World full of Mess von Konnichi (Die Geschichte einer Band) ================================================================================ Kapitel 5: Leicht ungewöhnliche Tour-Vorbereitungen --------------------------------------------------- Schon drei Wochen nach dem Wettbewerb sollte die Tour losgehen. Sie steckten bereits mitten in den Vorbereitungen, da funkte Sayjis Vater dazwischen. Er hatte anscheinend gerade erst davon erfahren und war strikt dagegen, dass sein Sohn ein „Zigeunerleben“ führte. „Sayji, du wirst nicht gehen. Ich lasse es nicht zu, dass du deine ganze Zukunft wegwirfst!“, sagte er wütend und baute sich vor seinem Sohn auf. „Aber das ist doch meine Zukunft, Dad. Wir sind schon so weit gekommen, da müssen wir weitergehen“, erwiderte Sayji. „So etwas hat doch keine Perspektive. Ihr werdet scheitern und als verarmte Drogenabhängige enden. Mein Sohn soll eines Tages ein respektabler Bürger mit einem bodenständigen Beruf werden und kein Musiker, der durch das Land zieht. Du wirst nicht gehen“, fuhr der Mann fort. „Und wie willst du mich aufhalten? Im Keller einsperren?“, fragte Sayji spöttisch und sah ihm fest in die Augen. „Ich habe das Recht dich aufzuhalten. Du bist noch nicht volljährig“ Der Vater entgegnete den gleichen Blick, aus den gleichen hellblauen Augen. Sie sahen aus als ob sie gleich aufeinander losgehen würden, da mischte sich Francis ein, der alles mit angehört hatte. „Ähm, Mr. Allister, Sir... Bitte, lassen Sie Sayji mit uns gehen. Wir werden auf ihn aufpassen und so“, meinte er. „Darum geht es doch gar nicht! Auch wenn ich anmerken muss, dass ihr wohl unfähig wäret, auf irgendwen aufzupassen. Aber wenn er in ein paar Wochen als gescheiterter Rockstar hier angekrochen kommt, dann hat er alle Chancen im Leben verspielt und wird mir dann für immer und ewig auf der Tasche liegen, weil er ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung niemals eine normale Arbeit finden wird. Ich habe diese ganze Musiker-Sache lange genug toleriert, jetzt ist Schluss“ Sayjis Vater beobachtete mit Genugtuung, wie der Junge geschlagen zu Boden sah. Aber Francis gab noch nicht auf. „Sehen Sie das wirklich so? Haben Sie Ihren Sohn nur in die Welt gesetzt, damit er irgendwann Bankdirektor wird und in der Nachbarschaft vorzeigbar ist? Bedeutet es Ihnen überhaupt irgendwas, dass Sayji wohl einer der besten Rocksänger der Welt ist?“, fragte er aufgebracht. „Ich will, dass mein Sohn es zu etwas bringt im Leben. Und ich bezweifle, dass er ohne meine Hilfe zu irgendwas zu gebrauchen ist. Wenn man sich nur mal seine Schulnoten anguckt und wie er rumläuft. Die Leute reden über uns; meine Position als Schuldirektor ist gefährdet und das alles nur, weil mein nichtsnutziger Sohn davon träumt ein Rockstar zu werden“ Sayji konnte nur mühsam seine Tränen zurückhalten und Francis wurde so langsam ernsthaft wütend. „Wie können Sie nur so von ihm reden? Was sind Sie denn für ein Vater? Und was sind Sie für ein Mensch? Sayji ist anscheinend nur ein Statussymbol für Sie. Aber, wenn Sie wüssten... Ohne ihn sind wir nichts. Dieser Junge hat so viel Talent, dass es für drei Leute reichen würde. Er wird die Welt erobern. Also, haben Sie ein Herz, wünschen Sie uns viel Spaß und dann gehen Sie“, sagte Francis und legte dem Sänger besorgt eine Hand auf die Schulter. Wenn sein Vater so weitermachte würde Sayji noch zusammenbrechen. „Soso, er hat also Talent. Und wo soll er das bitte herhaben? Er konnte doch nie was, außer süß aussehen“, fuhr Mr. Allister fort. „Sie haben sich nie für ihn interessiert, sonst wüssten Sie was er draufhat... und außerdem, wenn er Ihnen wirklich so wenig bedeutet, dann können Sie ihn ja auch gehen lassen“, erwiderte Francis und Sayji fand, dass das ziemlich plausibel klang. „Gut Sayji, geh wohin auch immer du willst aber du musst nicht meinen, dass ich jemals stolz auf dich sein werde. Sobald du diese Stadt verlässt, bist du nicht mehr mein Sohn“, sagte Mr. Allister kalt und verließ das Zimmer. Die beiden Jungs standen wie vom Donner gerührt da und starrten auf die geschlossene Tür. „Warum hasst er mich nur so? Was hab ich denn getan?“, fragte Sayji mit zitternder Stimme und konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Francis legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. „Wie es aussieht haben wir jetzt Beide kein Zuhause mehr“, flüsterte der Größere nach einer Weile. Sayji beruhigte sich wieder etwas und wischte die Tränen aus seinem Gesicht. „Warum heul ich eigentlich? Kann mir doch egal sein, ob ich nie wieder hierher zurückkomme. Und wenn ich ihn nie wieder sehe dann würde das auch keinen großen Unterschied machen“, sagte er und wollte eher sich selbst davon überzeugen. „Aber es macht einen Unterschied für dich. Es ist dir nicht egal, genauso wenig wie es mir egal ist, dass mein Vater mich umbringen wollte. Deswegen sind wir Menschen, Say-chan... Und wenn du deswegen heulen willst, dann solltest du das tun, das hilft nämlich“, meinte Francis lächelnd und beobachtete, wie sein Freund wieder schluchzend das Gesicht an seiner Schulter vergrub. Während sie so da standen hörten sie, wie Sayjis Vater das Haus verließ und in sein Auto stieg. „Sind wir jetzt allein?“, fragte Francis und Sayji nickte, „Wir wollten doch noch an diesem einen Song weiter schreiben, erinnerst du dich? Wäre auch eine gute Ablenkung von dieser Sache“ Der Kleinere stimmte zu, Francis schnappte sich seine Gitarre und sie gingen ins Wohnzimmer. Eine lange Zeit waren sie damit beschäftigt Klavier und Gitarre aufeinander abzustimmen und als sie es endlich hatten ging die Sonne schon wieder unter. Gerade probten sie den Song zum letzten Mal, da gab es einen Durchzug und die Küchentür schlug zu. Sie drehten sich um und Nanami stand da und starrte sie ungläubig an. „Habt ihr das grade gespielt?“, fragte sie und hinter ihr tauchten noch drei Mädchen auf, die die beiden Musiker neugierig musterten. „Ja, wieso?“, fragte Francis lässig und lehnte sich rückwärts gegen die Couch, vor der er stand. Die drei Mädels im Hintergrund fingen an entzückt zu quietschen und sich aufgeregt anzusehen. „Das war toll... Ich wusste gar nicht, dass ihr auch so Musik macht“, meinte Nanami und sah ihren großen Bruder überrascht an. „Na ja, eher seltener... Unsere normale Musik ist für Menschen wie dich ja leider nur Krach“, meinte Sayji mit einem halben Lächeln. „Es hört sich halt an wie diese ganzen uncoolen Rockbands. Du weißt schon... Das ist halt nichts für uns“, antwortete sie und die drei anderen Mädchen stimmten ihr zu. „Du meinst, das ist nichts für euch, weil es uncool ist. Wenn alle das hören würden, dann würdet ihr´s auch mögen. Aber nein, es ist ja `out´ Musik zu hören, die mit richtigen Instrumenten gemacht wird, und bei der wirklich Leute singen und wo sich nicht alles gleich anhört. Aber wisst ihr, es ist nicht komplett eure Schuld. Die Gesellschaft und der Kapitalismus sind dran schuld. Ihr müsst euch nur überlegen, ob ihr zu der Masse gehören wollt, die ihren Horizont nicht erweitern will und sich weigert nachzudenken oder, ob ihr euch traut ihr selbst zu sein und nicht so wie alle Anderen. Denkt mal drüber nach, Mädels“, sagte Sayji und die Angesprochenen sahen ihn verwirrt an. Ein Mädchen, wenn er sich richtig erinnerte war ihr Name Ruby Porter, musterte ihn nachdenklich und er konnte etwas in ihren Augen entdecken, das ihm Hoffnung machte. „Wenn du meinst, Sayji. Kommt, wir gehen uns fertig machen. Wir gehen nämlich jetzt auf eine extrem angesagte Party, wo kommunistische Querdenker wie ihr erst gar nicht reingelassen werden. Die halbe Stadt wird da sein...“, sagte Nanami, drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte aus dem Zimmer. Ihre Freundinnen folgten ihr, nur Ruby warf noch einen Blick auf die Jungs. Kaum waren sie gegangen brach Francis in Gelächter aus. „Hat sie uns grade „kommunistische Querdenker“ genannt? Die Kleine ist ja mal krass. Kaum zu glauben, dass ihr Geschwister seid“, meinte er und nahm seine Gitarre ab, „Beeindruckende Rede, übrigens. Ich glaube, die eine mit den dunklen Haaren macht sich echt Gedanken dadrüber“ Sayji musste grinsen. Dann war es ihm also auch aufgefallen. „Sie heißt Ruby und ist total in Ordnung. Ich glaube, sie ist noch die Normalste von denen. Nicht so abgehoben und kleinkariert wie die anderen“, sagte er und klappte den Deckel des Klaviers zu. „Und, was machen wir jetzt? Gehen wir auch auf irgendeine „angesagte Party“ oder hängen wir nur freakig vor der Glotze ab?“, fragte Francis und ließ sich auf der Couchlehne nieder, wo er hin und her schaukelte. „Ich sage, wir gehen zu `Joe´s Bar´ und spielen ein bisschen Billard“, schlug Sayji vor. Bevor noch einer von ihnen etwas sagen konnte, kamen Schritte die Treppe hinunter und die Küchentür öffnete sich langsam. Zaghaft trat die kleine Ruby ein. Sie kam auf sie zu und schien zu überlegen, was sie jetzt sagen sollte. „Du hast Recht, Sayji“, murmelte sie dann errötend. „Inwiefern?“, fragte der Junge verwirrt. Ruby war doch sonst nicht so schüchtern. Hatte er sie etwa irgendwie aus der Fassung gebracht? „Na ja, mit dem was du über die Gesellschaft und so gesagt hast. Ich... ich bin eigentlich eine von euch, wisst ihr?“, meinte sie und es war ihr anscheinend jetzt nicht mehr so peinlich. „Eine von uns? Du meinst eine, die nicht so ist wie die Anderen“, sagte Francis und sie nickte. „Ich bin ganz anders als alle meine Freundinnen. Mein Vater war in einer Rockband. Ich bin mit der Musik und mit der Einstellung aufgewachsen. Aber ich musste mich immer verstellen, damit ich dazugehöre. Musste mir CDs kaufen, die ich eigentlich nicht haben wollte und mich in diese furchtbaren Klamotten quälen. Ich hatte Angst, dass die anderen Mädchen mich nicht mögen und, dass die Jungs mich nicht beachten, weil ich lieber Band-Shirts und zerrissene Jeans anziehe als Miniröcke und hautenge Tops. Aber das wird sich ab heute ändern. Ich werde mich für diese oberflächlichen Zicken nicht mehr verbiegen. Dann bin ich halt jetzt das schwarze Schaf, ist mir egal. Ich danke euch. Ihr habt mir die Augen geöffnet“, meinte sie lächelnd. „Das ist gut. Du musst das tun, was für dich das Richtige ist. Sei du selbst und nutze deine Jugend solange du sie hast“, sagte Sayji gut gelaunt. Ruby grinste die Beiden an, verabschiedete und bedankte sich und verschwand. „Ein schlaues Mädchen“, murmelte Francis. Die beiden Jungs machten sich gut gelaunt auf den Weg zu Joe´s Bar. Der Wirt war ein Freund von Mortons Vater und hatte ihnen damals ihren ersten Auftritt verschafft. Sie verbrachten einige Stunden dort und gingen dann wieder nach Hause. Als sie schon fast da waren wurden sie beinahe von einem Cross-Motorrad über den Haufen gefahren. Es kam Sayji vage bekannt vor und als der Fahrer vor ihnen anhielt und seinen Helm abnahm wusste er auch wieso. Es war Morton und der raste immer so. Aber das war nicht sein Motorrad. „Alter, du hast mein Bike geholt!“, sagte Francis fassungslos und strahlte ihn an. „Klar, Ehrensache. Ich hab die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet in eure Garage einzusteigen. Mann, dein Alter ist echt paranoid. Das Schloss war kaum zu knacken und wo ich grade wieder zumachen wollte kam er zurück. Aber ich hatte den Helm an und er hat mich nicht erkannt. Und dann bin ich so schnell wie möglich abgehauen... Du hast an der Maschine aber ganz schön geschraubt. Ich hab gedacht ich würde auf einer Rakete sitzen. Dafür, dass die Teile alle aus dem Schrott sind... Respekt, Mann“, sagte Morton, während sie weiter die Straße entlang gingen. „Es hat ja auch lange genug gedauert“, meinte Francis bloß. Das stimmte wohl. Sayji erinnerte sich, dass er schon seit Jahren an diesem Motorrad bastelte. Er hatte ihn manchmal heimlich beobachtet. Ein Bild manifestierte sich in seinem Kopf: Francis, vollgeschmiert mit Öl und nur bekleidet mit einer zerrissenen Jeans, in der Garage bei der Arbeit. Sayji wäre damals fast von der Kiste unter dem Fenster gefallen als er ihn so sah, diese ganzen Muskeln und dazu sein konzentrierter Gesichtsausdruck... Er musste aufpassen, dass er nicht zu lange darüber nachdachte, sonst würde er entweder wegtreten oder sich in irgendeine Peinlichkeit verstricken. Er hörte dem Gespräch der Anderen wieder zu. „... treffen wir uns um sieben und besprechen mal alles ordentlich“, sagte Morton gerade. „Ist gut, na dann bis morgen“, sagte Francis und der Andere ging wieder die Straße runter. Sie waren vor Sayjis Haus angekommen ohne, dass dieser es bemerkt hatte. „Wo kann ich das Motorrad hinstellen?“, fragte der Größere und sah sich suchend um. „In der Garage müsste noch Platz sein“, meinte der Hausherr verwirrt. Er war immer noch nicht ganz da. Sie brachten das Bike in einer Ecke unter und gingen ins Haus. Schon vor der Haustür hörten sie die lauten Stimmen von Sayjis Eltern und seiner Großmutter, die jetzt schon seit zwei Wochen ohne ersichtlichen Grund bei ihnen wohnte. Im Flur blieb der Junge wie angewurzelt stehen. Sie stritten wegen ihm. Bevor er anfangen konnte, richtig zuzuhören packte Francis seine Schultern und schleifte ihn zur Treppe. „Nein, lass mich zuhören!“, fauchte Sayji und versuchte sich zu befreien. Wortlos hob Francis ihn hoch und legte ihn über seine Schulter. Der Kleinere war so perplex, dass er sich ohne Gegenwehr bis in sein Zimmer tragen und auf dem Bett absetzen ließ. Sein Freund hockte sich vor ihn, ergriff seine Hände und sah ihm in die Augen. „Kein Kind sollte seine Eltern streiten hören“, sagte Francis leise. „Sie streiten aber dauernd... und diesmal ging´s um mich. Hab ich denn kein Recht zu erfahren, was sie über mich sagen?“, fragte sein Gegenüber mit brüchiger Stimme. „Du wirst es erfahren, sobald sie es aussortiert haben. Du sollst aber davon verschont bleiben, was sie sich während ihrem Streit so alles an den Kopf werfen... Mein Vater hat mich immer gezwungen zuzuhören und dann zu sehen, wie er meine Mutter verprügelt. Sowas ist furchtbar und ich will dich davor bewahren so gut ich kann“, antwortete der Andere mit beruhigender Stimme. „Danke“, flüsterte Sayji. Francis setzte sich neben ihn auf das Bett und sie warteten. Irgendwann verstummten die Stimmen im Erdgeschoss für eine lange Weile und kurz darauf hörten sie Schritte auf der Treppe. Die Anspannung war fast greifbar als es an der Tür klopfte und Sayjis Vater eintrat. Seine Frau stand gleich hinter ihm, ihre langen schwarzen Haare verdeckten ihr Gesicht und sie sah zu Boden. Auf dem Treppenabsatz erschien auch noch die Großmutter, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollte. „Francis, würdest du bitte rausgehen. Es handelt sich um eine Familienangelegenheit“, sagte Mr. Allister und der Angesprochene stand kurz unentschlossen zwischen ihm und seinem Sohn. „Ich äh, also... ich würde aber lieber bei Sayji bleiben“, sagte er dann, setzte sich wieder und ergriff die Hand des verängstigten Jungen. „Das hier ist mein Haus und ich befehle dir, zu gehen. Das ist eine Familienangelegenheit“, wiederholte der Mann wütend. „Er gehört zur Familie“, sagte Sayji leise und lehnte sich unsicher an Francis. „Tut er das?... Wenn das so ist könnt ihr beiden Brüder euch ja zusammen eine neue Bleibe suchen. Meine Entscheidung von heute Mittag bleibt bestehen. Wir haben beschlossen, euch eine Frist bis Freitag zu setzen. Spätestens bis dahin habt ihr eure Sachen gepackt und seid verschwunden. Und dann werdet ihr nie wieder dieses Haus betreten, ist das klar?“, fragte er und sah von Einem zum Anderen. „Klar“, sagte Sayji gefasst und Francis nickte. Eine unangenehme Stille breitete sich aus, die plötzlich von einem Schluchzen durchbrochen wurde. „Say-chan, es tut mir so leid...“, sagte Mrs. Allister und wischte ihre Tränen weg, „Ich wollte nicht, dass es so weit kommt...“ Ihr Mann drehte sich um. „Yoshiko, hör auf meinen Sohn gegen mich aufzuhetzen“, sagte er drohend. „Da gibt es nicht mehr viel aufzuhetzen. Das ist doch deine eigene Schuld“, entgegnete sie und sah endlich auf. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet und ein deutlicher Handabdruck zierte ihre Wange. „Und weißt du was? Wenn Sayji geht, dann gehe ich auch, endgültig. Mit so einem Unmenschen wie dir kann ich nicht mehr unter einem Dach leben“, fuhr sie fort. „Ich, ein Unmensch?! Wie kannst du es wagen...?“ Ihr Mann trat einen Schritt auf sie zu und hob drohend die Hand. „Na los, schlag mich doch. Dann sehen alle hier, zu was du geworden bist“, sagte sie herausfordernd. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Aber er hatte nicht mit den blitzschnellen Reaktionen der beiden Jungs gerechnet. Sayji stellte sich schützend vor seine Mutter und Francis hielt mit aller Kraft den Arm des Angreifers fest. Mr. Allister sah ihn fassungslos an. „Wie können Sie nur Ihre Frau schlagen?“, fragte Francis ungläubig. „Und das fragst ausgerechnet du mich? Du müsstest das doch eigentlich von zu Hause gewöhnt sein“, sagte der Mann und blickte mit einem spöttischen Lächeln auf ihn herab. „Sie wussten es?“, fragte Francis erschrocken. „Natürlich wusste ich es. Deine eigene Mutter hat es mir erzählt, kurz bevor sie sich erschossen hat, das feige Weib“, erklärte Sayjis Vater arrogant. Geschockt ließ Francis seinen Arm los. „Sie war alles andere als feige. Sie hat sich erschossen, weil es der letzte Ausweg war. Und ich würde wetten, wenn Sie ihr auch nur eine Sekunde richtig zugehört hätten, dann wäre Ihnen das jetzt klar“, sagte er mit überraschend ruhiger Stimme. Seine Mutter war sein größter Schwachpunkt aber vor diesem Kerl wollte er seine Schwäche nicht zeigen. „Suizid ist so ziemlich das Feigste, was es gibt. Nicht wahr, Sayji?“, wandte der Vater sich an seinen Sohn. Nein, das durfte er nicht zu ihm sagen, nicht zu Say-chan, schoss es Francis durch den Kopf. Es konnte fatale Folgen haben, wenn man sowas zu ihm sagte, denn er hatte es in einer sehr verzweifelten Phase mehrmals versucht und auch mehrmals nur knapp überlebt. Sayji sah seinen Vater einen Moment lang emotionslos an. „Fick dich, Dad“, murmelte er dann gerade laut genug, dass alle es hören konnten. In der nächsten Sekunde klebte sein Vater ihm so eine, dass er auf dem Boden landete. Sofort war Francis bei ihm und half ihm wieder hoch. In der Zwischenzeit hatte Mr. Allister den Raum verlassen und seine Frau folgte ihm wutentbrannt. „Verdammt, das gibt blaue Flecken“, murmelte Sayji, der sich seine schmerzende Wange hielt. „Warte hier. Ich besorge was zum Kühlen“, meinte Francis und lief in den Keller, wo die Kühltruhe stand. Als er zurückkam hatte sein Freund sich noch nicht von der Stelle bewegt. Er stand nur da und starrte ins Leere. Francis zog ihn zum Bett, brachte ihn dazu sich hinzusetzen und drückte ihm den Eisbeutel in die Hand. Dann zog er sein Handy aus der Hosentasche und rief Zahara an, die ihm verschlafen antwortete. „Ich weiß, dass es mitten in der Nacht ist, aber...“, begann er und wusste nicht mehr weiter. „Was, aber? Sag schon, Francisco“, meinte sie mit einem weiteren Gähnen. „Bei Sayji gibt es einige äh... Familienprobleme. Sein Vater hat uns rausgeworfen, wir haben bis Freitag Zeit. Und weil wir dann ja eh wegfahren hab ich mich gefragt, ob wir vielleicht unseren Kram bei dir unterstellen könnten, bis wir was Anderes gefunden haben. Bitte, Zahara“, sagte Francis und wartete gespannt ab. „Klar, kein Problem. Musst nicht so betteln... Packt eure Sachen, ich komme euch abholen sobald der Morgen graut“ Der letzte Teil des Satzes hörte sich mal wieder übertrieben theatralisch an. So war sie immer, wenn man sie mitten in der Nacht aufweckte. Bevor ihr Gesprächspartner sich bedanken konnte, hatte sie schon aufgelegt. Francis riss Sayji aus seinem Trancezustand und erzählte ihm davon. Der Junge kommentierte das alles bloß mit einem schwachen Kopfnicken und im nächsten Moment stiegen wieder Tränen in seinen Augen auf. Innerhalb kürzester Zeit war sein Leben komplett auf den Kopf gestellt worden. Sie waren jetzt eine richtige Rockband mit einem Plattenvertrag und einer bevorstehenden Tour aber als Konsequenz davon war seine Familie zerbrochen. Sein Vater hatte ihn einfach so rausgeschmissen und schließlich seine Mutter und ihn auch noch geschlagen. Und er hatte Francis fertiggemacht. Was war bloß aus dieser Familie geworden. „Sayji? Bitte, hör auf dir Gedanken zu machen, das bringt nichts“, meinte Francis und auch seine Stimme zitterte. Der Angesprochene sah auf und entdeckte Tränen in den haselnussbraunen Augen. Damit er das nicht länger sehen musste nahm Sayji ihn in den Arm. So saßen sie eine Weile da und trösteten sich gegenseitig. „Wir sollten so langsam mal anfangen zu packen“, meinte Francis irgendwann und der Andere stimmte ihm zu. Sayji räumte zuerst seinen Kleiderschrank, dann seinen Schuhschrank und schließlich sein Bücherregal. Die Sachen, die er mit auf Tour nehmen wollte kamen in einen großen Koffer, alles andere in eine Kiste. Bald war Beides zu klein. „Wie kannst du nur so viele Klamotten haben?“, fragte Francis ungläubig, der das Chaos im Koffer skeptisch betrachtete. „Das sind halt meine Bühnenoutfits. Du kannst das nicht beurteilen, schließlich stehst du meistens ohne Klamotten da“, meinte der Kleinere schmollend. „Ich stehe nicht ohne Klamotten da, sondern ohne Shirt. Schließlich sollen die Leute mein Tattoo sehen“, erwiderte der Gitarrist und zog grinsend sein T-Shirt in die Höhe, um das leicht verschnörkelte `California´ zu offenbaren, das er auf dem Bauch trug. Mühevoll wandte Sayji seinen Blick wieder auf den Koffer. „Ja, und was mach ich jetzt? Ich muss das doch alles mitnehmen. Ich will nichts hier lassen“, meinte er nachdenklich. „Entweder brauchst du noch einen Koffer oder du musst es platzsparend einpacken“, sagte Francis und machte sich daran, alles wieder auszuräumen. Den Rest der Nacht waren sie damit beschäftigt ihre Sachen zu packen und als Zahara tatsächlich im Morgengrauen vorfuhr waren sie gerade fertig. Sie räumten alles in den Van und fuhren zu ihrer Wohnung, wo sie die Sachen wieder ausluden, schließlich im Gästezimmer auf das Bett fielen und augenblicklich einschliefen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)