PS, Ich liebe dich! von cooking_butty ================================================================================ Kapitel 1: Nur zu Besuch ------------------------ Traurig sah er auf das einfache Messingkreuz, das ihm zwischen ein paar Bäumen gegenüberstand. Es war an einem schönen Plätzchen, aber gut genug versteckt, um nicht von Unwissenden entdeckt zu werden. Wieder dachte er an jenen Moment zurück, als ihm sein größter Schatz entrissen wurde. Er sah noch jedes einzelne Detail, obwohl das alles schon fast ein halbes Jahr her war. Beinahe spürte er den Regen, der in jener Nacht unaufhörlich auf sie einprasselte. Er hörte jenes Lachen, das sein Herz erwärmte, hörte den entsetzten Schrei, der seinen Namen formulierte, ihn anwies, aufzupassen. Er sah jenes weiße Licht und hörte das eindringliche Hupen des dazugehörigen Autos. Er sah, wie er selbst zu Boden geworfen wurde – auf eine sichere Stelle. Und dann hörte er nur noch das Quietschen der Bremsen, den dumpfen Aufprall seines Freundes auf den Asphalt. Sein Geliebter hatte sich geopfert, damit er überleben konnte. Doch was war das für ein Leben? War es das wirklich wert gewesen? Hätte jener es getan, wenn er gewusst hätte, wie sehr seine Hinterbliebenen leiden mussten. Wie sehr er darunter leiden musste? Jenes Kreuz teilte Rod mit, dass er seinen großen Blonden nie mehr in die Arme schließen kann, ihm nie mehr vorwerfen kann, dass er schon wieder zu lange alleine unterwegs war…ihm nie mehr sagen kann, wie sehr er ihn vermisst. Es teilte ihm mit, dass er diesem nie wieder zuhören kann, wenn er begeistert von seinen Reisen erzählt, nie wieder ein Kribbeln im Bauch spürt, wenn jener ihm sagt, wie sehr er ihn liebt. Der Ort war von Farin selbst bestimmt worden. Rod erinnerte sich, wie sie einmal beim Spazieren hier vorübergegangen waren. Der Große war stehen geblieben, hatte sich umgesehen und gemeint: „Hier möchte ich begraben werden!“ Es war schön hier, die Stelle war so ausgerichtet, dass sie von der untergehenden Sonne beleuchtet wurde, denn der Blonde hatte Sonnenuntergänge geliebt. Der Chilene kniete sich nieder, um seine mitgebrachte Rose vor das Kreuz zu legen. Mit Tränen in den Augen verabschiedete er sich. Noch am selben Tag traf er sich mit Bela. Sie wollten sich einen Film im Kino ansehen – einen lustigen, denn Trauer hatten sie schon genug bei sich. Er schaffte es sogar, die beiden etwas aufzuheitern. Als Rod sie nach Hause fuhr, hatten sie den Radio angedreht. Sie achteten nicht weiter auf ihn, bis der eingestellte Sender ein neues Lied spielen wollte. Es war ein Song von Xavier Naidoo, beide wollten sofort umschalten (keiner von ihnen mochte diesen Sänger) doch der Radio kam ihnen zuvor und schaltete wie von selbst auf einen neuen Sender. „Passiert dir das öfter?“, fragte Bela. „Dass der Sender wechselt? Klar…dir nicht?“ „Doch, doch. Aber, dass das genau dann passiert, wenn ein Lied von jemandem kommen würde, den…“, Bela verstummte. „…den Jan nicht ausstehen konnte?“, beendete Rod den Satz. Bela nickte. Rod dachte nach. Natürlich war es ihm aufgefallen. Schließlich konnte es schon lange kein Zufall mehr sein, dass der Radio genau dann wechselt, wenn Naidoo, Blumfeld, oder jemand ähnlich schlimmes gekommen wäre. „Ist das bei dir also auch?“ Wieder nickte sein Beifahrer. „Glaubst du…glaubst du, dass er da…seine Finger im Spiel hat?“, fragte der Drummer nach einer Weile. Der Jüngere zuckte mit den Schultern. „Weißt du…ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod…beziehungsweise hab ich es bis jetzt nicht getan, aber vielleicht…vielleicht ist das ein Zeichen. Vielleicht will uns Jan damit sagen, dass er trotzdem noch bei uns ist.“ Bela deutete unsicher mit den Händen herum. Er glaubte, er würde den größten Schwachsinn erzählen, aber es konnte nicht anders sein. Das konnte doch kein Zufall sein. Seit er seinen besten Freund verloren hatte, griff er nach jedem Strohhalm, der sich bot, um ihm ein Stück näher zu sein, auch wenn dieser noch so sinnlos war. Von dieser Sicht aus hatte es Rod noch gar nicht betrachtet. Könnte Bela Recht haben? Er beschloss, in nächster Zeit mehr darauf aufzupassen. Vielleicht fand er noch mehr „Zeichen“. Als er heimkam, ging Rod sofort ins Bett. Bevor er einschlief schrieb er aber noch eine kleine Nachricht für Farin und legte es unter sein Kopfkissen. ‚Wenn Jan schon meinen Radiosender wechseln kann, dann kann er auch seine Post lesen’, dachte der Chilene leicht grinsend. Am nächsten Morgen wachte er gut gelaunt auf. Er hatte einen schönen Traum in dieser Nacht gehabt – seit dem Unfall der erste dieser Art. Rod fuhr mit seiner Hand verschlafen unter sein Kissen…und die Nachricht war weg. Erschrocken sprang er aus dem Bett, warf den Polster und die Decke (nachdem er sie genauestens untersucht hatte) auf den Boden, sah unter dem Leintuch nach – nichts. Auch unter dem Bett war sie nicht. War er jetzt verrückt geworden? Passierte das jetzt echt? Verwirrt ging er ins Wohnzimmer, ließ sich aufs Sofa fallen und zündete sich eine Zigarette an. Sie schien ihn etwas zu beruhigen, sodass er seine Gedanken ordnen konnte. Hatte sein verstorbener Geliebter seine Nachricht abgeholt? War das etwa ein Zeichen? Rod drückte seine Zigarette aus und ging in die Küche, um sich etwas zum Frühstücken zu suchen. Mit beladenem Teller und einer Tasse Kaffee ging er wieder zurück zum Sofa und schaltete den Fernseher ein. Eigentlich war er nicht der Typ, der am Morgen schon fernsah, aber er brauchte etwas zur Ablenkung. Es dauerte einige Minuten, bis er bemerkte, dass das Fenster offen stand. Er erinnerte sich nicht, es geöffnet zu haben. Ihm fiel ein, dass es nur eine Person gegeben hatte, die das Fenster öffnen würde, wenn er geraucht hatte – Farin. Mit einem Lächeln ging er hin und schloss es wieder. Das war kein Zufall mehr – Bela musste Recht haben, der Blonde war wirklich noch bei ihnen. Er schlurfte zum Sofa zurück und wollte gerade von seinem Brötchen abbeißen, als sein Blick auf dem Tischchen hängen blieb. Da lag ein Zettel, ungefähr so groß wie eine Postkarte. Rod war sich sicher, dass dieser noch nicht dagelegen hatte, als er zum Fenster ging. Er nahm das Blatt und dachte, sein Herz bliebe stehen, so sehr erschrak er. Das war unverkennbar seine Handschrift, in der geschrieben stand: Rauchen ist ungesund, weißt du das? Rod atmete ein paar Mal tief durch. ‚Du bist nicht verrückt, dass ist alles erklärbar.’ Doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, dass es eben das nicht ist. Es war nicht nachvollziehbar, warum der Radio bei bestimmten Musikern den Sender wechselte, sein Brief an Farin weg war, das Fenster offen stand oder diese Nachricht von seinem verstorbenen Geliebten hier auf dem Tisch lag, wo sie vorher ganz sicher noch nicht war. Er ging ins Bad und sah sich im Spiegel. Eigentlich sah er ganz normal aus – man sah ihm nicht an, dass er kurz vorm Durchdrehen war. Wahrscheinlich versuchte sein Gehirn, die ganze Trauer und das ganze Leid in etwas Anderes umzuwandeln. Er schlug mit der Faust auf den Spiegel ein. Das Glas zerbrach, seine Hand begann sofort zu bluten. Er ließ sich zu Boden fallen, das Glas schnitt in seine Haut und verursachte nur noch mehr Wunden. Bittere Tränen strömten über Rods Gesicht, die erst nach einer Ewigkeit versiegten. „Warum tust du mir das an? Habe ich nicht schon genug gelitten?“ Rod stand wieder bei diesem Messingkreuz und schrie es an. Er hielt es nicht mehr aus – er musste es einfach rauslassen, auch wenn er es sofort wieder bereute. Er wollte ihn nicht anschreien, schließlich konnte dieser doch nichts dafür…oder? Als der Chilene sich zum Gehen abwandte, entdeckte er ein zusammengerolltes Blatt Papier am Boden. Er hob es auf und faltete es auseinander. Hey! 1. Du bist nicht verrückt. 2. Es tut mir Leid, wenn ich dich verletzt habe. 3. Ich werde zwar nie wieder zurückkommen, aber ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie ich näher bei dir (und Bela) sein kann. Vertrau mir, dann wird alles gut. Lg Jan P.S.: Ich liebe dich! Dieser Brief konnte nur von ihm sein. Niemand anderes, nicht einmal Bela, wusste, dass Farin diese drei Worte IMMER ins P.S. setzte. Verwirrt ging Rod nach Hause. Er beschloss, sich auf diese ganze Sache einzulassen. ‚Na und, dann werd ich halt verrückt. Sollen sich doch die anderen um mich kümmern!’, dachte er bei sich und musste dabei leicht schmunzeln. Er legte sich aufs Sofa, wollte eigentlich nachdenken, aber schon bald war er wieder eingeschlafen. Das ganze Schlafdefizit, das er durch die Albträume hatte, musste sich doch auch irgendwie abbauen. Durch ein Läuten an der Tür wurde er geweckt. „Bela, was machst du denn hier?“, fragte Rod verschlafen, aber erstaunt. Nicht erstaunt darüber, dass Bela ihn besuchte, sondern erstaunt darüber, dass seine Kratzer an den Händen, die er sich durch den zerbrochnen Spiegel zugefügt hatte, verschwunden waren. „Warte,“ meinte er im Weggehen. Er konnte das alles doch nicht geträumt haben, das ist doch wirklich passiert! Er hatte doch auf den Spiegel eingeschlagen, das Glas war auf dem Boden verteilt liegen geblieben – und eigentlich sollte es immer noch da liegen, denn bis jetzt hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sie wegzukehren. „Ähm…darf ich wenigstens rein?“, fragte Bela verwirrt. Solch einen Empfang war er von Rod nicht gewohnt. „Was? Äh, ja klar!“ Der Chilene gab ihm ein bedeutungsloses Handzeichen. Verwundert über seinen Freund folgte der Drummer jenem ins Bad. „Das kann nicht sein…“, seufzte der Bassist. „Was ist denn los?“ Als Bela das Badezimmer betrat, fiel ihm auf, dass der Spiegel verschwunden war. „Hat dir der Spiegel nicht mehr gefallen?“ Rod dachte, er würde träumen. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Die ganzen Scherben waren sorgfältig weggefegt worden. Er berichtete seinem Freund von den Ereignissen dieses Tages, er zeigte ihm sogar die Nachrichten. „Also hatte ich gestern Recht, oder?“ meinte Bela dann. „Entweder das, oder ich werde verrückt…wobei ich stark auf Ersteres hoffe!“ „Das heißt, wir müssen einfach darauf vertrauen, dass das alles hier wirklich passiert, oder?“ „Ich denke ja!“ Die beiden redeten noch stundenlang, überlegten, was das alles bedeuten konnte, was sie nun tun sollten. Irgendwann beschlossen sie, dass es schon zu spät war, als dass Bela noch sicher nach Hause hätte fahren können. Gemeinsam legten sie sich in das große Bett, in dem vor fast einem halben Jahr noch eine Person gelegen hatte, wegen der die beiden sich an diesem Tag den Kopf zerbrachen. Beide glaubten, die Anwesenheit jener Person zu spüren, doch trauten sie sich nicht, es dem jeweils anderen zu sagen. Beide wussten nicht, dass diese Person wirklich – für sie nicht erkenntlich - anwesend war und sie beobachtete. Nachdem Bela und Rod schon ungefähr zwei Stunden schliefen und so schnell nicht mehr aufwachen würden, erschien ein fast zwei Meter großer, schlanker und blonder Mann bei ihnen. Er hatte weder die Tür, noch eines der Fenster benutzt, um ins Zimmer zu kommen – er war einfach aus einem Licht heraus erschienen. Auch jetzt war er von einem schwachen, warmen Licht umgeben, dass andeuten könnte, dass dieser Mann nicht von dieser Welt war. Er war in der Tat nicht von dieser Welt…wenn man damit die Welt der Lebenden meint. Er kam aus dem Jenseits – einer dem Diesseits identisch aussehenden Welt, auf der die Toten wohnten – und besuchte seine Schützlinge. Eigentlich war er ein ganz normaler Mensch – wenn man davon absah, dass er tot war. Er konnte fühlen, denken, essen, trinken, Dinge bewegen, schlafen – er konnte also alles machen, was die Menschen im Diesseits auch machen konnten. Er war aber nur für seine beiden Schützlinge sichtbar und er konnte die beiden Welten auch nicht vermischen – das heißt, wenn er Hunger oder Durst hatte, musste er jenen im Jenseits stillen, oder wenn er sich umziehen wollte, konnte er sich auch nur Kleidung aus seinem Kleiderschrank im Jenseits anziehen…aber das alles ist viel zu kompliziert, um es genauer zu erklären. Der Mann setzte sich auf einen Stuhl, der im Zimmer stand und beobachtete die beiden Schlafenden. Es brach ihm das Herz, dass sie seinetwegen leiden mussten. Wenigstens hatte er so eine Möglichkeit, sie davor zu bewahren, etwas Dummes zu tun, ihnen wieder die Sonnenseiten des Lebens zu zeigen. Wieder las er seine Post, die ihm Rod letzte Nacht geschickt hatte: Na, wie ist’s so im Jenseits? Er holte sich einen Kugelschreiber und einen Block und schrieb ihm eine Antwort. Eigentlich hätte er auch einfach mit ihm reden können, doch er wollte die beiden erst langsam daran gewöhnen, dass er von nun an ihr Schutzbefohlener sein würde. Er nannte sich bewusst Schutzbefohlener, denn er konnte dem Begriff „Schutzengel“ nichts abgewinnen, obwohl er genau das war. Er hatte sogar Flügel, die er mithilfe der Gedanken benutzen konnte: dachte er sie sich weg, waren sie nicht da, dachte er sie sich herbei, saßen sie auch schon einsatzbereit an seinem Rücken. Sie waren strahlend weiß, etwa bodenlang. Es hatte nicht lange gedauert, bis er fliegen konnte, aber dafür umso länger, bis er sie auch richtig steuern und angenehm landen konnte – heute konnte er sogar das perfekt, er hatte ja Zeit genug gehabt zum Üben. Als er mit seiner Nachricht fertig war, ging er auf die beiden Schlafenden zu. Er legte das Papier auf das Nachtkästchen und setzte sich auf die Bettkante, damit er seinen Geliebten noch etwas beobachten konnte. Er strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und es versetzte ihm einen leichten Stich. Das war der Nachteil an seinem Dasein. Er konnte zwar nahezu alles mit seinen Schützlingen machen, mit ihnen sprechen, ihre Wunden heilen, ihr Handeln beeinflussen, ihnen gute Träume schicken, ihre Radiosender wechseln, sie berühren, doch er konnte sie nicht spüren. Würde er sie umarmen, würden sie es zwar merken, aber es nicht fühlen können. Das würden sie erst wieder können, wenn die beiden ihm folgen würden. Eigentlich hatte er sich daran gewöhnt, dennoch er wünschte sich nichts mehr, als Rod spüren zu können. Der Mann lief schnell auf Belas Seite und schob diesen sanft näher zur Bettmitte, da er sonst auf dem harten Boden gefallen wäre. Als er sah, dass die beiden die Nacht ohne einen unangenehmen Zwischenfall überstehen würden, verschwand er mit der Schnelligkeit eines Wimpernschlags. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)