Pränataler Campingkocher von kumquat (Every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 41: Vermiss mein nicht (21.02.09) ----------------------------------------- Ich sitze wieder oben. Seitdem in dem Schaukelstuhl unten in der Lobby wieder der blinde Opa aufgetaucht ist, der ständig Eleanor Rigby singt, habe ich mich nicht mehr hinuntergetraut. Zwar macht er sich nichts draus - er sitzt da, wippt manchmal ein bisschen und singt ganz fröhlich dieses grässliche Lied, und sein Blindenhund klopft dazu manchmal mit dem Schwanz auf den Boden - aber ich bin nicht gern unter Verrückten, nur weil ich zufällig unter ihnen aufgewachsen bin. Meine ganzen Muskeln sind steif, und ich würde mich am liebsten ausstrecken, aber ich fürchte, dazu müsste man erst die Südwand einreißen. Das Zimmer ist erschreckend spartanisch und eng. Vielleicht ist es auch bloß mein Name, der mich in diese Besenkammer gebracht hat, meine Herkunft - ich habe ohnehin nur ein paar Tage Geschäfte hier. Und in der Zeit ist es mir zu anstrengend, auch noch unten bei der Rezeption Krach zu schlagen, wie wenig mir das Zimmer gefällt. Ich bin doch eh eine genügsame Person. Ich strecke mich trotzdem aus, ganz vorsichtig, die Handflächen an angesprochene Südwand gelegt. Vielleicht kann ich sie mit etwas Kraftaufwand herausbrechen; dieser Schuhkarton von Haus ist nicht unbedingt für ein Erdbebengebiet gemacht, oder auch für eine andere Region, in der mit einer Gewalteinwirkung zu rechnen ist, die stärker ist als die Strahlen der Julisonne. Nebenan brüllt ein Kleinkind in glasklarem Dolby Surround, aber sonst geht es. Das Zimmer geht auf eine kleine, enge Gasse heraus, sogar mit Balkon. In der Mittagssonne ist es dort unten zwar einigermaßen schattig, aber sehr still; erst abends kommen die Leute hier unter der Woche heraus, um ein bisschen frische Luft und Konversation zu atmen. Und das Bad ist auch in Ordnung. In Ordnung gebracht, mit Glas- und Fliesenreiniger aus der Regierungsabteilung für chemische Kriegswaffen, aber sollte dort eine Bakterienkultur überleben, ließe sie sich sicher gut an das Nachbarland verkaufen. Kriegstreiben mit Mikrobazookas. Ich wünsche niemandem einen Erfolg mit diesem Science-Fiction-Potential. Ich habe diese Nacht nicht viel geschlafen, aber das ist, als würde ich sagen, dass ich gestern wieder den ganzen Tag geatmet habe. Nach all den Jahren ist man es gewohnt. Nur hängt man wie am seidenen Faden an den paar Stunden, die man auch tatsächlich kriegt, und werden die eingespart, sitzt man irgendwann wie ein besoffener Penner nach seinem letzten Job an der Straßenkreuzung und erzählt den Passanten deliriös von den Weltherrschaftsplänen der Rosenbüsche. Wobei ich gegen Rosenbüsche nun nichts einzuwenden habe. Flieder hingegen, der ist ein Todfeind, aber es ist nicht so, als hätte ich nicht meine Gründe. Was gehört sonst noch in so einen Brief? Ich weiß es nicht. Ich schreibe so gut wie nie Briefe. Ich hab auch die Anrede vergessen, aber ich hab oben keinen Platz mehr und keine Lust, das Ganze noch einmal abzuschreiben. Am Ende werfe ich ihn weg, weil ich ihn albern finde, und dann kriegst du gar nichts. Und ich glaube, das ist nicht zwingend in deinem Interesse. Vielleicht sollte ich mal einen Resozialisierungskurs belegen, oder zwei. Ich denke schon, dass es sowas gibt. Wo man Manieren lernt und Briefe schreiben und die tieferen Gedankengänge hinter der Behauptung, dass Karohemden partout scheußlich seien. Ich weiß nicht. Ich █████ ████████ gehe jetzt besser zur Post. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)