zurückkehren könnte. Dass das meist nicht klappte, hielt die Managerin nicht von dem Versuch ab.

„Kennst du das Lied?“, fragte Abranka, und um sich einer Antwort zu versichern, drehte sie die Temperatur ihrer Musenwolke ein wenig herab und stupste Nifen gleich noch ein paar mal an.

Dergestalt gegen ihren Willen wachgestupst, sah die Managerin die Bandmuse unwillig an.

„Das Lied?“, wiederholte Abranka, mit einer Geduld, wie sie nur Musen so früh am Tag haben konnten.

„Welches Lied?“ Offenbar hatte Nifen ihre Gesumme wirklich nicht mitbekommen, aber hilfsbereit brachte die Bandmuse sie auf einen Wachwissensstand der Vorgänge. Trotz dessen wusste Nifen immer noch nicht, welches Lied sie gesummt haben könnte, doch einmal wach arbeitete ihr Gehirn wieder in den gewohnten Bahnen und so hatte sie auch gleich eine Idee und zückte ihr Hell-o-Berry. „Jack, könntest du noch mal einen Neustart initiieren?“, bat die Managerin das Percussionswunder.

Chris hatte sich derweil schmollend auf die Sitzecke verzogen. Denn eigentlich war das doch im Moment sein Computer. Aber ein Stück Schokolade von Abranka tröstete ihn schnell darüber hinweg und inspirierte ihn stattdessen auf seiner Gitarre ein ‚Ich vermiss dich’-Lied für Umeko zu komponieren.

Bei dem erneuten Neustart hatte Nifen dann die Liederkennungssoftware ihres Hell-o-Berrys genutzt, um die Töne zu identifizieren. „Computerliebe“, murmelte sie, als sie den Eintrag auf dem Display ablas. „Könnte es sein, dass der Computer nach all dem Liebesgesäusel, das zwischen Umeko und Chris durch seine Leitungen gelaufen ist, selbst gelernt hat, zu lieben und nun einfach aus lauter Verliebtheit nicht mehr daran denkt, normal zu arbeiten?“, fragte sie in die Runde. Das mochte zwar auf den ersten Blick reichlich abwegig klingen, aber die Sorglospunks hatten im Laufe der Zeit einfach zu viele merkwürdige Dinge als gegeben hinzunehmen gelernt, als dass sie ein verliebter Computer noch größer aus der Fassung hätte bringen können. Und die über den Bildschirm schwebenden Herzchen unterstützten eindeutig diese Theorie. Aber was tun mit einem liebeskranken Computer? Der normale Computerfachmann würde ihnen nicht glauben, geschweige denn ihnen weiterhelfen können…

„Was meinst du, Abranka, ob die olympischen Dienstleistungsunternehmen hier vielleicht einen passenden Spezialisten parat hätten?“, wandte sich Jack jetzt an die Muse, während Easy einwarf, dass Computer doch auch nur Menschen seien und als solche das Recht hätten, sich zu verlieben, und sie folglich den armen Rechner in Ruhe lassen sollten. Es war eben der Zeitpunkt vor dem ersten Kaffee.

Da Jacks Vorschlag zumindest einen Versuch wert war, zückte Abranka ihr Musentelefon und ließ sich mit der Auskunft der OLKOMOD, der Olympischen Kommunikationsvereinigung Olympischer Dienstleister, verbinden.
 

Keine halbe Stunde später klingelte es an der Tür des Sorglospunkshauptquartiers. Sofort war Chris wie ein geölter Blitz beim Eingang. Schließlich ging es hier um die Heilung des Computers und somit einer in greifbare Nähe gerückten Hoffnung auf baldige Kommunikation mit Umeko. Allerdings hätte er vor Schreck beinahe wieder die Tür zugeworfen, als er sah, wen die olympische Computeragentur geschickt hatte: Es war niemand anderes als die Hexe Himeka!

„Hime!“, begrüßte Abranka ihre ehemalige Musenkollegin. „Hast du schon wieder den Beruf gewechselt? Bringt das Hexendasein nicht mehr genug ein?“

„Man muss mit der Zeit gehen“, sagte Himeka grinsend und stellte Jensen, ihren Besen, ab. „Als moderne Hexe reicht es nicht länger nur Tränke zusammenzubrauen, man muss sich auch online behaupten. Und gegenüber den Kollegen der alten Edgar-Abteilung hab ich den Vorteil, dass ich auch alternative Heilungsmethoden für Computer anbieten kann. Wo der Schraubendreher versagt, kann ich immer noch mein Glück mit Tränken und Pulvern versuchen. Aber im Moment ist die konservative Konkurrenz eh mit ihrem Altmetall beschäftigt. Irgendeine Infektion hat den Schrott erfasst, absolutes Chaos.“

Bei der Nennung der gefloppten Musen-Computer klingelte irgendetwas unsanft in den Hinterköpfen der Sorglospunkstruppe, aber als Meister des Verdrängens unangenehmer Erinnerungen, ignorierten sie dieses Warnsignal und führten Hime stattdessen zu dem liebeskranken Computer.

Schnell war die Sachlage erklärt, die vermutete Diagnose unterbreitet und, seitens Himeka, der Schraubendreher gezückt. Denn, so die Hexe, sollte es sich tatsächlich um eine unplanmäßige Entwicklung von Gefühlen handeln, dann kam dafür nur Prozessor XY37QVTZ in Frage. Und der war naturgemäß ganz tief in den elektronischen Eingeweiden versteckt. In der für Laien gebräuchlichen Übersetzung hieß das: Das kann dauern. Also ging die Truppe erst einmal in die Küche, um sich mit dem überlebenswichtigen Kaffee zu versorgen, denn allen war klar, dass eine Rückkehr ins Bett jetzt nicht mehr in Frage kam.

Man saß noch beisammen und spielte eine Runde munteres Zuckerkrümel-Songschreiben, als Himeka plötzlich mit einer Art Geigerzähler in die Küche geeilt kam. Hektisch das Gerät auf und ab bewegend, begann sie Abranka abzuscannen. „Wann hattest du das letzte Mal mit einem Edgar Kontakt?“, fragte die Hexe ganz geschäftsmäßig.

Die Bandmuse sah Hime etwas verwundert an und erwiderte dann: „Vor drei Jahren oder so. Wieso?“

„Mist!“, entfuhr es der Ex-Muse und derzeitigen Computerhexe. „Dann kommst du als Kontaminationsquelle nicht in Frage.“ Ein leises Piepsen des Messgerätes bestätigte die Aussage.

„Was ist los? Was soll die Frage nach diesem Edgar?“, wollten die anderen wissen.

„Edgar, war das nicht dieser Songschreibcomputer, den Easy irgendwann angeschleppt hat?“, meinte Nifen sich dunkel zu erinnern.

Die Bandmuse nickte.

„Ihr hattet einen Edgar im Haus?“, fragte Himeka alarmiert, ohne auf die Fragen der Sorglospunks einzugehen.

„Ist, wie gesagt, Jahre her“, erwiderte Abranka, die nun langsam aber sicher auch um Geduld rang und es stand zu befürchten, dass sie selbige bald verlieren würde, sollte Himeka nicht endlich mit ein paar Antworten aufwarten. Ungeduldig abwartend starrte sie die Hexe an. Und die Blicke einer ungeduldigen Muse haben weit mehr Wirkung als die Blicke ungeduldiger Menschen. Tatsächlich wirkten diese Blicke so gut, dass sich sogar eine Ex-Muse wie Himeka unter ihnen unwohl fühlte und sich deshalb letztlich beeilte Licht in das Dunkel zu bringen.

„Vor etwa zwei Jahren kam es zu einer bislang ungeklärten, globalen Störung der übernatürlichen Observationssysteme. Die Störung dauerte nur kurz, aber währenddessen ist es einem extraterrestrischen Computerohrwurm, dem sogenannten Paso Doble-Ohrwurm, gelungen, in die Atmosphäre einzudringen. Dieser Wurm ist nur mit übernatürlichen Computern kompatibel, da er nicht-rechnerische Daten anzapft, wie etwa Inspiration oder Vorhersehung. Die meisten Computer auf dem Olymp, in der Hölle und im Himmel verfügen über aktuelle Schutzprogramme, so dass der Ohrwurm von vorn herein abgewehrt wurde, aber die Edgars auf ihrem Schrotthaufen, hatten diesen Schutz nicht. Weshalb sie jetzt, nach beendeter Inkubationszeit, in herrlicher Kakophonie ‚Herz an Herz’ und ‚Computerliebe’ von sich geben. Symptome, wie sie auch euer Computer aufweist. Weshalb sich mir die Frage stellt: Was habt ihr mit dem Edgar von vor drei Jahren gemacht? Denn mit all den nicht handelsüblichen überirdisch-unterirdischen Modifikationen, die euer Rechner aufweist, könnte er sich mit dem Ohrwurm angesteckt haben, wenn er lokaler Nähe eines bereits infizierten Edgars ausgesetzt war.“

Das waren keine guten Neuigkeiten. Nach kurzem Schweigen erwiderte eine inzwischen deutlich wachere Easy: „Ich glaube, ich hab den Edgar zu dem anderen Gerümpel in den Keller getan. Als Musencomputer konnte ich ihn ja schlecht zum örtlichen Sperrmüll geben.“

„Aber wie kann sich unser Edgar, der ja seit wenigstens drei Jahren keinen Kontakt mehr mit anderen Edgars hatte, mit dem Ohrwurm angesteckt haben, wenn der Wurm doch erst seit zwei Jahren hier auf der Erde ist?“, wollte Abranka wissen.

„Die olympischen Wissenschaftler konnten als Heimat dieses Computerohrwurms einen Planeten namens Sarms identifizieren…“

„Pinky und Co haben das verursacht? Na herzlichen Dank!“, unterbrach Nifen Himeka stöhnend, ehe sie ihr Hell-o-Berry zückte, um ihrem sarmsianischen Kontakt gehörig den Marsch zu blasen.

„Ihr hattet Kontakt mit Sarmsianern?“, fragte Hime neugierig.

Die Sorglospunks nickten. „Weltrettung, du weißt schon“, meinte Jack achselzuckend.

„Wir waren sogar auf ihrem Planeten für einen Gastauftritt“, fügte ihre Zwillingsschwester hinzu.
 

Nun, da Ursache und Wirkung geklärt waren, war die Wiederherstellung der alten Zustände kein Problem mehr. Der Edgar im Keller erwies sich als tatsächlich infiziert, wurde aber von Himeka fachgerecht auf dem olympischen Schrottplatz entsorgt. Dem schnellen Rechner verpasste die Computerhexe ein Notimpfungsschutzprogramm, das auch im Nachhinein noch derartige Würmer erledigen konnte. Natürlich legte die Überprüfung durch das Programm den Rechner für den Rest des Tages lahm, aber bei der Aussicht am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe nicht wieder so ein Theater zu erleben, konnte sogar Chris mit dem einen Tag Umeko-Entzug leben.

Silvesterrache

Halloween, jener Vorabend von Allerheiligen, an dem die Unterwelt mit immer gigantischeren Partys versuchte die antiken Orgien des Olymps und die Weihnachtsfeierlichkeiten des Himmels in den Schatten zu stellen, hatten die Sorglospunks glücklich und glimpflich in diesem Jahr überstanden. Glücklich und glimpflich hieß im Fall dieser sorglosesten Punkband diesseits wie jenseits des Rio Spätzle, dass dieser Tag ohne merkwürdige Besucher, ohne Weltrettungsabenteuer und sogar ohne Kaffeekrise vorüber gegangen war. Dabei war angesichts der Historie dieser Band eigentlich damit zu rechnen gewesen, dass etwas derartiges geschah, zählten doch zu ihren Bekannten nicht nur der Rabe aus Poes gleichnamigem Gedicht, sondern auch Murphy, der geflügelte Dämonenkater, nach dem eben jene Gesetze – Murphys Gesetze – benannt waren. Aber es gab einen guten Grund, weshalb dieser 31. Oktober so unspektakulär über die Bühne gegangen war: Abranka, die Bandmuse, hatte ihre Hausaufgaben gemacht. Sie hatte die Situation analysiert und wusste was auf sie zukommen würde. Denn bei all den außergewöhnlichen und bisweilen außerirdischen Besuchern, die den Weg bislang ins Schwabenland gefunden hatte, hatte eine Spezies, die obendrein zu den Halloween-Klassikern zählte, ihnen noch nicht ihre Aufwartung gemacht: die Monster. Weshalb feststand, dass sie wenn in diesem Jahr von Monstern heimgesucht würden.

Gehässige Seelen mochten an dieser Stelle ja darauf hinweisen, dass nach diversen Beinahekatastrophen der Teufel und die Muse verschiedene Schutzmechanismen gegen unerwünschte Besucher im Sorglospunkshauptquartier installiert hatten, allerdings keine gegen Monster. Aber mal ehrlich, man konnte es den Sorglospunks nicht verübeln, dass so jeder sich mit einer heimlichen Phobie herumschlug – seien es Vampire, Werwölfe oder Doktoren mit seltsamen Namen –, die immer dann zum Ausdruck gebracht wurden, wenn Bandmanagerin Nifen mal wieder eine ihrer berühmt-berüchtigten ebay-Auktionen startete. Und diese phobiebelasteten Besucher hatten natürlich bei der Installation dieser Schutzsysteme Vorrang gehabt.

Als Abranka sich dieser Sicherheitslücke bewusst wurde und sie, weit schlimmer, feststellen musste, dass sich im Sorglospunkshauptquartier kein Monsterabwehrmechanismus installieren ließ, ohne nicht sämtlichen Kaffee ungenießbar werden zu lassen – was für die Sorglospunks selbstverständlich keine annehmbare Option war – hatte sie das getan, was alle fürsorglichen Musen für ihre Schützlinge tun würden: Sie hatte den schnellen Rechner mit Nifens Hell-o-Berry und ihrem Musenlaptop in der Wolke verbunden (ohne dabei etwas auf das Protestgeschrei seitens des Bassisten Chris, der nun nicht mehr mit seiner Freundin Umeko in Japan chatten konnte, und Bandmangerin Nifen, die nun nicht mehr ihre Neopets hätscheln konnte, zu geben) und so die größte Datenbank für Monster angezapft, die sie in den unendlichen Weiten dreier Netzwerke finden konnte. Denn sowohl die Menschen mit ihrem Internet, als auch Himmel und Hölle hatten Daten über Monster gesammelt. Sogar über alltägliche Monster, wie Selbstmitleid oder Besserwisser, denen man kaum entgehen konnte. Dergestalt informiert, hatte sie dann als Monster-Patrouille angeheuert und auch nur beim kleinsten Anzeichen eines monsterähnlichen Wesens eine ihrer Fallen ausgelöst, mit denen sie den Garten vermint hatte. Dass sie dabei auch den Bandphilosophen LennStar und sogar das Bandmaskottchen Kiwi erwischte, musste einfach unter Kollateralschäden verbucht werden, und da diese beiden Bandmitglieder ja keine echten Monster waren, hatten die Fallen ihnen auch nicht geschadet.

Selbstredend waren LennStar und Kiwi da ganz anderer Meinung. Ersterer hatte einen halben Tag kopfüber an einem Baum hängend verbracht – schließlich war es eine allgemein bekannte Tatsache, dass Monster in diesem Fall versucht hätten, ihren Kopf abzunehmen, um das Seil, mit dem ihr Fuß mit dem Ast verbunden war, durchzubeißen, nur um bei dem folgenden Hinabfallen den Fall aus Sichtproblemen nicht koordinieren zu können und somit für mindestens zwölf Stunden mit einer monstermäßigen Gehirnerschütterung außer Gefecht gesetzt zu sein. Letztere hatte sich in einem gigantischen Wollknäuel wiedergefunden und wegen ihres Spieltriebs keinen Ausgang gefunden – wohingegen Monster den inneren Anfang des Knäuels gefunden hätten und bei dem Versuch, sich selbst frei zu wickeln natürlich blöd genug wären, sich die Wolle um den eigenen Körper zu wickeln und sich somit selbst zu fesseln. Die Meinung der beiden wurde auch nicht dadurch gebessert, dass Abranka an diesem Tag überhaupt kein wirkliches Monster fing. Aber wenn man die Bandmuse fragte, war kein Monsterfang die beste Erfolgsquote überhaupt, bewies das doch, dass die Monster von vornherein erkannt hatten, wie unmöglich ihr Ansinnen war, bei den Sorglospunks Unheil anzurichten und sie sich somit vom Sorglospunkshauptquartier ferngehalten hatten.

Doch zurück zu LennStar und Kiwi, die in einhelliger Meinung beschlossen, Abranka ihren hinterhältigen Angriff heimzuzahlen. Allerdings waren Philosoph und Maskottchen clever genug, die Racheaktion nicht gleich am nächsten Tag zu starten, denn dann hätte die Bandmuse dies allenfalls für einen verspäteten Halloweengast gehalten – man wusste ja schließlich nie, in welcher Zeitzone die einzelnen Monster lebten – und einfach eine ihrer noch nicht wieder abgebauten Fallen ausgelöst. Aber als Bandphilosoph der Sorglospunks verfügte LennStar über eine fast grenzenlose Geduld und Kiwi... nun ja, solange man die geniale Katze ausreichend mit schmackhaftem Futter bedachte, war sie bereit, ihre Pläne langsam zur Perfektion reifen zu lassen. Schließlich war sie längst über das Stadium abgerissener Knöpfe hinaus, zumal Abranka weder einen Kleiderschrank im Hauptquartier noch Knöpfe an ihren Musentogas hatte.

Nach einigem hin und her, was sich insbesondere durch die Tatsache, dass Lenn keinerlei Katzisch sprach und sie den Teufel nicht als Dolmetscherin bemühen wollten, weil sie Chi dann in ihre Pläne hätten einweihen müssen, erschwert wurde, einigten sich die beiden auf den Silvesterabend als Zeitpunkt für ihren monstermäßigen Racheplan. Denn ihre Rache beinhaltete – wie könnte es anders sein – ein Monster. Silvester deshalb, weil es neben Halloween einer der vergnüglichsten Tage für Monster war: Sie bekamen ein buntes Feuerwerk zu sehen und alles, was sie dafür tun mussten, war sich nach Beendigung der Show brav nach Hause ins Bett zu begeben und die Menschen glauben zu lassen, sie hätten das neue Jahr mit ihren heidnischen Riten vor allen bösen Einflüssen des letzten Jahres beschützt. Funktionierte jedoch im Allgemeinen nur mit westlichen Monstern. Aber Lenn und Kiwi waren natürlich schlauer und so hatten sie sich für ein chinesisches Import-Monster entschieden. Was ein weiterer Grund dafür war, bis Silvester zu warten, denn solche Import-Monster kamen bekanntlich mit einer gewissen Lieferzeit, die sich durch den Weihnachtspostverkehr noch mal verzögern konnte, wenn man nicht rechtzeitig bestellte. So aber erhielt LennStar rechtzeitig und von allen anderen Hausbewohnern unbemerkt ein kleines Paket mit mehr Zollstempeln als man sich vorstellen konnte.

Sofort verschanzten sich Kiwi und Lenn im Philosophenfass und begutachteten ihr Import-Monster. Es gehörte zur Gattung Reis-Zweck-E, war nach Gebrauchsanweisung dem Namen entsprechend nur mit Reis zu füttern – ein Punkt, der bei der Auswahl Kiwi sofort positiv ins Auge gesprungen war, denn sie selbst mochte keinen Reis und musste somit nicht ihr Futter mit dem Monster teilen – und sollte nach Möglichkeit einen Namen bekommen, der mit E anfing. Ganz im Sinne der Demokratie stellte Lenn auch gleich eine Liste mit E-Namen auf, die ihm gefielen und las sie dann Kiwi vor, die mittels Miauen ihre Meinung kund tat. Letztlich einigten sie sich darauf, dass das neue Reiszweckenmonster Emil heißen sollte.

Jetzt galt es nur noch, das Monster bis Silvester vor den Augen der anderen Sorglospunks zu verstecken. Zum Glück aber hatte Lenn ja seit Easys Rebellion einen Keller unter seinem Fass und Reiszwecke Emil mochte Kellerlöcher. Weit weniger leicht dagegen ließ sich der plötzliche Reisverbrauch im Sorglospunkshauptquartier erklären, geschweige denn, wieso Lenn versuchte, beim allmonatlichen Einkauf im WWWB-Markt eine Reispflanzung statt der üblichen Kaffeeplantage in den Einkaufswagen zu schmuggeln. Aber Lenn war schließlich nicht von ungefähr der Bandphilosoph der Sorglospunks und heimlicher Schüler von Oma (des Teufels Großmutter) und von daher nie um eine Ausrede verlegen. ‚Er betreibe Kreativitätsreisgenforschung, nach den neusten quantenphilosophischen Maßstäben, und schließlich könnten die Sorglospunks sich ja nicht immer nur von Ideenschokolade ernähren und gleichzeitig erwarten, immer noch in ihre Bühnenoutfits zu passen. Reis würde entwässernd wirken und wenn es ihm gelang, diesen auch noch kreativitätsfördernd zu züchten, wäre das allemal einen Versuch wert. Darüber hinaus könnten sie alle misslungenen Experimente heimlich den Carelesspunks untermogeln und so ein wenig Sabotage hinter den Linien betreiben.’

Dergestalt überzeugt, bekam Lenn seine Reispflanzung, wenngleich nur die Bonsai-Ausgabe, da der Speicher ja schon mit der Kaffeeplantage reichlich überfüllt war. Aber mit einem Zelt auf dem Philosophenfass hatte Lenn sich fix seinen eigenen Dachboden geschaffen.
 

Dann war endlich Silvester. Easy dekorierte freudestrahlend den von Nifen so liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum mit Luftschlangen, Jack stellte den Sekt kalt und Chris wünschte Umeko acht Stunden vor dem örtlichen Feuerwerk ein fröhliches Neues Jahr. Nifen holte noch das letzte Geschenk aus dem Neopets-Adventskalender (und hätschelte nebenbei noch einmal die fleißigen Krabbelviecher ihrer neusten Ameisenfarm) und Abranka sonnte sich in der Gewissheit, dass an diesem Feiertag ausnahmsweise ihre übernatürlichen Sinne nicht gebraucht würden. Bis...

Bis Easy beim Dekorieren des Wohnzimmers plötzlich in eine Reiszweckenspur tappte und schmerzverzerrt aufjaulte. Dicht gefolgt von einem verblüffend ähnlichen Jaulen ihrer Zwillingsschwester Jack, die in der Küche auf eine ähnliche Spur der Verletzung gestoßen war. (An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Reiszwecken wie Reißzwecken aussahen, allerdings statt des Metalldorns einen Dorn aus hartem Reis aufwiesen, deswegen aber nicht weniger spitz oder schmerzhaft waren.) Von dem Lärm herbeigerufen traten auch prompt noch Nifen und Chris in die ihnen am nächsten liegende Reiszweckenspur und das Chaos war perfekt. Und Abranka fragte sich, was sie übersehen hatte, beziehungsweise, wie sie von dem herannahenden Chaos nichts hatte mitbekommen können. Aber so war das eben mit chinesischen Import-Monstern – sie waren alle in der Kunst der Monster-Ninja ausgebildet und wurden sie erst einmal von einem Hausbewohner eingeladen, konnten sie sich überall in dem Haus unbemerkt hinschleichen. Selbst die übersinnlichen Musenkräfte hatten der Kunst der Monster-Ninja nichts entgegenzusetzen. Einzig LennStar mit der Reis-Zweck-E-n-Pfeife und Kiwi als Besitzer des Monsters waren in der Lage Emil immer und überall aufzuspüren. Doch solange nur ein paar Fußsohlen darunter litten (und die Hausbewohner lernten, erst hinzusehen, ehe sie die Füße auf den Boden setzten), sahen die beiden noch nicht ein, ihr neues Monster wieder zurückzupfeifen. Dafür genossen sie Abrankas Verwirrung viel zu sehr.

Die Verwirrung nahm auch nicht ab, als Chi, die selbstredend zu der bevorstehenden Silvesterparty eingeladen war, im Hauptquartier ankam. Denn obgleich der Teufel, kannte sie sich nur rudimentär mit nicht-westlichen Monstern aus. Immerhin war sie in der Lage zu erkennen, dass es sich bei dem Reiszweckenleger um ein Monster handelte, aber viel weiter brachte sie diese Erkenntnis nicht.

Weshalb insgesamt die Party unter dem allgemeinen Motto „Such das Monster“ stattfand. Da aber außer Lenn und Kiwi niemand wusste, wie Emil aussah, war die Suche ziemlich erfolglos. Obwohl Lenn und Kiwi sich natürlich der Suche anschlossen, allein schon, um sich von jeglichem Verdacht rein zu waschen, aber sie waren natürlich klug genug, immer in gänzlich anderen Ecken nach Emil zu suchen und auch niemandem zu verraten, dass das Monster Emil hieß.

So näherte man sich der Mitternacht und als der einsam vor sich hin plärrende Fernseher im Wohnzimmer auf den üblichen vormitternächtlichen Schwenk durch die Nation umschaltete, erkannten die Sorglospunks, dass es jetzt wichtigeres gab, als Monstersuche. Denn schließlich galt es die bandagierten Füße in dicke Socken und noch dickere Schuhe zu packen, den Sekt zu öffnen und die Raketen bereitzuhalten, wollten sie doch auf keinen Fall den Beginn des neuen Jahres verpassen. Und das Monster konnte man ja auch noch im neuen Jahr suchen, schien doch niemand von der Band davon auszugehen, dass selbiges sich Punkt Mitternacht in Luft auflösen würde. Gut, vielleicht hegten Muse und Teufel diese schwache Hoffnung, aber auch sie waren sorglospunksrealistisch genug, um der Hoffnung nicht allzu viel Nahrung zu geben.

Wie erwartet, war es ein prächtiges Feuerwerk, das in dem kleinen Dorf im Schwabenland abgebrannt wurde. Es war natürlich bei weitem nicht so koordiniert wie ein offizielles Feuerwerk, für das eine Stadt einem Pyrotechniker viel Geld bezahlte, aber es war viel bunter und viel lauter und somit viel schöner. Und natürlich hatten es sich die Sorglospunks nicht nehmen lassen, spontan ein Neujahrsbegrüßungskonzert zu geben – denn was die Wiener Philharmoniker konnten, konnten die Sorglospunks allemal. Selbst wenn es im eigenen Vorgarten und nicht in einem schicken Konzertsaal war.

Und dann ging die Suche nach dem Reiszweckenmonster weiter. Natürlich. Denn als die Band wieder ins Haus zurückkehrte, waren da mehr Reiszwecken als je zuvor. Sie schienen überall zu sein, weshalb Jack, als Bandvernunft, erst einmal Abranka auf ihrer Wolke vorschickte, um einen Besen zu organisieren, damit sich der Rest einen Weg frei fegen konnte.

Eine solche Reiszweckenschwemme schien sogar Lenn etwas zu viel des Guten zu sein, aber er kannte seine Bandkollegen zu gut, um jetzt damit herauszurücken, dass er hinter der Monsterattacke steckte. Sonst müsste er am Ende das ganze Haus alleine fegen. Aber ein kurzer Blick zu Kiwi überzeugte das Maskottchen, dass es jetzt vielleicht an der Zeit war, Emil zu suchen und auch zu finden. Nicht, dass das Reiszweckenmonster es ihnen leicht gemacht hätte – sogar eine so geniale Katze wie Kiwi brauchte ausnahmsweise eine überraschend lange Zeit, ehe sie Emil unter Jacks Bett fand. Denn wie sich hinterher herausstellte, hatte Emil Angst vor rot leuchtenden Feuerwerkskörper – aber nur vor roten – und hatte sich in Silvesterpanik unter dem Bett versteckt, mit vollem Einsatz seiner Monster-Ninja-Kräfte, um ja nicht gefunden zu werden. Aber Emils Angst hatte auch ihr Gutes: Denn als das total verschüchterte Import-Monster unter dem Bett hervorgezogen wurde, sah es so knuffig aus, dass niemand Lenn und Kiwi ernsthaft böse sein konnte. Eher lachten sie alle, Abranka eingeschlossen, über die Früchte, die der Monsterwahn der Bandmuse im Oktober getragen hatte und wie nicht anders zu erwarten gewesen war, gab es auch gleich ein paar Stimmen, die den Wunsch äußerten Emil behalten zu können...



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Von:  Severus_Snape
2008-02-08T20:06:07+00:00 08.02.2008 21:06
*Lach-Träne aus dem Auge wisch*
Gott war das Kapitel toll, ich les bestimmt ncoh weitere,
und vieleicht mach ich doch bei dem Wettbewerb mitt.
*imme rnoch am Lachen*
Gott der Bandteufel gefällt mir ^^°

lg dia-chan


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