World full of Mess von Konnichi (Die Geschichte einer Band) ================================================================================ Kapitel 7: #1 – Seattle, Washington ----------------------------------- Nachdem sie die Nacht in einem billigen aber annehmbaren Motel verbracht hatten, machten sie sich gegen Mittag auf den Weg nach Seattle. Nach weiteren sechs Stunden Fahrt entlang der Küste kamen sie endlich an. Als sie vor dem Hotel aus dem Van stiegen traf sie ein wahrer Kälteschock. In San Francisco war es schon nicht warm gewesen aber hier waren die Temperaturen fast arktisch. Sie hatten gehofft das berühmte smaragdgrüne Leuchten der Stadt zu erleben aber das sah man nur bei Sonnenschein. Aber trotzdem war die Metropole und ihre Umgebung sehr eindrucksvoll. Schnell holten sie ihre Sachen und brachten sie in die reservierten Hotelzimmer. Zu seiner Erleichterung teilte Sayji sich das Zimmer mit Starla, die sich als erstes auf das Bett fallen ließ und theatralisch seufzte. Er setzte sich neben sie und überlegte, ob es sich lohnte, seine Sachen überhaupt auszupacken, denn sie würden übermorgen schon wieder wegfahren. Es klopfte an der Tür und er öffnete. Ruby stand davor. „Hey, ich komm euch einsammeln. Wir fahren direkt zur Konzerthalle, bauen schonmal alles auf und kommen dann nachher hierhin zurück, zum Umziehen“, erklärte sie und verschwand ans andere Ende des Gangs, wo Francis und Morton sich eingerichtet hatten. Sayji und Starla holten ihre Jacken und gingen ins Foyer, wo Zahara schon auf sie wartete und bald auch die Anderen eintrafen. „Die Halle ist gleich um die Ecke, in der nächsten Straße“, erklärte die Managerin und deutete vage in eine Richtung. „Dann können wir ja zu Fuß gehen“, meinte Sayji, der die letzten paar Stunden genug gesessen hatte. Seine Bandmitglieder stimmten zu und sie gingen schonmal voraus, während Zahara noch auf Todd Bayside, den Manager von Purple, wartete, um mit ihm ein bisschen unklaren Kleinkram zu besprechen, während sie im Van mit den Instrumenten zur Halle fuhren. Die Band lief die Straße entlang. Sayji trug zwei Jacken, trotzdem fror er bis auf die Knochen, was die Anderen zum Anlass nahmen sich etwas über ihn lustig zu machen. „Guck mal, da vorne ist so ein Geschäft, wo man diese Nordpol-Mäntel kaufen kann. Wir sollten dir einen besorgen“, meinte Francis und zeigte die Straße hoch. „Ja, aber er braucht einen extra Kurzen... mit einer großen Kapuze, damit die Haare drunter passen“, fuhr Morton todernst fort. „Ihr s-seid so f-fies“, sagte Sayji mit klappernden Zähnen, was sie in Lachen ausbrechen ließ. Sie erreichten die Konzerthalle fast zeitgleich mit ihrer Managerin und ihrem einzigen Roadie. Ruby sprang unbeeindruckt von der Kälte sofort aus dem Van und fing an die Sachen auszupacken und durch den Hintereingang in das Gebäude zu schleppen. Die Anderen unterstützten sie tatkräftig und sie hatten bald schon alles reingebracht. Die beiden Manager hatten es sich in der Zwischenzeit im hauseigenen Café bequem gemacht. Ruby und die Band bauten die Instrumente und diverse Verstärker auf, stellten alles ein und gingen schließlich noch einmal ein paar Songs durch. „Wir haben noch nie in so einer großen Halle gespielt“, meinte Sayji ehrfürchtig und ließ seinen Blick durch den Zuschauerraum schweifen. „Das wird bestimmt genial“, sagte Francis neben ihm lächelnd und die Anderen stimmten zu. Plötzlich fiel Sayjis Laune in den Keller. War er etwa der Einzige, der hier tierisch nervös war? Starla kam gut gelaunt wieder aus dem Badezimmer aber ihr Lächeln verschwand als sie ihren Freund Sayji betrübt auf dem Bett sitzend vorfand. „Hey, was ist los mit dir?“, fragte sie und ließ sich neben ihm nieder. „Ach, nichts. Ich bin nur ein bisschen aufgeregt, das ist alles“, log er. In Wirklichkeit starb er fast vor Aufregung und hatte sich gerade überlegt die Zimmer-Bar zu plündern, um seine Nervosität zu ertränken. „Ja, so langsam fängt das bei mir auch an. Aber ich bin mir sicher, das vergeht sobald wir auf der Bühne stehen“, meinte sie zuversichtlich. Sie hätte seine Angst nicht verstanden, überlegte Sayji. Er verstand es ja selbst kaum, schließlich waren sie doch schon so oft vor Leuten aufgetreten. Na ja, nur eben nicht vor so vielen Leuten und möglicherweise auch vor Kameras und Musikjournalisten. Was passierte, wenn sie von der Bühne gepfiffen wurden? Wenn der Auftritt ein totaler Reinfall wurde und sie aus der Tour geschmissen wurden? Mit Schrecken stellte er sich vor, was passierte wenn sie wirklich nach dem ersten Auftritt schon wieder nach San Francisco kamen. Er sah seinen Vater vor sich, der mit Genugtuung auf ihn, den „gescheiterten Rockstar“, herabsah. Starlas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Hey, ist wirklich alles klar? Du zitterst ja total und du bist ganz blass“, meinte sie besorgt. „Ich bin immer blass“, murmelte Sayji nur und verfluchte seine Unfähigkeit sich zusammenzureißen. „Warte hier. Ich hole Francis. Mit mir redest du ja eh nicht drüber“ Bevor er sie davon abhalten konnte war Starla aus dem Zimmer gelaufen und kam eine Minute später mit dem besorgten Gitarristen zurück. „Ich lasse euch allein“, sagte sie und verließ mit einer theatralischen Geste den Raum. „Sie übertreibt mal wieder maßlos“, meinte Sayji, als die Tür sich geschlossen hatte. „Tut sie das? Du siehst wirklich nicht gesund aus...“, antwortete Francis und setzte sich neben ihn, „Bist du aufgeregt?“ Der Andere musste grinsen. Er erinnerte sich an eine ähnliche Unterhaltung vor einigen Wochen, am Tag vor dem Wettbewerb. „`Aufgeregt´ ist gar kein Ausdruck mehr dafür... Bist du denn nicht wenigstens ein bisschen nervös?“, fragte er halbwegs fassungslos. Wie konnten die Anderen nur alle so cool bleiben? „Wir sind alle nervös. Das ist normal. Vorhin war ich bei Ayeku; der hat auf seinem Bett gesessen und wie verrückt meditiert. Und, ob du´s glaubst oder nicht, Morton dreht da drüben gleich durch. Der läuft die ganze Zeit im Kreis rum und quatscht vor sich hin. Sogar Zahara ist aufgeregt... Aber ich bin mir sicher, es wird ein voller Erfolg nachher. Und wenn nicht haben wir ja noch 16 Versuche es richtig zu machen“, erklärte Francis unter Zuhilfenahme vieler Handgesten. Das war ein klares Anzeichen dafür, dass er tatsächlich nervös war. „Aber, wenn wir sie Sache versauen... vielleicht schicken sie uns dann wieder heim. Und das war´s dann...“, murmelte Sayji und blickte zu Boden. „Sag mal... Hier geht´s doch nicht um den Auftritt, oder? Hier geht´s um die Sachen, die dein Vater gesagt hat“, stellte der Gitarrist fest. Der Andere zuckte erschrocken zusammen. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“, fragte er. Tatsächlich war der Gedanke an die öffentliche Blamage nicht annähernd so schlimm, wie die Vorstellung, dass es wirklich so kommen könnte, wie sein Vater gesagt hatte. „Hey, ich war schließlich dabei. Und ich kenne dich viel zu gut; du kannst mir nichts vormachen, vor allem nicht wenn es um sowas geht“ Sayji seufzte. Er hatte Recht, wie so oft. „Aber ich kann es nur wiederholen: Mach dir nicht so viele Gedanken. Wenn wir erstmal losgelegt haben sind wir bestimmt nicht mehr nervös und dann wird alles gut... Du solltest so langsam anfangen dich fertig zu machen. Wir wissen beide, wie lange du immer brauchst“, fuhr Francis fort und stand auf, um den Raum zu verlassen. Als Starla eine Minute später wieder in das Zimmer kam war Sayji schon im Bad verschwunden. Sie standen auf der dunklen Bühne und hörten dem Moderator zu, der sie ankündigte. „... und jetzt, aus San Francisco: The Rainbow Mess!“, sagte er und verschwand. Im nächsten Moment begannen sie zu spielen und Sayji stellte fest, dass Francis Recht hatte. Die ganze Nervosität der letzten Stunden war sofort verflogen als sie sich auf ihren Auftritt konzentrierten. Dem Publikum gefiel ihre Musik anscheinend, denn sie wurden von der ersten Minute an ohne Pause bejubelt. Dass sie so gut ankommen würden hätte keiner von ihnen erwartet und es motivierte sie zusätzlich noch. Der Tour-Auftakt wurde ein voller Erfolg und sie waren alle erleichtert. Diese Tatsache wurde nach dem Konzert ausgiebig begossen. Nach dieser kurzen Nacht ereilte sie am Morgen ein relativ schmerzhaftes Erwachen, das aber durch ein kleines Sekt-Frühstück gelindert werden konnte. „Ich hab´s ja schon immer gesagt: Gegen einen Kater hilft Alkohol am besten“, meinte Morton, der den Großteil der vergangenen Nacht in einem fremden Bett und auf dem Flur verbracht hatte. „Du musst es ja wissen“, murmelte Starla, die den Kopf auf den Tisch gelegt hatte und irgendwie deprimiert wirkte. Sayji stupste sie an, um sie vom Einschlafen abzuhalten. „Hey, sollen wir nachher shoppen gehen?“, fragte er. Das heiterte sie immer wieder auf. Und tatsächlich war sie auf einmal hellwach und schenkte seinem Vorschlag ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Eine Stunde später waren sie schon in der Innenstadt und liefen in ein Geschäft nach dem Anderen. Shopping mit Starla war echt anstrengend, selbst für den Klamotten-Freak Sayji. Aus irgendeinem Grund waren Francis und Ruby auch mit ihnen gekommen. Die Mädchen waren gerade in einem Dessous-Laden verschwunden, da trat plötzlich ein hochgewachsener, dunkelhaariger Typ auf die Bildfläche und ließ Francis kreidebleich werden. Er hatte es gewusst: Logan. Der Ältere schien sie nicht zu bemerken und Francis war hin und her gerissen. Sollte er ihn ansprechen? Was würde geschehen? Er traf seine Entscheidung und ging entschlossen auf seinen Bruder zu, der interessiert die Plakate an einer Litfaßsäule studierte. Sayji kam unauffällig hinter ihm her. Er hatte auch ein Interesse daran mit dem Kerl ein ernsthaftes Wort zu reden. „Logan?“, sagte Francis mit fester Stimme und überrascht drehte der Angesprochene sich um. In seinen Augen war klar und deutlich zu sehen, dass er sie erkannte und er schluckte schwer. „Ja, bitte? Kennen wir uns?“, fragte er dann und wurde sichtlich nervös. „Was soll das heißen?!... Ich bin dein Bruder, du musst mich doch erkennen... Und Sayji. Sicher erinnerst du dich an Sayji“, erwiderte Francis unsicher. „Das muss eine Verwechslung sein. Ich habe keinen Bruder in San Franc... ähm, wo auch immer“, meinte der Ältere und wandte sich zum Gehen. Francis ergriff den Ärmel seiner Jacke. „Logan... bitte, sprich doch wenigstens kurz mit mir“, sagte er fast flehend. „Wir haben uns nichts mehr zu sagen“, antwortete sein Bruder und wollte nun endgültig flüchten, aber Francis machte keine Anstalten ihn loszulassen. „Sag mir wenigstens wieso, dann kannst du gehen“, sagte er eindringlich. „Ich wollte Karriere machen und meine Vergangenheit hinter mir lassen. Ist das denn so schwer zu verstehen? Und jetzt lass mich endlich los“, antwortete Logan. Er wollte schon gehen, drehte sich aber noch einmal um. „Wie ich sehe hast du dich nicht verändert. Du bist immer noch so ein naiver kleiner Träumer wie damals. Wartet ihr Jungs immer noch auf euren großen Durchbruch?“, fragte er von oben herab. Spöttisch lächelnd zeigte Francis auf eins der Werbeplakate an der Säule. „Da steht unser Name... Du hast dich auch nicht verändert. Du bist immer noch so ein karrieregeiles, rücksichtsloses Arschloch wie früher“, sagte er, drehte sich um und zog Sayji mit sich fort. Sie beschlossen zum Hotel zurückzugehen, denn Francis wollte Zeit zum Nachdenken, und zwar allein. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Sayji überlegte, ob er seinem Freund nicht endlich erzählen sollte, was vor vier Jahren zwischen ihm und Logan gewesen war. Schließlich überwand er sich. „Ich hab mit ihm geschlafen, damals“, sagte er geradeheraus, als ob nichts dabei wäre. „Ich weiß... Er hat´s mir erzählt. War ganz furchtbar stolz drauf und hat mir lang und breit dargelegt, wie blöd du doch bist dich auf ihn einzulassen und, dass er dich nur ausgenutzt hat“, entgegnete Francis. „Ja, das hab ich dann auch gemerkt... Es war mein Erstes Mal“ Wie angewurzelt blieb der Größere stehen. „Was?! Warum ausgerechnet mit ihm? Ich meine... Grundsätzlich geht es mich ja nichts an mit wem du ins Bett steigst aber... dass du ausgerechnet ihm dieses... ähm, diese besondere Situation...“ Sayji unterbrach sein aufgebrachtes Gestotter. „Ich weiß. Im Nachhinein denke ich auch so aber damals war ich noch nicht so schlau. Ich war so unsicher und... ich hatte einen Freund, der mich unbedingt verführen wollte aber ich hab mich nicht getraut. An diesem Tag wollte ich zu dir und mich bei dir ausheulen, wie üblich. Aber du warst nicht da und Logan hat meine hilflose Situation voll ausgenutzt. Hat mir erzählt, wir könnten ja vorher ein bisschen üben und, dass er irgendwie auf mich steht. Dabei hatte er zu der Zeit eine Freundin und ich glaub er hatte vorher selber noch nie was mit einem Kerl... Aber, egal. Ich bereue es zwar immer noch aber es ist jetzt Vergangenheit... Lass uns endlich weitergehen, sonst frieren wir noch fest“ Sie setzten ihren Weg fort. „Immerhin weiß ich jetzt, warum ich ihn nicht vermisse“, sagte Francis und damit war das Thema endgültig abgehakt. Zumindest würden sie nicht mehr drüber sprechen. Jeder von ihnen machte sich noch so seine Gedanken. Francis war tief in seinem Inneren erleichtert, dass er endlich wusste, was mit seinem Bruder war und er ihn jetzt ohne schlechtes Gewissen aus seinen Gedanken verbannen konnte. Er war Logans Geist endlich los. Sayji seinerseits erinnerte sich schmerzerfüllt an diesen einen Tag. Er war so dämlich gewesen und so... gab es überhaupt ein Wort dafür? Unreif konnte man es wahrscheinlich nennen. Er hatte sich freiwillig ausnutzen gelassen, nur um vor seinem Freund nicht wie die unerfahrene 13-jährige Jungfrau dazustehen, die er ja war. Er rief sich Logans letzte Worte in Erinnerung. „Ich ruf dich an, Honey“, hatte er gesagt als er ihn zu Hause absetzte. Er hatte niemals angerufen, denn zwei Tage später war er Richtung Seattle verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)