Sitaara von NarutoNinja (Sternenlicht) ================================================================================ Kapitel 3: Engel ---------------- Madan war nervös, als er sich in die enge Telefonzelle zwängte, den Hörer nahm und eine Nummer wählte, die er noch nie zuvor in seinem Leben gewählt hatte, aber dennoch so gut kannte wie seine Eigene. Ein leises Piepen wurde laut. Eine Weile geschah gar nichts, doch dann hörte er, wie jemand den Hörer abnahm. „Raj Kota. Worum geht es?“ Madans Stimme versagte. Raj Kota. Dieser Mann schien aus einem anderen Leben zu stammen, aus einer völlig anderen Welt, aus einer Welt, in der er immer noch studierte und in der seine Familie noch lebte. Seit jenem verhängnisvollen Novembertag hatte er Kota nicht mehr gesehen. Es war wie eine Erinnerung aus alten Tagen. „Hallo?“, erklang Mr. Kotas ungeduldige, raue Stimme. „Ist da jemand? Ich habe keine Zeit für solche Kinderreihen!“ „M … Mr. Kota?“ Madan schluckte schwer. „Ich bin es, Madan Khan.“ Stille. „Erinnern Sie sich noch an mich?“ Als Antwort erhielt er nur ein langes Schweigen. Er dachte schon, dass sein alter Mentor aufgelegt hatte, als er plötzlich ein Rascheln hörte. „Madan? Madan Khan?“, fragte sein ehemaliger Lehrer ungläubig, doch mit unglaublicher Freude in der Stimme. „Mensch, Junge! Wie geht es Ihnen? Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht!“ „Es geht mir gut.“ Madan lächelte. Es tat gut, eine vertraute Stimme zu hören, mit der nur positive Erinnerungen verbunden waren. „Wirklich. Es tut mir leid, dass ich mich nicht schon früher gemeldet habe, aber ich hatte keine Zeit. Es ist so viel passiert.“ „Ja, das habe ich gehört.“ Mr. Kota klang ein wenig unsicher, so als würde er nicht wissen, worüber er mit seinem ehemaligen Schüler reden sollte. „Die Schauspielgruppe vermisst Sie. Sie vermissen ein wenig den Extraalplaus, den Sie eingeheimst haben, als Sie noch mitgespielt haben.“ „Das glaube ich ihnen gerne. Ist unser Wildkätzchen noch da?“ „So wild wie eh und je.“ „Geben Sie ihr einen Klaps von mir. Aber passen sie auf, sie hat eine harte Rechte.“ Mr. Kota lachte. „Ich werde es mir merken.“ Dann wurde er wieder ernst. „Wollten Sie nur Hallo sagen, oder rufen Sie an, um zu sagen, dass Sie zu uns zurückkommen werden?“ Madan spürte, wie sich etwas in seinem Inneren zusammenzog. Seufzend lehnte er sich gegen die kühle Zellenwand. „Es tut mir Leid, Mr. Kota, aber ich kann nicht. Auch wenn ich es gerne würde. Es hat sich einfach zu viel verändert. Mein Bruder braucht mich jetzt dringender.“ Er schwieg einen Moment, nicht wissend, wie er zum Punkt kommen sollte. „Mein Bruder ist felsenfest davon überzeugt, dass ich einmal Schauspieler werde.“ „Das Talent hätten Sie auf jeden Fall.“ Dieses Eingeständnis freute Madan und machte ihm Mut. „Es war mein Traum, seit ich ein kleiner Junge war und ich will es noch immer. Nur leider ist es nicht so einfach.“ „Ohne eine echte Schauspielausbildung wird es sehr schwer werden“, stimmte ihm sein Mentor zu. „Statistenrollen sind leicht zu bekommen, aber die richtig großen Rollen sind fast unmöglich zu ergattern. Ohne Beziehungen und massig Talent ist das so gut wie unmöglich.“ Madans Mut sank. „Ja, das dachte ich mir. Bis jetzt sind meine Bewerbungen alle ungelesen in den Müll gewandert. Es frustriert.“ „Sie wollen wirklich Schauspieler werden? Dann müssen Sie auf eine Schauspielschule. Sie haben unglaubliches Talent, mehr Talent, als ich es je bei jemandem gesehen habe, doch ohne den nötigen Schliff werden Sie es nicht vor die Kamera schaffen, auch wenn Sie es wirklich verdient hätten.“ „Gibt es keinen anderen Weg?“, fragte Madan beinahe flehend. „Es muss doch etwas geben. Im Moment kann ich es mir einfach nicht leisten, eine richtige Schauspielausbildung zu machen. Es geht einfach nicht.“ „Es tut mir Leid, Madan. Aber anders wird es nicht gehen.“ Der Mann klang ernsthaft bekümmert, doch Madan gab nicht auf. „Haben Sie vielleicht nicht Kontakte, die Sie nutzen können?“ „Kontakte?“ „Ja, oder ein Empfehlungsschreiben. Genau! Ein Empfehlungsschreiben! Könnten Sie mir nicht so etwas ausstellen? Nebenrollen würden im Moment völlig genügen.“ „Nur ein Idiot würde ihnen eine Nebenrolle geben. Sie sind ein viel zu dominanter Schauspieler“, warf Mr. Kota ein, was Madans Bemühungen nur steigerte. „Bitte, Sir! Ein Empfehlungsschreiben. Das würde mir sicher zumindest eine kleine Chance eröffnen! Mehr brauche ich nicht. Eine Chance, die ich nutzen kann!“ „Ich glaube kaum, dass es etwas nutzen wird. Die Leute, die da sitzen, sind sehr streng und oft voreingenommen.“ „Das ist mir egal. Ich werde sie einfach von mir überzeugen. Alles, was ich brauche, ist etwas, was mir zumindest die Chance eröffnet, dass meine Akte nicht sofort in den Mülleimer wandert. Bitte, Sir. Ich tue alles für ein gutes Wort.“ „Dann gehen sie zur Schauspielschule.“ „Das kann ich nicht.“ „Warum?“ Madans Euphorie verflog. Kummer machte sich in ihm breit. Er sprach nicht gerne über das, was sein Leben so radikal verändert hatte, besonders am Telefon. „Es geht nicht. Ich kann es mir nicht leisten.“ „Und wenn ich Sie sponsern würde?“ Madan brauchte einen Moment, um zu begreifen, was ihm da gerade angeboten wurde. „Sponsern? Sie würden mir die Ausbildung zahlen?“ „Das Geld wäre damit jedenfalls besser angelegt als bei Aktien.“ Madan starrte den Hörer an. „Das … das wär … Es ist ein wunderbares Angebot, aber es geht nicht.“ Langsam ließ der junge Mann sich die Wand hinunter gleiten. „Es ist nicht das Geld für die Ausbildung, was mir fehlt. Es ist mein Bruder. Er ist Querschnittsgelähmt, halb blind und noch alles Mögliche. Es geht ihm nicht gut. Braucht ständig jemanden, der auf ihn aufpasst. Eine Ausbildung würde mich zu sehr in Anspruch nehmen.“ „Und der Beruf des Schauspielers etwa nicht?“ „Das ist etwas Anderes.“ „Nein, ist es nicht.“ „Doch, ist es. Ich könnte ihn bei den Drehs dabei haben. Es würde niemanden stören, wenn er nicht auffällt, da bin ich mir sicher. Es geht ihm einfach nicht gut. Im Moment kommt eine Schauspielausbildung nicht in Frage.“ „Vielleicht sollten Sie heiraten“, meinte Mr. Kota halb im Scherz, halb ernst. „Ein so gut aussehender junger Mann wie Sie hat doch sicher viele Verehrerinnen. Nehmen Sie die, die Sie am meisten Lieben und schon haben Sie jemanden, der für Sie und ihren Bruder sorgt.“ Madan verschlug es bei diesem Vorschlag so sehr die Sprache, dass es eine Weile dauerte, bis er seine Stimme wiederfand. An so etwas hatte er noch gar nicht gedacht. „Das ist ja alles schön und gut“, begann er völlig perplex, „aber leider beschränkt sich meine weibliche Beute auf stolze Null. Ich hatte keine Zeit für die Liebe.“ „Das tut mir sehr leid“, meinte Mr. Kota ein wenig schockiert. Ihm dämmerte es langsam, wie dringend sein alter Schüler Hilfe brauchte, wenn sogar die Liebe keinen Platz mehr in seinem Leben hatte. „Wirklich.“ „Wie sieht es aus? Bekomme ich ihre Empfehlung?“ Mr. Kota zögerte einen Moment. „Selbstverständlich. Aber machen Sie sich nicht allzu große Hoffnungen. Ich habe leider nicht allzu viele Freunde in meiner alten Brache.“ „Keine Sorge. Ich stehe momentan so fest auf dem Boden der Tatsachen, dass mich wohl nichts mehr davon wegbewegen kann. Selbst wenn man mir Flügel ankleben würde.“ „Sagen Sie lieber nichts mehr. Sonst mache ich mir noch mehr Sorgen, als ich sie mir gerade sowieso schon mache. Wie ist Ihre Adresse? Ich schicke ihnen das Schreiben so schnell ich kann.“ Madan gab die Adresse durch, dann lächelte er bedeutungsschwer. „Sie wissen gar nicht, was für einen großen Gefallen Sie mir damit tun.“ „Ich bin mir da nicht so sicher. Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie jemandem zum Reden brauchen. Ich habe immer ein offenes Ohr für meine ehemaligen Schützlinge.“ „Das werde ich sicherlich machen. Haben Sie vielen Dank, Sir.“ „Hören Sie auf mit dem Sir. Sie sind nicht mehr auf der Universität. Raj reicht aus.“ „Danke Raj.“ „Es geht doch! Passen Sie gut auf sich auf und melden Sie sich mal wieder.“ Mit diesen Worten legte er auf. Madan verharrte noch einen Augenblick, dann legte auch er auf und verließ die Telefonzelle, vor der sich bereits eine verärgerte Warteschlange gebildet hatte. „Na endlich“, fauchte eine Frau. „Ich dachte schon, Sie würden da drinnen wohnen.“ Madan warf ihr nur einen verwirrten Blick zu, dann zuckte er mit der Schulter und machte sich auf zum Brunnen, wo sein Bruder bereits auf ihn wartete. Zumindest körperlich. Als er an Samir herantrat, merkte er sofort, dass dieser in Gedanken ganz woanders war. Sein gläserner Blick sprach Bände. „Samir?“ Keine Reaktion. Verwundert runzelte Madan den Kopf. Was war denn los mit dem Kleinen? Madan rüttelte ihn, doch ebenso gut hätte er einen Felsblock treten können. „Samir? Hey, Samir!“ Wild schnipste vor Samirs Nase herum, der plötzlich wieder zum Leben erwachte. „Hö?“ Verwirrt sah er sich um. „Na? Schön geschlafen.“ Ein verträumter Glanz trat in Samirs Augen. „Wie im Himmel.“ „Wie im Himmel?“ Madan glaubte sich verhört zu haben. Was sollte denn das jetzt bedeuten? „Wie im schönsten Himmel der Welt“, lächelte Samir voller Verzückung. „Wo kommen eigentlich diese Glocken her, die so wunderschön klingeln?“ Glocken? Madan machte sich allmählich große Sorgen. Weit und breit waren keine Glocken zu hören. „Fühlst du dich nicht wohl? Willst du dich ausruhen?“ „Ausruhen? Nicht wohlfühlen? Ich fühle mich wundervoll. Ist das Leben nicht schön? Die Sonne scheint, es ist warm, die Engel lachen … Ach.“ Er seufzte verträumt, womit er seinem Bruder noch mehr Sorgen bereitete. „Ist sie nicht toll?“ „Du machst mir Angst.“ „Angst? Vergiss die Angst. Dazu ist es viel zu schön.“ „Was ist in dich gefahren? So habe ich dich ja noch nie gesehen.“ „Ein Engel ist in mich gefahren.“ Samirs Lächeln wurde immer verzückter. Madan fühlte ihm die Stirn. „Fieber hast du jedenfalls nicht. Wir gehen trotzdem nach Hause.“ „Nein!“ Schockiert starrte der Junge seinen großen Bruder an. „Das kannst du mir nicht antun! Was ist, wenn ich sie nie wieder sehe? Was ist, wenn du mir die einzige Gelegenheit vermasselst, dieses wundervolle Geschöpf zu bewundern? Das kannst du mir nicht antun!“ Endlich dämmerte es Madan langsam. Grinsend verschränkte er die Arme vor der Brust. „Sie?“ „Sie.“ Samirs Blick verklärte sich wieder verträumt. „Ein wahrer Engel.“ „Wer ist sie?“ „Ein Engel.“ Madan schüttelte lächelnd den Kopf. „Wo ist sie?“ „Dort drüben.“ Völlig im siebten Himmel schwebend, deutete Samir auf ein kleines Café ganz in ihrer Nähe. Eine kleine Gruppe von Firmenchefs hatte sich um einen Tisch versammelt, die sich lachend unterhielten. Daneben saß eine junge Familie, deren Kinder sich gierig auf einen großen Eisbecher stürzten. Hinter ihnen saß ein Mädchen mit zu Zöpfen geflochtenen Haaren, die in eine Zeitschrift vertieft war, ohne das Eis zu beachten, dass in der Sonne dahin schmolz. „Die Kleine mit den Zöpfen?“ Samir nickte langsam, völlig in seine Traumwelt versunken, wo er gerade die neunte Liebeserklärung durchlebte. „Ist sie nicht wunderschön?“ „Sprich sie doch an.“ „Ansprechen? Bist du verrückt geworden? Ich kann sie doch nicht ansprechen! Meine Haare sind nicht gekämmt! Mein Hemd hat sogar einen Fleck!“ „Wo denn?“ „Genau da!“ Samir zeigte ihm sein blütenweißes Hemd. „Siehst du? Genau da, so groß wie Indien! Sie würde mich auslachen, wenn sie mich sieht!“ „Hast du etwa Angst?“, fragte Madan neckisch, worauf hin er einen bitterbösen Blick erntete. „Angst? Was ist das?“ Trotzig verschränkte Samir die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, was das Wort Angst bedeuten soll.“ „Dann roll doch zu ihr und spreche sie an. Worauf wartest du noch?“ Sein Bruder rührte sich nicht. „Sieh, sie ist ganz alleine. Sie wartet ganz bestimmt auf einen Kavalier, der ihr ein wenig Gesellschaft leistet. Kannst du ihren stummen Ruf nicht hören? Ich tue es.“ Madan legte die Hände an seine Ohren. „Samir, komm zu mir. Ich warte nur auf dich. Komm zu mir, und erlöse mich von meiner Einsamkeit. Ich möchte dich gern kennen lernen, du wunderbarer Held meiner schlaflosen Nächte. Aua!“ Samir hatte ihm kräftig in den Bauch geboxt. „Idiot.“ Madan lachte. „Ich weiß. Das sagt man mir ständig. Also kleiner Mann. Wirst du zu ihr gehen?“ „Ich kann nicht.“ Samir sah furchtbar elend aus, so völlig hin und her gerissen zwischen dem brennenden Verlangen, dem Mädchen zumindest einmal Hallo zu sagen, und der Furcht sich lächerlich zu machen. Immerhin war sie ein kleiner Engel und er? Er war ein kleiner Junge im Rollstuhl. Nein. Sie würde ihn gewiss auslachen. „Wenn du dich nicht traust, dann werde ich es tun“, erklang plötzlich Madans entschlossene Stimme. Samir starrte ihn entsetzt an. „Was?“ „Wenn du dich nicht traust, werde ich sie für dich ansprechen. Du bist ja immerhin mein kleiner Lieblingsbruder.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, lief Madan auf das Café zu. Samir geriet in Panik. „Nein, Madan, warte! Das kannst du nicht machen! Was, wenn sie mich nicht mag? Madan? Madan!“ Doch Madan hörte nicht. Grinsend näherte er sich dem Kaffee, doch plötzlich erstarrte er. Eine junge Frau war gerade aus dem Eingang getreten, beugte sich über Samirs Angebetete und setzte sich neben ihr. Ihr langes Haar schimmerte wie Sternenlicht im warmen Sonnenlicht, es umwehte beinahe spielerisch ihr zärtliches Gesicht, ihre vollen Lippen, die wunderschönen Augen, die sich für einen kurzen Moment auf ihn richteten, doch in die er sich eine ganze Ewigkeit lang in Glückseligkeit verlor. Ein warmes Prickeln erfüllte seine Seele, von irgendwo schienen laute Glocken zu erklingen, so zart klingend wie im Himmelreich. Die Welt schien aufzuhören zu existieren, sie verlor sich in einem hellen Licht, das nur noch ihn kannte, nur noch ihn und den Engel, der nicht weit vor ihm saß, die Beine überkreuzte und ein Bissen von dem herrlichen Eis aß, das zu schmelzen drohte. Wie unglaublich sinnlich sie dabei aussah. Ein Engel. Das musste ein Engel sein. Auf Erden konnte es kein so wundervolles Geschöpf geben, das an Vollkommenheit erinnerte. Madan sah sich selber, wie er auf sie zu ging, sich vor ihr verneigte und zärtlich ihre Hand nahm, um sie auf eine Tanzfläche aus Sternen zu gleiten, wo sie sich, eng zusammen schmiegend, in der Ewigkeit verloren. Er sah sich selber, wie er in ihre großen, braunen Augen blickte, in denen er nur Liebe lesen konnte. Er sah sich selber, wie er mit ihr tanzte, tanzte bis zum Morgengrauen. Das Kribbeln in ihm breitete sich aus, schien bis in die letzten Winkeln seiner Selbst zu dringen. Wie in Traum trat er auf die beiden Engel zu, die fragend zu ihm aufsahen, als sie seiner Gegenwart gewahr wurden. Von Nahem sah die junge Frau noch schöner aus. Madan spürte, wie seine Knie weich wurden, seine Kehle fühlte sich furchtbar trocken an. Er stand nur da und starrte in die zwei wunderschönen Augen der jungen Frau, die voller Lebenslust zu funkeln schienen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)