Emo(tions)gesteuert von Tharaia (Und am Ende bleibt immer die Frage: Warum?) ================================================================================ Kapitel 7: Puzzleteile ---------------------- Hallöchen! Eigentlich ist es ja nicht meine Art, großartigen Schwafeltext vor meinen Kapiteln zu schreiben, aber hier muss es einfach sein! Ich platze nämlich gleich vor Stolz, weil ich in dem Wettbewerb, für den diese Story entstanden ist, doch allen ernstes den zweiten Platz gemacht habe! Aber wie das bei meinen Werken so ist, verselbstständigen sie sich früher oder später, und für euch heißt dieser zweite Platz eigentlich im Klartext, dass ihr euch jetzt wieder über neue Kapitel freuen dürft. Wobei das nächste eher weniger freudig ist. Aber für Lior kommen auch wieder rosigere Zeiten, versprochen! Nur ob sie dann so bleiben... Lasst euch überraschen! ;P Und jetzt genug gequasselt, viel Spaß beim Lesen! ~~~ „Du auch…“ Ich starrte ihn an; lang, fassungslos, aber ich sah nicht den großen, weißblonden Jungen, der so nett gewesen war, mich heim zu fahren. Ich sah die Puzzleteile der letzten Woche vor meinem Inneren Auge, die sich langsam zusammenfügten. Es machte Sinn. Alles war fast erschreckend schnell gegangen. Ich hatte Kilian an meinem ersten Tag auf der deutschen Schule gesehen und war sofort hin und weg gewesen. Ich hatte mich benommen wie ein sabberndes Fangirl, wenn ich ihm begegnet war. Das waren jedenfalls Rokas Worte dazu gewesen. Der Vergleich war peinlich und irgendwie vulgär, aber er passte. Und Kilian müsste ein Idiot sein, wenn er es nicht bemerkt hätte. Wie sonst wäre er dazu gekommen, mich nur fünf Tage später auf eine Party in einen Club einzuladen, der anscheinend seiner Familie gehörte? Und dass er es nicht spontan oder aus reiner Nettigkeit getan hatte, war nach diesem Ausgang des Abends ja nun wirklich offensichtlich. Er hatte die Chance genutzt und mich flachgelegt. Wahrscheinlich hatte es ihn noch nicht einmal gekümmert, ob er es mit mir oder jemand anderem getan hatte. Ich war kein Einzelfall. Mit einem zittrigen Seufzen, der verriet, dass ich kurz vorm Heulen war, vergrub ich mein Gesicht in den Händen. „Fucking asshole“, wisperte ich in den nach dem Abstellen des Motors stillen Innenraum des Polos und meinte es sogar fast wörtlich. Ich rang um meine Fassung und setzte ein erzwungenes Lächeln auf meine Lippen, das sich so angespannt anfühlte, dass es eher wie ein knurrender Hund aussehen musste. „Thanks for the ride“, murmelte ich, weil mir im Moment die deutschen Worte fehlten. Aber mein Chauffeur verstand mich wohl auch so, denn als ich ausstieg und die Tür ins Schloss drückte, sah ich sein mit einem ehrlicheren Lächeln als meines verbundenes Nicken. Der Weg zum Haus blieb tränenfrei. Das hatte seine Ursache allerdings keineswegs in dem Wissen, dass unsere Nachbarn mich unter Garantie wieder einmal durch die Gardinen beobachteten. Nein, ich konnte einfach nicht weinen. Ich hätte gern, denn dann wäre vielleicht dieser schreckliche Kloß in meinem Hals etwas kleiner geworden, aber es ging nicht. Mit zitternden Fingern steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Das Haus schien leer, meine Mutter war wohl nicht da. Aber das konnte mir nur recht sein. Sie hatte es schon früher nicht gemocht, wenn ich einfach so mal mit einem Kerl geschlafen hatte. Nicht, dass es sonderlich viele gewesen wären. Doch ab und zu überkam selbst so einen realitätsfernen Romantiker wie mich das Verlangen nach geteilter Zweisamkeit. Es war eigentlich auch immer schön gewesen. Beide Seiten hatten es gewollt, in der Form, in der es geschehen war; ohne Hintergedanken, ohne Verantwortung. Mit Kilian war es anders. Hätte ich es gewollt, wenn er mich gefragt hätte? Hatte er mich vielleicht sogar gefragt, und ich konnte mich nur nicht erinnern? Warum konnte ich mich eigentlich nicht erinnern? Da war sie wieder. Diese ewige Frage nach dem Warum. Ich streifte mir die Schuhe von den Füßen und erklomm die wie ein schier unüberwindbares Hindernis anmutende Treppe. Auf meine Beine und meinen Gleichgewichtssinn war kein Verlass, das merkte ich schnell. Erstere schienen sich partout zu weigern, mein Gewicht zu tragen, und Letzteren hatte ich wohl gestern mit dem Alkohol ins Koma befördert. Dabei war es doch wirklich nicht viel gewesen. Nur dieser eine verdammte Cocktail. Warum waren dann die Auswirkungen so stark? Schon wieder ein Warum. Und wieder keine Antwort. Nach einem langen Kampf gegen meinen Körper hatte ich mein Zimmer erreicht und ließ mich auf den Boden sinken. Dass die Sonne meine warme, gelbe Wandfarbe zum Leuchten brachte, merkte ich in meinem Elend noch nicht einmal. Auch mein Hinterteil hatte mir den Aufstieg übel genommen. Es brannte wie die Hölle. Anscheinend war Kilian nicht allzu sanft zu mir gewesen. Ich schluchzte trocken auf. Meine Klamotten rochen nach getrocknetem Schweiß. Ich beugte mich vor und zog mir die Socken von den Füßen, ehe ich mich aus meinem T-Shirt schälte. Wenn ich nur daran dachte, dass es gestern Nacht Kilian gewesen war, der mir diese Kleider abgestreift hatte… Ruckartig und alle Schmerzen ignorierend sprang ich auf und hechtete ins Bad. Ich erreichte die Toilette gerade noch rechtzeitig, ehe ich mich übergab. Ich konnte seine Hände fühlen. Auch, wenn alles andere weg war, spürte ich jetzt seine Berührungen doch zu deutlich. Er hatte mich betatscht, mich hemmungslos an Stellen berührt, über die man in guter Gesellschaft nicht sprach. Am liebsten hätte ich mir den Unterleib abgeschnitten, nur, um dieses garstige Kribbeln loszuwerden. Selbst meine Unterlippe zitterte in Erinnerung an Liebkosungen, die keine waren. Auch der Rest meines Mageninhalts fand seinen Weg ins Klo. Es roch ranzig, nach gärenden Früchten, halbverdautem Essen und Alkohol. Mit einem Mal fühlte ich mich entsetzlich schmutzig. Panik wallte in mir auf, und ich begann, hektisch an meiner Hose herumzuzerren. Ich wollte all das loswerden, all diese falschen Berührungen und halben Erinnerungen vergessen. Flach keuchend wand ich mich aus der engen Röhre und riss mir die schwarzen Retropants vom Körper. Erst jetzt fielen mir die weißen Flecken darauf auf. Würgend beugte ich mich erneut über die Kloschüssel. Der bittere Geschmack der Galle brannte sich in meine Zunge. Als mein Körper das hoffnungslose Vorhaben, noch etwas aus mir heraus zu würgen, endlich aufgegeben hatte, schleppte ich mich auf Knien zur Dusche und kroch hinein. Dass aus dem Versuch, aufzustehen, nur in noch mehr Schmerzen resultieren würden, verriet mir das starke Zittern, das mich befiel, sobald ich eine meiner Extremitäten belastete. Die Kotzerei hatte meinem geschädigten Organismus wohl den Rest gegeben. Müde langte ich nach dem Wasserhahn und drehte ihn mit schwachen Fingern auf, in der Hoffnung, das heiße Wasser würde diese entsetzliche Kälte aus meinen Knochen vertreiben. Doch es half nicht viel. Der Geruch des Duschgels überdeckte rasch den Gestank des Erbrochenen, das ich vergessen hatte, hinunter zu spülen. Wie oft ich nun schon meinen Körper eingeseift hatte, wusste ich nicht. Irgendwann nach dem vierten Mal hatte ich aufgehört, zu zählen. Aber der Schmutz ging einfach nicht weg! Ich konnte ihn immer noch fühlen. Die Spuren, die seine Hände hinterlassen hatten, ließen sich nicht so leicht beseitigen. Angeekelt schrubbte ich über eine Stelle auf meiner Brust, an der ich seine Zunge zu spüren glaubte. In mir stieg ein Gefühl auf, das mir die Kehle zuschnürte. Mich an meiner Situation verzweifeln ließ. Und mit der Verzweiflung kamen endlich die längst überfälligen Tränen. Das Seifenwasser spülte sie, die nun so zahlreich über meine Wangen rannen, in den Abfluss und ließ sie im Dunkel verschwinden. Mit ihnen gingen der Kloß und die Kälte. Doch der Schmerz blieb. Irgendwann hatte ich aufgehört, zu weinen. Irgendwann hatte ich die Dusche verlassen. Irgendwann hatte ich aufgehört, nachzudenken. Ich hatte mir eine lange, flauschige Jogginghose und einen weiten Kapuzenpulli angezogen. Meine Füße steckten in dem Paar himmelblauer Kuschelsocken, die Griff mir mal geschenkt hatte, meine Hände in geringelten Strickhandschuhen. Ich wollte meinen Körper nicht sehen. Ich ertrug es nicht mehr, ständig meine eigene, schmutzige Haut vor Augen zu haben. In meiner Musikanlage rotierte das One-X Album von Three Days Grace, mein Gitarrenverstärker war laut aufgedreht und meine Finger griffen wie von allein die richtigen Riffs. Klang zwar beschissen mit den Handschuhen, die ich danach mit Sicherheit wegschmeißen konnte, aber in solchen Momenten lobte man die Erfindung des Plektrums. Mir half das Gitarrenspiel, ich fühlte mich freier, sobald ich in die Saiten greifen konnte. Gitarren waren etwas furchtbar Faszinierendes für mich. Man schlug dagegen, und es kam ein Ton raus. Moderne Verstärker, Spieltechniken und die Lautstärke waren in der Lage, diesen Ton dann genau meiner Stimmung anzupassen. Es war meine Art, meine Gefühle in die Welt hinaus zu brüllen, ohne meine eigene Stimme benutzen zu müssen. Ich war zu schüchtern, um selbst zu schreien. Aber meine Les Paul kannte keine Schüchternheit. Wenn ich es von ihr verlangte, ließ sie ihre wunderschöne, verzerrte Stimme erklingen. Diese Liebe zur Musik war wohl das einzige Erbe meines Vaters, das ich ihm mit gutem Gewissen zuschreiben konnte. In der kurzen Pause zwischen Let it Die und Over and Over klingelte es an der Tür. Zuerst konnte ich den Ton nicht wirklich zuordnen, denn es war in der Tat das erste Mal, dass bei uns jemand klingelte. Besuch hatten wir bisher keinen gehabt, meine Mutter und ich benutzten den Schlüssel, und ein Paketdienst oder Pizzabote oder dergleichen mehr hatte sich auch noch nicht hierher verirrt. So saß ich zwei Sekunden lang regungslos auf meinem sonnengelben Hocker, ehe mir ein Licht aufging. Allerdings verharrte ich danach noch ein paar Sekunden mehr auf meinem Platz, weil ich nicht wusste, ob ich öffnen sollte. Eigentlich hatte ich keine Lust auf Gesellschaft. Ich wollte mir meinen Frust so gut es ging von der Seele spielen, und da konnte ich keine Zuhörer gebrauchen. Außerdem tauchten in meinem Kopf schon wieder sämtliche Horrorvisionen auf. Was, wenn es Kilian war, der da vor der Tür stand? Dass diese Vorstellung restlos dämlich war, weil der Mistkerl keinen Grund hatte, hierher zu kommen, war mir zwar auch klar, aber der Gedanke lähmte mich trotzdem für einen Moment vor Schreck. Vielleicht war es aber auch wichtig. Denn es konnte ja doch der Paketdienst sein, der sich endlich einmal mit dem ersten Schwung übersetzter Bücher von meiner Mutter hierher bequemte. Sie erwartete die Sendung nämlich schon sehnsüchtig, um Korrektur lesen zu können. Oder es war gar meine Mutter selbst, die mal wieder rausgegangen war, und bei der Heimkehr feststellte, dass sie keinen Schlüssel dabei hatte. Wäre nicht das erste Mal. Dieser Gedanke brachte mich dann doch dazu, die geliebte Les Paul in ihren Ständer zu verfrachten und meine schmerzenden Glieder die lange Strecke hinunter zur Haustür zu quälen. Dass meine Finger das Zittern immer noch nicht aufgegeben hatten, musste ich beim Umdrehen des Schlüssels feststellen. Aber vielleicht war es auch nur die Nervosität. Denn irgendwie fürchtete ich doch, gleich meinen Peiniger vor mir zu sehen. Doch es war nicht Kilian. Es war auch nicht meine Mutter. Mit großen Augen starrte ich die Person an, von der ich am allerwenigsten erwartet hätte, sie jetzt hier stehen zu sehen. Schüchtern lächelte er mich unter seinen langen, weißblonden Ponysträhnen hervor an. „Hi“, murmelte mein Chauffeur, „Eigentlich wollte ich nur kurz sehen, wie’s dir geht…“ ~~~ Und cut! XD Ich muss ja sagen, ich persönlich mag das Kapitel sehr gern. Es hat genau die richtige Mischung von Drama und verstecktem Sarkasmus, die mich glücklich macht. Außerdem steigen wir endlich mal tiefer in Lios Psyche und Charakter ein, und so langsam nähern wir uns "des Pudels Kern", wie es in Goethe's Faust so schön heißt. Aber ich laber schon wieder zu viel. Bis demnächst! Man liest sich! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)