A Vampire´s Kiss 2: Vampire in Trier von Konnichi (Die Fortsetzung...) ================================================================================ Prolog: -------- Die Sonne versank wie ein riesiger Feuerball im Wasser, als das verrostete Frachtschiff an kleinen griechischen Inseln vorbei das ungewöhnlich stille Mittelmeer befuhr. Als es dunkel war erwachten die beiden einzigen Passagiere aus ihrem Tagesschlaf. Graf Dameon Mihaly Tanesticz öffnete seine müden grünen Augen und blickte an den Deckel des Sarges, in welchem er geruht hatte. Ein Quietschen neben ihm brachte ihn zu dem Schluss, dass seine Schwester Amalia Leana gerade ihre Ruhestätte verlassen hatte. Mit einer lässigen Handbewegung öffnete er den schweren Sargdeckel und stand auf, um sich ausgiebig zu strecken. „Ich bin am verdursten. Lass uns Essen suchen, großer Bruder“, sagte Amalia hinter ihm. „Gleich, wenn die Nachtwache angefangen hat. Und denk dran, zuerst die unwichtigen Matrosen“, antwortete er und drehte sich zu ihr um. Fast wäre er in ein, für ihn sehr untypisches, Lachen ausgebrochen, denn seine kleine Schwester lehnte an einer der Kisten mit Heimaterde und trug zu große Jeans, Absatzschuhe und ein T-Shirt mit Comicprint. „Wo ist dein Kleid? Und was soll das mit den Haaren?“, fragte er und unterdrückte mühsam das Grinsen, denn sie hatte ihre dunkle Haarpracht zu mehreren Knoten gebunden, in denen haufenweise Klammern steckten. Genervt rollte sie mit ihren großen grünen Augen, die in diesem Moment rot aufblitzten und antwortete: „Ich muss mich an die Mode gewöhnen, schließlich will ich nicht auffallen wie ein Chinese in Afrika“ Ihr Bruder brach endgültig in Gelächter aus. „Du siehst aus wie eine Witzfigur. Total lächerlich“, brachte er hervor. „Ach, du hast doch keine Ahnung“, zischte sie und wandte sich mit einer eleganten Bewegung von ihm ab, um den Frachtraum zu verlassen. Immer noch belustigt sah er ihr hinterher. Sie war zwar schon vierhundert Jahre alt, aber immer noch nicht erwachsen. Wenn diese Frau in naher Zukunft an seiner Seite die Welt regieren wollte musste sie noch viel lernen... ------------------------------------ Ich weiß, er ist kurz... Bitte nicht irritieren lassen, wenn in den ersten Kapiteln nicht wirklich darauf eingegangen wird. Und, ja, die Sache mit dem Schiff ist an Bram Stoker´s Dracula angelehnt. Tut mir leid, die Szene war so in meinem Kopf und irgendwie passt das auch so gut. Sie kommen halt mit dem Schiff und nicht mit dem Flugzeug. Kapitel 1: Ein neuer Schüler und ein folgenschwerer Fehler ---------------------------------------------------------- Andy wurde von der Sonne geweckt, die in sein Gesicht schien. Zuerst wusste er nicht, wo er war, aber als er einen schmalen Körper neben sich wahrnahm wurde es ihm wieder bewusst. Lächelnd betrachtete er seinen Freund Kato, der friedlich wie ein Engel neben ihm schlief. Bald würde er wohl aufwachen, denn die Sonne wurde intensiver und wärmer. Besorgt griff Andy nach der dünnen Decke und legte sie schützend über die kleine Person. Jetzt, da es Sommer geworden war, musste der Halbvampir Kato sich noch mehr vor den schädlichen Sonnenstrahlen schützen als sonst. Das gute Wetter verursachte ihm Schwächeanfälle, Übelkeit, Nasenbluten und Kopfschmerzen. Außerdem wurde er tagsüber immer so müde, dass er sich hinlegen musste. So konnten sie fast nur nachts zusammen sein und Andy hatte sich so langsam dem ungewöhnlichen Tagesablauf angepasst. Vormittags Schule, danach schlafen und nachts totale Freiheit mit Kato. Allerdings bekam er so noch weniger Sonne ab als sowieso schon und war bereits fast so blass wie sein Freund. Um diese Tatsache zu ändern trat er auf seinen neuen Balkon (sie hatten im April umgebaut), zog von außen das kaputte Rollo etwas nach unten und legte sich, nackt wie er war, auf die Sonnenliege. Nach einer unbestimmten Zeit nickte er ein und wurde von einer leichten Berührung wieder aus dem Schlaf gerissen. Kato saß neben ihm auf der Lehne, verhüllt durch das Betttuch, und zog mit der Fingerspitze seine Bauchmuskeln nach. Als er merkte, dass der blonde Junge wach war lächelte er und beugte sich nach vorne, um ihn sanft zu küssen. „Ich wünschte, wir könnten uns zusammen sonnen“, sagte er und sein rumänischer Akzent unterstrich die Melancholie in seiner Stimme. „Das können wir doch. Du bleibst dabei halt angezogen“, antwortete Andy aufmunternd. Kato grinste dämonisch. „Du glaubst doch wohl nicht, dass ich lange angezogen bleiben kann, wenn du nackt vor mir liegst“ Seine blasse Hand wanderte den Bauch entlang und immer tiefer, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Bei diesen Berührungen hatte der Untere Mühe, sich unter Kontrolle zu halten und die Hand wieder wegzuschieben. „Nicht hier. Die Nachbarn könnten uns wieder zugucken. Außerdem müssen wir gleich in die Schule“, sagte er und erhob sich. Sie hatten vor einigen Tagen auf dieser Sonnenliege hemmungslosen Sex gehabt, sehr zur Faszination sämtlicher Nachbarn. Es machte Andy nichts aus, wenn sie ihn nackt in der Sonne liegen sahen aber, dass sie ihn dabei beobachteten wollte er nicht. Mit einem Lächeln ging Kato wieder in das Zimmer und ließ schon auf der Türschwelle das Betttuch fallen, sodass seine blasse Haut kurz im Sonnenlicht erstrahlte. Andy folgte ihm und schloss die Tür hinter sich. Eine wundervolle Art, einen neuen Tag zu beginnen... Wie so oft in letzter Zeit kamen sie zu spät in der Schule an. So verpassten sie auch, dass sie kurz vor den Sommerferien noch einen neuen Schüler bekommen hatten. Sein Name war Ísak Elvarson, er kam aus Island, war etwas älter als die anderen Schüler und wirkte fast so verloren wie Kato am ersten Tag in dieser Schule. Allein schon deswegen (und wegen Ísaks coolem Punk-Stil) ging Andy direkt freundlich auf ihn zu. Kato selbst war zwar auch nett zu ihm, hielt sich aber eher im Hintergrund. „Ich kenne ihn irgendwoher. Aber ich komm´ nicht drauf...“, sagte er in der Pause zu seinem Freund. Wie es aussah schien der Neue ihm ziemlich suspekt zu sein. Vielleicht war er aber auch eifersüchtig, was Andy wiederum extrem süß fand. Der Rest des Tages verging ziemlich schnell. „Was macht ihr jetzt?“, fragte Ísak mittags nach der letzten Stunde. „Wir äh, gehen schlafen“, antwortete Andy, dem nicht schnell genug etwas Anderes einfiel. „Miteinander?“, fragte der Isländer und zog eine Augenbraue hoch. Er hatte es also gemerkt, obwohl sie ihre Beziehung nicht mehr so provokant offensichtlich zeigten und eigentlich miteinander umgingen wie beste Freunde. „Ja... und?“, antwortete Andy, der keinen Sinn darin sah, ihre gewöhnlichen Aktivitäten zu leugnen. „Nichts und. Wollte nur wissen, ob ich Recht habe. Viel Spaß dann“, sagte Ísak und verschwand in Richtung Bushaltestelle. „Komischer Vogel“, murmelte Andy und erschrak fast über Katos bösen Blick, den er dem Jungen hinterherwarf. „Jetzt weiß ich es wieder. Lass uns gehen, ich erklär´s dir wenn wir im Schatten sind“, sagte er und sie machten sich auf den Weg. Als sie in dem abgedunkelten Schlafzimmer angekommen waren, war Andy schon übelst gespannt, was er jetzt wieder erfahren würde. Und Kato erzählte es ihm tatsächlich ohne weitere Aufforderung: „Du kennst meine Vergangenheit. Er kennt sie auch und spielt sogar eine Rolle in meiner Geschichte. Ich hatte mal was mit ihm, allerdings mehr gezwungen als freiwillig. Er war für eine kurze Zeit mal mein Dealer und irgendwann waren wir halt zusammen. Als ich Schluss machen wollte hat er dafür gesorgt, dass keiner mir mehr Stoff verkauft und mich so gezwungen wieder zurückzukommen und vor ihm auf Knien um Vergebung und Drogen zu betteln. Dann verschwand er von einem Tag auf den anderen“ Ja, Andy kannte seine Vergangenheit, sonst wäre er jetzt geschockt gewesen. „Und warum konntest du dich nicht mehr an ihn erinnern?“, fragte er. „Ich war auf Drogen, Mann. So richtig krass auf Drogen. Viele Sachen aus dieser Zeit sind total vernebelt“, antwortete Kato kopfschüttelnd, als ob er versuchen wollte, sich die Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen. „Wie wirst du damit umgehen, dass er auf einmal da ist und du ihn jeden Tag sehen musst?“, fragte sein Freund besorgt. „Das werde ich sehen. Außerdem hab ich ja dich und wenn du in der Nähe bist mache ich mir keine Sorgen wegen ihm“ Er sah zu Boden und blickte Andy dann nervös an. „Du hilfst mir doch, oder?“, fragte er dann. „Wie kannst du mich so was nur fragen. Natürlich helf´ ich dir!“ Er umarmte den unsicheren Jungen, der sich sofort erleichtert an ihn kuschelte. „Ich schäme mich für die ganzen Sachen, die ich damals so gemacht hab“, meinte der Schwarzhaarige ohne aufzusehen. „Das musst du nicht. Es war nicht deine Schuld, dass du an die falschen Kerle geraten bist... Und jetzt ruh dich aus. Entspann dich; ich bin ja hier“, entgegnete sein Freund beruhigend. Tatsächlich schlief der Kleinere nach fünf Minuten schon tief und fest. Andy sah ihm eine Zeit lang beim Schlafen zu, bis er selbst einnickte. Er erwachte in der Abenddämmerung von einigen unruhigen Bewegungen an seiner Seite. Kato warf sich im Schlaf herum und murmelte vor sich hin. Andy verstand mittlerweile so viel Rumänisch, dass er sich ungefähr vorstellen konnte, was sein Freund träumte. „Nu!... înceta... pleacă!“(*), rief der träumende Junge und kämpfte mit der Bettdecke. „Kato! ... Kato, wach auf“, sagte Andy und versuchte ihn wach zu schütteln, was einiges an Anstrengung erforderte. „Ce...(**) Was ist los?“, fragte Kato verwirrt und immer noch im Halbschlaf. „Du hattest einen Albtraum. Ist alles okay?“, meinte der Andere besorgt. Jetzt erst wurde der Schwarzhaarige richtig wach und die Erinnerung kam zurück. „Ich hab von ihm geträumt... von damals“, murmelte er und drückte sich verängstigt an seinen Freund, der ihn in den Arm nahm und beruhigend seinen Rücken streichelte. Was musste das ein schreckliches Gefühl sein, wenn die Vergangenheit einen einholte, überlegte Andy. Besonders, wenn sie so schmerzhaft war wie die von Kato. Die Vergangenheit war für sie beide grundsätzlich ein Fallstrick, der ab und zu mal vor ihnen auftauchen würde. Sie saßen kurz so da, dann regte Kato sich plötzlich. Er leckte Andys Schlüsselbein entlang, bis er an seinem Hals angekommen war. Der Größere fragte sich grade, was das denn nun sollte als er die spitzen Zähne seines Freundes an seiner Halsschlagader spürte. Sanft aber bestimmt schob er den Halbvampir von sich. „Kato, mein Schatz, hast du heute deine Tablette genommen?“, fragte er. Er fand es zwar immer noch unheimlich erregend, dass Kato ab und zu sein Blut trank, aber wenn er seine Medizin nicht vor acht Uhr genommen hatte, konnte es schnell sehr gefährlich werden. Dann geriet sein Blutdurst außer Kontrolle und er könnte aus Versehen jemanden töten. „Die brauch ich nicht mehr... Andy, ich hab schrecklichen Durst“, flüsterte der Angesprochene und warf ihm einen glühenden Blick zu. Sie waren schon öfters in dieser Situation gewesen und Andy wusste genau, was er zu tun hatte. „Natürlich brauchst du die noch“, sagte er und ergriff die Tablettendose auf dem Nachtschrank. „Bitte, ich will sie nicht nehmen... Sie sperrt mich ein, nimmt mir meine Persönlichkeit. So bin ich doch viel besser. Auch für dich, weißt du. Ich könnte dich auf eine Art und Weise befriedigen, die du niemals für möglich gehalten hättest. Zwing mich nicht, dieses Gift zu schlucken“, flehte Kato. Wie oft hatte er das schon zu ihm gesagt. Aber niemals hatte er dabei so verzweifelt ausgesehen wie heute. Doch Andy wusste, dass er nicht schwach werden durfte. Es hätte für sie beide schreckliche Folgen. „Kato, du musst sie nehmen, ich bitte dich. Um deiner Seele willen“, sagte er eindringlich aber es half nichts. „Meine Seele hat Schmerzen, wenn ich das tue. Ich fühle mich danach immer als hätte man mir meine Flügel abgeschnitten“ Andy verfluchte innerlich die Überzeugungskraft und den sturen Kopf seines Freundes und versuchte noch einmal ihn zu überreden. Kato hatte ihm immer wieder klargemacht, dass er in dieser Situation auf keinen Fall nachgeben durfte aber die Verzweiflung in seinem Blick traf Andy mitten ins Herz. Nein, das durfte er nicht. Er durfte nicht schwach werden. Als Ablenkung ließ er wieder zu, dass Kato seinen Hals küsste und nahm eine von den Tabletten in den Mund. Das hier musste klappen, sonst war er möglicherweise geliefert. Er brachte seinen Freund dazu sich auf das Bett zu legen, beugte sich über ihn und küsste ihn, wobei er die Tablette in seinen Mund wandern ließ. Vor lauter Überraschung schluckte Kato sie runter und zuckte einige Sekunden später erschrocken zusammen. „Oh nein, Andy... Es tut mir so leid... es tut mir so unglaublich leid“, sagte er, richtete sich auf und wandte sich beschämt von ihm ab. „Du kannst doch nichts dafür; es ist nunmal deine Natur. Mach dich nicht schon wieder fertig deswegen“, entgegnete sein Freund und umarmte ihn zärtlich. Kato nahm sich diese Zwischenfälle immer so zu Herzen. Er hatte sogar wieder angefangen sich selbst zu verletzen nachdem es zum ersten Mal passiert war. Verzweifelt befreite er sich aus der Umarmung und machte Anstalten aufzustehen. „Ich... ich muss kurz...“, murmelte er verwirrt und erhob sich. Andy hielt geistesgegenwärtig seinen Arm fest. In diesem Zustand durfte er seinen Freund nicht allein lassen, sonst würde er sich möglicherweise ernsthaft wehtun. „Musst du nicht. Bleib hier, bitte“, sagte er und zog ihn wieder auf das Bett. Wenn Kato wirklich gehen wollte, hätte Andy keine Chance dazu, denn sobald es Nacht wurde, war der Halbvampir übernatürlich stark (tagsüber war das eine ganz andere Sache). Er umarmte ihn wieder und der Kleinere brach in Tränen aus. „Ich bin ein Monster... vom Teufel besessen“, schluchzte er. „Nein, das bist du nicht. Kato, mein Schatz, glaub mir, du bist ein unglaublich liebenswerter süßer Junge, der bloß ein kleines Problem hat... Jetzt mach dich nicht fertig. Es ist ja nichts passiert“, entgegnete Andy. „Ja, es ist noch nichts passiert. Was wäre denn gewesen, wenn ich dich im Schlaf angegriffen hätte? Ich hätte dich töten können“ Verzweifelt stieß er Andy wieder weg und richtete sich auf. Kurz zögerte er und erhob sich dann wieder. Er schnappte sich seine Sachen. „Andy, du weißt, dass ich dich über alles liebe. Aber... es ist einfach zu gefährlich. Ich will nicht, dass du verletzt wirst. Halt dich von mir fern, das ist besser für dich... Es ist aus mit uns“, sagte er unter Tränen und löste sich in Luft auf, bevor der Andere etwas sagen konnte. Verstand er richtig? Hatte Kato gerade mit ihm Schluss gemacht? ----------------------------------------- (*)„Nein! ... aufhören... geh weg!“ (**)Was... (Ich kann kein Rumänisch. Hab das im Internet-Wörterbuch nachgeguckt. Falls jemand Rumänisch kann und das da falsch übersetzt ist, bitte Bescheid sagen) Kapitel 2: Schluss, Aus, Vorbei? -------------------------------- Andy brauchte eine Minute, um zu realisieren, was gerade passiert war. Er sprang auf und eilte nach draußen, um Kato zurückzuholen. Aber der Junge war verschwunden. Natürlich, er hatte sich ja in Luft aufgelöst. Wahnsinnig vor Sorge rannte er zurück ins Haus und rief bei ihm zu Hause an. Sein Cousin Toto meldete sich. Atemlos erzählte Andy ihm, was passiert war. „Sag mir Bescheid, wenn er da ist, okay? Ich hab Angst, dass er sich was antut... Ich geh ihn jetzt suchen“, sagte er und legte auf, bevor Toto ihn aufhalten konnte. Er wusste selbst, dass es keinen Zweck hatte mit Kato in diesem Zustand zu reden, aber er musste ihn einfach finden. Wenn sie sich beide wieder beruhigt hatten konnte er immer noch die Situation klarstellen. Aber bis dahin musste er ihn davon abhalten, etwas Dummes zu machen. Das würde schon alles wieder werden. Kato hatte das nicht ernst gemeint; auf keinen Fall. Er würde niemals mit ihm Schluss machen, dafür liebten sie sich viel zu sehr. Andy lief zu dem Friedhof, auf dem sie an Weihnachten das Picknick gemacht hatten. Aber dort war nirgends eine Spur von seinem Freund zu sehen. Von der nächsten Bushaltestelle aus fuhr er in die Innenstadt zum Hauptfriedhof. Hier waren sie an Halloween gewesen aber Kato war nicht da. Er rannte zur letzten plausiblen Möglichkeit: Lidia. Wenn der Halbvampir zu irgendwem flüchten würde, dann zu ihr. Und tatsächlich; die Beiden saßen auf einem Grabstein und sprachen kein Wort. Kato weinte vor sich hin und Lidia hatte einen Arm um ihren Cousin gelegt. Das Mädchen entdeckte Andy zwischen den Gräbern und gab ihm ein Zeichen, bloß wieder abzuhauen. Ja, das war wohl im Moment das beste. Immerhin war Kato nicht allein. Andy verließ den Friedhof wieder und rief Toto von seinem Handy aus an, um ihm Bescheid zu sagen, dass alles okay war. Danach lief er ziellos in der Stadt herum und fuhr schließlich wieder nach Hause. Er bediente sich am Whiskyvorrat, damit er schlafen konnte und legte sich ins Bett. Trotzdem schlief er kaum. Irgendwann stand er wieder auf und beschloss, seine Hausaufgaben zu machen, weil er sonst nichts besseres zu tun hatte. Der nächste Morgen kam schon bald und er ging erwartungsvoll zur Schule. Aber Kato war nicht da. Na ja, das war ja auch kein Wunder. Andy fühlte sich den ganzen Tag als ob seine zweite Hälfte fehlte. Zu allem Überfluss wurde er in der Pause mal wieder von ein paar Schlägertypen herumgeschubst. Das war ihm schon oft passiert, aber irgendwie machte es ihm heute noch mehr aus. Er bekam den Tag irgendwie rum und gegen Abend fuhr er zu Kato. Er musste einfach mit ihm reden. Nervös klingelte er und wartete. Toto öffnete die Tür und sah ihn traurig an. „Es tut mir leid, Andy. Er will dich nicht sehen. Obwohl er sich so angehört hat als ob er das nicht ernst meint. Ich soll dir ausrichten, dass du dich von ihm fern halten sollst, wenn du weißt was gut für dich ist“, sagte er leise und wollte die Tür schon wieder zuschlagen. „Warte... Toto, bitte lass mich rein. Ich muss mit ihm reden. Wir müssen das in Ordnung bringen“, sagte Andy und tatsächlich öffnete sich die Tür wieder. „Das ist keine gute Idee. Es würde im Moment nichts bringen mit ihm zu reden. Du weißt, er hat einen unglaublich sturen Kopf und ein Vampir-Temperament noch dazu. Lass ihn sich erstmal abregen; gib ihm ein bisschen Zeit“, entgegnete der Kleinere. Er hatte Recht. Unverrichteter Dinge kehrte Andy nach Hause zurück. Wütend und verzweifelt gönnte er sich einen ordentlichen Whisky und schlief vor dem Fernseher ein. Als er am nächsten Tag in die Schule kam erwartete Kato ihn vor dem Schultor. Er wollte freiwillig mit ihm reden? War er krank? Verwundert folgte Andy ihm in eine verlassene Seitenstraße. „Hör zu, Andy. Ich weiß du wirst mich nicht verstehen, aber ich habe eine Bitte an dich... Ich brauche... Abstand, okay? Es ist besser für uns beide, wenn wir nicht mehr zusammen sind. Es tut mir leid“, sagte der Kleinere ohne ihn anzusehen. „Das kannst du nicht von mir verlangen. Du weißt, dass ich dich über alles liebe... Kato, bitte. Seit ich mit dir zusammen bin, kann ich endlich wieder leben... bitte, verlass mich nicht“, erwiderte Andy flehend. „Es geht nicht anders. Wir können nicht mehr zusammen sein. Hast du vergessen, was vorgestern passiert ist?“ Jetzt sah Kato ihn endlich an. In seinen Augen waren keine Gefühle mehr zu erkennen; sein Blick war leer und stumpf. „Und hast du vergessen, was wir hatten? Willst du nicht wenigstens versuchen darum zu kämpfen, anstatt alles wegen einem kleinen Zwischenfall auseinander brechen zu lassen?“, rief Andy verzweifelt. „Wir hatten gar nichts. Es war alles eine Lüge. Ich habe dir was vorgespielt, damit ich dich ficken konnte, das ist alles. Es hat nichts bedeutet“, sagte Kato eiskalt und ließ ihn in der Straße zurück. Nein, das konnte nicht sein; das durfte nicht sein! Das hatte er nur so gesagt; das war nicht die Wahrheit! Andy wiederholte diese Worte ständig in seinem Kopf während er durch die Stadt irrte. Am Moselufer ließ er sich verzweifelt im Gras nieder. Was sollte er denn nun glauben? Hatte er Kato wirklich nichts bedeutet? Oder hatte der Junge das nur gesagt, um ihm so wehzutun, dass er ihn freiwillig in Ruhe ließ? Ja, das musste es sein. Wenn er ihn nie geliebt hätte, wäre er damals nach seinem Selbstmordversuch nicht zu ihm gekommen. Wenn es ihm nur um Sex ging, hätte er damals auch bei dem Kunstlehrer bleiben können, der es ihm ja anscheinend gut besorgt hatte. Unwillkürlich erinnerte Andy sich an das, was er letzten Winter im Kunstraum beobachtet hatte. Er sah Katos Gesicht wieder vor sich, das gleichzeitig Schmerzen und Lust widergespiegelt hatte. Mit einem Schaudern versuchte er diese Gedanken aus seinem Kopf zu verdrängen. Er musste aufhören darüber nachzudenken. Da war etwas ganz Besonderes zwischen ihnen und auch Katos leere Worte konnten das nicht ändern, egal wie oft er es sagte und egal wie gemein er dabei klang. Entschlossen stand er wieder auf und wanderte am Ufer entlang. Als er eine der Brücken vor sich auftauchen sah musste er zu allem Überfluss auch noch an seinen Bruder denken. Nein, das durfte er nicht. Er durfte nicht denselben Weg gehen; er musste das wieder hinbiegen. Umbringen konnte er sich immer noch, wenn er es nicht schaffte. Er würde diese Beziehung nicht einfach so den Bach runtergehen lassen. Kato wollte Abstand? Gut, den sollte er haben. Sie hatten die letzten Monate wirklich permanent aneinander gehangen. Vielleicht war es tatsächlich gut, wenn sie mal ein bisschen voneinander ließen, damit sie merkten, wie viel sie sich gegenseitig bedeuteten. Andy sah das ein, aber auch die Erkenntnis half nichts. Er wollte Kato zurück und zwar sofort. Die nächsten Tage waren eine Qual für Andy. Jeden Tag stand er Kato gegenüber aber der ignorierte ihn einfach und ging ihm aus dem Weg. Räumlich waren sie sich so nah und trotzdem so weit entfernt voneinander. Er bemerkte auch zu seinem Schrecken, dass Kato und Ísak immer mehr miteinander zu tun hatten. Dabei hasste Kato seinen einstigen Dealer und Peiniger doch. Oder nicht? Wahrscheinlich hingen sie nur so zusammen, weil Ísak Rumänisch sprach und Kato sich mit ihm unterhalten konnte, ohne sich anzustrengen. Und der Isländer war nicht besonders gut in der Schule. Kato dagegen war ein Genie und erklärte ihm anscheinend viele Sachen. Genauso hatte es bei ihnen auch angefangen! Nein, das war nur Zufall. Das war alles ein blöder Zufall. Andy saß in seinem Zimmer und grübelte fieberhaft über ihre Situation. Er vermisste Kato so sehr, dass es ihn innerlich in Stücke riss. Er musste ihn zurückgewinnen, besser heute als morgen. Der Abend dämmerte schon als er entschlossen das Haus verließ und zu Kato fuhr. Mit jedem Schritt wuchs seine Entschlossenheit und als er auf die Klingel drückte war er sogar bereit sich seinen Weg freizuschießen. Wenn er denn eine Pistole gehabt hätte. Niemand öffnete die Tür; auch nach dem fünften Klingeln nicht. Aber sie waren da, das wusste er. Er hatte gedämpfte Stimmen aus Richtung der Küche gehört und beide Autos hielten auf dem Hof. Wütend ging er um das Haus und stellte sich mitten in den Garten. Er rief so laut er konnte nach Kato aber nichts rührte sich. Plötzlich ging eins der Fenster in der ersten Etage auf. Toto streckte den Kopf heraus und rief: „Er ist nicht da, Mann. Tut mir leid. Soll ich ihm was ausrichten?“ Andy verzweifelte so langsam aber sicher wirklich. „Sag ihm ich will endlich richtig mit ihm reden. Ach, wieso sag ich dir das eigentlich. Er steht doch sicher hinter dir und hört zu“, rief er nach oben und verschwand wutentbrannt aus dem Garten und nach Hause. Seine überschüssige Energie ließ er an einem Stapel Holz aus und schließlich auch an sich selbst. Er war so unfähig. Wenn er sich weiter so blöd anstellte würden sie nie wieder zusammenkommen. In der folgenden Woche versuchte er alles, um mit Kato zu reden, aber es klappte einfach nicht. Der Andere machte immer mehr dicht und baute eine dicke Mauer zwischen ihnen auf. Und gesund sah er auch nicht aus. Das war nicht mehr die edle Vampirblässe, das war einfach nur noch eine sehr kranke Hautfarbe. Außerdem wurde er immer dünner und alles schien ihm gleichgültig zu sein. Andy hatte einen furchtbaren Verdacht, warum das so war. Er war nicht krank; er hatte einen Rückfall erlitten und war wieder drogenabhängig. Als er versuchte Katos Schwester Ina darauf anzusprechen sagte sie bloß, das wäre Quatsch und ließ ihn stehen. Freitagabends hielt er es nicht mehr aus. Besorgt, verzweifelt und wütend fuhr er wieder zu Kato. Diesmal würde er sich nicht abwimmeln lassen. Entschlossen klingelte er Sturm und tatsächlich öffnete Toto die Tür und versuchte wieder ihn wegzuschicken. „Vergiss es. Diesmal wirst du mich nicht los. Ich halt es nicht mehr aus, ich muss mit ihm reden“, sagte er und schob sich an dem Jungen vorbei ins Haus. „Andy, nicht...“, rief Toto noch, aber er war bereits die Treppen hochgestürmt und stand vor der Zimmertür, die er mit etwas weniger Schwung öffnete. Geschockt erstarrte er auf der Türschwelle. Kato lag nackt auf dem Bett aber er war nicht allein, nein, Ísak war bei ihm und die Beiden hatten offensichtlich gerade Spaß. Ihr lautes Gestöhne erfüllte den Raum und sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihn bemerken konnten. Andys Welt brach zusammen. Wie konnte er nur? Wie konnte er nur?! Fluchtartig verließ er den Raum wieder und schloss die Tür, damit er dieses ekelerregende Bild nicht mehr sehen und die Beiden nicht mehr hören musste. Er rannte aus dem Haus, vorbei an Toto, der ihn entschuldigend ansah und ihm zögerlich folgte. Als Andy außer Sichtweite des Hauses war schlug er sich in die Büsche und übergab sich schmerzerfüllt. „Andy... Geht´s dir gut? Kann ich was für dich tun?“, fragte Totos Stimme hinter ihm. „Ich kann es nicht glauben... Er treibt es mit diesem Mistkerl als ob... als ob er ihn lieben würde... Das darf einfach nicht wahr sein“, antwortete der Angesprochene ohne auf ihn einzugehen. „Andy, glaub mir: Er liebt nur dich. Er ist nicht ganz bei sich. Man könnte meinen er hätte den Verstand verloren, so wie der sich aufführt“, sagte der Jüngere und musste beobachten wie sein Gesprächspartner den Kopf gegen einen Baum schlug. „Ich verliere auch gleich den Verstand, wenn das so weitergeht“, sagte der Blonde mit Tränen in den Augen. „Hey, mach nichts Dummes, Mann. Ich hole dir ein Glas Wasser und dann setzen wir uns zusammen und reden drüber, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand er in Richtung Haus. Als er allein im Wald stand brachen die ganzen Gefühle über Andy herein. Er fühlte sich so unglaublich enttäuscht, verletzt und hintergangen. Warum tat Kato ihm das an? Vielleicht hatte er die Wahrheit gesagt und es war wirklich alles eine Lüge gewesen. Warum sonst würde er ihm so wehtun, ihm sein Herz rausreißen und es zerfetzen. Er konnte diesen Gedanken einfach nicht ertragen. Toto stand wieder vor ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. Er drückte Andy ein Glas in die Hand und zog ihn am Ärmel in irgendeine Richtung. Vor einem Abhang blieben sie stehen und der Kleinere ließ sich auf einer Steinmauer nieder. Er zog Andy neben sich und legte leicht seinen Arm um ihn. „Jetzt trink endlich. Das wird dir gut tun“, sagte er. Folgsam nahm der Andere einen Schluck und hätte fast alles wieder ausgespuckt vor Schreck. Das war gar kein Wasser, das war Wodka. „Hast recht. Das Zeug tut immer gut“, meinte Andy mit heiserer Stimme und lächelte sogar fast. Toto grinste ihn an, wurde aber gleich wieder ernst. „Weißt du, das hier ist alles nicht mehr so wie es sein sollte. Kato und du, ihr gehört einfach zusammen. Als ihr zusammen wart, war er wieder der glückliche Kato, so wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne und liebe. Außerdem bist du der erste von seinen Freunden, den ich mag. Du bist echt korrekt, Mann. Und jetzt... Diese nächtlichen Zwischenfälle haben ihn schon länger belastet und es war klar, dass es irgendwann eskalieren würde. Er hat mit dir Schluss gemacht, weil er dich schützen will. Er war total fertig und dann kam dieser Typ wieder daher, den er von früher kennt. Er hat seine Schwäche ausgenutzt und ihn wieder unter Drogen gesetzt, so wie damals...“, erzählte Toto und Tränen stiegen in seinen Augen auf. „Aber vorhin... das sah nicht aus als hätte er ihn dazu gezwungen. Bist du dir sicher, dass Kato nicht auf ihn steht?“, fragte Andy unsicher. Es war Katos Gesichtsausdruck, der diesen Zweifel in ihm ausgelöst hatte. „Ich bin mir sicher. Er gibt ihm eine Sex-Droge. Kato ist heroinabhängig und durch dieses Zeug auch noch sexsüchtig. Das ist eine echt gefährliche Mischung. Kannst du dir vorstellen, wie er drauf ist? Ihm ist alles egal. Es ist kaum noch möglich, mit ihm unter einem Dach zu leben“ Wütend trat Toto gegen die Mauer. Andy hatte plötzlich eine furchtbare Ahnung. „Hat er dir was getan, als er auf einem Trip war?“, fragte er und hoffte Unrecht zu haben. Toto biss sich auf die Lippe und starrte vor sich hin. Dann sah er Andy verzweifelt an. „Er hat versucht mich zu vergewaltigen... Er sagte er bräuchte Sex und, dass ich so süß wäre und er könnte mir ansehen, dass ich es auch will... Dann hat er mich geküsst, ausgezogen und sich auf mich gestürzt. Einen Moment lang hab ich überlegt ihn machen zu lassen. Ich meine, er ist mein Cousin für den ich alles tun würde... und er ist heiß. Zum Glück kam grade meine Mutter heim, sonst weiß ich nicht, wo das noch hingeführt hätte... Aber ich kann ihm nicht böse sein; er weiß ja nicht was er tut... Ich hasse diesen Ísak, den Dreckskerl, der hat ihn zu dem gemacht, was er jetzt ist. Am Liebsten würde ich ihn töten!“ Toto brach in Tränen aus. Geschockt und besorgt nahm Andy ihn in den Arm und zog ihn an sich. So saßen sie da, zwei verzweifelte Jungs, die nicht mehr weiterwussten. Irgendwann gingen Toto die Tränen aus und er löste sich wieder von Andy. Wenn er so verheult und verzweifelt guckte ähnelte er Kato noch mehr. „Du darfst ihn nicht töten. Mach dir deine unschuldigen Hände nicht an ihm dreckig. Wenn ihn hier jemand umbringt, dann bin ich das“, sagte Andy und wischte ihm zärtlich die Tränen aus dem Gesicht. Sie sahen sich so ähnlich! Und sie waren sich auch ähnlich, das hatte er jetzt bemerkt. Es war als würde er in Katos Gesicht blicken, das er so vermisste. Er könnte ja Toto als Ersatz... Nein, das konnte er nicht bringen, das war unmenschlich. Aber er wollte es nur einmal kurz ausprobieren. Vorsichtig beugte er sich nach vorne und legte seine Lippen auf die des jungen Halbvampirs, der ein erschrockenes Geräusch von sich gab, ihn nach ein paar Sekunden von sich schob und fassungslos anstarrte. Andy schreckte hoch und erkannte, was er getan hatte. „Es tut mir leid... oh nein, was ist bloß in mich gefahren?... Verzeih mir, es ist nur... du siehst ihm so ähnlich... Oh shit, was hab ich getan?“, stotterte er zusammenhanglos und verwirrt über sich selbst. Er wollte aufstehen, aber Toto hielt ihn fest. „Macht nichts, wirklich. Ich kann das verstehen. Du vermisst ihn halt, genau wie ich“, sagte er ehrlich. Ohne ein weiteres Wort lehnte er sich an Andy und kuschelte sich an seine Schulter. Der Größere nahm ihn wieder in den Arm. Körperlich fühlte es sich genauso an wie mit Kato. So saßen sie da, zwei verzweifelte Jungs, vereint in ihrem Hass auf Ísak und ihrer unbändigen Liebe für Kato. Und sie würden alles tun um den, den sie liebten wieder zurückzukriegen. Kapitel 3: Chaos ---------------- (Soviel schonmal vorweg: Was die da im ersten Teil tun ist vollkommen legal, hab das nachgeprüft. Allerdings wird noch öfters moralisch darauf eingegangen) Sie sollten auf Klassenfahrt fahren. Andy hatte keine Ahnung wie er das aushalten sollte. Jeden Tag würde er die Beiden sehen, wie sie in aller Öffentlichkeit rummachten. Zu allem Überfluss mussten sie sich auch noch ein Zimmer teilen! Das würde er nicht überleben. Die Zimmereinteilung war schon vor Wochen gemacht worden und er hatte sich gefreut, dass er eine Woche lang mit seinem Freund zusammen wohnen würde. War das hier alles eigentlich so eine Art Strafe? Anders konnte man sich das nicht erklären. Am Abend vor der Abfahrt saß er wieder mit Toto auf der Steinmauer. „Sag mal, wie weit würdest du gehen, um Kato zurückzuholen?“, fragte der Jüngere. „Ich würde alles tun. Nicht nur, damit ich ihn wiederhabe, sondern auch für ihn selbst. Er bringt sich mit diesen Drogen noch um, wenn er nicht bald davon loskommt“, antwortete Andy. Tatsächlich war Kato immer dünner und kranker geworden in letzter Zeit. „Ganz ehrlich: Würdest du für ihn töten?“ Toto meinte diese Frage ernst, das war nicht zu überhören. „Ja, das würde ich“, antwortete Andy, der ungefähr wusste, worauf das alles hinauslief. „Ich hab einen Plan... Du wirst Ísak töten, in der Nacht, wenn alle schlafen“ Andy hatte gewusst, dass er das sagen würde. „Und wie stellst du dir das vor? Da kann ich ihn ja gleich auf offener Straße erschießen und mich der Polizei stellen“, meinte er hoffnungslos. „Du schlafwandelst doch, oder nicht? Na ja, es kam schon öfters vor, dass Schlafwandler nachts Leute umgebracht haben... Kato hat einen Dolch, den er immer mitnimmt wenn er wegfährt. Er lässt ihn in seiner Tasche unter dem Bett. Es ist ganz einfach: Du schnappst dir den Dolch und erstichst Ísak. Pass auf, dass du was von seinem Blut abkriegst, damit der Verdacht auf dich fällt und nicht auf Kato. Dann legst du dich wieder schlafen und wartest einfach ab. Wenn Kato erstmal von ihm befreit ist, wird er zurückkommen. Bist du dabei?“ Toto sah ihn entschlossen und bittend an. Wenn er nein sagte, würde der Kleine es selbst erledigen und das wollte er unbedingt verhindern. „Ich bin dabei... Du bist ein Genie; ich wäre da niemals drauf gekommen“, antwortete er und küsste seinen Gegenüber auf die Stirn. Er war sich sicher, dass er im entscheidenden Moment zustechen würde. Selten hatte er jemand so gehasst, dass er ihn umbringen konnte. Aber dieser Ísak war wirklich ein verachtenswertes Wesen und hatte den Tod verdient. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als Toto seine Hand ergriff. „Andy... sag mal, magst du mich?“, fragte er. Was sollte denn das jetzt? „Natürlich mag ich dich. Wieso fragst du das?“ Der Kleinere sah ihn an und in seinem Blick war etwas, das Andy komisch vorkam. „Weißt du, ich glaube du hängst nur mit mir ab, weil ich Kato so ähnlich sehe. Und irgendwie stört mich das, ich weiß auch nicht... Vielleicht liegt es daran, dass ich dich echt gern hab und ich will eigentlich nicht, dass du mich nur als Ersatz für ihn siehst. Aber wenn es nur so geht...“, antwortete er und errötete leicht. „Aber Toto, so ist das doch gar nicht. Ich mag dich wirklich... Damals als wir zum ersten Mal hier gesessen haben hab ich dich geküsst, weil du ihm so ähnlich siehst. Ich wollte dich zuerst als Ersatz für Kato. Ich dachte, wenn ich ihn nicht haben kann, dann wenigstens dich. Jedes Mal, wenn ich dich gesehen oder berührt hätte, hätte ich mir eingebildet du wärest er. Aber das konnte ich dir nicht antun. Du hast es nicht verdient, dass man dich nur ausnutzt und auf deinen Körper reduziert. Du bist viel mehr wert“, erklärte Andy. Totos Gesichtsausdruck hatte sich verändert, während er sprach und er war näher gerückt. „Und was ist, wenn ich es will? Nur ein Mal... Ich will das fühlen, was er fühlt, wenn er mit dir zusammen ist. Stell dir einfach vor, ich wäre Kato“ Er beugte sich vor und küsste Andy mit einer Leidenschaft, die er ihm gar nicht zugetraut hätte. Verdammt, das fühlte sich wirklich so an wie mit Kato! Diese weichen Lippen und die freche Zunge... Nein, Stop! Das konnte er nicht tun. Und trotzdem machte es ihn total an. Wie lange hatte er sich nach diesem Körper gesehnt... Machte es wirklich einen Unterschied, wenn es nicht die richtige Person war? Toto ergriff seine Schultern und drückte ihn rückwärts gegen den Hang, der hinter der niedrigen Mauer anstieg. Er schwang sich über den Liegenden und setzte sich auf dessen Schoß. „Bitte, sei ein bisschen vorsichtig, ja? Das ist mein Erstes Mal“, flüsterte er. „Mach dir keine Sorgen, ich passe auf“, antwortete Andy und vertauschte in einer fließenden Bewegung ihre Positionen, sodass er jetzt über Toto kniete und ihn voller Verlangen küsste. Der Jüngere griff in seine Hosentasche und holte deren Inhalt hervor: Er hatte vorgesorgt. Andy riss ihm förmlich die Klamotten runter und musste sich zurückhalten, um nicht einfach so rücksichtslos über ihn herzufallen. Es war unglaublich, wie ähnlich sie sich sahen. Die gleiche weiße Haut (nur die Narben fehlten), die gleiche schmächtige Figur und der gleiche erregte Gesichtsausdruck. Toto hatte sogar ein Tattoo an der gleichen Stelle wie sein Cousin. Andy bedeckte den zarten Körper mit Küssen und zog mit seiner Zunge die Linien des Tribal-Tattoos nach, was dem Unteren ein lautes Stöhnen entlockte. Krass, sogar das hörte sich an wie bei Kato. Zuerst ging er sehr vorsichtig mit ihm um aber als Toto sich daran gewöhnt hatte, war er nicht mehr so zimperlich. Andy vergaß mit wem er gerade zusammen war und fühlte sich wieder genauso wie früher mit seinem Ex-Freund. „Ah~... Kato!“, rief er als er zum Höhepunkt kam und der Junge unter ihm mit einem Schaudern das selbe tat. „Tut mir leid... Ist alles okay?“, fuhr er fort als er sich keuchend neben ihn ins Gras legte. „Ja, das war... wow“, flüsterte der Jüngere atemlos. „Das hätten wir nicht tun sollen“, stellte Andy nach einer Weile fest. Er verfluchte sich, dass er so schwanzgesteuert war. „Aber es war doch schön. Da könnte ich mich echt dran gewöhnen... Ich muss aber jetzt gehen. Meine Mutter erwartet mich“, meinte Toto und erhob sich, um seine Klamotten zusammenzusuchen. Er zog sich an, beugte sich noch einmal runter, um Andy zum Abschied zu küssen und verschwand. Seit einer halben Stunde taten die Beiden es jetzt schon in unverminderter Lautstärke. Andy zog sich das Kissen über den Kopf; er wollte es nicht mehr hören. Diese Geräusche kannte er nur zu gut. Wenn die so weitermachten krachte noch das Bett zusammen. Die Betten in Jugendherbergen waren nie besonders stabil. So eine Erfahrung hatte Andy auch schonmal gemacht, allerdings war er damals noch mit einem Mädchen zusammen gewesen und sie waren nicht so rangegangen wie die beiden Jungs im Nebenbett. Sie gingen davon aus, dass er schlief, so viel hatte er mitbekommen. Seit drei Tagen waren sie schon auf Klassenfahrt und jede Nacht hatten sie es gemacht. Zuerst war Kato anscheinend widerwillig gewesen aber als er seine Drogen genommen hatte, fiel er praktisch über Ísak her. So war es auch heute gewesen. Die Geräusche verstummten. „Kato, liebst du mich?“, fragte die Stimme des Isländers auf Rumänisch. Andy wartete atemlos auf die Antwort. „Nein, ich hasse dich. Ich liebe Andy, das weißt du doch“ Fast wäre besagter Junge aufgesprungen und mit einem Freudenschrei zu seinem Ex-Freund gelaufen aber er konnte sich zurückhalten. Ísak lachte kurz auf. „Und dann treibst du es trotzdem mit mir? Du verlogene kleine Schlampe. Du hast dich seit damals kein Stück geändert“, sagte er eiskalt. „Ach, halt doch endlich die Klappe und lass mich in Ruhe“, entgegnete Kato und erhob sich, wobei er seine Hose anzog. Andy hörte seine wütenden Schritte und den Schwung mit dem er sich ins Bett warf und die Decke über den Kopf zog. Bald erfüllte Ísaks Schnarchen den Raum. Das war die Gelegenheit. Besser jetzt als später... Andy stand geräuschlos auf und schlich zu Katos Bett. Er fand den Dolch tatsächlich in der Tasche darunter, wie Toto gesagt hatte. Entschlossen stand er vor dem schlafenden Ísak. Kato hatte gerade zugegeben, dass er ihn noch immer liebte. Das war noch ein Ansporn für ihn, endlich sein blutiges Werk zu vollbringen. Er nahm die Waffe in die eine Hand, schlug vorsichtshalber die Bettdecke leicht zurück und stieß mit der Klinge nach unten. Aber weit kam er nicht, denn Ísak schlief gar nicht. Er ergriff seinen Arm und hielt ihn mit eisernem Griff umklammert. „Das war eine schlechte Idee“, knurrte er und stieß Andy so hart nach hinten, dass er auf dem Boden landete. Der Andere erhob sich und baute sich vor ihm auf. Immer noch voller Entschlossenheit und ungezügelter Mordlust ging Andy mit einem Schrei wieder auf ihn los. Aber Ísak war größer und stärker als er. Sie rangen miteinander; Ísaks Kraft gegen Andys Wut. Keiner von ihnen bemerkte, dass Kato wach war und ihnen zurief sie sollten aufhören. Mehr durch Zufall als durch Können schaffte Andy es zumindest, seinem Gegner einen tiefen Schnitt über die Brust zuzufügen. Aber kaum hatte er diesen Erfolg verbucht, wurde der Dolch endgültig aus seiner Hand gerissen. Ísak stieß zu, Blut spritzte und Andy fing den weinenden Kato auf, der sich zwischen sie geworfen hatte. Geschockt stand Ísak da und starrte sie an. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und flüchtete aus dem Zimmer. Andy hielt die schwache Gestalt weiter in seinen Armen und ließ sich auf dem Boden nieder. Es war noch nicht zu spät; er konnte Kato noch retten. „Kato, halt durch, okay? Ich hole Hilfe. Nicht bewegen“, flüsterte er panisch und legte ihn behutsam auf dem Holzboden ab. Er stürmte nach draußen zum Telefon und rief einen Notarzt. Aus dem Medizinschrank neben dem Telefon holte er alles, was er brauchen konnte. Als er zurückkam lag Kato immer noch unverändert schwer atmend auf dem Boden. „Kato, hör zu. Du musst jetzt ganz stark sein. Versuch dich nicht zu bewegen, wir kriegen das schon wieder hin“, sagte er beruhigend, während er die Wunde an seiner Seite untersuchte, in der immer noch der Dolch steckte. Vorsichtig zog er die Waffe raus und immer mehr Blut floss auf den Boden. Er hoffte inständig, dass er keine inneren Verletzungen davongetragen hatte, aber es sah zumindest mal nicht danach aus. Ísak hatte ihn nur knapp erwischt. Trotzdem war der Blutverlust Besorgnis erregend. Hastig legte Andy ihm einen strammen Verband an, damit die Wunde zugedrückt wurde. Warum kam eigentlich niemand zu Hilfe? War keiner aufmerksam geworden? Das war vollkommen unmöglich. Kato flüsterte schwach seinen Namen. „Shh. Nicht sprechen. Wir unterhalten uns später, wenn du wieder gesund bist, okay? Du wirst ganz bestimmt wieder gesund“, sagte Andy und ergriff seine zitternde Hand. Wo blieb denn dieser verdammte Notarzt? Kato brauchte dringend eine Bluttransfusion, sonst würde er ihm noch unter den Händen wegsterben. Blut... Das war die Rettung. Andy hob den Jungen etwas an und legte ihn auf seinem Bein ab. Er streckte ihm sein Handgelenk hin. „Hier, trink... Na mach schon“, sagte er und hielt seinen Arm gegen die leicht geöffneten Lippen. Er spürte Katos Eckzähne, die wie zwei Nadelstiche in seine Haut eindrangen. Er ließ den schwachen Halbvampir trinken, bis er die Sirene des Krankenwagens vor dem Haus hörte. Sanitäter kamen kurz darauf ins Zimmer gestürmt und brachten den halb-ohnmächtigen Jungen auf einer Trage nach draußen. Andy folgte ihnen. Er wollte unbedingt mitfahren und weil sie keine Zeit zum Diskutieren hatten, ließen sie ihn. Er saß auf einem unbequemen Stuhl im Krankenhaus, während Kato versorgt wurde und ließ sich die ganzen Ereignisse der letzten Zeit noch einmal durch den Kopf gehen. Ísaks erstes Auftauchen, die Zwischenfälle mit den Tabletten, ihre Trennung, seine eigenen Zweifel an ihrer Liebe und schließlich der Sex mit Toto. Und jetzt das hier. Das hätte alles nicht passieren müssen. Aber es war passiert und er musste versuchen jetzt damit klarzukommen. Ísak war weg (hoffentlich), Kato würde wieder von den Drogen runterkommen und gesund werden und das mit Toto war nur eine einmalige Sache, die Verzweiflungstat eines hormongeschädigten Jugendlichen. Aber diese Verzweiflungstat nagte an seinem Gewissen. Er war ein abscheuliches Arschloch gewesen, das mit Toto anzustellen, mit einem unschuldigen 14-jährigen Jungen, nur weil ihm grade danach war und weil er sich so nach Katos Liebe sehnte. Er hatte ihn schamlos ausgenutzt und einfach so flachgelegt, während er sich vorstellte, Kato würde nackt mit ihm in der Wiese liegen. Aber warum hatte Toto ihn auch angemacht? Hatte er am Ende sogar Gefühle für ihn entwickelt, während Andy nur sich selbst bemitleidete und es nicht merkte? Und er hatte seine Zuneigung und Neugier ausgenutzt! Wie konnte er nur so grausam und selbstsüchtig sein? Er musste mit Toto reden, soviel stand fest. Aber zuerst würde er sich um Kato kümmern. Warum dauerte das denn so lange? Er saß doch jetzt schon eine Ewigkeit hier vor der Notaufnahme und nichts tat sich. Endlich kam eine Krankenschwester raus und sprach mit ihm. „Es ist alles in Ordnung. Du kannst ihn sehen, wenn du willst“, sagte sie zu ihm. Besorgt ging Andy durch die Tür, wo ein Arzt ihn erwartete. „Wie geht´s ihm? Kann ich zu ihm?“, fragte er hektisch. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Eigentlich darf niemand zu ihm, aber du hast ihm schließlich das Leben gerettet, also will ich mal eine Ausnahme machen. Aber er braucht Ruhe, okay?“ Andy nickte und nachdem er einen von diesen komischen grünen Kitteln angezogen hatte betrat er das Zimmer in dem Kato lag. Sein Freund sah schrecklich blass aus und wirkte ganz klein in dem Krankenbett. Er schlief offensichtlich, während sein Herzschlag aufgezeichnet wurde und Blut über eine Nadel wieder in seinen Körper floss. Ganz vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, ließ Andy sich auf dem Bett nieder und nahm zärtlich seine Hand. Er sah seinem Engel beim Schlafen zu, wie er es früher oft getan hatte. Plötzlich öffnete Kato langsam die Augen. Zuerst sah er noch krank und kaputt aus, aber dann ging eine Wandlung in ihm vor. Kato lächelte Andy strahlend an, als ob nie etwas gewesen wäre. Kapitel 4: Alles wird (nicht) gut --------------------------------- Wenig später wurde Kato in ein normales Krankenzimmer verlegt. Andy wollte gerade das Zimmer betreten als die Polizei am Ende des Flurs auftauchte und ihn aufhielt. Er wurde nervös. Was sollte er denen denn sagen? Schließlich entschied er sich für die halbe Wahrheit. Er erzählte, Ísak hätte ihn erstechen wollen und es wäre zu einem Kampf gekommen, in dessen Verlauf Kato sich schützend vor ihn gestellt hätte. Kato konnte seine Aussage zwar nicht bestätigen, weil er sich nicht erinnerte, aber wie durch ein Wunder glaubten sie ihm. Sie ließen die Jungs wieder allein und machten sich auf die Suche nach dem verschwundenen Ísak. Der war mittlerweile bestimmt über alle Berge, denn der Morgen dämmerte schon im Osten. Andy setzte sich wieder zu Kato auf das Bett. „Kato, du... du hast mir das Leben gerettet. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll“, sagte er. „Das hast du doch schon längst. Du hast schließlich auch mein Leben gerettet. Obwohl ich das nicht verdient habe, nach allem was ich dir angetan habe. Es tut mir so leid, Andy. Ich war ein Riesen-Idiot... Kannst du mir verzeihen? Ich könnt´s verstehen, wenn du nein sagst“ Tränen stiegen in den braunen Augen auf und fielen auf das Kissen. „Natürlich kann ich dir verzeihen. Kato, mein Schatz, ich liebe dich doch. Ich kann das alles sogar nachvollziehen und ich hoffe, dass du es genauso kannst, wenn ich dir erzähle, was ich getan hab“ Er konnte es wirklich nachvollziehen. Kato hatte mit ihm Schluss gemacht, weil er ihn vor dem bösartigen Teil seiner Persönlichkeit schützen wollte. Wahrscheinlich aus Liebeskummer hatte er wieder mit den Drogen angefangen und war so wieder an Ísak geraten, von dem er nicht mehr aus eigener Kraft losgekommen wäre und der seine Schwäche eiskalt ausgenutzt hatte. Im Nachhinein machte es alles Sinn. „Was hast du denn getan?“, fragte Kato mit brüchiger Stimme. „Ich hab dich betrogen, mit einem anderen Jungen“, antwortete Andy und hoffte, dass er das nicht weiter ausführen musste. Kato lachte doch tatsächlich. „Und deshalb machst du dir Sorgen? Was hab ich denn bitte die ganze Zeit gemacht, sogar in deiner Gegenwart?“, erwiderte er mit Unverständnis. Dann musste er es ihm wohl doch sagen, damit er verstand. „Dieser andere Junge... war Toto. Dein eigener Cousin...“ Andy schämte sich plötzlich. Er hatte sich noch nie in seinem Leben so geschämt. Verzweifelt schlug er die Hände vor sein Gesicht und drehte sich weg. „Warum er?“, fragte Kato geschockt. „Weil ich dich so vermisst habe. Und er sieht genauso aus wie du und ich dachte... nein, eigentlich dachte ich gar nicht, sonst wäre es nie so weit gekommen... Ich habe ihn als Kato-Ersatz missbraucht, weil... weil ich dich wiederhaben wollte und... und er wollte es ja auch und da ist es einfach passiert... Es tut mir so leid“ Er sah auf als sich zwei schlanke Arme um ihn legten und Kato den Kopf auf seine Schulter bettete. „Ich verstehe... und ich vergebe dir“, flüsterte der Kleinere. Sie legten sich hin und umarmten sich innig. Jetzt erst merkte Andy, wie wenig nur noch von seinem Freund übrig war. Kato war nur noch Haut und Knochen und diese Knochen konnte er in dieser Position beängstigend gut spüren. „Andy, ich werde schnell wieder gesund und dann... Lass uns das alles vergessen und wieder von vorne anfangen, ja?“, sagte der Schwarzhaarige und drückte sich an ihn. „Ja, das tun wir“, antwortete sein Gegenüber und streichelte sanft den schmalen Rücken. Sie besiegelten ihr Vorhaben mit einem zärtlichen Kuss. Am nächsten Tag sah Kato sich schon wieder in der Lage das Krankenhaus zu verlassen. Er bezog zusammen mit Andy ein neues Zimmer in der Jugendherberge. Einen Moment lang hatten sie überlegt, heimzufahren aber das hatten sie sich schnell anders überlegt. Solange sie zusammen in diesem Zimmer waren und niemand sie störte konnten sie der Realität entfliehen. Kato musste jeden Tag Medikamente nehmen, noch ein paar Mal zurück ins Krankenhaus und der Entzug ließ ihn auch nicht grade kalt aber trotzdem verbrachten sie eine wunderschöne Zeit zusammen. Und trotz allem was vorgefallen war, war zwischen ihnen immer noch alles in Ordnung. Für das Problem, das ihre Trennung verursacht hatte, fanden sie eine praktische Lösung: Sie stellten einfach einen Wecker. Warum sie da nicht schon viel früher draufgekommen waren, wusste keiner von ihnen. Die Tage der Klassenfahrt vergingen viel zu schnell und als sie ihre Sachen packten und sich zur Rückfahrt bereitmachten tat es ihnen sehr leid, dass sie wieder in ihr Leben zurückkehren mussten. Am Bahnhof angekommen holten zwei Polizisten sie ein. Sie teilten ihnen mit, dass von Ísak weiterhin jede Spur fehlte und wünschten ihnen noch eine schöne Heimreise. Nach einer unglaublich langen Zugfahrt, die sie größtenteils schlafend verbracht hatten, kamen sie am Trierer Hauptbahnhof an. Es war später Nachmittag und der Bahnhof war bevölkert mit Touristen und diversen Personen mit Wochenendbeziehungen, die ihr Wiedersehen feierten. Katos Tante Valentina und ihr Mann Dorkan erwarteten sie am Ausgang. Tina umarmte die Beiden stürmisch; sie war froh sie an einem Stück wiederzuhaben. Dorkan ließ es sich zwar nicht wirklich anmerken aber es war offensichtlich, dass er sich auch Sorgen gemacht hatte. Andy erblickte seine Großeltern, die wohl gerade aus dem Parkhaus kamen und aussahen als hätten sie es eilig. Er verabschiedete sich mit einem Kuss von Kato. Zu seiner Überraschung lächelte sein Großvater ihn an, als er ihm gegenüber stand. „Na, alles wieder klar bei euch beiden?“, fragte er nachdem sie sich begrüßt hatten. „Oh ja, absolut. Könnte kaum besser sein“, antwortete der Junge halbwegs verwirrt über sein Interesse. „Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen gleich weg, zu deiner Tante. Du kannst mitkommen, aber ich bezweifle, dass du das willst“, sagte die Großmutter. „Nein, am liebsten würde ich einfach nur schlafen und so. Aber es ist sehr nett, dass ihr mich abholt“, antwortete Andy und ging gut gelaunt vor ihnen zum Auto. Trotzdem entgingen ihm die verwunderten Blicke nicht, die sie austauschten. Das war das erste Mal seit Jahren, dass er etwas wirklich Nettes zu ihnen gesagt hatte und er selbst merkte, dass das doch eigentlich gar nicht so schwer war wie er immer geglaubt hatte. Er beschloss, das jetzt öfters zu machen und einfach zu versuchen mit ihnen klarzukommen. Anscheinend hatten sie ja auch nichts gegen seine Beziehung zu Kato, also konnten sie nicht so ganz verkehrt sein. Er verbrachte tatsächlich den Rest des Tages schlafend und wurde in den Abendstunden vom Telefon geweckt. Es war Kato und er klang überaus besorgt. „Es ist wegen Toto... Er benimmt sich ganz komisch und ist jetzt anscheinend mit einem Mann zusammen, mit so einem sexsüchtigen Typen. Der Kerl ist mindestens zehn Jahre älter als er und vorhin war er hier und sie sind in seinem Zimmer verschwunden. Und man hat sie gehört. Wir haben schon versucht mit ihm zu reden und ihn irgendwie zur Vernunft zu bringen aber er blockt total ab“, erzählte der Anrufer. Andys Herz setzte fast aus als er das hörte. War das etwa seine Schuld? „Ich... ich könnte mal mit ihm reden. Vielleicht hört er mir ja zu“, schlug er vor. Er hoffte es inständig. Kato stimmte zu und sie verabredeten sich für den nächsten Abend. Beunruhigt lief Andy durch das Haus. Was hatte er nur getan? Er hatte diesen armen Jungen wahrscheinlich bis auf die tiefsten Grundfesten seiner Seele erschüttert, dass er sich jetzt plötzlich so benahm. Sicher, Toto war schon immer seltsam gewesen, sehr direkt und aufgeschlossen aber das war nun wohl wirklich zu viel des Guten. Immerhin war er erst 14 und sollte sich noch nicht so aufführen. Andy musste seinen Fehler um jeden Preis wieder gutmachen. Er musste irgendetwas tun... Seine Gedanken wurden dadurch unterbrochen, dass seine Großeltern heimkamen. Die Großmutter verschwand sogleich wieder zu irgendeinem Theaterstück mit ihren Freundinnen. Zu Andys Überraschung bat sein Großvater ihm ein Bier an und sie ließen sich im Wohnzimmer nieder. Diese Gelegenheit nutzte der Junge, um ihm mal eine sehr wichtige Frage zu stellen. „Opa, sag mal, wie kommt es eigentlich, dass du es gut findest, dass Kato und ich zusammen sind? Ich meine... das passt so gar nicht zu deiner Weltanschauung“, sagte er. Der Angesprochene lächelte melancholisch. „Weißt du, eigentlich ist es ein offenes Geheimnis... Bevor ich deine Oma geheiratet hab, war ich mit einem Mann zusammen. Heimlich, natürlich. Und ich hab ihn wirklich geliebt. Meine Eltern fanden es heraus und hielten mich von ihm fern. Sie arrangierten meine Hochzeit mit einer respektablen jungen Dame aus der Nachbarschaft, nämlich deiner Oma, und glaubten damit sei die Sache gegessen. Aber so war es nicht. Jahrelang hörte ich nichts von diesem Mann bis er plötzlich fünfzehn Jahre nach meiner Hochzeit wieder vor der Tür stand. Es war fast unvermeidlich, dass wir eine Affäre begannen. Es war eine wundervolle Zeit mit ihm... Und als sich dann vor kurzem herausstellte, dass du auch mit einem Jungen zusammen bist fand ich mich selbst in dir wieder. Und ich wollte nicht denselben Fehler machen, den meine Eltern damals gemacht hatten. Du hast es verdient, glücklich zu werden, nach allem was du ertragen musstest. Und man sieht dich viel öfter lächeln, seit du Kato kennst“, erklärte der ältere Mann. Andy war geschockt. „Was ist mit diesem Mann? Wo ist er heute?“, war alles, was er noch herausbrachte. „Er starb... Er beging Selbstmord, weil er mich nicht für sich haben konnte... Hat sich von der Brücke gestürzt“, antwortete sein Großvater und sah zu Boden. „Opa... Es tut mir so leid... Ich wusste das alles nicht, sonst wäre ich nie so fies zu dir gewesen“, sagte der Junge leise. „Das macht nichts“, sagte sein Gegenüber mit einem Lächeln. Sie tranken schweigend ihr Bier. Andy dachte über das nach, was er soeben erfahren hatte. Es war einfach unglaublich; das hätte er nie für möglich gehalten. Und noch etwas wunderte ihn. Sein Großvater freute sich, ihn glücklich zu sehen. Das war echt verkehrte Welt. „Weißt du was komisch ist?... Ich dachte immer, du hasst mich aber irgendwie scheint das nicht so zu sein“, sagte Andy nach einer Weile. „Ich hasse dich doch nicht. Du hast es uns schwierig gemacht, das ist wahr, aber eigentlich mochte ich dich immer gerade deswegen. Du hattest halt deine eigene Art und wolltest nicht dazugehören. Du warst von allen geliebten Menschen verlassen worden und hattest einfach keinen Bock, dass das noch einmal passierte, deswegen warst du so abweisend“, erklärte der Andere. „Aber wenn du mich doch so mochtest wie ich war, warum hast du dann immer versucht mich zu ändern?“ Andy war ernsthaft verwirrt. „Deine Oma wollte es so. Sie sagte, wenn du es im Leben jemals zu etwas bringen willst musst du dich in die Gesellschaft einfügen und zwar so, dass du der Gesellschaft gar nicht auffällst. Na ja, das klappt bei dir wahrscheinlich niemals aber sie ist zu stur, um das zuzugeben. Sie meinte immer, bei mir hätte das ja auch geklappt. Und um meine gesellschaftliche Fassade zu bewahren, war ich immer so streng mit dir. Es tat mir oft leid...“ Der Großvater sah wieder zu Boden. So emotional und menschlich wie an diesem Abend hatte Andy ihn noch nie gesehen. „Es ist okay. Ich versteh´ es jetzt. Ich kann´s dir irgendwie nicht mehr übel nehmen. Komisch... So schnell kann sich alles ändern“, sagte der Junge nachdenklich. „Wir sollten so weitermachen wie bisher. Deine Oma wäre ganz schön außer sich, wenn sie wüsste, dass wir dieses Gespräch geführt haben. Sie soll nichts davon erfahren“, entgegnete der Andere und Andy stimmte ihm zu. Sie saßen noch eine Weile da und leerten die Bierflaschen. „So, und jetzt ab ins Bett, junger Mann. Es ist schon nach zehn“, sagte der Großvater mit gespielter Strenge und erhob drohend den Zeigefinger. „Geht klar, Käpt´n. Wollte sowieso grade gehen“, meinte Andy, stand auf und salutierte. Sie mussten beide lachen. „Es ist schön, dass du wieder da bist“, sagte der Ältere schließlich und Andy verschwand in seinem Zimmer. Er lag lange auf seinem Bett und grübelte. Sein Opa mochte ihn also doch. Alles, was er an seinen Großeltern immer gehasst hatte war anscheinend von seiner Oma ausgegangen. Sie hatte ihn praktisch nie in Ruhe gelassen, sein Leben unnötig kompliziert gemacht und in oft bis in die Verzweiflung getrieben. Er hasste sie. Am nächsten Tag fuhr Andy zu den Jentirovs. Er war nervös und hatte sich schon überlegt unter einem Vorwand abzusagen. Was würde er zu Toto sagen, wenn sie sich gegenüber standen? Und was würde er fühlen? Er war sich mittlerweile gar nicht mehr so sicher, ob er ihn nur als Kato-Ersatz benutzt hatte oder ob es nicht in Wirklichkeit er war, den er wollte. Schließlich mochte er ihn sehr und sie waren sich ziemlich nah gekommen. Aber, nein, das war Blödsinn. Er liebte Kato und war erst wieder glücklich geworden, nachdem sie wieder zusammen waren. Das war alles verwirrend und es hätte auch alles nicht geschehen müssen. Er kam an und drückte mit zitternden Fingern auf die Klingel. Kato, der mindestens so angespannt war wie er selbst, öffnete die Tür. „Er ist oben. Sein komischer „Freund“ ist grade weg, will aber gleich wiederkommen. Hat gesagt er muss noch Kondome kaufen gehen...“, sagte der Junge und man konnte in seinem Gesicht ablesen, was er davon hielt. Andy ging entschlossen in die obere Etage und klopfte an Totos Tür. „Komm rein“, rief eine Stimme von drinnen und er trat ein. Andy erschrak fast, als er das Zimmer betrat. Er war schon einmal hier gewesen, aber da hatte es noch komplett anders ausgesehen. Die ganzen kaputten Computer, die Toto in seiner Freizeit reparierte, und die Spielkonsolen waren vom Boden verschwunden, genauso wie die diversen Essensreste und Flaschen. Das sorglose Chaos war einer fast zwanghaften Ordnung gewichen; sogar der Bürostuhl stand genau an seinem Platz. Es war auch längst nicht mehr so bunt wie früher. Das Einzige, was noch auf den chaotischen 14-jährigen Bewohner des Zimmers schließen ließ waren einige umgekippte Bücher im Regal und ein paar Poster an den Wänden. Toto selbst saß entspannt auf der Couch und wunderte sich über seinen Besucher. „Andy, was machst du denn hier?... Setz dich doch“, sagte er und zeigte auf den Platz neben sich. Der Ältere ließ sich nieder und versuchte ihn nicht anzustarren. Das war ziemlich schwierig, denn er trug nur einen Kimono und offensichtlich nichts drunter. Aus der Nähe fiel Andy auf, dass er in diesen paar Tagen seit sie sich zuletzt gesehen hatten einige Kilo abgenommen hatte. „Es ist wegen... dieser Sache, die zwischen uns war... und wegen den Sachen, die du seitdem so gemacht hast“, sagte der Größere und sah ihm in die Augen. Toto lächelte ihn sanft an. „Du machst dir Vorwürfe? Das brauchst du nicht“, sagte er ehrlich. „Doch. Es war ein Fehler; ich habe nicht nachgedacht. Wir hätten das niemals tun sollen. Ich hab dich ausgenutzt und verletzt. Das wollte ich nicht und es tut mir unendlich leid“, brachte Andy hervor. Der Kleinere musste lachen. „Das glaubst du wirklich? Andy, versteh mich nicht falsch, ich hab dich echt gern, aber in Wirklichkeit habe ich dich ausgenutzt. Und wenn dann bin ich derjenige, der sich entschuldigen muss“, sagte er dann ernst. „Wie... wie genau meinst du das?“, fragte Andy verwirrt. „Weißt du, ich wollte unbedingt Sex. Aber ich hatte halt tierische Angst davor; vor den Schmerzen und, dass der Andere irgendein rücksichtsloser Kerl ist, der nicht aufhört, wenn es mir wehtut. Und nachdem du mich geküsst hattest kam ich plötzlich auf die Idee dich zu verführen. Und ich musste es unbedingt noch hinkriegen, bevor du wieder mit Kato zusammenkamst. Und dann, na ja... Ich vertraue dir, ich kenne dich und ich mag dich. Wer wäre besser geeignet gewesen?“, meinte er lächelnd. „Aber warum denn ausgerechnet ich? Nimm´s mir nicht übel aber du hättest dich auch genauso gut mit Kato einlassen können, oder?“, entgegnete Andy halbwegs geschockt. „Nein, wir sind verwandt, das geht gar nicht! Außerdem war er nicht zurechnungsfähig. Ich wollte dich. Als du noch mit Kato zusammen warst hab ich nachts oft gehört, wie du ihn zum Stöhnen gebracht hast und ich wollte unbedingt wissen, wie sich das anfühlt. Außerdem hab ich immer gehört, wie er nach mehr verlangt hat und ich finde, das sagt viel über deine Qualitäten aus. Jemand der Kato dazu bringt, der muss gut sein. Und meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht; im Gegenteil, sie wurden übertroffen. Du warst rücksichtsvoll, es hat gar nicht so wehgetan und es hat sich angefühlt als würdest du mich wirklich lieben. Okay, du hast seinen Namen gestöhnt, aber damit musste ich halt leben“, erklärte Toto fast gleichgültig. „Du musstest damit leben?! Eigentlich hättest du allein schon deswegen allen Grund mich zu hassen... Junge, ich versteh dich wirklich nicht“ Jetzt war Andy endgültig geschockt. Wie konnte er das nur so emotionslos sehen? Das war doch nicht normal. Und das sah ihm auch überhaupt nicht ähnlich. „Wenn es dir so wichtig ist, kannst du es ja wieder gutmachen. Jetzt gleich? Am besten; hast mich ja eben schon fast besabbert. Oder lieber erst später?“, fragte er und hob grinsend seine Hand, um Andys Wange entlang zu streicheln. Sein Ärmel verrutschte und der Größere sah etwas, das ihm einen riesigen Schrecken einjagte. Ein übler blauer Fleck und einige Abschürfungen zierten das schmale Handgelenk. Besorgt ergriff Andy die Hand, um sich die Verletzungen genauer anzusehen. „Wo kommt das her? Hat er dir wehgetan?... Sag´s mir!“, verlangte er und versuchte erst gar nicht, seine Wut zu verbergen. Er sah sich den Jungen noch genauer an. Der Kimono war verrutscht und offenbarte einige blaue Flecken ziemlich weit oben am Oberschenkel. Das durfte nicht wahr sein. „Es ist okay. Mach dir keine Sorgen. Ich hab alles unter Kontrolle“, meinte Toto ruhig. „Anscheinend nicht... Was hat er mit dir angestellt? Hat er dich gefesselt und... vergewaltigt?“, fragte Andy, nicht mehr so laut wie vorher, um ihm klarzumachen, dass er ihm helfen wollte. Der Kleine lächelte beruhigend. „Wirklich, es ist in Ordnung. Ich mag´s so“ Andy brauchte einen Moment, um zu realisieren, was er grade gesagt hatte. „Du... nein, das kann nicht sein. Ich glaub dir kein Wort“, murmelte er. „Doch, es ist wahr. Willst du es probieren?“, fragte der Jüngere, nahm seine Hand und schob sie sein nacktes Bein entlang unter den Kimono. Andy zuckte zurück als hätte er sich verbrannt. Er befreite sich von dem Griff und stand auf. „Lass das. Das werde ich nicht tun. Was soll das alles? Und wer bist du überhaupt? Du bist nicht mehr du selbst“, sagte er. Das hatte er die ganze Zeit schon gedacht. Irgendwas war mit Toto passiert und hatte ihn zu einem anderen Menschen gemacht. „Ich bin einfach nur erwachsen geworden. Und das hab ich eigentlich dir zu verdanken“, sagte der Kleine. „Das hat nichts mit Erwachsenwerden zu tun. Du bist ein anderer Mensch geworden... Wir wollen Toto zurück“, meinte Andy verzweifelt. Der Andere grinste dreckig. „Und wenn ich wieder der alte, kindische Toto wäre, würdest du es dann nochmal mit mir machen?“, fragte er. Andy verzweifelte so langsam aber sicher mit ihm. „Dadrum geht´s doch gar nicht. Auch wenn man erwachsen ist, dreht sich das Leben nicht nur um Sex, denk mal drüber nach“, sagte er und wandte sich zur Tür. Er hatte die Hand schon auf den Türgriff gelegt, da hörte er eine leise Stimme hinter sich. „Andy, bitte... dreh dich nochmal um“, sagte Toto und er klang dabei auch wie Toto. Andy tat was er verlangte und sah sich mit dem nackten Jungen konfrontiert, der auffordernd mit sich selbst spielte und ihm einen glühenden Blick zuwarf. Panisch flüchtete der Ältere aus dem Zimmer und ließ sich im Flur gegen die Wand sinken. Kato kam aus dem Nebenzimmer gestürmt und als er sah, dass sein Freund am ganzen Körper zitterte und vollkommen außer sich war, wollte er seinen Cousin zur Rede stellen. „Nein, lass das. Es hat keinen Zweck“, meinte Andy und zog ihn den Flur entlang zu seinem Zimmer. Er erzählte ihm, was er rausgefunden hatte. „Verstehst du? Er denkt, durch Sex würde man erwachsen. Und je mehr Sex man hat, umso erwachsener ist man... Ich glaub er ist krank“, beendete er seine Erklärungen. „Da könntest du Recht haben. Was tun wir jetzt? Er stürzt sich ins Unglück und wir sehen zu...“, meinte Kato nachdenklich, nachdem er den Schock überwunden hatte. „Ich weiß es nicht. Wir haben es zumindest schonmal versucht. Vielleicht sollten wir ihm ein bisschen Zeit lassen und dann nochmal mit ihm reden. Wenn wir wenigstens diesen Typen los wären... Eigentlich ist das doch illegal, was er mit ihm macht, oder? Vom Gesetz her müsste es verboten sein“, antwortete Andy. „Wie meinst du das genau?“, fragte sein Freund. „Na ja, in Deutschland darf man ab 14 Sex haben, aber nur wenn der Andere unter 18 ist. Deswegen war das zwischen Toto und mir ja auch legal. Aber dieser Typ, sein Freund, ist doch schon über 20. Also ist es theoretisch ein Verbrechen, auch wenn er es will“, erklärte sein Gegenüber. „Und wenn wir die Polizei rufen? Meinst du, die tun was?“, schlug der Schwarzhaarige vor. „Ich denke schon. In so einem Fall müsste sogar der Verdacht schon reichen damit sie die Sache prüfen. Wir warten bis er wiederkommt und dann rufen wir sie an“ Sie begaben sich in die Küche, setzten sich an den Tisch und warteten angespannt. Zur Ablenkung überflog Kato die Zeitung vom Vortag. Plötzlich verlor sein Gesicht auch den letzten Rest Farbe und er ließ geschockt die Zeitung sinken. „Was ist? Kato, was hast du?“, fragte Andy besorgt. Wortlos schob der Kleinere ihm das Papier zu und zeigte auf einen Artikel in der Mitte. „Mysteriöse Vampir-Morde: TRIER. Eine Reihe von ungeklärten nächtlichen Mordfällen hat die Region erschüttert. Alle fünf Opfer wurden blutleer und mit Wunden am Hals aufgefunden [...] Augenzeugen berichten, ein dunkelhaariges, schwarz gekleidetes, „vampirgleiches“ Mädchen in der Nähe der Tatorte gesehen zu haben [...]“, stand dort. Andy sah fassungslos seinen Freund an. „Lidia... Wir müssen mit ihr reden“, flüsterte er. Kapitel 5: Probleme und Lösungen -------------------------------- {Vorsicht, in diesem Kapitel geht es mal wieder ein bisschen zur Sache. Ich dachte, ich sollt´s vielleicht erwähnen} Was sollten sie nun zuerst tun? Sich um Totos Problem kümmern oder Lidia zur Rede stellen? Sie entschieden sich für Toto, diskutierten aber in der Zwischenzeit über die Mordfälle. „Und was ist, wenn sie es nicht war? Es gibt doch bestimmt tausende dunkelhaarige Mädchen hier in der Gegend und jeder kann nachts aussehen wie ein Vampir“, meinte Kato. „Das könnte sein. Aber vielleicht war sie auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort und wurde gesehen. Und an ein Mädchen wie Lidia würde sich wohl jeder erinnern. Wir müssen auf jeden Fall mit ihr reden. Außerdem, wenn mein geographisches Gehirn noch funktioniert, liegt ihr Friedhof praktisch genau in der Mitte zwischen den ganzen Tatorten. Entweder sie hat wirklich was damit zu tun, oder jemand weiß über sie Bescheid und versucht ihr was anzuhängen“, entgegnete Andy. Sie verstummten als sie die Haustür hörten. Einen Moment später betrat die angetrunkene Ina die Küche. Sie begrüßte die Beiden überschwänglich und wirbelte hyperaktiv durch den Raum. Es klingelte und alle drei hielten wie vom Donner gerührt inne. Ina löste sich als Erste aus der Erstarrung. Entschlossen drehte sie sich um und stapfte zur Haustür. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte das ziemlich lustig ausgesehen. Sie öffnete die Tür und baute sich vor dem Besucher auf. Andy und Kato waren ihr nachgegangen und warteten mit Sicherheitsabstand. Totos Freund musterte das Mädchen mit einem überheblichen Lächeln und bat sie übertrieben freundlich, zur Seite zu gehen. Der Typ war nichtmal hübsch, dachte Andy und wunderte sich doch sehr über Totos Männergeschmack. Ina stand weiterhin wie festgemeißelt auf der Türschwelle und weigerte sich ihn reinzulassen. Genervt schob er sich an ihr vorbei aber sie bekam ihn zu packen. „Finger weg von Toto, du pädophiler Mistkerl!“, rief sie und hielt ihn fest. Die Sonne war noch nicht untergegangen, sonst wäre sie übernatürlich stark gewesen, aber so konnte der Typ sie ohne Weiteres überwältigen und nun seinerseits festhalten. „Hey, lass meine Schwester los!“, sagte Kato wütend und trat aus dem Schatten. Tatsächlich ließ er sie fallen und wandte sich mit positiv überraschtem Gesichtsausdruck dem Jungen zu. „Wenn ich stattdessen dich kriege, dann gerne“, sagte er mit diesem überheblichen Lächeln. „Vergiss es, Arschloch“, erwiderte Andy und stellte sich schützend vor seinen Freund. „Schade“, meinte der Typ leise und warf dem Kleineren noch einen verlangenden Blick zu, bevor er in die obere Etage verschwand. Die beiden Jungs mussten Ina zurückhalten, damit sie ihm nicht nachlief und schleiften sie wieder in die Küche. Kato drückte sie auf einen Stuhl und versuchte ihr zu erklären, was sie vorhatten, während Andy die Polizei anrief, die sich sofort auf den Weg machte. Einige Minuten später hörten sie aus der oberen Etage eindeutige Geräusche. Toto schrie einige Male auf und sie zuckten jedes Mal zusammen. Fast wären sie in das Zimmer gestürmt aber sie mussten auf die Polizei warten. Wenn der Typ mitbekam, was sie vorhatten würde er flüchten. Zwei Polizeiautos kamen die Auffahrt hoch und stoppten vor der Tür. Vorsorglich hatten sie Sirenen und Blaulicht ausgelassen. Bevor sie auf die Idee kamen zu klingeln öffnete Andy die Tür und zeigte die Treppe rauf. Die Beamten rannten zu Totos Zimmer, öffneten die Tür und wichen entsetzt zurück. Dann betraten sie den Raum, Toto schrie noch einmal auf und es gab einen kleinen Kampf. Als Andy, Kato und Ina in das Zimmer kamen hatten die Polizisten den Kerl umzingelt, der nackt in ihrer Mitte stand. Sein Opfer war wehrlos auf dem Bett gefesselt und lag da wie auf dem Silbertablett serviert. Andy und Kato befreiten den zitternden Jungen und bedeckten seine Blöße mit der Bettdecke. Währenddessen hatte man den Täter in Handschellen gelegt und ein Polizist hielt ihn fest. Ina ging kochend vor Wut auf ihn zu und trat dem nackten Mann mit voller Wucht dahin wo es wehtut (sie trug spitze Stöckelschuhe). Das Mädchen fuhr damit fort ihn zu beschimpfen und zu schlagen. Erst nach einer Minute hielten die Polizisten sie halbherzig auf. Einer der Beamten wandte sich nun endlich an die drei Jungs auf dem Bett. „Hey, soll ich einen Krankenwagen rufen? Oder ist es dir lieber, wenn deine Freunde dich ins Krankenhaus bringen?“, fragte er Toto mit sanfter Stimme. „Ich muss in kein Krankenhaus. Es geht mir gut“, sagte der Kleine entschlossen. „Aber... natürlich musst du ins Krankenhaus. Sieh dich doch an... du blutest“, meinte der junge Mann verwirrt und zeigte auf seine Handgelenke. „Ist nur´n Kratzer... Wirklich, es ist okay... Er hat mir nichts getan. Bitte, lassen Sie ihn laufen, er ist mein Freund“, erwiderte Toto bittend. „Und wenn er dein Bruder wäre, wir können ihn nicht laufen lassen. Er ist ein Verbrecher und er wird bestraft werden... Tu dir selbst einen Gefallen und halt dich in Zukunft von so Typen fern. Und werd wieder gesund, okay?“, sagte sein Gegenüber, erhob sich und strich zärtlich über seinen Kopf. Irritiert starrte der Junge ihn an und war sich anscheinend nicht so ganz sicher, was er davon halten sollte. Der Mann ging zu Totos Freund und zerrte ihn vor das Bett. „Sieh ihn dir an. Sieh dir an, was du angerichtet hast... Hast du diesem Jungen noch irgendwas zu sagen?“, sagte er zu dem Verbrecher. Der lächelte wieder überheblich. „Weißt du, Kleiner... Du bist´n geiler Fick für dein Alter und ich hätte noch gern länger mit dir gespielt aber wie´s aussieht haben deine Babysitter hier was dagegen. Tja, eigentlich auch egal. Ich bin mir sicher, ich finde im Knast einen Arsch, der genauso süß ist wie deiner, obwohl das schwer werden könnte. Ansonsten war´s das“, sagte er und beobachtete mit Genugtuung, wie sich Totos große braune Augen mit Tränen füllten. „Du hast gesagt du liebst mich“, flüsterte er fassungslos. Sein vermeintlicher Freund lachte ihn aus. „Ja, das hab ich gesagt. Damit ich alles mit dir machen konnte, ohne dass du dich wehrst. Und du hast mir geglaubt, du erbärmlicher, einsamer kleiner Junge. Ich fühle nichts...“, sagte er gehässig. „So, jetzt reicht´s“, unterbrach ihn der junge Polizist und beförderte ihn betont unsanft aus dem Zimmer. Auf der Türschwelle drehte der Beamte sich noch einmal um und musste mit ansehen, wie Toto in den Armen seines Cousins weinend zusammenbrach. Der Mann übergab den Gefangenen seinem Kollegen und winkte Andy zu sich heran. „Bringt ihn ins Krankenhaus. Er braucht Hilfe... Ruf mich an, wenn was ist. Und achte gut auf ihn“, flüsterte er eindringlich, steckte dem Jungen eine Visitenkarte zu und verschwand. Andy wunderte sich über das Interesse und die Besorgnis, die er Toto entgegenbrachte. War er einfach nur ein guter Mensch, oder steckte mehr dahinter? Er hatte momentan keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Andy schickte Ina den Verbandskasten holen und überlegte fieberhaft ob er dem Rat des jungen Polizisten folgen sollte und Toto in ein Krankenhaus bringen. Er entschied sich dagegen und als Ina endlich zurückkehrte verarztete er fachmännisch und vorsichtig die Handgelenke des Verletzten, der immer noch hemmungslos weinte. „Bist du dir sicher, dass du keinen Arzt brauchst?“, fragte er, als der Junge sich wieder halbwegs beruhigt hatte. „Schon okay“, flüsterte Toto schwach. „Hast du Schmerzen?“, fragte der Ältere weiter, woraufhin er den Kopf schüttelte. Das war zumindest schonmal eine gute Nachricht. Eine Zeit lang sprach niemand ein Wort. Da kam Andy eine Frage in den Sinn, die er unbedingt loswerden musste. „Hast du ihn geliebt?“, fragte er und wartete gespannt auf die Antwort. „Nein... nein, hab ich nicht“ Jetzt war Andy verwirrt. „Warum weinst du dann?“, fragte er. „Weil... weil er gesagt hat er würde mich lieben... und es war so schön... geliebt zu werden... Aber er hat gelogen... Ich bin ihm egal... Ich könnte sterben und es wäre ihm egal...“, schluchzte Toto. „Er ist ein Idiot, deswegen denkt er so. Er hat überhaupt nicht gemerkt wie viel du wert bist“, entgegnete Andy. „Vielleicht war ich ihm auch nicht hübsch genug... oder vielleicht bin ich zu dick oder zu klein...“, meinte der Jüngere verzweifelt. „Jetzt hör aber auf! Du bist unglaublich hübsch und eher zu dünn als zu dick. Und dass du klein bist, dafür kannst du nichts. Du bist wunderbar, so wie du bist. Außerdem, wenn dich jemand wirklich liebt, kommt es ihm nicht auf deine Äußerlichkeiten an, sondern auf deinen Charakter. Und da bist du auch ganz vorne dabei“, meinte Kato aufmunternd. Er ersparte dem Kleineren die Belehrungen, die ihm auf der Zunge lagen. Ein Geräusch auf der Treppe ließ sie zusammenzucken. Sekunden später betrat Ina den Raum. Keiner hatte mitbekommen, dass sie weggewesen war und so starrten sie sie nur verdutzt an. „Ich hab was für die Nerven geholt“, meinte sie und stellte eine Flasche Wodka und mehrere Gläser auf den Nachtschrank. „Du denkst wirklich praktisch, Schwester“, sagte Kato grinsend. Kurze Zeit später war die Flasche halb leer, Toto schlief selig und auch Ina war auf der Couch eingenickt. Die verbleibenden Zurechnungsfähigen ließen die Beiden schlafen und gingen in Katos Zimmer. „Mann, was für ein Tag“, murmelte Andy und ließ sich auf die Couch fallen. „Und er ist noch nicht vorbei... Wir sollten noch heute zu Lidia gehen, damit wir die Sache aus der Welt geschafft haben“, ergänzte sein Freund. Sobald die Dämmerung hereinbrach machten sie sich auf den Weg. Der Alkohol war schon wieder aus ihrem Blut verschwunden, deswegen konnten sie mit dem Auto fahren und kamen kurze Zeit später an der Friedhofsmauer an. Sie schlenderten zwischen den Gräbern hindurch und erreichten Lidias Ruhestätte in exakt dem Moment als das Mädchen sich auf dem Kiesweg materialisierte. Sie zuckte kaum merklich zurück bevor sie die Beiden erkannte und sie fröhlich begrüßte. Nachdem sie sich eine Zeit lang einfach nur unterhalten hatten kamen sie auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen. „Sag mal, hast du von diesen `Vampir-Morden´ gehört?“, fragte Kato ganz unverbindlich. „Was für Morde? Ich weiß von nichts“, antwortete sie ehrlich. „Fünf Mordfälle. Die Opfer wurden anscheinend von einem Vampir getötet und die Tatorte liegen alle hier im Umkreis... Fällt dir jemand ein, der dir sowas vielleicht anhängen will? Jemand, der über deinen Zustand bescheid weiß?“, fragte Andy. Wäre es möglich gewesen, wäre Lidia blass geworden. „Nein, ich... denke nicht... Warte, da waren ein paar seltsame Gestalten in letzter Zeit. Eine Frau und zwei Männer sind hier nachts rumgeschlichen. Ich weiß nicht, ob sie Vampire sind, aber es ist möglich, denn ich hörte nur ein Herz schlagen. Sie kamen mir ungewöhnlich bekannt vor, als hätte ich sie schonmal irgendwo gesehen, in Rumänien“, antwortete sie nachdenklich und versuchte angestrengt sich zu erinnern. „Rudă?“, fragte Kato skeptisch. Andy wusste, dass das `Verwandte´ bedeutete und war schon gespannt auf die Antwort. Aber Lidia wusste es nicht. „Es ist möglich. Vielleicht auch Vorfahren...“, meinte sie. „Meinst du, sie kommen wieder? Vielleicht erkenne ich sie“, sagte Kato. „Hm, sie kommen irgendwie nur alle paar Tage. Gestern waren sie da also kommen sie heute bestimmt nicht“, antwortete Lidia. Sie beschlossen, ihr ein Handy zu bringen, damit sie anrufen konnte, wenn die Fremden wieder auftauchten. Und noch etwas besprachen sie mit Lidia. Sie erzählten ihr, was mit Toto passiert war. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie seine Veränderungen und seine Probleme nicht bemerkt hatte. „Du kannst nichts dafür. Ihr habt euch in letzter Zeit nicht oft gesehen, wie solltest du es da merken“, beruhigte Kato sie. „Er ist mein Bruder; ich hätte es merken müssen... Ich muss ihn sehen“, sagte das Mädchen, machte kurz ein konzentriertes Gesicht und verschwand mit einem leisen undefinierbaren Geräusch. „Na ja, zumindest haben wir jetzt eine Spur von unserer komischen Mörderin... Ich wünschte nur, Lidia hätte nicht ihr Gedächtnis verloren“, meinte Kato und sie machten sich auf den Weg zum Auto. „Wie meinst du das? Wann hat sie denn ihr Gedächtnis verloren?“, fragte Andy verwirrt. Lidia wirkte nicht wie jemand, der an Amnesie litt. „Als sie... starb, ging ein Teil ihrer Erinnerungen verloren. Das haben alle Vampire, das kommt durch den Schock. Sie konnte sich nicht mehr an ihre Kindheit erinnern, fast ihr halbes Leben war aus ihrem Kopf gelöscht worden. Es kam fast alles wieder aber einige Einzelheiten, wie Namen und Gesichter von Nachbarn oder Verwandten, fehlen bis heute. Deswegen, wenn sie sagt, sie kennt diese Leute aus Rumänien, dann kenne ich sie sicher auch“, erklärte Kato. Wenn sie schonmal dabei waren konnte Andy gleich noch eine Frage über Lidia loswerden; ein kleines Detail, das ihn verwirrte. „Sag mal, wieso nennt Lidia eigentlich Tina ihre Mutter, aber Dorkan nicht ihren Vater? Ich meine... ist er nicht ihr Vater?“, fragte er gespannt. Kato lächelte vor sich hin. „Nein, ist er nicht... Das ist dir aufgefallen? Respekt... Ihr richtiger Vater wurde von einem Vampir getötet als sie sechs Jahre alt war. Zwei Jahre später lernten Tina und Dorkan sich kennen und waren schon bald verheiratet. Er liebt die Kinder wie seine eigenen. Aber Lidia hat ihn nie so ganz akzeptiert; dafür kann sie sich einfach zu gut an ihren richtigen Vater erinnern. Trotzdem sind sie immer eine Familie gewesen und normalerweise fällt es niemand auf, dass sie nicht miteinander verwandt sind“, erklärte der Junge. Sie erreichten das Auto und machten sich auf den Weg nach Hause. Kurz vor ihrem Ziel fiel Andy etwas auf. „Wir werden verfolgt“, meinte er und warf einen weiteren prüfenden Blick in den Rückspiegel. Ein schwarzer Jeep hielt sich seit ihrer Abfahrt am Friedhof hartnäckig hinter ihnen. Sie waren bestimmt schon fünfmal abgebogen und er folgte ihnen immer noch. „Hm, vielleicht die Polizei? Fahr ich etwa wieder ohne Licht, oder was?“, fragte Kato und überprüfte den Lichtschalter. Er vergaß öfters das Licht anzumachen, weil er ja im Dunkeln sehen konnte und es nicht brauchte. „Das ist nicht die Polizei, die wären unauffälliger und würden mehr Abstand halten“, entgegnete Andy besorgt. Er überlegte fieberhaft, wie sie den Verfolger loswerden könnten. „Ich hab eine Idee...“, sagte Kato grinsend. Sein Freund hatte einen leisen Verdacht, woraus diese Idee bestand. „Bitte, keine Verfolgungsjagd. Sie dürfen nicht mitkriegen, dass wir sie bemerkt haben. Fahr einfach weiter“, sagte er mit einem Anflug von Panik in der Stimme. Er kannte Kato und seinen Fahrstil eben zu gut. Der Fahrer musste lachen. „Das wäre auch eine Option... Aber das mach ich nicht, auch wenn´s bestimmt lustig wäre...“ Sie fuhren weiter, an der Hauseinfahrt vorbei und bogen ein Stück weiter in einen Feldweg ein. An einer breiten Stelle des Wegs hielt Kato an, drehte sich grinsend zu seinem Beifahrer um und rückte ein Stück näher. „Küss mich“, flüsterte er verschwörerisch. Andy kam mit Freuden der Aufforderung nach. Das war auch ein guter Plan. Ihre Verfolger waren ihnen anscheinend doch nicht auf den Fersen gewesen, denn der Weg hinter ihnen blieb verlassen. Sie lösten ihren Kuss und Kato sah sich unauffällig um. „Sie stehen vorne an der Straße. Ein Mann und eine Frau. Sie haben ein Fernglas und beobachten uns“, sagte er leise und gelassen. Andy wollte in die angegebene Richtung schauen aber eine starke Hand legte sich an seine Wange und hielt ihn fest. „Nicht hinsehen...“, flüsterte Kato und verwickelte ihn wieder in einen langen Kuss. Andy fragte sich, wie sie aus dieser Situation wieder rauskommen sollten. Kato dachte anscheinend nicht drüber nach. „Sollen wir denen mal zeigen, was wir draufhaben?“, flüsterte er kichernd und seine Augen blitzten belustigt auf. Der Andere musste grinsen; typisch Kato. Aber sollten sie das wirklich tun? Der Gedanke, dass zwei Leute sie dabei beobachteten war für Andy irgendwie beängstigend. „Wenn sie sehen, dass wir deswegen hierhin gefahren sind, gehen sie bestimmt wieder und wir können abhauen. Oder weitermachen... Andererseits, wenn sie uns zugucken wollen, können wir sie wohl nicht davon abhalten ohne aufzufallen. Aber ich persönlich hätte kein Problem damit, dass sie uns beobachten, ganz im Gegenteil... Es liegt an dir. Tun wir´s?“ Während er das sagte hatte Kato seine Hände unter Andys T-Shirt geschoben und wartete nun auf eine Antwort. „Okay“, flüsterte der Größere und sein Freund fiel sogleich über ihn her. Andy hatte ganz vergessen, wie gut sich das anfühlte... Als er am nächsten Morgen erwachte hatte er keine Ahnung, wie er schlussendlich in Katos Bett gekommen war. Er erinnerte sich nur noch vage an eine Fahrt im Dunkeln über einen Feldweg durch den Wald. Sein Freund schlief neben ihm und hatte die Arme um ihn gelegt. Er sah aus als würde er sich über etwas Sorgen machen und fuhr plötzlich aus dem Schlaf auf. „Hey, was ist los?“, fragte Andy besorgt. „Diese Leute gestern Nacht... Ich bin so blöd...“, murmelte der Kleinere und schlug die Hand vor seine Stirn. „Was meinst du? Wir sind ihnen doch unauffällig entkommen, oder nicht?“ Andy war ernsthaft verwirrt. „Die Spiegel...“, sagte Kato verzweifelt, „Sie waren so dicht hinter uns, dass sie in die Außenspiegel gucken konnten. Und später auf dem Feldweg konnten sie das möglicherweise auch. Vielleicht haben sie sogar Fotos gemacht. Dann wissen sie jetzt auf jeden Fall über meinen Zustand bescheid. Wir müssen ab jetzt aufpassen, vielleicht sind sie hinter uns her. Auf jeden Fall sind sie hinter mir her... Wenn du nicht in Gefahr geraten willst...“ Kato hörte auf zu sprechen, denn Andy hatte plötzlich panisch seinen Arm ergriffen. „Nein, tu´s nicht!... Bitte, mach nicht schon wieder mit mir Schluss. Das überleb ich nicht“, sagte er verzweifelt. Kato lächelte beruhigend. „Nein, das mach ich nicht. Wir sollten uns nur nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen in nächster Zeit. In der Schule den Hinterausgang benutzen, nicht auf direktem Weg heimgehen, immer getrennt zum selben Ziel gehen und so. Vielleicht verlieren sie dann das Interesse an uns“, entgegnete er. Sein Freund war wirklich erleichtert. „Ja, das ist gut, das sollten wir tun. Mann, ich dachte wirklich, du würdest wieder...“, murmelte er peinlich berührt. „Diesmal nicht. Egal wie hart es kommt, wir bleiben zusammen. Ich hab aus dem letzten Mal gelernt. Außerdem bin in diesem Fall nicht ich die Gefahr sondern jemand anders. Und ich schwöre dir, ich werde dich beschützen. Mit meinem Leben...“ Die grimmige Entschlossenheit in seinem Blick beruhigte und erschreckte Andy gleichzeitig. „Wenn du mich wirklich beschützen willst, dann solltest du nicht dein Leben auf´s Spiel setzen. Denn wenn du dabei stirbst, dann bist du umsonst gestorben und keinem von uns wäre geholfen“, sagte er sanft und Katos Gesichtsausdruck verlor die untypische Härte wieder. „Natürlich werde ich versuchen, nicht dabei zu sterben“, fügte er grinsend hinzu. In den nächsten Tagen tat sich nichts und ihre Verfolger tauchten auch nicht wieder auf. Sie warteten immer noch auf eine Gelegenheit sich die drei Gestalten vom Friedhof einmal anzusehen aber auch die ließen sich nicht wieder sehen. Die einzige positive Nachricht war, dass es Toto wieder gut ging und er keine Schäden davongetragen hatte. Er traf sich mit Casey Molietta, dem fürsorglichen jungen Polizisten, und sie freundeten sich sehr schnell an. Es stellte sich heraus, dass der Mann ihn schon länger kannte als sie geglaubt hatten. Er wurde oft in der Nähe von Totos Schule auf Streife geschickt und der Junge war ihm anscheinend aufgefallen als er am Zaun des Schulhofs vorbeiging. „Er saß immer ganz allein da am Rand und... irgendwie war er mir von Anfang an sympathisch, obwohl ich nie ein Wort mit ihm geredet hatte. Und dann wurden wir hierher gerufen und da war er plötzlich. Als ich ihn in diesem Zustand sah, wollte ich ihm helfen. Ich will ihm ein Freund sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger“, erklärte er Andy und Kato, die ihn vor der Haustür abgefangen hatten, als er Toto besuchen wollte. „Wenn du sein Herz brichst oder sonstwas mit ihm anstellst, kannst du was erleben“, meinte Kato bloß und ließ ihn vorbei. Anscheinend war seine Drohung unnötig und Caseys Motive waren wirklich so ehrenhaft wie sie schienen, denn kurze Zeit später kamen die Beiden aus dem Haus und gingen gut gelaunt Richtung Stadt. „Vielleicht ist es gut, wenn wir diesen Casey auf unserer Seite haben. Du weißt schon, wegen den Morden“, meinte Andy als sie wieder reingegangen waren. „Hm, ja... Sag mal... du erinnerst dich doch sicher noch an Martin... den Kunstlehrer...“, sagte Kato und sah sich nervös um. „Und wie ich mich erinnere... Was ist mit ihm?“, erwiderte sein Freund besorgt. „Meinst du, Casey weiß was mit ihm passiert ist? Die Polizei sagte damals sie würden sich wieder bei mir melden, von wegen Zeugenaussage und so. Aber bis heute hab ich nichts mehr von denen gehört. Ich hab Angst, dass er freigelassen wurde und... sich rächen will“ So ängstlich hatte Andy seinen Kleinen lange nicht mehr gesehen und er überlegte sich, wie er ihn wieder beruhigen konnte. „Wenn das so wäre, würde er schon längst hier auf der Tür stehen. Mach dir keine Sorgen... Es gibt allerdings eine Möglichkeit, es rauszufinden ohne jemand zu fragen“ Kato sah ihn fragend und nur halbwegs beruhigt an. „Wir müssen in seine Akte sehen. Ich bin mir sicher, du könntest hingehen und in den Archivraum reinschweben und na ja, halt nachgucken. Eine weitere Möglichkeit wäre, Casey zu hypnotisieren, damit er für uns nachguckt“, erklärte Andy siegessicher. „Aber ich kann keine Leute hypnotisieren, das weißt du doch... Warte mal, Lidia kann sowas. Hm, das könnte klappen. Und wenn wir schonmal dabei sind können wir auch gleich etwas über die Vampir-Morde rausfinden“, meinte Kato, der plötzlich wieder optimistisch war. „Klingt nach `nem Plan“, entgegnete sein Freund grinsend und sein Kopf malte sich schon die Szene aus, wie sie die mordenden Vampire stellten. Kapitel 6: Hypnose ------------------ Sie hatten ein Problem: Wie sollten sie Casey zu Lidia schaffen, ohne dass er ihren Zustand bemerkte? Wenn sie ihn unter einem Vorwand auf den Friedhof oder sonst wohin lockten, würde er misstrauisch werden und ihnen möglicherweise hinterher spionieren. Casey war gewiss nicht dumm und er würde es sicher rausfinden. Sie konnten ihm auch einen Schlag auf den Kopf verpassen oder ihn betäuben aber das war auch zu offensichtlich. Und außerdem wollten sie nicht, dass jemand von der ganzen Sache erfuhr sonst hätten sie Toto zu Hilfe nehmen können, der aber sowieso zu beschäftigt war. Er war andauernd mit Casey unterwegs und wenn nicht, dann mit irgendwelchen anderen Männern. Sie hatten eigentlich gehofft, dass er seine Lektion gelernt hatte, aber das war wohl nicht der Fall. Die Beiden würden sich später um dieses Problem kümmern, jetzt galt es erstmal ihren Plan umzusetzen. Es war Lidia, die auf die entscheidende Idee kam. „Ihr könntet ihn irgendwie dazu bringen, über Nacht bei uns zu bleiben. Und wenn er dann schläft komme ich und hypnotisiere ihn. Am nächsten Morgen wird er aufwachen und genau das tun, was wir wollen“, erklärte sie. „Und das funktioniert? Hypnose im Schlaf?“, fragte Andy skeptisch. Er hatte immer gedacht, man müsste den Vampiren dafür in die Augen sehen. „Natürlich funktioniert das. Frag Kato“, entgegnete das Mädchen grinsend. „Ja, es klappt. Sie hat das mal mit mir gemacht, nur um zu testen, ob es geht. Sie hat mich nackt dreimal ums Haus laufen gelassen nachdem ich wachgeworden war. Ich hab es nicht mitbekommen und konnte mich auch nachher nicht dran erinnern“, bestätigte ihr Cousin. „Na gut, dann müssen wir Casey nur noch dazu bringen, bei uns zu schlafen. Aber ich fürchte, dafür brauchen wir doch Betäubungsmittel... oder Totos Hilfe“, sagte Andy nachdenklich. Wie sollten sie das bloß anstellen ohne irgendwen zu vergiften oder noch mehr Leute einzuweihen? Plötzlich schien Lidia wieder eine Idee zu haben. „Für wann ist das nächste Gewitter vorausgesagt?“, fragte sie. „Für morgen. Wieso?“, antwortete Andy und beobachtete, wie auf Katos Gesicht ein wissendes Grinsen erschien. „Na ja, wie du vielleicht weißt bin ich ein Vampir. Und Vampire können über das Wetter befehlen. Und mein kleiner Bruder, egal wie erwachsen er sich auch vorkommt, hat schreckliche Angst vor Gewittern. Wenn nun dieser Casey ihn wirklich so gern hat wie er sagt, wird er ihn doch nicht ganz allein in Todesangst im Haus zurücklassen, wenn morgen Abend der Sturm losbricht. Und wenn der Sturm dann vorbei ist, werden sie einschlafen und dann ist er dran“, erklärte sie ihren Plan. „Ach, Lidia. Wenn wir dich nicht hätten...“, meinte Kato ernst. „Dann wärt ihr ganz schön angeschissen“, beendete sie grinsend seinen Satz. Und so bereiteten sie alles für den kommenden Abend vor. Valentina und Dorkan waren aus dem Haus geschafft. Kato hatte ihnen kurzerhand einen Tisch in einem Restaurant gebucht und sie einfach hingeschickt. Casey kam wie geplant kurz nach Einbruch der Dunkelheit an und hatte ein paar Filme dabei. Er machte es sich mit Toto im Wohnzimmer bequem und die beiden sahen sich passenderweise einen Horrorfilm an. Als es komplett dunkel war erschien Lidia stolpernd vor dem Haus, wo Andy und Kato schon auf sie warteten. Sie beschwor Gewitterwolken herauf und ließ die ersten Blitze über den Himmel zucken. Sie konnten durch das Fenster beobachten, wie Toto ängstlich zusammenzuckte und näher zu seinem Nebenmann rückte, der sofort schützend den Arm um ihn legte. Das war die Reaktion mit der sie gerechnet hatten. Allerdings hatten sie nicht mit Lidias Reaktion gerechnet. „Hey, der grapscht meinen Bruder an! Habt ihr das gesehen? Bei der ersten Gelegenheit...“, regte sie sich auf und das Gewitter wurde stärker. Ein schwerer Platzregen setzte ein und durchnässte sie alle innerhalb von Sekunden bis auf die Knochen. „Aber Lidia! Das ist doch der Sinn der Sache!“, rief Andy über das Tosen des Regens hinweg. Trotzdem war sie wütend auf Casey. Das konnte sicher tierisch schief gehen, wenn sie jemand hypnotisierte, auf den sie böse war. Vor allem, weil Lidia ihr Temperament absolut nicht im Griff hatte. Mittlerweile hatten ihre Zielpersonen im Wohnzimmer den Fernseher aus- und das Licht angeschaltet, sodass sie sie jetzt noch besser beobachten konnten. Sie bewegten sich durch den Raum und zogen die Stecker der Elektrogeräte raus. Das taten sie anschließend wohl auch im restlichen Haus. Dann kehrten sie auf die Couch zurück. Toto war anscheinend nicht mehr ganz so ängstlich, trotzdem legte Casey wieder den Arm um ihn. Diese Tatsache versetzte Lidia wieder in Rage, sodass sie einen Blitz auf der Wiese einschlagen ließ. Sie sahen wie Toto förmlich auf Casey sprang und sich in seinen starken Armen verkroch. Plötzlich schien in Lidia eine Wandlung vorzugehen. Das Gewitter flaute ab und der Regen verlor ein bisschen von seiner Kraft. Das Mädchen drehte sich zu den beiden Jungs um. „Was mach ich hier eigentlich? Ich quäle meinen eigenen Bruder... Das kann ich doch nicht machen“, sagte sie. Warum war diese Frau bloß so emotional?! Jetzt mussten sie sich schnell etwas einfallen lassen sonst ging ihr ganzer Plan den Bach runter. „Lidia, hör zu. Wir sind fast fertig, okay? Mach noch ein bisschen weiter. Ich gehe jetzt und beschleunige die Sache“, meinte Kato, wartete bis sie ihre Tätigkeit wieder aufnahm und verschwand. Andy fragte sich noch, was er vorhatte, da ging auch schon das Licht im Wohnzimmer aus. Kato stand sofort wieder neben ihm und beobachtete die Auswirkungen seiner Aktion. Eine Taschenlampe ging an, es gab ein kleines unerkennbares Hin und Her und schließlich begaben die Beiden sich aus dem Zimmer. „Casey wollte die Sicherung wieder anmachen, aber Toto wollte nicht, dass er geht. Schließlich hat Toto gewonnen und er hat ihn wie ein kleines Kind auf dem Arm rausgetragen. Jetzt sind sie wahrscheinlich auf dem Weg ins Schlafzimmer“, erklärte Kato seinem Freund, der das wegen mangelnder Nachtsicht nicht hatte erkennen können. Lidia ließ den Sturm noch einige Minuten weiter toben und schickte die Gewitterzelle dann langsam Richtung Mosel. „Und was jetzt?“, fragte sie aufgeregt. „Jetzt warten wir, bis sie eingeschlafen sind. Ich hoffe sie beeilen sich. Es ist tierisch kalt hier“, meinte Andy, während er den Ärmel seines Pullovers auswrang. Sie standen fünf Minuten ungeduldig da und warteten. Kato wollte gerade zum Fenster schweben und nachsehen, ob die Beiden schliefen da fuhr ein Auto die Auffahrt hoch. Tina und Dorkan kamen zurück und waren ziemlich verwirrt, als sie die drei Verschwörer vor dem Haus entdeckten. „Na, das war´s dann wohl für heute... Ausrede!“, murmelte Kato und pikste Andy beim letzten Wort leicht in den Rücken. „Was macht ihr denn hier? Ihr seid ja ganz nass“, sagte Dorkan und musterte sie skeptisch als hätte er bemerkt, dass etwas nicht stimmte. „Wir waren spazieren und äh, wurden vom Regen überrascht. Wir sind grade hier angekommen“, log Andy recht überzeugend. „Wo ist Antoni?“, fragte Tina mit einem Anflug von Sorge in ihrer Stimme. „Er ist drinnen. Casey ist bei ihm... Die Beiden schlafen bestimmt schon“, meinte Kato und Lidia nickte bekräftigend. Sie machten sich auf den Weg ins Haus und begaben sich ganz leise in ihre Zimmer. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte Lidia als sie auf Katos Couch saßen. „Wir ziehen die Sache durch. Es gibt da noch einen Plan B. Ich gehe rein und mache euch die Tür auf. Dann kannst du Casey hypnotisieren. Ich versuche Toto im Schlaf zu halten. Ich meine, ein bisschen kann ich das mit der Hypnose ja auch und dafür sollte es allemal reichen. Andy, du stehst daneben und passt einfach auf, dass nichts passiert. Es könnte vorkommen, dass Lidia oder ich ohnmächtig werden. Das passiert wohl eher mir... Jedenfalls sollten wir uns so langsam mal an die Arbeit machen. Das kann nämlich unter Umständen lange dauern“, erklärte Kato seinen neuen Plan. Absolut leise verschwanden sie aus dem Zimmer und schlossen die Tür von außen ab. Kato löste sich auf und einige Sekunden später drehte sich der Schlüssel in Totos Türschloss. Sie schlichen in das aufgeräumte Zimmer und verschlossen die Tür wieder. Als sie vor dem Bett standen und Andy die mitgebrachte Taschenlampe anmachte bot sich ihnen allen ein Bild totalen Friedens. Toto und Casey lagen in einer engen, trotzdem freundschaftlichen, Umarmung in tiefem Schlaf. Sie sahen aus als könnte nichtmal ein Erdbeben sie aufwecken. „Oh, wie süß!“, flüsterte Lidia entzückt. Anscheinend hatte sie ihre Wut auf Casey überwunden und sah ein, dass er und ihr Bruder bloß Freunde waren. Andy musste sie aus ihrem eigenen Trancezustand holen, damit sie anfangen konnten. Es war schon irgendwie gruselig das zu beobachten. Lidia stand mit konzentriertem Gesichtsausdruck vor dem Bett und hatte die Augen geschlossen. „Casey, höre meine Stimme...“, murmelte sie, „Du gehorchst nur noch meinem Wort. Wenn du aufwachst wirst du einen Zettel in deiner Hosentasche finden. Auf diesem Zettel steht der Name eines Mannes. Du wirst herausfinden, wo er ist und wenn ich dich wieder hypnotisiere wirst du es mir sagen. Du wirst niemandem außer mir davon erzählen. Und wenn du morgen auf die Arbeit kommst, wirst du außerdem alle Akten über die Vampir-Morde kopieren. Auch hiervon wirst du niemand außer mir erzählen. Morgen, wenn die Sonne untergegangen ist werde ich dich rufen und du wirst meinem Ruf folgen. Wundere dich nicht und stelle keine Fragen, dann wird dir auch nichts geschehen. Hast du verstanden?“ Casey nickte im Schlaf und Lidia tauschte ihren gespenstisch-abwesenden Blick gegen ihr strahlendstes Lächeln. Sie schlug die Decke zurück und schob den kleinen Zettel in die Hosentasche des Polizisten. „Alles klar. Mission erledigt. Kato, du kannst aufhören“, sagte das Mädchen und lehnte sich hinüber, um ihren Cousin anzustoßen, der aufzuwachen schien und sich an den Kopf griff. Sie verschwanden wieder aus dem Zimmer und ließen sich erneut auf Katos Couch sinken. „Wie machst du das bloß mit der Hypnose? Das ist furchtbar anstrengend und bei dir sieht das immer so locker aus“, sagte er zu Lidia. „Hypnose ist meine Stärke, so wie der Verschwinde-Trick deine Stärke ist. Das sieht bei dir auch immer einfacher aus als es ist“, entgegnete sie. Kurz darauf machte sie sich auf den Weg zum Friedhof und ließ die beiden Jungs allein. Jetzt galt es für alle, einfach zu warten. Am nächsten Tag waren endlich Ferien und so konnten zumindest die Schüler unter ihnen mal wieder ausschlafen. Casey war der erste, der aufstehen musste. Er hatte sich einen Wecker gestellt und weckte damit fast das ganze Haus. Er verschwand nach einiger Zeit und sie konnten weiterschlafen. Andy und Kato erwachten am späten Nachmittag. Sie hatten in der Nacht vollkommen vergessen, ihre nassen Klamotten auszuziehen und nun war ihnen trotz der sommerlichen Temperaturen ziemlich kalt. Der Versuch, die Kälte einfach zu ignorieren, scheiterte und Andy kam auf die Idee sich in die Badewanne zu legen. Das machte er im Winter immer, wenn ihm einfach nicht mehr warm werden wollte. Kato fand den Einfall auch nicht schlecht und gut gelaunt bereitete er alles vor. Das Badezimmer lag auf der Nordseite des Hauses und war somit auch im Sommer ziemlich kühl, sodass sie sich sofort in die Wanne setzten nachdem sie ihre Klamotten losgeworden waren. Der Platz war ziemlich eingeschränkt, was sie aber nicht weiter störte; ganz im Gegenteil. Tatsächlich hatte Andy den Vorschlag nicht ohne Hintergedanken gemacht und er kniete bald schon auf allen Vieren über Kato und küsste ihn, wobei er seine Absichten sehr deutlich machte. Das warme Wasser zwischen ihnen umspielte ihre Körper fast zärtlich, wurde aber bald verdrängt als die Liebenden sich mit noch mehr Zärtlichkeit einander hingaben. Ihnen wurde endlich wieder warm, aber es lag nicht an ihrem heißen Bad. Irgendwann klopfte es an der Tür. „Habt ihr´s bald, da drinnen? Ich komm noch zu spät zu meinem Date“, rief eine aufgebrachte Ina. „Ja, und ich mach mir gleich in die Hose!“, fügte ihre Tante hinzu. Peinlich berührt stiegen die Jungs aus der Badewanne. Die restlichen Hausbewohner hatten bestimmt alles mitbekommen aber das war ja nichts Neues. In Bademäntel gehüllt überließen die Beiden das Zimmer den ungeduldigen Damen des Hauses. Sie begaben sich auf Katos Bett und machten da weiter, wo sie aufgehört hatten. Endlich fühlte es sich wieder so an wie früher. Seit sie wieder zusammen waren, war ihre Beziehung irgendwie zweigeteilt gewesen. Auf der einen Seite stand der Sex, der oft nur ihrer körperlichen Erregung gedient hatte (auch vorher schon) und auf der anderen Seite ihre ozeantiefen Gefühle füreinander, die sie am Anfang auch ohne Sex hatten ausleben können. Doch jetzt war beides wieder vereint und die liebevolle Zärtlichkeit war zurückgekehrt. Sie konnten sich endlich wieder im Arm halten und küssen, ohne dabei augenblicklich geil zu werden und übereinander herzufallen. Es war einfach wundervoll und so lagen sie da in stiller Zweisamkeit bis die Sonne unterging und sie zu Lidia mussten. Das Mädchen erwartete sie schon ungeduldig. Sie hatte bereits nach Casey gerufen, der jeden Moment eintreffen konnte. Und tatsächlich kam er im nächsten Moment um die Ecke und schritt zielstrebig auf sie zu. „Geht am besten da hinten rüber. Ich habe ihm gesagt, dass er es nur mir erzählen darf und wenn noch jemand da ist, wird er kein Wort sagen“, erklärte sie und die Beiden machten einen kleinen Spaziergang. Als sie zurückkehrten stand der Mann mit abwesendem Gesicht da und sie blätterte durch eine dünne Mappe. „Er hat gesagt, dieser Martin wäre nach Süddeutschland versetzt worden. Da hat er dann wieder einen Schüler vergewaltigt und jetzt ist er in der geschlossenen Psychiatrie... Und das hier ist die Akte über die Vampir-Morde. Steht nichts interessantes drin“, sagte Lidia und gab ihnen die Mappe. Sie wandte sich wieder an Casey. „Du wirst jetzt nach Hause gehen und wenn du da ankommst, wirst du dich nicht mehr an diese ganze Sache erinnern. Geh“, sagte sie und er verschwand. „Gut, wir haben was wir wollten. Danke für deine Hilfe, Lidia. Wir halten dich auf dem Laufenden wenn wir was rausfinden“, sagte Andy lächelnd und zog seinen Freund mit sich, um den Friedhof zu verlassen. Als sie wieder zum Auto gingen spürte er plötzlich Katos Hand in seiner. „Immerhin ist er eingesperrt...“, murmelte der Rumäne und bezog sich auf Martin. „Ja, das ist er. Und hoffentlich lassen sie ihn nie wieder raus“, meinte der Andere und legte beruhigend einen Arm um ihn. Sie fuhren nach Hause und setzten sich mit der Akte auseinander. Aber wie Lidia schon erwähnt hatte, fand sich nichts Interessantes darin. Sie diskutierten die kleinsten Einzelheiten und versuchten Hinweise aus ihnen zu machen aber es gelang ihnen nicht. Es schien hoffnungslos, bis das Telefon klingelte... Kapitel 7: Der Kampf -------------------- Kato beantwortete überrascht den Anruf. In weiser Voraussicht schaltete er den Lautsprecher an, damit sein Freund mithören konnte. Am anderen Ende hörten sie ein Geräusch, dann eine leise Stimme. „Kato?“, flüsterte sie. „Lidia? Was ist los?“, fragte der Angesprochene, der die Stimme seiner Cousine kaum wiedererkannte. „Sie sind hier“, sagte das Mädchen; ihr Flüstern kaum noch hörbar. Sie legte auf und die beiden Jungs sprangen alarmiert von ihren Stühlen. „Du bleibst hier. Ich werde allein gehen. Wenn wir es wirklich mit Vampiren zu tun haben ist es zu gefährlich für dich“, sagte Kato und wollte sich schon auf den Weg machen. „Ich komme mit. Ich lasse nicht zu, dass du ganz allein in Lebensgefahr gerätst“, erwiderte Andy, der damit schon gerechnet hatte. „Andy, ich bitte dich... Bleib hier. Du hast doch gar keine Ahnung mit was du dich anlegst. Ich habe gesehen, was sie mit Menschen machen, die ihnen im Weg stehen“, sagte sein Freund eindringlich. „Ich habe dir schonmal gesagt, dass ich dir bis in den Tod folgen würde. Also, wenn wir draufgehen, dann wenigstens zusammen. Wir sollten uns vielleicht auf den Weg machen, sonst kommen wir zu spät“, antwortete der Größere entschlossen und machte sich schon auf den Weg zur Tür. „Ich hol schnell meine Sachen. Mach schonmal das Auto an“, meinte Kato überzeugt und gab dem Anderen die Schlüssel. Er lief hastig nach oben, während Andy tat was er gesagt hatte. Er brauchte fünf Versuche, bis der Motor endlich lief. Die Beifahrertür öffnete sich und der kleine Toto kletterte in den Wagen. „Ich komme mit“, sagte er in einem Ton, der keine Widerrede zuließ und warf eine schwarze Tasche in den Fußraum. „Aber... Du bist doch noch ein Kind... Ich meine, bist du nicht noch zu jung für sowas?“, stotterte Andy überrascht. Der Kleine lachte spöttisch. „Ich hab das schon öfter gemacht als du glaubst. Ich bin auf der Jagd großgeworden... Sie haben meinen Vater getötet, weißt du. Sie haben sein Blut getrunken und sein Herz rausgerissen... Das ist die einzige Erinnerung, die ich an ihn habe. Wie er tot zusammenbricht und meine Mutter über seiner Leiche weint... Und deswegen werde ich diese verfluchten Vampire töten... Wag es nicht mir noch einmal zu sagen, dass ich zu jung dafür bin“ Seine Stimme war kalt und unmenschlich hart geworden, während er das sagte und in seinen Augen loderte die Wut wie ein Feuer. „Es tut mir leid, das wusste ich nicht. Und es tut mir leid, dass ich dich unterschätzt habe. Du hast alles Recht der Welt, sie auf den Tod zu hassen und zu jagen. Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst“, entgegnete Andy ruhig und gefasst. „Und wenn schon“, meinte er bloß. Endlich kam Kato, bewaffnet mit einer Armbrust und seinem Dolch, aus dem Haus gelaufen und sprang in das Auto. Er sah Toto kurz in die Augen, nickte dann und fuhr los. Sein Fahrstil war ja sonst schon beängstigend aber unter diesen Umständen fuhr er noch schneller und weigerte sich seinen Fuß auf die Bremse zu stellen. Er schob Andy eine der großen schwarzen Taschen zu, die er mitgebracht hatte. „Hier, das ist Lidias alte Ausrüstung. Toto, erklär ihm alles“, befahl er hektisch. Der Kleinere schnappte sich die Tasche und wühlte darin herum. Er stellte Andy die verschiedenen Waffen vor wie in einer Werbeshow. „Zuerst haben wir den berühmten Holzpflock mitsamt Hammer. Effektiv, aber umständlich und sehr gefährlich. Dann die Pistole mit den Silberkugeln. Mit Abstand die beste Waffe, wenn man damit umgehen kann. Aber sei vorsichtig. Das Ding tötet nicht nur Vampire sondern auch Menschen. Außerdem findest du hier noch diverse silberne Messer und sogar ein Beil. Dann ist hier noch jede Menge Kram drin, der in unserem Fall vollkommen nutzlos ist. Oh, silberne Wurfsterne, cool... Ach ja, falls du dich wunderst, wir haben kein Weihwasser und auch keine Kreuze, weil wir nicht an Gott glauben und viele Vampire tun das auch nicht“, schloss er seine Erklärung. „Schon klar. Wer nicht an Gott glaubt kann ihn weder fürchten noch auf ihn vertrauen“, sagte Andy und sein Gegenüber nickte. „Wir müssen sehr vorsichtig sein“, meinte Kato, der immer mehr aufs Gas trat, „Aber vor allem dürfen wir unter keinen Umständen zögern, wenn sich uns eine Chance bietet. Auch wenn wir dadurch selbst in Gefahr geraten, wir müssen sie besiegen, denn sie sind eine Gefahr für die Menschheit“ Eine Minute herrschte absolute Stille, dann fing Toto wieder an in seiner Tasche zu kramen und zog ein kleines Kästchen heraus. „Was ist das?“, fragte Andy neugierig. „Mein Glücksbringer. Ein Erbstück von meinem Vater“, antwortete der Jüngere und legte das enthaltene Schmuckstück um seinen Hals. Endlich erreichten sie den Friedhof und hielten mit quietschenden Bremsen an. Toto sprang aus dem Auto und Andy wollte es ihm gleichtun, als eine Hand ihn festhielt. Kato drehte ihn zu sich um und küsste ihn stürmisch. „Pass auf dich auf. Ich liebe dich“, flüsterte er und verließ das Auto. Die drei Jungs rannten schnell und trotzdem leise in Richtung Lidias Grabstätte. Auf halbem Weg kam ihnen das Mädchen auf einmal entgegen und winkte zur Begrüßung. „Ich weiß nicht, wo sie hin sind. Es waren drei. Zwei Männer und eine Frau, die von weitem aussah wie ich. Zwei von ihnen waren Vampire und der Dritte ein Mensch, der keine Angst hatte. Sie sind hier noch irgendwo und sie haben was vor; das kann ich spüren“, flüsterte sie und sah sich aufmerksam um. Sie gingen zu der alten Kapelle und warteten, ob etwas geschah. Die Dunkelheit bot ihnen, aber auch den Anderen, keinen Schutz und so machte es keinen Unterschied, dass sie im Licht standen. Die Anspannung war fast greifbar und sie sahen sich ständig um. „Hey, ist alles in Ordnung? Willst du nicht doch lieber gehen, bevor es hier ernst wird?“, fragte Kato seinen Freund leise und ergriff seine leicht zitternde Hand. „Vergiss es... Ich wünschte, irgendetwas würde passieren“, antwortete Andy und starrte in die Dunkelheit. Der einzige Grund für seine offensichtliche Furcht war die Tatsache, dass er nicht im Dunkeln sehen konnte. Wenn sie angegriffen wurden und außerhalb der Lichtkegel von der Friedhofsbeleuchtung mit ihren Gegnern kämpfen mussten, hatte er keine Chance. Er fürchtete sich nicht vor dem Tod aber sterben wollte er jetzt auch nicht unbedingt. Immerhin war Kato an seiner Seite, falls es wirklich heute Nacht dazu kam. Plötzlich spannten die anwesenden Vampire sich merklich an. Sie hatten etwas gesehen oder gehört. „Spürt ihr es?“, flüsterte Lidia. Da fiel auch Andy die Kälte auf, die sich mit einem Mal über den Friedhof gelegt hatte wie ein unsichtbarer Nebel. Sie schien aus dem Nichts zu kommen. Unvermittelt tauchte eine Frau auf. Sie lief den Weg entlang, der sich vom Friedhofstor zwischen den Gräbern hindurchwand. „Das ist sie“, flüsterte Lidia. Die Frau hatte sie tatsächlich nicht bemerkt und rannte unbeirrt weiter. „Hey, Vampir! Stehen bleiben!“, rief Kato und legte seine Armbrust auf sie an. Sie drehte sich um und sah ihn an. Sein entschlossener Gesichtsausdruck wich einer unglaublichen Überraschung. Er kannte sie. Immer noch mit der Waffe im Anschlag ging er auf sie zu und die Anderen folgten ihm zögerlich. „Amalia. Was zum Teufel machst du hier?“, fragte er auf Rumänisch. „Katolin, mein kleiner Liebling. Lange nicht gesehen, was? Du bist groß geworden... und sexy“, meinte sie und sah ihn interessiert an. „Sag mir sofort, was du hier willst oder ich erschieße dich“, entgegnete er ungerührt. „Das erfährst du schon noch... ne mai vedem“ `Wir sehen uns noch´, mit diesen Worten löste sie sich in Luft auf. Kato drückte nur den Bruchteil einer Sekunde zu spät den Abzug, sonst hätte er sie noch getroffen. „Sînge apă nu se face“, murmelte er und lud die Armbrust nach. Andy wollte ihn gerade fragen, was das hieß da kamen zwei Paar schnelle Schritte auf sie zu und eine männliche Stimme rief: „Endlich haben wir euch, ihr verfluchten blutrünstigen Monster!“ Die Stimme gehörte einem großen, griechisch-aussehenden Typen, der die gleiche Waffe hatte wie Kato. Hinter ihm stand eine Frau mit sportlicher Figur, die eine Pistole trug. Mit ihren Klamotten hätten die Beiden perfekt in ein Computer-Spiel oder einen Action-Film gepasst. „Und wer seid ihr zwei Gestalten bitte?“, fragte Kato fast belustigt. „Wir sind die, die euch zur Strecke bringen, ihr Mörder“, sagte der Mann und zielte auf ihn. Sie kamen näher und die kleine Gruppe wich ein paar Schritte zurück. So langsam machte sich unter ihnen doch die Todesangst bemerkbar. „Hier muss eine Verwechslung vorliegen. Die Frau, die Sie suchen...“,begann Andy wurde aber von ihm unterbrochen. „... steht dort!“, rief er und zeigte auf Lidia. Jetzt erst fiel Andy auf, dass sie gar nicht bewaffnet war. Er wollte ihr gerade unauffällig etwas aus seiner Tasche geben, da schallte ein Ruf durch die Nacht. „Sterbt!“, riefen die beiden Vampirjäger und feuerten wahllos ihre Waffen auf sie ab. Instinktiv warfen sie sich auf den Boden und die Geschosse zischten über sie hinweg. Lidia erhob sich als erstes wieder und fing an, die Beiden mit allen möglichen Schimpfwörtern zu betiteln. Sie war so in Rage, dass sie gar nicht sah, dass der Kerl sich erneut zum Schuss bereitmachte. Andy bemerkte es. Ein unglaublicher Adrenalin-Stoß ließ ihn aufspringen. Er stieß Lidia genau im richtigen Moment zur Seite und in der nächsten Millisekunde flog der Pfeil auf ihn zu. Er sah ihn wie in Zeitlupe kommen und machte wie in Zeitlupe eine Bewegung nach links. Ein stechender Schmerz in seinem rechten Oberarm holte ihn in die normale Geschwindigkeit zurück und er landete hart auf dem Kiesweg. Es tat so weh! Und es blutete fürchterlich. In diesem Moment war er froh, Linkshänder zu sein. Der Junge ignorierte die Schmerzen so weit er konnte und versuchte seinen Freunden zu helfen, die immer noch den Geschossen auswichen und selbst auch auf ihre Angreifer feuerten. Andy zog seine Pistole und entsicherte sie. Er zielte auf den Mann, seine Sicht verschwamm und er kippte leicht nach vorne. Blindlings drückte er ab – und verfehlte. Er schoss die nächste Kammer leer und streifte zumindest mal seinen Mantel. Eine Hand packte ihn am Kragen und er wurde hinter einen Grabstein gezerrt. Lidia beugte sich über ihn und sagte etwas, dann machte sie sich auf schmerzhafte Art und Weise an seinem Arm zu schaffen und versuchte den Pfeil zu entfernen. Es gelang ihr auch, nur jetzt floss das Blut noch stärker. Sie kramte in seiner schwarzen Tasche und förderte einen kleinen Verbandskasten zutage. Was sie dann machte, realisierte Andy nicht mehr. Das nächste was er mitbekam war der stramme Verband an seinem Arm und Lidia, die sich wieder in den Kampf warf. Andy regenerierte sich nach einigen Sekunden, seine Schmerzen verschwanden fast völlig und er nahm seine Waffen wieder auf. Er versuchte aus dem Schutz des Steins ein paar Schüsse zu platzieren, scheiterte aber kläglich. Wenn sie hier rauskamen, würde er endlich richtig schießen lernen. Er verschoss seine ganze Munition und duckte sich wieder hinter den Stein, um nachzuladen. Das Getöse des Kampfes ließ nach. Neugierig wie er war, schaute er um den Grabstein herum. Die Vampirjägerin kramte in ihren Manteltaschen nach neuen Pistolenkugeln, der Mann legte einen neuen Pfeil in seine Armbrust, Kato kniete außer Atem auf dem Kiesweg und Toto hatte Probleme sein Wurfmesser aus dem Gürtel zu bekommen. Einzig Lidia stand da und war für eine weitere Runde bereit. Sie standen alle still. Das war die Chance. Andy zielte genau und hielt die Luft an. Er wollte den Kerl nicht umbringen, nur verletzen. Er drückte den Abzug, die Pistole schlug nach rechts und er hatte schon wieder nicht getroffen. Der Kerl allerdings schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Noch bevor der Schuss verhallt war feuerte er seinen letzten Pfeil ab. Präzise und schnell mitten in Lidias Herz. „Ptiu!“*, flüsterte sie und fiel nach hinten. „Lidia! Nein... bitte nicht“, rief Toto und stürzte zu ihr. „Unsere Arbeit hier ist getan. Wir sehen uns wieder“, meinte der Vampirjäger und drehte sich mit einer filmreifen Bewegung um. Bevor irgendjemand es mitbekommen hatte, hatte Kato ihm und seiner Kollegin jeweils von hinten ein Messer ins Bein geworfen, sodass sie mit lauten Schmerzensschreien zu Boden gingen. Andy war in der Zwischenzeit zu Lidia geeilt und auch sein Freund kam besorgt hinzu. Das Mädchen lag auf dem Rücken, in ihrer Brust steckte noch der Pfeil und ihr Bruder versicherte ihr gerade, dass alles wieder gut würde und wollte den Pfeil rausziehen. „Ja, das wird es“, flüsterte sie schwach und Blut lief aus ihrem Mundwinkel, während sie seine Hand wegschob. Ein schwarzes Mal breitete sich wie Tentakel von dem Pfeil aus. Lidia zog ihren liebsten Silberring vom Finger und drückte ihn lächelnd ihrem Bruder in die Hand. Dann erstarb ihr Lächeln, das Leuchten ihrer Augen verglimmte und sie stieß einen gequälten Schrei aus. Im nächsten Moment zerfiel ihr Körper mitsamt ihren Kleidern zu Staub, der von einer leichten Windböe hinfortgetragen wurde. Kato schloss die Augen, faltete die Hände und murmelte etwas auf Rumänisch, das nach Abschied klang. Eine unheimliche und totale Stille legte sich über das Friedhofsgelände und die Anwesenden. Sogar die beiden Vampirjäger, die sich immer noch schmerzerfüllt auf dem Boden wanden, verstummten. Erst als Toto mit einem wütenden Schrei aufsprang realisierte Andy, was gerade geschehen war. Lidia war tot. Nicht untot, sondern tot. Ihr kleiner Bruder zog sein Messer und ging auf die Vampirjäger zu, die versuchten aufzustehen und zu verschwinden. „Ihr... ihr habt meine Schwester umgebracht!“, sagte er und allein seine Stimme war schon tödlich. Er holte aus, aber bevor er zustechen konnte packte Kato seinen Arm und hielt ihn zurück. „Hör auf, wir brauchen sie lebend... Andy, hol das Seil aus meiner Tasche“, sagte er und nahm Toto das Messer ab. Geistesabwesend starrte der Kleinere auf den Weg und blieb wie angewurzelt stehen. Währenddessen entwaffnete Kato die Vampirjäger und holte sich seine Messer zurück. Er ignorierte die Tatsache, dass die Beiden bluteten und fesselte sie mit dem Seil. „Wo sind eure Komplizen? Oder die Verstärkung von den Bullen?“, fragte er und ging um sie herum. Andy sah, dass er Mühe hatte sich zusammenzureißen und auch er selbst kämpfte mit den Tränen und mit der Wut. „Wir haben keine Komplizen. Wir sind ganz allein auf die Jagd gegangen“, sagte die Frau mit einem russischen Akzent. „Ja, und ihr stellt euch ganz schön dumm an... einfach so durch die Gegend zu schießen und dann auch noch die falsche Person zu treffen“, schaltete Andy sich ein und versuchte spöttisch zu klingen, was ihm auch halbwegs gelang. „Wir nehmen euch mit und wenn ihr schön brav seid, bleibt ihr vielleicht am Leben“, sagte Kato bedrohlich. Andy hätte es ihm fast abgekauft aber ein Blick in sein Gesicht verriet, dass er bloß bluffte. Ohne eine Antwort abzuwarten verband er den Gefangenen die Augen und zerrte sie am Seil nach oben. Er bedeutete den Anderen, ihm zu folgen und ging voraus. Andy folgte ihm aber Toto stand immer noch da und starrte auf den Boden als ob der was dafür konnte. „Toto?... Komm schon, wir müssen gehen“, sagte Andy aber der Kleinere schien ihn nicht zu hören. Besorgt ging er auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter. „Komm mit“,sagte er sanft. Immer noch keine Reaktion. Andy ergriff seine Hand und zog ihn mit. Ohne auch nur den geringsten Widerstand zu zeigen ließ er sich über den Friedhof führen, sah dabei aber weiterhin auf den Boden. Sie kamen beim Auto an. Einen Moment lang schien Kato zu überlegen, dann packte er die Gefangenen auf die Ladefläche des Pick-Ups, fixierte sie mit noch mehr Seilen auf der Rückseite der Fahrerkabine und legte eine Decke über sie. Schließlich musste nicht jeder sehen, dass sie mit zwei gefesselten Menschen durch die Gegend fuhren. Sie stiegen ins Auto, doch anstatt loszufahren legte Kato erstmal den Kopf auf das Lenkrad. Er schien vollkommen erledigt, erholte sich aber nach ein paar Sekunden schon wieder und drehte mit zitternden Fingern den Zündschlüssel. Sie schwiegen und starrten vor sich hin, bis schließlich ein herzzerreißendes Schluchzen von Toto die Stille durchbrach. Andy nahm ihn in den Arm und hielt ihn fest; nicht um ihn zu beruhigen, sondern damit ihm klar wurde, dass er nicht allein war. Es war in dieser Situation sogar von Vorteil, dass er nicht mehr aufhören konnte zu weinen, denn so ließ er seinem Schmerz wenigstens freien Lauf und unterdrückte ihn nicht. Unfähig zu sprechen klammerte der Kleine sich in Andys Shirt und ließ ihn auch nicht los als sie zu Hause ankamen und aussteigen wollten. Andy packte ihn und trug ihn ins Haus, während Kato sich mit den Gefangenen beschäftigte und ihm sogleich mit den Beiden folgte. Im Flur trafen sie auf Valentina, die sie geschockt fragte, was passiert wäre. Schweren Herzens erzählten sie ihr von Lidias Tod, präsentierten ihr aber auch sofort ihre Mörder. Sie ging mit Tränen in den Augen die restlichen Familienmitglieder suchen, um ihnen davon zu erzählen. Währenddessen ging Kato zu einer mysteriösen Tür an der Seite der Treppe und schloss sie auf. Er sah Andy an und sagte: „Jetzt wirst du endgültig unsere Welt betreten und sehen, was es wirklich mit uns auf sich hat“ ------------------------ *"Verdammt!" Kapitel 8: Familiensache ------------------------ Sie gingen alle durch die Tür. Sobald sie im Dunkeln standen befreite Kato die Gefangenen und drückte auf einen Schalter neben der Tür. Lampen entzündeten sich und Andy stellte fest, dass sie auf einem Treppenabsatz standen und schmale Steinstufen in die Tiefe führten. Toto hatte sich soweit wieder eingekriegt, dass er ihn runterließ und sie den Anderen abwärts folgen konnten. Es dauerte eine lange Zeit bis sie mit den beiden verletzten Vampirjägern den Fuß der Treppe und somit einen kleinen steinernen Raum erreicht hatten, wo sich eine weitere Tür befand. Kato schloss auch diese auf und sie betraten ein dunkles Zimmer. Er machte das Licht an. Ein großer Raum erstreckte sich vor ihnen. Auf der einen Seite war eine Art Labor, wo seltsame Flüssigkeiten vor sich hin brodelten und die andere Seite sah fast aus wie ein Wohnzimmer. Gemütliche blutrote Sessel und eine Couch standen um einen Tisch herum, auf dem ein Kerzenleuchter stand. Es gab einige Bücherregale und die Wände waren bedeckt mit Landkarten und Gemälden. Es sah fast aus wie in einem Film. Kato machte sich daran die Vampirjäger zu verarzten. Der Blutverlust hatte sie geschwächt und sie ließen es mit sich machen. Dann wandte er sich an Andy. „Wie geht´s deinem Arm?“, fragte er. „Ach ja, den hatte ich total vergessen. Gut, würde ich sagen. Tut überhaupt nicht weh“, antwortete sein Freund. Der Kleinere sah sich die Verletzung kritisch an, dann warf er dem Vampirjäger einen Blick zu. „Allein deswegen könnte ich ihn töten...“, flüsterte er und fuhr dann etwas lauter fort, „Es wirkt also tatsächlich... Ich erklär´s dir später“ Er drehte sich wieder um und musterte die Gefangenen, die auf zwei Stühlen in der Mitte des Raums gefesselt waren. „Wo sind wir hier?“, fragte der Mann, der offenbar Schmerzen hatte. „Wir stellen die Fragen, klar? Wer seid ihr?“, fragte Kato. „Mein Name ist Angelos Theodoridos und das ist meine Freundin Galina Kalinsolskaya. Wir sind Vampirjäger. Das ist unser Beruf“, erklärte der Gefesselte. „Für wen arbeitet ihr?“, stellte Kato noch eine Frage, die aber keiner von ihnen beantwortete. Der Junge ging zu dem kleinen Labor und kam mit einer Flasche wieder, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. „Sagt uns, wer euch bezahlt und ihr bekommt etwas, um eure Wunden zu heilen“, sagte er und die Beiden starrten wie hypnotisiert auf die Flasche. „Ist... ist das etwa... das legendäre 66X-Serum?“, fragte die Frau entgeistert. „Das ist es. Ihr seid ja doch nicht so dumm wie ihr ausseht. Also, für wen arbeitet ihr?“, wiederholte Kato. „Wir sind selbstständig. Wir arbeiten hier und dort und lassen uns vom Staat, von der Polizei oder von reichen Leuten bezahlen. In diesem Fall bezahlt uns die Stadtverwaltung. Wir sind schon seit Wochen hier dran. Vor Kurzem haben wir versucht euch zu beschatten. Es hat nicht geklappt, wie ich zugeben muss. Dann haben wir einen anonymen Tipp gekriegt, wo sich die Verdächtige aufhält und sind zu diesem Friedhof gefahren. Und da lief sie auch schon durch das Tor. Eine Minute Vorsprung haben wir ihr gelassen und dann sind wir ihr gefolgt. Und sie stand da mit euch. Na ja, und dann haben wir unsere Pflicht getan“, erklärte der Mann namens Angelos. „Und warum habt ihr uns nicht auch getötet?“, fragte Kato weiter. „Zuerst wollten wir das, weil ihr mit dem Mädchen verbündet wart. Aber dann war unsere Arbeit vorher erledigt... Ihr seid ja keine richtigen Vampire. Und er ist sogar ein Mensch“ Er deutete vage mit dem Kopf in Andys Richtung. „Und trotzdem habt ihr die Falsche erwischt. Lidia hat nie jemand etwas getan. Sie war halt einfach ein Vampir. Für sie war das ein Zustand und keine Lebenseinstellung. Sie hatte nichts mit den Morden zu tun. Ihr habt sie einfach getötet ohne uns auch nur eine Sekunde zuzuhören. Ihr habt diesem Jungen ohne zu zögern die große Schwester weggenommen“, sagte Kato und legte einen Arm um seinen Cousin, dessen Tränen geräuschlos auf den Teppich tropften. „Es... es tut uns leid. Sie sah halt aus wie die Frau, die wir gesucht haben...“, sagte Galina und man konnte sehen, dass sie es ehrlich meinte. „Wir wissen, dass man sowas nicht wieder gutmachen kann aber wenn wir irgendetwas für euch tun können, würden wir es mit Freuden machen“, fügte Angelos hinzu. „Ihr könnt tatsächlich etwas für uns tun. Wir brauchen in diesem Kampf Verbündete... Also, wir haben die Infos, ihr die Mittel. Wir sollten zusammenarbeiten“, schlug Kato vor und die Beiden nickten. Er befreite sie von ihren Fesseln und verabreichte jedem eine Dosis der klaren Flüssigkeit. Andy wollte unbedingt wissen, was es damit auf sich hatte. „Ach so, das kannst du ja gar nicht wissen. Das ist das 66X-Serum. Frag mich nicht, warum das so heißt. Vor hundert Jahren wurde es zum ersten Mal entwickelt. Es wird aus Blut hergestellt und dient dazu, Wunden zu heilen und Schmerzen zu nehmen. Eigentlich ist es nur für uns Halbvampire gedacht, denn wir können uns nicht selbst heilen, so wie Vampire das können. Aber es wirkt auch bei Menschen, wie du an deinem eigenen Arm sehen kannst. Es dauert nur ein bisschen länger“, erklärte Kato lächelnd, als ob es das Normalste auf der Welt wäre. „Aber es war doch verschwunden. Wo habt ihr die Formel her?“, fragte Angelos. „Der Erfinder des Serums ist ein entfernter Verwandter von uns. Er starb, bevor er sein Wissen weitergeben konnte. Meine Großmutter fand eines Tages in den 50er Jahren in seinem Schloss das Labor und die Formel. Sie war ausgebildete Chemikerin und so konnte sie ziemlich schnell neues 66X herstellen. Allerdings hatte die ursprüngliche Version den Nachteil, dass man ganz furchtbar abhängig davon wurde. Also hat sie es verbessert und meiner Tante und meiner Mutter beigebracht, wie es funktioniert. Wir arbeiten immer noch daran aber das hier ist schon ziemlich gut und es hilft“, meinte Kato und die Vampirjäger sahen ihn skeptisch an. „Deine Großmutter ist doch nicht die legendäre Ioana Tanesticz, oder? Die Frau, die die Vampirforschungs-Organisation gegründet hat?“, fragte Galina mit großen Augen. „Doch, das ist sie. Und die Organisation ist geheim. Sie existiert gar nicht“ Kato sah die Anwesenden durchdringend an und sie verstanden. Die Organisation existierte genauso wenig wie in Roswell ein UFO abgestürzt war. „Wo ist deine Großmutter jetzt? Ich würde sie furchtbar gern kennen lernen“, sagte die Vampirjägerin. „Sie starb vor fünf Jahren an den Folgen ihrer Experimente. Sie hatte den Fehler gemacht, ihre ganzen Erfindungen immer zuerst an sich selbst zu testen“, meinte Kato und fuhr in noch ernsterem Ton fort, „Wir sollten uns vielleicht mal mit dem beschäftigen, weswegen wir hier sind. Setzt euch“ Sie nahmen auf der Couch und auf den Sesseln Platz. Kato suchte in der Zwischenzeit etwas aus einem der Regale. Er fand eine Art Schriftrolle und breitete sie auf dem Tisch aus. Es war ein sehr ausführlicher Familienstammbaum. „Wir suchen diese Frau... und wo sie ist, da ist er nicht weit“ Er zeigte auf zwei Namen in der Mitte: Amalia Leana Tanesticz, geboren 1607 und ihr großer Bruder Dameon Mihaly Tanesticz, geboren 1601. „Damals als sie lebten war unsere Familie eine der reichsten und bekanntesten im ganzen Land. Allerdings nicht lange. Die Beiden waren machthungrig und geldgierig. Außerdem sorgten sie für einen Skandal, weil sie drei Kinder miteinander zeugten. Amalia und Dameon machten sich gegenseitig zu Vampiren. Sie waren vorher schon Halbvampire gewesen und so war es einfach für sie. Zu ihren Lebzeiten waren sie schon ziemlich grausam und sadistisch gewesen und nach ihrem Tod wurde es noch schlimmer. Irgendwann verbündeten sich zwei ihrer Söhne mit den Menschen, die sie terrorisiert hatten und versuchten sie zu töten, was ihnen nicht gelang. Sie flüchteten mit dem dritten Sohn und verschwanden sehr lange von der Bildfläche. 200 Jahre später tauchten sie wieder auf und wollten wieder zur Familie gehören. Sie brachten einen Großteil des verschwundenen Vermögens mit und so wurden sie geduldet. Mittlerweile hat unsere Familie den Adelstitel abgegeben und vor zehn Jahren alle ganzen Vampire verstoßen. Seitdem habe ich die Beiden nicht mehr gesehen und plötzlich ist Amalia hier, ermordet Menschen und versucht den Verdacht auf Lidia zu lenken, was ihr ja auch gelungen ist. Man kann der Familie nicht entkommen, wie es aussieht. Sînge apă nu se face“ Kato beendete seine Erzählung mit dem Satz, den er schon einmal an diesem Abend gesagt hatte und der auch am unteren Rand des Stammbaums geschrieben stand. „Was heißt das?“, fragten Andy und Angelos fast gleichzeitig. „Blut ist dicker als Wasser“, übersetzte der Angesprochene. Da hatte er wahrscheinlich Recht. Währenddessen hatte Galina das Papier genauer untersucht. „Das heißt dann also, sie sind eure direkten Vorfahren“, sagte sie und folgte den Linien mit dem Finger. Plötzlich stutzte sie und sah genauer hin. „Sag mal, sind welche von euren Vorfahren nach Russland ausgewandert?“, fragte die junge Frau gespannt. Kato nickte und zeigte auf eine Reihe von Namen am äußeren Rand des Stammbaums. Plötzlich lachte Galina. „Ich fasse es nicht. Wir sind verwandt“, meinte sie strahlend zur Überraschung aller Anwesenden. Kato starrte sie an, dann senkte er den Blick wieder auf das Papier. „Na, herzlichen Glückwunsch... Was für eine Ironie. Eine der Nachfahren des berühmten Grafen Dracula ist Vampirjägerin von Beruf“, sagte er dann und grinste triumphierend als die Anderen aus allen Wolken fielen. „Ihr seid verwandt mit Dracula?!“, fragte Andy entgeistert. Warum hatte er das geahnt? „Ja, sind wir. Unsere Familie entstand aus einer unehelichen Beziehung von Dracula zu einer jungen Adligen. Es ist ein offenes Geheimnis. Ursprünglich trug unsere Familie sogar seinen Namen als eine Art Beiname aber das war nicht unbedingt vorteilhaft. Also änderten sie den Namen ständig, so wie es ihnen gefiel. Das Markenzeichen unserer Familie ist übrigens dieses für Rumänen untypische „cz“ am Ende unserer Nachnamen. Irgendein Vorfahr fand, es würde elegant aussehen und uns unverwechselbar machen. Und seitdem wurde es immer an den Nachnamen angesetzt“ Es dauerte eine Weile, bis wieder jemand sprach. „So, jetzt wissen wir, mit wem wir es zu tun haben. Aber was haben sie vor? Warum sind sie in diese Stadt gekommen?“, fragte Angelos und sah Kato erwartungsvoll an. „Ich weiß es nicht. Ich kann nur vermuten, dass sie vielleicht diese Stadt beherrschen wollen. Oder vielleicht ist das ihre Auffassung von Urlaub, wer weiß“ Das sollte ihr nächstes Ziel werden. Rausfinden, warum die Vampire da waren. „Wenn wir erstmal wissen, was sie wollen, können wir vielleicht daraus schließen, wo sie sind und was sie als nächstes tun werden“, meinte Angelos. „Also sind wir ab heute ein Team. Und zusammen können wir das hinkriegen. Wir werden sie besiegen“, sagte Kato und so war ihr Pakt geschlossen. ------------------------------------- Klischees über Klischees in diesem Kapitel^^ Aber das ist alles so gedacht. Auch die Verwandtschaften und so hatte ich schon lange geplant, bevor ich die Fanfic überhaupt angefangen hatte. Kapitel 9: Die Menschen und ihre Probleme ----------------------------------------- {Dieses Kapitel lag eine Ewigkeit ohne Ende auf meiner Festplatte rum. Zwischendurch wollt ich´s schonmal löschen aber es ist nunmal wichtig. Und der Titel ist doof. Hat jemand einen besseren?} Nach einer kurzen Nacht erwachte Andy neben seinem Freund. Er hatte immer noch nicht so ganz verarbeitet, was passiert war. Lidia war tot; getötet von einem Vampirjäger, der jetzt ihr Verbündeter war und mit ihnen auf die Jagd nach mordlustigen Vorfahren ging. Kato stammte von Graf Dracula ab, hatte eine berühmte Chemikerin als Großmutter und war zu allem Überfluss auch noch mit einer echten Vampirjägerin verwandt. Was war hier eigentlich los? Innerhalb einer Nacht hatte sich ihr Leben schon wieder grundlegend verändert und es würde wohl so weitergehen. Es war einfach alles zu viel auf einmal. Es hielt nicht an oder wartete bis man sich von alledem erholt hatte. Deswegen versuchte Andy diesen Moment der Ruhe so gut wie möglich auszukosten. Er kuschelte sich an Kato, der im Schlaf die Arme um ihn legte und zufrieden seufzte. Eine Zeit lang lagen sie so da, als sich plötzlich geräuschlos die Tür öffnete und Toto zum Bett geschlichen kam. Andy sah hoch und der Junge verschwand direkt wieder mit einem erschreckten Gesichtsausdruck. Vorsichtig stand der Blonde auf und folgte ihm. Er holte Toto auf der Treppe ein und hielt ihn zurück. Der Kleinere war nur mit Shorts bekleidet und so hatte Andy eine Gelegenheit, ihn sich genauer anzusehen. In der Nacht hatte er gemeint, er hätte sich seinen Gewichtsverlust nur eingebildet aber jetzt sah er, dass das nicht so war. Dieser Junge sah aus wie der Überlebende einer Hungerkatastrophe. Er war ja schon immer schmal gewesen aber jetzt war er so dünn, dass man ihn glatt übersehen könnte, wenn er seitlich stand. An seinem Körper war kein Gramm Fett und auch kein einziger Muskel mehr zu sehen und sein süßer kleiner Hintern war komplett verschwunden. Er sah schlimmer aus als Kato damals im Krankenhaus. Allerdings war Kato durch Ísak und die Drogen so geworden und Toto hatte diesen Zustand anscheinend selbst verursacht. Er brauchte dringend Hilfe, soviel stand fest. „Hey, Kleiner. Lauf nicht vor mir weg, bitte“, sagte Andy als der Jüngere versuchte seine Hand abzuschütteln. „Bist du wütend, weil ich eben da so reinkam?“, fragte er und sein Blick war so unschuldig, dass es seinem Gegenüber fast die Sprache verschlug. Andy fiel auf, dass er zum ersten Mal seit einiger Zeit mal nicht so erwachsen tat, sondern wieder der kleine hilflose Junge war, der damals weinend neben ihm auf der Steinmauer gesessen hatte. „Nein, ich bin nicht wütend... Lass uns irgendwo hingehen. Es ist ungemütlich sich im Treppenhaus zu unterhalten“, meinte Andy. Sie gingen wieder die Treppen hoch, in Totos Zimmer. Erneut fiel seinem Begleiter die pingelige Ordnung auf. „Was wolltest du denn eben bei Kato?“, fragte er. Es interessierte ihn wirklich, warum er reinkam und dann sofort wieder verschwand. „Weißt du, es ist wahrscheinlich lächerlich aber... Ich hatte Angst, dass ihr weg seid oder, dass ihr euch auch auf einmal geändert habt. Momentan hab ich das Gefühl, dass alles den Bach runtergeht. Ich wollte bloß sichergehen, dass ihr noch da seid... Außerdem ist es so schön entspannend Leuten beim Schlafen zuzugucken“, erklärte Toto. „Ich weiß, was du meinst und das ist überhaupt nicht lächerlich. Es ist als ob die Welt sich zu schnell drehen würde. Und ich weiß auch, wie du dich fühlen musst. Schließlich hab ich auch zwei Geschwister verloren“, sagte Andy. Er wusste, dass Kato seinem Cousin mal davon erzählt hatte und war dankbar dafür, denn so musste er es ihm nicht selbst sagen. „Aber da ist doch noch was. Mit dir stimmt doch schon länger etwas nicht. Willst du vielleicht drüber reden? Du weißt, dass du mir alles sagen kannst“, fuhr er fort. „Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte Toto und sah in die andere Richtung. Er war ein miserabler Lügner. „Ich glaube, du weißt ganz genau, was ich meine... Sieh dich doch an. Ein Luftstoß könnte dich umhauen, so dünn bist du geworden. Warum tust du dir das an?“, fragte der Ältere fast schon verzweifelt. „Wenn ich will, dass Andere mich lieben, muss ich gut aussehen. Guck doch: So fett wie ich bin, werde ich nie einen Kerl abkriegen. Du wolltest mich nicht. Casey will mich nicht. Und wenn ich weggehe kriege ich immer nur diese alten Typen ins Bett, die total verzweifelt und notgeil sind und die sonst niemand will. Außerdem muss ich die Türsteher in den Discos immer so anmachen, dass sie scharf auf mich werden und dann erzähle ich ihnen, wenn sie mich reinlassen, dürfen sie nachher mit mir machen, was sie wollen. Und wie soll ich das bitte anstellen, wenn ich so fett bin, dass sie mich nicht angucken wollen“ Während er sprach hatte Toto wieder sein „Ich bin erwachsen“-Gesicht aufgesetzt und sah Andy nun durch seinen Haarvorhang mit einem undefinierbaren Blick an. Jetzt wusste der Ältere zumindest, dass die Lage ernst war und wo ungefähr das Problem lag. „Du bist nicht fett“, sagte er entschieden, „Du bist alles andere als fett. Meiner Meinung nach hast du vorher viel besser ausgesehen und ich bin mir sicher, alle anderen sehen das genauso. Und außerdem ist es nicht so, dass ich dich nicht wollte, weil ich dich abstoßend fand. Ich fand dich sogar sehr attraktiv. Aber ich liebe Kato und ich will nur ihn. Ich habe mich nicht gegen dich persönlich entschieden sondern für ihn. Und das eine Mal wo wir was miteinander hatten, das war eine Illusion, Selbstbetrug. Und es tut mir immer noch leid, dass ich dich damals ausgenutzt habe, denn mittlerweile glaube ich, das war der Auslöser für das hier alles... Komm endlich wieder zu dir, bitte. Ich flehe dich an, werd wieder so wie vorher“ Fast wäre Andy vor ihm auf die Knie gefallen, überlegte es sich aber anders. „Ich hab dir schonmal gesagt, dass diese Sache damals nichts Negatives ausgelöst hat... und außerdem ändert das nichts an der Tatsache, dass ich zu fett bin. Vor Kurzem hat das ein Mädchen sogar noch zu mir gesagt“, antwortete Toto. Andy musste sich schwer zusammenreißen, um nicht nach dem Namen dieses Mädchens zu fragen, zu ihr zu gehen und zum ersten Mal in seinem Leben ein weibliches Wesen zu schlagen. „Und von dieser einen blöden Tussi machst du alles abhängig? Die ist doch nur neidisch, weil sie wahrscheinlich selber fett ist oder sie ist eine Sadistin und will sehen, wie du vor ihren Augen verhungerst, denn das tust du grade“, sagte er stattdessen und versuchte ruhig zu bleiben. „Aber sie hat doch Recht“, meinte der Andere leise. Jetzt wurde Andy so langsam aber sicher ratlos. Da kam ihm eine Idee. „Steh mal auf. Ich will dir was zeigen“, sagte er und stellte sich in die Nähe des Spiegels. Dann zog er sein T-Shirt aus. „Guck mich an. Was siehst du? Hältst du mich für fett?“, fragte er und drehte sich demonstrativ ins Licht. „Nein, du bist wunderschön. Und du hast tolle Muskeln“, antwortete Toto und musterte ihn. „So, und jetzt komm her und stell dich neben mich“, forderte der Größere ihn auf. Als er neben ihm stand zog er ihn vor den Spiegel. „Und was siehst du jetzt? Vergleich uns mal... Denkst du immer noch, du müsstest abnehmen?“, fragte er und hoffte. Tatsächlich sah er, wie Toto sich selbst kritisch betrachtete und er plötzlich erschrocken dreinsah. „Du hast Recht... Ich... man kann ja fast durch mich durchsehen“, flüsterte er. Dann drehte er sich zu Andy um. „Aber wodran liegt es denn dann, dass ich keine Freunde habe und keiner was mit mir zu tun haben will? Dann muss es dadran liegen, dass ich insgesamt nicht hübsch genug bin“, sagte er und war wieder kurz davor, sich in diese Idee reinzusteigern. „Dadran liegt es nicht. Du bist total hübsch aber... ich kann nicht verstehen, wieso du so auf Äußerlichkeiten fixiert bist. So warst du doch früher nicht... Du hast dich ganz verändert. Früher warst du immer so gut gelaunt und aufgeschlossen aber heute bist du... na ja, gar nichts mehr. Ab und zu kommt mal noch ein bisschen Charakter durch aber sonst bist du einfach... viel zu erwachsen. Und weißt du, wie dieses Erwachsen-Sein dich gemacht hat?... Langweilig. Du unterdrückst deine Gefühle und verleugnest alles, was du immer warst. Ich meine, sieh dich doch nur mal hier um. Wo ist das Chaos hin, in dem Kato und ich mit dir immer gesessen haben? Wo sind die zehn kaputten Computer über die man immer steigen musste? Und wo sind deine geliebten CDs? Es kommt mir so vor als ob du dich schämst. Du schämst dich vor deinen oberflächlichen Bekanntschaften dafür, dass du ein Mensch bist. Und du hast Angst. Du hast Todesangst davor, dass sie dich fallen lassen sobald sie merken, dass hinter dir mehr steckt als ein hübsches Gesicht und eine perfekte Fassade“ Andy hatte ins Schwarze getroffen, denn der Junge sah nervös zu Boden. Aber das war noch längst nicht alles, was er aus seinem Verhalten schließen konnte. Toto war einsam und er hatte einen Minderwertigkeitskomplex, der seinesgleichen suchte. Endlich sah er Andy wieder an. Und da war er wieder, dieser Blick. So verzweifelt, so hilflos. „Aber wenn ich wieder so werde wie vorher, dann hab ich gar keine Freunde mehr. Wenn ich wieder ein Charakter mit Ecken und Kanten werde dann... Weißt du, die meisten meiner Bekannten schätzen es sehr, dass ich langweilig bin. Sie wollen nie mit mir über Musik oder über Filme reden, weil sie davon ausgehen, dass mich sowas nicht interessiert. Sie denken, dass mein einziges Hobby Sex ist. Ich denke, das ist gut so. Weil wenn wir ins Gespräch kämen und wenn dabei herauskäme, dass ich einen abnormalen Musikgeschmack habe und auf schräge Filme stehe dann würden sie mich gnadenlos abservieren. Wenn ich aber so wie jetzt bin dann ist nichts an mir über das sie sich aufregen könnten oder das sie stören könnte und sie geben sich weiter mit mir ab. Langweilig... aber gut im Bett“, sagte er. „Und du verleugnest dich selbst, nur damit diese Leute dich weiterhin als ihr Sexspielzeug benutzen wollen? Merkst du denn nicht, dass du dir damit selbst wehtust? Warum machst du das? Warum konzentrierst du dich nicht auf die Leute, die dich so nehmen wie du in Wirklichkeit bist?“, fragte Andy, der das nicht wirklich nachvollziehen konnte. „Weil es keine gibt! Niemand will mich so wie ich bin... Ich mache das, weil ich doch bloß ein bisschen menschliche Nähe will, das ist alles“, sagte Toto aufgebracht und wischte sich die ersten Tränen aus den Augen. „Das ist nicht ganz wahr...“, begann Andy, „Es gibt Menschen, die dich ehrlich mögen. Ich zum Beispiel. Ich mag den echten Toto wirklich sehr, grade wegen seinen ganzen ungewöhnlichen Eigenschaften. Du bist frech und manchmal ein bisschen unverschämt. Aber das macht es immer wieder zu einem Erlebnis mit dir zu reden. Außerdem bist du ein Sturkopf. Aber du bist loyal und du tust alles für die, die du liebst. Erinnerst du dich als du gesagt hast, du würdest für Kato töten? Viele Leute sagen sowas aber Wenige meinen es so ernst wie du. Ich habe dich auch immer sehr dafür bewundert, dass du dein Ding gemacht hast, ohne auf die Anderen zu hören. Du warst immer auf deine ganz eigene Art anders. Und das sind nur ein paar Sachen, die dich ausmachen und die andere Leute dazu bringen dich zu lieben. Leute wie mich oder Kato oder vielleicht auch Casey“ Toto sah ihn mit großen Augen entgeistert an. „Hast du grade indirekt zugegeben, dass du mich liebst?“, fragte er dann leise. Andy musste grinsen. „Komm her, du hoffnungsloser Fall“, sagte er und schloss ihn in seine Arme, „Ja, ich liebe dich. Ich liebe dich auf eine ganz besondere Weise. So wie man einen Bruder liebt oder einen besten Freund. Und ich will meinen süßen seltsamen Toto wiederhaben, an dem man jeden Tag einen neue Seite entdecken kann, weil er ein überaus individueller Mensch ist“ Der Kleinere lachte leise, wurde dann aber gleich wieder ernst. „Aber meine Frage hast du mir immer noch nicht beantwortet... Warum mögen die anderen Menschen mich nicht?“, fragte er so eindringlich, dass Andy nicht drumherum kam ihm eine Antwort zu geben. „Das ist ganz einfach: Du bist bis jetzt noch nicht den richtigen Menschen begegnet. Aber sie sind da draußen irgendwo, glaub mir... Weißt du, du erinnerst mich an mich selbst. Ein einsamer, zielloser Junge, der durch das übliche Raster fällt und nichts weiter will als geliebt und akzeptiert werden und sich falsche Freunde sucht, um sich selbst zu belügen. Bei mir waren es Drogen und bei dir ist es Sex. Aber ich bin überzeugt davon, dass du eines Tages der richtigen Person begegnest, so wie es mir passiert ist. Du darfst nur nicht aufgeben, hörst du? Und wenn du das Gefühl hast, du hältst es nicht mehr aus in deiner Einsamkeit, dann sind Kato und ich für dich da. Versprich mir, dass du dir nichts antust, sondern zu uns kommst, okay?“ Toto lächelte ihn ehrlich an. „Ich versprech´s“, sagte er und kuschelte sich an den Größeren. Sie standen eine Weile so da. „Andy?“ „Hm?“ „Ich hab irgendwie Hunger“ Toto sagte das einfach so und er ahnte wahrscheinlich nicht annähernd, welches Glücksgefühl dieser einfache Satz bei dem Anderen auslöste. „Das ist wunderbar. Komm, wir gehen und suchen dir was zum Essen. Vielleicht solltest du dich vorher anziehen“, meinte er. Sofort sprang Toto zum Kleiderschrank, zog seine Shorts aus und warf sie achtlos zur Seite. Er kramte irgendwelche alten Klamotten raus und zog sie an. „Zumindest hier zu Hause kann ich so rumlaufen“, meinte er und betrachtete sich lächelnd im Spiegel. Er brachte seine Frisur mit den Fingern in Ordnung und zog sein ungebügeltes T-Shirt zurecht. Die Beiden gingen in die Küche und kramten in den Schränken rum. „Das Problem ist, dass du so lange nichts Richtiges mehr gegessen hast, dass du es wahrscheinlich nicht verträgst. Und wir wollen ja nicht, dass du alles wieder auskotzt... Hm, aber irgendwie gibt es hier nichts, was unseren Ansprüchen gerecht wird. Was hättest du denn gern?“, fragte Andy. Der Junge überlegte nicht lange. „Eigentlich will ich bloß eine Tasse warmen Kakao und ein paar Kekse“, meinte er und wirkte fast schüchtern als er es sagte. „Du hast aber bescheidene Wünsche...“, antwortete Andy während er die Dose mit dem Kakaopulver aus dem Schrank fischte. Fünf Minuten später saß der Kleine am Tisch und trank genussvoll seinen Kakao. Es war eine Freude ihm dabei zuzusehen und er selbst strahlte als wäre er der glücklichste Junge der Welt. Das war noch etwas, was Andy an ihm und auch an Kato mochte. Mit kleinen Dingen konnte man ihnen so viel Freude machen und sie waren immer so unglaublich dankbar. Totos Stimmung war wieder im Gleichgewicht also wagte Andy eine Frage, die ihn interessierte. „Sag mal, wie hast du das eigentlich geschafft? Du musst doch dauernd furchtbaren Hunger gehabt haben“, meinte er. Er selbst konnte sich das nicht vorstellen. „Hatte ich nicht. Ich habe alle paar Tage gerade so viel gegessen, dass ich nicht umgekippt bin. Und wenn ich zwischendurch Hunger hatte, dann bin ich in den Keller gegangen und habe mir einen Schuss 66X-Serum gegeben. Das Zeug ist total praktisch. Man wird nicht süchtig danach und es beseitigt jede Form von Schmerzen oder körperlichen Signalen. Außerdem hinterlässt es keine Spuren, weil die Einstiche direkt wieder verschwinden. So bin ich auch immer meine blauen Flecken und Kratzer losgeworden, wenn mich mal wieder jemand hart rangenommen hatte“, meinte er in selbstverständlichem Ton. Plötzlich fiel Andy etwas ein. „Wenn es Verletzungen beseitigt... warum hat Kato dann so viel Narben?“, fragte er neugierig. „Das liegt daran, dass er es entweder zu spät oder gar nicht genommen hat. Wenn eine Wunde nämlich erstmal angefangen hat zu verheilen oder schon verheilt ist, dann hilft es nicht mehr. Die Schmerzen vergehen aber die Narbe bleibt. Außerdem war Kato immer der Ansicht, es würde sich nicht lohnen eine Droge zu nehmen, die einen nicht high macht“ Andy musste grinsen. Ja, das hörte sich nach Kato an. Und es hörte sich sehr nach Toto an, das einfach so zu sagen und das machte Andy auch zu einem glücklichen Jungen. Nach seinem erfolgreichen Gespräch mit Toto, weckte Andy seinen Freund auf, um ihm direkt davon zu erzählen. Kato war genauso erleichtert wie er selbst. Aber Andy hatte auch schon wieder ein neues Problem gefunden. Totos psychische Verfassung musste schließlich von irgendetwas ausgelöst worden sein und wenn sie nicht aufpassten verursachte dieser Auslöser weiter Probleme und alles ging wieder von vorne los. „Wieso tun eigentlich seine Eltern nichts gegen seine Zustände? Es geht ihm doch schon länger schlecht. Ich meine, muss denn zuerst was wirklich Schlimmes passieren, damit irgendwer aufmerksam wird?“, fragte Andy. Er hatte einen Verdacht wo das alles herkam. „Seine Eltern würden es bestimmt merken, wenn sie denn mal Zeit für ihn hätten. Entweder sie sind bei der Arbeit oder sie sitzen im Keller und forschen rum. Denkst du, das hat was mit seinen Problemen zu tun?“, fragte Kato nachdenklich. „Ich denke...“, Andy überlegte, ob er es wirklich aussprechen sollte, „Ich denke, er leidet unter einem Aufmerksamkeits-Defizit. Und das hat schließlich seine Minderwertigkeitskomplexe ausgelöst. Er wird hier und in der Schule anscheinend ziemlich oft ignoriert. Und er glaubt, dass er es, so wie er ist, nicht verdient beachtet zu werden. Deshalb hat er versucht sich zu ändern und zu einer Person zu werden an der keiner mehr was auszusetzen hat, damit die Leute ihn endlich mögen. Allerdings wurde er dadurch so langweilig, dass keiner ihn mehr beachtet hat. Es war ein Teufelskreis. Aber ich glaube, jetzt hat er´s kapiert. Aber trotzdem müssen wir ihm helfen und er darf auf keinen Fall das Gefühl haben, dass wir ihn wieder sich selbst überlassen“ Kato sah ihn immer noch nachdenklich an. „Weißt du, ich vermute sowas schon länger. Vielleicht bin ich es auch ein bisschen Schuld... Toto ist immer unberechenbar gewesen. Früher war er ein Einzelgänger aber wenn er dann mal Gesellschaft wollte haben Lidia und ich uns immer Zeit für ihn genommen und sind mit ihm überall hin gegangen und so. Wir haben uns immer nach ihm gerichtet, weil er sonst keinen hatte und weil er sich immer so schnell einsam gefühlt hat. Aber in letzter Zeit habe vor allem ich ihn oft alleingelassen und ich hatte wenig Zeit für ihn, weil ich lieber bei dir sein wollte oder weil ich mit meinen eigenen Problemen beschäftigt war. Und wie es aussieht hätte er mich gerade jetzt am meisten gebraucht. Ich hätte mehr auf ihn achten sollen“, meinte er und sah zu Boden. „Mach dir keine Vorwürfe. Es ist nicht deine Schuld. Er war ja selbst kaum hier, wie solltest du da auf ihn achten. Allerdings hast du jetzt die Chance es wieder gutzumachen. Jetzt wo Lidia... du weißt schon... weg ist, braucht er uns beide mehr denn je. Wir beide haben uns, aber er hat niemand, oder zumindest glaubt er das. Er braucht jetzt ganz viel Liebe und Aufmerksamkeit damit ihm klar wird, dass er nicht allein ist. Das wird sicher schwierig, wenn wir so ganz nebenbei auch noch diese zwei Vampire und ihren unbekannten Helfer aufhalten müssen...“, sagte Andy und wie so oft machte sich seine Phantasie selbstständig und er sah diverse Horror-Szenarien. „Aber denkst du denn nicht, dass er vielleicht professionelle Hilfe braucht? Wenn wir nicht aufpassen machen wir alles noch schlimmer und dann wäre keinem geholfen“, entgegnete Kato. „Nein, ein Psychologe wäre eine schlechte Lösung. Dann denkt er wieder, er wäre uns eine Last und wir würden ihn da abstellen, weil wir ihn nicht mögen. Das machen wir nicht. Wir kriegen das selbst hin“, sagte Andy entschieden. „Hm, ja... Wenn man das so sieht... Du kannst dich da echt gut reinversetzen. Es ist als wüsstest du, was in seinem Kopf vorgeht“, meinte sein Gegenüber. „Na ja, sagen wir mal, ich weiß so ungefähr, wie sich das anfühlt“ Kato sah ihn hintergründig an. Er wusste über seine psychischen Abgründe besser bescheid als alle anderen (das beruhte auf Gegenseitigkeit). „Du bist immer so gut zu ihm, Andy. Das bewundere ich wirklich“, meinte Kato, „Nicht nur jetzt sondern auch damals als er wegen Ísak so deprimiert war. Obwohl es dir selbst schlecht ging hast du ihn getröstet. Und als dir klar wurde, dass du einen Fehler gemacht hast, bist du zu ihm gegangen und hast dich entschuldigt, obwohl du das nicht hättest tun müssen... Was ich sagen will ist: Du bist der erste Nicht-Verwandte mit dem er sich so gut versteht und der ihn akzeptiert. Und das finde ich sehr bemerkenswert... Noch ein Grund, warum man dich einfach lieben muss“ Er lächelte und Andy sah sich gezwungen, ihn erstmal sehr innig zu küssen. „Du bist so süß“, murmelte er grinsend. Als sie später auf den Flur traten hörten sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Musik aus Totos Zimmer. Es beruhigte sie beide sehr. Die Tür flog auf und der Junge kam heraus. Er lächelte und lief an ihnen vorbei auf den Speicher, von wo er nur Sekunden später schon wieder mit einer Kiste zurückkehrte. „Was ist denn da drin?“, fragte Andy neugierig. „Dieser komische pinke Computer, den ich schon seit Ewigkeiten für Ina klarmachen soll. Wird so langsam Zeit...“, meinte Toto und machte sich gut gelaunt wieder auf den Weg in sein Zimmer. Andy und Kato gingen nach unten und trafen auf Ina, die am Tisch saß und vor sich hin starrte. Neben ihr stand eine halb leere Wodkaflasche und ihr glasiger Blick verriet, dass sie das alles getrunken hatte. Andy wusste, dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Kato und seine Schwester waren nach Deutschland gekommen, um ihr Leben zu ordnen. Sie hatten Beide ihre Probleme gehabt und Inas Problem war der Alkohol und ihre ausschweifenden Partys gewesen. Offensichtlich war beides mehr oder weniger erhalten geblieben. Und schon hatten Andy und Kato wieder jemand, auf den sie achten mussten. Kaum hatten sie es geschafft Toto wieder auf die Beine zu helfen, brauchte Ina wohl auch ihre Hilfe. Es war zum verrückt werden mit dieser Familie. Kapitel 10: Vorbereitungen auf den Einsatz ------------------------------------------ Am Abend des selben Tages kamen die Vampirjäger zu einer Besprechung. Andy und Kato hatten lange überlegt, wen aus der Familie sie überhaupt um Mithilfe bitten sollten. Valentina und Dorkan waren ja grundsätzlich zu beschäftigt für alles, deshalb fragten sie sie erst gar nicht. Toto und Ina hatten zu sehr mit ihren eigenen Problemen zu tun. Und Ina war keine Kämpferin. Sie hatte sich auch in der Vergangenheit immer aus der Vampirjagd rausgehalten und hatte somit nicht besonders viel Ahnung. Bei Toto war das anders; schließlich war er damit aufgewachsen und kannte sich mit Allem aus. Aber im Moment war er zu zerbrechlich und schwach, wodurch er zu einem leichten Ziel wurde. Also blieben nur noch Andy und Kato übrig. Und Kato selbst versuchte sogar, Andy davon zu überzeugen auszusteigen bevor es zu spät war. „Das hatten wir doch schonmal. Du kannst machen was du willst, ich lasse dich nicht allein gegen diese Bestien kämpfen“, sagte Andy entschlossen. „Aber ich habe doch noch Angelos und Galina, die mit mir kommen. Und sie sind Profis...“, protestierte sein Freund halbherzig. „Sie führen sich aber nicht auf wie Profis... Meinst du ich kann sowas nicht? Ist es das?“, fragte der Größere. Er wollte Kato ein bisschen provozieren, aber es klappte nicht. Der Schwarzhaarige sah ihn nur verzweifelt an. „Das ist es nicht. Du könntest es lernen; deine Schießkünste lassen echt zu wünschen übrig... Aber eigentlich geht es darum, dass ich mir dauernd Sorgen um dich machen würde. Du bist ein Mensch, Andy. Unsere Feinde würden sich nur auf dich konzentrieren und weil du keine Kampferfahrung hast, wärst du ein leichtes Opfer. Es ist nur zu deinem Besten“, sagte Kato. „Aber sie wissen doch bestimmt schon, wer ich bin. Und für mich macht es schon einen Unterschied, ob ich mit Ehre im Kampf sterbe oder ob sie mich nachts in meinem Bett wie einen Feigling töten. Ich werde mitkommen. Könnten wir jetzt endlich aufhören, darüber zu diskutieren?“, fragte Andy, dem so langsam die Argumente ausgingen. „Na gut. Aber bevor wir wieder losziehen wirst du ordentlich darauf vorbereitet. Wir warten, bis die Beiden ankommen. Ich bin mir sicher, wir könnten alle ein bisschen Training brauchen“, stimmte Kato zu. Sie warteten und wenige Minuten später trafen Angelos und Galina ein. Im selben Moment kam Toto die Treppe runter. Verständlicherweise wollte er auch zum Team gehören aber Kato war dagegen. „Toto, wenn du gesund wärst, dann ja. Aber in deinem momentanen Zustand ist das Risiko einfach zu groß. Ich weiß was du normalerweise drauf hast aber du bist jetzt einfach nicht in der Lage dazu“, sagte er und man konnte das Bedauern aus seiner Stimme raushören. Sein Cousin sah ihn verzweifelt an und ergriff seine Schultern. „Bitte, Kato... Lass mich dabei sein. Gib mir eine Chance mich zu rächen... bitte!“, flüsterte er unter Tränen. Man konnte förmlich sehen, wie der Andere nachgab. Er nahm den Kleineren in den Arm. „Gut, du sollst deine Chance haben“, meinte er. Sie gingen in die Küche und besprachen ihre weiteren Pläne. Zuerst legten sie fest, wer von ihnen das Sagen haben sollte. Die Wahl fiel einstimmig auf Kato, der sich offenbar geschmeichelt fühlte und plötzlich eine Gesichtsfarbe wie eine Tomate hatte. Dann riss er sich aber zusammen und erzählte den Neuankömmlingen von seiner Idee, zu trainieren. Sie stimmten zu und begaben sich alle in den Garten. Es begann mit Schießtraining, bei dem sie Farbmunition verwendeten, die nicht tödlich war. Wie sich herausstellte war Andy nicht der einzige miserable Schütze unter ihnen. Galina, die weit mehr Übung hatte, war auch nicht viel besser. Toto allerdings war herausragend. Er traf seine Zielscheibe sogar im Vorbeilaufen genau in der Mitte und auch als sie nach hinten kippte erwischte er sie noch recht genau. „Früher, als er noch zu jung für den Nahkampf war, war er immer unser Scharfschütze... Vor ein paar Jahren hat er allerdings damit aufgehört“, erzählte Kato, der furchtbar stolz auf seinen kleinen Cousin war. „Warum hat er aufgehört? Er ist doch Weltklasse“, meinte Andy und sah, wie sich das Gesicht seines Freundes verdunkelte. „Er hat mich angeschossen. Es war nicht seine Schuld und auch nicht wirklich meine. Es war ein dummer Unfall aber seitdem wollte er es nie wieder machen“, sagte er und sah dem Jungen zu, der auf diverse Dinge schoss, die Angelos in die Luft warf. Andy war halbwegs geschockt. Diese Familie hatte anscheinend noch mehr mitgemacht als er geglaubt hatte. Und trotzdem hatten zumindest die Kinder immer zusammengehalten. Toto und Angelos tauschten die Plätze und Kato machte sich daran seinem Freund und Galina ein bisschen Nachhilfe zu geben. Andy besserte sich schlagartig als er einige grundlegende Dinge beachtete und konnte schon bald eine Pause machen. Er stellte fest, dass Kato immer noch ein so guter Lehrer war wie damals als er ihm Mathe-Nachhilfe gegeben hatte. Und er war immer noch so gnadenlos und erlaubte erst Pausen, wenn ein Fortschritt zu sehen war. Er war außerdem der erste und einzige Lehrer, gegen den Andy nicht in irgendeiner Form rebellierte. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als er Kampfgeräusche vom unteren Teil der Wiese hörte. Als er nachsah stellte er erleichtert fest, dass Toto und Angelos wohl zu den Nahkampf-Übungen übergegangen waren. Mit Genugtuung beobachtete er, wie der kleine Halbvampir den hochgewachsenen Griechen vermöbelte und ihm sagte, was er falsch machte. Die Sonne war noch nicht untergegangen und so verdiente Totos Leistung noch mehr Bewunderung. Irgendwann gaben sie auf und kamen auf den Platz zu wo Andy saß. Angelos ging und sah Galina bei ihren endlosen Schießübungen zu und Toto ließ sich neben dem Sitzenden nieder. Er war vollkommen außer Atem und kaum in der Lage zu sprechen. Trotzdem behauptete er, es wäre alles in Ordnung. „Ich hab dir zugeguckt. Kato hatte Recht; du bist verdammt gut... Sag mal, bist du sicher, dass alles okay ist?“, fragte Andy besorgt, denn Toto atmete immer schwerer und war ganz blass. „Alles bestens... ein bisschen... schwindelig“, keuchte er und legte sich auf die Wiese, wo er sich mit zitternden Fingern an einigen Grashalmen festklammerte. Andy war sich da nicht so sicher. Schließlich war sein Körper sehr geschwächt und diese Anstrengung, noch dazu in dieser schwülen Abendhitze, war möglicherweise einfach zu viel für ihn. Der Größere griff nach seinem schmalen Handgelenk und legte zwei Finger darauf. Sein Puls spielte vollkommen verrückt und er wirkte als hätte er Fieber. Alarmiert hob Andy ihn hoch und lief Richtung Haus. Kato holte ihn ein und fragte was los sei. „Er hat sich überanstrengt und sein Kreislauf macht nicht mehr mit... Wir brauchen eine Badewanne mit kaltem Wasser und kipp so viele Eiswürfel rein, wie du finden kannst“, sagte er und sein Freund lief so schnell er konnte nach drinnen. Als er mit seinem Patienten das Badezimmer erreichte war die Wanne schon fast voll und Kato war gerade dabei eine Packung Eiswürfel reinzuwerfen. Andy ließ Toto mitsamt seinen Klamotten ins Wasser gleiten. Als das eisige Nass seinen Körper umfing zeigte der Junge kaum eine Reaktion. Der Ältere schnappte sich ein Handtuch, tauchte es in die Wanne und legte es auf Totos Kopf. Kato kam wieder ins Bad und brachte noch mehr Eiswürfel. „Soll ich nicht lieber einen Krankenwagen rufen?“, fragte er nervös. „Nein, das geht schon. Es wird ihm gleich wieder besser gehen. Wenn er anfängt zu frieren müssen wir ihn da rausholen“, sagte Andy und ließ den Kleinen keine Sekunde aus den Augen. „Woher weißt du das alles?“, fragte sein Freund. „Mein Bruder hatte einen sehr schwachen Kreislauf und hat kaum Sonne vertragen. Im Sommer hatte er ständig sowas oder ähnliche Sachen. Als ich acht war musste ich mich zum ersten Mal ganz allein um ihn kümmern, weil unsere Eltern nicht da waren. Seitdem war es meine Aufgabe ihn in die Badewanne zu schleppen und zu versorgen. Na ja, man muss vielleicht erwähnen, dass er einen Kopf größer war als ich und wenn er einen von diesen Zusammenbrüchen hatte wurde er meistens ohnmächtig... Ich weiß also, was ich hier tue. Mach dir keine Sorgen“ Während er sprach überprüfte Andy wieder Totos Puls, der immer noch raste. „Und wenn er ohnmächtig da lag, haben deine Eltern daneben gestanden und zugeguckt, wie du dich abplagst?“, fragte Kato fassungslos. „Ja, sie... waren der Meinung, ich müsste lernen Verantwortung zu übernehmen und mit Stress fertig zu werden. Als ob das ein Test wäre. Sie haben sein Leben aufs Spiel gesetzt, nur um meins schwerer zu machen und ihre komischen Ansichten durchzusetzen... Sag mal, kannst du was zu trinken besorgen? Am besten mit Zucker“, meinte er und Kato lief sofort los. In der Zwischenzeit versuchte Andy, Toto aus seinem Dämmerzustand aufzuwecken. „Wie fühlst du dich?“, fragte er, als der Jüngere ihn verwirrt anblinzelte. „Mir ist schwindlig... und kalt... und ich bin so furchtbar müde“, flüsterte Toto schwach. „Das wird schon alles wieder. Du darfst dich im Moment nicht so anstrengen. Zuerst musst du wieder gesund werden“, meinte Andy und strich die nassen schwarzen Haare zur Seite. „Aber ich wollte doch kämpfen... Ich wollte euch helfen“, sagte der Kleinere. „Du wirst uns helfen. Ich weiß noch nicht wie, aber wir werden sicher eine Aufgabe für dich finden“ Für den Moment beruhigte ihn das anscheinend. Kato kam wieder und hatte eine Flasche Cola dabei. Sie mussten Toto helfen etwas zu trinken, was sehr Besorgnis erregend war. Dann half Andy ihm aus der Badewanne und aus seinen Klamotten. Er sorgte dafür, dass sein Kreislauf wieder in Schwung kam, indem er ihn mit einem Handtuch trocken rubbelte, um das Blut zum Fließen zu bringen. Ein bisschen Farbe kehrte in das schmale Gesicht zurück und der Junge schaffte es sogar zu lächeln. „Ist dir immer noch schwindlig?“, fragte Andy. „Ein bisschen aber es ist schon besser. Danke, Mann“, antwortete Toto. Der Größere wickelte ihn in einen Bademantel und trug ihn in sein Zimmer. Auf dem Flur begegnete er Angelos und Galina, die vor der Badezimmertür gewartet hatten und ihm nun neugierig folgten. „Wie geht´s ihm? Ist es schlimm?“, fragte die Frau. „Es ist nichts Schlimmes. Er braucht nur jetzt Ruhe“, antwortete Andy. „Ich glaube, das ist meine Schuld. Ich hätte ihn nicht so anstrengen dürfen. Es tut mir leid“, meinte Angelos mit einem schlechten Gewissen. „Niemand ist es schuld. Aber wir sollten in Zukunft besser aufeinander und auf uns selbst achten“, sagte Kato, der ihnen ebenfalls folgte. Andy brachte den Jungen in sein Bett, wo er sich erschöpft in die Kissen sinken ließ, und deckte ihn sorgfältig zu. In seinem Zimmer war es kalt, weil er den ganzen Tag die Rollläden runterließ und diese Seite des Hauses sowieso nicht so viel Sonne abbekam. Kein Wunder also, dass Toto in der Hitze zusammengebrochen war. Andy scheuchte alle Anderen vor die Tür und öffnete seufzend das Fenster, um die angenehme Abendluft hineinzulassen. Er durchquerte das Zimmer, das nicht mehr so unnatürlich ordentlich war, und setzte sich auf das Bett. „Ruh dich aus, okay? Und wenn du aufstehen willst, dann lass es langsam angehen. Hier ist mein Handy. Wenn was ist, rufst du einfach auf euer Telefon an und ich komme sofort hoch... Alles klar? Dann schlaf jetzt und mach dir keine Sorgen“, sagte er, strich dem Kleinen noch einmal über den Kopf und verließ das Schlafzimmer. Kato wartete draußen auf ihn. „Was sollen wir jetzt tun? Sobald er sich besser fühlt wird er es wieder versuchen, davon kannst du ausgehen“, meinte er. „Er braucht eine Aufgabe. Irgendwas, womit er sich beschäftigen kann und das ihn in unsere Aktion mit einbringt“, antwortete sein Freund nachdenklich. „Uns fällt schon was ein. Wir können ja mal die zwei Pseudo-Profis fragen“, sagte Kato. Aber die beiden Vampirjäger hatten auch keine Ahnung. „Vielleicht will er ja doch wieder Scharfschütze sein. Das ist körperlich nicht so anstrengend“, meinte Andy, als sie in der Küche zusammensaßen. „Nein, das ist momentan auch zu riskant. Seine Nerven sind zu schwach und das macht ihn immer ziemlich unberechenbar... Am Liebsten würde ich ihn aus der ganzen Sache raushalten aber das wird wohl auch nicht möglich sein“, sagte Kato. Da hatte Galina eine Idee. „Er wird unsere Zentrale. Schließlich kennt er sich mit Computern aus und kann alles mögliche nachgucken und berechnen, während wir draußen rumlaufen und versuchen die Vampire zu finden. So ist er zwar dabei aber außerhalb der Gefahrenzone“, erklärte sie. „Ja, das wird ihm gefallen. Alles überwachen und uns durch die Gegend schicken. Geniale Idee“, meinte Kato grinsend. Sie besprachen noch eine Weile, wie sie jetzt vorgehen wollten. „Uns bleibt nichts anderes übrig als zu warten bis wieder was passiert... Wir können natürlich auch ziellos die Stadt absuchen, dann hätten wir wenigstens was zu tun“, meinte Angelos. „Vielleicht sollten wir zuerst auf allen möglichen Friedhöfen nachsehen, ob da irgendwelche neuen Gräber gemacht wurden. Es wäre zwar sehr offensichtlich sich dort zu verstecken aber möglicherweise machen sie es grade deswegen. Wenn wir das getan haben suchen wir leerstehende Gebäude ab. Am besten, wir teilen uns auf, dann geht´s schneller“, schlug Kato vor und die Anderen stimmten zu. „In der Zwischenzeit könnte Toto doch versuchen rauszufinden, ob sie vielleicht sogar ein Haus gekauft haben“, sagte Galina und wie auf Kommando hörten sie den Jungen die Treppe runterkommen. Er betrat die Küche und machte sich am Kühlschrank zu schaffen. „Was denn? Ich hab halt Hunger“, meinte er kopfschüttelnd als die Anwesenden skeptisch das Essen betrachteten, das er zu dieser Tageszeit noch auf seinen Teller packte. Nur Andy und Kato beobachteten die Szene mit Erleichterung. Sie erzählten dem Jüngsten, welche Aufgabe sie sich für ihn ausgedacht hatten und er war nicht nur einverstanden, sondern begeistert. Gut gelaunt lief er in sein Zimmer zurück und fing gleich mit der Recherche an. „Da bleibt nur noch eine Frage“, meinte Galina, „Wie sollen wir uns verständigen, wenn wir getrennt voneinander durch die Stadt laufen? Handy ist auf Dauer zu teuer und kann abgehört werden“ Ratlos sahen sie sich an. Da hatte Kato einen Geistesblitz. „Wenn mich nicht alles täuscht steht auf dem Speicher noch ein Funkgerät. Ich weiß nicht, ob es noch geht aber ich kenne da jemand, der es reparieren kann“, meinte er und sie machten sich auf den Weg nach oben. Der Speicher war vollgestopft mit uraltem Krempel und alles war von einer Staubschicht bedeckt. Der Raum war in schummriges Licht getaucht, die Lampe war anscheinend ziemlich erbärmlich. Kato fand den Koffer und trug ihn mit Leichtigkeit in Totos Zimmer, wo er ihn auf dem größeren der beiden Schreibtische abstellte. „Muss ich jetzt Prioritäten setzen?“, fragte der Junge, der sich auf seinem Bürostuhl im Kreis drehte. „Vielleicht solltest du dir so kleine Teile mit Nummern drauf besorgen, dann kann jeder der was will eine ziehen“, meinte Andy, während Toto und Kato das Funkgerät untersuchten. Kurze Zeit später rauschte der Apparat vor sich hin und die Beiden testeten die tragbaren Geräte. Als alles funktionierte war es schon fast Mitternacht. Sie beschlossen erst am nächsten Tag mit der Suche zu beginnen und sich den Rest der Nacht auszuruhen. So trafen sie sich Montagabends wieder. Mit Hilfe eines Stadtplans, den sie auf dem Boden ausbreiteten, suchten sie sich ihre Ziele aus. Als alles geklärt war machten sie sich getrennt auf den Weg. Zum Glück hatten sie genug Autos, sodass auch entlegene Friedhöfe leicht zu erreichen waren. Die leerstehenden Gebäude würden sie sich in der folgenden Nacht ansehen. Und so nahm ihre hoffnungslos erscheinende Suche ihren Lauf. Kapitel 11: Die Suche – Teil 1 ------------------------------ Wenige Minuten nach ihrer Abfahrt kamen sie am ersten Friedhof an. Er war klein und dunkel. Das eiserne Tor am Eingang war verrostet und hing aus den Angeln und die Steinmauer verfiel fast im Sekundentakt. Bevor sie aus dem Auto stiegen suchte Kato etwas aus seiner Tasche. Es war eine Nachtsicht-Brille. „Hier, die hab ich vorhin gefunden. Keine Ahnung, ob das funktioniert aber wenn dann haben wir schon wieder ein Problem weniger“ Andy setzte sie auf und sofort erschien alles grün. Er stieg aus und sah sich um. Das Licht der Straßenlampen blendete nicht so stark und so konnte er auch Dinge erkennen, die am Rand des Lichtkegels waren, aber in der Dunkelheit sehen konnte er mit dem Teil nicht. „Ich glaube es funktioniert nicht. Ich bleib lieber bei Taschenlampen“, meinte er. Sie gingen zum Friedhofstor und durchquerten es. Kato sah sich fasziniert um. Seine Augen leuchteten und er lächelte. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sein Freund skeptisch. „Es ist so romantisch hier... Wir sollten mal wiederkommen, wenn wir Zeit haben“, sagte er und ging gut gelaunt den schmalen Weg entlang. Er hatte Recht, es war tatsächlich extrem romantisch. Überall standen Rosenhecken und die daran befindlichen Blumen erschienen schwarz im leichten Mondlicht. Die verwitterten Grabsteine und die kleine Kapelle gaben dem Ort eine gespenstische Atmosphäre. „Wir könnten uns ja Zeit nehmen“, flüsterte Andy während er seinen Freund von hinten umarmte und ihn so zum Stehenbleiben brachte. Einen Moment lang ließ Kato es zu, dann befreite er sich aus den starken Armen. „Geduld ist nicht grade deine Stärke. Wir müssen sie suchen... Bald ist Vollmond, dann kommen wir hierher zurück, okay?“, meinte er lächelnd und der Andere nickte. Sie machten sich auf den Weg über den Friedhof. „Was suchen wir eigentlich?“, fragte Andy. „Wir suchen Gräber. Frische Gräber, um genau zu sein. Und wir suchen Hinweise“, antwortete der Kleinere. Sie folgten den Wegen und untersuchten diverse Gräber. „Ich glaube, das bringt nichts. Es hat doch am Freitag geregnet also sind bestimmt alle Spuren verwischt. Außerdem, was sollen wir tun, wenn wir tatsächlich so ein Grab finden? Den Sarg ausbuddeln und nachgucken?“, fragte Andy nach einer Weile. „Das wird nicht nötig sein. Ich spüre es, wenn ich vor einem Vampirgrab stehe. Und wenn es ein Vampir ist, mit dem ich verwandt bin, ist das Gefühl noch stärker. Wenn wir es dann gefunden haben warten wir einfach bis sie zurückkommen, nur um sicherzugehen. Na ja, und dann sehen wir weiter“, antwortete Kato und lief unbeirrt weiter. Sie durchforsteten den kompletten Friedhof und die dazugehörige Kapelle, fanden aber nicht den kleinsten Hinweis. „Na ja, wäre ja auch zu schön gewesen, wenn wir es gleich beim ersten Versuch geschafft hätten“, meinte Andy als sie sich auf den Rückweg zum Auto machten. Sie kamen dort an, aber Kato machte keine Anstalten die Tür aufzuschließen. Stattdessen sah er sich aufmerksam um und wandte sich schließlich an seinen Begleiter. „Sag mal, was hältst du eigentlich von diesen beiden Vampirjägern? Denkst du, man kann ihnen trauen?“, fragte er nachdenklich. „Na ja, sie haben anscheinend nicht gelogen und die Sache mit Lidia tat ihnen wirklich leid. Aber ich persönlich bezweifle, dass sie Profis sind. So amateurhaft wie sie uns verfolgt haben und wie sie kämpfen...“, antwortete Andy. „Aber könnte es nicht sein, dass das alles nur Show ist? Vielleicht hat sie jemand auf uns angesetzt oder vielleicht machen sie mit unseren Feinden gemeinsame Sache und verraten uns. Es war ganz schön blöd von mir, sie in unser Haus zu lassen“ Der Schwarzhaarige sah beschämt zu Boden. „Es ist nicht deine Schuld. Du warst geschockt; das waren wir alle. Außerdem wäre es dir sicher als erstes aufgefallen, wenn sie falsch spielen würden. Wir müssen sie aufmerksam beobachten. Wenn das wirklich alles Fassade ist machen sie irgendwann bestimmt einen kleinen Fehler und dann wissen wir es“, sagte Andy. Das Gesicht seines Freundes hellte sich etwas auf und plötzlich lächelte er wieder. „Ich habe eine bessere Idee“, meinte er, stieg endlich ins Auto und zog das Funkgerät aus seiner Hosentasche, „Wir werden sie belauschen. Sie sind jetzt unter sich, also werden sie, wenn sie denn Lügner sind, ihre weiteren Pläne bestimmt besprechen“ Er schaltete das Funkgerät an und die Sprechfunktion aus. Sie hörten das Geräusch eines fahrenden Autos und dann eine weibliche Stimme. „Was ist denn überhaupt seit gestern mit dir los? Du lässt dich von einem 14-jährigen Jungen verprügeln, der nichtmal halb so groß ist wie du?! Wo ist der starke Mann hin, der mich damals vor den Vampiren gerettet hat?“, fragte Galina aufgebracht. „So ist das nicht. Das ist kein normaler Junge, das ist ein Halbvampir und er hat alle Tricks drauf, glaub mir“, antwortete Angelos und man konnte den angekratzten Stolz aus seiner Stimme heraushören. „Die Sonne war noch nicht untergegangen, du Trottel. Das ist ein normaler Junge gewesen und er hat dich plattgemacht“, fuhr sie fort. „Du verstehst das nicht. Er... Wenn er einen so anguckt, mit diesen unglaublich verzweifelten braunen Augen, dann kann man ihn einfach nicht schlagen, es geht nicht... Ich wünschte, er könnte dabei sein, wenn wir mit den Vampiren kämpfen aber daraus wird wohl nichts“, meinte Angelos wieder und die Lauschenden konnten sich praktisch vorstellen, wie er seufzend aus dem Fenster sah. „So, du hättest ihn also gerne in deiner Nähe? Wie muss ich das denn jetzt verstehen?“, fragte seine Freundin eisig. „Nein! So war das doch nicht gemeint! Musst du denn immer alles falsch verstehen?!...“ In diesem Moment schaltete Kato das Funkgerät aus. „Mann, wenn die so weiter streiten wecken sie noch die ganze Stadt. Das war ja nicht besonders hilfreich“, meinte er enttäuscht und ließ das Auto an. „Immerhin wissen wir jetzt, dass Galina furchtbar eifersüchtig ist. Und wir wissen, dass Angelos wohl doch zu was taugt, sonst hätte er sie niemals retten können“, sagte Andy und lehnte sich zurück. „Na ja, vielleicht hat er sie zufällig gerettet. Und vielleicht ist sie aus gutem Grund eifersüchtig. Angelos geht wirklich auffällig nett mit Toto um“, meinte der Fahrer skeptisch. „Kein Wunder, er hat immerhin seine Schwester umgebracht. Außerdem hat er Recht. Wenn Toto einen so ansieht wird man schwach. Ich muss ihn mal fragen, wie er das macht“, entgegnete Andy. Kato lachte leise und lenkte das Auto auf die verlassene Hauptverkehrsstraße. „Das kannst du dir sparen. Man kann es nicht lernen. Er macht das nicht extra, weißt du. Das ist von Natur aus so bei ihm. Der Kleine sieht viel unschuldiger aus als er ist“, meinte er und fummelte während der Fahrt am Radio rum. „Ich fürchte, er ist im Grunde viel unschuldiger als wir glauben. Seine ganze Denkweise und so“, sagte Andy und suchte nach der Stadtkarte, um nachzusehen, wo sie eigentlich hinfuhren. Keiner sagte mehr ein Wort, bis sie den nächsten Friedhof erreichten. Auch hier blieb ihre Suche erfolglos, genauso wie an drei weiteren Orten. Zwischendurch belauschten sie immer wieder Angelos und Galina aber die sprachen anscheinend nicht mehr miteinander. Als es im Osten schon dämmerte erreichten sie endlich den letzten Friedhof auf ihrer Liste und dieser löste schmerzliche Erinnerungen aus. Sie parkten an der üblichen Stelle und Kato starrte erstmal eine lange Weile über die Mauer. „Vielleicht sollten wir die Anderen hierhin schicken“, schlug Andy leise vor. Auch bei ihm verursachte dieser Ort tiefe Trauer. „Ich weiß nicht. Es kommt grade irgendwie alles zurück...“, murmelte der Rumäne und wischte sich die ersten Tränen aus den Augen. Auch Andy sah wieder vor sich, wie Lidia gestorben war; wie sie ein letztes Mal ihren Bruder angelächelt hatte und dann mit einem Schmerzensschrei zu Staub zerfallen war. Es ging ihm selbst schon sehr nahe, wie musste Kato sich dann erst fühlen? Besorgt nahm er seinen Freund, der mittlerweile haltlos weinte, in den Arm. Aber es war nicht nur die Erinnerung an Lidias Tod, die Kato quälte. Er musste auch an ihre Kindheit denken und was sie alles erlebt hatten. Früher hatten sie alle zusammen in einer riesigen Villa gewohnt, einem Familienerbstück. Sie waren wie Geschwister aufgewachsen und besonders Kato und Lidia hatten sich sehr nahe gestanden. Wie zur Bestätigung zog der Junge ein Foto aus seinem Geldbeutel. Es zeigte drei Kinder an der Wurzel eines uralten Baums. Lidia saß da und lächelte in die Kamera. Sie hatte auch früher schon eine Schwäche für ausgefallene schwarze Klamotten gehabt. Kato, damals ungefähr drei Jahre alt, lag schlafend an ihrer Schulter und sie hatte beschützend den Arm um ihn gelegt. Er glich auf diesem Bild noch mehr einem Engel als sonst. In ihrem anderen Arm hielt Lidia ein süßes schwarzhaariges Baby mit großen unschuldigen Augen: ihren kleinen Bruder Toto. Es wirkte wie eine heile Welt und das war es zu diesem Zeitpunkt eigentlich auch noch. Doch zwei Jahre später kam Lidias und Totos Vater ums Leben; ein Schicksalsschlag, der die Familien tief erschütterte und sie dazu brachte das Haus zu verlassen und sich zu trennen. „Damals hat alles angefangen. Der Tod von meinem Onkel war der Auslöser für alles, was uns danach passiert ist... Wenn wir Lidia und Toto noch bei uns gehabt hätten, wären Ina und ich wohl nie so tief in unsere Probleme geraten. Und andersrum genauso. Wenn er nie gestorben wäre und wenn wir nie aus dem Haus ausgezogen wären, dann würden wir heute immer noch so da leben, da bin ich mir sicher... Allerdings würde ich dich dann nicht kennen und das wäre extrem schade... Du bist ehrlich gesagt das einzige Gute, was mir seit damals passiert ist“, sagte Kato und legte seinen Kopf auf Andys Schulter. Eine Zeit lang saßen sie einfach nur da und starrten auf die Windschutzscheibe. Irgendwann erhob der Kleinere sich wieder. „Lass uns auf die Suche gehen, bevor es Morgen wird“, meinte er mit neuer Kraft und verließ das Auto. Sie stiegen über die Mauer und gingen durch die Wiese, wie sie es immer taten. Als sie die ersten Gräber erreichten verlangsamte Kato seine Schritte und ging aufmerksam durch die Reihen, während sein Freund die nähere Umgebung nach Spuren absuchte. Plötzlich blieb der Rumäne vor einem besonders alten Grab stehen. „Spürst du das auch? Hier ist so eine Art Energiefeld“, flüsterte er Andy zu, der neben ihn getreten war. Tatsächlich wurde er von einem seltsamen Gefühl eingehüllt, das ihn erschaudern ließ. „Ist das ein Vampirgrab?“, fragte er angespannt. „Nein, aber... irgendwas ist hier...“, murmelte Kato als Antwort. Er beugte sich runter und berührte vorsichtig die Erde des Grabs. Erschreckt zuckte er zurück und im nächsten Moment erschien eine weiß-schimmernde Figur. Die beiden Jungs standen wie versteinert da und starrten den Geist des jungen Mannes an, der sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und sie skeptisch musterte. „Hallo, ihr Zwei“, sagte er vergnügt und seine Stimme klang seltsam, als käme sie von weit weg. „Du... du bist ein Geist“, flüsterte Andy fassungslos und betrachtete ihn von oben bis unten. „Das bin ich. Wenn ich mich vorstellen dürfte, mein Name ist Jeronimus Reinhardt und ich bin schon seit 300 Jahren der ganz persönliche Geist dieses Friedhofs“, sagte der Durchsichtige und verneigte sich elegant. „Der persönliche Geist? Und was machst du hier so?“, fragte Kato gefasst. Andy hatte den leisen Verdacht, dass er nicht zum ersten Mal mit einem Gespenst sprach. „Ich bewache diesen Ort. Manchmal, wenn mir langweilig ist, erschrecke ich die Leute, die sich nachts hierherwagen. Bis vor Kurzem konnte ich dabei noch die Gesellschaft einer reizenden jungen Vampirdame genießen aber seit einigen Tagen ist sie verschwunden. Es betrübt mich sehr, denn es war immer eine Freude mit ihr umherzuziehen“, meinte Jeronimus und senkte den Blick. „Du meinst Lidia, oder?“, fragte Andy, der so langsam seine Angst verlor. „Ja, ebenjene. Kennt ihr sie?“ Die Augen des Geists strahlten hoffnungsvoll. „Sie war meine Cousine... Es tut mir leid dir sagen zu müssen, dass sie von uns gegangen ist“, antwortete Kato traurig. „Oh nein... Ich nehme Anteil an deinem Verlust, denn auch ich hatte sie wahrlich sehr gern“, meinte das Gespenst und legte mitfühlend eine Hand auf Katos Schulter, der mit einem Schrei aus seiner Reichweite sprang. „Scheiße, ist das kalt! Mach das ja nicht nochmal!“, sagte er und wischte über seine Schulter. „Verzeihung“, meinte Jeronimus und wenn er in Farbe gewesen wäre, dann wäre er errötet, „Ich dachte du wärest auch ein Vampir, so wie Lidia“ Kato schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin bloß ein Halbvampir. Ich wusste gar nicht, dass Geister Leute anfassen können“, meinte er verwundert. „Doch, das können wir. Aber die Menschen würden erfrieren, wenn man sie zu stark oder zu lange anfasst. Bei Vampiren ist das was Anderes. Lidia hat mich immer umarmt; sie meinte, das würde sich lustig anfühlen. Sie hatte keine Angst vor mir, so wie die Anderen. Und ihr habt anscheinend auch keine Angst. Das finde ich gut“, sagte das Gespenst und lächelte wieder. „Sag mal, bist du immer hier? Ich habe dich noch nie gesehen“, fragte Kato weiter. „Nein, ich bin öfters weg. Ich spuke nicht nur hier, sondern auch noch in einigen Kirchen“, antwortete der Tote und klang dabei irgendwie stolz. „Sind dir hier drei Leute aufgefallen? Zwei Vampire und ein Mensch?“, fragte Andy. „Oh ja, sie waren hier. Sie sind furchtbar unfreundlich, besonders die Frau. Einmal verwechselte ich sie mit Lidia aber ich bemerkte meinen Irrtum gleich. Die beiden Vampire sind Rumänen, denke ich, aber der junge Mann... also, ich weiß nicht... er klang irgendwie nordeuropäisch aber ich kann mich auch täuschen“, sagte Jeronimus. Kato starrte ihn an; man konnte praktisch sehen, wie sein Gehirn zwei und zwei zusammenzählte. „Wie hieß der junge Mann?“, fragte er atemlos. Der Geist antwortete fast beiläufig, ohne zu ahnen, was er damit auslöste: „Sie nannten ihn Ísak. Ísak Elvarson“ Kapitel 12: Die Suche – Teil 2 ------------------------------ Kato zitterte am ganzen Körper als sie sich bei Jeronimus bedankten und den Friedhof wieder verließen. Er klammerte sich an Andy als ob er Angst hätte, allein Ísaks Existenz könnte ihm seinen Freund wegnehmen. Andy selbst war nicht weniger geschockt. Er hatte nicht damit gerechnet dem Isländer jemals wieder zu begegnen. Sie kamen beim Auto an und Andy verfrachtete seinen Freund auf den Beifahrersitz. Nach einigen Komplikationen schaffte er es, nach Hause zu fahren und dort zu parken. Er brachte Kato, der noch immer kein Wort gesagt hatte, auf sein Zimmer. „Es macht alles irgendwie Sinn“, murmelte der Junge als er auf dem Bett saß. „Was genau macht Sinn?“, fragte Andy und setzte sich neben ihn. „Damals in Rumänien ist Ísak von einem Tag auf den Anderen verschwunden. Plötzlich taucht er wieder auf und kurze Zeit später passieren diese Morde. Außerdem hat er mich wieder von sich abhängig gemacht. Wahrscheinlich, damit er mich auf ihre Seite zwingen konnte und mich in der Hand hatte. Aber er hat nicht mit dir gerechnet und bevor es soweit kam passierte dieser Zwischenfall auf der Klassenfahrt und er verschwand wieder. Und dann dieser Trick, um Lidia umzubringen... Ich weiß jetzt, was sie hier wollen. Sie haben kein Interesse an der Herrschaft über diese Stadt. Sie wollen bloß unsere Familie zerstören“, erklärte Kato und es klang wirklich plausibel. Sie hörten die Haustür auf- und zugehen. Zwei Paar Schritte kamen die Treppen hinauf und es klopfte. Angelos und Galina traten ein. „Was ist denn mit euch los?“, fragte der Mann, als er die beiden Jungs mit betrübten Gesichtern auf dem Bett erblickte. Bevor sie ihre Erklärungen begannen riefen sie noch Toto hinzu, der die ganze Nacht vor seinem Computer verbracht hatte. Er wirkte irgendwie durch den Wind und hatte anscheinend nichts rausgefunden. Andy und Kato erzählten von ihren Ergebnissen und mussten den beiden Vampirjägern erstmal erklären, was es mit Ísak auf sich hatte. „Was werden wir jetzt tun?“, fragte Galina, nachdem sie ihnen alles mitgeteilt hatten. „Wir machen so weiter wie bisher. Zumindest wissen wir jetzt, mit wem wir es zu tun haben“, antwortete Andy zuversichtlich. „Darf ich mir diesen Ísak persönlich vornehmen?“, fragte Toto und knackste demonstrativ mit seinen Fingerknöcheln. Seine Wut war verständlich, schließlich war der Isländer eigentlich an seinem momentanen Zustand schuld. „Hey, du weißt, was wir besprochen haben. Keine gefährlichen Außeneinsätze für dich“, meinte Angelos und versuchte so rücksichtsvoll wie möglich zu sein. „Wir servieren ihn dir auf einem Silbertablett zur Hinrichtung, wenn wir ihn haben. Aber vorher darf ich mich an ihm rächen“, sagte Kato und einen Moment lang huschte ein überaus sadistischer Ausdruck über sein Gesicht. Er würde Ísak so richtig wehtun, so viel stand fest. Der Sadist versteckte sich tief in Katos Persönlichkeit und kam nur unter besonderen Umständen an die Oberfläche. Und dieser ungezügelte Hass war anscheinend ein besonderer Umstand. Aber Andy konnte ihn verstehen. Er selbst hasste Ísak abgrundtief und stellte ihn auf eine Stufe mit seinen Eltern (und das hatte schon was zu bedeuten). Angelos´ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Wäre es nicht vielleicht klug, sich die Wohnung von diesem Ísak anzusehen?“, fragte er. Das war tatsächlich keine schlechte Idee. „Ich weiß, wo er wohnt“, murmelte Kato und sah plötzlich wieder so verletzlich und kaputt aus wie damals nachdem Ísak verschwunden war. „Vielleicht solltet ihr beide allein dorthin gehen. Ihr seid... ähm, unvoreingenommen“, meinte Andy zu den Vampirjägern und legte besorgt einen Arm um seinen Freund. „Nein, wir müssen mit. Sie könnten wichtige Hinweise übersehen, weil sie ihn nicht... kennen“, sagte Kato schaudernd. „Am besten wir gehen tagsüber, oder? Wenn er sich die ganze Nacht rumtreibt, wird er wohl am Tag schlafen“, schlug Angelos vor. Die Anderen stimmten zu. Jetzt mussten sie nur noch hoffen, dass es am nächsten Tag bewölkt war, damit Kato nicht durch die Sonne geschwächt wurde. Tatsächlich war der Himmel von dicken grauen Wolken bedeckt, als sie mittags aufstanden, und es sah aus als wollte es im nächsten Moment regnen. „Ist alles okay mit dir?“, fragte Andy seinen Freund und sah ihn prüfend an. Kato sah aus als hätte er überhaupt nicht geschlafen. „Es ist erst alles okay, wenn Ísak tot ist und wir die Vampire vernichtet haben... Aber ich bin mir sicher, wenn es so weit ist, gibt es schon wieder das nächste Problem“ Deprimiert blickte der Schwarzhaarige an die Wand. Andy verstand, was er meinte und hatte gleich eine Lösung parat. „Lass uns Urlaub machen, wenn es vorbei ist. Nur wir Beide; irgendwo, wo uns keiner stören kann und es keine Probleme gibt“, meinte er und wurde mit einem strahlenden Lächeln belohnt. „Das wäre wundervoll“, sagte Kato. Ihre Zweisamkeit wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. „Ich habe Neuigkeiten“, meinte Toto, nachdem er eingetreten war, „Sie haben wirklich ein Haus gekauft. Es ist in einem Vorort im Norden und steht schon seit Jahren leer. Hier ist die Adresse“ Er reichte ihnen einen kleinen Zettel. „Wie hast du das rausgefunden?“, fragte Andy überrascht. „Ich hab alle möglichen Behörden angeschrieben und mich als inoffizieller Beauftragter ausgegeben, der dafür zuständig ist Rumänen zu helfen, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind. Hab gefragt, ob in den letzten Wochen oder Monaten jemand angekommen ist und wo sie halt wohnen. Und da hab ich tatsächlich die Adresse gekriegt“, erklärte der Jüngere stolz. „Sie haben also wirklich ihre richtigen Namen angegeben als sie das Haus gekauft haben? Das ist komisch“, meinte Kato nachdenklich. „Glaubst du, es ist eine Falle?“, fragte sein Freund, der das für gut möglich hielt. „Kann sein. Vielleicht wollen sie uns aber auch in die Irre führen und von ihrem eigentlichen Versteck ablenken“, antwortete der Andere. „Ihr müsst auf jeden Fall doppelt vorsichtig sein, wenn ihr da hingeht“, sagte Toto, dem die Besorgnis ins Gesicht geschrieben stand. Das Geräusch der Klingel ließ sie alle zusammenzucken. Es waren Angelos und Galina, die pünktlich um halb eins ankamen, um sich auf die Suche zu machen. Auf dem Weg zu Ísaks Wohnung erzählten Andy und Kato ihnen von dem Haus, das die Vampire gekauft hatten. „Dann steht das als nächstes auf unserer Liste“, meinte Angelos bloß und konzentrierte sich wieder auf die Straße vor sich. Zwischen ihm und Galina herrschte anscheinend immer noch eine eisige Stimmung, denn die Frau hatte darauf bestanden, dass Andy vorne sitzen sollte, angeblich um ihm den Weg zu weisen. Sie kamen an ihrem ersten Ziel an. Es war ein großes altes Mietshaus in der Nähe des Stadtzentrums und Ísak wohnte in der zweiten Etage. „Vielleicht wohnt er schon gar nicht mehr hier“, sagte Kato, der von außen zum Wohnungsfenster hochsah. Tatsächlich sah es ziemlich verlassen aus, als wäre der Raum dahinter leer. „Es gibt nur einen Weg das rauszufinden“, entgegnete Andy und machte sich auf den Weg zum Eingang. „Vielleicht sollten wir zuerst gehen und einfach mal klingeln“, schlug Angelos vor. Und so machten sie es. Als nach dem dritten Klingeln immer noch keiner aufgemacht hatte beschlossen sie, einfach reinzugehen. Jetzt kam endlich Galinas Fachgebiet zum Vorschein. Innerhalb einer Minute hatte sie vollkommen gewaltfrei das Schloss geknackt. Die Wohnungstür schwang auf und schlechte Luft schlug ihnen entgegen. In der Wohnung waren anscheinend schon seit längerer Zeit alle Fenster fest verschlossen. Die vier Einbrecher zogen ihre Waffen und wagten sich vorsichtig hinein. Angelos ging als Erster, dahinter Andy und Kato und schließlich Galina, die die Eingangstür im Blick hielt. Sie betraten zuerst das Wohnzimmer, das unordentlich und verdreckt war. Die Luft war voller Staub, der auch die Möbel bedeckte. Es sah aus als hätte Ísak es niemals für nötig befunden, hier mal sauber zu machen und immer einfach seinen Krempel auf den Boden geschmissen. Auf der rechten Seite befanden sich zwei Türen. Eine davon führte in ein kleines Badezimmer. Auch hier herrschte Chaos und es roch nicht gerade angenehm. Das abgestandene Dreckwasser in der Dusche ließ darauf schließen, dass diese schon länger nicht mehr benutzt worden war. Die zweite Tür gehörte zum Schlafzimmer, wie Kato aus schmerzlicher Erfahrung wusste und ihnen flüsternd mitteilte. Gespannt stieß Angelos die angelehnte Tür auf. Aber dahinter fanden sie nur mehr Müll und Unordnung. Ísak besaß nichtmal einen Kleiderschrank und seine Klamotten waren an der Wand aufgestapelt. Sie verließen das Zimmer wieder und gingen schließlich in die Küche. Der Geruch von verdorbenen Lebensmitteln war einfach nur ekelerregend und als sie sich vergewissert hatten, dass Ísak wirklich nicht da war rissen sie alle Fenster auf, um frische Luft reinzulassen. Galina nahm sich die Küche vor und durchsuchte sie nach Hinweisen. Offensichtlich unterdrückte sie den Drang einmal ordentlich dort zu putzen. Angelos sah sich im Schlafzimmer um, in dem sich außer dem ganzen Krempel nur ein sehr breites Bett und ein Nachtschrank befanden. Andy und Kato durchkämmten Wohn- und Badezimmer, in denen wohl am meisten Hinweise versteckt sein konnten. Das Badezimmer gab nichts her außer einem Jahresvorrat Kondome und auch im Wohnzimmer fanden sich fast nur Anzeichen für Ísaks liebstes Hobby. Pornohefte und -DVDs lagen offen rum und fielen jedem, der reinkam sofort ins Auge. Sie sahen jeden Papierschnipsel einzeln durch, in der Hoffnung vielleicht eine Adresse oder Telefonnummer zu finden. Aber es waren bloß Einkaufslisten, Kassenbelege und zwischendurch einige Blätter aus der Schule. Da fiel Andy eine Notiz in die Hände. „20. iunie. 22:00 acasă. Dameon“, las er vor. Das war der endgültige Beweis für Ísaks Zusammenarbeit mit den Vampiren. „Wenn sie „zu Hause“ sagen, meinen sie doch bestimmt die Adresse, die Toto gefunden hat. Nur Schade, dass der 20. Juni längst vorbei ist... Lass uns endlich da hinfahren. Hier finden wir eh nichts weiter“, meinte Kato. Sie standen auf und gingen ins Schlafzimmer. Angelos saß auf dem Bett, hatte ihnen den Rücken zugewandt und war offensichtlich vertieft in irgendetwas. „Hey, hast du was gefunden?“, fragte Kato und der Mann schreckte hoch. Einen Moment lang meinte Andy Fotos in seiner Hand gesehen zu haben; Fotos von einer schwarzhaarigen Person. Aber als er blinzelte waren sie verschwunden und er hielt etwas Blaues fest. „Seinen Pass. Ist seit einem Monat abgelaufen. Außerdem einen Haufen Papiere, alle auf Isländisch. Und das war nur die erste Schublade“, antwortete der Mann. Er warf alles wieder zurück und öffnete die nächste. Kato wich mit angewidertem Gesichtsausdruck zurück, als er hineinblickte. Das Kästchen war bis an den Rand gefüllt mit Sexspielzeug und diversen anderen Sachen. „Mit dieser Schublade habe ich schon Bekanntschaft gemacht. Jetzt mach sie endlich wieder zu!“, sagte er mit warnendem Blick auf Angelos, der gerade anfangen wollte alles zu durchsuchen. Die dritte und letzte Schublade war vollkommen leer. Auf der Suche nach einem doppelten Boden nahmen sie sie komplett auseinander und bemühten sich erst gar nicht, sie wieder zusammenzubauen. „Tja, wie´s aussieht war es das. Hier ist nichts“, meinte Angelos und erhob sich. Sie verließen das Zimmer und Andy meinte aus dem Augenwinkel zu sehen, wie der Vampirjäger etwas in seinem Mantel zurechtrückte. Hatte er doch noch etwas gefunden, das er ihnen verheimlichte? Oder hatte es etwas mit diesen geheimnisvollen Fotos zu tun? Er würde es rausfinden, und wenn er ihn ausfragen musste. Aber nicht jetzt. Galina kam aus der Küche. Sie war fast grün im Gesicht und hielt sich die Hand vor den Mund. „Meine Güte. Da drinnen reicht Putzen allein nicht mehr aus. Da braucht man den Kampfmittel-Räumdienst“, meinte sie und verließ mit ihnen die Wohnung. Jetzt stand ihnen die nächste Aufgabe bevor. Sie kamen bei dem leerstehenden Haus an. Es sah alt und verfallen aus. Der Putz blätterte von der Fassade, einige Fensterscheiben waren eingeworfen worden und es war mit Graffiti besprüht. Sie verschafften sich auf die selbe Art und Weise Zugang, wie in der Wohnung nur, dass sie dieses Mal die Hintertür benutzten. In dem Haus roch es feucht und muffig. Schon im Flur fiel ihnen auf, dass wohl seit Jahren kein Mensch mehr hier gewesen sein konnte, denn die Staubschicht auf dem Boden war zentimeterdick und keine Fußspuren waren zu sehen. Sie durchsuchten das Haus, fanden aber nicht den kleinsten Hinweis auf eine vampirische oder menschliche Existenz. Schnell verschwanden sie wieder, denn es wimmelte nur so von Insekten und Spinnweben. „Das war ja wohl für´n Arsch“, meinte Andy als er sich auf den Steinstufen vor der Hintertür niederließ. „Tja, das Ablenkungsmanöver ist ihnen wohl gelungen. Jetzt können wir wieder von vorne anfangen“, sagte Kato und trat missmutig gegen einen kleinen Stein. Sie machten sich unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg. Dort angekommen beschäftigten sie sich wieder mit ihrem Stadtplan. „Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten. Wenn wir nicht bald einen Hinweis finden können wir die ganze Sache vergessen“, meinte Andy. „Vielleicht gibt es in dieser Akte über die Vampir-Morde doch Hinweise... Ich geh sie suchen“, sagte Kato und verließ kurz den Raum. Als er wiederkam breiteten sie den Inhalt der Mappe auf dem Fußboden aus und vertieften sich in die Informationen. Aber es war nichts da. Nicht der kleinste Hinweis fand sich auf den zahlreichen Seiten. „Meinst du, dieser Jeronimus kann uns vielleicht weiterhelfen?“, fragte Kato seinen Freund. „Glaub ich nicht. Aber solange wir keine bessere Idee haben, können wir ihn ja mal fragen“, antwortete dieser. Sie warteten, bis es dunkel geworden war, dann fuhren sie zum Friedhof. Aber Jeronimus war nicht da. Oder zumindest erschien er nicht. Wie man einen Geist aus seinem Grab herausbekam wusste keiner von ihnen und so verließen sie enttäuscht wieder den Friedhof. In dieser Nacht suchten sie erfolglos noch einige weitere leerstehende Gebäude ab, die sich größtenteils in den Industriegebieten am Stadtrand befanden. „Wo könnten sie bloß sein? Wir haben doch jetzt wirklich schon alle Möglichkeiten durchprobiert. Ich glaube nicht, dass sie ihre Särge einfach in irgendeiner Seitenstraße abgestellt haben oder im Keller von einem Wohnhaus. Das Risiko entdeckt zu werden wäre viel zu groß“, meinte Kato nachdenklich und gleichzeitig hoffnungslos als sie sich auf den Heimweg machten. „Vielleicht sind sie ja gar nicht hier in der Stadt. Möglicherweise haben sie sich auf dem Land versteckt oder im Wald“, meinte Galina. „Dann haben wir erst Recht keine Chance sie zu finden“, sagte Andy, „Wir müssen warten, bis der Zufall uns hilft“ Schweigend fuhren sie weiter. Ihre Arbeit war vorerst erledigt. Trotz mangelnder Perspektiven trafen sie sich am nächsten Abend bei Angelos und Galina im Hotelzimmer. Schon als Andy und Kato den Flur betraten, konnten sie erhobene Stimmen hören. Die Beiden stritten sich schon wieder. Mit Unbehagen blickten die Jungs sich an und dachten darüber nach gleich wieder zu verschwinden. Aber sie überlegten es sich anders und Andy klopfte schließlich. Sofort verstummte der Streit und Galina öffnete die Tür. „Gut, dass ihr grade kommt. Ich muss euch unbedingt etwas zeigen“, sagte sie, immer noch wütend. Sie folgten ihr in das Zimmer, wo Angelos dabei war, etwas von dem kleinen Schreibtisch aufzusammeln. Blitzschnell war sie bei ihm und wollte ihn aufhalten, sodass alles auf den Boden fiel. Es waren Fotos; Fotos von einer nackten schwarzhaarigen Person mit weißer Haut und Sternchen-Tattoos auf den Hüftknochen in diversen eindeutigen Posen. Kato errötete als er sich selbst so sah. Dann schlug seine Scham in Wut um. So wütend hatte Andy ihn selten gesehen. „Hey, du verstehst das falsch“, sagte Angelos abwehrend. „Was gibt es da falsch zu verstehen?!“, fauchte Kato, der Mühe hatte sich unter Kontrolle zu halten. „Ich hab die Fotos in Ísaks Nachtschrank gefunden und wollte sie dir nicht zeigen, weil du dich dann ganz furchtbar aufgeregt hättest. Ich wollte sie vernichten“, erklärte der Vampirjäger. „Und warum hast du das nicht getan?“, fragte sein Gegenüber. „Weil sie geil sind“, antwortete Angelos und bereute es im nächsten Moment, als Katos Hand sein Gesicht traf. „Du perverses Schwein! Du hast ja gar keine Ahnung, wie ich mich dabei gefühlt habe! Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie es ist wenn dir einer Drogen gibt und dich zu sowas zwingt?! Und wenn Kerle wie du die Fotos davon dann nachher als Wichsvorlage benutzen?! Hast du eine Vorstellung davon, wie ich mich schäme?!“, fragte Kato kochend vor Wut. „Es tut mir leid“, murmelte Angelos kleinlaut. „Du machst mich krank! Kannst du nicht einmal denken, bevor du tust?!“ Mit diesen Worten verschwand Kato Türen knallend aus dem Zimmer und Andy folgte ihm hastig. Irgendwie musste er ihn jetzt wieder beruhigen, bevor er jemand wehtat. Er fand seinen Freund in Tränen aufgelöst und ans Auto gelehnt. „Kato?“, flüsterte er und berührte vorsichtig seine Schulter. Der Junge zuckte, drehte sich zu ihm um und wich etwas zurück. Als Andy ihn beruhigen wollte, stieß er ihn von sich. „Fass mich nicht an!... Ich komme mir so schmutzig vor“, sagte er verzweifelt. „In Ordnung...“, murmelte Andy, „Es war nicht deine Schuld. Das weißt du doch, oder?“ Der Andere sah ihn an und man konnte sehen, dass er ihm glaubte. „Trotzdem ist es ein Scheiß-Gefühl... Ich will nach Hause... Ich muss duschen, oder so“, sagte er und wandte sich dem Auto zu. „Gib mir den Schlüssel. Ich fahre“, meinte Andy entschlossen. Diese Aussage brachte Kato ein bisschen zum Lächeln. „Du hast doch gar keinen Führerschein“, erwiderte er. „Egal. So fährst du mir nicht durch die ganze Stadt“ Andy wartete nicht länger auf seine Zustimmung, sondern nahm ihm den Autoschlüssel einfach ab, öffnete die Tür und setzte sich ans Steuer. Kato stieg auf der Beifahrerseite ein und sie fuhren los. Der Verkehr war ziemlich dicht, da es noch früh am Abend war. Irgendwie schaffte Andy es, das Auto nur einmal abzuwürgen und sie sicher nach Hause zu bringen. „Ich nehm´s zurück. Du brauchst gar keinen Führerschein“, meinte Kato, als sie dort angekommen waren. Sofort verschwand der Kleinere im Badezimmer und Andy klopfte bei Toto, um zu sehen wie er vorankam. Er fand den Jungen mit dem Kopf auf dem Schreibtisch schlafend. Vorsichtig weckte er ihn auf und er blinzelte ihn verwirrt an. Wie süß er aussah, wenn er so verpennt und verwuschelt war, dachte Andy grinsend. „Ich hab nicht geschlafen“, sagte Toto verteidigend und rieb sich die Augen. „Nein, überhaupt nicht. Geh besser ins Bett, wenn du so müde bist, sonst wirst du noch krank“, meinte Andy besorgt. „Das wäre wohl nicht die schlechteste Idee. Warum seid ihr eigentlich so früh schon wieder hier?“, fragte der Jüngere. Sein Gegenüber erzählte es ihm und er war geschockt. Zum einen über das Verhalten von Angelos und zum anderen über die Tatsache, dass Ísak seinem Cousin auch noch so etwas angetan hatte. „Meinst du, er hat die Bilder vielleicht ins Internet gestellt?“, fragte Andy, der sich das schon die ganze Zeit überlegte. „Wenn dann darf Kato es nie erfahren. Ich kann ja mal versuchen sie zu finden“, antwortete Toto und machte sich gleich auf die Suche. Andy verließ das Zimmer wieder und ging rüber zu Kato, der sich mittlerweile auf sein Bett gelegt hatte, mit dem Rücken zur Tür. Er tat so als ob er schlief, aber sein Freund durchschaute ihn sofort. Trotzdem ließ er ihn in Ruhe, denn eines hatte er in der Zwischenzeit gelernt: Wenn Kato seine Ruhe wollte, dann musste man sie ihm lassen, sonst wurde alles nur noch schlimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)