Entitäten 2 von Lanefenu (Stiller Wahnsinn) ================================================================================ Kapitel 7: Sieben. Alles nur geträumt ------------------------------------- Alles nur geträumt Kennst du das? Du liegst im Bett, schläfst und träumst. Du WEIßT, dass du träumst, irgendwo im Unterbewusstsein ist es dir klar. So war es bei mir in der vergangenen Nacht. Jetzt bin ich wach (glaube ich) und versuche mich bruchstückhaft an die Fragmente des Traums zu erinnern, doch ich schaffe es nicht mehr, das Puzzle zusammen zu setzen. Draußen regnet es, es ist kalt und dunkel, obwohl wir doch die Sommerzeit genießen. Mir ist auch kalt und ich merke, dass ich anfange, nicht nur diesen merkwürdigen Traum zu vergessen. Was ist das Internet? Was habe ich gestern zu Mittag gegessen? Wie heißt mein jüngerer Bruder? Hatte ich ein Haustier? Wer bin ich? Ich weiß nicht...irgendwie erinnere ich mich nicht mehr. Jedenfalls war das Ganze so: Ich wohne in Bremen-Nord, kurz vor der Landesgrenze zu Schwanewede. Gestern war ich mit dem Rad unterwegs. Es war schon dunkel, still, es fuhr kein einziges Auto mehr. Dafür kamen mir aber in rascher Folge andere Fahrradfahrer entgegen. Ich sah stets nur das einsame, flackernde Leuchten ihrer Scheinwerfer aufblinken, ehe das trübe Licht dumpfe Schattenrisse der Radelnden malte. Gesichter? Hatten sie nicht. Da bemerkte ich, dass ich selbst als als vollkommener Teil mit der Dunkelheit fuhr- die Lichter an meinem Fahrrad funktionierten nicht. Scheiße, dachte ich mit jäh aufwallender Angst. Wenn mich einer von denen rammt, brech' ich mir sämtliche Gräten. Ich sprang ab und fummelte erfolglos an meinem Rad herum. Plötzlich tauchte wieder ein gleißendes Irrlicht auf. Eines? Nein. Zwei, die größer wurden und größer. Ich blinzelte, paralysiert wie ein Reh auf der Autobahn, gegen das Licht. Ein riesiger Lastwagen, der lautlos wie ein riesiges Meeresungeheuer vor mir aufragte, das Licht so hell und... Ich lehnte unweit der Dönerbude, die so dunkel und leer wie ganz Schwanewede war (abgesehen von den gesichtslosen Radfahrern, meine Damen und Herren), am Zaun eines verlassenen Hauses und mein Herz rannte wie eine gefangene Maus in der Brust. Keine Verletzungen und Gott sei Dank war auch das Rad in Ordnung. War nämlich nicht meines, ich hatte es meiner Mutter geklaut. Ich besaß seit Jahren kein eigenes Fahrrad mehr. Die lautlosen Lichter in künstlich-gelbem Schein kamen und gingen. Und ich wollte nur noch nach Hause. Ziemlich außer Atem kam ich zu Hause an und weinte fast vor Erleichterung, als ich neben dem Frisör in die mitgenommene, spärlich geteerte Landstraße einbog, an der mein Haus lag: Es war hell! Alles präsentierte sich dunkel, aber aus den großen Fenstern des zweistöckigen Hauses schien warmes, tröstendes Licht. Entnervt ließ ich das Rad neben der Haustür liegen (war mir doch egal, ob die Langfinger aus den Blockhäusern der Nachbarschaft das Ding mitnahmen oder nicht. Ganz ehrlich, ich wollte nur raus aus der Dunkelheit!) und schloss die Tür auf. „Lana! Uschi!“, rief ich schon beim Hineinkommen, doch die zwei Knuddeligsten meiner insgesamt fünf Katzen kamen nicht, obwohl sie das sonst immer taten. Ich schloss die Tür und wollte mich wie üblich aus der Jacke schälen, ehe mir bewusst wurde, dass ich heute keine Jacke trug. „Olli?“ Nichts, keine Reaktion meines Bruders, obwohl von der Treppe ein Stockwerk höher das blaue Lichterflackern von Fernseher und Computer herunter drang und ich leise Musik hören konnte. Linkin Park oder so. Ich öffnete die Kellertür. Dort unten gab es mehrere Räume, einer für die Waschmaschinen, eine Rumpelkammer, ein Kühlkeller und der Partykeller, wo unter anderem mein PC und mein Piano standen. Es war hell. „Mama? Papa?“ Mhm-hm, keine Antwort. Standen ihre Autos überhaupt auf dem Hof? Ich konnte mich irgendwie gar nicht erinnern, aber für kein Geld der Welt hatte ich Lust, die Haustür zu öffnen und abermals in die Dunkelheit zu spähen. Ich hatte eine kindische, aber doch zu lebhafte Vorstellung vor Augen: Hinter mir das Land des Lichtes, die Türschwelle der Abgrund zu einer Klippe, darunter wogt ein schwarzes Meer und schaumgesäumte Wellen schlagen dumpf gegen Fels und Lehm. Wenn ich jedoch über die Türschwelle/den Klippenrand trete, werde ich aus dem Land des Lichtes heraus fallen und ins Meer stürzen, wo es kein rettendes Ufer gibt. Ich wimmerte vor Angst und wich von der Tür zurück. Hinter mir scharrte etwas. „Uschi?“ ich blieb hartnäckig. „Uuuuschi, miez-miez?“ benommen schlüpfte ich aus meinen Schuhen (mit ziemlichen Absätzen wohlgemerkt, warum war ich damit nur Fahrrad gefahren?) und schaute ins „Katzenzimmer“. (ja, die dekadenten Tiere hatten einen eigenen Raum mit zwei Kratzbäumen, Trockenfutter-Fressstelle und Vorratsschrank). Die Schiebetür des ehemaligen Kleiderschrankes war einen Spalt geöffnet, da drinnen war es dunkel. Ich drehte dem Schrank den Rücken zu und Tränen stiegen mir in die Augen. Passiert mir immer, wenn ich mich vor etwas fürchte. Mir wird kalt, ich bekomme eine dicke Gänsehaut auf den Armen und meine Augen werden feucht. Ist komisch, aber wahr. Ich ging den Flur entlang gen Küche. Die große Glasfront der Terrasse (dahinter war es DUNKEL, aber wie) zeigte mir mein Spiegelbild. Klein, schlurfend, das Licht der Küchenlampe spiegelte sich wie die einsamen Irrlichter der Fahrräder im Glas. Im Schlafzimmer meiner Eltern polterte etwas. Ich ging zielstrebig dort hin und öffnete die Tür. Auch in diesem Raum war das Licht eingeschaltet. Eine Schranktür des riesigen Ungetüms, das sie sich Beide teilten, stand sperrangelweit offen. Die Tür bewegte sich ganz sachte (glaubte ich, könnten aber auch nur meine Nerven gewesen sein) und da drinnen...kratzte etwas. „Bauti, komm her,“ lockte ich dümmlich. Bauti (eigentlich Beauty) war die Lieblingskatze meiner Mutter. Sie durfte zwar nicht in den Schrank, aber... Mit einem Mal traf mich die Angst wie ein Hieb in den Magen und meine Sicht verschwamm vor Tränen völlig. RAUS hier!, kreischte eine innere Stimme. Ich drehte mich um und lief ungelenk zum Badezimmer. Tür aufgerissen, rein, KLACK, abgeschlossen. Etwas knallte hämmernd gegen die Tür. Etwas kratzte am Holz der Tür. Meine Gänsehaut tat fast schon weh. Ich senkte den Blick und sah durch den Türspalt einen dunklen Schatten, der dort unten die Ritze aus Licht blockierte. Der Schatten bewegte sich hin und her. Die Klinke klappte ruckartig nach unten. Ich nahm die Unterlippe zwischen die Zähne und schaltete das zusätzliche kleine Licht im Badezimmer an, zwei winzige Lampen über dem Spiegel. Denn das Hauptlicht konnte man von außen ausknipsen. Eine Sekunde überlegte ich, ob ich das Badezimmerfenster aufreißen- und nach draußen springen sollte. Blöde Idee...zu dunkel draußen. Ich starrte die Tür an. Der Schatten davor marschierte wie ein aufgezogener Zinnsoldat nach links und rechts und verharrte dann genau vor dem Schlüsselloch. Ich trippelte im Zeitlupentempo näher und zog behutsam den Schlüssel heraus. Ein gutes, festes Gewicht in der Hand. Senkte den Kopf. Und was, wenn da gleich...irgendwas durchs Schlüsselloch kommt?, dachte ich mit einem schmerzlichen Angstschaudern. Ich ging in die Hocke und sah ängstlich nach draußen. Genau vor dem Loch glotzte mich ein weit aufgerissenes, graugrünes Auge an. Mein eigenes. Wie gestochen sprang ich zurück und landete auf meinem breiten Hintern perfekt auf der Matte unterm Waschbecken. Was, was, was, was...? Ich musste raus. Ich musste wissen, was...los war. Diese Erkenntnis war so zwingend und eindringlich wie ein kaum noch zu zähmender Harndrang. Ich steckte also den Schlüssel ins Loch, drehte...KLACK...die Tür ging auf. Da stand ich nun vor mir, ich grinste mich an (???), und mein Gegenüber-Ich spreizte die linke Hand, die Finger leicht gekrümmt wie fünf kurze Dolche... Mein Gesicht mir gegenüber war hell von Licht, zwei Scheinwerfer strahlten mir daraus entgegen...und dann... (Bruchstück. Fehlendes Bruchstück). Ich saß auf der oberen Treppenstufe zum zweiten Stockwerk. Der Flur war nur spärlich erhellt, mein eigenes Zimmer dunkel. Das Licht, blau und künstlich, drang aus dem Zimmer meines Bruders, gemeinsam mit Linkin Park. Ich war nicht verletzt, aber...wo kam das Blut her? Rote Tropfen, Schlieren, Spritzer verschwanden unten am Treppenanfang, der nun genauso dunkel war wie die Nacht dort draußen. „Olli?“, krächzte ich ängstlich. Ich wollte, dass mein Bruder die Tür aufriss, sein üblich genervtes „Hach, jaaaa?“ vernehmen ließ, wenn ich ihn bei einem Skype-Gespräch oder ähnlichem störte... Nichts. Ich hörte das leise, monotone Klappern einer Tastatur, auf der getippt wurde. Schlurfend trat ich an seine Zimmertür. Durch das Milchglas konnte ich seine Konturen erkennen, doch er öffnete die Tür nicht und ich hatte wieder dieses panische Gefühl (lass sie zu, lass die Tür zu!), ehe ich rückwärts zurück wich. Unten drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Haustür wurde geöffnet. Schritte, das leise Knarren einer Lederjacke, trampelnde Schritte auf dem Fußabtreter. „Mama...? Papa?“ Mhm-hm. Nichts. Ich wurde übersehen. Ich war nicht da. Ich konnte nicht schreien. Ich wusste, ich schlief und träumte, aber ich konnte auch nicht aufwachen. Ich sah die Lichter von Fahrrädern und einem riesigen Lastwagen. Ruhe in Frieden, heißt es. Das ist gelogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)