The short stories of Eternity Sword von Flordelis (Kurzgeschichtensammlung) ================================================================================ Eingeloggt ---------- Ein Blick durch sein Wohnzimmer offenbarte ihm eine schreckliche Gewissheit: Es gab nichts zu tun. Alles war aufgeräumt, die Küche und das Bad auf Hochglanz poliert, der Müll weggebracht, die Hausaufgaben erledigt – und es war gerade einmal 19 Uhr. Was für jeden anderen Jugendlichen in Nozomus Alter eine frohe Botschaft gewesen wäre, stürzte ihn allerdings in ein Dilemma. Wenn es nichts zu tun gab, blieben ihm nur zwei Alternativen: Sich langweilen und Senpai am nächsten Tag anlügen oder... Sein Blick wanderte verstohlen zu dem Laptop, der auf einem Schreibtisch in der Ecke stand. Satsuki hatte ihm bei ihrem Besuch vorhin dieses Spiel heruntergeladen, unter der Voraussetzung, dass er sich auch wirklich einloggen und mit ihr spielen würde. Dabei hatte er das nicht einmal gewollt, aber Senpai konnte sehr... überzeugend sein. Also hatte er zugestimmt, mit der eigenen Bedingung, dass er sich erst um seinen Haushalt und seine Schulaufgaben kümmern würde. Dummerweise hatte das alles weniger Zeit in Anspruch genommen, als von ihm gehofft. Damit, sich zu langweilen, besaß Nozomu keinerlei Probleme, er war diesen Zustand gewöhnt. Aber Satsuki durchschaute all seine Lügen sofort, als ob sie ein wandelnder Lügendetektor wäre. Eine durchaus nervige Eigenschaft, die sie leider auch nie ablegte. Also blieb ihm wohl keine andere Wahl, denn ihr Zorn war schlimmer, als ein wenig sinnloses Grinden in irgendeiner nicht existenten bunten Fantasy-Welt. Der Registrierungsprozess dauerte nicht lange, das Downloaden der Updates dafür schon. Nozomu nutzte die zusätzliche Viertelstunde – in der er hoffte, dass es noch länger dauern würde – um nachzusehen, ob sein Bad wirklich noch glänzte. Zu seinem Unglück tat es das sogar. Schließlich konnte er das Spiel starten, ein Ladebildschirm erschien und machte schon bald dem animierten Titelbildschirm Platz. Nozomu kümmerte sich nicht um das Kätzchen, das ihn begrüßte, sondern gab die Daten seines Accounts ein. Bevor er einen Server wählte, sah er noch einmal auf den Zettel, den Satsuki ihm hinterlassen hatte. Deutlich stand der Name des Servers, verziert mit einigen Herzchen auf dem cremefarbenen Untergrund. Genervt rollte er mit den Augen, dann wählte er diesen Server aus und wurde auf eine neue Seite weitergeleitet. Der Hintergrund gefiel ihm schon mal recht gut, die helle Stadt und das blaue Meer hatten etwas äußerst Anziehendes auf sich. Nun kam es nur noch darauf an, wie der Rest des Spiels sein würde. Leise grummelnd stellte er sich einen Charakter zusammen – natürlich nahm er einen männlichen Krieger, alles andere sagte ihm nicht sonderlich zu –, gab ihm den unkreativen Namen Setoki und ließ sich mit diesem schließlich mit dem Server verbinden, was wieder einmal unheimlich viel nervenaufreibende Zeit erforderte. Doch schließlich – Nozomu überlegte bereits, ob er nicht doch lieber ins Bett gehen sollte – befand er sich mitten im Spiel. Andere Avatare wuselten an ihm vorbei, die meisten zu Fuß, manch andere auf seltsam anmutenden Reittieren, die bei Nozomu zumindest ein amüsiertes Schmunzeln hervorriefen. Mit so etwas würde er sicherlich nie reiten und wenn Satsuki sich auf den Kopf stellen würde. „Mhm, wie steuert man jetzt?“, murmelte er leise vor sich hin, während er durch die Gegend klickte. Ein leises, genervtes Seufzen entfuhr ihm, als seine Figur sich schließlich in Bewegung setzte. Er dachte an all die Dinge, die er tun könnte, wenn er nun nicht spielen würde: Löcher in die Luft starren, an die Wand starren, sich durch das Fernsehprogramm zappen, ein Bishôjo-Spiel spielen, einen Manga lesen... alles wäre besser, als in dieser seltsamen Welt festzuhängen und darauf zu warten, dass - Er konnte den Gedanken nicht mehr beenden, als plötzlich schon zwei andere Avatare vor ihm standen, eine Kriegerin und eine Priesterin. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie aufgetaucht waren. Zuerst überlegte er, die beiden zu ignorieren, doch anhand des Chatfensters in der linken unteren Ecke konnte er sehen, dass es bei dem Gespräch der beiden um ihn ging. Offensichtlich hatten die beiden seinen Namen sofort erkannt und stritten sich nun auch virtuell um seine Aufmerksamkeit. Seufzend tippte er selbst eine Nachricht ein. „He, Satsuki, he, Nozomi.“ Sofort beendeten die beiden ihr Gespräch und schrieben fast gleichzeitig: „Woher weißt du, dass wir es sind?“ Das war nicht sonderlich schwer, dachte er bei sich, gab zur Antwort aber nur ein „Ich bin gut im Raten“ von sich, was von beiden ohne weitere Umschweife akzeptiert wurde. „Was willst du nun machen, Nozomu-kun?“, fragte Satsuki. Am Liebsten ins Bett. Wieder einmal antwortete er etwas anderes: „Keine Ahnung. Was kann man hier machen?“ „Du solltest erst einmal aufleveln“, beschloss Nozomi. „Wir können ins Jagdgebiet nahe des Walds gehen.“ „Ach was“, fuhr Satsuki sofort dazwischen. „Das ist doch langweilig! Nozomu-kun geht sofort mit uns zur Sandbucht!“ Nozomu stellte sich vor, wie Nozomi wutschnaubend vor ihrem PC saß, doch im Spiel blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Avatar eine frustrierte Geste ausführen zu lassen. „Das ist viel zu gefährlich, Senpai!“, kommentierte sie diese schließlich. „Nozomu-chan ist noch längst nicht so weit!“ „Unsinn! Er wird ewig brauchen, um zu trainieren, wenn du es so langsam angehen lässt.“ „Aber das Schild untersagt Anfängern den Zutritt zur Sandbucht!“ Die beiden waren so sehr in ihren Streit vertieft, dass Nozomu die Gelegenheit nutzte, um langsam wegzugehen – wenn er gewusst hätte, wie man langsam läuft. Mit einer rennenden Spielfigur hatte es doch etwas von einer Flucht. Doch die Mädchen schienen ihn trotzdem nicht zu bemerken. Sein Weg führte ihn in die Richtung, von der Nozomi zuvor gesprochen hatte. Wie er die beiden kannte, wäre er bereit für die Sandbucht, bevor sie von seinem Verschwinden überhaupt Notiz genommen hatten. Ein User, der ihn ebenfalls mit seinem Vornamen ansprach, ließ ihn wieder inne halten. Fragend wandte Nozomu sich dem anderen Avatar zu. Es war eine Magierin, die recht freizügig gekleidet war und äußerst anmutig vor ihm stand. Der Name Nanashi schwebte gemeinsam mit ihrem HP-Balken über ihrem Kopf. Vor dem Laptop hob Nozomu eine Augenbraue. Ihm fiel absolut niemand ein, der das sein könnte, außer... Sein Verdacht bestätigte sich bereits im nächsten Moment, als der Avatar kicherte und dann eine Nachricht eingeblendet wurde. „Nozomu-kun, wer sonst hat einen solch einfallslosen Namen?“ In diesem Moment fehlte ihm eindeutig eine genervte Geste für seinen Avatar. „Und was ist mit dir, Zetsu? Wie kamst du denn auf deinen Namen?“ Die Magierin schien plötzlich zu weinen. „Gefällt er dir denn nicht? Ich finde ihn schick.“ „Wie auch immer. Musst du nicht arbeiten oder sowas?“ „Ausnahmsweise nicht“, antwortete Zetsu, während die Magierin kicherte. „Und in meiner Freizeit bin ich oft hier.“ Bislang hatte Nozomu nicht einmal gewusst, dass Zetsu überhaupt Kenntnis davon besaß, dass das Internet existierte. Manchmal wirkte er wie aus einer anderen Welt. Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen, die Chatbox füllte sich mit allerlei Gerede der anderen User, unter anderem auch der beiden Mädchen, denen immer noch nicht aufgefallen war, dass Nozomu schon lange nicht mehr da war. „Streiten die sich mal wieder wegen dir?“, fragte Zetsu. Am Liebsten hätte Nozomu leise seufzend genickt, aber das konnte Zetsu schlecht sehen und hören, also antwortete er mit einem knappen „Ja“. Das war der Magierin ein erneutes Kichern wert. „Weißt du, was du machen solltest, um sie so richtig zu ärgern?“ Der Gedanke, etwas solches zu tun, war verlockend, weswegen Nozomu nicht lange zögerte und nach der Methode fragte. „Heirate mich.“ Immer wieder las Nozomu den Satz, um sicherzugehen, dass er sich nicht verlesen hatte. Nein, es stand tatsächlich das da, was er bereits beim ersten Mal zu sehen geglaubt hatte. „Äh, wie bitte?“ „Nicht in echt natürlich. Du sollst meine Magierin heiraten.“ Um die Worte zu unterstreichen, kicherte der Avatar noch einmal. Es würde weniger unwirklich sein, wenn das Kichern nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören wäre, fuhr es Nozomu durch den Kopf. „Also? Was ist?“, fragte Zetsu. „Willst du?“ Eigentlich ist es ja egal, es ist ja nur virtuell. Also stimmte Nozomu zu. Da Zetsu aus irgendeinem Grund tatsächlich einen Verlobungsring mit sich herumtrug („Man weiß ja nie, wann man einen braucht, nicht?“), wurde nur wenige Sekunden später eine Textbox eingeblendet, in der Nozomu gefragt wurde, ob er Nanashi heiraten wolle. Ohne zu zögern klickte er auf „Ja“ – und bekam dafür im nächsten Moment die Mitteilung Setoki hat den Heiratsantrag von Nanashi angenommen. Doch offenbar bekam nicht nur er diesen Schriftzug zu lesen, denn im nächsten Moment konnte er in der Chatbox die ungläubigen Reaktionen von Nozomi und Satsuki bewundern, die sich so einig wie selten waren: „WAAAAAS!?“ Danach kam nichts mehr. Wenige Sekunden später kicherte die Magierin noch einmal. „Die beiden haben sich ausgeloggt. Du bist jetzt frei, Nozomu-kun.“ Nozomu stellte sich Zetsus charmantes Lächeln, das er so oft trug, in diesem Moment vor. Bestimmt saß er auch so vor seinem PC oder Laptop oder wie auch immer er dieses Spiel spielen konnte. Nozomu verabschiedete sich nur knapp. In den nächsten Tagen loggte er sich nicht mehr ein, weder Satsuki noch Nozomi sprachen ihn jemals wieder auf das Spiel an. Von Zetsu erfuhr Nozomu, dass die beiden sich seit diesem Vorfall auch nicht mehr in die Weiten des RPGs gewagt hatten. Offenbar war der Schock zu viel für sie gewesen. Zur Hochzeit von Setoki und Nanashi kam es nie, aber das kümmerte Nozomu nicht weiter. Hauptsache er war das Spiel wieder los und konnte sich wieder ausgiebig seiner Langeweile widmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)