For Want of Evidence von Glasschmetterling (A The Dark Knight Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 2: The Shadows of Guilt ------------------------------- For Want of Evidence – Chapter 2: The Shadows of Guilt Die Kälte drang auf ihn ein, durchfuhr ihn, suchte sich einen Weg unter seine Kleidung, schien sich ihren Weg bis direkt in seine Knochen zu bahnen. Er schauderte leicht, doch hieß er den Frost willkommen, denn er lenkte ihn vom Augenblick ab und klärte auf merkwürdige Weise seine Gedanken, während er über die Lichter von Gotham City hinwegblickte, die nun langsam im beginnenden Morgengrauen verblassten. Sie waren zurück. Harvey Dents Tod hatte der Stadt nicht den Frieden erkauft, sondern nur einen Aufschub, eine Atempause von zwei Jahren, in der sie sich ganz darauf konzentrieren konnte, das neue Monster zu jagen, das in den Albträumen der Menschen Einzug gehalten hatte: Batman. Und genau diese neue Bedrohung hatte ihre Augen verschlossen für die alte Gefahr, die nun mit aller Macht wieder aufgetaucht war. Er fröstelte und schlang seine Arme um sich, das dünne Hemd, das er trug, schützte nicht gegen die Kälte, genau wie er es nicht geschafft hatte, mit seinem Opfer Gotham City vor dem organisierten Verbrechen zu schützen, das hier schon viel zu lange wie ein Krebsgeschwür wucherte. Harvey Dent wäre dazu in der Lage gewesen, das wusste er aus einem Instinkt heraus, der die Schuldgefühle in ihm nährte... und Harvey Dent wäre auch in der Lage gewesen, Rachel zu retten, wenn er nur die Gelegenheit dazu gehabt hätte, es zu versuchen... Wie ein nasser Hund schüttelte er sich und versuchte, die Gedanken zu vertreiben, er stützte sich auf das Geländer des Balkons, der sein Penthouse umgab und blickte in den Abgrund hinab. Dent war tot, Rachel ebenfalls, und doch konnte er sie beide nicht vergessen... erlaubte sich nicht, sie zu vergessen, wie eine Wunde, die er einfach nicht verheilen lassen konnte. Viel zu deutlich erinnerte ihn der Schmerz an etwas, das er lange nicht hatte wahrhaben wollen – dass er trotz seiner Maske nur ein Mensch war... ein fehlbarer Mensch, dem durchaus das genommen werden konnte, was ihm in seinem Leben am liebsten war. Und das war nun nicht nur einmal, sondern ein zweites Mal geschehen, bemerkte er abwesend, als er zur Bucht von Gotham City hinüberblickte... obwohl er sich geschworen hatte, jene zu beschützen, die er liebte, war es ihm nicht gelungen – trotz seiner Bemühungen, trotz seines Trainings, trotz seiner Ausrüstung, trotz allem, was er investiert hatte, war es ihm nicht gelungen... und ein Teil von ihm hasste sich auf eine Weise dafür, der die Verachtung durch die Bevölkerung von Gotham City niemals gleichkommen würde. Doch egal, was er damals, vor zwei Jahren, als er im Bruchteil eines Augenblicks eine Entscheidung von gigantischer Tragweite zu treffen gehabt hatte, zu Commissioner Gordon gesagt hatte – es tat weh, zu sehen, wie genau jene Menschen, die er beschützen wollte, für die er so viel geopfert hatte, ihn fürchteten und hassten. Batman mochte den Abscheu vielleicht ertragen können – doch er war sich schon lange nicht mehr sicher, ob auch Bruce Wayne dazu in der Lage war. Rachel war gestorben, weil er vor so langer Zeit eine Entscheidung getroffen hatte, und nun musste er mit den Konsequenzen leben, wie auch immer sie aussehen mochten... auch wenn er seit ihrem Tod auf die bitterste Weise bereute, die er sich nur vorstellen konnte. Batman hatte sich immer weiter zurückgezogen, bis er sich nur noch selten zeigte, und seine Abneigung der Maske gegenüber, die er früher so geliebt hatte, steigerte sich mit jedem Tag mehr. Auch in dieser Nacht, als die Schergen des organisierten Verbrechens den Polizeiball überfallen hatten, hatte er gezögert, gehofft, dass die Situation sich auch ohne seine Hilfe auflösen würde... aber sie hätte es nicht getan, das wusste er, nicht, ohne ein Blutbad unter den unschuldigen Gästen zu verursachen. Also war er wieder in die Rolle des heldenhaften Retters geschlüpft, der die Bösewichte in die Flucht schlug, und auch wenn sie ihm mittlerweile entschieden zuwider war, wusste er doch, dass Batman in den nächsten Wochen und Monaten mehr gebraucht werden würde als in den Jahren davor. Nur war seine Aufgabe schwieriger geworden, denn er musste nicht nur seinen Feinden entkommen, sondern auch das Gotham Police Department jagte ihn nun als gesuchten Mörder und seine im Moment fragile, wenn auch noch immer vorhandene Allianz, die er mit Commissioner Gordon geknüpft hatte, durfte er unter diesen Umständen nicht benutzen. Zu katastrophal wären die Folgen für ihn gewesen, wenn publik geworden wäre, dass einer der ranghöchsten Polizeibeamten der Stadt gemeinsame Sache mit dem Mörder des geachtetsten, unbestechlichsten Staatsanwalts in der gesamten Geschichte der Stadt machte. Er seufzte leise, das Wasser im Hafen von Gotham spiegelte den nun matten, stahlgrauen Himmel wieder und entsprach seiner Laune genau... er hatte keine Lust, darauf zu warten, dass sich hinter den dichten Wolken die Sonne erhob und wandte sich der Tür zu. Er musste so viel Schlaf bekommen wie möglich, denn die nächsten Wochen würden zweifelsohne ausgesprochen anstrengend für ihn werden und er würde nicht dazu kommen, sich länger zu erholen. „Master Wayne?“ Er blickte auf, überrascht, dass Alfred in der Glastür seines Schlafzimmers stand, doch dann schalt er sich selbst – er hätte damit rechnen müssen. „Im Fernsehen ist etwas, das Sie sich ansehen sollten, Sir.“ Zuerst wollte er ablehnen, zu der Kälte, die sich tief in ihn gefressen hatte, gesellte sich nun, da das Adrenalin des Kampfes nachließ, auch die Müdigkeit, doch er wusste, dass Alfred ihn nicht darauf hingewiesen hätte, wenn er nicht dachte, dass es wirklich wichtig war. „Was ist es?“ „Commissioner Gordon gibt eine Pressekonferenz zu den Ereignissen des heutigen Abends.“ Er blickte auf und nickte, das war wirklich etwas, das ihn interessierte, und dankbar nahm er den dicken Bademantel, den Alfred sich über den Arm gelegt hatte, an und schlüpfte hinein. Der Fernseher lief bereits, die Sprecherin kündigte gerade exklusive Informationen über den Überfall an und er hörte ihr kaum zu, bis sie mitsamt dem Nachrichtenstudio verschwand und Commissioner Gordon Platz machte. Der Mann wirkte so erschöpft, dass Wayne sich augenblicklich mit ihm identifizieren konnte, selbst sein borstiger Schnurrbart schien kraftlos herabzuhängen und kleine, nun verkrustete Wunden von Glassplittern bedeckten die rechte Wange. Er trug noch immer den nun zerschlissenen Anzug, den er auch während des Balls an ihm entdeckt hatte, doch sein Gesichtsausdruck ließ an Entschlossenheit nichts zu wünschen übrig, als er auf das Podest und vor die Mikrofone der Reporter trat. Einen halben Schritt hinter Gordon konnte er Detective Thomas ausmachen. Über ihr schwarzes Kleid hatte sie eine Jacke des GPD geworfen und überrascht stellte er fest, dass sie nicht mehr halb so schlimm aussah wie kurz nach dem Angriff, als er einen Arzt für sie gerufen hatte. Damals waren ihr Blut, Schminke und Rouge über Stirn, Wangen und Kinn verschmiert gewesen, was ihre leichenähnliche Blässer nur noch deutlicher hatte heraustreten lassen. Nun war ein wenig Farbe in ihr Gesicht zurückgekehrt, und obwohl kleine, rote Wunden und Kratzer noch immer ihr Gesicht bedeckten, wirkte sie ruhig und gefasst, so als würde sie aus einem Café kommen und nicht aus einem Ballsaal, der sich unversehens in einen Vorhof der Hölle verwandelt hatte. Fast war er überrascht, wie schnell sie sich wieder gefangen hatte, denn ihr fast unkontrolliertes Zittern und erste Anzeichen für einen Schock waren ihm in der Nacht aufgefallen – nun allerdings blickte sie mindestens genauso grimmig wie Gordon in die Kameras und für einen Augenblick fragte er sich, ob seine erste Einschätzung von ihr vielleicht falsch gewesen war. Er hatte sie für unbedarft gehalten, für weitestgehend ahnungslos, vor allem, da sie trotz ihres Dienstalters in Chicago nur als Police Officer auf Streife gegangen war, aber mit dieser Beurteilung konnte er durchaus sehr sehr falsch liegen, das bemerkte er jetzt. Unter ihrer klobigen Jacke zeichnete sich nun undeutlich der Umriss einer Pistole in einem Schulterholster ab, wie er überrascht feststellte, er hatte sie nicht für jemanden gehalten, der auf Bewaffnung Wert legte, besonders nicht nach ihrem passiven und fast schreckstarren Verhalten, als der Mafioso sie gepackt gehalten hatte. „Bürgerinnen und Bürger von Gotham“, Gordon lenkte seine Aufmerksamkeit wieder in den Vordergrund des Fernsehschirmes, „mit dem heutigen, feigen Überfall hat das organisierte Verbrechen, das wir in dieser Stadt nach den mutigen und heldenhaften Anstrengungen von Staatsanwalt Harvey Dent schon für besiegt gehalten hatten, mit aller Macht und – wie ich fürchte – in alter Stärke zurückgemeldet. Diese verachtenswerte Tat war eine gezielte Kampfansage an die Polizei von Gotham City, und wir werden den Handschuh aufheben, den die Mafia uns hingeworfen hat. Viel zu oft haben wir zugesehen, wie sie ihren Einfluss ausgebaut hat, wie sie diese Stadt fast überrannt hat. Diesmal wird es anders sein. Diesmal werden wir uns nicht von ihrem Geld und ihrem Einfluss korrumpieren lassen. Diesmal werden wir die Polizei sein, die Gotham City verdient hat.“ Vereinzelter Applaus erklang, und Wayne schnaubte leise. Er kannte Gordon und wusste, dass dieser so ehrlich und unbestechlich war, wie ein Polizist es nur sein konnte – aber viele seiner Kollegen wurden seinen hohen Ansprüchen absolut nicht gerecht. Und diese Kollegen waren es, die ihm schon zu verschiedenen, deprimierend häufigen Anlässen das Leben schwer gemacht hatten. „Der aktuelle Stand der Ermittlungen ist folgender: Wir verhören im Moment die Personen, die am Überfall auf den Ball beteiligt gewesen sind, und setzen alle unsere Ressourcen ein, um die Drahtzieher und Hintermänner zu finden und zu überführen. Dieser Angriff auf den Kern dieser Stadt darf nicht ungesühnt bleiben, und wir werden unser Bestes tun, um die Verantwortlichen zu bestrafen. Wir...“ „Was ist mit Batman? Er hat Sie doch gerettet, oder?“ Der Einwurf eines der Reporter kam überraschend für Gordon, Wayne – oder besser, sein Alter Ego – kannte ihn gut genug, um das selbst auf dem Fernsehschirm zu erkennen. Überraschend, aber nicht unerwartet. Mit einer Bewegung winkte der Commissioner Detective Thomas, die bis jetzt mit unbewegtem Gesicht hinter ihm gestanden war, nach vorne, und sie trat an das Rednerpult, wo er ihr seinen Platz frei gemacht hatte. „Ja, jene Person, die in dieser Stadt unter dem Namen Batman bekannt ist, war während des Überfalls anwesend. Möglicherweise hat sein Eingreifen in die Situation sogar Menschenleben gerettet – aber das werden wir niemals wissen, denn er hat unseren Leuten nicht die Gelegenheit gegeben, ihr Können zu beweisen.“ Sie blickte kühl und entschlossen in die Runde, und Wayne wusste nicht, ob ihr Verhalten an die Zuschauer vor den Fernsehern gerichtet war oder wirklicher Gemütsruhe entsprang. „Wiewohl ich als Leiterin der Sonderkommission zum Thema Batman natürlich der Ansicht bin, dass er unbedingt gefasst und für seine Verbrechen – ich denke hier besonders an den Mord an Harvey Dent in Gegenwart von Kindern – bestraften werden sollte, ist das organisierte Verbrechen im Moment das dringendere Problem und stellt auch eine größere Gefahr für die Bevölkerung dar. Daher werde ich die Ressourcen meiner Einheit mit Zustimmung des Commissioners ganz in seinen Dienst stellen, um die Bemühungen, dieses neue Krebsgeschwür so bald wie möglich einzudämmen, zu unterstützen.“ Auch auf ihre Worte folgte Applaus, und als die Fernsehstation einen Augenblick später wieder ihr Studio zeigte, schaltete er mit einem schnellen Tastendruck auf der Fernbedienung den Bildschirm aus. Die plötzliche Stille wirkte angenehm und wohltuend, er hatte gar nicht bemerkt, wie angespannt seine Nerven in Wirklichkeit waren, und er ließ sich aufs Bett fallen. Albert hatte, ohne dass er es bemerkt hatte, die Decke für ihn zurückgeschlagen und die Bequemlichkeit der Kissen nahm ihn sofort gefangen. Er wusste nicht, ob er Gordons Entscheidung für diese Pressekonferenz – und vor allem für diesen Text – zustimmen konnte, die Worte liefen auf eine Kriegserklärung gegenüber dem organisierten Verbrechen hinaus und zwang die Mafia faktisch, Farbe zu bekennen und zu kontern. Wenn sie es nicht tat, würde sie ihr Gesicht verlieren und der Welle des Schreckens, die der Überfall in Gotham City ausgelöst hatte, ihre gesamte Wirkung nehmen. Wayne hoffte zwar, dass die Ereignisse des Abends einige Stockwerke unter ihm nur ein Bluff gewesen waren, aber der realistische Teil seines Selbst wagte nicht einmal, daran zu denken. Zu gut kannte er die Verbrecher von Gotham City, zu lange hatte er gegen sie gekämpft, als dass er sich diese Hoffnung erlauben konnte und wollte. Kaum vier Stunden später erwachte er von einem leisen, aber beharrlichen Klopfen an der Tür seines Schlafzimmers und drehte sich unwillig in den Kissen. Er trug noch immer das Hemd und die Anzughose vom Abend zuvor, er hatte sich in seinem Bademantel verheddert und fühlte sich ganz allgemein so, als ob er nicht einmal geschlafen hätte. „Ja?“, brummte er und die Tür öffnete sich, gab den Blick auf Alfred frei, der ein Tablett vor sich hertrug. „Sie wollten geweckt werden, Master Wayne.“ „Ja, das wollte ich... ich weiß nur nicht mehr, wieso ich diese... Idee hatte.“ Alfred hüllte sich in Schweigen, wofür Wayne in diesem Augenblick sehr dankbar war, und stellte das Tablett mit dem Frühstück auf der Bettdecke ab. Neben der Kaffeekanne und der Tasse lag eine Akte, sie trug das Logo seiner Firma und verdeckte fast die Morgenausgabe des Gotham Herold, deren gräuliches Papier nur noch mit einer Ecke darunter hervorlugte. Bevor er noch den Mund öffnen konnte, um die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge lag, deutete Alfred auf den Stapel Papier. „Mr Fox lässt diese Dokumente mit Grüßen übermitteln und ist der Ansicht, dass Sie sie vielleicht nützlich finden könnten.“ „Danke“, antwortete er resigniert und lehnte sich für einen Augenblick in die Kissen zurück, er überlegte mit einem Blick auf den flachen, grauen Bildschirm, ob er den Fernseher einschalten sollte, entschied sich aber dagegen. Wenigstens während er frühstückte, wollte er Ruhe vor dem Chaos, das ihn zweifelsohne erwarten würde, wenn er die Morgennachrichten erwischte. Alfred hatte sich zurückgezogen und nachdenklich bestrich Wayne ein Croissant mit Butter, die graue, dünne Mappe, in der die Akte steckte, bot keinen Hinweis auf ihre Herkunft oder ihren Inhalt und neugierig schlug er sie auf und platzierte sie neben sich auf der Bettdecke. Elizabeth Thomas funkelte ihn aus harten, braunen Augen von einem leicht ramponierten Foto aus einem Zeitungsartikel an, ganz so, als ob die Redakteure den Eindruck, den man durch die Überschrift von ihr gewann, noch verstärken wollten: „Illoyaler Cop zieht CPD in den Schmutz“ Er überflog den Text dieses und des nächsten Artikels, die beide recht gegensätzliche Standpunkte vertraten. Soweit er den Inhalt verstand, ohne die Vorgeschichte zu kennen, hatte Thomas in Chicago bei der Innenrevision ihr eigenes Team geleitet – und still und heimlich gegen ihren eigenen Vorgesetzten, einen Lieutenant Stuart Philipps, ermittelt. Als die Staatsanwaltschaft nicht bereit gewesen war, Anklage wegen der Annahme von Bestechungsgeldern gegen ihn zu erheben, war sie mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit gegangen und hatte damit den größten Polizeiskandal in der Geschichte der Stadt ausgelöst. Zwar waren die Folgen für ihre Karriere katastrophal gewesen, sie war zum Police Officer degradiert und wieder auf Streife geschickt worden, aber Wayne kam nicht umhin, den moralischen Mut zu bemerken, den ihr Verhalten implizierte. Und... sie hatte Recht gehabt, wie er feststellte, als er die nächste Seite aufschlug. Kaum zwei Monate später war Philipps von einem Reporter auf frischer Tat dabei ertappt worden, wie er Bestechungsgelder von einem der mächtigsten Vertreter des Drogenhandels in Chicago angenommen hatte – und natürlich hochkant aus dem öffentlichen Dienst geflogen. Allerdings kam diese Enthüllung zu spät, um Thomas' Karriere zu retten, ihr Ruf als Nestbeschmutzerin hatte sich schon zu sehr festgesetzt, als dass sie in den Augen ihrer Kollegen jemals wieder hätte rehabilitiert werden können und Wayne seufzte. Er goss sich Kaffee in seine Tasse, der typische Geruch belebte ihn ein wenig und er roch daran, bevor er vorsichtig den ersten Schluck nahm. Lucius hatte Recht gehabt, diese Informationen über Thomas, die er zusammengetragen hatte, interessierten ihn wirklich – nicht nur aus Neugier, das gab er zu, sondern auch, weil diese Frau ihn jagen würde und es immer gut war, seinen Feind zu kennen. Trotzdem war er sich nicht sicher, was er von ihrer Anwesenheit halten sollte, zwar fand er, dass sie besseres verdient hatte, als für den Rest ihres Lebens auf Streife zu gehen und zu versauern, andererseits fragte er sich, warum ausgerechnet er jemanden am Hals haben sollte, der ganz offensichtlich über eine große Portion Mut und Rückgrat verfügte. Sein Croissant war mittlerweile ausgekühlt, trotzdem aß er es, erst jetzt bemerkte er, dass er trotz des merkwürdig flauen Gefühls in seinem Magen, das er auf den Schlafmangel zurückführte, ausgesprochen hungrig war. Allerdings fragte er sich auch, was der Rest der Akte über Thomas enthielt, denn er konnte noch einige weitere Zeitungsartikel erkennen, die hinter den anderen hervorlugten – was war noch so relevant an ihr, dass Lucius Fox dachte, dass er es unbedingt wissen musste? Er schlug die nächste Seite auf und stutze, als er ein Bild von Commissioner Gordon entdeckte – jünger, ohne Brille und Schnurrbart, aber ganz unverkennbar der Mann, mit dem er schon so lange zusammenarbeitete. Während des Balls hatte er eine unterschwellige Spannung zwischen Gordon und Thomas bemerkt, die sich hinter ihrem vordergründig höflichen und freundlichen Verhalten abzeichnete, doch nicht zuordnen können, woran sie lag – aber dieser Artikel beantwortete jegliche Frage, die er zu diesem Thema jemals gehabt hatte. Nein... eher warf er eine neue auf: Warum Gordon Thomas nicht in dem Moment an die Gurgel gefahren war, als er sie erblickt hatte. Wayne betrachtete den Artikel, das Datum, das neben dem Namen der Zeitung auf den Kopf der Seite gedruckt war, lag um die zehn Jahre zurück und er erinnerte sich, dass Gordon ungefähr zu diesem Zeitpunkt nach Gotham City zurückkehrt war. Warum, hatte er niemals gefragt, aber nun schalt er sich für diese Nachlässigkeit, zu gerne hätte er seine Darstellung über die Ereignisse, die sich damals in der Lakeside Middle School in Chicago abgespielt hatten, gehört – aber nun würde er in näherer Zukunft keine Gelegenheit erhalten, mit Gordon darüber zu sprechen. Zu sehr würde der Commissioner von der neuen Bedrohung, die die Mafia für die Sicherheit der Stadt bedeutete, in Atem gehalten werden, als dass er eine Chance bekam, ihn in einem unbeobachteten Moment zu erwischen. Nachdenklich beendete er sein Frühstück und schlug die Morgenzeitung auf, natürlich war der Aufmacher des Tages, der die Titelseite dominierte und in einigen Sonderberichten gebührend gewürdigt wurde der Überfall auf den Ball des GPD. Auch sein eigener Auftritt als Batman wurde wieder gebührend ausgeschlachtet – damit hatte er rechnen müssen, das wusste er – aber in den Kommentaren bemerkte er eine Tendenz, die in den beiden Jahren zuvor nur sehr selten zu erkennen gewesen war. Mindestens einer der Reporter warf zumindest indirekt die Frage auf, ob ein Mörder – selbst der Mörder eines so geachteten Mannes wie Harvey Dent und zweier Polizeibeamter – nicht das kleinere Übel wäre, wenn es ihm nur gelang, das organisierte Verbrechen von Gotham City fernzuhalten. Als ob sie noch immer nicht begriffen hatten, dass nur ein grundlegender Wandel im Denken der Verantwortungsträger zu diesem kleinen Wunder fähig war und nicht ein einzelner Mann, der noch dazu von der Polizei gejagt wurde. Resigniert schüttelte er den Kopf und stellte das Tablett zur Seite, sein Blick blieb für einen Augenblick an der noch immer aufgeschlagenen Akte hängen und er seufzte. Gordon war einer der Männer, die diesen Wandel herbeiführen konnten und würden, was für Fehler er auch immer in der Vergangenheit gemacht hatte. Niemand war gegen Fehler immun, auch er selbst nicht... wieso sollte er jemand anderem einen Strick daraus drehen? Er hoffte inständig, dass Thomas in dieselbe Kategorie fiel wie Gordon, dass sie genauso grundehrlich und unbestechlich war, wie die Berichte aus Chicago nahe legten und dass die Zeit und die Demütigung ihre Einstellung nicht geändert hatten... und dass der Commissioner eine Basis finden konnte, auf der er mit dieser Frau arbeiten konnte. Der Frau, die ihm vor zehn Jahren mit ihrer hartnäckigen Ehrlichkeit fast alles genommen hatte, das ihm etwas bedeutete... „Master Wayne?“ Er sah auf, Alfred war lautlos wie immer eingetreten und hatte das Tablett ergriffen, der gewohnt zurückhaltende Blick des Dieners war an der Akte hängen geblieben, und Wayne griff danach. „Waren die Zeitungsartikel, die Mr Fox Ihnen gegeben hat, eine lohnende Morgenlektüre?“ „Oh ja, Alfred, das waren sie... das waren sie...“, bemerkte er abwesend und musterte ein letztes Mal das Foto der Lakeside Middle School und die Überschrift, die es illustrierte, dann schloss er die Akte und legte sie auf dem Tablett ab. Doch die Worte blieben ihm im Gedächtnis. „11 Kinder tot – Sergeant des CPD lässt trotz Verhandlungsbereitschaft der Geiselnehmer Schule stürmen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)