Fensterschreiben von Technomage (Every day is writing day) ================================================================================ Das Mittel schlimmer als die Krankheit (31.08.2009) --------------------------------------------------- Der Versuch einen Plot oder Sinn zu entdecken wird daran scheitern, dass es sich um eine Assoziationsverarbeitung meiner derzeitigen Begeisterung für 'This will destroy you' handelt. Ich wachte zu früh am Morgen auf, ohne jedoch wieder Schlaf zu finden. Sie lag mehr wie eine Staubschicht neben mir im Bett als ein Mensch. Ein Spinnengewebe von der Größe eines Menschen, das sich im Schlaf von mir weggedreht hatte. Keine Übelkeit überkam mich und auch kein tragischer Moment, aber ich ging trotzdem ins Bad. Manchmal verbrachte ich in solchen Momenten viel Zeit damit in den Spiegel zu starren. Heute zog ich mir das T-Shirt und die Shorts aus, die ich zum Schlafen getragen hatte, und stieg mit schlafwandlerischer Sicherheit unter die Dusche. Normalerweise tat ich dies im Dunkeln, weil mich das grelle Licht von Energiesparlampen morgens aggressiv macht. Als ich heute noch einmal aus der Dusche trat, um den Lichtschalter umzulegen, gab die Deckenlampe nur ein mürrisches Zirpen von sich, aber blieb dunkel. Ich wackelte den Schalter einige Male hin und her, jedoch blieb es dunkel. Ich hatte keine Lust durch die halbe Wohnung zu laufen, um die Birne zu wechseln, also stieg ich wieder unter die Dusche. Ich ließ das Wasser im Dunkeln über mich laufen wie ich es sonst auch getan hätte. Das heiße Wasser begann sich zu leeren und kroch mit langsam erkaltendem Unmut über meinen Rücken, als ich das Licht bemerkte. Eigentlich weniger Licht als ein dumpfes Glühen, ein schwaches Leuchten. Es gab dutzende Ausdrücke, um eben jene Art von Licht zu beschrieben. Licht allein war jedoch unzureichend. Zuerst hielt ich es für den grauenden Morgen, den ich durch das Badezimmerfenster sah, doch der blaue Schein kam mir zu gleichmäßig und intensiv vor, als dass ich mir selbst lange glaubte. Ich sah den Fächer blauen Lichts, der durch die Schlitze der Jalousie auf den Boden geworfen wurde, und drehte mehr als beunruhigt das Wasser ab. Ich griff ein Handtuch aus dem Schrank neben der Dusche und einige Minuten später stand ich angezogen auf dem Balkon, der einige Meter versetzt neben dem Fenster zum Bad lag. In einem Stuhl am anderen Ende des Balkons saß eine blau glühende Gestalt. Vielleicht war es auch eher ein blaues Glühen in menschlicher Gestalt. Oder glühendes Blau in menschlicher Gestalt. Vermutlich eine Frage der Perspektive. Es hatte jedoch alle Eigenschaften, die nötig sind, um aufrecht in einem Stuhl zu sitzen. Ich folgte meinem Bedürfnis mich hinzusetzen. Mir fiel ein, dass sie sich im Schlaf quer über das ganze Bett gelegt hatte. Ich hatte mich für einen Augenblick geärgert, dass ich mich unmöglich wieder hinlegen könnte, ohne mir Platz zu machen und sie damit vermutlich zu wiederum ihrem Ärger zu wecken. Die Gestalt schien die Konturen eines haarlos ebenmäßigen Menschen zu haben. Groß und mehr männlich als androgyn. Sie umgab das Glühen wie ein Fell, lang und aufgerichtet wie Igelstacheln; doch war es unmöglich zu sagen, wo die Strahlung aufhörte und der Körper begann. Das Blau hatte einen so glatten und vagen Ton, dass es mir schwerfiel Tiefe oder Dichte auszumachen. Ich könnte nicht sagen wie groß die Gestalt war; ob massiv oder transparent. „Ich habe dich vom Bad aus gesehen.“ Die Gestalt nickte unmerklich, ohne mich anzusehen. Die Bewegung führte sich in einer leichten Schwingung außerhalb des Glühens fort. „Was machst du auf meinem Balkon?“ „Ich bin auf der Reise und ruhe mich hier eine Weile aus.“ Auch wenn ich nicht sagen könnte, ob die Gestalt Augen hatte, kam es mir vor als würde sie versonnen zum Horizont blicken. Der Sonnenaufgang war nicht mehr fern. „Ich meine, was tust du hier? Weshalb?“ „Ich sitze hier. Was meinst du mit 'weshalb'?“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb setzte ich mich ebenfalls auf einen Stuhl und sah über die Silhouette meiner Heimat in der Dunkelheit. Es war eine bewölkte, mondlose Nacht gewesen und würde ein trüber, nebliger Morgen werden. Wenn ich allein hier draußen saß, kam mir die Welt wie ein Grab vor an solchen Morgen. Ich sah das Glühen selbst aus den Augenwinkeln, als stünde die Gestalt direkt vor mir. „Wirst du bald weitergehen?“ Ich könnte nicht sagen, woher ich die Gewissheit nahm, dass die Gestalt ging und nicht flog oder fuhr; oder welche fantastischen Formen der Bewegung sonst denkbar waren. „Ja.“ „Dann erzähl' mir etwas über dich, bis du wieder auf deine Reise gehst.“ Ich zögerte einen Lidschlag und fügte an: „Ich koche uns Tee.“ Die Gestalt nickte wieder und lächelte. Ich könnte nicht sagen, woher ich es wusste, aber sie lächelte. Als ich den Tee heraus auf den Balkon brachte, hatte die Gestalt die Füße auf das Geländer gelegt und war bequem in ihren Stuhl versunken. Sie machte ein dankbares, summendes Geräusch, bevor sie die Tasse nahm und trank. „Also?“ Ich saß selbst mit überschlagenen Beinen dort und wartete darauf, dass mein Tee abkühlte. „Ja?“ „Du wolltest mir etwas über dich erzählen.“ „Warum erzählst du mir nicht etwas über dich?“ Die Gestalt griff nach der Kanne, um sich nachzuschenken. „Du bist ein fremdes Wesen wie ich vermutlich niemals eins sah und nie wieder treffen werde. Was gibt es über mich Wichtiges zu sagen.“ „Das Gleiche könnte ich sagen.“ Es entbehrte nicht einer gewissen Logik, also sprach ich mit der Gestalt wie ich es sonst nur mit wenigen Menschen tat. „Ich habe früher immer gedacht, dass das Leben – die Ängste, die Probleme, die Unsicherheiten – nicht mehr schlimmer werden können. Man sich nicht mehr verlassener und unklarer fühlen kann.“ „Man, das heißt du?“ „Ja, das heißt Ich. Ich dachte, irgendwann kommt die Spitze des Ganzen, an welcher der Eisberg darunter bleibt, aber man nur noch von oben herab sein Verhältnis dazu entwickelt. Klarkommt mit dem Dreck.“ Unkalkuliert, nicht durchdacht, innerlich, tragisch. „Ich meine nicht mal irgendein großes Elend, sondern das Gegenteil. Die kleinen Vagheiten und Befürchtungen. Darauf sollte man... Ich irgendwann blicken können ohne … ach, keine Ahnung. Ich weiß nicht.“ Die Gestalt saß nur neben mir und trank Tee. Ich konnte das Nicken sehen, das mir zeigte, dass sie zuhörte, aber mehr war da nicht. „Früher haben wir immer gesagt, dass wir durch diese oder jene Phase durch müssen und danach wird es besser, weil wir es gemeinsam geschafft haben.“ „Wir, das heißt...?“ „Sie und Ich.“ Ich hätte es der Gestalt nicht besser sagen können, während ich leicht zur Tür hin deutete. Es schien ihr jedoch zu genügen. „Vielleicht wäre es besser, wenn ich nicht meine Erinnerungen mit mir herumtragen müsste und sie Assoziationen und Gedanken aktivieren, die einfachste Dinge unerträglich machen. Wenn einfach nicht viel passiert wäre und es dafür funktionieren würde.“ „Manche Gegenmittel sind schlimmer als die Krankheit.“ Ich starrte die Gestalt an, länger als zuvor. Ich rechnete vermutlich nicht damit, dass sie wirklich mit mir sprach. Vielleicht war ich auch nur überrascht von einer so klaren Aussage. (Später würde mir auffallen, dass alle ihre Aussagen erstaunlich wenig unklar waren.) Die Gestalt erhob sich und ich könnte nicht sagen, wie sie es tat. „Es ist Zeit meine Reise fortzusetzen.“ „Kannst du mir nicht etwas über dich sagen?“ Ich glaube, ich klang nicht einmal sonderlich verzweifelt. „Würde es dir helfen, wenn ich dir sage, dass ich auf Spuren unendlichen Lichts reise?“ „Ja, das würde es genau genommen.“ „Tut mir Leid.“ Ich saß allein auf dem Balkon. Nur mit zwei Tassen, einer leeren Kanne Tee und dem Morgengrauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)