What happened 30 years ago von Peacer (The story of a young Turk) ================================================================================ Kapitel 1: Begegnungen ---------------------- Ein Kribbeln auf der Nase weckte sie. Aireen blinzelte ein paar Mal, um sich an das grelle Sonnenlicht zu gewöhnen. Sonnenlicht?! Obwohl sich ihre Augen noch nicht ganz, an das neue Lichtverhältnis gewöhnt hatten, öffnete sie sie nun vollends – und entdeckte die Ursache des Kribbelns. Sie hatte acht, lange, haarige Beine und schien sich ganz wohl in ihrer neuen Umgebung zu fühlen – ihrem Gesicht. Kreischend sprang Aireen auf die Beine und wischte die Spinne weg. Das arme Tier wusste gar nicht, wie ihm geschah, bevor es auch schon durch die Luft segelte und trotz des Grases ziemlich unsanft landete. Einem Moment schien es Aireen, als ob die Spinne sie vorwurfsvoll anblickte, bevor sie sich umdrehte und beleidigt weg stolzierte – nein, ging. Aireen schüttelte den Kopf. Spinnen konnten weder vorwurfsvoll schauen, noch beleidigt weg stolzieren. Dann erst fiel ihr auf, dass sie inmitten einer riesigen Wiese stand, die im Süden und Osten von Bergen und im Norden von einem blühendem Wald begrenzt wurde. Richtung Westen schien sie hingegen unendlich weiterzugehen. °Ganz ruhig, Aireen. Das ist alles nur ein Traum°, versuchte sie sich zu beruhigen, während sie langsam Richtung Wald trottete. Ihr schien es einfacher, einen Wald zu durchqueren als Berge. Zudem hatte sie das Gefühl, dass hinter dem Wald ihr Ziel lag, was auch immer das sein mochte. In ihren Gedanken übersah sie wohl einen Unebenheit, denn sie stolperte und viel prompt der Länge nach hin. „Mist, verdammter! Das tut weh!“, fluchte Aireen während sie ihre schmerzende Nase rieb. °Ok, es ist halt ein verdammt realistischer Traum. Oder?° Aufmerksam sah sie sich um. Es schien Frühling zu sein; das Gras war saftig und grün und die Bäume blühten. Zudem schien es erst später Nachmittag zu sein. Und irgendetwas an dem Bild kam ihr bekannt vor. °Was soll's; ich kann auch genauso gut die Umgebung erkunden°, beschloss Aireen schulterzuckend und beschleunigte ihre Schritte etwas. Bis die Sonne unterging, wollte sie auf der anderen Seite des Waldes sein. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Drei Stunden später stand die Sonne schon gefährlich nahe an der Bergkette. Aireen schätzte, dass ihr noch höchstens eine Stunde blieb, bevor sie komplett unterging. Mittlerweile war sie endlich am Waldrand angekommen. Der Marsch hatte länger gedauert, als erwartet. Sie hatte es längst aufgegeben, sich über den allzu realistischen Traum zu wundern und konzentrierte sich auf das nächstliegende Problem: ihre schmerzenden Füße. Obwohl nicht unbedingt unsportlich, war Aireen einfach keine langen Märsche gewohnt – und ihre ausgelatschten Turnschuhe unterstützen die Blasenbildung auch noch. °Wenigstens bin ich nicht in Schlappen und Bademantel hier gelandet°, dachte sie, innerlich grinsend, während sie, gegen einen Baumstand lehnend, ihre Füße massierte. °Jetzt käm' ein Dorf gar nicht mal so schlecht°. Sehnsüchtig stellte sie sich vor, wie sie ihren armen Füßen was Gutes tat und sie in einem heißen Bad entspannte, um sich danach in ein weiches Bett fallen zu lassen und die Strapazen des Marsches mit einem erholsamen Schlaf vergessen zu lassen. Seufzend zog Aireen ihre Schuhe wieder an und betrat den Wald. Ihr war nicht ganz geheuer bei dem Gedanken, einen ihr unbekannten Wald zu betreten, noch dazu in der Abenddämmerung. Sie hoffte nur, dass sie ein Dorf finden würde, bevor die Sonne komplett unterging. Aber ihr blieb wohl eh keine Wahl, als es zu riskieren, wenn sie nicht auf dem hartem Boden schlafen wollte. Entschlossen betrat sie den Wald. So groß konnte der Wald ja schließlich nicht sein, dass sie ihn in einer Stunde nicht durchqueren konnte! Außerdem, sogar wenn es dunkel wurde, was könnte schon groß passieren? Mehr als ein paar aufgeschreckten Eulen oder Fledermäusen würde sie schon nicht begegnen. Wie falsch sie lag. Erstens war der Wald weitaus größer, als sie angenommen hatte. Und zweitens hatte sie sich verschätzt, wieviel Zeit ihr noch blieb, bis die Sonne unterging. Anstatt einer Stunde, brauchte diese nur eine knappe halbe um vollständig hinter den bergen zu verschwinden und den Wald in komplette Dunkelheit zu hüllen. Missmutig stapfte Aireen weiter. Trotz ihrer Überlegungen war ihr nicht ganz geheuer, mitten in der Nacht durch einen ihr fremden Wald zu stapfen. Angespannt sah sie sich immer wieder um und zuckte bei dem kleinsten Geräusch zusammen. Als dann auch noch eine Eule knapp über sie hinwegflog und dabei laut schuhute, konnte sie einen kleinen Angstschrei nur noch knapp unterdrücken Zumindest in etwas schien das Glück aber auf ihrer Seite zu sein; es war eine helle Vollmondnacht, und obwohl der Wald dicht war, spendete der Mond doch genug Licht, um einen Weg finden zu können. Sie bewegte sich also langsam Richtung Norden. Zumindest hoffte sie das, denn sie war sich nicht sicher, ob sie bei der vorherrschenden Finsternis nicht schon längst die Orientierung verloren hatte. Was sie allerdings noch mehr störte, als die Ungewissheit, ob sie auf dem richtigen Weg war, war das nagende Gefühl, das ihr sagte, dass sie wusste, wo sie sich befand, und sogar schon einmal hier war, vor nicht allzu langer Zeit. Plötzlich war ein Heulen zu hören, und Aireen hielt erschrocken inne. Da ertönte es wieder, und diesmal um einiges näher. Ihr lief es eiskalt den Rücken runter, als sie realisierte, wer der Urheber dieses Heulens war: Wölfe. Und gleichzeitig kam auch die Erkenntnis, warum ihr das alles so bekannt vor kam: es war genau, wie in ihrem Traum. Panisch sprintete Aireen los, die Äste, die ihr den Weg versperrten, mit den Armen zur Seite schlagend. Sie kümmerte sich nicht um irgendwelche Schrammen; sie lief wortwörtlich um ihr Leben. Aireen lief so schnell sie konnte; trotzdem wurde das Geräusch weit ausholender Pfoten immer deutlicher. Sie wagte nicht, zurückzublicken um sich Gewissheit über ihre Verfolger zu verschaffen, sondern konzentrierte sich stattdessen darauf, heil durch den dichten Wald zu kommen, indem beinahe völlige Dunkelheit herrschte. °Toll, ein Déjà-vu! Hoffen wir mal, dass mich mein Traum jetzt nicht im Stich lässt und ich es auch wirklich bis ins Dorf schaffe!° dachte Aireen verzweifelt, bevor unheimliches Heulen sie aus ihren Gedanken riss und sie sich wieder vollauf auf ihre Flucht konzentrieren musste. Sie konnte nur knapp einem Baum ausweichen, den sie in der Dunkelheit übersehen hatte und strauchelte einen Moment, bevor sie ihr Gleichgewicht wiederfand und weiter lief. °Das kam in meinem Traum nicht vor. Ich hoffe nur, dass das nicht den Ausgang dieser halsbrecherischen Flucht zum negativen verändert° betete Aireen im Stillen. Als ob ihr Gebet erhört wurde, endete der Wald abrupt und Aireen fand sich auf einer kleinen, nur allzu bekannten Anhöhe wieder, ohne nähere Bekanntschaft mit einem der Wolf-Monster gemacht zu haben. Sie raste den kleinen Hügel hinunter, dem kleinen Dorf Nibelheim und – hoffentlich – ihrer Rettung entgegen. Wütendes Geheul schallte durch die Nacht, als die Monster nochmal an Tempo zulegten um ihre zu entkommen drohende Beute einzufangen. Aireen flitzte indessen durch das Dorf, ihr Ziel vor Augen: die Shinra-Villa. Sie war davon überzeugt, dass sie auch diesmal in Sicherheit sein würde, sobald sie das Gebäude betreten hatte. Sie bemerkte ihren Fehler erst, als sie schon vor dem Tor zum Grundstück stand. Anstatt sperrangelweit offen, wie sie erwartet hatte, war das Tor geschlossen. Ihre auftretende Verwirrung verdrängend, riss sie an dem Tor, um es zu öffnen. Woraufhin sie, zu ihrem Entsetzen, feststellte, dass es abgeschlossen war. Da half auch kein Rütteln; das Schloss gab nicht nach. Panisch drehte sich Aireen um, nur um zu sehen, dass sie umzingelt war. Die Wölfe hatten sie eingeholt. Obwohl anscheinend nur drei des Rudels es gewagt hatten, ihr ins Dorf zu folgen, waren Aireens Chancen, mit dem Leben davon zu kommen, verschwindend gering. Von vornherein war klar, dass sie es nicht einmal mit einem der drei Kolosse von Wölfen aufnehmen konnte, unbewaffnet und in die Ecke gedrängt, wie sie war. °Unbewaffnet? Ich könnte sogar mit Waffe wohl kaum etwas gegen diese Gegner ausrichten°, überlegte Aireen panisch. Verzweifelt nach einem Ausweg suchend, sah sich Aireen nochmal genau um. Erst jetzt bemerkte sie, dass das Dorf nicht verlassen war, wie sie angenommen hatte. Hinter vielen der Fenstern sah man noch Licht und die Häuser sahen gepflegt und manche sogar neu aus. Stirnrunzelnd sah Aireen zurück zu den Wölfen, die jede ihrer Bewegungen verfolgten, jedoch noch nicht angriffen. °Eine falsche Regung und ich bin tot. Um Hilfe rufen wäre demnach eine schlechte Idee,“ grübelte Aireen. °Mmh, irgendeine Schwäche müssen diese Scheusale doch haben. Denk nach, verdammt, denk nach!° In ihrem Eifer, eine Lösung für ihr Schlamassel zu finden, entging es Aireen völlig, dass der Anführer des Rudels anscheinend keine Lust mehr auf Warten hatte und sich sprungbereit machte. °Ich hab's! Im Film verblendet der Held den Wolf doch immer mit Staub; das würde mir zumindest etwas Zeit verschaffen.° In dem Moment, als Aireen ihren Plan gerade in die Tat umsetzen wollte, sprang das Alphatier. Aireen warf sich zur Seite und fing ihren Aufprall mit einer eher weniger gelungenen Rolle ab. °Ich hätte mich wohl doch etwas näher mit Judo beschäftigen sollen°, dachte Aireen, als sie versuchte, sich mit ihrem schmerzenden Rücken wieder aufzurappeln. Dazu kam es allerdings nicht mehr. Drei schnell aufeinander folgende Schüsse ertönten, gefolgt von kurzem Jaulen und dem Aufprallen dreier Körper. Dann war es wieder still. Vorsichtig öffnete Aireen die Augen wieder, die sie bei dem Ertönen der Schüsse zusammengekniffen hatte. Sie war auf alles gefasst. Allerdings nicht auf das Bild, das sich ihr bot. Vor ihr lagen die drei Wölfe, allesamt tot. Ein präziser Schuss in den Kopf hatte ihnen einen schnellen Tod beschert. Das Geräusch sich nähernder Schritte erklang, und Aireen riss sich von dem Anblick der leblos daliegenden Körper los. Sie sah sich nach ihrem Retter um, während sie versuchte, sich aufzurappeln, was aufgrund ihrer noch immer weichen Knie eine kleine Herausforderung darstellte. Der Anblick ihres Lebensretters ließ sie mitten in der Bewegung anhalten und sie starrte ihn ungläubig an. Vor ihr stand niemand anderes als Vincent Valentine. Allerdings sah er nicht viel älter als 26 aus und er trug weder seinen normalerweise unabkömmlichen roten Umhang, noch sein farblich passendes Stirnband. Ebenso suchte Aireen vergeblich nach einer goldenen Klaue. Vielmehr trug er einen eleganten, blauen Anzug mit dazu passender Krawatte und seine halblangen, schwarzen Haare lagen ordentlich gekämmt. Das einzige, was er mit dem Aussehen seines dreißig Jahren älteren Ichs gemeinsam hatte, waren die roten Augen. Die Aireen gerade besorgt musterten. „Alles in Ordnung?“, fragte Vincent und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Aireen nickte nur, unfähig in ihrem Schockzustand Worte zu formen, ergriff die dargebotene Hand und erhob sich ächzend. Unsicher versuchte sie, auf ihren nach wie vor zitternden Beinen stehen zu bleiben. Vincent, der ihren Kampf mit dem Gleichgewicht einen Moment skeptisch beobachtet hatte, griff nach ihrem Arm, um sie so zu stützen. Kritisch musterte er ihre, von der Flucht durch den Wald zerschrammten Hände. Einige Kratzer waren so tief, dass sie noch immer bluteten. Bisher waren Aireen die Schrammen noch gar nicht aufgefallen. Als sie sich ihrer dann bewusst wurde, kam zugleich auch der Schmerz, der sie bisher verschont hatte. Aireen biss sich auf die Lippe, um nicht laut aufzustöhnen. Die kleinen, aber fiesen Wunden brannten höllisch. Trotz aller Bemühungen schien es Vincent aufgefallen zu sein. Turk eben. „Wir sollten die Wunden verarzten, bevor sie sich noch infizieren.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte er sich um und ging zurück in Richtung Villa, darauf vertrauend, dass Aireen ihm schon folgen würde. Diese schaute ihm verdutzt nach, bevor sie sich zusammenriss und ihm hinterherlief. Alles war besser, als hier draußen zu bleiben. Als sie ihn eingeholt hatte und neben ihm herging, fiel ihr ein, dass sie noch kein Wort gesagt hatte, geschweige denn, sich für ihre Rettung bedankt. „Ähm, entschuldigen Sie...“, stammelte Aireen. Vincent sah sie fragend an, und Aireen sprach zögernd weiter. „Ich wollte mich bei Ihnen bedanken. Ohne Sie wäre ich wohl...“ Sie schluckte, als sie an die nunmehr toten Wölfe dachte. „Keine Ursache“, meinte Vincent nur. Er wolle schon seinen Weg fortsetzten, als ihm noch etwas einfiel und er hinzufügte: „Mein Name ist übrigens Valentine, Vincent Valentine. Sie sind...?“ „Aireen Ceylan. Schön, sie kennenzulernen, Mr. Valentine,“ antwortete Aireen verlegen. Vincent nickte nur, und sie setzten ihren Weg schweigend fort. Die Stille war Aireen nur recht; so konnte sie in Ruhe versuchen, ein bisschen Ordnung in ihre wild herumschwirrenden Gedanken zu bringen. Sie war also in Gaia, der Welt von Final Fantasy 7. Daran, dass alles nur ein Traum war, glaubte sie schon lange nicht mehr. Dazu war es viel zu realistisch. Und dauerte zu lang. Aus ihrer Begegnung mit Vincent schloss sie zudem, dass sie sich in der Zeit befand, bevor sich Cloud & Co. auf die Reise machten, um die Welt vor Sephiroth zu retten. Und zwar gut 30 Jahre davor, da Vincent offensichtlich noch keinen Experimenten unterzogen worden war und noch lebte. Daraus wiederum schloss sie, dass Sephiroth noch nicht geboren war und Lucrecia wahrscheinlich noch lebte. Sie seufzte leise und beschloss dann, sich zunächst um die Gegenwart zu kümmern, bevor sie sich um die Zukunft Sorgen machte. Ganz in Gedanken versunken hatte Aireen nicht auf den Weg geachtet und bemerkte nun überrascht, dass sie schon die Villa betreten hatten. Aufmerksam sah sie sich um. Nirgendwo lagen Trümmer oder standen kaputte Möbel und die Fenster waren noch unversehrt. Obwohl eine dünne Staubschicht über allem zu liegen schien, sah man der Villa an, dass sie bewohnt war. °Die Villa muss ich unbedingt mal bei Tageslicht sehen°, nahm sich Aireen vor, während sie sich umsah. Selbst bei Vollmond sah sie atemberaubend aus! Vincent lächelte leicht, als er Aireen aus den Augenwinkeln beobachtete, wie sie mit vor Staunen offenem Mund das Anwesen betrachtete. Selbst ihm war es nicht anders ergangen, als er die Villa das erste Mal betreten hatte. Auch wenn er schon öfter prunkvolle Bauten gesehen hatte, war die Shinra-Villa doch etwas besonderes. Sie hatte ihren ganz eigenen, anmutenden Stil und faszinierte den Besucher durch pure Eleganz, und nicht durch geschmacklosen Kitsch, wie die meisten Häuser reicher Leute es taten. Vincent führte die neugierige Besucherin in den ersten Stock und ins Badezimmer, wo er seinen Verbandskasten aufbewahrte. Dort gebot er ihr, sich auf den anwesenden Hocker zu setzten, während er in einem Schrank nach Verbänden und Desinfektionsmittel kramte. Als er alles beisammen hatte, wandte er sich wieder seiner Patientin zu, die jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgt hatte. „Das könnte jetzt etwas weh tun, Ms. Ceylan“, warnte Vincent sie, bevor er sie anwies, ihre Hände auszustrecken, was sie nach anfänglichem Zögern auch tat. Nachdem er die Kratzer auf Verunreinigungen untersucht hatte, nahm er die Spraydose und desinfizierte die Wunden, um sie anschließend fachmännisch zu verbinden. Danach räumte er die nicht verwendeten Utensilien wieder zurück, bevor er sich wieder zu ihr umwandte. „Erzählen Sie mir, was passiert ist?“ Als Aireen ihn nur verständnislos anschaute, fügte er noch hinzu: „Niemand verlässt freiwillig den Schutz seines Hauses sobald es dunkel wird, es sei denn, er ist lebensmüde. Was hat Sie also dazu veranlasst?“ Aireen antwortete nicht sofort. Sie war sich nicht sicher, was sie ihm erzählen sollte. Die Wahrheit wohl eher nicht, außer sie wollte riskieren, dass er sie für komplett verrückt hielt. Um etwas Zeit zu gewinnen, sagte sie: „Ich... Das ist eine lange Geschichte...“ Vincent sah sie einen Moment durchdringend an, bevor er nickte und meinte: „Das Badezimmer ist sicher kein geeigneter Ort, um so etwas zu besprechen.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Bad, nachdem er Aireen bedeutet hatte, ihm zu folgen. Sie verließen das Bad und betraten das Zimmer daneben: Vincents Zimmer, wie es schien. Es war recht klein und spartanisch eingerichtet. Ein Bett und ein hoher Kleiderschrank nahmen den größten Teil des Platzes ein. Ferner stand ein kleiner, roter Sessel unter dem Fenster und daneben verlief ein langes Bücherregal. Ein geradezu winziger Schreibtisch stand in einer Ecke und war überladen mit Büchern und Akten. Das Zimmer konnte einem einiges über den Charakter Vincents verraten: er war ordentlich und gab sich mit wenig zufrieden. Zudem vermittelte der Mangel an Dekoration einen Eindruck von Kälte. Vincent gehörte zu den Turks – Emotionen waren da wohl fehl am Platz. „Bitte, nehmen Sie Platz..“ Vincents Stimme riss Aireen abrupt aus ihren Gedanken. Unschlüssig verharrte sie kurz bei der Tür, bevor sie sich schließlich zögerlich auf dem angebotenen Sessel niederließ, während es sich Vincent auf dem Bett gemütlich machte. °Kaum zu glauben, dass ich mich gerade mit meiner Lieblingsfigur in ihrem Zimmer befinde°, dachte Aireen erheitert. „Also? Warum sind Sie hier?“ Aireen fummelte an ihrem Pullover – eine Angewohnheit, der sie immer nach ging, wenn sie nervös war. Sie hatte entschlossen, ihm doch die Wahrheit zu erzählen – egal wie unglaublich die sich anhörte. In so kurzer Zeit konnte sie ohnehin keine glaubwürdige Geschichte erfinden. Außerdem wäre es kein Problem für Vincent, die Echtheit ihrer Geschichte zu überprüfen, da er höchstwahrscheinlich Zugriff auf viele Dateien hatte. Sie hoffte nur, sie würde ihn nicht verärgern. Schließlich gehörte er zu den Turks – der Eliteeinheit Shinras, deren Name nicht umsonst berühmt-berüchtigt war. Sie waren in alle möglichen dunklen Geschäfte verwickelt, seien es Folter, Entführungen oder Morde. Sie konnte es nicht riskieren, in Ungnade zu fallen. Momentan war sie vollkommen auf seine Großzügigkeit angewiesen. Sie war gestrandet und ganz auf sich allein gestellt in einer Welt, die nicht die ihre war. Noch einmal tief Luft holend, begann Aireen, ihre Geschichte zu erzählen, darauf bedacht, alles so genau wie möglich zu schildern. „Nun ja, das hört sich jetzt ziemlich unglaublich an, aber ich, äh, komm aus einer anderen Welt.“ Vincent sah sieh mit hochgezogener Augenbraue an. Bevor er aber seine Skepsis äußern konnte, fuhr Aireen schnell fort. „Naja, also in der Welt da gibt es so Spielkonsolen. Und bevor ich hierher kam, hab ich auf einer dieser Konsolen gespielt.“ Vincent's Augenbraue wanderte immer höher und die Zweifel waren ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. °Den Teil, dass er die Hauptfigur in dem Spiel war, lass' ich lieber weg°, überlegte Aireen und setzte ihre Geschichte fort. „Und auf einmal kommt manifestierte Dunkelheit aus dem Fernseher und umhüllt mich, und verlier ich die Besinnung. Und als ich wieder zu mir komme, bin ich hier. Also, um genau zu sein, auf einer Wiese auf der anderen Seite des Waldes. Und dann wollte ich den Wald durchqueren, hab' aber seine Größe unterschätzt, und es wurde dunkel, bevor ich ihn wieder verlassen konnte. Und dann kamen diese Wölfe, und ich bin hierhin gerannt und, naja, den Rest kennen Sie ja.“ Selbst in Aireen's Ohren hörte sich die Geschichte wenig glaubhaft an, aber daran konnte sie jetzt wohl nichts mehr ändern. Gespannt wartete sie auf die Reaktion von Vincent. Die auf sich warten ließ. Der zweifelnde Gesichtsausdruck war einem nachdenklichen gewichen und Aireen begann schon zu hoffen, dass er ihr glaubte. Diese Hoffnung wurde aber mit seinen nächsten Worten vernichtet. „Kann es sein, dass Sie sich den Kopf auf ihrer Flucht gestoßen haben?“ erkundigte sich Vincent argwöhnisch. Aireen sah ihn verdutzt an, bevor sie sich verlegen am Kopf kratzte und wegschaute. °Dass er mir nicht glaubt war ja irgendwie zu erwarten...° Sie warf ihm einen Blick zu und bemerkte, dass Vincent sie nachdenklich musterte. Sie konnte nur hoffen, dass er sie nicht verrückt erklärte und vor die Tür setzte. Ihr schauderte allein bei dem Gedanken, die Sicherheit des Hauses zu verlassen und womöglich anderen Monstern zu begegnen. Weitere endlos lange Sekunden vergingen, bevor Vincent plötzlich aufsprang, mit zwei schnellen Schritten zu Aireen rüber kam und ihr die Hand auf die Stirn legte. Diese war zuerst zu verblüfft, um auf irgendeine Weise zu reagieren. Als sie schließlich Vincent's Handlung registrierte, war er auch schon wieder zurückgewichen und sah sie prüfend an. „Sie haben Fieber. Das erklärt vielleicht ihre erstaunliche Geschichte.“ Aireen starrte ihn einen Augenblick lang perplex an. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie Fieber hatte. Das ließ sich wohl damit erklären, dass sie zu beschäftigt mit Flüchten, und später mit der Anwesenheit Vincent's war. Dann wurde ihr klar, was seine Worte bedeuteten, und die Anspannung wich augenblicklich großer Erleichterung. Aireen konnte sich ein befreites Lächeln nicht ganz verkneifen, als sie realisierte, dass er es fürs erste auf sich beruhen ließ. Sie hatte jemanden gefunden, der ihr vielleicht helfen konnte, in der neuen Welt zurechtzukommen. Das war auf jeden Fall besser, als sich ganz allein durchzuschlagen. „Ich werde mit Professor Hojo reden, damit Sie zumindest heute hier übernachten können. Kommen Sie.“ Aireen war dankbar, dass sich Vincent umgedreht hatte, um den Raum zu verlassen. So sah er den entsetzten Gesichtsausdruck nicht, der sich bei der Erwähnung von Hojos Namen breit gemacht hatte. Sie wollte auf gar keinen Fall den verrückten Wissenschaftler um Erlaubnis fragen, hier zu übernachten. Vielleicht würde er als Gegenleistung von ihr verlangen, ihr bei seinem neusten Experiment zu helfen – und zwar als Subjekt. °Zutrauen würd' ich's ihm°, dachte Aireen düster. Als Vincent bemerkte, dass Aireen keine Anstalten machte, ihm zu folgen, drehte er sich wieder um und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. „Ähm... es ist schon spät und... ich würde den Professor nur ungern stören...“, stammelte Aireen entschuldigend. °Wie wahr, wie wahr°, dachte Aireen freudlos. „Keine Sorge, um die Zeit ist er sicher noch im Labor,“ antwortete Vincent. Gedanklich fügte er noch hinzu: °Wo man ihn genau so wenig stören sollte...° Schließlich raffte sich Aireen auf und folgte Vincent widerwillig aus dem Raum. Dieser führte sie in ein anderes Schlafzimmer, wo er die Wand gegenüber der Tür berührte. Diese gab daraufhin eine Geheimtür preis, die zu einer sich nach unten windenden Treppe führte. °Genau wie in meinem Traum,° dachte Aireen, bevor Vincent einen versteckten Lichtschalter betätigte und die Treppe hell erleuchtete. °Zumindest eine kleine Besserung°. Behutsam nahmen die beiden eine Stufe nach der anderen und gelangten auf diese Weise schließlich am Grund an. Dort ging es durch den von unheimlich grünen Licht erhellten Gang bis zu einer weiteren Tür, die wohl in Hojos Arbeitszimmer führte. Vincent klopfte dreimal und wartete dann einige Sekunden, bevor ein gedämpftes „Herein!“ durch die Tür zu vernehmen war. Daraufhin trat er ein. Aireen folgte, sichtlich zögernd. Das Zimmer sah genauso aus wie sie es aus ihrem Traum kannte. Weißes Licht erhellte den Raum und ließ in steril wirken. Der große Schreibtisch, vollgepackt mit Akten und Skizzen aller Art, war genauso vorhanden wie die großen Bücherregale. Hojo, wie üblich in seinen weißen Laborkittel gehüllt, saß hinter dem riesigen Schreibtisch und schien verschiedene Akten zu studieren. Er saß vornübergebeugt und seine Brille war ihm auf die Nasenspitze gerutscht. Ab und zu wischte er sich einige fettige Strähnen seines schwarzen Haares aus dem Gesicht, die aber immer wieder zurückfielen. Er störte sich nicht an der Anwesenheit der beiden Besucher und las in Ruhe seine Seite zu Ende, bevor er sie letztendlich niederlegte, seine Brille zurecht rückte und aufsah. Aireen schaffte es gerade noch, unter seinem durchdringenden, kalten Blick nicht zusammenzuzucken. Dafür lief ihr aber ein kalter Schauer über den Rücken und sie hätte sich am liebsten zusammengekauert, um so der Aufmerksamkeit des Wissenschaftlers zu entgehen. Dessen Blick wanderte nach einer kurzen Musterung der Besucherin zu Vincent. „Was hat das zu bedeuten Valentine? Ich hoffe für Sie, dass die Erklärung zufriedenstellend ist,“, schnarrte Hojo unwillig. Aireen bewunderte Vincent's Ruhe. Er reagierte in keinster Weise auf Hojo's Unfreundlichkeit, sondern erklärte ihm diszipliniert, was passiert war. „Und jetzt erwarten Sie, dass wir sie aufnehmen? Wir sind keine Auffangstelle für Obdachlose, Valentine!“, schnauzte Hojo, sobald Vincent mit seinem Bericht fertig war. Vincent setzte gerade zu einem Protest an, als ihn eine zaghafte Stimme an seinem Unternehmen hinderte. Er, genauso wie Hojo, wandten sich dem Ursprung der stimme zu. Aireen. Als sie sich der Aufmerksamkeit der beiden sicher war, begann sie ihre Bitte: „Entschuldigen Sie vielmals die Störung, Professor Hojo. Es lag mir fern, Sie von ihrer Arbeit abzuhalten, und es tut mir Leid, Mr. Valentine damit in Schwierigkeiten gebracht zu haben.“ Sie nickte Vincent kurz zu und lächelte entschuldigend. „Es ist mir durchaus bewusst, dass sie ungern Fremde aufnehmen Jedoch würde ich Ihnen als Gegenleistung meine Arbeitskraft anbieten und helfen, wo ich kann.“ Aireen beugte den Kopf unterwürfig und wartete auf seine Antwort. Sie hoffte, ihre Rede hatte ihn überzeugen können, auch wenn sie ein mulmiges Gefühl dabei hatte, in seiner Schuld zu stehen. „Kommen Sie schon, Hojo. Es wird sicher nicht schaden, sie für eine Weile aufzunehmen.“ Bei den Worten hob Aireen den Kopf, um zu sehen, wer da gesprochen hatte. Und sie erblickte niemand anderen als Lucrecia Crescent, die in der Tür, die zum Labor führte, stand und sie freundlich anlächelte. Auch Lucrecia entsprach dem Bild, das sie aus ihrem Traum in Erinnerung hatte. Nur erschien sie in Realität noch viel schöner. Ihr Lächeln schien ihr ganzes Gesicht zu erhellen, und Aireen sah sofort, was Vincent an dieser Frau so liebte. Ihre fast greifbare Lebensfreude. „Doktor Crescent, darf ich Sie daran erinnern, dass wir an einem wichtigen Projekt arbeiten und uns eine Störung jeglicher Art nicht leisten können?“ entgegnete Hojo bissig. „Ich bin mir dessen vollkommen bewusst. Allerdings könnte sie uns im Haushalt unterstützen, so dass wir uns voll und ganz auf unser Projekt konzentrieren könnten. Das wäre ein großer Vorteil, meinen Sie nicht?“ erwiderte Lucrecia liebenswürdig und zwinkerte Aireen unauffällig zu. Diese schenkte ihr ein kurzes, aber strahlendes Lächeln, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Hojo richtete, der die Stirn in Falten gelegt nachzudenken schien. „Na gut. Sie dürfen eine Weile hier bleiben, Ms ...?“ Hojo sah sie fragend an. „Ceylan. Aireen Ceylan. Ich danke Ihnen vielmals für ihre Großzügigkeit, Professor Hojo“, antwortete sie mit einer leichten Verbeugung. Bei Hojo konnte man nie höflich genug sein. „Da nun alles geklärt ist, sollten wir uns schlafen legen. Es ist schon spät und morgen wird wieder ein langer Tag. Vincent, könntest du Ms. Ceylan bitte ihr Zimmer zeigen?“ meinte Lucrecia, bevor sie allen noch eine gute Nacht wünschte und das Arbeitszimmer Richtung Quartiere verließ. „Ich erwarte Sie morgen um Punkt 7 Uhr hier unten, Ms Ceylan. Ich werde Ihnen dann ihre Aufgaben mitteilen“, informierte Hojo Aireen noch, bevor er Lucrecia aus dem Raum folgte. Vincent lächelte flüchtig, bevor er Aireen, wieder einmal, bedeutete ihm zu folgen. „Ihr Schlafzimmer liegt direkt gegenüber meinem. Wenn Sie also etwas benötigen, zögern Sie nicht, mich zu fragen.“ Aireen nickte und schenkte ihm ein dankbares, aber müdes Lächeln. So langsam machte sich die Erschöpfung des langen Marsches und der anschließenden Verfolgungsjagd bemerkbar, genau wie Kraftlosigkeit, die aus ihrem Fieber resultierte.Die Anspannung verschwand mit dem Wissen, in nächster Zeit ein Dach über dem Kopf zu haben, selbst wenn das hieß, es mit Hojo zu teilen. Oftmals stolpernd schleppte sich Aireen die schier endlose Treppe hinauf, betrat das Zimmer, das Vincent ihr zeigte und ließ sich ohne Umschweife auf das große Doppelbett fallen. Sie war sofort eingeschlafen. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Ungläubig starrte Vincent die schlafende Gestalt Aireen's an. Ihm war es unverständlich, wie man so schnell in einen offensichtlich tiefen Schlaf fallen konnte, denn ihre Atemzüge waren gleichmäßig und tief. Vorsichtig näherte er sich dem Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn: sie war noch immer warm. Seufzend machte er sich daran, die Decke unter ihr hervor zu ziehen ohne sie dabei zu wecken. Dann deckte er sie zu und schloss das Fenster. Obwohl es schon Frühling war, fielen die Temperaturen in der Nacht oft unter zehn Grad. Gerade als er das Zimmer verlassen wollte, regte sich Aireen und drehte sich auf den Bauch, ohne aber dabei aufzuwachen. Dabei murmelte sie irgendetwas unverständliches und verzog ihr Gesicht. Vincent wartete bis sich ihr Schlaf beruhigt hatte und sie mit friedlichem Gesichtsausdruck da lag. Dann kehrte er in sein eigenes Zimmer zurück und legte sich ins Bett. Dort starrte er eine Weile die Decke an, während seine Gedanken um den rätselhaften Gast in dem Zimmer nebenan wanderten. °Wer ist sie? Ich hab das Gefühl, dass ich sie von irgendwo kenne.° Der schwarzhaarige Turk grübelte eine Weile bevor er es schließlich aufgab und die Sache vorerst auf sich beruhen ließ. °Ich werde sie auf jeden Fall im Auge behalten. Luc- Dr. Crescent's Projekt darf nicht gestört werden°, beschloss er noch bevor auch er einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)