Blame It On The Cookies von -Moonshine- ================================================================================ Er hätte es kommen sehen müssen. Nun, sie hatte! Warum hatte er nicht auf sie gehört? Das würde sie ihm auf ewig vorhalten. Typisch Frau halt. Aber darum konnte er sich später Gedanken machen. Sein Gedanke Nummer eins sollte jetzt eher dem Dilemma gelten, in dem er drinsteckte. Und "drinsteckte" war genau das richtige Wort, um es zu beschreiben... Er holte tief Luft und bewegte sich noch ein paar Mal hin und her, vor und zurück, als könnte er dadurch irgendetwas an seiner misslichen Lage ändern. Dann seufzte er und entließ eine weißes Wölkchen aus seinem Mund, das in die kalte Nachtluft hinaufstieg und schließlich verschwand, sich auflöste in nichts. Er ließ seinen Blick schweifen. Es war dunkel, es war kalt. So kalt, dass es beinahe in der Nase brannte, im Gesicht weh tat. Der scharfe Wind wehte ihm um die Ohren, aber er bemerkte nichts davon, konnte sich nicht einmal an der winterlichen Landschaft in dieser Nacht erfreuen, so beschäftigt war er mit seinem Problem. Das war ihm zugegebenermaßen noch nie passiert! Nicht in tausend Jahren hätte er gedacht, dass dies möglich sein könnte. Aber sie, ja, sie wusste es, hatte sogar immer, halb ernst, halb ausgelassen, darüber gescherzt. Aber wer, in Dreiteufels Namen, hätte wissen können, dass das tatsächlich passieren würde, konnte?! Er rang hilflos die Hände, streckte sie halb nach oben in die Luft, ließ sie wieder sinken, versuchte, sich hochzustemmen, aber es klappte nicht. Er steckte ganz eindeutig fest! Seine Freunde schauten ihn aus ihren klugen Augen fast vorwurfsvoll an. Sagten nichts, taten nichts, halfen nicht. Standen nur da, schauten ihm direkt in die Augen und schwiegen. "Tolle Helfer seid ihr", murmelte er und konnte nicht umhin, den leicht bitteren Tonfall zu vermeiden, der sich mit hineingeschlichen hatte. Seine Freunde schwiegen, starrten ihn an. Noch einmal rappelte er sich auf, drückte seine Leibesmitte zusammen, am Bauch, an den Seiten, aber es half alles nichts. Resignierend ließ er den Kopf sinken und stieß einen frustrierten Seufzer aus. "Verdammt noch mal", schimpfte er leise zu sich selbst. "Ich bin verloren. Wir sind alle verloren!" Seine Freunde starrten in an. Schweigend. Klug. Von seiner derzeitigen Position hatte er den verschneiten Kirchturm gut im Blick. Die große Uhr schien ihn regelrecht zu verspotten, verhöhnte ihn, während der Sekundenzeiger unaufhaltsam weitertickte, scheinbar, um ihn nervös zu machen. Sekunden vergingen. Minuten vergingen. Er war immer noch da. "Wir müssen irgendetwas tun", sagte er schließlich zu niemandem bestimmten - seine Freunde taugten ja nichts - und wusste gleichzeitig, dass er eigentlich nichts tun konnte. In so einem Fall gab es keine Notfallnummer, die er mal eben wählen konnte. Vielleicht sollte er so etwas in der Art erfinden? Sie würde ihn auslachen, da war er sich sicher. Beflügelt von diesem Gedanken, und auch ein wenig grimmig, begann er wieder, sich zu bewegen. Diesmal viel energischer. Wie ein unförmiger Tanz zu keiner bestimmten Melodie hampelte er hin und her, schwenkte die Arme durch die Luft, warf den Oberkörper vor und zurück und zu den Seiten. Strampelte mit den Beinen, doch niemand konnte es sehen. Einer seiner Freunde neigte den Kopf und es schien ihm, als zöge er skeptisch eine Augenbraue hoch. Er achtete nicht weiter darauf, war viel zu vertieft in seine Bemühungen, seiner Misere ein Ende zu bereiten. Und da, tatsächlich, etwas gab nach. Oder hatte er sich das nur eingebildet? Abrupt hielt er still, lauschte, doch es war nichts zu hören. Er seufzte. Hätte er doch nur auf seine Frau gehört! Hätte er doch das Fenster benutzt oder wäre durch die Tür gegangen - er konnte sowieso von niemandem gesehen werden. Aber nein. Er hatte an der traditionellen Methode festhalten wollen, obwohl diese alles andere als ein Vergnügen war. Da hörte er es wieder - ein Knacken, ein Knirschen. Ein paar Steinchen lösten sich und fielen lautlos auf die Dachschindeln. Gebannt beobachtete er, wie sie weiterkullerten und schließlich liegen blieben. Stille. Eine Sekunde, zwei Sekunden. Dann, angestachelt von seinem Erfolg, begann er sich noch heftiger zu bewegen, achtete nicht auf seine Freunde, die ihn mit großen, fragenden braunen Augen anschauten. Hatten sie ihn vollends für verrückt erklärt? Wieder knirschte etwas, als ob jemand Stein an Stein rieb. Ein widerwärtiges Geräusch, doch wie Musik in seinen Ohren! Noch rührte sich gar nichts, und er verfluchte sich dafür, dass er nicht die Idee mit der Diät hatte aufgreifen wollen, die ihm seine Frau vorgeschlagen hatte, als er letztes Jahr immer weiter auseinander gegangen war! Lächerlich war sie ihm vorgekommen. Wie konnte er, den doch jeder kannte, sich nur von Gemüse und Vollkornprodukten ernähren? Wie konnte er denn ohne Milch und Kekse leben? Am liebsten mochte er Nusskekse, oder die mit Schokolade. Aber nun erfuhr er am eigenen Leib, was sie mit ihm anstellen konnten. An seinem eigenen, dicken, massigen Leib, der in dem viel zu engen, kleinen Schornstein eines Einfamilienhäuschens steckte! Wieder das Knirschen. Es wurde, lauter, stärker, widerwärtiger, und mit einem letzten Kraftakt, seinen Bauch einzuziehen und seine Fettpölsterchen in den Luftschacht hinein zu stecken, wie andere sie in den Tiefen und Weiten ihrer Jeans versteckten (oder auch nicht, zumindest die Jugend heutzutage, dachte er sich nebenbei), verschwand er beinahe mit einem fast schon charakteristischen "Plopp" im Schlot, brauste durch den Ziegeltunnel hinunter und kam mit einem dumpfen Aufprall am anderen Ende - einem Kamin im Wohnzimmer der Familie - an. Mit dem gut gepolsterten Hintern zuerst mitten in die Asche hinein. Ziemlich zufrieden mit sich selbst klopfte er den Ruß von seiner Kleidung, seinem Bart, seinen Haaren, und sah sich anschließend um. Natürlich hatte er nur Augen für das kleine Beistelltischchen, auf dem ein Teller mit Keksen und ein Glas Milch drauf stand. Alle seine guten Vorsätze über Bord werfend näherte er sich gierig den Knabbereien und machte sich daran zu schaffen, bis er alles, bis auf den letzten Krümel, verspeist hatte und die Milch ungeduldig hinunterstürzte. Erst da wandte er sich dem Offensichtlichen zu: dem Weihnachtsbaum. Seinem eigentlichen Bestimmungsort. Hübsch geschmückt war er, mit einer Lichterkette und in roten und silbernen Farben gehalten, darunter lagen ein paar eingepackte Päckchen und gleich – Das war der Moment, in dem ihm auffiel, dass etwas Entscheidendes fehlte: Sein großer, brauner Weihnachtssack. Den hatte er neben dem Schornstein abgelegt, genau neben die Hufe seiner braunäugigen, klug-starrenden Rentiere, als er sich hineinzwängen hatte wollen. Verdammt noch mal! Das war wirklich nicht sein Jahr! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)