Still not gotten over You... von senthessa ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war verdammt lang her, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Vor fünf Jahren, sie war gerade neunzehn geworden, hatte sie nach der Scheidung ihrer Eltern alle Brücken hinter sich abgebrochen und war aus Deutschland verschwunden. Eine dieser abgebrochenen Brücken war diese Liebesbeziehung gewesen… obwohl „Beziehung“ vielleicht das falsche Wort war… und „Liebe“ vielleicht auch. Er war ihr bester Freund gewesen, schon seit Jahren, und sie beide hatten die körperliche Nähe gewollt, ohne die Verbindungen eingehen zu wollen, die normalerweise damit verbunden waren. Jedes Mal waren ihre Nächte nach dem gleichen Schema abgelaufen und nie hatte einer von ihnen auch nur ein Wort darüber verloren. Sie war oft abends mit ihm unterwegs gewesen und ihre Eltern – mehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt als mit den Unternehmungen ihrer Tochter – hatten nichts dabei gefunden, wenn sie bei ihm übernachtet hatte. Die meisten Nächte hatten sie nur nebeneinander gelegen und einander im Arm gehalten, schweigend, die Wärme des anderen Körpers neben sich genießend und träge dem immer gleichmäßiger werdenden Atmen lauschend. Wenn sie doch weiter gegangen waren, hatte sie die Wohnung prinzipiell verlassen, noch ehe er aufgestanden war – ohne Frühstück und ohne auch nur eine einzige Bemerkung… ja, meistens sogar noch vor dem Morgengrauen. Sie waren nur Freunde und das wollte sie um jeden Preis dabei belassen – egal, wie schwach sie manchmal wurde. Eigentlich war sie froh gewesen, dass diese Verwirrungen mit ihrem Umzug nach Wien ein Ende genommen hatten… was nicht erklärte, warum sie jetzt wieder in seiner Wohnung aufgewacht war, in eben dem Bett, in dem sie vor fünf Jahren zum letzten Mal gelegen hatte. Eigentlich war sie nur nach München gekommen um ihre Mutter zu besuchen, die inständig darum gebeten hatte. Es war verständlich gewesen, dass sie mit ihm ich ihren Stammclub von damals gegangen war, als sie ihm auf der Suche nach ein wenig Ablenkung auf den abendlichen Straßen begegnet war und er offensichtlich auch nichts Besseres vor gehabt hatte. Allerdings hatte sie nicht geplant gehabt, dass diese Nacht so verlaufen würde… Es war schon wieder passiert, nachdem sie sich fünf Jahre lang nicht gesehen hatten, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Das alte Vertrau-en, das immer zwischen ihnen bestanden hatte, hatte nicht im Geringsten gelitten. Müde, noch immer benebelt vom Schlaf, lag sie neben ihm und bemühte sich, die Eindrücke zu ordnen, die ihre Sinne ihr sandten: Das erste, was ihr aufgefallen war, war, dass er noch immer dieses billige Bett besaß, das für zwei Personen viel zu schmal war. Die Einrichtung seiner Wohnung hatte sich kaum verändert, sie war schon immer gemessen und schlicht gewesen. Einige alte Fotos waren verschwunden, einige neue hinzugekommen, aber abgesehen von diesen Details, die einem Anderen wohl gar nicht aufgefallen wären, hätte sie ebenso gut gestern zum letzten Mal hier gewesen sein können. Es war unheimlich, beinahe, als hätte die Wohnung nur auf ihre Rückkehr gewartet. Er selbst hatte sich jedoch verändert, sehr sogar. Gestern Abend war es ihr nicht aufgefallen, nicht über dem fröhlichen Benehmen, das er schon immer an den Tag gelegt hatte, aber jetzt, im fahlen Licht des anbrechen-den Morgens, sah alles ein wenig anders aus. Er war jetzt sechsundzwanzig Jahre alt und die Sorgenfalten, die schon früh um seinen Mund gelegen hatten, waren nun noch deutlicher und tiefer eingegraben, entspannten sich nicht einmal mehr im Schlaf vollständig. Sie rollte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf ihren Arm um ihn besser beobachten zu können. Trotz seiner neuen charakterlichen Reife sah er seinem früheren, unbeschwerten Selbst noch so ähnlich, dass es ihr den Hals zuschnürte. Seine Haare hatten noch immer diese unbequeme Länge, auf die er sehr zu ihrer Verwirrung stets bestanden hatte. Wer konnte bei jeder Bewegung diese halblangen pechschwarzen Locken im Gesicht hängen haben wollen, im Blickfeld und, an besonders schlechten Tagen, verhakt in der silbernen Kreole, die er auch noch nicht abgelegt hatte. Offensichtlich ließ er sich jetzt einen Dreitagebart stehen – vielleicht war es, um die Narben auf seiner Wange zu verdecken, von denen sie keine Ahnung hatte, wie er zu ihnen gekommen war? Vielleicht eiferte er auch nur der aktuellen Mode nicht mehr so sehr hinterher wie früher, vielleicht war er erwachsen geworden. Seine Gesichtszüge sahen sicher so aus. In den vergangen Jahren hatten sie das letzte Jugendliche verloren und waren end-gültig die eines Mannes geworden, ein wenig kantiger, ein wenig schmaler als früher, nicht mehr so weich und sanft abgerundet. Sie hatte damals so gern die Linie seines Kinns nachgezogen, über den geschwungenen Kieferknochen bis hinauf zu seinem Ohr und wieder zurück. Diese Linie war nun gerader und weniger gewölbt, übte aber dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – noch immer die gleiche Anziehungskraft auf sie aus. Als sie sich über ihn gebeugt hatte und ihre Fingerspitzen schon beinahe sein Gesicht berührten, nahm sie einen Geruch wahr, der ihr trotz seiner Schwäche beinahe den Atem verschlug. Sicher, jetzt erinnerte sie sich auch daran, dass er gestern auf der Straße einer jungen Frau galant Feuer geboten hatte, als sie hatte feststellen müssen, dass ihr Feuerzeug nicht mehr funktionierte. Früher hatte er selbst nicht einmal ein Feuerzeug besessen und war auf seine eigene verquere Weise sogar stolz darauf gewesen, auch wenn er manchmal in Restaurants nur zu gerne den Kellnern beim Anzünden der Kerzen zuvorgekommen wäre. „Also hast du das Rauchen angefangen…“ Der Geruch seines markanten Parfüms war jetzt deutlich überdeckt von dem des Zigarettenrauchs. Scheinbar war er doch nicht so erwachsen, wie sie geglaubt hatte. Sie war immer der Meinung gewesen, dass – bei all seinen kleineren und größeren Fehlern – ihn dieses Laster niemals einholen würde. Aber sie hatte nicht mehr die Zeit, darüber nachzusinnen, welcher Stress und welcher neue Bekannte ihn dazu getrieben hatten. Sie musste gehen, die Sonne hatte sich schon bedenklich weit über den Horizont geschoben. Es war ihr seltsam zuwider, die behagliche Wärme seiner Nähe verlassen zu müssen, aber wenn er sie bei seinem Erwachen noch immer vorfinden sollte, käme das beinahe schon einem Vertragsbruch gleich. Seufzend ließ sie ihre Hand doch noch einmal den gewohnten Weg über sein Gesicht gleiten, dann raffte sie sich schlussendlich auf. Mit einer Gewohnheit und Gelassenheit, die sie sich selbst nicht mehr zu-getraut hätte, schob sie sich aus seinem Bett, aus seiner Wohnung – nach ein wenig Mühen damit, ihre Kleindungsstücke zusammenzusuchen – und hoffentlich auch endgültig aus seinem Leben. Der kleine Bäckerladen, in dem sie früher nach solchen Nächten ihr Frühstück zu sich genommen hatte, existierte nicht mehr. Stattdessen fand sie an seiner Stelle ein Subway-Restaurant, das bereits geöffnet hatte. Mit einem leichten Sandwich und einem großen Becher schwarzem Kaffee suchte sie sich einen Platz in einer etwas abgeschiedenen Ecke und starrte aus dem großen Fenster nach draußen auf die Straße. Die Sonne war nun endgültig aufgegangen und auch wenn die Welt noch ein wenig verschlafen schien, konnte man doch schon davon ausgehen, dass sich das bald ändern würde. Ein Blick auf die große Uhr über dem Eingang des Restaurants bestätigte ihr, dass es bereits nach acht war… War sie auch früher so lange neben ihm liegen geblieben? Wenn sie sich recht erinnerte, hatte sie stets einen unglaublichen Spaß daran gehabt, sich so früh wie möglich aus seiner Umarmung zu winden und dann auf und davon zu eilen. Ein Bleiben hatte es nie gegeben, das hätte die Spielregeln verletzt. Aber heute… Mit einem Schaudern erinnerte sie sich an die Wehmut, die sie empfunden hatte, als die Tür hinter ihr leise ins Schloss geglitten war. Sie wusste nur zu gut, dass sie ihn wahrscheinlich nicht wieder sehen würde. Ihre Rückfahrt nach Wien war noch für diesen Tag geplant und das Treffen mit ihrer Mutter war nicht derart harmonisch verlaufen, dass sie es von nun an wöchentlich wiederholen wollte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass es nur eine fixe Idee gewesen wäre, ein kurzer Moment der Sehnsucht, als sie ihn gestern gesehen hatte. Aber eben-so war ihr auch klar gewesen, dass diese Hoffnung eitel war. In den fünf Jahren hatte nichts, nichts, keinen Bestandteil des Lebens, das sie hinter sich gelassen hatte, so sehr vermisst wie ihn, nicht einmal ihre Familie. Sie hatte gehofft, diese Nacht als Abschied betrachten zu können… ein letzter Blick und dann ein Lebewohl. Aber sie konnte es nicht. Sie konnte ihn nicht vergessen. Sie war noch immer nicht über ihn hinweg… „Sich in den besten Freund zu verlieben… wie idiotisch…“ Sie konnte sich sein Gesicht vorstellen, wenn er das jemals erfahren sollte. Vor Jahren hatten sie sich geschworen, dass sie niemals zulassen würden, dass solcher Nonsens ihr angenehm bequemes Verhältnis zueinander störte…. und des-halb würde sie in nur wenigen Stunden abfahren und nie wieder zurück-kommen. Gut, das mit dem endgültigen und schmerzlosen Abschied hatte nicht so funktioniert, wie sie sich das vorgestellt hatte, aber das war kein Grund, jetzt den Kopf hängen zu lassen. Sie musste mit diesem Teil ihres Lebens abschließen, so weh es auch tat, damit sie nach vorne sehen konnte. Betrübt betrachtete sie ihr Spiegelbild in dem großen Fenster, vor dem sie saß, als es sie auf einmal siedendheiß durchfuhr: ihre Ohrringe! Sie hatte ihre geliebten kleeblattförmigen Ohrringe bei ihm liegen gelassen! Sie mussten sich noch auf seinem Nachttisch liegen… Dabei waren sie ein Geschenk einer guten Freundin gewesen… Entgegen allen besseren Wissens durchsuchte sie ihre Manteltaschen nach den kleinen silbernen Ohrhängern und wollte schon aufgeben, als ihre Fingerkuppen gegen etwas stießen, das sie als die vierblättrige Form der kleinen Schmuckstücke erkannte. Wie, um alles in der Welt, kamen die dorthin? Als sie sie aus der Tasche zog, fiel ihr ein winziger Zettel entgegen, der wohl darauf aufgespießt gewesen war. Verwundert entfaltete sie ihn und las… Entschuldige bitte dieses Manöver, aber für jemanden mit meinem tiefen Schlaf ist das leichter, als morgens von deinen Bewegungen aufzuwachen. Wenn du noch nicht zu viel Kaffee hattest, lade ich dich gerne auf einen weiteren ein. Bring Brötchen mit! Ich denke es wird Zeit, dass wir einmal gemeinsam frühstücken… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)