Melodien des Widerstands von gluecklich ================================================================================ Kapitel 2: Fragment ------------------- Ursave zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und vergewisserte sich, dass deren Schatten ihre Augen bedeckte. Sie bemühte sich, nicht allzu hektisch zu wirken. Ich bin irre, dachte sie, völlig irre, hier am helllichten Tag quer durch die Stadt zu rennen. Sie hatte sich gesagt, dass man höchstwahrscheinlich eher in dunklen, nächtlichen Verstecken nach ihr suchen würde, also wollte sie das Gegenteil davon tun. Viel mehr Sicherheit gab ihr das allerdings trotzdem nicht. Das ganze Land wusste von ihrer Flucht und das ganze Land wusste von ihrem Kopfgeld. Sie seufzte. Mit viel Mühe hatte sie es geschafft, ihr schwarzes Haar zu einem dreckigen Blond aufzuhellen – der Zauber musste noch ein paar Stunden halten, wenigstens bis sie aus der Stadt war, wo ihr überall Fahndungsplakate mit ihrem Gesicht entgegenstarrten. Ihre Robe lag zusammengefaltet in ihrem Rucksack; es war klüger, wie ein ganz normaler Mensch auszusehen, die waren immerhin am weitesten verbreitet. Aus dem Augenwinkel sah sie zwei dunkle Roben mit eindeutigen Symbolen am Saum – Schwarzmagier. Sie unterhielten sich lachend und laut, und Ursave schnappte das Wort Flüchtling auf. Sie hob den Kopf, versuchte, nicht zu auffällig zu reagieren. Die beiden Männer hatten ihre Kapuzen weggezogen, die Gesichter kannte sie nicht. Ungeduldig wartete sie, bis sie an ihr vorbeigegangen waren, um ihnen in gebührendem Abstand zu folgen. Zu ihrer Erleichterung bogen sie in eine weitere Einkaufsstraße ein, wo sie nicht die einzigen Passanten waren. Ihr erster Gedanke war, dass sie hier von viel zu vielen Menschen gesehen werden konnte, doch dann sagte sie sich, dass sie von umso mehr Menschen übersehen werden konnte. Spätestens seit der Kriegserklärung waren alle mit sich selbst beschäftigt, was Ursave ihnen kaum verübeln konnte. »Unser Mischling«, hörte sie von vorne. »Er ist endlich wieder zu den Experimenten zugelassen worden«, sagte einer der Magier. Das Grinsen war in seiner Stimme noch zu hören. »Jeff hat vorhin gemeint, er kann sich kaum noch bewegen«, lachte der andere. »So viel zum Thema Schmerzempfinden. Na ja, er soll ja noch immer bluten wie ein Schwein.« »Ich find das mit dem Heilen viel lustiger. Letztens hat er sich wohl so sehr zur Wehr gesetzt, dass er Jeff die Nase gebrochen hat; und Jeff hat ihn gezwungen, ihn wieder zu heilen, aber seine eigenen Brüche konnte er nicht richten.« Ursave hatte die Zähne mittlerweile so tief in ihre Unterlippe gegraben, dass es schmerzte. Wüste Flüche und Zauber lagen ihr auf der Zunge, doch sie musste sich zurückhalten. Von Quintus’ neuen Fähigkeiten hatte bisher keine so funktioniert, wie es vorgesehen gewesen war. Die Menschen hatten auf ihrer Suche nach dem perfekten Krieger alle bekannten Rassen in ihm vereint. Er sollte die Vollmondsverwandlung des Werwolfes beherrschen, allerdings kontrolliert und nicht so wütend, wie es artgerecht wäre. Nun, er konnte sich bei Vollmond kontrollieren. Allerdings kostete ihn das jedes Mal so viel Kraft, dass er in seiner Wolfsgestalt nur noch regungslos am Boden liegen konnte, statt zu kämpfen. Auf seinem Rücken prangten die großen, ledernen Flügel eines Dämons. Allerdings benötigen Dämonen zum Fliegen sowohl ihre Flügel als auch eine ganz bestimmte Magie, die Quintus nicht beherrschte. Ohne sie waren die Flügel zu schwer, um sie groß zu bewegen. Er beherrschte ein kleines Bisschen der herkömmlichen Magie. So, wie sie Ursave ebenfalls bereits beherrscht hatte, als sie auf die Welt gekommen war. Theoretisch hatte Quintus die Fähigkeit, mehr von dieser Magie zu lernen, doch bei diesem Thema sträubte er sich meist aus purem Trotz. Die beiden Schwarzmagier hatten auf seine fehlgeschlagenen Eigenschaften von Elfen und Zwölfen angespielt. Elfen hatten Heilkräfte – Quintus auch, allerdings nur an fremden Körpern. An seinen Wunden konnte er nichts ändern. Zwölfen wiederum empfanden keinen Schmerz, waren dafür aber oft starke Bluter. Solang man Quintus nichts allzu Heftiges zufügte, empfand er auch keinen Schmerz, blutete jedoch ebensoviel wie eine Zwölfe. Noch problematischer war jedoch, dass er statt Wundschmerz zuweilen einfach grundlos Krämpfe bekam und in diesen Momenten ein äußerst ausgeprägtes Schmerzempfinden hatte. Kurz gesagt waren also fast alle Experimente der Menschen nach hinten losgegangen. Erfolgreich waren bloß die Gene von Zwergen und Vampiren gewesen: Quintus hatte an Größe verloren und alterte nicht mehr. »Ich bin die größte Enttäuschung der Menschheit«, grinste er immer. Die beiden Magier wechselten das Gesprächsthema zur Diskussion über das bevorstehende Mittagessen, und Ursave wandte sich ab. Sie verließ die Einkaufsstraße, gelangte schnell in ein menschenleeres Feld nahe der Autobahn. Mit einem tiefen Seufzen ließ sie sich ins hohe Gras fallen. Ihre Vernunft brüllte ihr noch entgegen, sie solle sich gefälligst ein besseres Versteck suchen, doch sie schüttelte nur den Kopf. Für den Moment wollte sie an ihre Sicherheit glauben. Sie schloss die tränenden Augen und legte eine Hand über sie. Was war nur passiert in den letzten Monaten? Oder Jahren? Wann hatte dieser ganze Hass eigentlich begonnen? Es war schon immer so, dachte sie dumpf. Schon vor der Offenbarung. Die Offenbarung nannten die meisten Wesen den Tag, an dem sie an die Öffentlichkeit getreten waren. Es war in Etappen geschehen, die Vampire hatten den Anfang gemacht. Langsam, schonend hatten sie versucht der Menschheit beizubringen, dass es sie gab und dass sie bereits seit langen Jahrhunderten in ihren Städten wohnten. Werwölfe und Magier waren ihrem Beispiel gefolgt, dann hatten sich auch die Rassen getraut, die den Menschen nicht ganz so ähnlich sahen. Eine Weile lang hatte das gut geklappt. Und dann… Ja, was dann? Es hatte wohl kein ausschlaggebendes Ereignis gegeben, jedenfalls konnte Ursave sich an keines erinnern. Die Menschen hatten schon immer ein Problem damit gehabt, nicht allein auf diesem Planeten zu sein. Sie konnte es letzten Endes ja verstehen. Als ihre Großmutter ihr zum ersten Mal erklärt hatte, dass es nicht nur Magier gab, sondern noch etliche andere, und dass von einigen sogar eine natürliche Gefahr ausging, da war sie auch erschrocken gewesen. Ursave schmunzelte. »Aber da war ich vier«, murmelte sie heiser in die Luft. Sie wusste nicht, weshalb die Menschheit solch kopflose Panik geschoben hatte, und sie war jetzt auch zu müde, um darüber nachzudenken. Jedenfalls hatten sie sich nie so wirklich mit dem neuen Wissen anfreunden können. Schon vor der Offenbarung hatte es Gegner gegeben. Jäger. Größtenteils waren sie bloß auf Vampire oder Werwölfe spezialisiert, der Bedrohung wegen, doch einige waren auch hinter Elfen und Zwölfen her, wegen der Flügel, oder hinter Erd-Elementariern, wegen der tierischen Fellohren. Und als das Misstrauen wuchs, als der Hass wuchs, traten sie in den Vordergrund. Aus Hass wurde Jagd. Aus Jagd wurde Krieg. Aus Jägern wurden Armeen. Und aus Ärzten wurden Verrückte, dachte Ursave. Sie versuchte, diesen riesigen Kloß von Sorge herunter zu schlucken. Quintus würde klarkommen in den Versuchslaboren. Er hatte es schon einmal überstanden und er würde es wieder überstehen. Quintus war ein Kämpfer, er grinste über alles was man ihm gab, selbst wenn es fehlgeschlagene Versuche waren. Quintus war nicht leicht zu brechen. Natürlich war es eine unrealistische Vorstellung gewesen, als Mensch gegen einen Vampir oder Dämon anzukommen. Einfache Armeen hatten von Anfang an nicht gereicht. Also hatte man sich dazu entschlossen, eine eigene Rasse zu schaffen und in den Krieg zu schicken, eine perfekte Rasse, eine Rasse, die alles kann, alles abwehrt und alles angreift. Und dafür hatte man sich beliebige Versuchsobjekte herausgepickt… Solche wie Quintus. Solche, die jahrelang als Mensch hatten leben dürfen und dann aus ihrer Jugend gerissen wurden von einem Haufen verrückter Ärzte und verrückter Schwarzmagier. Schwarzmagier. Ursave konnte noch immer nicht wirklich glauben, dass sie das geschafft hatten. Sie hatten den Menschen angeboten, ihnen bei der Kriegsführung zu helfen. Sie hatten ihnen angeboten, ihre Armeen zu stärken, eigene Kämpfer dazu zu schicken, Kämpfer, die über Schwarzmagie verfügten; sie hatten ihnen angeboten, bei den Versuchen zu helfen, sie bei der Beschaffung des nötigen Genmaterials der anderen Rassen zu unterstützen; sie hatten versprochen, sich dafür nach dem Krieg wieder in die Versenkung zu verziehen und nichts mehr von sich hören zu lassen, so wie es die Menschheit wünschte – und man hatte ihr Angebot angenommen. Der Weiße Ordner, ihr inoffizieller Verband für Rebellen gegen den Krieg, hatte darauf nur synchron aufgestöhnt. Sie hörte noch Wesley, den humorvollen, Jahrhunderte alten Vampir sagen: »Wenn mir ein Schwarzmagier ein Angebot macht, bei dem ganz offensichtlich nichts für ihn herausspringt, dann sollte ich doch eigentlich nichts Besseres zu tun zu haben, als ihm einmal kräftig die Eier in den Enddarm zu treten und meinen hübschen Stinkefinger zu zeigen – ich kann ihm auch etwas anderes in den Enddarm treten oder statt Fingern meine Zähne zeigen – aber ich nehme dieses Angebot doch nicht an!« Es war wieder etwas, wovon Ursave nicht wusste, weshalb es geschehen war. Womöglich hatten sich die Menschen doch machtlos gegenüber der Schar an Wesen mit sogenannten übernatürlichen Kräften gesehen, womöglich hatten sie in ihrer Not und unter dem Zeitdruck keine andere Wahl gesehen als einem Volk zuzustimmen, das für seine Hinterhalte bekannt war. Womöglich war auch noch etwas ganz anderes mit im Spiel, was sie alle nicht mitbekommen hatten. Sie wusste das alles nicht, und es war ihr wieder einmal egal. Ursave öffnete die Augen und starrte in den blauen, wolkenlosen Himmel. Sie richtete sich auf, blickte auf die Autobahn. Über die Nacht brauchte sie ein gutes Versteck. Stimmen. Da waren Stimmen. Überall. Sie flüsterten. Sie kamen von allen Seiten. Stöhnend öffnete Quintus die Augen. »Ah! Er ist wach.« Der gleiche Satz aus allen Himmelsrichtungen. Quintus wünschte sich, sich bloß nicht gerührt zu haben. Langsam, sehr langsam, begann er zu rekapitulieren: Er lag in diesem Glaskasten. Um ihn herum waren die Leute, die sich Wissenschaftler schimpften, und erwarteten irgendeine Reaktion… Was hatte er heute noch gleich bekommen? Irgendein Hormonmix oder sowas… Ja, Hormone, Hormone und noch mehr Gene, wahrscheinlich von Vampiren. Er sollte stärker werden. Noch stärker. Er war eigentlich schon überrascht gewesen, als er sein eigenes Gewicht hatte stemmen können, aber es musste ja immer mehr werden. Ein schiefes, sarkastisches Lächeln zog sich über sein Gesicht, träge hob er einen Arm, um sich über die Schläfen zu reiben. Und warum war er ohnmächtig geworden? In seiner linken Armbeuge machte sich ein altbekanntes Ziehen bemerkbar. Ach ja… Er hatte eine gute Portion Beruhigungsmittel gespritzt bekommen, nachdem seine Ellenbogen und Knie einige Male mit den Gesichtern der Ärzte kollidiert waren. Er gab ein leises Seufzen von sich und drückte die Hände gegen den Boden, setzte sich betont langsam auf. Mit einem missbilligenden Schnauben ließ er den Blick schweifen. Weiße Kittel und Klemmbretter starrten ihm entgegen, das Flüstern der Stimmen hatte sich etwas gehoben, die Menschen und Schwarzmagier hinter dem Glas unterhielten sich gedämpft, alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Es juckte ihm in den Fingern, einfach aufzuspringen und den Hampelmann zu machen, doch er legte keinen Wert auf eine weitere Spritze. Du hast Angst, flötete jemand in seinem Kopf langgezogen. Quintus quittierte das mit einem Gähnen. Er hatte keine Angst. Wovor auch? Alles, was er noch an Schmerzen empfand, war so etwas wie das Ziehen in seinem Arm oder das dumpfe Pochen in seinem gebrochenen Fußknöchel. Und viel mehr als das und ein paar weitere Körperteile konnten sie ihm hier ja nicht antun. Doch. Sie können mich töten. Das konnten sie zwar, aber Quintus glaubte nicht daran. Er war ihr fortgeschrittenstes Versuchsobjekt, noch brauchten sie ihn. Noch würden sie ihn nicht umbringen. Hinter seinem Rücken ertönte ein Klicken. Als er sich umdrehte, öffnete sich gerade die schwere Tür zwischen den Glaswänden, und Jeff Garner, der führende Aufseher über seine Experimente, trat ein. Ein mildes Lächeln lag auf seinen Lippen. »Hallo, Quintus«, sagte er leise. Er war der einzige, der ihn beim Namen nannte und keine Schimpfwörter dafür brauchte. Allerdings machte ihn das nicht unbedingt sympathischer. »Tag auch«, sagte Quintus trocken. »Na, hat’s wieder nicht geklappt?« »Das werden wir gleich sehen. Ich nehme mal an, selbst wenn du eine Veränderung spüren würdest, wärst du wieder nicht bereit, sie uns mitzuteilen?« Quintus lehnte sich mit dem Rücken an die durchsichtige Wand hinter ihm, neigte gespielt nachdenklich den Kopf zur Seite. »Nein, ich habe komischerweise immer noch das Gefühl, dass euch mein Körper nichts angeht.« Jeff schmunzelte. »Schade; immerhin hast du einen Großteil dieses Körpers uns zu verdanken.« »Tu uns beiden ’nen Gefallen und komm zum Punkt«, seufzte Quintus. »Das Zeug hat nicht gewirkt. Passiert hier drin jetzt noch irgendwas?« »Es hat sich wahrscheinlich gerade erst fertig verteilt«, sagte Jeff langsam. »Wir sehen gleich, ob und wie es wirkt. Es soll deine Kräfte stärken im Widerstand gegen den Vollmond, ergo dir helfen, deinen Verstand zu kontrollieren, ohne gleich zusammenzubrechen.« Quintus zog eine Augenbraue hoch. »Kommt mir ja richtig gelegen«, murmelte er. »Aber das heißt nicht, dass ich jetzt noch bis zum nächsten Vollmond hier rumsitzen darf, oder?« »Nein…« Jeff grinste. »Natürlich nicht. Wir waren abgeneigt, das Risiko einzugehen, dich echtem Vollmond in einem ungeschützten Raum oder gar vor der Tür auszusetzen. Glücklicherweise haben sich unsere Schwarzmagier deshalb bereiterklärt, dir deinen eigenen, persönlichen Vollmond zu schenken.« Er hob den Blick über Quintus’ Kopf hinweg und machte eine einladende Handbewegung. Einen Augenblick später traten drei Mitarbeiter in den unverkennbaren Roben der Schwarzmagier in den Glaswürfel. Mit zusammengezogenen Brauen musterte Quintus die drei Magierstäbe, verkniff sich die Frage, was das nun heißen sollte; in seinem Kopf hatte sich bereits eine Ahnung gebildet. »Seid ihr denn überhaupt sicher, dass das funktioniert?« Seine Stimme klang dumpf, nun gestand er sich doch Angst ein… Er hasste diesen Zustand aggressiver Ekstase, in dem er sich absolut nicht selbst kontrollieren konnte, wenn er nicht all seine Kraftreserven für die nächsten Tage aufbrauchte. Den letzten Vollmond hatte er noch in seinem Versteck verbracht, wo die Fenster sauber vernagelt waren, sodass nichts vom Mondlicht in die Räume hatte dringen können. Und jetzt das… Ihm wurde keine Beachtung mehr geschenkt, die Magiere hatten ihre Stäbe auf einen Punkt in der Luft gerichtet, einer von ihnen murmelte ruhig und konzentriert Phrasen vor sich hin. Langsam hob Quintus den Blick zu dem Fleck, an dem sich die drei Magierstäbe kreuzten. Es war erst nur ein grelles Leuchten, entwickelte sich dann aber immer schneller Zentimeter um Zentimeter zu einer stetig wachsenden Kugel, die in pulsierendem Takt anschwoll. Noch war das Licht viel zu hell, um dem Mond nahe zu kommen, doch Quintus traute seinen verhassten Schwarzis durchaus zu, das noch zu richten. Er wandte den Blick ab, wollte es nicht sehen. Das Geräusch der sich schließenden Tür sagte ihm, dass er wieder allein im Glas war. Den Beginn der Verwandlung würde er auch so spüren, sobald der künstliche Mondschein ihn erreichte. Nur wenige Sekunden mussten verstreichen, bis er es spürte. Das Ziehen, das Pochen, der Druck, der früher einmal Schmerz gewesen war. Doch der Mangel an Qual linderte die Reaktionen nicht. Quintus’ Mund schien sich von ganz allein zu öffnen, sein Körper verkrampfte sich, in einem Ruck wälzte er sich auf alle Viere. Er drehte den Kopf, um über die Schulter zu blicken, sah, wie sich seine Füße verlängerten, seine Fersen immer weiter nach oben wanderten; Schweiß perlte von seiner Stirn, aus seinen Nägeln wurden Krallen, dichtes braunes Fell spross aus seinem gesamten Körper hervor – Ich terminiere Lösche aus, was zu sein ich glaubte Ein tierisches, bestialisches Heulen hallte an den Wänden wider. Quintus realisierte nicht mehr, dass es aus seiner eigenen Kehle gekommen war. Er hatte sich zurückgezogen, kauerte in der hinteren Ecke seines Verstandes, wartete darauf, dass es vorbei war. Es hatte keinen Sinn zu kämpfen. Seine Kraft zum Widerstand war nicht gestiegen. Er konnte das Tier noch immer nicht aufhalten. Der einzige Grund, es noch zu versuchen, wäre die Alternative, von den Wachen mit Silber beschossen zu – Der Gedanke brach ab. Sein Fokus verlagerte sich von der zurückgezogenen Vernunftsperson zu dem tiefen Grollen und den starren gelben Augen des durch und durch angespannten Tieres, das in der Mitte des Kastens stand und den Blick langsam durch den großen Raum schweifen ließ. Da waren Personen… Personen, die er versuchen musste, nicht anzugreifen, weil sie ihm sonst schaden könnten… Er blinzelte. Und transformiere In das nächste, große Nichts Da war Fleisch. Fleisch, das er angreifen musste, das er zerfetzen musste, das er zerreißen musste, weil – weil es so war. Da war Fleisch. Langsam ging er einige Schritte zurück. Seine Ohren waren angelegt. Aus seiner Kehle drang lautes Knurren. Die Muskeln in seinen Läufen spannten sich. Er machte einen Satz, zwei Sätze, drückte sich schwungvoll vom Boden ab. Seine Schulter kollidierte mit dem Glas, dumpf ging er zu Boden. Weit entfernt drang Gelächter an seine Ohren. Er hob den Kopf. Sah zur Wand. Das Gelächter erstarb. Feine Risse schlängelten sich durch das Glas, in ihrer Mitte war sogar ein kleines Loch. Das Tier ignorierte das Klicken entsichernder Waffen. Erneut ging er einige Meter zurück. Jemand rief Quintus hastig etwas zu, doch Quintus saß längst nicht mehr am Hebel. Niemand saß am Hebel. Das Tier hatte keinen Herrn. Der nächste Sprung durchbrach das Glas. Sofort durchbohrten Kugeln aus reinem Silber seinen Körper. Irgendwo im hinteren Teil seines Kopfes musste Quintus lachen. Das Silber hinterließ keine Brandwunden mehr. Und er wusste nun, was die Hormone wirklich bewirkt hatten. Er hatte dem Glas noch nie schaden können. Jetzt hatte er nicht mehr Kraft um gegen das Tier anzugehen, sondern um das Tier zu sein. Selbst wenn das seine Kontrolle nicht steigerte, drang seine Erkenntnis auch bis in das Bewusstsein des Tiers vor. Er stieß ein triumphales Heulen aus, keine Schusswunde, kein Knochenbruch konnte ihn nun noch behindern; Personen sprangen ihm in den Weg – Fleisch sprang ihm zwischen die Zähne. Er preschte durch die Menge, schlug und schnappte nach allem, was er sah, Blut befleckte sein Fell, er sah nichts mehr außer dem Weg nach draußen und unwichtigen Fleischbrocken, die ihn ihm versperren wollten. Als der Alarm zu allen Wächtern durchgedrungen war, hatte das Tier sich längst seine Freiheit erkämpft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)