Highland Affairs von collie ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Highland Affairs 1 Der Tag hatte wunderbar sonnig und warm begonnen. Die Flut der Sonnenstrahlen hatten die Vorhänge nicht bändigen können. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel draußen ersetzte angenehm das Schrillen der Wecker. Heute waren sie alle vor diesem nerv tötenden Geräusch auf den Beinen. Gute Laune lag in der Luft. Eine leichte Brise wehte beim Öffnen der Fenster herein. Die Mittlere glitt im Morgenmantel die Treppe hinunter und begann zu singen. Die anderen stimmten ein, so dass am Ende sieben singende, weibliche Wesen am Frühstückstisch saßen. Danach machte sich die Älteste auf den Weg in die Stadt. Die Zweit- und Drittälteste machten sich daran, die Pferde auf die Koppel zu bringen. Das Doppelpack der Jüngsten schnappte sich Ferngläser und lief fröhlich lachend über die Wiese zum Wald. Die verbliebenen Beiden begannen mit dem Abwasch. Die Blonde lächelte versonnen vor sich hin. Die Schwarzhaarige fragte: „Kannst du dir einen schöneren Ort vorstellen, als den hier?“ Zeitgleich schüttelten beide den Kopf. Stella , 32 Jahre jung, schlank und sportlich, hatte gerade das Gelände des KOK-Stützpunktes verlassen. Es lag relativ zentrumsnah und so lief sie zu Fuß in die Stadt. Für diesen Nachmittag war sie nur noch über den Beeper zu erreichen. Recherchearbeiten nahmen viel Zeit in Anspruch. Und da sie in ihrem Fall noch kein Stück weitergekommen war, hatte sie verdammt viel zu tun. In der gleichen Stadt stöberte Saber gerade in der Bücherei nach neuem Lesestoff. Er ging das Regal entlang, vor dem er gerade stand, aber das Buch, welches er suchte, fand er nicht. Also ging er um das Regal herum um die Bücher auf der anderen Seite zu durchsuchen. Prompt stieß er mit einer jungen Frau zusammen, die dort stand und in einem Buch las. Das Buch fiel bei dem Zusammenstoß herunter. „Entschuldigung.“ Saber hob es sofort auf und reichte es ihr. Sie sah ihn irritiert an. So sehr war sie in die Lektüre vertieft gewesen, dass sie völlig vergessen hatte, dass es um sie herum noch eine Welt geb. Schließlich murmelte sie: „Schon gut “ und Saber konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er klappte das Buch zu und sah auf den Titel. „Ja“, sagte er. „‘Stolz und Vorurteil‘ fand ich auch sehr lesenswert.“ – „Ich kann es gar nicht oft genug lesen. Es ist eines meiner Lieblingsbücher.“ – „Das dachte ich mir. Sie sind offenbar öfter hier. Ich suche ein Buch; vielleicht können Sie mir weiterhelfen?“ Saber nannte ihr den Buchtitel. „Ach das, “ erwiderte sie. „Kommen Sie.“ Damit führte sie Saber zielsicher durch die Regale und griff, ohne wirklich hinzusehen, nach einem Buch. „Bitte schön.“ Saber hielt sein gesuchtes Werk in den Händen. „Sagen Sie, ist das hier ihr Zweitwohnsitz?“ Sie lachte: „So gut wie. Mein Zweitwohnsitz ist die Bibliothek eines Freundes.“ Er nickte und fragte: „Sie haben das Buch schon gelesen, nicht wahr?“ – „Ja. Ich finde es recht umständlich geschrieben. Das macht es jemanden wie mir, der sich auf diesem Gebiet nicht auskennt, schwer zu verstehen, wovon er spricht.“ – „Und was würden Sie empfehlen?“ – „Huxley. Er veranschaulicht das Thema sehr gut und ist nicht so abstrakt.“ Saber nickte langsam. Unvermittelt fragte sie: „Sagen Sie, wie spät ist es?“ – „Gleich vier. Warum?“ – „Dann muss ich mich beeilen. Ich hab noch einiges zu erledigen.“ – „Oh wirklich? Das ist schade. Ich wollte Sie gerade fragen, ob wir unser Gespräch nicht unten in der Lounge fortsetzten sollten?“ Sie lächelte. „Es tut mir leid.“ Damit verschwand sie und Saber blieb nichts anderes übrig als ihre Art, mehr über den Boden zu schweben, als zu gehen, zu bewundern. Als er später im KOK-Stützpunkt zusammen mit seinen Teamkollegen den Auftrag erhielt, die Ermittlungen einer Miss Mac Cloud zu unterstützen, ertappte er sich dabei, mit seinen Gedanken zurück zu dieser jungen Frau abzuschweifen und rief sich innerlich sofort zur Ordnung. Stella Mac Cloud erwies sich nach wenigen Minuten Gespräch auch als ausgesprochen energisch und stolz. Man hatte sich einander vorgestellt und abgesprochen, dass die Starsheriffs für die Dauer der Ermittlungen im Hause Mac Cloud wohnen sollten, weil es einfach praktischer war. Schließlich befanden sich alle Unterlagen dort. Jetzt lief Stella voraus um den Wagen zu holen und die vier sahen einander mit hochgezogenen Augenbrauen an. Colt stellte schließlich fest: „Die Braut hat Eier“ und dann folgten sie ihr. Stella Mac Clouds Heim lag in einem weiten, grünen, von der Sonne verwöhntem Tal. Das Grundstück war mit einem gusseisernen Zaun umgeben. Auf ihm befanden sich eine Scheune, zwei große Ställe, ein Gemüsegarten und das Wohnhaus. Dieses Haus war im viktorianischen Baustil vor wahrscheinlich mehreren hundert Jahren erbaut und doch strahlte es wie eben erschaffen in den Tag hinein. Die hellen Wände des Hauses erstreckten sich über zwei Etagen. Zu der Eingangstür führten zwei Stufen auf eine Veranda, die um das Haus herumlief. Ein Erker auf der rechten Seite vergrößerte das Wohnzimmer. Riesige Fenster in schneeweißen Rahmen und mit hohen, schlanken Fensterläden schauten wie große, offene Augen in die Welt. Den Balkon in der oberen Etage, auf den man von jedem Zimmer austreten konnte, trugen Pfeiler an denen Efeu hinauf rankte. Das Dach war karminrot gedeckt und alles in allem erschien sein Anblick, als hätte man einen Zeitsprung gemacht und wäre in eben jener Epoche gelandet. Wenn jetzt noch jemand in entsprechender Garderobe heraustreten würde, hätte sich wohl niemand gewundert. Von der Weide her hörte man Schafe. Pferde grasten auf der Koppel. Über den Hof lief aufgeregt eine Gans und fauchte die Besucher an. „Hau ab, Auguste.“ Mit diesen Worten stieg Stella aus dem Auto und die Gans schaute sie beleidigt an, bevor sie davon watschelte. Über die Stufen traten sie auf die Veranda. Stella öffnete die Haustür und trat ein. Dem Eingang gegenüber führte eine breite Treppe in die obere Etage zu den Schlafzimmern. Folgte man dem Flur nach links, kam man ins Atelier und nach rechts an der Küche vorbei ins Wohn- und Esszimmer. Dieser Raum war groß und Licht durchflutet. Die Gardienen an den Fenstern waren so zart, dass es schien, als wären sie gar nicht vorhanden. Der Raum war durch ein Efeuspalier in zwei Bereiche geteilt; der Seite mit der edlen Tafel und den passenden Stühlen und der Seite mit der nostalgischen Sofaecke, die Gemütlichkeit verbreitete. Von dort aus ging es in eine kleine Bibliothek mit nostalgischem Sekretär und Stuhl. Die Starsheriffs folgten Stella dort hinein. Bevor sie eintraten, blieb April stehen und bewunderte einen Beistelltisch in der Sofaecke. Das Holz war schokofarbend lackiert, kunstvoll verziert (offenbar handgeschnitzt) und umrahmte die beigende Tischplatte, auf die ein goldenes Blumendekor gemalt worden war. „Der ist wunderschön.“ Stella folgte Aprils Blick. „Ja“, sagte sie. „Den hat eine meiner Schwestern gemacht.“ – „Wow.“ Als sie das Arbeitszimmer betraten, fragte Fireball: „EINE deiner Schwestern? Wie viele hast du denn?“ – „Sechs.“ – „Nicht schlecht“, kommentierte Colt. „Hatten deine Eltern noch andere Hobbies?“ Kaum hatte er das ausgesprochen, traf ihn Stellas finsterer Blick. Dieser Fettnapf war offenbar ein Fass und er stand bis zur Hüfte darin. „Also, was genau sind das für Ermittlungen, an denen du arbeitest?“ fragte Saber, bevor Colt sich womöglich mal wieder um Kopf und Kragen reden konnte. Stella sah ihn an und begann zu berichten: Es geistern Gerüchte über einen Mann, der sich Merlin nennt. Er soll Rituale der schwarzen Magie betreiben. Man vermutet, dass er in Verbindung mit dem Verschwinden mehrerer junger Mädchen steht. Ob es was mit den Outridern zu tun hat, ist unklar – genauso wie sein Aufenthaltsort. Es gibt nur zwei Fakten, an die man sich halten kann. Erstens: Es verschwinden Mädchen. Zweitens: Sie tauchen nicht mehr auf. Es gibt keine Übereinstimmung, was den Zeitpunkt des Verschwindens angeht; mal verschwinden sie jede Woche, dann erst wieder nach zwei Monaten; mal nur ein Mädchen, dann drei oder vier gleichzeitig; mal reiche, mal arme, mal blonde, mal braun- oder rothaarige und so weiter. Keine weiteren Anhaltspunkte und das nach bereits sechs Monaten Suche. „Na das ist ja super“, meldet Colt sich zu Wort. „Da entführt einer Mädchen und ihr seht tatenlos dabei zu.“ Stellas Faust sauste mit einer solchen Wucht auf den Schreibtisch nieder, dass es keinen der Anwesenden gewundert hätte, wenn dieser augenblicklich in tausend Splitter zerbarst wäre. Er wackelte bedenklich, hielt aber stand. „Was fällt dir eigentlich ein?“ schrie sie aufgebracht, doch weiter kam sie nicht. Saber wollte sich einschalten, hielt aber inne, denn er bekam ein seltsames Gefühl im Herzen. Die Tür wurde geöffnet und eine junge Frau trat herein. Saber erkannte sie sofort. Stella presste die Lippen aufeinander. Die junge Frau sah sie an. Sie stand einfach da und blickte mit ihren großen, smaragdgrünen Augen auf Stella. Diese hielt dem Blick nicht stand, warf die Arme in die Luft und rief: „Ist ja schon gut.“ Dann rauschte sie aus dem Zimmer. Die junge Frau hob die Schultern und die Starsheriffs grinsten. Sie traten aus dem Arbeitszimmer und standen fünf weiteren weiblichen Wesen gegenüber. Stella hatte sich auf ein Sofa gesetzt. „Darf ich vorstellen?“ fragte sie und wies auf die Frau, die ihr am nächsten stand. „Das ist Darla, die Zweitälteste. Die Dame mit den Katzenaugen neben ihr ist Catharina, oder auch Cat. Als Dritte geboren. Der blonde Engel jetzt hinter euch ist … genau … die Viert geborene Gemma Ophelia. Da drüben an der Tür steht Miss Sweet Sixteen Bianca. Und zu guter Letzt die Zwillinge Maria und Luisa.“ – „Es ist unglaublich, wie ähnlich ihr euch alle seht“, stellte April fest nach dem sie alle Schwestern aufmerksam gemustert hatte. Stella, Darla und Cat hatten rabenschwarzes Haar und dunkelbraune, fast schwarze Augen. Ihre Gesichtszüge waren eher kantig, wie die eines Mannes. Bianca und die Zwillingen hatten ebenfalls rabenschwarzes Haar, doch smaragdgrüne Augen. Ihre Gesichter glichen denen der anderen Schwestern, doch waren ihre Züge weicher und weiblicher, was nicht nur an ihrer Jugend lag. Die Mittlere hätte glatt abstreiten können, mit einer ihrer älteren verwand zu sein. Mit den Jüngeren wurde das schwieriger, denn sie hatte die gleiche Augenfarbe. Ihre Augen waren jedoch groß und nicht mandelförmig, wie die der anderen. Außerdem war ihr Haar blond und mit Abstand länger. Es war sogar länger als Aprils, denn es reichte ihr bis in die Kniekehlen. Ihr Gesicht war sanft und fein geschnitten. Die Züge darin schienen permanent zu lächeln. „Ja.“ Stella nickte. „Wir schlagen alle mehr nach Vater. Kicho hinter euch ist die einzige, die genau wie unsere Mutter aussieht.“ Stella grinste breit. „Kicho? Kümmerst du dich bitte …?“ – „Ja.“ Damit glitt diese lautlos aus dem Raum. Kaum war sie draußen, öffnete sich die Tür aufs Neue und die Zwillinge stürmten ihr nach. „Kicho? Gehst du mit uns in den Wald?“ Die Tür schlug ins Schloss um gleich wieder geöffnet zu werden. Bianca flog hinaus. „Kicho?“ Abermals schlug die Tür ins Schloss. „Gott.“ Stella schlug die Hände vors Gesicht. „Können die auch mal gleichzeitig einen Raum verlassen ohne die Tür zu knallen?“ seufzte sie. Fireball sah sie verwundert an. „Ihr nennt sie Kicho? Wie kommt ihr denn darauf?“ – „Kurz nach ihrer Geburt war eine Freundin unserer Mutter zu Besuch. Sie war Japanerin und nannte sie so, “ erklärte Cat. „Wieso? Was heißt es?“ fragte Darla irritiert. „Kicho bedeutet: das Kostbare, das Edle oder auch das Wichtige und Unschätzbare, “ antwortete er. Einstimmig kam es von den Schwestern: „Passt.“ Darla und Cat machen sich wieder an die Arbeiten, die der Hof aufgab. Indessen machten sich die Starsheriffs und Stella daran, die Unterlagen des Falles durchzugehen. Sie notierten die Daten der Mädchen, sortierten nach reich und arm sowie dem Zeitpunkt des Verschwindens. Sie fanden keine Übereinstimmung, die sie weiter gebracht hätte. „Wisst ihr was mich am meisten stört? Dass dieser Typ sich Merlin nennt, “ erklärte Stella unvermittelt. Die vier sahen auf. „Warum?“ Es war Saber, der darauf antwortete: „Der Legende nach war Merlin ein Magier und Hellseher der Kelten. Ein weiser und guter Mann, der schon König Arthus lehrte und unterstützte. Er soll ihm nach seinem Tod nach Avalon gefolgt sein. Andere behaupten er sei zu der Zauberin im See gegangen, weil er sich in sie verliebt hatte. Jedenfalls ist Merlin nie gestorben sondern in andere Welten hinübergegangen. Wieso werd ich das Gefühl nicht los, dass du das persönlich nimmst?“ Stella lehnte sich im Stuhl zurück. „Ganz einfach. Unser Vater entstammt dem legendären Clan der Mac Clouds, die eine sehr lange Geschichte hier in den Highlands haben.“ – „Das ist bekannt“, stimmte Saber ihr zu und ergänzte. „Der Clan der Mac Clouds brachte schon seit Jahrhunderten Krieger von unglaublichem Mut, Stolz und Ehrgefühl hervor.“ – „Unsere Mutter allerdings ist nicht skotischer sondern keltischer Abstammung. Ihr Ahnen lassen sich zurück bis zu Merlin verfolgen. Es heißt, er habe sie auch unterrichtet. Es ist wie Hohn, dass sich dieser Mädchenentführer ausgerechnet Merlin nennt.“ – „Ah ja. Und was genau sind noch mal Skoten oder das?“ fragte Colt. „Die Skoten sind das Volk von dem die Schotten abstammen. Es war ein Skote, der das schottische Königreich gründete, “ antwortete Saber. „Oh weh. Das bedeutet dann wohl tiefgehende Geschichtsstunden?“ hakte Colt nach. „Da hast du Recht“, bestätigte Saber. „Du und Fireball prüft den Hof. Sichert ihn so gut es geht gegen alles ab, was da so kommen könnte.“ – „Ich helf euch.“ Stella verschwand mit den beiden aus dem Zimmer. „Und wir“, schlussfolgerte April „kümmern uns um die Recherche. Ich nehm mir die Familiengeschichte vor. Ich hab das Gefühl, es könnte wichtig sein.“ Auf Sabers Nicken verlies sie das Zimmer. Irgendetwas sagte ihr, dass sie von Kicho alles erfahren würde, was sie wissen musste. April lief mit Kicho auf dem Hof zusammen. Sie hatte sie gesucht und lief ihr in die Arme, als sie in der Scheune nachsehen wollte. Neben Kicho auf dem Boden fauchte die Gans April an. „Euer Wachhund hat Federn“, stellte April fest und wich einen Schritt zurück. Kicho lächelte und hob das Tier auf den Arm. „Sei lieb Auguste, sonst bleibst du heut noch draußen.“Schmeichelnd drückte Auguste ihren Kopf an Kichos Schulter. Diese machte sich auf den Weg ins Haus. „Kann ich dir helfen April?“ fragte sie. „Ja, ich wollte dich fragen …?“ – „… wie das so mit sechs Schwestern?“ – „Ja.“ Überrascht sah April sie an. „Schön. Stressig. Schön stressig,“ lächelte diese. „Was ist mit euren Eltern?“ bohrte April weiter. „Tot. Vater fiel zwei Monate vor der Geburt der Zwillinge. Mutter folgte ihm ein halbes Jahr nach der Geburt.“ Kichos Blick glitt in die Ferne. April schwieg einen Moment. Das war ganz sicher keine leichte Zeit gewesen. „Wie alt warst du da?“ Mitgefühl lag in ihrer Stimme. „18. Cat war 20, Darla 22 und Stella 24.“ Kicho sah sie direkt an, als sie fortfuhr: „Ich hatte gerade die Schule beendet und fing an mich um die Erziehung der Zwillinge und Bianca zu kümmern.“ – „Das war sicher schwer für euch.“ Kicho nickte langsam. „Und deine großen Schwestern?“ April hoffte, dass Kicho sich nicht wie bei einem Verhör fühlte, aber deren Miene spiegelte Verständnis wider. „Stella war Starsheriff. Darla und Cat lag die Farm im Blut und leben musste die Familie schließlich auch,“ antwortete sie schlicht. „Das heißt, du hast der Familie zu Liebe auf das verzichtet, dass du gern wolltest.“ – „Nein, hab ich nicht. Wir haben schon überlegt, wie ich meine Aufgaben hier mit meinem Wunsch zu studieren verbinden konnte. Ich entschied mich für ein Fernstudium. Es ist alles gut gegangen. Niemand wurde benachteiligt. Wir sind ein gutes Team. Wir halten zusammen.“ – „Wenn ich dran denke, das ich mit 18 schon hätte ein Kind erziehen müssen – oh Gott“ Kicho sah April an. „Versteh mich nicht falsch“, sagte April schnell. „Ich liebe Kinder. Aber mit 18 wäre es mir zu früh gewesen.“ – „Schon klar.“ Sie betraten das Haus. In der Eingangshalle herrschte ein ziemlicher Aufruhr. Stella, Darla und Cat redeten laut auf Bianca ein, die sich heftig verbal wehrte. Daneben standen Colt, Fireball und Saber, die es weder im Guten noch im Bösen schafften, dieses Gezanke zu beenden. Die Jungs verstummten, als sie April und Kicho sahen. Das Gezeter unter den Schwersten dauerte ungehindert an. Man benötigte kaum eine Minute um zu verstehen, worum es ging. Bianca wollte sich in der Stadt mit einem Jungen treffen, hatte es jedoch von den großen Drei verboten bekommen und weigerte sich nun schlichtweg das Verbot zu achten, da Kicho für die Erziehung verantwortlich war. Es war kein Ende der lautstarken Debatte abzusehen. Etwas ratlos blickten die Starsheriffs auf Kicho. Diese setzte ruhig Auguste ab, machte sich auf den Weg in die Küche und begann zu singen: „Amazing grace how sweet that sound …“ Schlagartig verstummten die Streithähne und nur Kichos Gesang war zu hören, klar und rein wie ein Bergquell. Auguste watschelte hinter ihr her. Verblüfft sah sich die Ramrodcrew an. Niemand in der Halle bewegte sich. Inzwischen war Kicho in der Küche, doch ihr Gesang halte durch den Flur in die Halle. April bekam eine Gänsehaut und selbst Colt war fasziniert. Erst als Kicho geendet hatte, waren die Personen in der Halle wieder im Stande sich zu bewegen. Die vier Schwestern folgten in die Küche. Man hörte ihre Stimmen, aber nicht laut genug um zu verstehen, was genau besprochen wurde. Darla und Cat verließen als erste die Küche und machten sich wieder an ihre Arbeiten. Stella folgte ihnen kurz darauf und murmelte im Vorbeigehen so was wie „Entschuldigung.“ Bianca blieb in der Küche. Beim Abendessen war es ganz so, als hätte es nie Streit gegeben. Die Zwillinge erzählten von ihrem Ausflug in den Wald. Dann fragen sie: „Kicho, können wir heute noch etwas aufbleiben und die Sterne beobachten?“ Stella verdrehte die Augen. „Ihr und eure Sterne. Ich find das nicht gut. Die Nacht ist zum Schlafen da.“ – „Du schläfst auch nicht jede Nacht“, versetzte Maria. „Genau. Du arbeitest nachts auch ganz oft, “ unterstützte Luisa sie. „Das ist ja wohl was anderes, “ erwiderte Stella ungerührt „Nein“, krähten die beiden wie aus einem Mund. Stella schlug mit der Hand auf den Tisch. „Es reicht“, sagte sie scharf. Die Zwillinge blickten auf Kicho. Diese hob kaum den Blick von ihrem Teller und gab den beiden ein Zeichen zu verschwinden. Wortlos nahmen die beiden Teller und Besteck und verließen das Zimmer. „Sag nicht, dass du ihnen wieder nachgibst“ Stella beobachtete ihre jüngere Schwester, deren Blick auf ihrem Teller haftete und welche aß, als wäre überhaupt nicht gewesen. „Es steht dir nicht den Patrichaten zu spielen“, entgegnete sie ganz nebenbei. „Ach und warum nicht?“ – „Ganz einfach. Drei Gründe …“ – „Und welche?“ – „Zu wenig Testosteron, zwei Brüste zu viel und …“ Kicho hob den Blick und sah Stella direkt an. „…ein Penis zu wenig.“ Darla, Cat und Bianca prusteten los und Colt, Fireball und April stimmten ein. Saber konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war einfach zu komisch. Stella war drauf und dran gewesen auszurasten und Kicho nahm ihr seelenruhig den Wind aus den Segeln. Stella hatte nur noch die Möglichkeit blöd dazusitzen oder sich kopfschüttelnd das Grinsen zu verkneifen. Sie entschied sich für letzteres. „Geht’s bei euch immer so zu?“ fragte Colt. „Meistens“, japste Bianca. Darla erklärte lachend: „Wenn Kicho nicht wäre, würde in diesem Haushalt völlige Anarchie herrschen. Soviel steht fest.“ Die Nacht war unheilverkündend schwarz. Der Mond wurde von Wolken verdeckt und es war unmöglich etwas zu erkennen. Mit mulmigem Gefühl schloss Kicho die Eingangstür ab. Ein Blick durch die hohen Fenster in das undurchdringliche Schwarz half ihr nicht dabei, dass Gefühl zu verdrängen. Schnell schloss sie die Vorhänge. Ihre Schwestern schliefen schon und die Gäste hatten sich ebenfalls in ihre Zimmer zurückgezogen. Langsam stieg Kicho die Stufen nach oben. Kein Schatten gab es im Haus. Alles war selbst Schatten. Alles war schwarz. Und es war still, so unheimlich still, dass das mulmige Gefühl in ihrem Bauch zu Angst anwuchs. Ein Geräusch lies sie herumfahren. Sie blickte sich um. Nichts. Schwärze. Keine Bewegung. Nur das Geräusch ihres Atems, das ihre innere Unruhe verriet. Sie beschleunigte ihre Schritte die Treppe empor. Plötzlich flog die Tür auf. Mehrere Gestalten sprangen herein, schwarz wie alles und kaum zu erkennen. Kicho stieß einen Schrei aus und stürzte die Stufen hinauf. Eine Gestalt erreichte sie, packte zu und schleifte sie, trotz Gegenwehr, die Treppe wieder hinunter. Kicho kämpfte den Kampf der Verzweiflung gegen einen Gegner, der sie scheinbar mühelos mit sich nahm. Irgendwo hörte sie Personen rennen. Schüsse fielen. Drei weitere Gestalten kamen die Treppe herunter. Die Eindringlinge griffen an. Ein Schuss glitt an Kicho vorbei und verletzte ihren Angreifer. Er ließ sie los. Kicho rannte auf die Treppe zu. Jemand folgte ihr. Sie stolperte, stürzte, versuchte aufzustehen, aber jemand hielt ihren Fuß fest und riss daran, so dass sie sich unsanft auf der Treppe platzierte. Ihr Verfolger stand jetzt bedrohlich aufgebaut vor ihr. Sie hielt die Luft an. Da … Ein Schwert durchbohrte ihn hinterrücks, blieb in der Stufe vor ihr stecken und federte nach. Die Gestalt vor ihr löste sich auf. Die übrigen Eindringlinge verschwanden. Die Wolkendecke riss auf. In der Halle sah Kicho deutlich Colt, Fireball und Saber. Sie selbst saß immer noch auf der Treppe, starrte fassungslos auf die Klinge, die vor ihr in der Stufe steckte und beinahe malerisch im Mondlicht glänzte. Kicho begann unkontrolliert zu zittern. Durch den Lärm der Auseinandersetzung alarmiert waren April, Stella, Darla, Cat und Bianca zum oberen Treppenabsatz geeilt. Aus dem Zimmer der Zwillinge drang lautes Weinen in die Halle. „Alles okay.“ Kichos Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie gehorchte ihr nicht, denn sie zitterte noch immer heftig. Langsam erhob sie sich und gewann dadurch die Kontrolle zurück. „Alles okay, Babies.“ Jetzt klang es sicher. Kicho stieg die Stufen empor und verschwand im Zimmer der Zwillinge. Bianca folgte ihr auf dem Fuße. Stella war die erste, die ihre Überraschung verdaut hatte. „Okay“, sagte sie gedehnt. „Erklärung.“ Die Jungs waren es gewesen, die trotz der Dunkelheit, Bewegungen um das Haus herum wahrgenommen hatten. Alarmiert hatten sie nach ihren Waffen gegriffen und abgewartet. Dann, als die Tür unten aufflog und Kicho schrie, waren sie ihr zu Hilfe geeilt und hatten erfolgreich die Eindringlinge in die Flucht geschlagen. „Was nun?“ fragte Cat. „Ich glaube, für heute sollten wir es lassen und schlafen gehen“, meinte April. Saber und Fireball verriegelten die Tür erneut. „Ja“, stimmte Fireball ihr zu. „Überlegen wir morgen, was zu tun ist. Die Zwillinge müssen sich ja auch wieder beruhigen.“ – „Das war Aufregung genug für eine Nacht“, meinte Darla und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Cat und Stella taten es ihr zögernd gleich. „Vielleicht sollten wir Wache schieben“, sagte Colt, als die beiden fort waren. „Okay“, erwiderte April. „Du fängst an, Cowboy.“ – „Ich komme mit“, ließ sich Saber vernehmen. Damit gingen April und Fireball schlafen während Saber und Colt von der zentralgelegenen Scheune aus auf alles ein Auge hatten. Die Nacht verlief jedoch ohne weitere Zwischenfälle. Kaum war der Tag angebrochen, war Kicho schon wieder auf den Beinen und begann in der Küche das Frühstück zu machen. „Wie geht’s dir?“ Sie fuhr zusammen. Saber stand in der Küchentür. Sie hatte ihn nicht kommen hören. „Jetzt bin ich tot.“ – „Tut mir leid.“ Verlegen lächelte er. „Ich wollte dich nicht erschrecken …“ – „Ein Kaffee wäre dir sicher lieber als fahrlässige Tötung, “ entgegnete sie. – „Ja.“ Er beobachtete sie, wie sie in der Küche hantierte, Kaffee kochte und dabei eine Leichtigkeit an den Tag legte, als würde sie tanzen. „Hast du schon angefangen das Buch zu lesen?“ fragte sie. „Ja.“ – „Welches genommen?“ – „Beide.“ – „Ach ja, “ lächelte sie. „Ist Stella immer so aufbrausend?“ wechselte Saber das Thema. Kicho schüttelte den Kopf: „Erst seid sie den Fall hat. Tatenlos zu sehen zu müssen, wie reihenweise Mädchen verschwinden, ist nicht ihr Fall.“ Colt erschien in der Tür. „Ich rieche Kaffee“, stellte er fest. „Ist gleich fertig.“ – „Super.“ – „Ja“, lächelte Kicho. „So bin ich.“ Colt grinste: „Das ganze Gegenteil von Stella, die …“ – „ … momentan als Beißzange durch die Gegend läuft.“ Kicho sah ihn an und fragte: „Das wolltest du doch gerade sagen?“ – „He. Raus aus meinem Kopf.“ Colt griff sich an den Selbigen und schüttelte ihn. Kicho lachte. „Ich geh die anderen wecken.“ Damit schob sie sich an Colt und Saber vorbei und glitt durch den Flur. Saber sah ihr nach. „Ja, sie ist süß. Und im Kopf hat sie wohl auch etwas, “ meinte Colt, als er es bemerkte. Saber nickte nur. Kicho hatte Bianca und die Zwillinge zur Schule gebracht. Nach ihrer Rückkehr saßen die Schwestern mit den Starsheriffs auf der Veranda. „Also, die drei gehen nirgendwo mehr allein hin“, stellte Stella fest, kaum dass alle Platz genommen hatten. „Ist das nicht übertrieben?“ fragte Kicho. „Es ist notwendig“, meinte Cat. „Und wie stellt ihr euch das vor? Ich kann nicht ständig da sein, “ hakte Kicho nach. „Wirst du wohl müssen“ antwortete Stella ungerührt. „Ich kann dir helfen“, erklärte April prompt. „Wo du nicht bist, werde ich sein.“ – „Gute Idee. Dann haben sie immer jemanden da, der notfalls auch kämpfen kann, “ ließ sich Darla vernehmen. „Kämpfen?“ Ungläubig blickte Colt auf Kicho. „Ja“, antwortete Stella für sie. „Wie weit, “ wand sie sich dann an ihre Schwester, ohne auf die verwunderten Blicke ihrer Gäste einzugehen „ist Bianca mit ihrer Ausbildung?“ Kicho schwieg zögernd. „Du bildest sie doch aus?“ Kicho schwieg noch immer. Ihr Blick war auf den Boden geheftet, wie jemand, den ein schlechtes Gewissen plagte. „Kicho.“ Stellas Ton wurde scharf. „Sie will es doch gar nicht lernen. Wenn ihr Bogen schießen nicht so viel Spaß machen würde, könnte sie nicht mal das, “ platzte Kicho heraus. Stella schoss wütend in die Höhe. Sofort sprangen auch Colt und Saber auf. Stellas Miene verhieß nichts Gutes. „Wann willst du ihr das beibringen?“ fuhr sie ihre Schwester an. „Sie ist erst 16“, erwiderte diese. Ihre Lippen zitterten vor Aufregung. „Wann?“ rief Stella. „Gar nicht.“ Kicho sprang auf. „Sie sollte das nicht lernen müssen. Niemand sollte das.“ Damit fegte sie von der Veranda und verschwand im Haus. Die Tür schlug laut hinter ihr zu. Verdutzt sahen die anderen ihr nach. Selbst ihre Schwestern waren derart heftige Reaktionen nicht gewohnt. „Wir sollten nachts Wache halten und die jüngeren nicht allein lassen“, meinte Saber schließlich. „Für heute Nacht sind Fireball und April dran. Einverstanden?“ Lahm nickten die Schwestern, starrten immer noch auf die Tür, durch die Kicho verschwunden. „Sie war echt sauer“, brachte Cat schließlich fassungslos hervor, immer noch nicht Kichos Reaktion begreifend. „Wir müssen die Schafe auf die Weide bringen“, erinnerte Darla sie und beide verschwanden über den Hof. „Ich werd nochmal in die Stadt fahren.“ Damit ging auch Stella. „Ich finde, sie könnte sich wenigstens bei Kicho entschuldigen“, meinte April, als Stella weg war. „Ich glaube nicht, dass sie das kann“, erwiderte Fireball. „Und ich glaube, es war gut, dass wir ihnen nicht gesagt haben, was es mit diesem Überfall von letzter Nacht auf sich hatte“, stellte April fest. Colt blickte auf. „Was meinst du?“ April erklärte ihm: „Ganz einfach: der Überfall sollte Abschrecken. Solange Stella allein an dem Fall gearbeitet hat, stellte sie offenbar keine Bedrohung dar. Jetzt, da wir sie unterstützen, sieht es wohl anders aus. Wir haben diesen Merlin erschreckt, deshalb wollte er Kicho entführen.“ Colt sah von April auf Saber. Dieser nickte zustimmend. „Kicho ist sozusagen das Herz dieser Familie. Sie hält sie zusammen. Jeder braucht sie. Sie ist für die Schwestern unersetzbar. Und – was auch sehr wichtig ist – obwohl sie scheinbar zu kämpfen gelernt hat, ist sie die einzige, die es nicht will. Da sie die jüngeren erzieht, wollen die es wahrscheinlich auch nicht. Kicho in seine Gewalt zu bringen, würde für Merlin bedeuten, alle Trümpfe in der Hand zu halten. Er könnte Stella zum Aufgeben zwingen. Mehr noch, sie würde uns sofort wegschicken, da wir Kichos Leben gefährden. Verstehst du, Colt?“ Dieser nickte. „Wenn Stella das wüsste“, meinte er. „Würde sie Kicho hier wie eine Gefangene halten. Und Kicho? Na, ich glaub nicht, dass sie das ertragen könnte.“ Seine drei Kollegen nickten. Saber öffnete die Tür zu Bibliothek. Kicho saß am Schreibtisch und hielt ein Foto ihrer Eltern in der Hand. „Alles in Ordnung?“ fragte Saber. Kaum merklich nickte sie. „Sie ist wie Vater; stolz, mutig, ehrenhaft, aufbrausend, rechthaberisch und manchmal macht sie mich wahnsinnig. Aber: es ist ihre Art zu zeigen, dass sie einen lieb hat und vor Sorge außer sich ist.“ Es war nicht nötig, dass sie den Namen erwähnte. Saber wusste auch so, dass sie von Stella sprach. Kicho erhob sich und sah ihn an. „Gestern“, sagte sie. „Gestern Nacht habe ich nicht begriffen, was geschehen ist. Es war alles so unwirklich. Aber ich habe schon mal davon gelesen, von Männern wie euch, wie dir. Meister der Schwertkunst. Helden. Lebende Legenden, die kaum real sein können. Es ist wie in den Sagen um König Arthur und Lancelot.“ Sie trat auf Saber zu und sah ihm tief in die Augen. Unweigerlich schluckte er, wie ein unerfahrener Junge vor seinem ersten Kuss. Sein Herz begann zu rasen. Einen Moment lang versanken beide in den Augen des anderen. „Du bist Lancelot“, stellte Kicho fest. Sie senkte verlegen den Blick, wurde rot. „Entschuldige. Ich rede Unsinn.“ Bevor er die Möglichkeit hatte ihr zu widersprechen, war sie dem Zimmer wieder entglitten. „Es ist nicht gut, ihr immer nur nach zu sehen“, stellte er fest. Saber war so vertieft in die Unterlagen, dass er diese seltsamen Gefühle in seinem Herz zwar registrierte, aber Kicho nicht bemerkt hatte. Sie balancierte ein Tablett herein und schickte sich an, die Tür mit dem Ellenbogen zu schließen, als er aufsah. „Warte“ Schon war er bei ihr und schloss die Tür für sie. „Wenn du die ganze Zeit arbeitest, solltest du nicht vergessen dich zu stärken“, meinte sie. „Danke, dass hättest du nicht tun müssen.“ – „Soll ich dich lieber verhungern lassen?“ Damit stellte Kicho das Tablett auf dem Sekretär ab. Ihr Blick glitt über die Fotos der vermissten Mädchen. Stumm nahm sie eins, betrachtete es eingehend und drehte es um. Die Rückseite betrachtete sie noch eingehender und runzelte die Stirn. Feine Linien zeichneten sich darauf ab. Sie ergaben offenbar keinen Sinn, weshalb ihnen niemand größere Beachtung geschenkt hatte. Niemand außer Kicho. Verwundert beobachtete Saber sie. „Was ist?“ fragte er und trat auf sie zu. „Hier, sieh mal. Diese Linien … Könnte das nicht ein Auge sein?“ Saber nahm ihr das Bild aus der Hand. „Ein Auge?“ – „Ja. Vom jemandem, der schläft.“ Sie fuhr mit dem Finger die Linien nach. „Ein Maler würde eine schlafende Person so skizzieren.“ – „Bist du sicher?“ Er kam sich etwas dumm vor bei dieser Frage, aber tatsächlich war sie das Einzige, das ihm zu antworten einfiel, jetzt, da Kicho so nah bei ihm stand. „Ich habe Kunst studiert. Ich bin mir sicher.“ Saber nahm den Stapel Fotos, drehte eins nach dem anderen um und legte es auf den Tisch. Auf jeder Rückseite waren Linien; verschieden Linien, unterschiedlich lang und dick, aber es konnte sein …. „Das ist eine Botschaft“, meinte er dann wieder voll auf seine Nachforschungen konzentriert. „Eine Botschaft? Was, glaubst du, will er damit sagen? Dass wir hinter die Fassade sehen sollen?“ – „Wahrscheinlich. Jetzt heißt es puzzeln.“ Gemeinsam drehten und wendeten sie die Fotographien bis sie endlich ein Bild ergaben: eine schlafende Frau auf dem Grund eines Sees. Angesträngt schauten beide darauf und grübelten, wer diese Frau sein könnte. Saber stand steif da, die Arme vor der Brust verschränkt, während Kicho zu seinen Füßen am Boden kauerte und nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute. „Die Herrin der Quelle.“ Gleichzeitig hatten sie es ausgesprochen. Kichos Augen wanderten zu den Bücherregalen, als sie sich erhob. Ein Griff in eines davon und sie hatte, was sie suchte. Sie blätterte darin. „Hier.“ Mit dem Finger tippte sie auf eine Stelle im Text. „Sie war die Hüterin zum Tor nach Avalon. Es heißt, sie betörte Merlin und erlernte seine Zauberkunst. Ausversehen verwandelte sie ihn in eine Eiche. So lautet zumindest eine Form der Legende. Im Wicca-Glauben ist sie eine junge Göttin.“ – „Wicca? Das ist doch ein Hexenkult?“ – „Na ja, so ähnlich. Warte mal …“ Erneut durchsuchte sie die Regale. „Hier. Das Buch enthält eine Sammlung über Hexen…“ – „Kicho?“ Das waren die Zwillinge. „Ja?“ – „Unser Teleskop ist kaputt.“ Saber nahm ihr das Buch ab. „Ist schon in Ordnung.“ Während Kicho sich um die Zwillinge kümmerte, vertiefte Saber sich erneut in die Recherche. Von allem, was er gelesen hatte, schwirrte Saber der Kopf. Er schob ein Lesezeichen in das Buch und klappte es zu. Er streckte sich noch einmal, verließ das Zimmer und trat in die Halle. Er kam gerade hinzu, als die Zwillinge versuchten Kicho dazu zu überreden, heute Nacht einen Kometen, welcher nur alle drei Jahre den Planeten umkreiste, beobachten zu dürfen. Kicho schüttelte den Kopf und Saber sah, wie sie sich ein Grinsen verkniff. Die Art der Zwillinge ihre große Schwester zu bitten, war wirklich drollig. Sie zogen alle Register der Niedlichkeit. Als sie begannen große Tränen der ungerechten Behandlung aus ihren Augen zu drücken, versetzte Kicho ihnen zwei sanfte Kopfnüsse. „Hauptsache ihr holt rechtzeitig für die Schule eure Köpfe zurück auf diesen Planeten, wo sie hingehören.“ – „Versprochen“, riefen die beiden gleichzeitig und sprangen übermütig erst in die Luft und dann die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Kicho sah ihnen milde lächelnd nach. „Es ist schwer ihnen was abzuschlagen“, stellte Saber fest. Erschrocken fuhr Kicho herum. „Du lieber Himmel“, sagte sie. „Du hast wohl doch ernsthafte Tötungsabsichten?“ Saber schüttelte den Kopf. „Nichts liegt mir ferner.“ – „Tatsächlich?“ Kicho grinste spitzbübisch. „Ich glaube eher, es ist deine Lebensaufgabe mich zu Tode zu erschrecken.“ Saber grinste ebenfalls. Die Beiden schlenderten über den Hof zu der Pferdekoppel. Da es bis zum Abendessen noch Zeit war, entschlossen sie sich zu einem kleinen Ausritt. In dem weiten Tal über die Wiesen zu galoppieren, den Wind in Gesicht und Haar, war etwas, dass Saber so schon lange nicht mehr genossen hatte. Der Wind wehte seinen Kopf frei, blies die Nachforschungen, den Überfall und überhaupt alles in weite Ferne. Jetzt atmete er die klare Luft und ließ seinen Blick gleiten; über das Land, das grüne Tal bis hin zu den Bergen, die es umgaben, und endlich bis hinauf zu dem strahlend blauen Himmel. Hier war Ruhe, war Freiheit, war Frieden. Und doch. Hier war auch Gefahr. So gern Saber diesen Gedanken wieder aus seinem Kopf verbannt hätte, er blieb hartnäckig, wo er war. „Du kannst nicht abschalten.“ Mit dieser Feststellung holte Kicho ihn zurück in die Gegenwart. „Schwer“, erwiderte er. „Dir scheint es leichter zu fallen.“ – „Ich kann mir ja nicht nur Sorgen machen. Da werd ich ja meines Lebens nicht mehr froh, “ erklärte Kicho. Er musterte sie. Ihre Augen verrieten ihm, dass dies nur die halbe Wahrheit war. Denn sie musste stark sein. Um der jüngeren Schwestern Willen musste sie stark sein um ihnen dadurch Hoffnung, Zuversicht und Sorglosigkeit zu geben. Er fragte sich, wie oft ihr wohl nach weinen zu Mute war und sie es nicht tat, gerade aus diesem Grund. Kicho wendete abrupt das Pferd. Sie spürte, dass er hinter ihre Fassade sah und es fühlte sich seltsam an. „Lass uns zurückreiten“, sagte sie und schnalzte leicht, worauf ihr Pferd in leichten Trab verfiel. Saber folgte ihr. Während er hinter ihr her ritt, fiel ihm auf, dass dieses seltsame Gefühl, welches ihn neuerdings immer wieder beschlich, nur dann kam, wenn sie in der Nähe war. Konnte das sein? Oder war dies nur Einbildung? Die Nacht war angebrochen. Bianca telefonierte auf ihrem Zimmer mit einer Freundin. Die Zwillinge bereiteten sich auf die Kometenbeobachtung vor. Saber saß an den Nachforschungen in der Bibliothek. Kicho schaffte in der Küche Ordnung. Im Stall versorgten Darla und Chat noch die Pferde. Fireball und April bezogen den Wachposten in der Scheune. Colt lümmelte auf dem Sofa im Wohnzimmer. Stella gesellte sich zu ihm und fragte: „Kann es sein, dass euer Boss auf Kicho steht?“ Colt sah sie überrascht an. „Und wenn?“ erwiderte er. „Stört dich das?“ – „Ich weiß nicht.“ Stella wiegte den Kopf hin und her. „Es ist irgendwie komisch. Ich weiß gar nicht, ob Kicho schon jemals verliebt war.“ Colt setzte sich auf. „Bestimmt.“ Stella hob die Schultern. „Wenn, dann ist es schon ewig her.“ – „Würde mich auch nicht wundern. So wie sie hier eingespannt ist …“ Weiter kam Colt nicht. „Soll das heißen, es ist unsere Schuld?“ fragte sie. Abwehrend hob Colt die Hände. „Das hab ich nicht gesagt. Ich meine nur, dass zwei kleine Mädchen im Schlepptau die Sache nicht grade erleichtern.“ Stella nickte stumm. Tatsächlich hatte sie genau deshalb ein schlechtes Gewissen ihrer Schwester gegenüber. Als ihre Mutter, Clear River, erkrankte, war Bianca gerade 6 und Kicho 16 Jahre alt. Es war ganz automatisch so gekommen, dass Kicho dafür sorgte, dass Bianca pünktlich in die Schule kam und danach die Hausaufgaben machte. Außerdem hatte Kicho stets ein Auge darauf gehabt, dass ihre Mutter ihre Medikamente einnahm und vor allem Ruhe hatte. Nein, ganz so automatisch, war das nicht gelaufen, erinnerte sich Stella. Es kam eher zwangsläufig, denn Stella absolvierte gerade die Ausbildung zum StarSheriff, Darla hielt den Hof am Laufen und Cat half ihr dabei. Ocean, ihr Vater, war selten anwesend, kurvte in einer wichtigen Undercover-Angelegenheit durchs neue Grenzland. Ob Kicho gewollt hatte oder nicht, diese Arbeiten blieben an ihr hängen. Als ihre Mutter sich dann wieder erholt hatte, war es so als wäre sie nie krank gewesen, denn alles war unverändert weiter gelaufen. Keine der anderen Schwestern, weder Darla noch Cat und am allerwenigsten Stella, hatte tatsächlich registriert, wie schwer krank ihre Mutter war, denn sie hatten saubere Sachen, was zu essen auf dem Tisch und aufgeräumte Zimmer. Dass es Kicho war, die all das erledigt hatte, nebenher Biancas Schulaufgaben überwacht und nächtelang am Bett der Mutter gesessen hatte, war ihnen völlig entgangen. Natürlich waren alle froh über die Besserung der Mutter. Sie alle waren besorgt gewesen und natürlich freuten sehr sie sich, als ihre Mutter dann sogar noch ein sechstes Mal schwanger wurde. Aber, umso härter traf sie alle, als ihr Vater von seinem Einsatz nicht mehr zurückkehrte. Zwei Monate vor der Geburt der Zwillinge erreichte sie die Nachricht von seinem Tod. Wie ihre Mutter die Geburt überstanden hatte, wusste Stella nicht. Sie selbst war an dem Tag auch auf einer Mission gewesen. Aber sie kehrte bald genug Heim um zu sehen, wie ihre Mutter nach der Geburt immer schwächer wurde. Der Krebs war wieder ausgebrochen und der Verlust ihres Mannes sowie die Niederkunft hatten Clear Rivers Kräfte bald aufgebraucht. Kaum ein halbes Jahr später folgte sie ihrem Mann. Dabei hatte jeder gedacht, sie hätte ihre Krankheit besiegt. Immerhin hatte sie ja noch einmal Kinder bekommen. Die Schwestern traf all dies sehr hart. Und doch lief alles weiter, ohne dass es Probleme gab. Wieder funktionierte der Notknopf Kicho, der sich offenbar automatisch einschaltete. Dabei galt die Sorge der Familie vor allem in erster Linie den Zwillingen. Sie befürchteten, dass diese das erste Jahr nicht überleben oder danach ebenfalls gegen die tückische Krankheit der Mutter zu kämpfen hatten. Am meisten sorgte sich Kicho darum. Stella hingegen sorgte sich mehr um Kicho. Niemand war ihrer Mutter so dermaßen ähnlich wie sie und deshalb war Stella beinahe sicher, dass sie auch deren Leiden bald erfahren müsste. Doch alle Ängste zeigten sich bald als unbegründet. Maria und Luisa wuchsen und gediehen zur Freude ihrer Schwestern. Und Kicho ließ sich regelmäßig checken um sicher zu gehen, dass sich bei ihr nicht die Krankheit ebenfalls unbemerkt anbahnen konnte. Stella war also immer beruhigter zu ihren Missionen angetreten und Kicho unendlich dankbar für den Dienst, den sie ihrer Familie erwies. Auch wenn sie das ihrer Schwester noch nie gesagt hatte. Besonders jetzt, in den letzten Monaten, seit Stella den Fall übernommen hatte, und Kicho es war, die ihre Launen am meisten zu spüren bekam, schalt Stella sich selbst rücksichtslos. Sie hatte, sie alle hatten, es als selbstverständlich genommen, dass Kicho sich schon um alles kümmere und der Familie wegen ihre eigenen Wünsche hinten an stellte. Doch was es für ihre Schwester bedeutete, hatte nie eine von den großen dreien erfragt. Die jüngeren drei wussten genau, was Kicho tat und unterstützen sie entsprechend ihres Alters. Aber … je länger und öfter Stella darüber nachdachte, desto mieser kam sie sich selbst dabei vor. Abrupt stand sie auf und verließ das Wohnzimmer. Colt blickte ihr nach. Verwundert über dieses Gespräch und nicht ahnend, was in Stellas Kopf vor sich ging, konnte er sich nur fragen, was das sollte? Er erhob sich, öffnete die Tür zur Bibliothek und sah Saber in einem Buch lesen. „Na?“ fragte er und riss ihn damit vom Lesestoff. „Wie kommst du voran?“ – „Es geht. Ich glaube, so langsam versteh ich alles, “ erwiderte dieser. „Gut, dann kommen wir ja bald weiter.“ Colt schloss die Tür wieder. In der Bibliothek wunderte sich nun Saber über den Zwischenfall. Gut genug kannte er Colt um zu wissen, dass sich hinter all seinem Macho-Verhalten viel Sorge um seine Teamkollegen verbarg. Auch wenn Colt sich eher die Zunge abbeißen würde, als das je zu zugeben. Aber was machte ihm Sorgen? Diese Nacht war ebenso schwarz und unheilverkündend wie die vorige. Zwar schliefen die jüngeren Schwestern friedlich, doch jeder andere im Haus erwartete, dass etwas passieren würde. Ausgenommen die beiden Wachhabenden hatte schließlich doch jeder in den Schlaf gefunden. Colt und Saber schliefen bekleidet, die Waffen geladen und griffbereit. Fireball und April jedoch hatten von der Scheune aus einen Blick auf alles, vor allem die tiefschwarze Nacht. „Bei Tag ist es hier so schön“, flüsterte April. „Aber diese Nacht ist echt gruselig.“ Sie rückte ein wenig näher zu Fireball. Die Nacht war kühl. „Ja“, erwiderte er und legte seinen Arm um sie. „Es ist schön hier. Ganz anders, als das, was wir sonst so sehen.“ – „Ich mag die Schwestern, besonders Kicho“, meinte April. „Ja, sie ist wirklich süß.“ – „Süß?“ Fireball bemerkte den veränderten Tonfall in Aprils Stimme. „Ich bitte dich“, meinte er leicht tadelnd. „Dass hast du vorhin selbst gesagt.“ April knuffte ihn in die Seite. „He.“ Er zog sie näher zu sich heran. „Werd nicht frech“, sagte er und kitzelte sie leicht. „Von wegen, “ lachte sie leise und wollte sich gerade revanchieren, als sie das Knacken eines Zweiges hörten. Schlagartig waren sie wieder auf ihren ursprünglichen Positionen am Fenster, die geladenen Waffen im Anschlag. Fireball spähte hinaus, erkannte in der Dunkelheit aber nichts. Etwas raschelte nahe bei ihnen. April löste sich vom Fenster und tastete sich durch die Dunkelheit in die Richtung des Geräusches. Mit dem Fuß stieß sie gegen etwas, das sich prompt bewegte und laut zu fauchen anfing. Die Gans Auguste. Aufgescheucht durch Aprils Tritt flatterte das Tier nun herum, veranstaltete unglaublichen Lärm und ließ sich auch nicht beruhigen. In diesen Lärm begannen sich andere Geräusche zu mischen. Mehrere Personen rannten auf das Gebäude zu. Einige waren bereits in die Scheune vorgedrungen. Fireball fand einen Schalter an der Wand und legte ihn um. Licht flackerte auf. Vier Männer stürmten auf ihn zu. Menschen, keine Outrider. Aber ihm blieb keine Zeit sich darüber zu wundern, geschweige denn über ihr Aussehen. Jetzt hieß es kämpfen. April ihrerseits musste sich gegen zwei Angreifer zur Wehr setzen. Sie hatte das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, denn die hatten offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sie sich verteidigen würde. Zwei wohlgezielte Kicks reichten aus um sich einen kleinen Vorsprung zu sichern. April rannte aus der Scheune auf das Wohnhaus zu. Das Licht aus der Scheune erleuchtete den Hof. Sie sah Colt und Saber auf sich zu kommen. Colt rief: „Achtung April.“ Doch zu spät. Etwas wickelte sich um ihre Füße und brachte sie zu Fall. Sie schlug hart auf dem Boden auf. Weder Colt noch Saber konnten ihr zu Hilfe eilen. Sie wurden ebenfalls attackiert. Kaum hatte April sich aufgerichtet, umschlang etwas ihren Oberkörper und fesselte sie. So verschnürt hatte sie keine Chance zu entkommen. Einer der Männer trat auf sie zu und versetzte ihr einen Schlag, so dass sie das Bewusstsein verlor. Dann hob er sie hoch und verschwand mit ihr im Schatten. In der Scheune klirrten die Lampen. Das Licht erlosch. Alles war wieder in undurchdringliches Schwarz gehüllt. Im selben Moment wurden die Angriffe auf Fireball, Colt und Saber abgebrochen. Der Feind hatte, was er wollte und verschwand im Nichts. Einen Moment brauchten die Drei um das zu begreifen. „Colt? Fireball?“ rief Saber. „Neben dir“, antwortete Colt. Die Scheunentür knarrte. „Ich bin hier“, ließ sich Fireball vernehmen. „Seid ihr okay?“ – „Ja, geht so.“ Vom Wohnhaus her rief Stella in die Dunkelheit. „Starsheriffs? Seid ihr da?“ Ihrem Ruf folgte ein Lichtstrahl, der aus der Haustür fiel und ihnen den Weg dorthin leuchtete. „Ja“, rief Saber zurück und die Jungs machten sich auf den Weg ins Haus. In der Halle standen Stella, Darla und Cat, bewaffnet und bereit mögliche Eindringlinge entsprechend zu begrüßen. Der Lärm in der Scheune und auf dem Hof hatte sie geweckt. Doch als sie angezogen und bewaffnet waren, war es bereits wieder vorbei. Als Saber, Colt und Fireball eintraten, ließ Stella ihr Schwert sinken. Darla legte ihre Streitäxte ab und Cat entledigte sich ihrer Unterarmklingen. „Nettes Begrüßungskomitee“, meinte Colt. Cat erwiderte düster: „Nur nicht schnell genug.“ – „Wo ist April?“ fragte Darla. „Die haben sie mitgenommen“, erwiderte Fireball und wand sich an seinen Boss. „Saber, lass uns die Verfolgung aufnehmen.“ – „Nein“, erwiderte dieser. „Wir würden sie nicht finden. Sie könnten praktisch überall sein.“ – „Aber sie haben sicher Fußabdrücke hinterlassen“, begehrte Fireball auf. „Wenn wir denen folgen …“ – „Nur bis zu Wiese“, unterbrach Stella ihn. „Danach … Vergiss es. Ihr habt Ramrod nicht hier. Und in dieser Finsternis durch die Gegend zu laufen, ist schon für die lebensgefährlich, die sich hier auskennen. Ganz abgesehen davon …“ Draußen setzte Regen ein. „… regnet es“, beendete sie ihren Satz. „Na, toll“, gefrustet ließ sich Fireball auf die Treppe plumpsen. Stella sah ihre Schwestern an. „Geht lieber schlafen. In der Scheune wird es morgen genug Arbeit geben.“ – „Ja, ganz bestimmt.“ Damit verschwanden die beiden. „Das mit April tut mir leid“, wand Stella sich an die Jungs. „Sie ist ja nicht tot“, erwiderte Fireball gereizt. Stella verkniff sich ein „Hoffen wir’s“ und ließ die Jungs in der Halle zurück. Ihre schlimmste Befürchtung war, dass alle entführten Mädchen bereits das Zeitliche gesegnet hatten. Dies aber jetzt zu sagen, war das denkbar Schlechteste, besonders für Fireball. Soviel Taktgefühl hatte dann sogar Stella. Am folgenden Morgen fand Kicho eine verstrubbelte Gans in der Küche und einen schlafenden Saber in der Bibliothek. Der Fall hatte ihn nicht schlafen lassen und so hatte er nachgesehen, was es mit dem Aussehen der Männer der vergangen Nacht auf sich hatte. Wenn es eine Spur war, und dessen war er sich sicher, musste er ihr nachgehen. Das war er April schuldig, als Boss, als Kamerad und als Freund. Kicho lächelte, als sie ihn, auf einem Buch liegend, sah. Irgendwie sah er süß aus, fand sie. Sie brachte eine Tasse Kaffee und rüttelte ihn sanft. Benommen schlug er die Augen auf. „Ich finde ja, dass sich Kopfkissen besser zum Schlafen eigenen als Bücher, aber das ist nur meinen Meinung, “ lächelte sie ihn an. Als er ihr Lächeln nicht erwiderte, fragte sie: „Was ist passiert? Letzte Nacht?“ Saber richtete sich auf. „Sie haben April.“ Kichos ohnehin großen Augen weiteten sich. „Was“, fragte sie. „habt ihr jetzt vor?“ Saber hörte deutlich nicht nur Sorge sondern auch Angst. Er stand auf und sah ihr tief in die Augen. Sie standen sich nah gegenüber. Er hätte nur leicht seine Hand heben brauchen, schon hätte er ihre berührt. „Ich weiß es noch nicht“, gestand er leise. Kicho hob ihre Hand. Ihre beiden Finger glitten ineinander. „Du wirst es bald wissen“, flüsterte sie. Keiner der beiden hätte später noch sagen können, wie lange sie tatsächlich so gestanden hatten, die Finger miteinander verflochten und in den Augen des anderen versunken. Sie waren sich so nah und doch wagte keiner mehr. Beide wussten jedoch, dass es Stella war, die in die Bibliothek platzte. „Kicho! Wieso ist das Frühstück noch nicht fertig?“ Überrascht verstummte Stella, als sie die beiden so sah. Diese traten einen Schritt zurück. „Ich komme schon“, antwortete Kicho und verließ, ein wenig zerstreut, die Bibliothek. Saber bemerkte Stellas Blick, konnte ihn aber nicht deuten. Sie musterte ihn lange und unverwandt, dann sagte sie: „Wenn du ihr das Herz brichst, brech ich dir das Genick.“ Damit schloss sie die Tür. Die nächtliche Auseinandersetzung hatte deutliche Spuren an der Scheune hinterlassen. Der Regen hatte den Zustand nicht gerade verbessert. Alle halfen den Schaden zu beheben. Gesprochen wurde kaum. Die Entführung Aprils lastete auf allen. Fireball war außer sich vor Sorge. Die körperliche Arbeit half ihm dabei nicht auszurasten und sich abzulenken. Colt und Saber ahnten, wie er sich fühlen musste und verziehen ihm still, wenn er sich doch im Ton vergriff. Sie selbst plagte die Frage, ob sie es hätten verhindern können. Diese Frage ging auch den Schwestern Stella, Darla und Cat nicht aus dem Sinn. Wenn sie nur früher aufgewacht wären … Kicho war ebenfalls besorgt. Aprils Art, sie sofort bereitwillig zu unterstützen und ihr den Rücken zu stärken, fehlte ihr. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte Kicho, woher die Rastlosigkeit ihres Vaters und auch Stellas kamen. Sie konnte und wollte das nicht einfach so bestehen lassen. Die Jüngeren teilten die Sorge der Erwachsenen um April. Aber sie spürten auch, dass sie im Moment nur helfen konnten, indem sie wortlos taten, was ihnen gesagt wurde. Die Stimmung war unangenehm gedrückt und gereizt. Beim Mittagessen flüsterte Maria Luisa zu: „Hoffenlich können wir heute den Kometen sehen.“ Luisa nickte. Stella drehte sich zu den beiden. „Was für einen Kometen?“ fragte sie um gleich darauf Kicho anzufahren. „Du hast ihnen das doch nicht etwa erlaubt?“ – „Natürlich“, erwiderte diese schlicht. Stellas Hand formte sich zu einer Faust und wollte, wie immer, wenn sie aufgebracht war, auf den Tisch schlagen. „Untersteh dich.“ Kicho blickte auf die Faust. „Du bist kein Hammer und der Tisch ist kein Ambos“, fügte sie hinzu. Stella ließ die Hand sinken, erhob sich und verließ das Zimmer. „Und was wollt ihr jetzt tun?“ fragt Darla an die Jungs gewandt. „Wache schieben“, erwiderte Fireball. „Wenn sie heute Nacht wiederkommen …“ Erschrocken kreischten die Zwillinge auf: „Was? Die kommen wieder? Kicho, sag, dass es nicht stimmt.“ – „Macht euch keine Sorgen. Es kann euch nichts passieren, wenn ich bei euch bin, “ antwortete diese und warf Fireball einen bösen Blick zu. „Genau, “ stimmte Bianca zu. „Und jetzt seht zu, dass ihr auf euer Zimmer kommt.“ Die Zwillinge folgten der Aufforderung und verschwanden. Bianca erhob sich ebenfalls vom Tisch. „Idiot“, sagte sie zu Fireball und fing sich einen tadelnden Blick von Kicho ein, bevor sie ihren jüngeren Schwestern folgte. „Ich versteh nicht, warum sie April wollten“, meinte Darla. „Ich auch nicht,“ erwiderte Colt. „Wie sollen wir das bloß Commander Eagle erklären?“ – „Wer ist das?“ wollte Cat wissen. „Ihr Vater“, antwortete Fireball. „Sie ist seine einzige Tochter“, fügte Saber hinzu. „Momentmal …“ Er sprang auf. In der Bibliothek durchsuchte er die Unterlagen des Falles. Verwundert folgten ihm die anderen dorthin. „Was ist?“ fragte Fireball. „Hast du was?“ – „Ja.“ Der Gefragte drehte sich zu ihnen um. „Das ist es, was alle Mädchen gemein haben. Sie sind alle Einzelkinder.“ – „Und das ist wichtig, weil …, “ hakte Fireball nach. „Es hat mit den Gottheiten Lilith und Samael zu tun, “ antwortete Saber. „Mit wem? Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Colt blickte ihn reichlich verwirrt an. „Tja, dass ist so, “ begann Saber. „Neo-Merlin betrachtet sich selbst offenbar als eine Art Wiedergeburt Merlins, der ja ein weiser und guter Hellseher war. Von seiner Geliebten, in vielen Legenden die Dame vom See, wird Merlin, nachdem er ihr alle seine Geheimnisse verriet und sie selbst zaubern konnte, in eine Eiche verwandelt. Es gibt viele Legenden, aber Merlin ist nie auf natürliche Weise gestorben, sondern in eine Anderswelt – nach Avalon oder auf den Grund des Sees zu seiner Geliebten – übergegangen. Diese Dame vom See oder, auch Nimue, ist die Hüterin der sagenumwobenen Insel Avalon. Im Wicca-Glauben ist sie eine junge Göttin, die die Natur in ihren Händen hält. Die Wicca glauben daran, dass alles in Wahrheit und Einheit ist und miteinander verbunden ist. Ihre Grundsätze basieren auf der Weisung: „Solange es niemandem schadet, tu was du willst“ und der Regel: „Alles, was von dir ausgeht, fällt dreifach auf dich zurück“. Sie verehren die Natur als heilig. Ihre Gottheiten haben immer einen Partner beziehungsweise eine Partnerin. Ein solches, wenn auch seltener verehrtes, Paar sind die Gottheiten Lilith und Samael. Samael ist ein Dämon, der versucht den Menschen zu schaden. Sein Name bedeutete „Gift Gottes“ und manchmal wird der Teufel auch Samael genannt. Lilith – die Nächtliche – soll der weibliche Dämon des Kindbettfiebers sein. Es gibt viele magische Texte, die sie anrufen. Neo-Merlin jedoch ist ein Abtrünniger des Wicca-Glaubens. Und er betet diese beiden Gottheiten an. Es gibt Hinweise auf alte Opferrituale zu ihren Ehren. In allen wird von den einzigen Töchtern gesprochen. Er ist sich offenbar so sicher, dass wir ihm nicht rechtzeitig aufhalten werden, dass er uns Hinweise schickte. Wenn man die Fotos der Mädchen umdreht und richtig zusammen legt, ergeben sie das Bild der Herrin vom See, aber nicht das der schlafenden, wie Kicho und ich erst vermutet hatten, sondern der Toten. Er will damit sagen, dass das Gute nicht überlebt.“ „Jetzt müssen wir nur noch das Versteck finden“, stellte Colt fest, als Saber geendet hatte. „Da er es historisch und trivial mag, müssen wir alle Orte aufsuchen, die hier in den Highlands dafür in Betracht kommen“, meinte Saber. „Lass mich raten“, sagte Fireball. „Das sind einige, auf die das zutrifft.“ Kicho fuhr die Jungs zum KOK-Stützpunkt. Von dort aus starteten sie ihre Suche. Colt überflog im Broncobuster die Berge, westlich vom Hause Mac Cloud. Fireball fuhr von dort aus in die südliche und Saber ritt in die nördliche Richtung. Sie durchkämmten jeden Quadratzentimeter im Umkreis von etwa fünfzig Kilometern um das Anwesen der Schwestern. Es war Colt, der oben in den Bergen fündig wurde. Zwischen Geröll und Felsbrocken befand sich eine kleine, mit Gras bewachsene Mulde, auf der mit Steinen die Form eines Pentagramms gelegt worden war. Colt funkte Fireball und Saber an. Dann landete er seinen Broncobuster, schnallte sein Jet Pack um und glitt über den Felsabhang hinab. Weiter unten an einem Hang entdeckte er eine Burgruine. Einst lehnte diese Burg wohl friedlich am Berg, doch Erdrutsche und andere Witterungserscheinungen hatten sie verschluckt. Nur vereinzelt sah man noch Mauerreste hervorragen, dann aber mit Gras und Moos bewachsen. Einzig der östliche Aussichtsturm war noch völlig intakt. Augenscheinlich hatte auch jemand dafür gesorgt, denn an einigen Stellen sah man deutlich Ausbesserungen im Mauerwerk. Ein wenig düster wirkte der Turm. So nah an der unfreundlichen Felswand, die ihn schon angeschlagen hatte, und dem dunklen Wald, der sich unter ihm erstreckte, hatte er womöglich die Freude an seiner Existenz verloren oder war verärgert, über den schlechten, einsamen Standpunkt, an welchem er erbaut worden war. Colt landete. „Hier muss es sein“, sagte er zu sich und betrat den Turm. Eine Treppe führte ihn nach oben. Sie endete an einer Tür, die er über seinem Kopf öffnete. Sie schlug auf den Boden der Plattform, auf die er jetzt trat. Von hier aus konnte er das Tal überblicken. Der eine Punkt dort im Osten war der Wohnsitz der Schwestern. An der Innenseite der Brüstung sah Colt seltsame Symbole. Verwundert fragte er sich, welche Bedeutung sie wohl hatten. Saber würde es wissen. So entschied er sich zum Broncobuster zurückzukehren und auf Saber und Fireball zu warten. Doch … alles was er tat, war zu fallen. Der Schlag kam überraschend und hart. Er raubte ihm das Bewusstsein. Colt wurde schwarz vor Augen. Unzufrieden stellten seine Teamkollegen fest, dass Colt mal wieder nicht gewartet hatte. Der Broncobuster stand unschuldig neben der Steinformation und legte brav Zeugnis dafür ab. „Dann suchen wir ihn mal“, meinte Saber. Sie schnallten ihre Packs um und düsten los. Wie auch Colt zuvor brauchten sie nicht lang um die Ruine zu finden. Sie landeten auf der Plattform des Turms. „Tolle Aussicht“, stellte Fireball fest. „Deswegen sind wir nicht hier“, mahnte Saber ihn und öffnete die Tür am Boden. „Wir haben es.“ Sie glitten über die Stufen hinab bis in die Dunkelheit des früheren Kellergewölbes. Fackeln erleuchteten hier die Finsternis. Aus einer Tür am Ende des Ganges fiel ein Lichtstrahl. Sie näherten sich ihm. Fireball erreichte die Tür zu erst. Plötzlich flog sie auf. So unvermittelt, dass sie Fireball am Helm traf und ihn gegen die Wand schleuderte. Saber wollte ihm zu Hilfe kommen, doch etwas traf ihn mit solcher Wucht, dass er bewusstlos zu Boden fiel. Fireball hatte keine Chance zu reagieren. Ihm erging es wie Saber. Als sie wieder zu Bewusstsein kamen, fanden sie sich mit Händen und Füßen an die Wand gekettet. Ihre Helme, Jet Packs und Waffen lagen hinter einem schweren Holztisch am Boden der Wand gegenüber. Unerreichbar. „Wünsche wohl geruht zu haben“, ließ sich Colt neben ihnen vernehmen. „Ich hasse es, so kurz angebunden sein zu müssen“, erwiderte Fireball und rüttelte frustriert an den Eisen. Saber begann den Raum abzuschätzen. Er war groß, rund und kahl. Außer dem Tisch war nichts darin. Links von ihnen befand sich eine Tür. Dieser gegenüber befand sich eine schmale Öffnung, die allerdings nicht zu sehen war. Balken stabilisierten die Wand in der Höhe und verdeckten diese Luke. Aus den Ecken des Sechsecks, welches die Balken bildeten, verlief je ein weiterer zur Mitte. Von dort hing ein schwerer, eiserner Kerzenleuchter an einer Kette herab. „Das sieht doch sehr gut aus“, stellte eine dunkle, rauchige Stimme fest. Mit diesen Worten erschien ein Mann mit schwarzem, krausen Haar und Bart in den Raum. Weitere Männer folgten ihm. Alle sehen aus, als wären sie der Epoche des Magiers Merlin entsprungen. Haar, Kleidung, Waffen –alles war dieser Zeit nachempfunden. Eine Gasse bildete sich. Zwei Kahlköpfige schleiften April herein. Ihre Hände waren auf den Rücken gebunden und im Mund hatte sie einen Knebel. Man beförderte sie unsanft auf den Tisch. „Was soll das werden, Rübezahl?“ fauchte Fireball. „Sie hat die Ehre die Erste zu sein. Die Erste von dreizehn von mir Auserkorenen den Göttern Lilith und Samael geopfert zu werden. Und frag nicht nach dem Warum. Das würdest du ja doch nicht verstehen, “ erklärte Neo-Merlin. „Du …“ Fireball fuhr nach vorn doch die Ketten hielten ihn zurück. „Rauschebart“ – „Fireball“, sagte Saber eindringlich. „Das bringt doch nichts.“ Die beiden Kahlköpfe traten nun vom Tisch zurück. April lag bäuchlings mit angewinkelten Beinen darauf. Ihre Füße waren ebenfalls gefesselt worden und durch ein Seil mit ihrem Hals verbunden. Sobald ihre Beine nur ein wenig ihre Position veränderten, den Winkel vergrößerten, würde sie sich selbst erwürgen. Wenn sie die Kraft verlor ihre Beine in eben jener Höhe zu halten, wäre es vorbei. Früher oder später würde es passieren. Dank Aprils guter Fitness wohl eher später. Neo-Merlin und seine Männer verließen den Raum. Die Kahlschädel blieben als Wachen zurück. Hilflos mussten die Jungs zusehen, wie April um ihr Leben kämpfte. Es musste doch einen Weg hier raus geben bevor es zu spät war. Draußen hatte schon die Dämmerung eingesetzt. Nicht mehr lang und es würde Nacht sein. Es war sicher, dass Neo-Merlin sein Ritual dann beginnen würde. Sabers Blick schwenkte noch einmal durch den Raum. Da war es wieder, dieses Gefühl im Herzen. Je dunkler es außerhalb des Turmes wurde, desto mehr schwanden Aprils Kräfte. Ihre Bewacher grinsten sie hämisch an. Zwei andere Männer betraten den Raum. „Er will wissen, wie es aussieht“, sagte einer der beiden. „Gut“ erhielt er zur Antwort. Der Zweite horchte auf. „Habt ihr das gehört?“ „Was?“ Sie begannen sich suchend um zu sehen. Ein Glatzkopf blieb bei April sehen. „Hier ist noch wer“, meinte der Lauscher. Er stand jetzt unter dem Kronleuchter. Die anderen Beiden befanden sich vor den Jungs. Etwas knackte kaum hörbar. Alle wanden ihre Köpfe zur Zimmerdecke. Einen Moment lang herrschte gespannte Stille, wagte niemand zu atmen. Und dann glitt sie lautlos mit fliegendem, blondem Haar und anmutig wie ein Schutzengel vom Leuchter hinab. Im Fallen holte sie mit dem Fuß aus und trat dem Lauscher gezielt aufs Schlüsselbein. Er stürzte. Sie landete, lautlos wie eine Katze. Die anderen Drei schauten sie kurz verblüfft an, dann griffen sie an. Kicho sprang hoch über sie und trat bei der erneuten Landung einem Kahlkopf zwischen die Schulterblätter. Er fiel auf den schon am Boden Liegenden. Die anderen beiden brachen die Aktion ab. Die Liegenden rappelten sich auf. Kicho stand mit dem Rücken nahe den Jungs. „Es war ein Fehler“, sagte der Lauscher „hier allein herzukommen.“ – „Es ist ein Fehler“, erwiderte Kicho ruhig „zu glauben, dass es wirklich so ist.“ Im nächsten Augenblick flog die Tür auf. Cat, mit ihren Unterarmklingen bewaffnet, stürmte herein. Sofort wurde sie von zwei Männern angegriffen. Kicho griff nach einem Dolch unter ihrem Oberteil, und sprang, einer Attacke ausweichend, in die Luft. Sie schleuderte den Dolch auf April. Er durchtrennte das Seil, welches Hals und Füße mit einander verbunden hatte und blieb in der Wand stecken. Aprils Beine schlugen auf den Tisch. Sie holte tief Luft, so gut dies mit dem Knebel ging. Kicho landete und richtete sich auf, da traf sie ein Schlag. Sie flog neben den Jungs an die Wand und stöhnte vor Schmerz auf. „Jetzt fällt dir wohl nichts mehr ein?“ frohlockte ihr Angreifer. „Nicht“, japste sie „so voreilig. Sie griff erneut unter ihr Oberteil und klappte einen silbergrauen Fächer auf. Ihr Gegner lachte auf. „Was? Das ist alles?“ Doch noch ehe er begriff, was geschah, hatte sie ihm damit einen tiefen Schnitt auf seinem Oberarm zugefügt und stand nun neben ihm, den Kampffächer auf ihn gerichtet. Die Stahlklinge glänzte. Verdattert besah er seine Wunde und taumelte gegen die Wand zurück. „Kicho“, rief Cat. „Ja.“ Damit stürzte diese zu April und löste deren Fesseln. Cat hatte die anderen drei Männer außer Gefecht gesetzt und knackte nun die Ketten von Colt, Fireball und Saber. Die schnappten sich ihre Waffen und verließen mit Cat den Raum. Kicho und April waren schon längst fort. Jetzt standen die Jungs zusammen mit Cat und auch Darla und Stella Neo-Merlin und seinen Handlangern gegenüber. Der Kampf entbrannte in den Gängen des Kellergewölbes. Es kämpften sechs gegen etwa dreißig. Aber dieser Umstand war eher Ansporn für die Minderheit, als Grund zum Aufgeben. Zudem minderten die engen Flure den Vorteil für die Überzahl. Fireball verlor seinen Blaster und griff nach einer Fackel, die seinem Gegner große Schmerzen verursachte, als er sie zu spüren bekam. Eine Streitaxt, geworfen von Darla, erledigte den Rest. Saber erblickte Neo-Merlin, der versuchte über die Treppe zu fliehen. Er verfolgte ihn. Sein Gegner, der eben noch mit Saber gefochten hatte, wollte ihn an der Verfolgung hindern, doch es war Stella, mit der er sich nun auseinander setzen musste. Neo-Merlin bemerkte Saber hinter sich. Er riss im Laufen die Fackeln von den Wänden und schleuderte sie auf ihn um ihn auszuschalten. Doch dieser wich jeder geschickt aus. An der Tür zur Plattform warf Neo-Merlin die letzte Fackel. Saber fing sie auf und stellte Neo-Merlin, der sich auf der Plattform des Turms selbst in die Enge getrieben hatte. Der einzige Weg hier zu entkommen, war die Treppe und die versperrte Saber ihm. Neo-Merlin erkannte seinen Fehler. „Ich muss gestehen“, sagte er um Zeit zu schinden. „Ich habe euch unterschätzt. Ich hätte nie gedacht, dass ihr herausfindet, was ihr Wissen müsst um mich aufzuhalten. Mac Clouds Älteste war dazu nicht im Stande. Aber du …“ – „Ich hatte Unterstützung“, antwortete Saber. „Ach ja, “ Neo-Merlin schien wenig überrascht. „Lass mich raten. Diese blonde Kleine. Ja. Sie ist das Abbild ihrer Mutter. Würde das Volk der Kelten noch bestehen, wäre sie sicher eine Priesterin geworden. Sie ist nicht nur schön, sondern auch intuitiv und weise.“ Bei diesen Worten war Neo-Merlin seitlich auf Saber zu gekommen. Dieser fragte sich, warum Neo-Merlin so sehr darauf achtete, nicht die Mitte des Turmes zu betreten. Neo-Merlin bemerkte, dass Saber einen Augenblick lang nicht auf ihn konzentriert war. Das reichte ihm um mit einer Steinschleuder Saber das Schwert aus der Hand zuschießen. Es flog in hohem Bogen über die Brüstung. Neo-Merlin lachte dreckig. Dann sprang er auf Saber zu und versuchte ihm die Fackel zu entreißen. Sie rangen miteinander. Neo-Merlin versuchte Saber zur noch geöffneten Tür zu drängen und ihn die Treppe hinunter zu stoßen, doch der ließ sich nicht bewegen. Erneut griff Neo-Merlin nach der Fackel, bekam sie zu fassen und entriss sie Sabers Hand, als dieser ihn von sich stieß. Merlin fiel in die Mitte des Turms, die er eben noch gemieden hatte und dann begriff Saber, warum. Die Fackel glitt aus Neo-Merlins Hand und landete neben ihn. Augenblicklich entzündete sich die Substanz mit der, für das bloße Auge nicht sichtbar, ein Pentagramm auf den steinernen Untergrund gemalt worden war. Neo-Merlin selbst musste es aufgetragen haben. Jetzt stand er in Flammen. Chancenlos. Rettungslos. Geschockt sah Saber, wie die Flammen seinen Gegner heiß und hell verschlangen, dann wand er sich ab und lief zurück zu den anderen. Deren Lage sah nicht so gut aus. Ihre Gegner, wenn auch dezimiert, hatten es beinahe geschafft Colt, Fireball und die Schwestern in eine Ecke zu drängen. Vom letzten Treppenabsatz her rief Saber. „Gebt auf. Der Merlin ist tot.“ Verblüfft hielt der Feind inne. Dies war Überraschungsmoment genug um sie zu überwältigen. Die Verwirrten leisteten nur noch geringen Widerstand. Die Bilanz dieser Nacht war der Tod von einem, die Verhaftung von 34, teilweise schwer verletzten, Männern sowie die Rückkehr zwölf entführter Mädchen zu ihren Familien und die Heimkehr von sechs Kriegern zu den Bangenden Maria, Luisa, Bianca, April und Kicho. Kaum hatten sie die Halle betreten, flog April in Fireballs Arme und küsste ihn stürmisch und erleichtert. Unter den Schwestern gab es unzählige Umarmungen. Kicho trat unbemerkt an Saber heran. Sanft, beinahe schüchtern, berührte sie seinen Arm. „Alles okay?“ fragte sie, als er sie ansah. Er nickte warm. Sie trat nun auf Colt zu. „Und du?“ Der grinste: „Noch am Stück.“ Dann legte er ihr, vor allem um Saber zu necken, den Arm um die Schulter und fragte: „Woher wusstet ihr, wo ihr uns findet?“ – „Ich wusste doch, was ihr vorhattet. Als ihr so lange fort wart, hat Stella nach euch gesucht und den Broncobuster, Steed und den Racer oben in den Bergen gefunden. Den Rest kannst du dir sicher denken.“ Jetzt, da der Fall abgeschlossen war und sie auch noch vier Tage Urlaub bekommen hatten, besuchte Saber seine Eltern. Kicho begleitete ihn. Saber freute sich sehr, seine Eltern wiederzusehen. Verwundert sah er Kicho an, als sie seine Mutter mit Mary und seinen Vater mit Ed ansprach. „Ich sagte doch, mein Zweitwohnsitz ist die Bibliothek eines Freundes“, erklärte sie lächelnd. „Jetzt rate mal, wer dieser Freund ist.“ Saber lächelte ebenfalls. Am Nachmittag entschieden Saber und Kicho sich zu einem Spaziergang. Da es die Sonne sehr gut meinte, führte ihr Weg sie durch den kühlen Wald. Sanft rauschte der Wind in den Bäumen. Vögel sangen. So schön war es, so friedlich. Am Waldrand setzten sie sich und schauten über die grüne Lichtung vor ihnen. Schweigend genossen sie diese Ruhe. Sabers Blick blieb an Kicho hängen. Sie war wirklich schön. Der Wind spielte mit ihrem Haar. Ihre Augen, groß und smaragdgrün, blickten verträumt über das Land, die vollen Lippen leicht geöffnet. Er erinnerte sich, dass er für ein Mädchen schon einmal so gefühlt hatte, wie jetzt für sie. Doch Sincia hatte es auf Dauer nicht ertragen können, dass er ständig fort von ihr und in Gefahr war. Kicho war anders als sie. Durch ihre Adern floss das Blut einer Kriegerin, auch wenn sie ihre Schlachten nicht gegen Outrider austrug. Diese Familie zusammen zu halten und zu versorgen erforderte auch Kampfgeist, wenn auch stiller und unauffälliger. Vor allem sich gegen Stella durchzusetzen war immer wieder ein Kraftakt, so viel war sicher. Ocean Mac Cloud – ihr Vater – war selbst Starsheriff gewesen. Es hatte ihn das Leben gekostet. Und auch wenn Kicho davon sprach, wie sehr sie ihn vermisste, klang Stolz mit und Liebe. „Hast du mir überhaupt zu gehört?“ fragte Kicho und holte Saber in die Gegenwart zurück. „Tut mir leid. Nein“, erwiderte er. Sie näherte sich ihm. „Wo warst du mit deinen Gedanken?“ fragte sie leicht tadelnd. Saber antwortete nicht. Stattdessen kam er dem Bedürfnis nach sie zu küssen. Warm und weich war ihr Mund. Er fühlte ihre Überraschung und löste den Kuss. Doch sie schlang einen Arm um seinen Nacken und zog ihn wieder zu sich. Sanft tauschten sie Küsse und vergaßen alles um sich. Es war spät in der Nacht, als sie Sabers Eltern verließen und zum Hause Mac Cloud zurückkehrten. Wie Diebe schlichen sie die Treppe hinauf. Ein letzter Kuss, dann verschwand jeder in seinem Zimmer. Beim Frühstück am nächsten Morgen grinsten Bianca und die Zwillinge abwechselnd Kicho und Saber an, als wüssten sie etwas, was sonst niemand wusste. Bianca fiel es obendrein schwer, ihre große Schwester nicht mit neugierigen Fragen aller „Und? Wie war es?“ zu bedrängen. Auch die großen Schwestern wechselten spitzbübische Blicke und schließlich erklärte Stella: „Du kannst ruhig öfter fort bleiben, Kicho. Bianca kocht fast schon genauso gut wie du.“ Kicho schoss Verlegenheitsröte ins Gesicht und die Schwestern begannen zu lachen. Stella verabschiedete sich nach dem Frühstück und fuhr zum KOK-Stützpunkt um dort den Papierkram des Falls abzuschließen. Darla und Cat machten sich an ihre Arbeit. Der Rest beschloss gemeinsam auszureiten. Gerade wollten sie das Haus verlassen, da klingelte das Telefon. Kicho meldete sich. „Hallo? … Ja, sind sie … Ja … Gut … Ich sag es ihnen.“ Damit legte sie wieder auf. „Das KOK“, sagte sie, den Blick auf Saber gerichtet. „Sie sagen, ihr müsst den Urlaub doch abbrechen. Der Fall sei sehr dringend.“ Wohl oder übel mussten sie aufbrechen. Der Broncobuster, der Red-Fury Racer und Steed standen startklar auf dem Hof. Sie würden vom KOK-Stützpunkt aus mit Ramrod weiterzufliegen. Wohin auch immer. Der Abschied war schwer. Man war einander sehr ans Herz gewachsen. Saber hielt Kicho noch in den Armen. Seine Teamkollegen warteten schon. „Was soll ich sagen?“ fragte er. „Dass du wiederkommst“, erwiderte sie. „Ich komme wieder“, versprach er und gab ihr einen zarten Kuss. Die Zwillinge begannen zu kichern. Dann schwang Saber sich auf Steeds Rücken und ritt, gefolgt vom Broncobuster und dem Red-Fury-Racer, davon. Bianca fragte: „Glaubst du, das er zu dir zurückkommt?“ Sie und Kicho sahen einander an und nickten zeitgleich. Ende Teil 1 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)