Übernatürlich... von abgemeldet (Wenn man das zweite Gesicht hat...) ================================================================================ Kapitel 6: Liebe liegt in der Luft... ------------------------------------- Der Montag war ein sehr heißer Tag. Na ja, „heiß“ war nicht der richtige Ausdruck. Es war eher schwül. Die Luft im Klassenraum war dick wie Butter und feucht wie ein nasser Lappen. Ich kam mir vor, als würde ich eine Wanderung durch einen tropischen Regenwald machen. Ein Gutes hatte die Hitze jedoch. Die Lehrer ertrugen die drückende Luft genauso wenig wie wir Schüler und gingen deshalb mit uns raus. „Und?“, fragte ich Amina, während wir die Treppe hinunter zum Schulhof gingen, „hast du noch mal mit Paul geredet?“ Amina nickte lächelnd. „Habt ihr noch ein Date ausgemacht?“, fragte ich sie grinsend. Amina nickte wieder. „Ja, am Freitag. Paul und ich… und du und Bengee natürlich…“, sie grinste. Ich musste lächeln. „Lieb von dir, dass du mich überall einbeziehst, aber du weißt schon, dass ich nicht ÜBERALL dabei sein kann?“ „Jaja, schon klar“, sagte Amina und winkte ab. „Und was ist diesmal geplant?“, fragte ich. Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht Eis essen oder so… weiß ich noch nicht so genau…“, meinte sie. Ich nickte. „Ach so…“, meinte ich. Ich sah in die Klasse und mein Blick fiel auf Bengee. „Weiß Bengee schon davon Bescheid?“, fragte ich und nickte in seine Richtung. Amina schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht“, antwortete sie, „ich sag ihm nachher noch Bescheid... Sei so gut und sag du es ihm falls ich es vergesse…“ Sie lächelte. Ich zuckte mit den Schultern. „Okay…“ Wir hatten den Hof erreicht und suchten uns nun einen Platz im Gras. Wir hatten einen schönen etwas abgelegenen Platz im Halbschatten gefunden. Ich legte meine Jacke auf den Boden und setzte mich drauf. Amina und Bengee setzten sich ebenfalls. Als Aufgabe hatten wir bekommen, einen Text im Buch zu lesen. Ich hatte überhaupt keine Lust dazu. Es war viel zu heiß dafür. Ich beschloss den Text zu Hause zu lesen. Ich legte mich auf den Bauch und knüllte meine Jacke so zusammen, dass sie wie ein Kissen wirkte. Ich schloss die Augen und entspannte mich. Es war herrlich ruhig. Man hörte nichts, nur hin und wieder mal Stimmen von meinen Mitschülern und das Zwitschern einzelner Vögel. Bengee und Amina hatten sich anscheinend entschlossen die Aufgabe zu machen, denn sie schwiegen beide. Ein sachter Wind rührte die Blätter der Bäume. Ich konnte hören wie er durch die Äste rauschte. Ein Grashalm kitzelte meine Nase. Ich strich ihn beiseite und schloss die Augen wieder. Die Zeit verging und ich wurde müder und müder. Irgendwann döste ich leicht ein. Ich schlief nicht, also merkte ich noch halb, was um mich herum passierte, aber ich reagierte nicht, wenn man mich ansprach. Bald hörte ich wie Bengee und Amina sich unterhielten. Aminas Handy vibrierte. „Uhh! Er hat mir einen SMS geschrieben!“, hörte ich Amina jubeln. „Paul?“, fragte Bengee. „Jaaa! Mein Paul!“, sagte sie, „da fällt mir ein, wir haben am Freitag noch ein Date“ „Das ist schön für euch…“, meinte Bengee ausweichend. „Ja, und für dich auch!“ „Für mich?!“ „Ja! Du und Minty werdet natürlich dabei sein…“ Bengee schwieg kurz. Dann sagte er: „Und? Wo geht’s diesmal hin?“ „Weiß noch nicht. Vielleicht Eis essen oder so was…“ Sie schwiegen beide eine Weile und schienen zu überlegen, was sie am Freitag tun könnten. „Wie wär’s mit einem Videoabend?“, hörte ich Bengee fragen. „Hä?“ „Ja, vielleicht erst Eis essen und dann DVDs gucken bei dir oder Paul oder wem auch immer…“ Amina schwieg kurz und schien zu überlegen. „Klingt toll!“, sagte sie schließlich, „ich frag’ mal Paul, ob er damit einverstanden ist…“ Ich hörte, wie sie Handytasten drückte. Sie schwiegen wieder. Bis Amina sagte: „So, fertig!“ Sie schwiegen wieder. Dann sah ich einen Schatten. Anscheinend hatte jemand sich kurz über mich gebeugt. Der Schatten verharrte ein paar Sekunden und verschwand dann wieder vor meinen Augen. „Sag mal…“, hörte ich Amina schließlich sagen, „dir macht es doch nichts aus, dass du jetzt jede Menge Dates mit Minty hast, oder?“ Sie schmunzelte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Bengee antwortete. „Nein…“, meinte er, „es macht mir nichts aus…“ „Oh, das ist gut!“ „Wieso denn gut?“ „Sonst müsste ich ein richtiges Date für Minty auftreiben damit sie mich begleiten kann… und du weißt, wie schwer das für Minty ist… wegen dem in die Augen Sehen und so…“ Ich spürte Bengees Blick in meinem Nacken. Sie schwiegen. Dann hörte ich Aminas Handy wieder vibrieren. „Juhu! Er hat zurück geschrieben!!“, rief Amina aufgeregt und schwieg kurz, um die SMS zu lesen, „Er findet, es ist eine tolle Idee! Auch mit schlafen?“ „Ich weiß nicht…“, meinte Bengee teilnahmslos. „Okay, dann schreib ich ihm mit!“ Ich hörte wieder das tickern der Handytasten. Dann legte Amina das Handy weg und wandte sich wieder an Bengee. „Könnten wir dann im Zweifel bei dir pennen?“, fragte sie ihn. „Ich weiß nicht, kommt drauf an. Wer denn alles?“ „Ich denke mal wir alle drei! Wenn Paul gehen müsste, wär’s doof… und wenn Minty oder ich gehen müssten ja auch oder? Also wir alle drei…“ Bengee überlegte kurz. „Joah, ich denke schon, dass das klar geht…“, meinte er schließlich. „Wär’ super…“, sagte Amina, „ich mein’ nur, meine Mutter wird’s wahrscheinlich nicht erlauben, bei Minty ist zu wenig Platz für vier und ob es bei Paul geht weiß ich nicht… Außerdem ist bei dir schön viel Platz…“ Sie schmunzelte. „Ja, das geht schon irgendwie…“, sagte Bengee. Ich hörte, wie er sich neben mir auf den Boden legte. Aminas Handy vibrierte wieder. Sie las die SMS. „Schlafen ist okay, aber nicht bei Paul…“, meinte sie, „bei ihm klappt’s nicht…“ „Ist doch egal…“, hörte ich Bengees Stimme direkt hinter mir, „bei mir geht’s bestimmt…“ „Okay…“, sagte Amina, „und was schauen wir für Filme?“ „Das was uns halt gerade zur Verfügung steht…“, meinte Bengee, „frag Paul mal, ob er ein paar gute Horrorfilme hat“ Bengee, Amina und ich liebten Horrorfilme. Zwar gruselte es uns immer dabei tierisch und wir wollten auch niemals alleine einen Horrorfilm gucken, aber zu dritt schauten wir die Filme immer gerne. Eigentlich mochte ich solche Filme nicht besonders, aber wenn man jemanden dabei hatte, an den man sich im Zweifel klammern konnte, schaute ich solche Filme sehr gern. Meistens waren diese Personen bei mir immer Amina oder Bengee. Ich hörte wieder das Tickern der Handytasten. Dann hörte ich, wie Amina das Handy weglegte. Sie schwiegen. Allmählich bekam ich wieder die Ruhe von draußen mit. Das Zwitschern der Vögel, das Rauschen des Windes durch das Gras… Hin und wieder ratterte eine Bahn still und leise auf der Straße vorbei, die meilenweit weg von uns zu sein schien. Aminas Handy vibrierte wieder. „Ja, er hat Filme…“, meinte sie, nachdem sie die SMS gelesen hatte, „aber bring du doch trotzdem noch welche von dir mit…“ Bengee gab ein Brummen von sich, das wohl anscheinend „Ja“ bedeuten sollte. Ab da sagte niemand mehr ein Wort. Amina kramte ihr Buch aus der Tasche und begann zu lesen, während Bengee und ich im Gras lagen und vor uns hin dösten. Ob Amina und Bengee wohl mitbekommen hatten, dass ich ihr ganzes Gespräch gehört hatte? Ich denke eher nicht. Ich hatte mich die ganze Zeit nicht gerührt und dem Gespräch ja auch eher im Halbschlaf gelauscht. Wir schienen noch ewig dort zu liegen. Dann sah Amina, wie die Schüler wieder in Richtung Schulgebäude gingen. „Hey“, sagte sie und fasste mich an der Schulter, „aufstehen… wir müssen wieder rein…“ Ich öffnete die Augen und blinzelte in das helle Sonnenlicht. „Man, ich hab grad so schön geschlafen…“, nuschelte ich und rieb mir die Augen. Ich sah mich um. Bengee lag neben mir und schlummerte noch friedlich. „Ich weck den wohl besser mal…“, murmelte ich. Ich rüttelte leicht aber energisch an seiner Schulter. „Aufwachen!“, sagte ich laut. Er schreckte hoch. „Hm?!“, machte er, etwas betröppelt aussehend. Ich lächelte. „Na, eingeschlafen?“, fragte ich und er nickte. Amina packte ihre Sachen zusammen und sagte: „Kommt, Leute! Macht mal hinne, die sind schon fast alle wieder drinnen!“ Bengee stolperte schlaftrunken hinter Amina her, während ich schon wieder halb unter den Lebenden war. Man könnte meinen, ich sei ein normales Mädchen, wenn man mich vom Winkel eines Außenstehenden betrachtet. Mein Leben hatte mit Amina und Bengee eine drastische Wendung genommen. Früher, als ich sie noch nicht kannte, sah man in mir ein trauriges Mädchen, das niemandem in die Augen sieht und deshalb unantastbar wirkt. Heute sieht man in mir ein fröhliches Mädchen, das lachen und Spaß haben kann, obwohl es immer noch fast niemandem in die Augen sieht. Trotzdem, dank Amina und Bengee bin ich ein mehr oder weniger normales Mädchen geworden. Ich habe die gewöhnlichen Probleme, wenn man die Visionen mal weglässt, Schule, Freundschaft und all diese Teenager-Probleme. Ich bin ihnen sehr dankbar und liebe sie auch dafür. Doch irgendwie muss ich zugeben, dass mir etwas fehlte. Ich weiß nicht genau, was es war, aber ich glaube, es war Liebe, was mir fehlte. Ich hatte nie kennen gelernt, wie es ist, wenn man jemanden hat, der einen wirklich richtig liebt. Deshalb fühlte ich mich teilweise auch traurig und leer und hatte früher, also vor Amina und Bengee, auch Depressionen. Diese sind aber mehr oder weniger abgeklungen und treten nur noch selten auf. Aber der Gedanke an Amina und Bengee munterte mich immer wieder auf, weil sie mir wirklich sehr viel bedeuteten. Der Freitagmorgen war ein gewöhnlicher Julimorgen wie eh und je. Das Wetter war perfekt. Nicht zu heiß, aber auch nicht zu kalt. Die Schule schien schnell umzugehen und wir gingen alle nach Hause, um uns dann um 15:00 Uhr an der Eisdiele zu treffen. Wir hatten alles besprochen. Erst ein Eis essen, dann Videoabend mit anschließender Übernachtung bei Bengee. Ich hatte alles am Vortag mit meiner Mutter besprochen, die auch nichts dagegen hatte. So ging ich um 13:00 Uhr nach Hause, um noch eine Runde mit Tequila zu gehen und mich dann fertig zu machen. Ich schnappte mir Tequila und ging die Treppen hinunter. Als ich heraus in den Vorgarten trat, wartete dort eine alte Bekannte auf mich. Die Katze, die ich in den letzten Tagen schon gesehen hatte, saß am Zaun und sah mich mit ihren grünlichen Augen an. Tequila begann zu hecheln und wie verrückt an der Leine zu reißen, als sie Katze sah. Das muss der Terrier in ihr sein, dachte ich belustigt und ruckte leicht an der Leine, um Tequila zu zeigen, dass sie damit aufhören sollte. Die Katze kümmerte das nicht. Sie saß immer noch entspannt da und sah mich mit einem seltsamen Blick an. Manchmal kam sie mir schon etwas unheimlich vor. Einmal, als mit Tequila einmal meine letzte Runde für den Tag machte, kam sie auf einmal aus dem Gebüsch gesprungen. Ich hatte mich sehr erschrocken. Ihre grünen Augen schienen in der Dunkelheit zu leuchten. Doch ein paar Sekunden später, in denen wir uns nur anstarrten, ging die Katze weiter und verschwand im nächsten Gebüsch. Diesmal war es genauso. Die Katze saß ruhig am Zaun und ignorierte Tequila völlig. Mich schien sie viel interessanter zu finden, denn ihre großen Augen starrten mich immer noch unverwandt an. Ich stand ebenfalls nur da und erwiderte ihren Blick, die zappelnde Tequila an der Leine haltend. Ich weiß bis heute nicht, wie lange wir dagestanden und uns angestarrt hatten, bis die Katze sich dann endlich bewegte. Sie kehrte mir den Rücken, blickte mich noch einmal über die Schulter hinweg an und lief dann langsam fort. Ich stand immer noch da. Dieser Blick. Aus ihm wurde ich nicht recht schlau. Er war so seltsam gewesen, fast menschlich… Nach meiner Runde mit Tequila schaute ich auf die Uhr. Ich war so ziemlich genau 20 Minuten weg gewesen. Doch ich hatte immer noch genügend Zeit, mich fertig zu machen. Ich leinte Tequila ab, legte die Leine weg und ging in mein Zimmer zum Kleiderschrank. „Hmm…“, überlegte ich, als ich vor dem offenen Schrank stand. Was sollte ich anziehen? Ich schien noch eine Ewigkeit da zu stehen und zu grübeln, bis ich mich dann entschieden hatte. Ein knielanger, schwarzer Rock, ein Paar dunkelblaue Chucks, ein schwarzes Top und eine rote Krawatte darüber waren das Ergebnis. Dann trat ich vor den Spiegel und überlegte, was ich wohl mit meinen Haaren anstellen und wie ich mich schminken sollte. Es schien wieder ewig zu dauern, bis ich es wusste. Ich machte einfach das Übliche. Ein wenig Wimpertusche auf die Augen und dann noch eine schwarze Umrandung mit dem Kajal. Warum mache ich eigentlich so viel Wind um meine Augen?, fragte ich mich, während ich meine Augen ummalte, ich kann doch sowieso niemanden ansehen. Aber ich schminkte mich trotzdem weiter. Als ich fertig war, stellte ich mich noch mal vor den großen Ganzkörperspiegel im Flur, um das Endergebnis zu checken. Ich war recht zufrieden. Dann schnappte ich mir meine Tasche, verabschiedete mich von Tequila und ging los zur Bahnhaltestelle. Die Bahn kam erst in 10 Minuten. Ich seufzte. Warum, beeile ich mich eigentlich?, fragte ich mich und setzte mich auf die Bank neben dem Fahrplan. Ich strich mir durch meine langen, roten Haare und dachte an das Date. Dabei fiel mir auf, dass es das erste Mal seit Langem war, dass ich wieder mal bei Bengee zu Hause war. Ich zog einen kleinen Handspiegel heraus und sah noch mal nach, ob auch nichts verschmiert war. Dann holte ich ein kleines Buch aus meiner Handtasche und begann zu lesen. Es war Angewohnheit, die ich seit Neuestem hatte. Ich weiß nicht, woher es kam, doch irgendwie ging ich in letzter Zeit nicht mehr ohne ein Buch aus dem Haus. Einige Minuten später kam die Bahn angefahren. Donnernd rollte sie zur Haltestelle und blieb schließlich stehen. Ich klappte das Buch zusammen, hielt aber einen Finger zwischen die Seiten, stieg in die Bahn und suchte mir einen Platz. Ich las weiter. Nach drei Haltestellen musste ich aussteigen. Ich packte das Buch weg und machte mich auf den Weg zur Eisdiele. Dort wartete bereits Amina. Sie winkte, als sie mich sah. Paul und Bengee schienen noch nicht da zu sein. Ich setzte mich zu ihr. „Du siehst gut aus!“, sagte sie strahlend und umarmte mich. „Danke, du aber auch!“, antwortete ich und musterte sie. Sie trug eine lange Jeans, einen rosanen Gürtel mit Blümchenmuster, ein türkises Top mit einem total süßen Teddy vorne drauf und einen knallpinken Haarreif. Wäre es nicht sie gewesen, die den Gürtel trug hätte ich ihn für kitschig gehalten. Amina zog sich gerne mal etwas schrill an. An normalen Leuten würden diese Farbkombinationen wahrscheinlich schrecklich aussehen, aber an ihr sahen sie fantastisch aus. Fast ihre gesamte Garderobe bestand aus schrillen Klamotten mit irgendetwas Kitschigem oder Kindischem vorne drauf. Ich weiß bis heute nicht, wie sie dass anstellte, in solchen fast hässlichen Kleidern so gut auszusehen. Nicht nur, dass sie gut aussah. Sie schaffte es sogar die Anziehsachen selbst perfekt aussehen zu lassen. Weiß Gott, wie sie das immer hinbekommt. Ich sah auf die Uhr. „Die Jungs verspäten sich aber…“, meinte ich und fragte mich, was wohl sein könnte. Amina nickte. Doch dann sagte sie: „Oh, schau! Da hinten ist Paul!“ Ich drehte mich um. Tatsächlich. Paul kam eilig die Straße hinunter gelaufen. Aminas Augen glänzten, als er uns erreicht hatte und sie ur Begrüßung umarmte. Er hatte seine braunen Haare wieder mal vorne hochgegelt, trug eine weite, schwarze Baggy und ein graues T-Shirt. Die silberne Totenkopfmaske und die Aufschrift „Sido – Endlich Wochenende“ fielen mir als erstes auf. Er nickte mir zu als Begrüßung und setzte sich an unseren Tisch. Dann wandte er sich an Amina. Sie redeten und ich betrachtete sein T-Shirt, während ich darüber nachdachte, wo Bengee wohl blieb. Die Totenkopfmaske auf dem Shirt schien an einer roten Steinmauer zu hängen. Über ihr stand „Sido“ und unter der Maske „Endlich Wochenende“. Unter der Aufschrift sah ich mehrere Joints und Tabletten. Mehrere Rauchschwaden rankten sich um die Schrift. „Hey Leute!“ Bengees Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Atemlos keuchend ließ er sich auf einen Stuhl neben mir fallen. „Tut mir Leid…“, meinte er, „ich habe die Bahn verpasst…“ „Ist schon okay“, sagte ich lächelnd und warf einen Blick zu Amina und Paul, die sich wieder in ein Gespräch vertieft hatten, „die beiden sind zu beschäftigt, um das bemerkt zu haben“ Der Kellner trat heraus und kam zu uns. „Möchten Sie jetzt bestellen?“, fragte er. Ich bestellte ein Spaghetti-Eis und Bengee einen gewöhnlichen Eisbecher, während Amina und Paul sich ein Früchteeis teilten. Zeit, dass die zwei auch mal mitreden, dachte ich und räusperte mich. Sie hörten es nicht. Ich räusperte mich noch mal, aber lauter. Sie reagierten wieder nicht. Nun wurde ich langsam zunehmend ärgerlich. Ich griff nach der Karte, die mit Plastik umhüllt war und schlug damit auf den Tisch, sodass ein kleiner Knall entstand. Beide zuckten zusammen und sahen mich an. „Was sollte das denn?!“, fragte Amina geschockt. „Tut mir Leid…“, sagte ich und legte die Karte beiseite, „da war eine Fliege auf dem Tisch, die ich platt machen wollte…“ Bengee sah Amina und mich belustigt an. Der kleine Schock hatte seine Wirkung getan, denn anscheinend hatte Amina nun gemerkt, dass Bengee und ich auch noch da waren. Wir redeten ein bisschen. Nach ein paar Minuten kam auch schon das Eis. Ich begann sofort zu löffeln, sobald es vor mir stand. Dann linste ich zu Paul und Amina. Paul hatte den Löffel in die Hand genommen und begonnen Amina zu füttern. Warum sind die eigentlich immer noch nicht zusammen?, dachte ich. Ich wandte den Blick ab und sah zu Bengee. Unsere Blicke trafen sich. Eine peinliche Stille trat ein. Dann wandte ich mich wieder an mein Eis. Shit, was war das denn?!, fragte ich mich, während ich mir den nächsten Löffel in den Mund schob. Plötzlich bemerkte ich die Stille, die uns umgab. Sie wurde nur hin und wieder von einem Kichern oder Flüstern von Amina unterbrochen. Ich muss was gegen diese scheiß Stille machen!, dachte ich und sah wieder zu Bengee. Dieser saß still und leise auf seinem Stuhl und stocherte lustlos in seinem Eis herum. „Was ist los?“, fragte ich ihn verwundert. Er sah mich an und schüttelte den Kopf. „Gar nichts…“, meinte er. „Bedrückt dich was?“, fragte ich noch einmal leise, „du kannst es mir ruhig sagen…“ Er lächelte. „Danke, wirklich. Aber es ist nichts…“ Ich hasse es, wenn Leute so sind, dachte ich, gab aber auf. Ich schwieg und sah ihn noch einmal an. Er hatte knielange Skater-Shorts mit Bundeswehrmuster und einen blauen Pullover mit Kapuze an. Vorne auf dem Pullover war ein Grafitti abgebildet. Ich versuchte es zu lesen, gab aber auf, denn das einzige, was ich entziffern konnte, war „Smax“ und irgendwie bezweifelte ich, dass es richtig war. Er hatte wieder seine übliche Wuschelmähne und… „Sieh an…“, sagte ich lächelnd und streckte eine Hand aus, um ihm das Pony vor den Augen weg zu streichen, „…wir sind ja wieder geschminkt“ Ich schmunzelte und ließ sein Pony los. Er sah leicht verlegen beiseite. „Na ja…“, murmelte er, „ich find’ es ganz witzig…“ Ich lächelte. „Ist doch okay!“, meinte ich, „ich finde es steht dir!“ Er lächelte. Wieder trat eine peinliche Stille ein. Mein Blick fiel auf sein Shirt. Ich musterte es erneut. „Sag mal, was steht’n da?“, fragte ich. Er sah kurz auf den Pullover und zuckte dann mit den Schultern. „Keine Ahnung…“, sagte er und sah mich an, „das einzige, was ich bisher entziffern konnte, war ’Smax’, aber irgendwie bezweifle ich, dass das richtig ist…“ Ich musste lachen. Das Eis verschwand rasch von unseren Tellern und langsam wurden Amina und Paul auch wieder ansprechbar. „Okay, nun auf zu Bengee!“, sagte Amina enthusiastisch und deutete mit dem Finger in eine Richtung. „Ehm, du Ami, zu mir geht es hier längs…“, meinte Bengee und zeigte auf die entgegen gesetzte Richtung. Peinlich berührt lachte Amina. „Oh, mein Fehler“, sie wandte sich um und zeigte nun mit dem Finger in die Richtung, in die Bengee gezeigt hatte, „auf zu Bengee!“ Schon bald waren wir bei Bengee angekommen. Bengee schloss die Tür auf und trat ein. Er gab uns eine kurze Führung durch das Haus und zeigte uns dann sein Zimmer. Ich musterte es. Amina hatte Recht gehabt, es war wirklich sehr groß, etwa doppelt so groß, wie mein Zimmer. Es war ziemlich ordentlich. In der einen Ecke stand ein riesiger Kleiderschrank mit einem Spiegel. In der anderen Ecke stand Bengees Sofa. Das war das praktische an seinem Zimmer, denn er hatte kein Bett, sondern ein ausklappbares Schlafsofa, auf dem etwa sechs Leute Platz hatten, aber natürlich nur, wenn sie sich eng aneinander legten. Gegenüber vom Sofa stand ein riesiger Fernseher. Er war genau richtig um einen guten Horrorfilm zu sehen. Auf seinem Schreibtisch, der in einer anderen Ecke stand, lagen einige DVDs bereit. Nachdem ich einen Blick auf das Zimmer geworfen hatte, drehte ich mich zu Bengee um und umarmte ihn. „Ich liebe dieses Zimmer, kann ich hier einziehen?“, fragte ich. Bengee lachte. „Na klar, wieso nicht?“ Ich ließ von ihm ab und Amina und Paul gingen an uns vorbei. Sie ließen sich auf das Sofa fallen und Paul kramte in seiner Tasche herum. Er zog ein paar DVDs heraus. „So, das hier hab ich anzubieten…“, meinte er und gab mir die DVDs. Ich musterte sie. „Sieht viel versprechend aus…“, sagte ich, gab sie an Bengee weiter und ging zum Schreibtisch. Ich besah mir Bengees DVDs. Ich nickte. „Joah, ich denke, wir sind DVD-technisch soweit versorgt“, meinte ich und drehte mich um. Bengee nickte. „Ich hol mal etwas Verpflegung…“, sagte er und ging hinaus. Ich nickte, nahm die DVDs und setzte mich neben Amina. Wir suchten schon mal einen Film aus. Der Abend war meiner Meinung nach sehr lustig. Wir schauten uns ein paar Horrorfilme an, die mich aber kalt ließen. Dann schlief ich jedoch irgendwann ein. Mitten in der Nacht wachte ich wieder auf. Verschlafen sah ich auf die Uhr die über Bengees Fernseher hing. Es war kurz nach 3 Uhr nachts. Ich blickte zur Seite und sah Amina, Bengee und Paul neben mir liegen. Sie lagen eng aneinander geschmiegt und schliefen selig. Plötzlich bemerkte ich, dass es gar nicht dunkel war. Es war hell wie am Mittag. Ich sah nach rechts und erblickte auf einmal die Katze neben mir. Sie lag eingerollt da und schlief. Ich sah wieder nach links und bemerkte, dass Amina, Bengee und Paul wach waren. Sie saßen da, als hätten sie nie geschlafen. Auch die Katze saß neben ihnen. Ihre Augen sahen aber irgendwie anders aus. Ihre Blicke waren leer. Das machte mir Angst. Die Stimmung insgesamt war irgendwie unangenehm drückend, obwohl ich nicht genau wusste, woran das lag. Plötzlich waren die anderen verschwunden und ich war allein. Es schien als würde die Dunkelheit um mich herum immer drückender. Ich hatte Angst. Ich wollte nicht mehr allein sein! Ich wollte, dass das aufhört! Ich kauerte mich zusammen. Ich fasste mir an die Schläfen und schloss die Augen fest. Auch war die Atmosphäre um mich herum nicht mehr still, sondern laut. Es war dröhnend laut, dröhnte in meinem Kopf. Ich hielt mir die Ohren zu, doch es hörte nicht auf. Ich schreckte hoch. Amina und Paul lagen neben mir. Es war alles wie vorher. Es war sehr dunkel. Eine leuchtende Digitaluhr auf dem Schreibtisch zeigte die Uhrzeit an. Es war 3:04 Uhr. Ich rieb mir die Augen. Mein Mund war ganz trocken. Ich stand auf, um mir etwas zu trinken zu holen. Schlaftrunken tapste ich aus dem Zimmer, während ich die Küche suchte. Mist, wo war die Küche noch mal?, dachte ich und ging eine Treppe hinunter. Ein Zimmer zu meiner Rechten sah viel versprechend aus. Ich ging hinein und suchte nach dem Lichtschalter. Ich fand ihn links, neben dem Türrahmen. Ich knipste ihn an und bereute es sofort. Ein grelles Licht flammte auf. Geblendet stolperte ich zu einem Schrank und holte mir ein Glas heraus. Dann ging ich zum Wasserhahn und füllte es mit Wasser. Ich trank ein paar Schlucke. So war es besser. Ich stellte das Glas neben die Spüle und ging zum Lichtschalter. Als das Licht wieder aus was, sah ich gar nichts mehr. Na toll, dachte ich, während ich mir den Weg zurück ins Zimmer suchte. Oben im Zimmer angekommen, legte ich mich wieder auf meinen Platz. Plötzlich bemerkte ich, dass Bengee nicht da war. Ich richtete mich wieder auf. War er noch da gewesen, als ich in die Küche gegangen war? Ich wusste es nicht. Vielleicht war er ja auf die Toilette gegangen. Ich hatte niemanden gehört, als ich in der Küche gewesen war. Ich stand auf und ging hinaus in den Flur. Ich weiß bis heute nicht, warum ich nach ihm gesucht hatte. Ich hätte mich ja auch einfach wieder hinlegen und weiterschlafen können. Aber stattdessen ging ich in den Flur und suchte ihn. Dass ich das tat, gab meinem Leben eine gewaltige Wendung. Ich ging durch die Flure und suchte nach ihm. „Bengee?“, sagte ich leise. Niemand antwortete. Ich ging die Treppe hinab. Auf einmal kam ich mir albern vor. Warum suchte ich überhaupt nach ihm? Es war sein Haus. Er durfte machen, was er wollte, das ging mich nichts an. Ich drehte mich wieder um, um hoch zu gehen. Doch plötzlich sah ich ein bläuliches Schimmern hinter mir. Ich drehte mich abrupt um und erschrak. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)