Immer einen Schritt zurück von abgemeldet (Seishirou/Subaru) ================================================================================ Gedanken -------- Schritt IV: Gedanken Subaru war ein Grübler, das war Seishirou schon vom ersten Tag an klar. Manchmal versank er stundenlang in seiner eigenen kleinen Welt und tauchte nicht eher wieder auf, als dass ihn jemand auf seine Anwesenheit aufmerksam machte. Seishirou störte das nicht. Subaru mochte ein Grübler sein, aber er war ein Beobachter; es machte ihm nichts aus, nichts anderes zu tun, als Subaru dabei zuzusehen, wie er langsam die Fingerspitzen seiner Handschuhe zerbiss. Aber seit einiger Zeit spielte er mit einem neuen Gedanken. Was sprach dagegen, wenn er dem Jungen einmal dabei Gesellschaft leistete, und zwar so unmittelbar, wie nur irgend möglich? Viele seiner Techniken beruhten darauf, mit dem Geist der Menschen zu spielen, und wer die Erinnerungen einer Person verändern wollte, musste diese erst einmal kennen. Und genau das konnte er auch tun, wenn Subaru etwas bemerken sollte. Der Plan formte sich praktisch von alleine, und er gefiel Seishirou. Er schrie förmlich danach, möglichst bald in die Tat umgesetzt zu werden und Seishirou hatte nicht vor, sich zu widersetzen. Es war ein diesiger Tag, nicht wirklich warm, nicht wirklich kalt, nicht hell und nicht dunkel. Seishirou war sich nicht sicher, ob er das Wetter als gut oder als schlecht bezeichnen würde. Er saß in seinem Sessel und blätterte durch die Tageszeitung, seine Brille fast auf der Nasenspitze, sodass er über den Rand hinwegschauen und besser lesen konnte. Subaru saß neben ihm auf der Couch und döste vor sich hin. Seishirou langweilte sich. Es war der ideale Zeitpunkt. Seishirou faltete die Zeitung zusammen, legte sie mit der zusammengeklappten Brille darauf auf den Wohnzimmertisch und stand auf. Er umrundete den Tisch und blieb vor dem Jungen stehen. »Subaru-kun?« fragte er, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und erwiderte den etwas überraschten Blick mit einem Lächeln. Der Ausdruck des Jungen wechselte von milder Ratlosigkeit zu wunderbar unbeschreiblicher—Fassungslosigkeit? Ja, das musste es sein—als Seishirou ihm plötzlich die Hand auf die Stirn drückte. Kurz danach, bevor er etwas sagen konnte, flatterten seine Lider, und ihm fielen die Augen zu. Seishirou stützte der Bequemlichkeit halber ein Knie neben Subarus Oberschenkel auf das Sofa, damit er sich vorbeugen und seine Stirn an Subarus legen konnte. Seine Hand lag mittlerweile über den Augen des Jungen. Seishirou atmete einmal tief ein und wieder aus, was ein paar Haarsträhnen seines Gegenübers zum Flattern brachte, und begann mit seiner Arbeit. Es war nicht wie Gedankenlesen; es war wesentlich vager. Zudem war es keine Magie, die Seishirou in den zehn Jahren als Sakurazukamori allzu häufig benutzt hatte—eher selten, um genau zu sein und meist aus reiner Neugier—, also hatte er nicht viel Übung. Es war schwierig, aber er kannte Subaru gut, wenn auch noch nicht allzu lange. Als Seishirou zurückwich, und müde auf dem Tisch zusammenklappte, war es schon fast sechs. Draußen ging schon die Sonne unter. Plötzlich blickte er alarmiert auf. Subaru saß ihm in ähnlicher Haltung wie er selbst gegenüber, Hände schlapp im Schoß und leicht vorgebeugt, allerdings stumm und mit weit aufgerissenen Augen. Seine Unterlippe zitterte. Seishirou erwiderte den Blick für ein paar Sekunden und berührte den Jungen ein weiteres Mal sanft über den Augen. Subaru sackte in sich zusammen und war eingeschlafen. Seishirou runzelte die Stirn, etwas, das er nicht sehr oft tat. Er hätte nichts von dem erwartet, was er heute gesehen hatte. Als Subaru aufwachte, war es dunkel, aber er lag nicht in seinem Bett, sondern auf einem Sofa, und auch nicht auf seinem eigenen. Das Polster roch ein kleines bisschen nach Zigaretten. Er begrub das Gesicht im Kissen und seufzte. Seishirou hatte ihn zugedeckt, war aber nicht mehr im Zimmer. Subaru wurde ein wenig rot. Er musste einfach so eingeschlafen sein. Er drehte sich so, dass er durchs Zimmer schauen konnte. Aus der Küche sickerte Licht durch den Flur ins Wohnzimmer. Subaru tapste durch den Raum, versuchte dabei seine Haare zu glätten und seine Kleidung in Ordnung zu bringen, die vollkommen zerknittert war. Er schaffte es aber einfach nicht, die eine Haarsträhne nach unten zu drücken, die mehr oder weniger senkrecht von seinem Kopf abstand. Subaru hielt vor der Küchentür, die einen Spalt breit offen stand, inne. Durch die Lücke konnte er Seishirou sehen. Er saß am Tisch, eine Zigarette in der Hand und, zumindest allem Anschein nach, vollkommen ahnungslos, dass Subaru an der Tür stand. Subaru hatte ihn noch nie rauchen gesehen, weil Seishirou das in seiner und Hokutos Gegenwart vermied. Subaru hatte ihn auch noch nie mit einem solchen Gesichtsausdruck gesehen. Er wirkte so unnahbar, als hätte er sich aus dieser Welt ausgeklinkt und würde es verbieten, dass jemand ihm folgte. Er saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl, die langen Beine weit von sich gestreckt, eine große Hand, in der er die Zigarette hielt, dicht am Mund, seine schlanken, kräftigen Finger entspannt; der Rauchfaden seiner Zigarette verschwand durch das geöffnete Fenster. Das gelbliche Licht der Deckenlampe warf scharfe Schatten auf sein Profil. Eigentlich war er sehr real, aber er machte den Eindruck, als hätte er genauso gut nicht da sein können. Subaru war sich nicht ganz sicher, was er als nächstes tun sollte. Er konnte schlecht einfach so aus der Wohnung verschwinden, aber er hatte das Gefühl, dass Seishirou ihn im Moment nicht sehen wollte, auch wenn er nicht genau erklären konnte, wo dieser Gedanke herkam. Aber jeder Mensch brauchte wohl gelegentlich Zeit für sich... Plötzlich sah Seishirou hoch, direkt in Subarus Augen. Er sagte nichts, er setzte sich nicht einmal auf, sondern drückte nur seine Zigarette im Aschenbecher aus. Normalerweise lächelte er, wenn er Subaru sah, aber heute tat er es nicht. Subaru machte zwei Schritte zurück. Er will, dass ich gehe. Auf der Straße war es kalt und leer. Die Wolken, die den ganzen Tag über der Stadt gehangen hatten, schienen sich abgeregnet zu haben, während Subaru geschlafen hatte. Jeder seiner Schritte machte ein komisches Geräusch—er trug heute schlechte Schuhe, deren Sohlen sich mit Wasser voll sogen, dass dann wieder herausgedrückt wurde—, oder er platschte gar direkt durch Pfützen. Es war ein bisschen windig, also zog Subaru seine Jacke enger um sich. Aber er fröstelte nicht nur wegen der Kälte. Was war das nur für ein Blick gewesen, den Seishirou ihm zugeworfen hatte? Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er geglaubt, dass er ihm Angst eingejagt hatte. Aber das konnte einfach nicht sein, oder? Es passte überhaupt nicht zu dem, was er sonst mit Seishirou in Verbindung brachte. Aber der Ausdruck in seinen Augen, ohne jedes Blinzeln... Diese Kraft lässt ein Gefühl zurück, aber natürlich ist es nicht wirklich eins, schließlich besitzt er ja gar keine. Er nennt es eher Empfindung, so wie körperlichen Schmerz oder Begierde. Ein Eindruck, sozusagen. Aber, wenn man weiß, wonach man suchen muss, sehr einfach zu lesen und sehr hilfreich. Es gibt ihm eine Kostprobe vom Gefühlsleben der Menschen und das ist gut, denn es hilft ihm, seine Schauspielerkunst zu verfeinern. Aber manchmal, so wie heute, verwirrt es ihn. Die erste Lage an Eindrücken und vereinzelten Bildern ist leicht zu durchblicken, genau das, wonach er gesucht hat, und, gelinde gesagt, vollkommen uninteressant. Das, nach dem er gesucht hat, aber nicht das, was er sehen möchte. Es zieht ihn weiter nach innen. Er würde gerne behaupten, er würde verstehen, was er spürt, aber er wird schnell müde. Als er seine Finger zurückzieht, fühlen sie sich klebrig an und es bringt nichts, sie an seiner Hose abzuwischen. Als wäre ein Stück von Subaru an ihm haften geblieben. Es fühlt sich nicht gut an, was er nicht erwartet hat. Er hat gar nichts erwartet, er hat erwartet, dass diese Empfindung sofort wieder verschwinden würde, schließlich ist es für ihn schon immer schwierig gewesen, die Gefühlseindrücke beizubehalten. Einerseits, da sie nicht seine eigenen sind, und andererseits, da er selbst keine hat. Doch heute scheinen sie durch seine Haut gesickert zu sein, Subaru scheint durch seine Haut gesickert zu sein. Aber das kann nicht wirklich sein, dafür ist Seishirou viel zu kalt. *** Die Sonne brannte in Subarus Nacken. An einem solchen Tag wollte man selbst an der dichtbefahrendsten Hauptstraße noch mit dem fröhlichen Gekreische spielender Kinder rechnen, mit wahren Massen von Menschen, die sich als ein einziger, zäher Klumpen an einem vorbeidrängten und dabei einen Lärm veranstalteten, dass es einem in den Ohren klingelte. Aber nichts dergleichen war zu sehen oder zu hören. Grundsätzlich fand Subaru es angenehm, durch ausnahmsweise—fast—leere Straßen zu wandern, aber zog man in Betracht, dass es ein vollkommen unnatürliches Vorkommnis war, das auf schreckliche Ereignisse zurückzuführen war, dann blieb ein bitterer Beigeschmack. Musste er sich schuldig fühlen dafür, dass er die Umstände sehr genoss? So sehr, dass er im Gegensatz zu sonst nach seinem Job nicht direkt nach Hause gegangen war, sondern stattdessen einfach nur ziellos umherschlenderte? Immerhin konnte er davon ausgehen, dass ein großer Teil der Bewohner dieses weitgehend unversehrten Bezirks noch am Leben und schlicht und einfach geflohen war. Nicht, dass es ihnen auf lange Sicht etwas nützen würde, dachte er düster und schlürfte ein paar seiner Nudeln. Eigentlich gehörte Essen im Gehen wohl auch zu den Dingen, die er besser lassen sollte—er hatte genug Horrorgeschichten über Leute gehört, die sich nach Stürzen ernsthafte Schäden mit ihren Essstäbchen oder Spießen zugefügt hatten—, aber irgendwie schaffte er es nicht, sich davon zu überzeugen, dass es wichtig war. Schließlich hatte er es immerhin schon einmal geschafft sich selbst von etwas zu überzeugen, nämlich etwas »vernünftiges« zu sich zu nehmen, da er die letzten Tage wirklich nicht genug gegessen hatte. Mehr konnte man nicht von ihm verlangen. Er schluckte den Rest der Nudeln hinunter, zerknüllte die Pappschachtel und steuerte auf einen Mülleimer zu. Subaru wollte sie gerade fallen lassen, da sah er zufälligerweise hoch. Jemand winkte ihm quer über die Straße zu. Eine Sonnenbrille warf das Sonnenlicht zurück und blendete ihn. Oh nein. Seishirou stieß sich von der Mauer ab und schlenderte gemütliche auf Subaru zu. Der wusste für einen Moment nicht, wohin und oh Gott, verschwinde... Subaru grub die Fingernägel in seine Handflächen, machte ein paar Schritte rückwärts und drehte sich um. Er wollte ihn nicht sehen. Selbstverständlich folgte Seishirou ihm. Was hatte er auch erwartet? Subaru ballte die Fäuste noch fester, aber seine Schritte wurden langsamer, bis er schließlich ganz stehen blieb. Er schluckte. »Was willst du von mir, Seishirou-san?« presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Erst jetzt drehte er sich um und wie er schon erwartet hatte, fiel sein Blick auf Seishirous äußerst selbstzufriedenes Lächeln. »Hallo, Subaru-kun!« Das schiefe Lächeln verwandelte sich langsam in ein fröhliches, zähneblitzendes Strahlen. Es war bizarr: für einen Moment hatte Subaru den Eindruck, sehen zu können, wie alles an diesem Gesichtsausdruck auf den Bruchteil einer Sekunde genau an seinen Platz rückte. Dann war dieses Gefühl verschwunden, aber zurück blieb ein Bild, das sich wahrscheinlich für immer in Subarus Gedächtnis eingebrannt hatte—ein Sprung in Seishirous Maske? Subaru wandte sich ab, bevor Seishirou wieder zu sprechen begann. »Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen?« Er machte einen Schritt auf Subaru zu, sodass dieser nach oben gucken musste, um ihm ins Gesicht schauen zu können. »Wie geht es dir?« Subaru schnaubte. »Zufall. Natürlich.« Die Straße war auf einmal voller geworden. Seishirou tippte ihn an die Schulter und Subaru zuckte zurück, woraufhin er noch breiter lächelte. »Wir stehen im Weg.« Diesmal ignorierte Subaru es, als Seishirou ihn berührte und abgesehen davon, dass er leicht zusammenzuckte, als seine Hand sanft seine Schulter umschloss, reagierte er nicht und folgte ihm. Eine halbe Schulklasse voller kichernder Mädchen drängte sich an ihnen vorbei. »Lass uns ein Stückchen gehen. Oder wollen wir ein Eis essen?« Er nickte in Richtung eines kleinen Cafés. Subaru schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Hunger«, sage er mürrisch. »Ah.« Seishirou machte eine Pause. »Dann gehen wir einfach spazieren?« In Subaru brodelte es. Er schüttelte die Hand von seiner Schulter und verfluchte sich selbst. Warum musste er ausgerechnet heute einen Umweg machen? Er holte tief Luft. »Was bringt dich auf den Gedanken, dass ich überhaupt etwas mit dir machen werde?« Er marschierte los. »Ich habe meine Gründe.« Seishirou lachte und ignorierte gekonnt Subarus offensichtliche Abfuhr, indem er ihm folgte. Sekunden später war er mit ihm gleichauf. Seine Schulter streifte fast Subarus und dieser war sich sicher, dass das Absicht war. Seishirou wühlte in seinen Manteltaschen. »Mh«, machte er enttäuscht. »Hast du eine Zigarette für mich übrig, Subaru-kun?« Subaru seufzte und hielt an. Er drehte sich zu Seishirou um. »Was willst du eigentlich von mir? Da. Sogar deine Marke. Aber ein Feuerzeug hast du selbst, ja?« Seishirou nahm sich eine Zigarette. »Danke. Und ja, ich habe eins. Deins, um genau zu sein...« er entzündete das Feuerzeug und führte es zur Spitze der Zigarette. Subaru erkannte es tatsächlich wieder: ein hässliches, halbdurchsichtiges blaues Plastikteil, das er kurz nach seiner letzten Begegnung mit Seishirou vermisst hatte. »Hier hast du es zurück.« »Ich habe ein neues.« Er ließ das Kleingeld in seiner Tasche dagegen klappern. »Wirf es weg; das, was du genommen hast funktioniert sowieso nur noch die halbe Zeit.« Seishirou fasste ihn am Arm und schob das Feuerzeug in seine Tasche. Er sagte kein Wort und auch Subaru reagierte nur mit einem Augenrollen. »So zufällig ist unser Treffen dann doch nicht«, gab er zu. »Ich habe dich gesucht.« Jetzt, wo Seishirou es gesagt hatte, wollte Subaru es gar nicht mehr so wirklich glauben. Was wollte er überhaupt? »Das ist ja mal was ganz Neues.« Er machte ein finsteres Gesicht. »Was genau möchtest du?« »Na, irgendjemand muss dir doch dein Feuerzeug wiedergeben, oder?« Seishirou war sehr fröhlich. »Ich glaube dir kein Wort«, brummte Subaru. »Das musst du ja auch nicht«, antwortete Seishirou vergnügt. Subaru konnte Seishirous Blick fühlen. Er spürte es in seinem Nacken, und daran, dass seine Handflächen schweißfeucht wurden. Er ignorierte es. Viel schwerer war es, nicht zu beachten, wie dicht der Mann neben ihm herging. So dicht, dass ihre Schultern und Hände sich fast berührten und dass, hätte Subaru nur ein bisschen nach rechts geschwenkt, er in seinem Weg gestanden hätte. Doch das tat er nicht. Stattdessen ging er friedlich neben ihm, folgte ihm, und dachte nicht einmal mehr darüber nach, wo er hinging. Eine perfekte Parallele zu den jüngsten Ereignissen. Er war dankbar für das Schweigen. Er hätte nicht reagieren können, selbst wenn er gewollt hätte. Die Brücke stand still in der Abendsonne. In dieser Gegend waren gar keine Menschen mehr. Der Blick über die Stadt zeigte rotgetönte Ruinen und vereinzelte, noch unversehrte Stadtviertel. In der Ferne drohten Regenwolken. Auf eine eigenartige Weise war es sogar irgendwie schön, dachte Subaru. Sie stellten sich nebeneinander an das Geländer. Subaru genoss den kühlen Wind, der seine Haare zerzauste. Neben ihm stand Seishirou, dessen dunkler Mantel genau wie sein eigener hinter ihm flatterte. Er lächelte nicht mehr, sondern schien entspannt, fast ausdruckslos. Im seltsamen Licht der Abenddämmerung hätte er genauso gut eine Erscheinung sein können. Eine Weile standen sie regungslos nebeneinander, Subaru mit um das Geländer gekrampften Fingern, Seishirou mit den Händen in den Hosentaschen. »Sprichst du nicht mehr?« fragte Seishirou ihn schließlich. Subaru lehnte sich auf seine verschränkten Arme. Das Metall war auch durch seine Ärmel hindurch kalt. »Mh... ich denke nur nach.« Seishirou beugte sich vor, um Subaru ins Gesicht sehen zu können. »So? Und worüber denkst du nach?« Leichtes Unbehagen breitete sich in ihm aus, als er bemerkte, dass Seishirou ihm immer näher kam. Er zögerte, kaute auf seiner Unterlippe und seufzte. Er konnte Seishirou ohnehin nicht belügen. »Alles. Mich. Dich.« »Ach, über mich? Ich fühle mich geehrt.« Subaru war niemand, der normalerweise schnaubte, obwohl er es in letzter Zeit häufig getan hatte. Aber diesmal besann er sich. Stattdessen blieb er ruhig. »Ich dachte mir schon, dass du dich lustig machen würdest. Nur zu.« Seishirou hob eine Augenbraue. »Du bist so... ruhig heute. Es wundert mich, dass du noch nicht einmal Anstalten gemacht hast, mich anzugreifen.« Sein Lächeln zeigte allerdings keine Zeichen von ernsthafter Verwunderung oder Unsicherheit. »Was ist los?« »Ich hatte lange Zeit, nachzudenken. Viele Jahre Zeit. Ich war zu einem Schluss gekommen, aber...« Er stockte, suchte nach Worten und machte dazu eine Handbewegung, als wollte er sie aus der Luft greifen. Er schloss schließlich recht unspektakulär: »...aber der war falsch. Ich war mir immer sicher, was ich wollte... bis vor Kurzem, und...« Er brach ab. Ich habe schon zu viel gesagt. Subaru starrte Seishirou an, der mit einem unlesbaren, aber ganz und gar nicht ausdruckslosem Gesicht zurücksah. Es fühlte sich an, als würde Subaru festgenagelt. Er leckte sich nervös über die Lippen. Seishirous Stimme war rau und sein Tonfall bedacht. »Davon, dass du keinen Menschen töten kannst, bin ich schon lange überzeugt.« Subaru sah zur Seite, um Seishirou sein Lächeln nicht zu zeigen. Er will mir zeigen, wie überlegen er ist. Aber heute... liegt er falsch. Er fuhr herum und legte seine Fingerspitzen auf Seishirous Brust, direkt über seinem Herzen. Er hätte es nicht tun sollen; es fühlte sich schrecklich an. Natürlich konnte er Seishirous Herzschlag so nicht spüren, aber da er es nicht tat, kam es ihm vor, als hätte er keinen... »Mag sein. Aber was macht dich so sicher?« Er konnte es nicht fassen; er hatte Seishirou aus der Fassung gebracht. Sein schmallippiges Lächeln kam zurück. Es befriedigte Subaru zutiefst, dass Seishirou mit seinem Gesichtsausdruck nichts anfangen konnte. »Was macht dich so sicher, dass das mein Wunsch war? Ich habe oft genug gezeigt, dass ich eigentlich gar nichts über dich weiß—dir war das natürlich schon lange klar und dadurch hast du dich... sicher gefühlt, nicht wahr? Ich kann es gut nachvollziehen, denn im Laufe des Jahres—oder um genau zu sein, Gestern—ist mir klar geworden, dass du gar nicht so viel über mich weißt, auch wenn du das nicht wahrhaben möchtest. Oder vielleicht verstehst du es auch einfach nicht. Und weißt du was? Es fühlt sich gut an, endlich... die Kontrolle über mich selbst zu haben, und—« Er stockte wieder. Seishirou war ebenso still. Die Blicke, die sie austauschten, waren nicht unbedingt feindselig, aber weit von friedlich entfernt. Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf Seishirous Gesicht aus. Es nahm Subaru abrupt den Wind aus den Segeln. Warum, oh warum nur, war er so fürchterlich ausgerastet? Er hatte das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu kennen. »Ich... gehe jetzt.« Er hatte sich gerade umgedreht, da packte ihn Seishirou wieder von hinten an der Schulter. Subaru fuhr wieder herum Das Lächeln war noch da. Es war sehr, sehr kalt. Subaru wusste schon lange, dass auf dieses Lächeln nichts Gutes folgte. »Und wenn ich dich nicht gehen lasse, Subaru-kun?« Er machte eine Pause. »Warum so still?« Seishirou hätte Stein mit seiner Stimme schneiden können; sein Lächeln war ähnlich scharf. »Du bist seltsam geworden. Gut, dass du nicht ewig der unschuldige Junge von damals bleiben würdest, war zu erwarten, aber du bist ja kaum noch du selbst.« Er griff nach Subarus Kinn und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen. Dieser wusste, dass seine Gesichtszüge mittlerweile völlig entgleist sein mussten. Seishirous Finger brannten auf seiner Haut. »Ich frage mich, ob ich es zu Ende bringen sollte.« Sein Griff wurde für einen Moment richtig schmerzhaft, sodass Subaru wimmerte. Dann ließ er ihn plötzlich los. »Oder auch nicht. Es ist interessant. Ich glaube, ich mag diese Entwicklung.« Er war wieder sein altes, künstlich-fröhliches Selbst. »Du bist so ja schon süß, Subaru-kun.« Er seufzte, ignorierte Subarus mehr oder weniger fassungslosen Gesichtsausdruck und wandte sich zum Gehen. »Ich war eigentlich zum Arbeiten hier, aber ich glaube, ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst. Vielleicht, weil wir uns getroffen haben, ich bin mir nicht sicher. Fest steht, ich muss es später noch einmal versuchen. Bitte nimm es mir nicht übel, aber ich muss los. Wir sehen uns ganz bestimmt noch einmal wieder.« »Du... hast mir das Feuerzeug doch schon wiedergegeben.« »Ich lasse es mir doch nicht entgehen, gelegentlich ein bisschen Abwechslung zu bekommen. Und du bist wirklich sehr unterhaltsam.« Er lächelte. Subaru fuhr sich durch die Haare. Sein Haaransatz war schweißnass, genau wie seine Stirn. »Wo wohnst du eigentlich, Seishirou-san?« »Wo ich wohne?« »Du bist in letzter Zeit immer in der Nähe, zu den verschiedensten Tageszeiten. Und da frage ich mich... ob du nicht vielleicht näher wohnst, als ich bisher gedacht hatte. Du bist gut genug darin dich zu tarnen; es wäre für mich genauso schwer dich zu finden, wenn du am anderen Ende von Japan wärest. Aber an zwei Orten gleichzeitig zu sein? Seishirou-san, das schaffst nicht einmal du.« »Ich fühle mich geehrt, dass du meine Fähigkeiten so hoch einschätzt. Aber, Subaru-kun, du vergisst, dass ich zwar immer in deiner Nähe, aber an verschiedenen Orten auftauche. Was sagst du nun?«, sagte Seishirou heiter. Er schien Spaß zu haben. »Was soll das heißen? Folgst du mir?« Aber Seishirou war schon im Begriff, zu gehen. »Eigentlich bin ich, wie schon gesagt, hier, weil ich Arbeit hatte. Du weißt schon, jemanden umbringen.« Das letzte Wort betonte er so, oder besser gesagt so wenig, dass es eigentlich nur dazu dienen konnte, Subaru zu verspotten. »Schließlich bin ich Sakurazukamori. Aber es scheint, als würde meine Zielperson heute nicht mehr auftauchen. Dieses ganze Jahr der Verabredung—oder du, ich weiß nicht—bringt alles durcheinander. Nun, Subaru-kun, ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Überarbeite dich nicht, und iss genug. Oh, und mach dir keine Sorgen, wir sehen uns noch einmal wieder. Du hast ja selbst gesagt, dass ich ständig in der Nähe bin. Bis dann.« Damit drehte er sich um und spazierte davon. »Warte...« »Ich habe wirklich keine Zeit, dir heute alles zu erzählen. Später vielleicht.« Subaru kochte vor Wut, rührte sich aber nicht von der Stelle. »Seishirou-san! Du hast meine Frage noch nicht beantwortet! Soll das heißen, du verfolgst mich?« rief er ihm hinterher, aber der Mann winkte ihm nur über seine Schulter zu. Subaru folgte ihm nicht, aber er sah ihm noch eine ganze Weile hinterher. Er war wohl nicht der Einzige, dessen Leben sich radikal verändert hatte. »Du folgst mir.« * Anmerkungen: Der X-Teil dieses Kapitels war das Letzte, das ich geschrieben hatte, bevor ich in mein Schreibtief fiel. Um genau zu sein: Ich habe ihn im Skriptformat aufgeschrieben, als ich einfach nicht weiterkam. Nicht unbedingt eine große Leistung, aber ich habe es immerhin ein Jahr lang aufgehoben und konnte den Inhalt und den größten Teil der Dialoge so übernehmen, wie ich sie mir vorher schon überlegt hatte. Wenn ich mich recht erinnere war das trotzdem das letzte Kapitel, dass ich wirklich fertig bekommen habe. (Oder das zweite. Vielleicht war’s auch ziemlich gleichzeitig, ich habe sehr wirr geschrieben. *lach*) Inhaltlich gesehen stellt das Kapitel (ziemlich kurz vor Schluss *g*) einen Wendepunkt dar. Um genau zu sein: Den Wendepunkt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)