Pränataler Campingkocher von kumquat (Every day is writing day) ================================================================================ Kapitel 54: Thumpa Thumpa Thump ------------------------------- "Lemele, zieh deinen Rock runter. Du siehst aus wie eine Hure." "Halt die Fresse! Und nenn mich nicht Lemele!" Trotzdem blieb Lemeisan auf dem Gehweg stehen und zerrte mit grimmiger Miene ihre Klamotten zurecht. Wie Bagaoisan mit ihr umsprang, entrüstete sie, um es diplomatischer auszudrücken, aber sie wollte andererseits auch nicht riskieren, dass er sie heim schickte. Darauf hatte sie herzlich wenig Lust, und genau so wenig auf das Geschrei am nächsten Morgen, sollte sie sich stattdessen von ihm trennen und sich alleine auf den Weg machen. So hatte sie sich unweigerlich damit abzufinden. "Sind wir wenigstens bald da?" "Noch zwei Straßen, Lemele. Ich hab dir gesagt, hohe Schuhe sind keine gute Idee." "Hör auf, mich so zu nennen!" Sie waren auf dem Weg zu einer Veranstaltung, die moderne Jugend geistreich als Mambo Party titulierte, und so schlug sie auch bei den begeisterten Massen an. Mit Fünfzehn war Lemeisan eigentlich noch viel zu jung dafür, aber Bagaoisan kannte jemanden, der jemanden kannte, und so war das kein Problem mehr. "Aber versprich mir, dich zu benehmen. Trink nichts, was du nicht kennst, egal, was für ein hübscher Kerl es dir anbietet!" "Ogou, ja doch! Ich bin doch kein Kleinkind mehr, Mann..." Die Nacht war lau und gefüllt von den Schreien kämpfender Katzen, von dem Flüstern der Kinder, die unter den Fundamentstelzen der Häuser mit Taschenlampen selbst gemalte Tarotsets legten, um herauszufinden, ob sie später einmal Houngans oder Mambos werden würden. Doch langsam fühlte sie mit ihren Schritten die Erde vibrieren; bis sie bemerkte, dass es ein unabhängiger Rhythmus war, der durch den Boden tobte und mit den tieferen Schichten spielte wie mit einer Bassgitarre. Lemeisan spürte es zuerst unter ihren Sohlen, dann in ihrer Magengrube, und dann schließlich hohl in ihrem Kopf widerhallend, als der hell erleuchtete Zweistöcker vor ihnen immer näher kam. Fackeln brannten und glitzernde Echsen erklommen unablässig die Fassade an glühendem Efeu; als sie Luft holte, schmeckte sie verbranntes Holz und Pfeffer, und der Rhythmus war so klar und treibend, dass sie darüber nicht einmal die Menschenmenge hörte, die sie passierten. An der Tür stand ein Breitschultriger mit Holzauge, der ihren Bruder samt Anhang einfach durchwinkte, während sich vor dem Haus in Bahnen von Schlangenhäuten andere Menschen die Füße platt standen. Lemeisan kam herein, und bevor sie etwas sah, riss die Musik sie an sich. Dröhnende Trommeln holperten elegant, hohe Choräle und tiefes, gutturales Gegröhle und ein schwebender Laut von schabender Luft, ein Hin und Her und Wiegen, das in ihre Beine stieg, ein Jaulen und Brennen, das sie vor sich hertrieb wie ein ziehendes, lachendes Mastvieh. "Blxzzn hnerst kkka mir!", rief Bagaoisan und bedeutete ihr, in der Nähe zu bleiben; sie stolperte hinter ihm her, Tränen in den Augen, während sie den Puls Tausender schmeckte; sie quetschten sich durch die windenden, erzitternden Glieder eines riesigen, fleischfarbenen, pulsierenden Berges, eines Korallenriffs dunkelsüßer, verbrannter Gedanken, die grün und rot vor ihren Augen leuchteten. Bagaoisan beugte sich zu ihr herunter, als sie an einer Säule angekommen waren; von der Fackel rieselte dunkle Asche und es herrschte eine Hitze, die sich über sämtliche Körperöffnungen legte wie in einer zwanghaften Umarmung. "Das ist Kukuzheil!" Lemeisan folgte mit ihrem Blick der Hand ihres Bruders, wie sie sich auf der Schulter eines jungen Mannes niederließ. Hoch gewachsen und lange, gepflegte Haare, die bis über seinen Rücken reichten; doch die Haut war fahl und gräulich, und sie erschrak, als sie sein verfädeltes Gesicht erblickte "Bagaba, das ist ein ZOMBIE!", brüllte sie, dabei komplett ignorierend, dass dieser direkt neben ihr stand. Bagaoisan lächelte herablassend und tätschelte ihr die Haare; sie duckte sich unter seiner Hand weg, dennoch klopfte er ihr auf den Kopf. "Der ist OK", versicherte er ihr ins Ohr, "er wird auch auf dich aufpassen." "Ein ZOMBIE?!", kreischte sie erneut und versteifte, als sie an den Schultern gepackt wurde. Bagaoisans Stimme wurde ungeduldiger. "Willst du nun feiern oder nicht?" Langsam nickte sie, und er ließ sie los. Stattdessen beugte er sich zum Zombie, und Lemeisan beobachtete angewidert, wie sie sich irgendetwas zuflüsterten. "Na dann", die Stimme des Zombies war erstaunlich tief und deutlich, "lass uns dienen." Zuerst wandte sie sich ab, wollte sich auf eigene Faust durch das Gedränge schieben; doch sie war zu klein, zu fragil, so dass sie letzen Endes durch die Schneise folgte, die Bagaoisan und der Zombie in die Menge trieben. Doch schnell wurde sie das müde, und der Rhythmus trieb sie, und sie sah, wie sie das machten; sie streckte eine Handfläche aus und schob sich hinterher wie der Rest des Kanus auf die Spitze folgt, zuerst noch zögernd, wartend, doch schnell sah sie ein, dass sie mit rücksichtsloser Sicherheit mehr Früchte erntete. Sie wollte näher ran. Näher ran an diese Trommeln, an dieses Treiben, Schwitzen, an den Geruch von sterbenden Palmen und wachsendem Bambus. Feuer flackerte in verschiedenen Farben, die gesichtslose Masse spülte gegen sie an; so mancher Blick nach oben trieb sie schließlich dazu, ihren Kopf in den Nacken zu legen und zu erschrecken vor den komplizierten Bambusstreben, die die hohe Decke über dem Boden hielten, als wäre sie in Gedanken schon beim Ende der Treppe, um mit ihren Füßen doch noch zwei Stufen vorzufinden. Unterhalb der Decke schwankte ein aufgehängtes Podium; mit weißen Schädeln reich behängte Stoffbahnen hingen sachte leuchtend herab, und am Rande winkte eine braun gebrannte Hand, sie trat auf etwas Fest-Glitschig-Lebendiges, das unter der Musik dumpf ächzte, und sprang erschrocken zurück, doch an der Masse prallte sie einfach ab. Ihr Kopf rastete zurück, und ein schlanker, hoch gewachsener junger Mann grimassierte leicht, doch unter Grinsen. Gesicht und Oberkörper waren verziert mit greller Leuchtfarbenornamentik, und seine Haare reflektierten rötlich, wenn das Licht drauf fiel. "Entschuldigung!", brüllte sie mit eben solchem Gesichtsausdruck. Er beugte sich zu ihr vor; dunkle Iriden gegen Augenweiß, "Macht nichts, das macht alles besser." Sein Grinsen wurde breiter, als er einen Becher hob und ihr zuprostete; er nahm einen Schluck und hielt ihn ihr unter die Nase. Ein fast violettes Gemisch, am Grund entfernt gleißend, der Becher halbvoll, über ihm ein grünlicher, herbstlich duftender Nebel. "Willst du auch mal?" Sie schluckte und nickte, und dann schluckte sie noch mal. Über ihr eine Wolke Wasser, um sie herum schwitzende, treibende, heulende Leiber, und sie mittendrin, und in ihr drin der Rhythmus, der sie führte und lobte und trieb und bestrafte und der Scheideweg war zwischen Glück und Verderben, und sie spürte ihre Arme nicht mehr, doch sie sah sie zittern, und sie spürte ihre Beine nicht mehr, doch sie sah sie aufstampfen, und in der dunklen Musik roch es nach Hitze und Mensch und Leib, und sie spürte Hände an sich und tanzte dagegen, und sie sah Kukuzheil lächeln unter den Fäden, und in den Lichtstrahlen spiegelte sich der Atem. Und plötzlich war da die Stimme. Eine weibliche Stimme. Eine dunkle Stimme, eine beschwörende, rauchige Stimme, die aufrief und schrie, deutlicher als all das wilde, martialische Keuchen der Menge; so viel lauter und klarer. Sie rief auf, beschwörte die Loa; Lemeisan starrte auf ihre Glieder herab, alles voller Leuchtfarbe; sie rief sie an, zu kommen, zu besuchen, oh Loa, sich niederzulassen, sie zu erhören, bis es nur noch ein einzelnes, riesiges Facettenwort war, oh Loaloaloaloaloa... Plötzlich fühlte Lemele einen Ruck. Ein heller Ton aus hunderten, hell strahlenden in ihrem Ohr durchbrach ihr Trommelfell; sie wurde sanft, doch mit Nachdruck beiseite geschoben und ein unwirklicher Laut entfloh ihrer Kehle, halb Kreischen, halb Singen und so hell, dass er alles im Raum übertraf. Sie fiel auf die Knie, doch die Menge war bereits hastig nach hinten gerutscht; in ihrem Kreis sah sie sich von oben und von innen, wie sie aus Augen, Nase, Mund weiß leuchtete, dass die Leuchtfarbe an Armen und Beinen wie nächtliche Finsternis wirkten; und sie sah, wie sie ihren Blick über die Massen schwenkte, sich wackelig erhob, den Kopf drehte, ihren Blick auf das Podium unter der Decke lenkte, wo eine volle Frau stand, prächtig aufgeplustert und dennoch so ärmlich und weltlich. "Hier bin ich", sagte sie, und sagte es nicht, "Zameghe Lodyouein, Loa der Katzen und der Rätsel, der Stürme und der Grenzen." Zahlloser Atem rauschte, der Rhythmus wechselte, Menschen gingen auf die Knie. Sie sah auf sie herab mit freundlicher Verachtung. Einer stürzte nach vorne, während sich die Stimmen wieder erhoben, ein harmonisches Durcheinander, das zum Gesang anschwoll. "Lodyouein!", rief er. "So hilf mir, meine Katze ist fort!" Sie nahm seinen Kopf in die Hände, große Hände auf einmal, schwere Hände, doch sie packte nicht fest zu; sie streichelte ihm übers Haar und lächelte ihn an. Ihr Flüstern schwebte mit dem Gesang. "Sieh, was du tun musst..." Heruntergebrannte Fackeln schwelten. Durch Fenster weit oben über den Köpfen fielen Morgenstrahlen und ruhten müde im Raum; und darunter ruhten die müden Massen. Einige bewegten sich noch zu der dumpfen Trommel, stampften auf, sangen, heulten, doch viele taumelten nur noch, saßen oder lehnten gar, hingen an Bechern und fächelten sich in der unerbittlichen Hitze ein wenig Kühle zu. Lemeisan strahlte, und sie hätte schwören können, dass es aus ihr herausstrahlte; noch stärker als in der Nacht zuvor. Sie war so glücklich, als hätte sie gerade ihr erstes Kind geboren; und wie sie an Kukuzheils Brust gelehnt da saß, in seinem Arm saß, ihm in die grellen Augen starrte, wollte sie jeden seiner Fäden küssen, und dann ihn selbst. Sie hob den Kopf und näherte sich; er roch wie nasse Erde und Heimeligkeit. Und er näherte sich auch, und strich ihr durchs Haar, und küsste sie bloß sachte auf den Haaransatz, bevor er den Kopf wieder hob. "Aber erzähl deinem Bruder nicht davon", mahnte er sie halblaut, halb im Spaß, und strich ihr über den Rücken. Sie lächelte nur erschöpft, und dann, gegen seine Brust gelehnt, döste sie ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)