Die Halloweenfeier von Regenengel ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Halloweenfeier Ein letztes Mal zupfte ich meinen Hexenhut zurecht, bevor ich die Klingel drückte. Ich hatte extra den mit der breiteren Krempe gekauft, um mich notfalls dahinter verstecken zu können, wenn meine Zuneigung zur Gastgeberin wieder einmal allzu auffällig zu werden drohte. Seit der Semesteranfangsparty vor einem halben Jahr spürte ich dieses unmissverständliche Kribbeln im Bauch, wenn ich sie nur von Weitem sah, und ich hatte mir redlich Mühe gegeben, mich nicht mit der reinen Beobachterrolle zufrieden zu geben. So hatte ich ihre Seminare auskundschaftet, mich zu ihren Referatsterminen gemeldet und sie hin und wieder in die Cafeteria eingeladen. Es stand nicht zur Debatte, dass sie mich ebenfalls mochte, immerhin war ich heute auf ihre private Halloweenparty eingeladen und das wollte bei ihrem sehr erwählten Freundeskreis durchaus etwas heißen. Trotzdem hatte ich mich aber nie getraut, mehr als freundschaftliche Signale auszusenden und immer schnell das Thema gewechselt, wenn ich Gefahr lief, über meinen nicht vorhandenen Männergeschmack befragt zu werden. Ihren dagegen kannte ich zur Genüge aus zahllosen praktischen Vorführungen. Selten hatte sie weniger als zwei Eisen zur gleichen Zeit im Feuer und noch seltener ließ sie sich so etwas wie Bedauern anmerken, wenn eine ihrer Flammen plötzlich erlosch. Sie war ständig auf der Suche und ihr Blick huschte dabei stets zielsicher zu den begehrtesten Männern im Raum. Das war der Hauptgrund dafür, dass ich meine Gefühle für sie zurückhielt und mir nur ganz heimlich von Zeit zu Zeit einen unanständigen Blick in ihren Ausschnitt erlaubte. Heute würde das schwierig werden, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, als sie mir die Tür öffnete. Sie trug ein bodenlanges schwarzes Kleid mit einem verdammt hohen Seitenschlitz, weiten Trompetenärmeln und einem äußerst tiefen Dekollete. „Hey, schön dass du da bist“, begrüßte sie mich und drückte mir ein Küsschen auf die Wange. „Toll siehst du aus.“ „Du auch“, antwortete ich und überspielte meine Nervosität, indem ich ihr ein kleines Tütchen reichte. „Kürbiskekse. Für dich.“ „Selbst gemacht?“ Ich nickte. „Ich wusste nicht, was ich dir sonst mitbringen soll. Leider sind die meisten beim Backen zerfallen und jetzt reichen sie wohl kaum für die ganze Party.“ Sie blinzelte. „Das macht nichts, dann esse ich sie morgen alleine und denke dabei an den schönen Abend mit dir. Komm rein!“ Ich streifte meine Schuhe ab und folgte ihr tastend durch den dunklen Flur. „Tust du mir einen Gefallen und probierst die Bowle?“, fragte sie nach hinten. „Öhm, klar. Aber ich dachte, du hättest Hilfe von...“ „Er kommt nicht“, unterbrach sie mich. „Er kommt überhaupt nicht mehr.“ Ich seufzte. Da war sie also, die nächste Kurzbeziehungsleiche. „Tut mir sehr leid.“ „Muss es nicht.“ Sie hielt mir die Tür zur Küche auf. „Er war ein Idiot.“ „Nein, das war er nicht“, hörte ich mich sagen. „Er konnte dich nur nicht glücklich machen und das tut mir leid.“ Verblüfft sah sie mich an. „Wie kommst du darauf?“ „Ich habe Augen im Kopf“, antwortete ich ausweichend. Sie hob zweifelnd eine Augenbraue und wandte sich dann ab, um mir einen Becher Bowle zu schöpfen. Ich atmete auf und erkundigte mich im Plauderton: „Bist du mit dem Rest schon fertig?“ Plötzlich spürte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie nicht gefragt hatte, ob sie vielleicht Hilfe benötigen würde. Ganz selbstverständlich war ich davon ausgegangen, dass sie schon einen ihrer aktuellen Flirts in die Vorbereitungen einspannen würde, wenngleich ich es schon vor Wochen aufgegeben hatte, über ihre jeweils aktuellen Beziehungen informiert sein zu wollen. „Schon lange“, sagte sie mit einem Hauch von Selbstzufriedenheit und reichte mir die Bowle. „Aber du bist die erste, also kommst du in den zweifelhaften Genuss, meine Vorkosterin zu werden. – Oder warte, ich mach mir auch eben eine, dann können wir schon mal anstoßen und sterben wenigstens gemeinsam.“ Sie lachte und am liebsten hätte ich sie für diese Bemerkung auf der Stelle geküsst. Doch ich senkte nur den Kopf, versteckte mein Gesicht hinter der Hutkrempe und hielt mich am Alkohol fest. „Auf eine wunderschöne Nacht“, sagte sie und hielt mir ihr Glas zum Anstoßen hin. „Ja“, murmelte ich, „auf eine schöne Party.“ Wir tranken gleichzeitig und es schmeckte großartig. Sie freute sich sehr über mein Lob und bemerkte dann: „Eigentlich fehlen mir ja noch Schminke und Zähne. Irgendwie hatte ich keine Zeit mehr, den Kram zu suchen.“ „Oh, du bist also Vampir? Ehrlich gesagt, dachte ich, du seiest auch eine Hexe.“ „Dann aber eine recht freizügige im Vergleich zu dir“, stichelte sie und musterte mich belustigt. Am liebsten wäre ich im Boden versunken, aber sie schien es gar nicht zu bemerken. „Selbst dein Gesicht versteckst du, dabei zuckt deine Nase immer so niedlich, wenn du dich schämst.“ Plötzlich beugte sie sich blitzschnell vor und klaute mir den Spitzhut vom Kopf. Dabei kam ihr Gesicht mir für einen Wimpernschlag so nahe, dass ich ihren warmen Atem spüren konnte. Mit einer eleganten Bewegung setzte sie sich den Hut auf und drehte sich mehrmals im Kreis. „Und, kann ich den tragen? Wie sehe ich aus?“ „Wunderschön“, sagte ich ehrlich und biss mir auf die Zunge, weil es so schwärmerisch geklungen hatte. „Die Jungs werden sich reihenweise nach dir umdrehen“, fügte ich deshalb schnell hinzu. „Mal sehen.“ Sie zwinkerte mir zu. „Darf ich deine Kekse probieren? Ich glaube, ich bin zu neugierig, um bis morgen zu warten.“ Ich nickte und sie schüttete die kürbisförmigen Plätzchen in eine kleine Schüssel. Obwohl sie teilweise etwas verunstaltet aussahen, schmeckten sie gut, vor allem zu der wirklich leckeren Bowle, und so verflog die Zeit. Wir saßen schon beinahe eine Stunde in der Küche zusammen, als mir bewusst wurde, dass ich immer noch der einzige Partygast war. Nervös wanderte mein Blick immer wieder zum Ziffernblatt meiner Armbanduhr, während sie sich nicht beirren ließ und uns zum dritten Male die Gläser füllte. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte: „Was wird das hier eigentlich?“ Sie wich meinem Blick aus. „Was meinst du?“ „Dass wir hier seit einer Stunde zu zweit in der Küche sitzen und Bowle trinken.“ „Stört es dich?“ Ein Anflug von Besorgnis lag in ihrer Stimme. „Ich dachte, das wird eine Halloweenparty“, erwiderte ich verwirrt. Sie atmete hörbar ein. „Ich muss dir etwas zeigen“, sagte sie und stand auf. Sie zog mich wieder in den Flur und blieb an dessen anderem Ende vor einer Tür stehen. „Warte hier“, forderte sie mich auf und huschte in das dunkle Zimmer, bevor ich protestieren konnte. Als sie die Tür wieder öffnete, strahlte mir warmes Kerzenlicht entgegen. Ich traute meinen Augen nicht, als ich den Raum als ihr Schlafzimmer identifizierte. „Ich dachte, wir feiern zusammen Halloween“, sagte ich mit schwacher Stimme. „Das habe ich vor“, erwiderte sie, trat auf mich zu und berührte mich sanft am Arm. Ich verschluckte mich und musste husten. Ein Lächeln flog über ihr angespanntes Gesicht. Unsere Wangen berührten sich jetzt beinahe. „Süßes oder Saures?“, raunte sie mir ins Ohr. „Ge-gehst du immer so ran?“, krächzte ich und wich halbherzig ein Stück zurück. Sie folgte mir unbeirrt. „Wer den Vamp in mir zu einer Hexe mit Hut entschärfen kann, sollte auch mit dieser Herausforderung fertig werden, meinst du nicht?“ „Ich weiß nicht, ob ‚entschärfen’ das richtige Wort ist für das, was ich gerne mit dir...“ Im nächsten Moment wusste ich noch viel weniger und bald darauf wollte ich auch nichts mehr wissen. Vielleicht würde es morgen früh Saures geben, aber gegen die Süße dieses Augenblicks war es nur ein schauriges Lachen, das in der Ferne leise verklang. ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)