Vindicta von Kruemelchen (Die Rache der Feuerpokémon) ================================================================================ Kapitel 4: Bittere Enthüllungen ------------------------------- „Ich bin mir sicher, dass es ihnen gut geht geht. Sie haben sich wahrscheinlich doch nur verlaufen“, zögerlich begann Umbreon Eda zu beruhigen. Es war jedoch schwer, beachtete man, dass das Meganie in völlige Hysterie verfallen war. Angst, Panik, Horror. Das war, was ihr Gesicht, ihre Stimme, als auch ihre Gefühle zeichnete. Sie fühlte sich so unnütz, unfähig in der einfachen Aufgabe, die man ihr hat zu teil werden lassen. Wie Sents Eltern wohl reagieren würden, wenn sie wieder kämen, und da wären weder Sent noch Dani zu finden, die doch in der so wohl behüteten Obhut Edas verweilt waren? Edas Puls raste durch ihre Adern und jeder Versuch, sie zu beruhigen, prallte an ihr ab, wie ein Flummi vom Asphalt der Straßen es tat. Die Panik hatte schon bei bemerken des Fehlens der Drei die Vernunft und den Verstand gleichzeitig besiegt und so kam es nun einmal, dass sie dort vorzufinden war, in jenem Zustand, wo sie nun einmal war. Wenn sie nicht alle drei ihrer Schützlinge sicher zurück bringen könnte, sie nicht wieder kämen, das könnte sie sich nie verzeihen. Dabei hatte sie ihnen noch extra gesagt, sie erinnert, sich nicht vom Dorf zu entfernen. Aber Kinder waren Kinder, sie hätte es besser wissen müssen, hätte sie erst gar nicht das Haus verlassen dürfen. Das Verhalten der Jungpokémon, dass sie so ungezügelt in den Räumen herumgetobt hatten, es musste einfach alles ein kleiner Plan ihrer gewesen sein, um wieder hinaus zu dürfen und wahrscheinlich hatte dieser Plan auch den Abstieg in den Wald beinhaltet. Es war eine von vielen wirren, wilden Theorien, die Edas Verstand benebelten, während Tränen der puren Verzweiflung und Angst ihren Weg aus den blauen Augen fanden. Drei kleine Pokémon, die die Vernunft eines Erwachsenen mit einem einfach Trick hintergangen hatten und sich somit ihre Freiheit erworben hatten. Die Freiheit, ihrer Naivität einen freien Lauf zu lassen, den sie wohl nie vergessen würden. Jedoch das schrecklichste Szenario, das sich in Edas Kopf abspielte, war, die Drei zu finden, tot. Verletzt, dass würde noch zu akzeptieren sein, würden sie es denn alle überleben, aber wären sie tot, könnte sie mit der Schuld, ihre Pflicht verletzt zu haben, nicht mehr leben. Es würde sie zerstören, auffressen. Aber wenn sie jetzt noch länger in diesem Selbstmitleid verweilen würde, dann würde ihnen die Zeit davon laufen, und das war das Letzte, dass das Meganie nun noch wollte. Also riss sie sich zusammen und sprach zwischen unregelmäßigen Luftzügen: „Wir müssen, wir müssen sie finden! Jetzt!“ Ihre Stimme zitterte vor Anspannung, ihre Gliedmaßen verkrampft. Ohne zu zögern nickten ihr Paro, Fania und Umbreon zu. Sie wollten die Drei auch unbedingt wieder finden. Besonders Umbreon lag auch viel daran, waren sie doch die einzigen wirklichen Freunde seines Enkels. Würde Evo sie nicht mehr haben, Umbreon wüsste nicht, was mit ihm zu tun. Für Evo schienen seine Freunde alles gewesen zu sein, er selber hatte doch nur die Ersatzrolle für seine Mutter übernommen, immer Evo mit der Unwissenheit über ihre Verwandtschaft gelassen, bis heute, verstand sich. Und es war dann, dass die vier Erwachsenen los liefen, in den dunklen Wald, mit der Ungewissheit, wo sie beginnen sollten nach den drei Verschwundenen zu suchen. Zuvor auf der Feuerinsel, noch bevor sie Sonne unterging, ereigneten sich Änderungen in Alex' Plänen, von denen er bis späten Nachmittag nichts erfahren sollte. Es war Sonja, die einige Stunden nach dessen Ankunft zu ihrem Herren ging. „Herr, ich habe Bericht zu erstatten“, begann das Magnayen gleich, als es eintrat, gleich weitersprechend, „Penelope, sie kam gerade wieder und hatte auf ihrem Flug über dem Wald um das Gebirge drei kleine Pokémon gesehen. Ein Wiesor, ein Endivie und ein Dratini, alles vermeintlich die, von denen Alex Bericht erstattet hatte.“ Noch einmal ihre Wort überdenkend, trat Sonja tiefer in die Höhle hinein. Im Gegensatz zu Alex und vielen anderen auf dieser Insel, gehörte sie zu den wenigen, die ihrem Herren aus freiem Stücke treu waren und es erfreute ein Teil des Spieles diesem zu sein. „Sollen Alex und ich trotzdem wie geplant vorgehen, oder doch einige Änderungen an dem Ganzen?“, fragte sie in die Dunkelheit, nur, um erst einmal ein dunkles Lachen zu vernehmen. „Nein, nein“, ertönte die belustigte Stimme ihres Herren, „Schicke Alex vorerst alleine los. Er weiß, was zu tun, gibst du ihm diese Informationen kurz gehandelt, Sonja.“ „Sehr wohl“, damit wandte sie sich zum Gehen ab. Jedoch, bevor sie die Höhle verlassen konnte, sprach ihr Herr ihr noch einmal zu: „Ach, und, Sonja? Vergiss nicht, das, das dir verboten. Fehler kannst auch du dir nicht leisten.“ „Ich weiß“, gab die Angesprochene noch nüchtern zurück, als sie dann die Höhle endgültig verließ. „Er sollte langsam das Vertrauen zu mir haben, zu glauben, dass ich einen Befehl missachten würde. Lächerlich. Aber, ja, mein Temperament, vielleicht meinte er dieses? Ach, wer weiß bei ihm schon, an was man ist. Zum Glück hat er nicht in Rätseln dieses Mal gesprochen...“, ging es Sonja durch den Kopf, während sie zu dem Baum ging, in dem sie zuvor das Staraptor hat ruhen sehen. „Er wird das nicht hören mögen“, lachte sie leise zu sich selbst, „Nein, wirklich nicht.“ Lange dauerte es nicht, dann hatte sie den Baum erreicht, sich in dessen Schatten niedergesetzt und sah Alex einige Augenblicke schweigend an. „Alex!“, drang dann ihre Stimme kräftig und bestimmend in die Ohren des halbschlafenden Staraptors, „Der Herr wünscht, dass du jetzt losfliegst und ich nachkomme. Die Tochter wurde mit zwei Freunden abseits des Dorfes gesehen. Beeile dich, du weißt, was zu tun.“ Das Letzte, das sie hörte, war ein genervtes Raunen Alexes, bevor dieser sich erhob und davon flog. Und das war alles, zu wissen, dass zuvor der Einbruch der Nacht auf den Inseln ereignet hatte. Alex hatte sich sofort auf den Weg gemacht, so ungern er dieses auch getan hatte, wäre er doch viel lieber noch bis Dämmerung geruht, aber man gewährte es ihm nicht. „Ich glaube, ich habe ihre Fährte gefunden“, rief Fania aus, ihren Kopf kurzzeitig vom Boden hebend, „Der Geruch ist allerdings schwach, sehr schwach. Sie müssen gelaufen sein, schnell.“ „Kinder, sie sind Kinder. Sie spielen, toben. Macht euch nicht verrückt, ja?“, Umbreon schien in der Zeit der Verzweiflung der einzige zu sein, der klare Gedanken behielt. Selbst Paro, dass doch sonst so nüchterne und kühle Raichu, dass man doch zum Dorfoberhaupt gemacht hatte, war der Angst verfallen, die Drei nicht lebend wieder zu finden. Das Nachtara war mittlerweile schon leicht genervt über die unkoordinierte Vorgehensweise der anderen. Völlig kopflos durch den dunklen Wald zu rennen war bestimmt nicht die schlauste Methode für die man sich entscheiden konnte, aber bestimmt eine der wenigen, für die man sich impulsiv entschied und sich oft ins Verderben stürzte. Scheinbar schienen seine Worte auf purer Isolation zu stoßen, denn keiner der anderen reagierte auf sein Gesagtes. Genervt seufzte er und wandte sich von jenen ab, die einer völlig unnützen Fährte folgen würden. „Sie sollten doch wissen, die Kinder, schon öfters haben sie mit Evo im Wald getollt. Die Fährte, die wird ihnen nichts nützen!“, Enttäuschen zierte sein Gesicht, während er in den Wald hinein lief. Wenn sie schon nicht hörten, dann müsste er eben alleine versuchen Dani, Sent und Envi zu finden. Der Wald war groß, ganz außer Frage, aber sie waren immerhin noch Kinder, und keine Wanderer noch dazu. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich freiwillig zu weit entfernt hatten. „Was wenn?“, sprach er laut zu sich, „Nein, oder?“ Sein Blick wurde trübe, seine Ohren hingen zur Seite, während seine Schritte ihn schleifend immer tiefer in den nördlichen Weil der Waldes führten. „Ich habe damit abgeschlossen, aber dennoch, es verflogt mich. Man kann die Vergangenheit leider nie vergessen, egal wie schmerzhaft es für einen ist, solche Erinnerungen in sich zu tragen“,ein trauriges, bedauerndes Lächeln zeigte sich auf Umbreons Gesicht. Der Wald wurde dichter, das seichte Mondlicht immer mehr blockierend. Aber es war nicht so, als würde dieses Umbreon stören. Dunkelheit war etwas, mit der aufgewachsen war, die er liebte. Sie ar ein Teil von ihm, zumal seine Vergangenheit die Dunkelheit selber für ihn in Taten, Geschehnissen widerspiegelte. Niemand seiner jetzigen Bekannten wussten von seiner Vergangenheit, geschweige denn davon, dass vielleicht tief in ihm ein Teil noch immer danach schrie, danach verlangte, wieder ein Teil dieser Dunkelheit zu werden. Manchmal fragte er sich, ob er nicht sich und all denen um sich etwas vormachte, dass er die Feuerpokémon missachtete. War das wirklich das Richtige gewesen, sich gegen seine Vergangenheit zu entscheiden? Vielleicht hätte er Pai damals hinterher sollen. Dann würde er vielleicht ohne all seine sinnlosen und fragwürdigen Vorwürfe leben können, seine Vergangenheit nicht unterdrücken müssen. „Was mache ich mir vor? Selbst dann, ich bin anders, zu anders. Ich war einer von ihnen gewesen, von ihnen! Sie dankten es mir mit Tod und Verrat, jagten ein Messer durch meine Seele, und doch bin und bleibe ich ein Teil von ihnen“, schwer seufzend richtete Umbreon seinen trägen Blick vom Boden ab, die nähere Umgebung absuchend. Es war nicht lange, bis er dann einen gedämpften Schrei hören konnte. Der Schrei, er war so schmerzverzerrt, so voller Angst, Furcht. „Nein...“, murmelte er wie vereist unter seinem Atem, Augen weit aufgerissen. Sein Herz ging schneller, als er die Stimme erkannte: Envi. Sie war – zumindest in seinen Augen – die Erste zur Panik. Wenn sie es waren, würden sie die ängstliche zuerst zerstören, nicht nur äußerlich. Schnell trugen Umbreon seine Füße weiter in den Norden, tiefer in den Wald, fern ab von Equality. Es waren so viele Jahre vergangen, in denen er Equality nie zu fern gegangen war und jetzt gerade war es so fern ab von jenem Dorf, wie er schon seit vielen Jahren nicht mehr gewesen war. Das Geäst um ihn herum wurde immer dicker, immer schwieriger zu durchkämmen. Oft kamen ihm Äste in den Weg, sollten ihn eigentlich an seinem Weitergehen hindern sollen, doch er ignorierte den aufkommenden Schmerz durch die immer wieder auf ihn aufschlagenden Ästen, die immer öfter auf markante Dornen an sich trugen. Plötzlich kam er auf eine Lichtung, die Dunkelheit für ihn schon lange vergessen, war er doch ein Pokémon der Nacht selber. „Sieh an“, ertönte plötzlich ihm eine doch bekannte Stimme, „So trifft man sich wieder, Umbreon.“ Die Augen des Nachtaras weiteten sich vor Schock. „Also doch...“, murrte zu sich selber, bevor er dann den Besitzer der Stimme in einen der Bäume ausmachte. Dort, in einem der Bäume, auf einem Ast nicht all zu hoch, saß ein Staraptor, die eisblauen Augen Umbreon mit Hass und Verachtung durchbohrend. Es war ein Hass, der nur den beiden und all den anderen von der Feuerinsel zu verstehen war. Verrat war, dass den Hass zu solch einer Intensität gesteigert hatte, doch dem anderen etwas antun, daran dachte weder Umbreon noch das Staraptor, Alex. In der einen Klaue von Alex konnte Umbreon etwas Grünes ausmachen. Etwas dazu noch lebendiges, das sich schwach versuchte aus dem festen Griff zu befreien. „Was wollt ihr hier?“, knurrte Umbreon wütend, seine Ohren angelegt, während seine Augen die nähere Umgebung absuchten, „Und tue nicht so, als würdest du nicht wissen, wieso ich dich als 'ihr' adressiert habe. Wo ist sie?“ „Gleich hier, alter Freund“, ertönte eine weibliche Stimme im Schatten der Bäume, bis dann kurz darauf ein Magnayen aus jenem Schatten hervor trat: Sonja. Im Gegensatz zu Alex, empfand sie nicht den unbändigen Hass zu Umbreon, verstand sie doch ein wenig, wie es dazu gekommen war. „So trifft man sich wieder, hm?“, fragte Umbreon leicht melancholisch, seine Augen ausdruckslos auf Sonja liegend, „Spiele verbinden, nicht wahr?“ „Ja, wohl wahr, Umbreon. Leid tun wird mir die Misere, durch die wir gerade dich durchziehen werden mit dem Ganzen. Du hast nichts Falsches getan und doch, und doch bist du ein Teil, ein ewiger Teil, Umbreon“, Bitterkeit schwebte in Sonjas Stimme bei, während sie dichter an Umbreon heranschritt, nicht wollend, das kleine, grüne Bündel in Alex' Klauen durch solch seelischen Schmerz gerade jetzt zu schicken. Oder es zu wecken, machte es doch den Anschein, dass es das Bewusstsein verloren hatte. Das Nachtara lachte kurz ironisch auf, dann sprach er mit der gleichen Bitterkeit weiter, wie das Magnayen zuvor: „Ja, doch was ist schon die Ewigkeit? Wir sterben alle irgendwann, ob es wegen des Spieles Willen sei oder einfach nur striktes Versagen in des Schicksals Lauf?“ Es war nicht leicht, das Gesprochene des Älteren zu verstehen, wusste er doch viel mehr über die Abläufe des Spieles, als das Magnayen zuvor angenommen. Wie hatte sie nur denken können, dass er nichts darüber mehr wissen würde? Er war nun einmal ein Teil, ein eingeweihtes Teil, dass seinen eigenen Spielzug getan hatte. „Seltsam, all die Jahre haben mich so mürbe und gleichgültig gemacht, dass das Ganze auch für mich nur noch zum Spiel geworden ist. Es ist es, ja, aber dennoch, der Herr verliert das Wesentliche aus den Augen“, einen unzufriedenen Laut ausstoßend, ließ Sonja sich zu Boden fallen, ihr Kopf auf ihren Vorderbeinen ruhend. Während in noch sehendes, linkes, rotes Auge den Blickkontakt zu den dunkelroten Umbreons suchten, ertönte ein gedämpfter Laut aus dem Baum, der Alex in sich trug. „Sie wacht auf“, verkündete das Staraptor genervt, seine Augen müde und träge von der vielen Arbeit die ihm zu teile wurde. Ungeduldig lehnte er sich ein wenig nach vorne, die beiden auf dem Boden besser in seinem Blick habend: „Sonja! Wir sind nicht geschickt worden, um Gespräche zu halten, weißt du?“ Etwas leicht fühlte sich Sonja ja angegriffen, doch sie wusste, dass all seine Ungeduld nur die Angst hinter sich trugen, keinerlei Rast zu bekommen. Wie tief konnte man sinken? Sie wusste es nicht. „Sorge dafür, dass sie nicht aufwacht, Alex. Wenn du Rast willst, raste jetzt!“, es war ein befehlender Ton und Alex würde nicht einmal daran denken sich ihr zu widersetzen. Und dieses nutze sie gerne und auch oft aus, um viele der Pokémon auf der Feuerinsel zu kommandieren. Keine traute mehr gegen sie zu sprechen, war sie doch schon so etwas wie eine Tochter für den Herren über die Jahre geworden. Das war wahrscheinlich auch einer der Gründe für ihre Loyalität, die in keinster Weise mit Angst zu erklären war. Ein Raunen Alex' zeigte ihr, dass er ihren Befehl vernommen hatte und dann konnte man auch schon sein Flügelschlagen ausmachen, wie es sich ein wenig weiter in nördliche Richtung begab, sich dort dann in einen Baum niederlassend. „Warum alle drei?“, fragte Umbreon mit eindringlicher Stimme. „Warum?“, Sonjas Kopf wandte sich ihm zu, ihn ausdruckslos ansehend, „Befehle werden nicht hinterfragt, das weißt du, Umbreon. So Leid es mir tut, ich weiß keine Erklärung. So viel sei dir gesagt: Noch geht es allen Drei seelisch sowie körperlich gut. Aber man weiß nie mit den Launen des Herren. Es liegt in seinem Willen, was mit ihnen geschieht, verzeih, aber ich muss nun auch“,sie hielt es für angebracht, das Gespräch mit Umbreon an dieser Stelle zu beenden, würde es doch sowieso keinen sinnvollen Verlauf mehr annehmen. „Sonja“, in Umbreons Stimme lag etwas drohendes, dass wenn sie ginge, würde er folgen, ihre Aufgabe vereiteln bevor sie überhaupt auch nur annähernd zu der Feuerinsel kamen. Und eben dieses war, was sie seufzend ließ. „Du bist nervig, Umbreon. Du und deine Fragen und, dass du einen nicht gehen lässt, wenn man sie dir nicht beantwortet“, gegen Ende klang ihre Stimme anders, fast schon belustigt über den Fakt, dass sich ihr Gegenüber in all den Jahren doch kaum verändert hatte, „Aber, wie kommt, dass du den Erben kennst, den der Herr schon all die Jahre suchte?“ Nervosität breitete sich in Umbreon aus. Was sollte er sagen? Es war ja nicht so gewesen, als hätte er das zu diesen Zeiten noch gewusst, wusste er es doch erst zehn Jahr zuvor gewesen, dass Pai zu ihm gekommen war. „Ich wusste es damals nicht, glaube mir. Wie auch? Aber ihr werdet ihn nicht bekommen, so Leid es mir tut, ich kann das nicht zulassen!“, seine Stimme bebte, zitterte unter der Anspannung und Nervosität seines Körpers, womöglich etwas falsches zu sagen. Kurze Zeit herrschte Ruhe. Unangenehm hatte sie sich über den Wald gelegt mit solch einer Geschwindigkeit, mit der man sie nicht hatte erwartet. „Wir werden sehen, Umbreon. Befehle sind nicht zu missachten, dass weißt auch du, alter, alter Freund“, seufzte Sonja, ihr Blick zum Mond wandernd. „Weißt du, du hast noch immer die gleiche Angewohnheit wie früher, Sonja“, leicht belustigt grinste Umbreon sie von der Seite an, „Oft den Namen deines Gegenüber im Gespräch zu verwenden, wieso? Du hattest mir nie geantwortet.“ Zuerst war sie verwirrt, wandte ihren Blick vom Mond ab und sah ihn an, bis sie dann verstand was er meinte. „Gewohnheiten bleiben, Umbreon. Sie bleiben. Genauso wie die Treue meinerseits zu unserem Herren, Meister. Das wird es sein, was mich – oder jemand anderen in Angesicht der Stunde – zurück hier her schicken wird. Du wirst sehen, Befehle werden ausgeführt und der Erbe, er wird nicht hier bleiben, vielleicht auch nicht mit uns kommen, aber hier wird er nicht verweilen, Umbreon, niemals“, damit kehrte sie sich um, bereit zu gehen, „Lebe wohl, alter Freund, auf ein neues Wiedersehen unter anderen Umständen.“ Zögerlich nickte das Nachtara, sein Blick trübe, düster. Könnte das wirklich so geschehen, würde er dagegen nichts unternehmen können? Aber so sehr er es sich auch nicht eingestehen wollte, er wusste, dass den Herren Sonjas nichts stoppen würden in seinen wahnsinnigen Ideen des Spieles, das er doch hier mit allen tat, unbekannt und unbewusst all deren, die nicht zu ihm gehörten. Noch einige Zeit saß er dort, der kalte Nordwind mit seinem dunkelgrauen Fell spielend, während seine Augen sich geschlossen hielten. Versuchend, das Geschehene zu verstehen, einzuordnen, bemerkte er nicht den Schatten, der hinter einem der umstehenden Bäume hervor trat. Es war Evo, der heimlich den Erwachsenen gefolgt war, bis jene sich aufgeteilt hatten, nur, um dann seinem Großvater zu folgen. Ganz verstehen konnte Evo das, was er gesehen hatte, nicht. Wieso hatte Umbreon die beiden Pokémon nicht angegriffen, versucht, seine Freunde zu befreien, die doch wohl allem Anschein nach in der Gewalt der beiden ihm fremden Pokémon waren! Und wovon sie die ganze Zeit geredet hatten – Herr, Spiel. Was hatte das zu bedeuten, und besser, woher kannten Umbreon und dieses Magnayen sich überhaupt? Deutlich spürte Evo, wie sein Herz schwerer wurde, sich immer kraftloser in seinem Brustkorb niederfallen lassend. Tränen standen in seinen Augen. Tränen, die zeigten, dass er sich verraten fühlte. Verraten, dass Umbreon, sein Großvater, nichts daran gesetzt hatte, seine Freunde zu retten! Es riss ihm das Herz aus der Brust, trieb die warmen, salzigen Tränen in großen Horden in seine Augen, während sein Hals sich plump und trocken, zugeschnürt, anfühlte. Wieso tat Umbreon ihm das an? „Umbreon?“, Evo war auf die Lichtung getreten, Tränen zierten seine Augen schön, drohten über zu fließen und sein helles Fell zu nässen, „Warum?“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, ein seichter Windhauch in der Nacht, doch trotzdem reagierte das Nachtara, die Ohren gesenkt, ebenso wie der Blick, der traurig und reuevoll den Boden vor seinen Pfoten anzustarren vermocht. „Es tut mir Leid, Evo. Egal was ich nun tun werde – ob dir erzählen oder nicht – es wird dich zerstören, und das wird alles meine Schuld zu tragen sein. Ich hasse mich dafür, es tut mir Leid“, flüsterte Umbreon, sein Blick sich in die entgegengesetzte Richtung bewegend, fern von dem Evoli. Evo fasste es nicht. Er wollte es ihm nicht erklären und dann noch sagen, es würde ihn zerstören? Das war zu viel für ihn, für sein Kinderherz, dass schon so viel hatte durchmachen müssen. Umbreon hasste sich dafür? Gut, er hasste ihn nun auch. Hasste ihn für seine Feigheit, noch nicht einmal ihm erzählen zu können, wieso er sie nicht gerettet hat, hatte er doch die Chance dazu gehabt. Und dann schrie Evo, von seinem Hass, seine Wut geleitet: „Ich hasse dich! Wieso hast du sie nicht einfach gerettet, sonder hast sie mitnehmen lassen? Wieso?“ Es stach Messer durch Umbreons Herz, musste er doch hören, wie sein Enkel ihm sagte, dass er ihn hasste. Und er wusste, er hatte es verdient. Warum war er nur noch immer so sehr mit seiner Vergangenheit verbunden, dass er es nicht wagen konnte, Sonja und Alex in ihrer Aufgabe im Wege zu stehen? Er war gegangen, hatte allen Grund dazu gehabt. Man hatte seine Familie, seine Eltern, ihm genommen, als Dank für seine Treue. Das war der Tag gewesen, an dem er gegangen war, nicht mehr fähig gewesen, dem Herren der Feuerinsel länger zu dienen. Ja, er war doch einer von ihnen gewesen, vielleicht war er es im Herzen doch immer noch, trotz allem, durch das man ihn geschickt hatte. Und es war doch noch lange nicht vorbei, begann es doch gerade erst. „Evo“, flüsterte Umbreon, endlich den Mut findend, dem Evoli in die Augen zu blicken, „Ich weiß nicht, wieso ich nichts getan habe. Es ist nur, ich gehörte einst zu ihnen, ich konnte die beiden nicht angreifen, genauso, wie sie mich nicht angreifen konnten! Es tut mir Leid!“ Tränen liefen sein Gesicht hinab, ebenso, wie bei seinem Enkel. Einige Zeit standen sie in der Stille, der Wind pfiff und brachte die Blätter zum Rauschen. Dann sprach Umbreon: „Ich bitte dich nicht um Verzeihung, da es einfach unverzeihlich ist. Aber ich bitte dich, nicht fort zu laufen, sonst holen sie dich auch und mach aus dir etwas, das niemand dir zumuten sollte. Envi und Sent, die beiden, es kann sein, dass du sie wiedersehen wirst. Dani, ich weiß es nicht, eher nicht. Glaube mir einfach, eines Tages, irgend einen Tag, da wirst du verstehen, wieso du nicht gehen solltest – egal ob du nun gehst, fort läufst oder nicht. Es liegt an dir.“ „Umbreon...“, Evo Stimme klang weinerlich, zitterte sie doch von den ganzen, vergossenen Tränen. Und doch, ja, doch, er würde nicht gehen. Sein Traum, er erinnerte sich. Er dachte, er habe jemanden verlassen, dass würde er nun nicht tun. Umbreon wusste doch, wovon er sprach, war er doch einmal ein Teil von ihnen gewesen. „Ich...ich weiß nicht, was zu tun. Vielleicht kann ich dir verzeihen, nur nicht jetzt“, es war ein bitterer Satz, der Evo so schwer fiel zu sprechen, dass er glaubte, er würde sich dem Schreien seines verletzten Herzens beugen und einfach davonrennen. Aber er konnte nicht, nicht jetzt. Vielleicht gleich, vielleicht. Sein Herz, es schrie und schrie vor Schmerz, sein Körper fühlte sich schlaff, während er versuchte eine Antwort zu finden. Sollte er rennen oder nicht? Er brauchte Zeit, Zeit zu denken, Zeit, die er nicht haben würde, würde er bleiben. „Es...es tut mir Leid, Umbreon, wirklich Leid“, Tränen flossen Evos Gesicht hinab, als er an Umbreon vorbei lief, ohne darauf zu achten wohin, einfach durch das dichte Geäst verschwindend. „Ich wusste es...“, murmelte Umbreon, bevor er sich schweren Herzens erhob und davon ging, wissend, seinen Enkel vielleicht nie wieder zu sehen. Und es schmerzte, ja, es schmerzte ihn zu tiefst, zu wissen, schon wieder einen Fehler getan zu haben. Wäre er damals nicht auf sie gestoßen – auf Evos Großmutter, Pais Mutter – würde er heute nicht in dieser misslichen Lage stecken, wäre vielleicht noch immer ein Teil – oder wieder – des Spieles und würde nicht diese unglaubliche Leere verspüren, die er in jenem Moment zu spüren erfuhr, als Evo an ihm vorbei rannte. Nicht würde mehr so sein, wie zuvor. Und Umbreon wusste, aber nun begann das Spiel, das man zu fürchten hatte, und im Zentrum stand doch Evo, somit auch er. Und es würde eine Misere werden, für alle jenen, die mit ihnen je zu tun hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)