Ich will dir doch nur die Augen öffnen! von GreenDarkness ================================================================================ Kapitel 1: Ich will dir doch nur die Augen öffnen! -------------------------------------------------- „Du hast sie doch nicht mehr alle!“, ein schrilles Gekreische war das. Gefolgt von einem wilden Blick, Tränen, die schon auf den roten Boden tropften, Hände, die nicht wussten wohin, ein keuchender Atem, der Rotz aus der Nase. Krachend fiel die Zimmertür ins Schloss. Eine Stille folgte. Dann plötzlich ein Schrei, gefolgt von einem langgezogenen Wimmern. Man konnte die Verzweiflung regelrecht heraushören. Ich blieb weiterhin auf meinem Stuhl hocken. Ich machte mich ganz klein. Vielleicht hatte sie Recht? Vielleicht war ich ja auch zu anspruchsvoll. Ich durfte wohl von Glück reden, dass meine nette Schwester mich nicht, wie die drei Pflegefamilien, einfach herauswarf. Nach dem Geheule aus dem Zimmer zu urteilen, war der Anblick schockierend gewesen. Ich schaute mir mein Werk, das jetzt als zusammengeknüllter Haufen auf dem Tisch lag, noch mal an. Das würde vielleicht doch nicht mehr rausgehen. Als ich das Kleid hochhob, tropfte das Rot auf die Platte. Wie lange hatte sie nochmal daran gesessen? Sie hatte doch alles aus eigener Tasche bezahlt, die verschiedenen Stoffe, das Garn, diese ganzen Pailletten. Morgen war die Aufführung und sie würde nicht hingehen können. Dafür konnte sie aber dann doch bei mir bleiben! War ich denn nichts wert? War es unangenehm in meiner Nähe zu sein? Ich hob das Kleid von der Tischplatte und trug es schnell zu der Waschmaschine. Vielleicht konnte ich zumindest dafür sorgen, dass sie aufhörte zu weinen. Ich fühlte mich schäbig. Und allein. Wie hatte ich das nur tun können? Sie darf nicht sauer auf mich sein. Als ich in der Waschküche ankam, stopfte ich das Kleid hastig in die Waschmaschine und schüttete mehrere Löffel Waschpulver hinterher, zu viel konnte nie schaden. Noch den milchig fliederfarbenen Weichspüler. Den Knopf drücken. Ich vergewisserte mich, dass die Tür richtig zu war, dass der richtige Waschgang eingestellt war, dass einfach nichts falsch lief. Das Wasser lief hinein und färbte sich rot. Ich fröstelte und griff mir an die Arme, musste mich zusammenreißen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Das sollte ich vielleicht noch verbinden. Zu dumm, dass sie die Messer in einem Schrank oberhalb der Spüle weggesperrt hatte, beinahe hätte ich mich ernsthaft verletzt, als die Messer auf mich zugeschossen kamen. Ich wollte doch nur die Süßigkeitenverpackung aufschneiden. Ich hatte einen kleinen Teller vorbereiten wollen, für die Aufführung morgen, damit sie weiß, dass jemand an sie denkt. Ich dachte, sie könnte mir helfen, aber in ihrem Zimmer war sie gar nicht gewesen. Wieder war sie nicht da. Sie war wieder einmal bei ihrer Probe und ließ mich allein. Da war nur das Kleid. Das Kleid, weswegen sie die ganze Zeit in ihrem Zimmer gehockt hatte. Die ganze Zeit, in der sie nicht zu Hause gewesen war, sondern bei den Proben. Die ganze Zeit, in der ich alleine gewesen war. Zurück in der Küche nahm ich einen Lappen und wischte das Blut von der Tischplatte weg. Ich musste aufpassen nicht auf dem nassen Boden auszurutschen. Vielleicht hatte sie sich wieder beruhigt? Das Geplärr war bereits verstummt. Aber vielleicht war sie auch einfach zu überwältigt von meinem roten Wandkunstwerk, so wie dieser seltsame Maler, Pollock, ganz viele Spritzer. Vielleicht hatte sie aber auch gemerkt, dass es total unfair war mich allein zu lassen oder sie heckte einen Plan aus, wie sie mich loswerden konnte. Ich merkte schon, wie ich mich schwarz ärgerte. Mein Blickfeld wurde nämlich immer kleiner, undeutlicher und dunkler, alles franste aus. Ich glaubte jetzt zu wissen wie es war blind vor Wut zu sein – ich wurde plötzlich müde und setzte mich auf den nassen Boden. Mein Kopf war schwer, er fiel unkontrolliert nach vorne, zur Seite, angenehm, ich merkte noch ungefähr, wie ich hin und her wiegte, meine Lider konnte ich schon nicht mehr öffnen. Schlaf. Das war eine gute Idee. Ich ließ mich prompt fallen. So müde. Könnte ewig schlafen. Der nasse Boden. Aufwischen. Sie darf mich doch nicht hassen. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)