Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 23: Schatten des Kondors -------------------------------- „Was sagst du da?!“ Nalani war entsetzt und Sukutai schlug keuchend die Hände vor den geöffneten Mund, während Tabari und Kiuk sich erbleichend ansahen, dann den Blick wieder auf ihre Mutter richteten, die in der Stube auf der Couch saß, noch immer nur im Nachthemd. „Enola… w-was ist mit Enola passiert?“ fuhr Nalani irritiert fort, „Salihah, sieh mich an!“ Ungeahnt heftig zog sie das Kinn ihrer Schwiegermutter zu sich, sich vor sie und die Couch hockend. Salihah war apathisch, alles, was sie von sich gegeben hatte, waren Worte über Himmelsfeuer, Sinami und Enolas Tod. „Sieh mich an!“ forderte die jüngere Frau abermals scharf und verengte die blauen Augen zu Schlitzen, „Sag uns, was mit Enola und Sinami passiert ist!“ „Flammen und Finsternis…“ murmelte Salihah benommen, „Ich sah… den Tod des Mädchens… die Gutsherrin hat sie vergiftet… Vater Himmel strafte die Familie mit einem Blitz, der das Haus traf und in Brand steckte…“ Dann brach sie ab und die anderen sahen sich gleichermaßen entsetzt an. Puran klebte an Tabaris Hosenbein, seine kleine Cousine hatte sich unter dem langen Nachthemd von Sukutai versteckt. Sie fürchtete den Donner und das Wetterleuchten, das die Nacht hin und wieder erhellte. „Was ist aus Enolas Mann und Tochter geworden?“ wunderte sich Tabari, „Und der Gutsfamilie, die sie aufgenommen hatte? Ich dachte, das Kind sollte den Sohn heiraten oder so? Wieso bringen sie dann Enola um-…?“ Seine Frau strafte ihn mit einem kalten Blick. „Frag nicht so viel auf einmal, deine arme Mutter fiebert ja schon und wird noch durchdrehen!“ Sie drehte sich zur Tür, wo die Frau des Küchenjungen stand. „Bring Fiebertee und einen Lappen, rasch!“ Salihah keuchte nur und sank plötzlich im Sitzen in sich zusammen, vergrub die Hände stöhnend in ihren offenen Haaren. „I-ich sehe Tod, überall, und es stinkt nach verbranntem Fleisch…“ japste sie tonlos, dann wechselte sie mitten im Satz das Thema, „Nein, keinen Tee, bloß nicht, bring mir Laudanum! – Enolas Mann und die Tochter sind in die Finsternis gefallen… ich kann sie nicht mehr sehen… n-nicht… nicht das Himmelsfeuer, das ich meinte, das ist anders… wo bleibt mein Laudanum, dummes Mädchen?!“ Nalani fasste ihre wirr vor sich hin redende Schwiegermutter sanft an den Schultern, setzte sich dann neben sie auf die Couch und zog sie in ihre Arme. „Beruhige dich!“ sagte sie leise, aber mit Nachdruck, „Komm zu dir, der Traum ist vorbei, Mutter! – Kiuk, Tabari, vielleicht solltet ihr nach Tuhuli, wenn mit Enola wirklich etwas passiert ist, wird dort der Bär los sein.“ „Ich will mitkommen!“ rief Puran unverhofft und fing sich perplexe Blicke. Er keuchte und trat verunsichert zurück. „I-ich… ich habe auch den Blitz über der Stadt gesehen, u-und das feuer-… und…“ „Das haben wir alle,“ fiel sein Vater ihm streng ins Wort, „Selbst ich ausnahmsweise mal, die Geister sind gnädig zu mir; du bleibst auf jeden Fall hier, ist das klar?“ „Aber Vati-…!“ „Schluss jetzt! Kiuk, bring uns hoch nach Tuhuli, du bist hier der Telepath!“ Ehe der kleine Sohn noch protestieren konnte, waren sein Vater und sein Onkel verschwunden. Dafür kam das Dienstmädchen mit dem Laudanum für die Großmutter zurück. Sinami war taghell erleuchtet von den Flammen, die aus dem Gutshaus schossen und das riesige Anwesen fraßen, sofern noch etwas davon übrig war. Die ganze Stadt war in hellem Aufruhr, als Nomboh und Meoran sie erreichten und in Abstand zur Mauer des Anwesens ihre Pferde bremsten. Die Nacht war fast um. Schon ewig trieben sie ihre Pferde nach Westen, dann, vor einigen Augenblicken war plötzlich dieser monströse Blitz aus dem Himmel direkt in die Stadt geschlagen, da hatten sie sich noch mehr beeilt, um jetzt diese Misere vorzufinden. „Scheiße,“ war alles, was Meoran sagen konnte, und er hustete und sah sich hektisch um. Die Feuerwehr war schon zur Stelle und versuchte mit Hilfe von Wasserzaubern oder Wasser aus Brunnen, den Brand von außen zu löschen, entsetzte Anwohner standen überall herum. „Hin, los!“ machte Nomboh Chimalis knapp, sprang vom Pferd und kämpfte sich gefolgt von seinem Sohn zu Fuß durch die Menschen. „Was ist mit den Leuten, die hier wohnten?!“ fragte er sich durch, „Wo sind die Menschen?!“ „Das ist das Haus, oder?“ Meoran wagte kaum, es auszusprechen, „Das Haus, in… dem meine Cousine und ihre Familie…?“ „Still jetzt!“ fiel sein Vater ihm nervös ins Wort, als sie das halb zerfetzte Tor erreichten. Einer der Feuerwehrmänner versuchte, sie aufzuhalten, aber nachdem Nomboh mit einer Alara die brennende Tür gelöscht hatte, riss er sich aus dem Griff des Mannes los und kämpfte sich durch die Trümmer in den Hof des Hauses. Meoran folgte ihm hustend durch eine Rauchwolke. Es waren die Geister, die ihm sagten, dass das das Haus was, nach dem sie gesucht hatten. Nach dem sein Onkel seit Jahren suchte, dieses eine haus, in dem seine Cousine Enola mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter wie in einem goldenen Gefängnis lebte… Tat sie das? Er blieb unverhofft stehen, als sein Vater vor ihm zum Stehen kam, inmitten des brennenden Innenhofes. Hof konnte man das nicht nennen, es war eine Wüste aus Feuer, Asche und Trümmern. Und mitten in dieser Wüste stand sein Onkel, sein schwarzer Mantel war weiß von Staub und Asche. Zu seinen Füßen lag eine junge Frau. „Enola!“ schrie Meoran zuerst, ignorierte die Warnung seines Vaters und stürzte nach vorne zu seiner Cousine am Boden, nahm ihren Kopf auf den Schoß und schnappte verzweifelt nach Luft. „Enola, d-das ist doch nicht euer Ernst! Wach auf, du blöde Kuh! Wach schon auf, komm schon, d-du bist doch nur bewusstlos! Du bist…“ Er griff zitternd nach den Wangen der hübschen Cousine. Sie waren schmutzig und eiskalt, ihr Körper war bereits erstarrt wie erfroren. Sie musste schon die ganze Nacht lang tot sein. Während der junge Mann keuchend und schluchzend seine tote Cousine umarmte, sah deren Vater verbittert auf sie beide herab, bis Nomboh zu ihm kam und ihn unsicher an der Schulter fasste. „Wir… sind zu spät…“ murmelte er dabei, „Es tut… mir so schrecklich leid, Bruder.“ Zoras kniff die Lippen zusammen und legte heftig einatmend den Kopf in den Nacken, allem Anschein nach mit größter Anstrengung versuchend, standhaft zu bleiben. Nomboh kannte seinen Bruder, und er senkte ebenfalls bebend vor Trauer den Kopf. „Zoras, hör damit auf,“ presste er hervor, „Du… du kannst nicht tapfer sein, wenn deine Tochter… Tehyas Tochter…“ Er vermochte es nicht auszusprechen. Er wollte nur sichergehen, dass sein Bruder wusste, dass es ihm niemand nachsehen würde, wenn er jetzt schrie und weinte. Aber Zoras zuckte und reagierte ganz anders, als Nomboh oder Meoran es erwartet hätten. Er begann plötzlich schallend zu lachen. Es war ein falsches Lachen, ein übles, garstiges Lachen, und in diesem Moment fragte Nomboh sich, ob sein Bruder den Verstand verloren hatte. Als der Ältere zu ihm herumfuhr und ihn angrinste, noch immer gackernd und irre kichernd, war sein Blick nicht der, den Nomboh von seinem Bruder kannte. Das war nicht sein Bruder. Das war irgendein Gefäß für die Launen der Windgeister, die ihn besaßen und ihn zu einer grauenhaften Marionette machten. „Ich… habe sie alle umgebracht!“ gackerte Zoras Chimalis und brach wieder in schallendes Gelächter aus, „Ich habe diese… diese Hure mit einem Blitz zu Aas gemacht, diese Nutte, die meine Tochter ermordet hat! Diese verdammte Schlampe, diese Schande des Lebens, und ihr verdammtes Haus, jede einzelne Mauer brennt und nichts wird übrig bleiben für das, was diese Familie… meiner angetan hat! Dafür, dass sie meine Tochter zur Putze gemacht haben, dass sie ihr ihr Kind wegnahmen, dass sie sie töteten, ich habe sie den verdammten Zorn der Himmelsgeister spüren lassen!“ „Z-Zoras…!“ machte Nomboh fassungslos über diesen Ausbruch. Das Lachen erstarb, und jetzt brüllte sein Bruder ihn wutentbrannt an, so laut, dass die ganze Stadt es hätte hören können: „Und ihr vermaledeites Kind, diesen verlausten Bengel, der meine Enkelin bekommen sollte, das ist genauso tot, ich habe sie alle umgebracht! Ich habe diese Nutte verbrannt und sie hat im Moment des Todes vor Qual geschrien, und weißt du was?! Es hat mir Spaß gemacht, sie leiden zu lassen, es hat mir verdammt noch mal Spaß gemacht! TU DOCH WAS, NOMBOH, DU DRECKSKERL, ICH LACHE, WÄHREND MEIN KIND TOT VOR MEINEN FÜSSEN LIEGT!“ Er wurde immer lauter und bedrohlicher und der Jüngere trat verunsichert einen Schritt zurück, als sich Zoras‘ Gesicht vor Wahnsinn verzerrte und er ohne etwas damit zu sagen zu schreien begann, er schrie sich die Lunge aus dem Leib, er schrie den Namen seiner Tochter, die er für immer verloren hatte, er schrie und verfluchte die Geister, die ihn nicht früher gewarnt hatten, die ihn hatten mit ansehen lassen, wie seine Tochter sterben musste, die zugelassen hatten, dass er sie tot fand, dass er zu spät kam. Er hasste sie, die Geister, den Himmel und die Erde, er hasste sie und er wollte sie zerstören für diese Schmach… aber das konnte er nicht. Er war nur ein Mensch… Meoran hatte die Leiche seiner Cousine hoch genommen und sich erhoben, während er erbleichend seinen wahnsinnigen Onkel anstarrte. Nomboh wünschte sich plötzlich, Salihah würde kommen. Salihah, Zoras‘ ewige erste Geliebte, vielleicht die Einzige, die ihm jetzt helfen konnte. Wenn Salihah es nicht konnte, dann könnte es niemand, so viel war ihm klar. Salihah kam nicht. Aber dafür ihre Söhne, als der Morgen angebrochen und die Sonne fast ganz aufgegangen war. Das Feuer hatte sich gelegt und nach einiger Überzeugungsarbeit hatten Kiuk und Meoran es geschafft, die Anwohner und Feuerwehrleute wegzuschicken, bis alles weitere geklärt war. Die Aasfresser kamen schon, um das verkohlte Fleisch der Gutsherrin und der Angestellten im Hof und in den Trümmern anzupicken. Niemand verjagte die Geier, sollten sie doch fressen. Nur an Enola ließen sie keine Tiere, Meoran hatte sie in seinen Mantel gewickelt, damit sie nicht so leichte Beute wurde. Da lag sie nun tot in dem Mantel am Boden, ihr Vater lag wie ein verwundetes Kind weinend neben ihr und knuddelte die Leiche. Er hatte zu schreien aufgehört, aber vermutlich lag das daran, dass er kaum noch Stimme hatte. Um ihn herum standen Nomboh, Meoran, Tabari und Kiuk und wussten nicht weiter. „Niemand weiß, was Enolas Mann und der Tochter ist,“ meinte Nomboh dumpf, „Sie waren nicht hier, als Zoras kam, als er Enola tot fand und das haus mit einem Geisterblitz zerstörte, ebenso wie die Frau, den Sohn und das gesamte Personal. Ich glaube, den Vater, also den Gutsherren, hat er auch übersehen, zumindest hat er von dem nicht gesprochen, sofern er bei Verstand redet, meine ich.“ „Ich bin nicht gestört!“ heulte Zoras am Boden und vergrub jammernd das Gesicht in Meorans Mantel, „Ich bin nicht geisteskrank, vergleiche mich nicht noch mit Kelar! Spieß mich doch gleich auf, das ist etwa gleichwertig! – Der Mann ist geflohen, ich sah ihn zur Hintertür hinaus rennen, ich hatte keine Lust, ihn zu verfolgen…“ Das erklärte wenigstens das, aber wo waren Kotori und das Kind? Nomboh befürchtete ja, dass sein Bruder in seiner rasenden Wut und seinem Wahnsinn vergessen hatte, dass sie auch im haus sein müssten, als er es angezündet hatte. Was, wenn die beiden also auch…? Er hielt es für besser, das nicht anzusprechen. Nicht jetzt. Wer wusste, was Zoras machen würde, würde man ihm unterstellen, seinen Schwiegersohn und seine Enkelin selbst ermordet zu haben? „Dann teilen wir uns auf und suchen sie!“ schlug Tabari vor, „Sie werden wohl kaum lange fort sein, wenn Enola diese Nacht hier war, wenn sie geflohen sind, kann es nur kurz vor dem Blitz gewesen sein, dann können sie nicht weit sein!“ „Das ist eine gute Idee,“ meinte Meoran dumpf, „Am besten, du und ich suchen, Tabari, Kiuk, bitte hilf meinem Vater, meinen Onkel und Enola nach Tuhuli zu bringen, per Teleport seid ihr viel schneller, und…“ Er senkte kurz verlegen den Kopf, ehe er fortfuhr: „Vielleicht solltet ihr Salihah holen, vielleicht hilft die meinem Onkel, wieder zu Verstand zu kommen…“ „Ich bin nicht gestört!“ brüllte Zoras verzweifelt und fing plötzlich an, in die Leiche zu gackern, an die er sich klammerte, „Sie ist tot, verdammt, ich habe meine Frau und meine einzige Tochter verloren, da darf ich ja wohl neben mir sein! Da darf ich ja wohl heulend am Boden liegen und eine Leiche umarmen! Du ehrloser Mistkerl, Meoran!“ Meoran schnappte verletzt nach Luft, während Nomboh ihm mit einem Blick sagte, dass Zoras das nicht so meinte. Kiuk seinerseits räusperte sich. „Bei allem Respekt,“ sprach er, obwohl Meoran jünger war als er, „Meine Mutter wird im Moment keine Hilfe sein. Die wird daheim berauscht von Fieber und ihren Drogen im Bett liegen, von meiner Schwägerin betüdelt werden und wirres Zeug reden. Sie… wird alt, sie ist durcheinander.“ Meoran seufzte resigniert. „Ja… ich verstehe. Wir sollten uns an die Arbeit machen.“ Sukutai hatte die Kinder wieder ins Bett geschickt, obwohl es bereits hell geworden war, ehe sie sich mit Nalani um Salihah gekümmert hatte, der es nicht sonderlich gut ging. Puran ging es auch nicht gut. Er konnte nicht schlafen, er war verwirrt und verstand nicht, was passierte. Nur, dass es schlecht war. Die Geister sagten ihm, dass es schlecht war und dass es schlechter werden würde, das machte ihm Angst, während er im Morgengrauen in seinem Bett lag und krampfhaft versuchte, einzuschlafen. Er wäre jetzt gerne zu seinen Eltern ins Bett gekrabbelt… leider waren die beide wach und nicht im Bett. Als die Zimmertür aufging, dachte er zuerst, seine Mutter käme, dann erkannte er seine blasse Cousine, die bitterlich weinte. „Alonachen… w-was hast du?!“ fragte er sie bestürzt und setzte sich auf. Das kleine Mädchen hickste und schluchzte und wischte sich mit den Ärmeln über das gerötete Gesicht. „Ich habe Angst und kann nicht einschlafen!“ heulte sie unglücklich, „D-darf ich bei dir schlafen…? Bitte…“ Er starrte sie verwirrt an. Das hatte sie noch nie verlangt; Alona war ein sehr tapferes Mädchen. Sie weinte selten so wie jetzt und schlief auch immer brav durch, sie war viel tapferer als er selbst, fand er. Und er war immer etwas neidisch darauf gewesen, dass sie als Mädchen stärker war als er, obwohl er doch ein Junge war. Aber das hier war anders. Sie hatte wirklich Angst, sie zitterte und schniefte in einem fort. Der Junge rutschte in seinem Bett zur Seite und schlug die Bettdecke zurück. „Klar darfst du,“ machte er, „Komm her. Ich kann auch nicht schlafen, vielleicht ist es gut für uns beide, wenn du bei mir bleibst. Soll ich dich etwas in den Arm nehmen?“ Sie nickte heftig, als sie zu ihm ins Bett krabbelte und sich an ihn kuschelte. „Schlimme Dinge passieren, Puran…“ nuschelte sie gegen seine Brust, „Ich fürchte mich…“ „Das tun wir alle, glaube ich…“ antwortete er dumpf. Salihah saß in ihrem Bett und redete kein wirres Zeug mehr. An den Fußenden des großen Bettes saßen Sukutai und Nalani, und gemeinsam warteten die Frauen auf die Rückkehr der Männer und Neuigkeiten. Die Schwiegermutter hatte sich ein Gläschen gelöstes Laudanum nicht nehmen lassen und Nalani hatte irgendwann genervt ihrem Verlangen nachgegeben, obwohl sie am liebsten sämtliche Vorräte des Höllenzeugs verbrennen würde. Jetzt trank die Älteste immerhin nur noch Wasser. „Ich habe den Tod des Mädchens gesehen in meinem Traum, und den Blitz, der das Haus traf… so voller… Zorn und Verzweiflung, ich konnte die Wut der Himmelsgeister richtig wahrnehmen im Traum…“ Salihah unterbrach sich und ihr Blick schweifte stumm zu den beiden Schwiegertöchtern am Fußende des Bettes. Nalani senkte den Kopf. „Zoras war da, oder?“ hörte sie sich selbst fragen. Sukutai sah sie ungläubig an. „D-du meinst, der Blitz kam-…?“ hauchte sie und vermochte es nicht auszusprechen, Nalani strich gedankenverloren ihr Nachthemd glatt. Sie fragte sich, wie sie reagiert hätte, wenn sie erführe, ihr Sohn wäre tot… sie wollte gar nicht genauer darüber nachdenken. Ihr Kind tot, unvorstellbar… sie würde eher selber sterben oder sogar über Leichen gehen, wenn sie dadurch verhindern würde, dass ihr Kind starb, dachte sie sich, einen Moment später kam sie sich grauenhaft vor. Wie konnte sie es wagen, so zu denken? Jeder musste sterben, auch ihr Sohn würde eines Tages sterben; sie hoffte nur, dass sie es vor ihm täte, damit sie nicht miterleben müsste, wie ihr Kind den Tod fand… „Wir sollten nach Tuhuli und zumindest unser Beileid aussprechen, oder?“ fragte sie dann dumpf, um ihre grausigen Gedanken zu unterbrechen. Salihah nippte an ihrem Wasserglas. Ihr Zustand hatte sich etwas stabilisiert, aber sie war immer noch ungesund blass im Gesicht. „Nicht jetzt,“ antwortete sie, „Zu viele Leute auf einmal wären nicht gut. Ich kenne Zoras, er wird niemanden sehen wollen.“ Sie addierte gemurmelt, sodass die beiden Jüngeren es nicht verstehen konnten: „Nicht einmal mich.“ Ein düsterer Schatten lag über ihren inneren Augen und machte sie schlechter denn je, als sie sich durch das Fieber heiß und müde fühlte. Es waren schlechte Zeichen… der Blitz über Sinami war nicht das Himmelsfeuer gewesen, das sie seit Monden fürchtete, von dem sie träumte und das sie nicht einordnen konnte. Als Tabari und Kiuk zurück ins Anwesen kehrten, war Mittag vorbei. Zum Glück war Sonntag und Puran hatte nicht zur Schule gemusst; die beiden Kinder spielten gemeinsam im Garten des Schlosses, als die Väter kamen. Nalani begrüßte ihren Mann unverhofft überschwänglich mit einer stürmischen Umarmung. „Was denn, womit verdiene ich die denn?“ wunderte der Blonde sich konfus, und sie schmiegte sich schweigend an ihn und vergrub das Gesicht in seiner Schulter. Sie fühlte sich nicht wohl bei all dem Übel, das geschah, sie hätte am liebsten den Rest des Tages nur in seinen Armen gelegen. Das würde sie nie vor ihm zugeben, dazu war sie zu stolz, aber sie war froh gewesen in dem Moment, in dem er heim gekommen war. Tabari fragte nicht weiter nach, als sie an seinem hals hing und sich stumm umarmen ließ. Er wusste, sie würde ohnehin nicht antworten, so schloss er sie etwas erschöpft in seine Arme und küsste ihre Wange. „Ich… hab dich auch vermisst, meine Liebe,“ sagte er dann dumpf, während sie sich mit leichtem rosa Schimmer auf den Wangen von ihm löste und sich ein paar widerspenstige Strähnen hinter die Ohren strich. „Deiner Mutter geht es besser,“ sagte sie, „Was war in Sinami?“ Ihr Mann seufzte tief und kratzte sich dann am Kopf. „Gehen wir in die Stube? Ausnahmsweise trinke ich glaube ich auch mal Kaffee, ich schlafe sonst im Stehen ein. Das war eine lange Nacht…“ „Die beiden anderen sind verschwunden?“ war Sukutais entsetzte erste Frage auf den Bericht der beiden Männer hin, während sie gemeinsam in der Stube saßen. Sogar Salihah war wieder auf, nur die Kinder spielten draußen. Der Küchenjunge bewachte die beiden, damit nichts passierte. Jetzt, wo Nalani schmerzlich bewusst geworden war, dass nicht zwingend die Ältesten zuerst starben, wollte sie auf keinen fall, dass ihr Kind länger als nötig unbeaufsichtigt war; vermutlich würde sie deshalb später wieder mit ihrem Mann aneinander geraten, der ihre Paranoia satt hatte, aber dafür war jetzt keine Zeit. „Meoran und ich haben fast den ganzen Kreis Dekin abgegrast, sie waren nirgends, weder Enolas Mann noch die Tochter. Wir haben jeden Menschen in ganz Sinami nach ihnen gefragt, aber niemand hat sie gesehen…“ „Wie bitte?“ machte Sukutai, „Aber das würde ja heißen, dass sie zusammen mit dem Anwesen…?!“ „Wir haben auch gewartet, bis die Feuerwehr die Trümmer des Anwesens durchsucht hat, wir haben selbst noch mal gesucht, wenn sie nicht völlig verkohlt sind durch den Blitz, sind sie vom Erdboden verschluckt…“ sagte Tabari unglücklich. Nalani verengte die Augen. „Vielleicht sind sie das wörtlich,“ warf sie ein, „In meinem Traum sind sie in eine Finsternis gefallen, Gesichtslos, aber ich habe trotzdem gewusst, dass sie es waren… das Mädchen hatte lange, schwarze Haare.“ „Solche Mädchen gibt es ja wie Sand am Meer,“ meinte Tabari verdrossen, „Sieh dich selbst an, meine Mutter, Meorans Verlobte, alle haben schwarze Haare. Wenn ich ein schwarzhaariges Mädchen sehe, kann ich es doch nicht bei jeder Gelegenheit fragen, ob es Enolas Tochter ist…“ „Sie sind in den Schatten gefallen?“ keuchte Sukutai und trank hastig ihren Tee aus, „D-das kann nur ein Zeichen von verderben sein, etwas ganz Furchtbares muss mit ihnen ge-…“ Salihah unterbrach sie. Ihre stimme war kalt und leise, aber trotzdem durchbrach sie Sukutais Geplapper. „Sie sind am Leben, alle beide.“ Die ältere Frau hob kurz das Gesicht und sah die ungläubigen Blicke der anderen auf sich ruhen. „Ich habe sie gesehen…“ Tabari starrte seine Mutter fassungslos an. „Und das fällt dir jetzt ein?!“ fuhr er sie ungeahnt heftig an, „Hättest du das nicht sagen können, bevor wir nach Tuhuli gegangen sind?!“ „Tabari!“ empörte Nalani sich, und Kiuk seufzte. „Idiot,“ machte er zu seinem Bruder, „Wenn sie das da schon gesehen gehabt hätte, hätte sie es doch gesagt!“ Die Mutter bewahrte vollkommene Ruhe. „Höre auf deinen klugen jüngeren Bruder,“ zog sie ihren Erstgeborenen auf und Tabari brummte missgelaunt. Wieso hackten immer alle auf ihm herum? Er kam sich veräppelt vor; und Nalani war doch Schuld an seiner Verblödung, er war sich ganz sicher! Er würde ihr das bei Gelegenheit heimzahlen, beschloss er grantig. Salihah setzte sich aufrecht hin und nippte an ihrer Teetasse. „Du fragst dich, wo sie dann sind… ich kann es dir nicht sagen. Alles, was ich weiß, ist dass sie leben, auszumachen vermag ich sie nicht. Der Vorhang vor meinen inneren Augen wird dunkler und schwerer mit jedem Tag, den ich lebe.“ „Und… Zoras und die anderen?“ fragte Sukutai nach einer bedrückten Pause und sah zu ihrem Mann, „Wie geht es ihnen? Das ist alles so furchtbar…“ „Was für eine Frage,“ murmelte Tabari schnippisch, „Wie würde es dir denn gehen, wen du deine Tochter ermordet in irgendeinem Gutshaus findest?“ Sukutai wusste darauf keine Antwort. Niemand wusste eine und eigentlich brauchte auch niemand eine. Die nächsten Tage waren schlimm, selbst die Kinder spürten die bedrückte Stimmung. Puran war ein sensibles Kind und schlechte Stimmungen übertrugen sich schnell und gern auf ihn, wie in dem Moment im Kirschmond, der begonnen hatte. Eigentlich war schönster Frühling in Dokahsan, aber im Schloss herrschte immer noch Winter, so kam es dem Jungen vor. Er hatte Enola nicht wirklich gekannt; aber sterben war schlimm. Plötzlich wurde einem klar, dass alles einmal zu Ende war. Jeder Mond, jedes Jahr, jeder Tag hatte ein Ende. Aber im Gegensatz zum Mond, dem Frühling oder der Sonne wurden Menschen nicht wiedergeboren, wenn sie tot waren. Nur ihre Geister konnten überleben, indem man späteren Kindern ihre Namen gab. Der Junge war so in seine Gedanken vertieft, dass er nicht mal mitbekam, dass die Pausenglocke läutete und seine Klassenkameraden schon grölend den Raum verließen. Frau Kalih redete vor ihrem Pult unwichtige Dinge wie über Hausaufgaben, er lag mit dem Kopf auf seinem Mathematikheft und hörte nicht zu. Zumindest solange nicht, bis er einen Schlag auf den Hinterkopf bekam und die Stimme seines Freundes Kannar über sich hörte, der von seinem Platz gekommen war. „Pause, du Schlafsack!“ gackerte der Heiler, „Schnarch nicht so laut, Puran!“ Puran hüstelte und richtete sich auf, bevor er sich verlegen am Kopf kratzte und verpennt zu Travi neben sich schaute. „Schnarche ich echt?“ Travi schüttelte mit vollem Mund den Kopf. Kannar gackerte vor sich hin, Puran gähnte und verschluckte sich vor Schreck, als Kannar ihn plötzlich heftig rüttelte. „Hey, sieh mal,“ machte Kannar und zeigte nach vorn, ehe er flüsterte, „Ich glaube, Stummchen will irgendwas von dir…“ Puran brauchte etwas, um zu begreifen, dass Kannar Madanan meinte, der vor seiner Bank stand und verstohlen herüber sah, ohne sich recht zu trauen, dazu zu stoßen, wie es aussah. Puran wollte gerade überlegen, ob er hinüber gehen sollte, da rang sich der Schwarzhaarige von selbst dazu durch. Inzwischen waren fast alle Kinder aus der Klasse gerannt, um draußen zu toben. Frau Kalih ermahnte die letzten gerade, langsam mal hinaus zu kommen. „Ähm…“ begann Madanan kleinlaut und scharrte mit dem Fuß sinnlos auf dem Boden herum, „Kommst du mit raus, Puran?“ Der Junge schenkte Kannar einen schrägen Blick und der Heiler zog eine Braue hoch. „Was guckst du, hast du was?“ kam die patzige Antwort, und Madanan hustete, Puran erhob sich und gähnte erneut. Ja, richtig, da waren Madanan und seine komischen älteren Freunde gewesen, die mit ihm zaubern wollten. Eigentlich wollte Puran immer noch nicht zaubern; das einzige, was ihn reizte, sich mit diesen seltsamen Leuten abzugeben, waren die Gedanken daran, dass Madanan ihn aus einem Grund, den er nicht kannte, besser verstand als alle anderen… selbst besser als Kannar, dachte er, als er wieder zu seinem Freund sah, den Madanan missbilligend musterte. Die beiden mochten sich wohl nicht… „Kommt ihr beiden eine Pause lang ohne mich aus?“ fragte er Kannar und Travi dann verlegen, „Ist nicht böse gemeint, ich… bin nur…“ Er verstummte. Was war er? Deprimiert, weil eine Frau gestorben war, die er nicht mal gekannt hatte? Aus Solidarität seiner Familie gegenüber? Er fühlte sich komisch dank seiner Träume, dank der Umstände… er hatte einfach das Gefühl, dass er sich bei dem stummen Kerl besser fühlen würde als bei seinen albernen Freunden. „Ja, ja, lass uns nur,“ machte der eine alberne Freund namens Kannar da gerade theatralisch, „Lass uns hier sitzen, ohne uns kannst du es schaffen!“ Der Junge entschied, sie wirklich da sitzen zu lassen; wie es aussah, meinten sie es nicht wirklich ernst oder böse. Es waren eben Kannar und Travi… „Du bist still in den letzten Tagen,“ wagte Madanan zu bemerken, als sie das Schulgebäude verließen und offenbar auf dem Hof nach Umar, Narya und den anderen suchten. Puran seufzte. „Bist du doch auch.“ „Das ist anders… ich bin es immer, du nicht. Ich sollte mir nicht anmaßen, mir darüber Gedanken zu machen, aber… ist etwas geschehen?“ Puran blinzelte und blieb stehen. Der Kerl konnte Gedanken lesen, oder? Er seufzte und sah auf seine Füße, als er verhalten antwortete. „An sich nichts, was mich betrifft, es-… ist nur… eine Bekannte meiner Familie ist gestorben und alle sind deswegen niedergeschlagen, und irgendwie steckt mich sowas immer so an…“ Die Jungen schwiegen kurz und lauschten dem Lärmen der anderen Kinder auf dem Hof. Madanan sah jetzt auch betreten zu Boden und scharrte wieder mit dem Fuß auf dem Boden herum. „Ich weiß, was du meinst…“ nuschelte er, offenbar verlegen, „Wenn jemand stirbt, ist das immer unangenehm, egal, wie gut man ihn gekannt hat; je besser man ihn kannte, desto schlimmer, meine ich. Ist bei uns auch schon vorgekommen.“ Puran sah ihn schweigend an. „Was hast du für ein Problem mit Kannar?“ hörte er sich dann fragen, und kurz zuckte sein Gegenüber etwas zusammen. Als Madanan antwortete, kratzte er sich ratlos am Kopf. „Ich hab nichts gegen ihn… nicht direkt. Ich-… habe nur ein Problem mit Heilern allgemein, Kannar kann da nichts für… es tut mir auch leid, dass ich automatisch grimmig werde, aber ich kann es nicht abstellen, egal, wie sehr ich es versuche.“ Er seufzte tief und ging dann weiter. „Komm, Umar haut mich, wenn ich dich nicht endlich mal mitbringe, die anderen fragen mich schon immer, wann du mal kommst!“ Puran beeilte sich keuchend, ihm zu folgen. Eine Frage hatte er dann doch noch: „Wieso hast du was gegen Heiler? Was ist denn mit denen?“ Madanan schwieg kurz. „Sie sind zu langsam. Und nie da, wenn man sie dringend braucht.“ Während Puran in der Schule war, hatte seine Großmutter sich selbst eine wichtige Aufgabe gestellt. Sie wollte Zoras Chimalis in Tuhuli besuchen, jetzt, wo es mehr als eine Woche her war, dass Enola gestorben war. Als sie ihrem Geliebten nach dieser zeit zum ersten Mal wieder gegenüber stand, sahen sie beide zunächst einen Fremden in ihrem gegenüber. Zoras sah furchtbar aus, als er sie in der Stube empfing, seine Augen waren trübe und unausgeschlafen, als hätte er Nächtelang wach gelegen und um seine Tochter getrauert. Sie würde ihm das nicht verübeln. Und er seinerseits… „Du bist ja furchtbar blass, bist du gesund, Salihahchen?“ war seine dumpfe Begrüßung. Außer ihnen beiden war niemand in der Stube. Das Hausmädchen war in der Küche und kochte provisorisch Kaffee, während Meoran sich mit dem seltsamen Lehrling herum schlug, Nomboh in Tuhuli unterwegs war und Keisha im Frauenzimmer mit Ruja gemeinsam nähte. „Ich bin in Ordnung,“ sagte die schwarzhaarige Frau dumpf und schwieg eine Weile. „Wir brauchen keine Worte über die letzte Woche zu verlieren, denke ich. Es sei denn, du möchtest darüber sprechen. Du wolltest nicht, dass ich komme, und ich bin nicht gekommen. Jetzt bin ich auch nur hier aus Sorge um dein Wohlbefinden, Zoras. Du siehst kränker aus als ich und das will was heißen; ich weiß selbst, dass ich wie eine Mumie ausschaue, ich werde eben langsam alt und hässlich wie eine verdorrte Dattel.“ Er schnaufte und bot ihr einen Platz auf dem Sofa an. „Du wirst nie eine verdorrte Dattel für mich sein, Salihah. Eher ein hübscher, runder Flaschenkürbis. Verdorrte Datteln sind schließlich faltig.“ Sie räusperte sich. „Warte noch etwas, dann bin ich das auch. Schönheit währt nicht ewig, mein Liebling.“ „Innere schon,“ sagte er leise und sie sah verblüfft, dass er leicht errötend wegblickte. Schweigend saßen sie eine Weile da. Das Hausmädchen brachte Kaffee. „Das Zeug gibt es sogar in Sinami inzwischen,“ erklärte der Mann nebenbei und goss ihnen beiden Kaffee in Tassen, „Es verbreitet sich offenbar in Dokahsan, das ist erfreulich. Wie haben die Menschen es denn ohne Kaffee ausgehalten?“ „Du hast es auch, bis du im Süden warst,“ war ihr Kommentar, als sie an ihrer Tasse mit dem dunklen Getränk nippte. Er seufzte. „Als ich noch mal in Sinami war wegen des Anwesens und des Abrisses der Trümmer, habe ich welchen gekauft, die führen das zeug im Teeladen,“ erzählte er recht emotionslos und zwang sich, zu lächeln. „Teeladen, ich habe an dich und unsere Teestube denken müssen und mich geärgert, dich nicht auf der Stelle sehen zu können, um dich ein wenig unsittlich lieb zu haben…“ Sie musste ehrlich lächeln, weil er es inzwischen auch tat, es kam einfach automatisch. „Hast du keinen Schluckauf bekommen, weil ich so an dich gedacht habe?“ „Wann war das denn?“ „Am Donnerstag.“ „Ah, hm, da hatte ich glaube ich tatsächlich Schluckauf,“ sagte sie glucksend, und er grinste kurz. „Dann weißt du ja jetzt, wieso.“ „Ja, du bist Schuld. Bist du ja meistens, wenn etwas ist.“ Er nickte kurz und sie tranken schweigend Kaffee. „Du warst danach noch mal in Sinami?“ fragte sie dann nach einer peinlichen Pause. Wie verhielt man sich in diesem Fall? Als ihr Mann gestorben war, war es anders gewesen; das, was Kelar und sie verbunden hatte, war nicht zu vergleichen mit der aufrichtigen Liebe eines Vaters zu seiner einzigen Tochter. Sie waren beide verklemmt und niemand traute sich, wirklich Wichtiges auszusprechen. Stattdessen dümpelten sie umeinander herum wie balzende Enten. „Ich war nur wegen des Anwesens dort,“ sagte er, „Ich schulde der Stadt schließlich Geld für den Schaden. Das war es mir wert und ich bereue nichts von dem, was ich in dieser Nacht getan habe. Ich habe dem Kopf der Stadt das Geld gegeben, Kaffee vom Wechselgeld gekauft und bin heim gefahren. Ich werde diese Stadt nicht mehr mit der Kehrseite ansehen.“ Salihah nickte. „Der Gutsherr ist noch am Leben irgendwo, nicht wahr? Meine Augen sind grauenhaft schlecht und so gut wie blind, es sind nur noch Bruchstücke von Wahrheiten, die ich sehe.“ „Ja, der Bastard lebt noch irgendwo. Soll es von mir aus da hin gehen, wo der Pfeffer wächst. Ich werde ihm nicht nachjagen… soll er leben und spüren, wie das ist, seine Frau und sein Kind zu verlieren durch die hand anderer Menschen.“ Salihah sagte darauf nichts. Es war ungewohnt, ihn so verbittert zu erleben… Zoras war ein sehr friedlicher und geduldiger Mensch normalerweise. Sie kannte ihn seit seiner Jugend und wusste das sehr genau. Tehyas Tod vor Jahren hatte ihn verändert… und der Tod seiner Tochter würde es erneut tun. Es waren keine guten Zeichen. Als Salihah stumm ihre leere Tasse weg stellte, lehnte Zoras sich kurz zurück. „Ach ja,“ fiel ihm ein, „Bitte entschuldige mich bei Tabari und den anderen, dass ich niemandem Bescheid gesagt habe, als wir Enola bestattet haben. Ich… war egoistisch, ich wollte niemanden da haben, mein Bruder und seine Bagage da haben mir schon gereicht. Bitte vergebt mir, Salihahchen… ich hoffe, du verstehst das.“ „Das tun wir alle,“ behauptete sie. „Na ja, Meoran kam gestern und meinte, Tabari hätte vor drei Tagen in Yiara auf dem Rat gemeckert, dass man niemandem Bescheid gesagt hätte. Kohdars und Minar wären völlig entsetzt gewesen.“ „Vermutlich,“ meinte seine Geliebte leise, „Kümmere dich nicht um Tabaris Gemoser, er ist schlechter Laune, weil er viel um die Ohren hat, weil er sich von uns verraten fühlt und seine radikal kaltblütige Frau ihm dabei auch keine Hilfe ist.“ „Denkst du, er ist wirklich überfordert mit seinem Posten, so ganz allein?“ „Rede dir nichts ein, er kommt zurecht. Er wird sich daran gewöhnen.“ Und wieder schwiegen sie, während Zoras seine Tasse ebenfalls leerte und beiden neu einschenkte. Salihah nahm dankend ihre Tasse entgegen. Nach einer Weile fing Zoras an zu reden. „Vor zwei Jahren ging Enola und ihrem Mann das Geld aus. Nachdem sie ewig nach einer Möglichkeit gesucht haben, zu Geld zu kommen, um ihr Kind weiter versorgen zu können, hat diese Frau, diese Nutte aus dem Gutshaus, ihr angeboten, die Familie in ihrem Anwesen aufzunehmen. Es ging wohl hauptsächlich darum, ihren Sohn mit meiner Enkelin zu verloben. Enola und Kotori haben sie vermutlich nur mit aufgenommen, weil sie ihre Gutherzigkeit vor Sinamis Bevölkerung beweisen und sich so einen guten Posten zusichern wollten… weiß der Geier. Es war eine Telepathen-Familie, meine Enkelin ist genau wie ihr Vater Telepath.“ Er unterbrach sich und nahm einen Schluck Kaffee. „Nachdem die Familie also im Anwesen war, wurde die kleine Pakuna zur Verlobten des Bengels, Enola und ihr Mann durften arbeiten und dafür umsonst im Anwesen wohnen. Vielleicht erschien es zunächst als gute Lösung, das Mädchen wurde gut versorgt und würde einen reichen Kerl heiraten, der für sie sorgen könnte, aber was zuerst wie eine schöne Bleibe aussah, war… dann doch ein goldener Käfig.“ „Du wusstest das alles?“ fragte Salihah ihn dumpf. Er lachte bitter. „Nein… ich habe Leute in Sinami reden hören, über das Anwesen, die Leute… einer sagte, die Gutsherrin sei neidisch auf Enola gewesen und hätte sie deshalb getötet. Enola war bildschön, viel schöner als diese Schlampe, vielleicht hatte sie Angst, dass sie ihr den Mann ausspannen könnte, obwohl Enola selbst einen hatte. Weiß der Geier… so genau will ich es dann auch nicht wissen.“ Er seufzte. „Enola war ein sehr stolzes Mädchen, sie… hatte den Stolz ihrer Mutter. Sie wäre nie zu mir gekommen wegen des Geldes, obwohl sie genau wusste, dass ich sie samt Mann und Tochter ohne Worte hier aufgenommen hätte, als sie kein Geld hatten. Sie hat mir kein Wort gesagt, sie wollte nicht… dass ich besorgt um sie bin oder zugeben, dass sie alleine nicht so zurechtkam wie sie es behauptet hatte. Sie ist zu früh von Daheim weggelaufen, sie war innerlich… doch noch ein Kind, obwohl äußerlich Frau und Mutter. Sie wollte mir beweisen, dass sie alleine überleben kann, dass sie erwachsen ist… sie wäre nie gekommen und hätte gesagt ‚Vati, bitte hilf mir.‘. Das…“ Er senkte jetzt den Kopf und betrachtete dumpf sein verschwommenes Spiegelbild im Kaffee. „Das macht mich als Vater sehr stolz auf mein schönes, kluges Mädchen… andererseits hat… sie ihr Stolz das Leben gekostet. Wäre sie einmal… nur ein einziges Mal hergekommen… und hätte ihren Stolz begraben, wäre sie jetzt am Leben. Und ihr Mann und ihre Tochter wären nicht verschollen.“ Nach dieser traurigen Erkenntnis saßen sie lange schweigend auf der Couch und tranken stumm ihren Kaffee aus. „Entschuldige, dass ich dich so zutexte, Salihah,“ kam dann die knappe Aussage. Salihah drehte den Kopf. „Nicht doch. Es tut dir gut, darüber zu sprechen. Sprich mit mir, so viel du möchtest, ich werde dir zuhören. Was willst du jetzt tun? Nach Kotori und Pakuna suchen?“ Der Mann lehnte sich wieder zurück und sah eine Weile an die Decke. „Ich werde Späher aussenden, die im ganzen Land Dokahsan nach ihnen suchen sollen. Aber wenn sie sie finden… sollen sie es mich nur wissen lassen und ich werde so tun, als hätte ich sie nicht gesehen. Dieser Kerl, der Gutsherr, rennt irgendwo lebend herum und ich habe das ungute Gefühl, dass er kommen wird, um mir den Tod seiner Frau und seines Erben heimzuzahlen. Wo immer mein Schwiegersohn und seine Tochter sind, dort sind sie… sicherer als in Tuhuli. Ich überlege schon, ob ich Nomboh samt Familie hier rausschmeißen und zu euch schicken sollte, bis ich das geklärt habe. Das und… Denmor.“ Sein Blick verfinsterte sich, als er den Namen des Verräters aussprach, der einst Kelars treuer Handlanger gewesen war. Salihah hob jetzt ernst den Kopf und sah zu ihm herüber. „Denmor? Hast du ihn endlich gefunden?“ wollte sie wissen. „Ich sehe ihn auch manchmal in meinen Träumen, ich habe ein ungutes Gefühl…“ Wenn sie länger darüber nachdachte, war das beklemmende Gefühl, das sie seit Monden, vielleicht Jahren hatte, sie besonders nach solchen Träumen bedrückte, in denen sie den seltsamen Mann vom Emo-Clan gesehen hatte. Sie fragte sich, wieso ihr Geist sie so beunruhigte mit dem Namen des zwielichtigen Mannes. Denmor war zwar Kelars Handlanger gewesen und damit kein Freund, aber ohne seinen Meister war er kaum zu fürchten; er war kein überaus guter Magier oder beängstigend talentiert in irgendetwas außer vielleicht spionieren; im Spionieren waren alle Emos gut, das war ihre Eigenschaft. Nein, es war irgendetwas anderes, was Salihah tief in ihrem Inneren beunruhigte, eine viel tiefer greifende Angst, die sie nicht beschreiben konnte… „Wenn ich Denmor gefunden hätte, gäbe es da nichts mehr zu klären,“ warf Zoras da ein, erhob sich und kam um den Couchtisch herum, um sich neben sie zu setzen. „Die Geister sind unruhig… immer noch. Egoistischerweise habe ich nach dem Tod meiner Tochter geglaubt, es könnte nicht schlimmer werden… aber das wird es, Salihah. Sieh mich an…“ Sie tat es zögernd, und sein Blick war kalt und ernst, zusammen mit der Erschöpfung und Trauer in seinem Gesicht war es ein Besorgnis erregender Anblick. Sie schauderte unwillkürlich, als er eine hand hob und ihr gedankenverloren durch die Haare zu streicheln begann. Er sah sie nicht direkt an, sondern durch sie hindurch, als er sprach, und es war nur ein leises Wispern, als dürfte er nicht zu laut sprechen, als würde andernfalls die Frau vor ihm zerbersten können wie eine Kugel aus Glas. „Unsere Welt Tharr… schreitet unaufhaltsam ihrem sicheren Tod entgegen. Es hat schon begonnen… ich kann sie sehen, die Schatten, die vom Himmel fallen werden… und sie werden das Land in Flammen und Dunkelheit ertränken, und nichts wird übrig bleiben als Staub…“ Als er Salihah wieder direkt ansah, glänzten ihre schönen Augen. Augen so voller Wissen und voll von den Schmerzen, die sie ihr Leben lang ertragen musste, die die ganze Welt vielleicht bald erleiden müsste, wenn seine Träume ihn nicht belogen. Zoras fragte sich, wie oft in seinem leben er die Seherin Salihah hatte weinen sehen. Es waren nicht viele Male gewesen. „Ich… spreche nicht darüber…“ flüsterte sie fast tonlos und schlug zitternd die Lider nieder, „Aber ich sehe es auch… ich spüre sie, die Schatten, sie ergreifen besitz von meiner Seele, als wollten sie mich drängen, es auszusprechen, Panik zu verbreiten im Land, auf der Welt… aber ich kann das nicht tun! Es… tut furchtbar weh… und jeden tag, den ich weiterlebe, sterbe ich ein bisschen mehr, jeden tag werden die Schatten in meinem Leib stärker… ich weiß nicht, wie lange ich noch… aushalten kann, ein Mensch zu bleiben… ehe ich wie mein Mann dem Wahnsinn verfalle, den die Schatten mir aufzwingen werden…“ Sie schluchzte, und er beugte sich vor und schloss sie liebevoll in die Arme. Die Frau schämte sich, so nutzlos zu sein; sie war gekommen, um ihn von seiner Trauer abzulenken und nicht, um sein Mitleid zu erregen… Aber sie war nur ein Mensch, sie hatte Grenzen. Grenzen, die durch die Flut aus Schatten und Visionen, die sie jemals gesehen hatte, bald zerreißen würden… Er zog ihr Kinn hoch und küsste sie leidenschaftlich auf die Lippen. Ein leises Seufzen entrann ihrer Kehle, als sie sich dem Kuss hingab und zärtlich die Arme um seinen Nacken legte. „Solange… du eine Familie und Menschen hast, die dich gern haben, wirst du schon nicht im Schatten oder Wahnsinn ertrinken,“ versprach Zoras ihr leise, als sie sich lösten, und er küsste ihren Mundwinkel, während sie seufzend den Kopf zurücklehnte und sich dichter an ihn drückte. „Das verspreche ich dir. Egal, was es kostet, ich werde dich davor beschützen… meine geliebte, schöne Salihah.“ Sie löste ihre Umarmung und strich mit den kühlen Händen über seine Brust, begann errötend, sein Hemd aufzuknöpfen. Obwohl ihr warm war, zitterte sie, als sie mit von Tränen erstickter Stimme sprach. „Du kannst nicht die ganze Welt beschützen, Zoras… sie ist zu groß. Selbst für dich…“ Er lächelte lieb und zog sie dichter an sich heran, als sie sein Hemd geöffnet hatte und es sanft von seinen Schultern strich. Ihre Lippen wanderte zu seinem hals und sie berührte seinen Oberkörper mit ihrer Zunge. „Aber kein Schatten wird dich mir wegnehmen… egal, was es kostet, Salihah.“ Damit küsste er ihren Kopf und spürte darauf, wie ihre Hände seine ergriffen und sie sanft auf ihre runden Brüste legte. Zärtlich berührte er sie, als sie wieder leise stöhnend den Kopf zurücklehnte. „Zoras, bitte…“ seufzte sie wohlig, und gehorsam begann er, ihr Kleid aufzuschnüren, sie half ihm schweigend dabei und erzitterte erneut. „Liebe mich… wie deine Frau. Hör nicht auf…“ Er zog ihr aufwendiges Kleid etwas auseinander und strich über ihre weiße, nackte Haut darunter, ehe er sich über ihr schönes Gesicht beugte und sie liebevoll küsste. „Würde ich nie… und insgeheim… bist du doch schon lange so gut wie meine Frau, habe ich recht…?“ „Was ist hier denn für eine Sitzung?“ wunderte sich Nalani, als sie die Stube betrat. Sie war mit Sukutai in Tasdyna gewesen, um deren Schwestern zu besuchen, und war gerade heim gekommen, da fand sie ihren Sohn auf dem Boden der Stube, während er gedankenverloren an seinem Speer herum bastelte, und ihren Mann auf dem guten Sessel sitzend, auf seinem Schoß Aktenberge und Unterlagen. Was denn, Tabari arbeitete ja, das war neu. Oder auch nicht, jetzt, wo die Stimmung so schlecht war im Schloss und Tabari sich nicht mehr traute, über seine Mutter zu mosern, die immerzu mit Zoras Chimalis zusammen war, vermutlich, um ihn wegen Enola aufzuheitern (der gute Tabari hatte ja keine Ahnung, wie effektiv seine Mutter das tat), hatte er sich in letzter Zeit oft ungeahnt auf seine Arbeit gestürzt. Er hob den Kopf, zwischen den Fingern hielt er eine Zigarette, die er sich jetzt genervt seufzend in den Mund steckte und daran zog. „Guten Abend, Frau,“ begrüßte er sie, und Nalani zog eine Braue hoch. „Du rauchst, während dein Sohn im selben Raum ist?“ mahnte sie, „Was für ein Gesundheitsbewusster Mann du doch bist. Aber du bist sinnvoll, ich bin positiv überrascht.“ Puran sah genervt hoch zu seinen Eltern. Oh nein, sie sahen sich böse an – er hasste es, wenn sie stritten…. „Er kam nach mir her, ich rauche, wo ich will,“ schnarrte Tabari, „Ich habe Puran nicht gezwungen, hier sitzen zu bleiben.“ „Das ist die Stube, Tabari, hier darf jeder sitzen, wenn er will und wann er will.“ „Ja, so, wie ich rauchen darf. Ich bin genervt, ich will das jetzt so, basta.“ Er wechselte das Thema, weil seine Frau zunehmend grantig wurde. „Und ja, ich arbeite, ich gehe die Bestände durch und die verdammten Annalen des Kreises. Ich war heute Morgen in Dralor und habe beim Dorfchef eine Volkszählung angeordnet, wenn die Geburtenrate weiter so in die Höhe schießt, können wir uns bald gegenseitig die Haare vom Kopf fressen, das geht offenbar auf ganz Tharr so.“ Puran blinzelte abermals, während er seinen Eltern zuhörte, die ihn offenbar ignorierten. Dralor… wohnte da nicht Madanan? Er dachte kurz an das gar nicht stumme Stummchen aus seiner Klasse. Zuerst hatte er den Jungen für seltsam gehalten, aber eigentlich war er völlig normal… Bis auf die Tatsache, dass er als einziger auf der ganzen Welt zu wissen schien, dass Zaubern nicht nur ein Segen sein konnte, sondern furchtbar war. Er würde zu gerne wissen, wieso… „Das ist gut,“ meinte Nalani jetzt offenbar wieder friedlich, nickte und wandte sich dann endlich an ihr einziges Kind. „Puran, du kannst-…“ Sie unterbrach sich und musterte ihn. „Gute Güte, wann hast du zum letzten Mal gegessen, Kind? Du bist fürchterlich dünn geworden…“ Besorgt baute sie sich vor ihm auf und er sah verwirrt an sich herunter, bevor er ebenfalls aufstand. „Na, heute Mittag – mir geht es gut…“ sagte er konfus, und Nalani seufzte leise, dann streichelte sie ihm zärtlich über den Kopf. „Geh in die Küche und lass dir was machen, mein Schatz,“ forderte sie sanft, „Wie kann es angehen, dass deine Cousine so pummelig ist und du so dünn?“ „Das nennt man Wachstumsphase,“ sagte Tabari, wurde aber ignoriert. Nalani küsste ihrem Kind den Kopf und die wuscheligen Haare. „Geh schon, Junge.“ Das Kind wusste nicht, worüber sie sich Sorgen machte, eigentlich hatte er gar keinen Hunger, er gehorchte aber artig und verließ die Stube. Als Tabari mit seiner Frau alleine war, zog er die Brauen hoch. „Muss ich mich fürchten, Königin?“ fragte er beunruhigt, weil er irgendwie das Gefühl hatte, sie hatte den Kleinen loswerden wollen, um ihm irgendetwas anzutun… Nalani stellte sich vor ihn und den Sessel und fing in aller Ruhe an, ihren schwarzen Mantel aufzuknöpfen. „Nein, keine Angst. Ich wollte… dich eigentlich mal loben, weil du artig deine Arbeit machst.“ Er blinzelte überrascht und Nalani hielt für einen Moment inne, als ihr Mantel ganz offen war. War sie wirklich so furchterregend, dass es ihren eigenen Mann überraschte, wenn sie nett war? Irgendwie deprimierte sie das… Wie war sie zu einem so kaltherzigen Menschen geworden? „Bin ich so eine Furie, Tabari…?“ Ihr Mann erhob sich vom Sessel, legte dabei seine Unterlagen auf den Couchtisch neben sich und drückte seine Zigarette in einem kleinen Aschenbecher aus, ehe er sich vor sie stellte. Mit einer Hand strich er ihr über die Wange, dann streifte er ihr den offenen Mantel von den Schultern, sodass er zu Boden fiel. Er grinste und küsste seine Frau zärtlich kurz auf den Mund. „Du bist dominant, sagen wir so…“ murmelte er, nur wenige Zoll von ihren Lippen entfernt wieder inne haltend, und sie schloss seufzend die Augen. „Aber du bist eine wunderbare Frau, Nalani. Ich bin… stolz darauf, sagen zu können, dass du zu mir gehörst.“ Er küsste sie, damit sie nicht irgendetwas Blödes antwortete, weil er genau wusste, dass sie sich dämlich vorkam, wenn er ihr schmeichelte; dabei meinte er jedes seiner Worte ernst. Entgegn seiner Erwartungen stimmte sie ihm sogar zu, als er den sanften Kuss beendete, während sie ihm durch die blonden Haare strich. „Sei das ruhig, fauler Sack,“ grinste sie diabolisch, „Ich helfe dir mit der Verwaltung, wenn du möchtest. Natürlich nur inoffiziell, damit du nicht als Verlierer da stehst… du machst mir Sorgen, wenn du so ernst bist, Tabari.“ Er grinste wieder leicht und küsste ihren Hals hinunter, während seine Hände über ihren Bauch und ihre Hüften streichelten. „Das ist großzügig von dir… aber jetzt gibt es erst mal… etwas anderes, das ich möchte, Nalani…“ „Ich… will ehrlich zu dir sein…“ murmelte Tabari dann dumpf, als sie sich geliebt hatten und noch in dem Gewühl aus Kleidern auf dem Fußboden der Stube lagen, er immer noch über ihr. Normalerweise saß Nalani lieber auf ihm, aber ab und zu ließ sie auch zu, dass er über ihr war, um seine Mütze voll Würde nicht zu sehr zu verletzen. „Was, hast du mich betrogen?“ fragte sie leicht außer Atem und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Tabari starrte sie an. „W-was?! Nein, du liebe Zeit! W-wie könnte ich?! – Das traust du mir doch nicht ernsthaft zu?“ „Nein, ehrlich gesagt nicht.“ Tabari stöhnte leise, ehe er sich vorn ihr herunter rollte und ihren Mantel schnappte, um ihn als decke zu missbrauchen und über sie beide zu legen, falls dummerweise jemand herein kommen sollte. Nalani drehte sich auf die Seite zu ihm um, bevor sie eine seiner Hände ergriff und sanft seine Finger küsste. „Was wolltest du beichten, Tabari?“ fiel ihr wieder ein, und er seufzte. Gedankenverloren strich er ihr durch die langen Haare. „Es… ist nicht nur die Arbeit, die mich nervt, die mich stresst, es… es sind eigenartige Dinge, die ich in der Ferne sehen und hören kann, Nalani, die Geister sind unruhig und das überträgt sich irgendwie auf mich…“ Sie erhob sich abrupt und sah ihn jetzt im Sitzen an. „Was hast du gesehen?“ fragte sie alarmiert, „Siehst du auch endlich den Flammenregen, den alle außer dir seit Monden und Jahren sehen?“ Tabari setzte sich etwas schwerfällig ebenfalls auf und fuhr sich ein paar Mal durch die zerzausten Haare. „Nein… ich sah Menschen von Zuyya, die kamen und das Land wie ein Heuschreckenschwarm überrannten, um nichts als Tod und Schatten zurückzulassen…“ Der Regenmond, der dem Kirschmond folgte, machte seinem Namen in dem Jahr absolut keine Ehre. Es regnete nicht, es war staubtrocken. Die Menschen fürchtete schon, es könnte im Hochsommer Waldbrände geben, wenn nicht bald regen käme. Die Luft war unangenehm warm und staubig, das halbe Volk war am Husten, weil es dauernd Staub einatmete. Jeden tag hofften die Menschen auf Regen oder wenigstens Wolken, die diesem vorauseilen könnten, aber nichts kam. Je näher der Sommer kam, desto erbarmungsloser brannte die Sonne auf das sonst eher kühle Land Dokahsan herab. Und während die Beunruhigung der Erwachsenen durch die Träume und dunklen Zeichen der vernebelten Zukunft wuchs, hatte Puran ganz andere Probleme. „Sura!“ Der Junge japste, als der einfache Schneidezauber auf ihn zugesaust kam, und er riss gerade noch rechtzeitig instinktiv den Kopf zur Seite und vermied so gerade noch, skalpiert zu werden. Dabei verlor er das Gleichgewicht und stürzte zu Boden, wo er sitzen blieb und unverständliches Zeug vor sich hin murmelte. „Schneller,“ wagte Ratan Kindo, der Sohn des Schmieds, Puran zu kritisieren, „Wenn du Madanan mal blocken willst, musst du schneller sein, der Kleine ist nämlich schneller als er in seinem Alter sein sollte!“ „Ich weiß…“ nölte Puran missmutig und sah zu Ratan, der beschämt darüber, ihn kritisiert zu haben, den Kopf senkte. „Ist nicht böse gemeint, ich meine nur… du weichst immer nur aus…“ „Darf ich auch mal?“ johlte die kleine Narya und hüpfte auf und ab. Einmal wieder war die kleine Gruppe dabei, fleißig das zaubern zu üben. Bald würde die Sommerpause kommen, wenn keine Schule war, war es schwierig für alle, sich zu treffen, daher nutzten sie die Pausen so oft wie möglich. Wobei Puran nicht immer mitmachte, weil r seine besten Freunde Travi und Kannar nicht vernachlässigen wollte. Vor allem Travi als Nichtmagier konnte nie mitreden, wenn es ums Zaubern ging, und Kannar war beleidigt, weil Madanan ihn immer böse ansah, offenbar hatte der kleine Heiler sogar Angst, er könnte ihm seinen Freund Puran womöglich wegnehmen. Puran wollte nicht, dass die anderen seinetwegen stritten… Jetzt gerade war sein neuer schwarzhaariger Freund, der nicht viel sprach, dabei, mit ihm eine Art Pseudo-Duell auszuführen. Dabei versuchten sie nicht, sich gegenseitig mit Zaubern zu treffen, denn das könnte sie ja verletzen; eigentlich ging es nur darum, zu zaubern, zu reagieren und dann gezielt nichts zu treffen, was kaputt gehen könnte. Der Junge namens Umar schob Narya nach hinten. „Nein, nicht jetzt,“ war sein Kommentar, als Puran sich hoch rappelte und keuchte, sein Gegenüber senkte die Arme wieder. „Puran, im Ernst; das ist irgendwie nicht so sinnvoll, wenn du nie mitmachst und immer nur ausweichst!“ „Ich hab nie darum gebeten, bei euch mitzumachen…“ murmelte Puran kleinlaut. „Zaubern ist mir gruselig, ich… ich hab… immer Angst, was Schlimmes anzustellen und…“ „Dann überwinde das!“ rief der Ältere verwirrt und warf die Hände in die Luft, „Himmel, du bist doch kein Baby mehr! Ich meine, das ist doch Schwachsinn…“ Madanan fiel ihm empört ins Wort, ehe Puran eine Chance bekam, sich zu verteidigen. „Laber nicht, du Arsch!“ brüllte sein stummer Freund zornig, „Hast du eine Ahnung?! Das geht nicht so von heute auf morgen, was fehlt, ist die Einsicht! Du weißt überhaupt nicht, wovon du redest, Umar, also hör auf, hier herumzumucken und dich aufzuspielen!“ Puran schnappte verwirrt nach Luft – Moment, jetzt stritten sich ja schon wieder Leute seinetwegen! „Mich nennst du Arsch, mein Freund?“ schnaubte Umar empört und stupste den Kleineren etwas unsanft, aber nicht zu doll ein Stück zurück. „Hab ich dir irgendwas getan?“ „Hör auf, zu schimpfen!“ forderte Madanan grimmig, „Lass ihn in Frieden, wenn er nicht mag. Denkst du, das ist so leicht, sowas zu überwinden? Du kannst dich überhaupt nicht in diese Situation hinein versetzen, also halt den Rand.“ „Ach, du kannst das natürlich,“ machte Umar beleidigt, „Der weise, alles wissende Madanan Tevvy, oh ja, legt euch ihm alle zu Füßen!“ „Nö!“ grölte Narya und gackerte, ihr Cousin Madanan schnaubte. „Ihr Idioten, darum geht es doch überhaupt nicht!“ Der Schwarzhaarige schien sich dazu zu entscheiden, die älteren Jungen und Narya links liegen zu lassen, er wendete sich seufzend an Puran und sein Ausdruck wurde ernst, aber milder. „Puran, hör mal. Niemand zwingt dich, hier mit uns herum zu daddeln. Ich kann verstehen, wenn du nicht magst. Ich…“ Er spürte die blöden Blicke der anderen auf seinem Nacken kleben und zögerte, ehe er fortfuhr. „Ich bin nicht vom selben Rang wie du und darf mir nicht anmaßen, mich über dich zu stellen. Ich… mache dir ein Angebot. Wenn du möchtest… helfe ich dir, es zu überwinden, was ganz wichtig ist, ist, dass du den Willen aufbringst, es zu überwinden. Du hasst die Magie, und du musst dich von diesem abgrundtiefen Hass lösen… wenn du das geschafft hast, ist es viel leichter. Die Geister sind nicht grundlos böse zu dir oder benutzen dich oder sowas…“ Puran sah ihn verwirrt an und der andere Junge senkte etwas beschämt über die große Lehre den Kopf. „Wenn du aufhörst, dich dagegen zu wehren, dass du zaubern kannst, ist es einfacher und weniger schmerzhaft. Zaubern muss nicht immer was Schlechtes sein, es kann… auch nützlich sein. Wenn du jetzt sagst, Nein, möchte ich nicht, mir egal, ist auch in Ordnung. Aber… lass mich dir raten, es wird nicht einfacher werden, wenn du so weiter machst, sondern nur schwerer. Du kannst… nämlich nicht ewig deinem eigenen Schatten davon laufen. Er holt dich immer ein.“ Puran starrte ihn an, die anderen schwiegen, die kleine Narya war auch ganz still und wiegte sich hin und her. Der Junge sah zu Madanan, der das Gesicht wieder gehoben hatte. „Möchtest du, dass ich dir zu helfen versuche?“ fragte er scheu, und während die anderen weiterhin schwiegen, fasste Puran tapfer einen Entschluss. Du kannst nicht ewig vor deinem eigenen Schatten davon rennen. „Ja,“ machte er leise und sah dem anderen ins Gesicht. „Ich bitte dich darum.“ „Heißt das, er macht weiter mit?“ freute sich Ratan Kindo grinsend, Umar zog beeindruckt von Madanans Überredungskünsten die Brauen zusammen. „Ich hoffe,“ grinste Madanan zurück und trat einen Schritt zurück, ehe er die Hände hob, „Macht ihr mal weiter, ich werde dann mit Puran alleine üben.“ Während die anderen wieder zu reden begannen und Puran sich also zu seinem nicht stummen Freund stellte, hatte er noch eine einzige Frage. „Madanan… wieso verstehst du als Einziger hier, was mit mir ist? Wieso… willst du mir unbedingt helfen?“ Der Schwarzhaarige drehte den Kopf wieder zu Boden. „Frag nicht mehr danach. Bitte.“ Mit dieser Antwort war der Junge überhaupt nicht zufrieden, aber er ließ es gut sein; verärgern wollte er Madanan nicht, er würde schon einen Grund haben, es ihm nicht sagen zu wollen. Obwohl die Neugier in ihm brannte wie ein bösartiges, kleines Feuer, das irgendwie schmerzte. Sein Gefühl sagte ihm, dass Madanan es vermutlich von selbst eines Tages erzählen würde, wenn er bereit dafür war. Aber wer wusste, wann das war? Puran war definitiv kein geduldiger Mensch, ganz und gar nicht, und es wurmte ihn, eventuell noch Jahre oder vielleicht Jahrzehnte auf diese Antwort warten zu müssen; und was wurde aus der Antwort von Ram Derran und seinem Reh? Er verfluchte die Himmelsgeister missgelaunt, dass sie ihn immer an der Nase herum führten. Ihn warten ließen, ihm Fragen gaben und ihm dann die Antwort verweigerten. Und an den bekloppten Ram mit seinen komischen Psychosen zu denken heiterte ihn nicht wirklich auf. Zum Glück war sein Nicht-Freund in den letzten Wochen offenbar extrem beschäftigt gewesen, er hatte ihn in keiner Pause gesehen und seit dem Viehmarkt in Tuhuli hatte es keine Klopperei gegeben; das war unheimlich, eigentlich… So machte sich der Junge seine griesgrämigen Gedanken, als die Schule aus war und er allein Gahti nach Süden verließ, um heim zu gehen. Er war spät dran, weil Travi sich unbedingt noch beim Bäcker ein Stück Kuchen hatte kaufen müssen und auf keinen Fall alleine hatte gehen wollen, weil Mabi und seine inzwischen zwei treuen Kumpels auch beim Bäcker gewesen waren. Mabi, der Sohn des Gahtischen Dorfoberhauptes, war ein feister und gestörter Kerl, wie Puran fand, er mochte ihn inzwischen nicht lieber als im ersten Schuljahr. Wann sich sein blöd grinsender, unkluger Mitläufer verdoppelt hatte, wusste er auch nicht; plötzlich waren es zwei gewesen, die dem Idioten Mabi nachgerannt waren. Und ihr liebster Zeitvertreib war es offenbar, alle zu hänseln, zu ärgern oder sogar zu verhauen, die ihnen unterlegen war. Selbst die kleinen Erstklässler wurden nicht verschont, die nicht den hauch einer Chance gegen die drei größeren Jungen hatten. Er hatte gerade das kleine Wäldchen erreicht, das auf dem Weg etwas Schatten vor der erbarmungslosen Sonne spendete, da sah er in der Ferne auf dem Weg ein Getümmel von anderen Kindern und hörte lautes Schreien. Verdammt – was ist denn das für ein Mist, können sich diese Deppen nicht wo anders prügeln? fragte er sich schlecht gelaunt und überlegte sich, ob es klug wäre, da einfach durch zu marschieren – Halt, was dachte er da, er würde seine Mutter komplett entehren, wenn er sich feige wie ein Beutetier an dem Rudel da vorbei schliche, er war der Sohn stolzer Eltern! – Ehe er weiter denken konnte, ertönte das Schreien lauter und klang jetzt nach dem panischen Hilferuf eines kleinen Mädchens. Moment – die drei Idioten waren doch Mabi und seine bescheuerten Anhängsel? Wo er gerade noch an sie gedacht hatte, was suchten die denn hier auf dem Weg, die wohnten doch in Gahti? Beim näheren Hinsehen erkannte er ein schwarzhaariges kleines Mädchen, das von den Jungen drangsaliert und geschubst wurde. Sie stießen die Kleine zu Boden, rissen ihr an den Haaren und lachten dabei schallend. Offenbar hatten sie dem Kind ein Armband gestohlen, mit dem sie nämlich grölend in der Luft herum wedelten, wie er sah. Das Mädchen schrie und versuchte offenbar, sich zu wehren, natürlich völlig erfolglos – die war sicher auch in der ersten Klasse. „Wie… wie gemein und behindert im Kopf kann man denn sein?!“ empörte Puran sich für sich selbst und verfinsterte entrüstet den Blick, als er diese Schande mit ansehen musste. „Drei gegen einen, dann noch ein Mädchen, haben die nicht alle Tassen im Schrank?!“ Ohne es selbst zu merken ging er schneller auf das Chaos zu. Was sollte er denn machen, das konnte er doch nicht einfach passieren lassen! Das arme Mädchen! Nein, verdammt, er hatte eine kleine Cousine, wenn er sich vorstellte, wie die drei Alona statt dieses Mädchens so fertig machten… da wachten irgendwie automatisch Beschützerinstinkte in ihm auf, das ging nicht! Aber was sollte er gegen die drei Deppen unternehmen? Sie waren größer und körperlich viel stärker als er, wo Mabi hinschlug, wuchs so schnell kein Gras mehr. Sich denen alleine zu stellen war keine gute Idee – er sah sich hektisch um. Wieso kam nie ein Händlerwagen oder irgendein Erwachsener vorbei, wenn man ihn dringend brauchte?! Jemand, der das beendete, jemand, der da helfen konnte! Er war doch selbst bloß eine halbe Portion! Aber du kannst Zaubern, hast du das vergessen? Er fuhr zusammen, als er plötzlich eine Stimme in seinem Kopf sprechen hörte. Ja. Er konnte zaubern. Und er hasste es… unwillkürlich dachte er an Madanan. „Es kann ein Fluch sein, aber es kann auch nützlich sein. Du musst aufhören, die Magie zu hassen… aufhören, dem Umstand zu hassen, dass du Magier bist, du bist so geboren und wirst es nie los werden!“ Das hatte er gesagt – und in diesem Moment hatte Puran zum ersten Mal das Gefühl, dass der Junge wirklich die Wahrheit sprach. Das war ein Moment, in dem er alle Flüche gegen die Geister zurückzog und ihnen zum ersten Mal in seinem Leben für seine Gaben dankte. Er rannte schneller, und kurz bevor er den Haufen erreichte, konzentrierte er sich, wie ein Lehrer, Herr Masava, es ihm gezeigt hatte, auf die Windgeister, ehe er beide Hände hochriss und rief: „Katura!“ Katura war ein Windzauber, er konnte schneiden und damit ganze Häuser zerstören, in diesem fall half er aber lediglich dabei, die drei größeren Jungen unsanft von dem Mädchen weg durch die Luft und zu Boden zu schleudern, wo sie schreiend auf einem Haufen liegen blieben, ohne ernsthaft verletzt zu sein. Er würde sich sicherlich nicht auf deren Niveau begeben und sie halb tot prügeln… Mabi und die beiden Deppen keuchten und stöhnten vor Schmerz durch die unsanfte Landung, während das niedliche kleine Mädchen mit den pechschwarzen haaren erschrocken zu Puran hinauf starrte. Sie hatte riesige Antilopenaugen und ihr Gesicht war ganz verheult. Doch Puran hatte erst mal keine Zeit für die. „Was ist, huh? Gebt dem Mädchen das Armband zurück! Ich habe alles gesehen, na los! Oder wollt ihr noch ´ne Katura in die Fresse?!“ empörte er sich an Mabi gewendet. Das kleine Mädchen war völlig entsetzt. „W-wer bist du?!“ fragte sie, und der Junge hörte ihr gar nicht zu, immer noch seine dummen Klassenkameraden ansehend. „Wird’s bald, oder soll ich Wurzeln schlagen?!“ „Ohh...“ stöhnte einer der beiden Anhängsel, während sie immer noch auf der Erde lagen, „Du bist brutal, Mann! Wieso schlägst du uns gleich?!“ „Ihr habt dem Mädchen das Armband immer noch nicht wiedergegeben!“ Puran streckte unbeeindruckt eine Hand aus, „Na? Soll ich erst bis drei zählen, oder schafft ihr es jetzt?“ „Du bist ein Kotzbrocken, Lyra!“ zischte Mabi, der das Armband der Kleinen hatte, bevor sich alle drei aufrappelten. Puran fragte sich, ob Mabi je so wütend auf ihn gewesen war. Er grinste zufrieden über die zornigen Reaktionen. Oh ja, sollten sie nur schäumen, er hatte keine Angst vor denen. Sollten sie ihn doch verhauen, er würde das wehrlose kleine Mädchen schon beschützen, und wenn sie ihm auch Zähne aushauen würden – seine Mutter würde ihn dafür vermutlich noch mehr schlagen, weil er so doof war, sich verprügeln zu lassen, aber immerhin sein Vater wäre insgeheim vermutlich stolz, weil er so tapfer war. „Du bist nur neidisch auf meine Katura, du Amateur,“ behauptete er so grinsend. „Gib ihr das Armband zurück, Penner! Oder die nächste geht dahin, wo's besonders wehtut!“ Die Jungen schnaubten, und schließlich warf Mabi das Armband wütend nach Puran und dem Mädchen. „Da habt ihr‘s, ihr Wichser!“ brüllte er, „Kommt, Jungs!“ Er stampfte davon, seine Kumpanen folgten ihm schimpfend zurück in Richtung Gahti. Das Mädchen erhob sich unsicher und putzte sich verlegen den Dreck vom Kleidchen. „I-ich-...?“ stammelte es staunend, als Puran sich bückte und ihr das Armband hinhielt. „Das wolltest du doch wiederhaben, oder?“ grinste er sie fröhlich an. „Hier. Lass dich von denen nicht unterkriegen, sie ärgern für ihr Leben gerne kleine Mädchen. Richtige Arschlöcher sind das.“ War doch wahr. Die Kline nahm das Armband und erstrahlte plötzlich wie eine kleine, aufgehende Sonne, sodass er sie verblüfft ansah – das Armband musste ihr ja ungeheuer wichtig sein. „Ähm, du... ... du hast mich gerettet!“ rief sie aus, „Wenn du nicht gekommen wärst, hätten sie mich richtig verprügelt! Vielen Dank!“ Er musste glucksen. „Kein Problem. – Bist du auf dem Weg nach Hause? Woher kommst du, Mädchen?“ „Ich heiße Pakuna Kipu!“ stellte sie sich artig vor, „Ich komme aus Nehawa! Kennst du das? Es ist da hinten!“ Der Junge hörte auf zu grinsen und machte ein nachdenkliches Gesicht. Pakuna Kipu? Wieso war ihm, als hätte er diesen Namen schon einmal gehört? Kipu… irgendwie kam ihm der Name vertraut vor, aber er kam nicht drauf, warum. Nachdem er eine Weile verwirrt vor sich hin gedacht hatte, fiel ihm ein, dass die Kleine eine Antwort erwartete. „Oh, ja, ich... kenne Nehawa,“ sagte er. Nehawa war ein kleines, friedliches Dorf nicht weit vom Schloss entfernt… Nehawa war das Dorf, aus dem auch Ram kam. Da fiel ihm ein… als sie geschrien hatte zuvor, hatte es sich fast so angehört, als hätte sie nach Ram gerufen… vielleicht hatte er es sich nur eingebildet. Er wurde schon paranoid… „Bist du neu da?“ fuhr er so fort, „Ich hab dich noch nie gesehen... – komm, ich bringe dich nach Hause, bevor diese Idioten noch mal auf dich losgehen.“ Er ging, und aufgeregt folgte sie ihm. „Das ist sehr lieb!“ sagte sie, „Danke! Aber mach dir bitte meinetwegen keine Umstände-... äh, wie ist dein Name?“ „Puran,“ seufzte er, „Ah, geht schon in Ordnung.“ Sie verließen das Wäldchen und gingen jetzt durch die südlich davon gelegenen Felder, durch die die Straße führte. Er fragte sich, ob das kleine Mädchen Ram kannte. Und, woher ihm ihr Name so bekannt vorkam. Letzteres könnte sie ihm kaum beantworten, also griff er auf ersteres zurück. „Du hast... da doch einen Namen gerufen, als diese Jungen auf dich losgegangen sind…?“ versuchte er es unbeholfen in der Hoffnung, dass seine Sinne sich nicht getäuscht hatten, und die kleine Pakuna nickte. „Oh, ja, Ram und Yiska! Sie wohnen neben uns, sie sind meine Freunde! Kennst du sie?“ Na, da war er wohl doch nicht paranoid. So ein Glück. Oder auch nicht, denn wenn Ram Derran der Freund dieser Kleinen war, würde der ihm lebendig die haut abziehen und ihn in Öl kochen, wenn er ihn bei ihr sah; woher kam eigentlich immer diese Geschichte mit dem Öl, fragte er sich, bei den Chimalis‘ witzelte man oft mit diesem Spruch herum, da wurde jeder verbal in Öl gebadet, der böse gewesen war… „Ähm, ja, unfreiwillig, aber ja,“ erklärte er Pakuna dann lachend und dachte an Ram und auch seinen seltsamen Bruder, der unbedingt Fisch gebraucht hatte. „Du bist also eine Freundin von Ram? Dann ist es vielleicht besser, wenn er uns nicht zusammen sieht, Pakuna…“ Das Mädchen blinzelte. „Warum nicht?“ wunderte sie sich, „Oh-... ... ihr versteht euch wohl nicht besonders?“ Ein helles Köpfchen schien sie zu sein, ein liebes Mädchen, durchaus. Aber ihr die komischen Umstände seiner… Bekanntschaft mit ihrem Freund Ram zu erklären stand nicht gerade an erster Stelle der Dinge, die er jetzt gerne tun wollte, außerdem würde sie ihm vermutlich nicht glauben. „Ich weiß auch nicht,“ sagte er so – dabei fiel ihm auf, dass er das Warum ohnehin nicht kannte, immerhin verweigerten ihm die Geister und das dämliche Reh ja die Antworten, „Ist auch egal...“ Nach einiger Zeit des Gehens erreichten sie Nehawa. Am Zaun, der das Dorf begrenzte, verabschiedete sich Puran von Pakuna. „Ich gehe jetzt besser selber heim,“ grinste er, „Oh, bevor Ram uns sieht! – War nett, dich kennengelernt zu haben, Pakuna.“ „Ja!“ strahlte sie, „War auch nett, dich kennengelernt zu haben, Puran! Und vielen, vielen Dank, dass du mich hergebracht hast...“ Er grinste abermals, ehe er sich umdrehte und sich beeilte, heim zu kommen. Nein, nein, nein, seine Mutter würde ihn jetzt auch häuten und in Öl baden, weil er schon wieder so spät kam! Aber er hatte doch nur zur Sicherheit eines unschuldigen Mädchens beigetragen, sie sollte besser stolz auf ihn sein – und Madanan auch, er hatte immerhin gezaubert und war über seinen Schatten gesprungen! Nachdem er weg war, erhob sich aus den Wipfeln eines Kirschbaumes eine Krähe und flog nach Norden. Der Schatten kehrte zurück und Zoras Chimalis wusste nicht, aus welcher Richtung. Während er auf der Veranda stand, ans Geländer gelehnt, und apathisch in den trockenen Garten starrte, den die Sonne mit jedem tag mehr versengte, schickten die Geister ihm Finsternis, obwohl das Licht der untergehenden Sonne ihn blendete. Das Krähen eines Vogels über ihm ließ ihn schaudern, aber ansonsten rührte er sich nicht. Die Geisterstimmen in seinem Kopf sprachen von Vergangenheit und Zukunft. Und von Tod, wie jedes Mal, wenn sie mit ihm sprachen. „Der Schatten wird kommen und die Welt verschlucken,“ sagten sie zu ihm, während er sich selbst durch eine gähnende Leere rennen sah, versuchend, dem Schatten zu entkommen, der aus einer Richtung kam, die er nicht kannte. Er konnte den Schatten im Dunkeln nicht sehen, aber er spürte seine Anwesenheit, eine grauenhafte Kälte, die zunächst nur seine Lungen betäubte, als hätte er eisige Luft eingeatmet, und sich dann über seinen ganzen Körper ausbreitete. Als er stehen blieb und sich verwirrt umsah, war plötzlich Salihah vor ihm, seine schöne Geliebte. Sie riss an seinem Umhang, den er vor seiner Brust zusammen gesteckt hatte, und sie rief seinen Namen. „Sieh mich an!“ schrie sie ihm ins Gesicht, „Du hast gesagt, kein Schatten würde mich kriegen, was ist mit dir?! Sieh mich an, verflucht!“ „Ich sehe dich doch an!“ empörte er sich, aber offenbar hörte sie ihn nicht, denn sie zerrte an ihm und schrie nur noch lauter, bis er plötzlich mit ansehen musste, wie sie vor ihm zusammenbrach und dann keuchend am Boden lag. „S-Salihah!“ schrie er auch und hockte sich zu ihr. Sie hielt sich den offenbar schmerzenden Kopf und stöhnte dabei. Als sie das Gesicht zu ihm hob, war vor ihm nicht Salihah, denn plötzlich starrte ihn Kelar Lyras grinsende, wahnsinnige Fratze an. „Was denn, hast du geglaubt, ich ließe ausgerechnet dich davonkommen, Chimalis?“ spottete der längst tote Mann und lachte kehlig, „Deine Hure wird es bereuen, mich getötet zu haben, und du noch viel mehr, dass du dich auf sie eingelassen hast! Salihah ist der Tod selbst, ich spreche aus Erfahrung. Sie ist wie diese Spinne, die ihre Männchen nach dem Sex auffrisst, sie hat erst ihren Spaß und tötet ihre Opfer dann. Sie wird dich genauso umbringen wie mich und jeden anderen, der je zwischen ihren Beinen lag, diese Hexe, diese wahnsinnige Irre…“ „Sprich nicht mit mir!“ blaffte er den Mann an und schlug ihm ins Gesicht. „Wie kannst du es wagen, Kelar, du Bestie?!“ Er erhob sich und trat nach dem lachenden Toten, während die Finsternis in ihm und um ihn herum immer kälter und düsterer wurde. Kelar verschwand, aber sein Lachen hallte in der Dunkelheit nach. „Du rennst davon, weil du Angst hast… weil du weißt, dass ich recht habe, Chimalis! Du bist ein jämmerlicher Träumer… nicht umsonst habe ich den Kampf damals gewonnen und wurde Herr der Geister. Du wärst es nie würdig gewesen, diesen Titel zu tragen… genauso wie du unfähig bist, deinen Clan zu regieren, der den Bach runter gehen wird, so, wie ich es gesagt habe! Deine Frau, deine Tochter… wer bleibt dir noch?“ „Halts Maul!“ brüllte Zoras wutentbrannt und obwohl er aus vollen Lungen schrie, kam nur ein heiseres Krächzen aus seiner Kehle wie das Krähen eines Raben. Er fasste japsend nach seiner Kehle und Kelar gackerte in der Finsternis weiter. „Am Ende bleibt nur die Leere, du Verlierer. Nichts als… pures Nichts!“ Der Schwarzhaarige fuhr herum, als er plötzlich Schritte hinter sich hörte. Aus dem Nichts war vor ihm Kelars treuer Helfer Denmor aufgetaucht, der Verräter. Da stand er breit grinsend, die schwarzen Haare hingen ihm ungewaschen ins Gesicht und der schäbige Umhang, den er trug, zeugte nicht gerade von einem Leben in Wohlstand. „Du fürchtest dich?“ kicherte Denmor und zog aus seinem Gürtel einen Dolch, „Ich bin der Schatten, Zoras Chimalis. Das ist… dir doch klar, oder? Du solltest die schöne Salihah töten, bevor ich mir etwas viel Gemeineres für diese dreckige Hure überlege.“ Zoras wollte ihn anbrüllen, aber der Mann warf seinen Dolch und er landete gezielt in seiner Brust. Die Kälte in ihm gipfelte in einem grauenhaft schmerzlichen Höhepunkt, und als er nach seiner übel schmerzenden Brust fasste, war da… nichts. Da war die Leere, die bereits begann, ihn aufzufressen. „Herr?“ Zoras Chimalis fuhr hoch, als er plötzlich eine vertraute, sanfte Stimme neben sich vernahm und spürte, dass er angetippt wurde. Er schnappte nach Luft und schüttelte sich unwillkürlich, ehe er realisierte, dass er immer noch auf der Veranda stand. Neben ihm stand Ruja, Meorans bildhübsche Verlobte, die immer noch keine Frau geworden war. Sie war sehr spät dran… mit so einigem, fiel dem Mann dazu ein. „W-was zum… verdammt, bin ich jetzt im Stehen auf der Veranda eingeschlafen?“ murmelte er bei sich und raufte sich die Haare, bevor er das Mädchen ansah. „Was ist, Ruja?“ Ruja verneigte sich höflich lächelnd. „Ich soll dich holen, es gibt Essen!“ Sie plapperte munter weiter und war sehr stolz auf sich, als sie erzählte: „Ich habe beim Kochen geholfen und mir sehr viel Mühe gegeben, ich hoffe, es ist genießbar, Herr. Wenn ich schon körperlich keine Frau werde, wie es scheint, möchte ich wenigstens die Arbeit einer Frau schaffen. Ich stehe noch immer tief in eurer Schuld, weil ihr mich hier aufgenommen habt als Kind…“ Er fiel ihr ungalant ins Wort. „Lass das Herr, Ruja, liebe Zeit. Du lebst schon seit vier Jahren hier und sagst immer noch Herr zu mir! Du wirst meinen Neffen heiraten, dann werde ich sowieso dein Onkel sein, oder? Sozusagen, meine ich. Gräm dich nicht, du schuldest niemandem etwas, kleine Ruja.“ Das Mädchen verbeugte sich noch tiefer. Jemine. Wenigstens hatte man ihr schon austreiben können, ihn oder auch die anderen Familienmitglieder im Plural anzusprechen. Sie hatte selbst Meoran lange ehrerbietig im Plural angesprochen, obwohl er es niemals verlangt hätte und es ihm überaus peinlich gewesen war, dass sich seine Verlobte selbst so dermaßen vor ihm erniedrigt hatte; er war sich vorgekommen, als behandelte er sie respektlos und wie Dreck, und sie hatten sich gefragt, was für grauenhaften Männern Rujas Familie begegnet sein musste, dass sie sich als Frau so unterworfen hatte. Das hübsche Mädchen war aber durchaus auf dem Weg der Besserung, zu Zoras‘ Erleichterung. Was sollte der arme Meoran denn mit einer Fußmatte als Frau? Um vor ihm zu kriechen, dafür gab es Diener oder Sklaven, überdies hatten die Chimalis‘ kriechendes Personal nicht nötig. Ihre einzige Angestellte, das Hausmädchen, wurde seit jeher mit großem Respekt und Freundlichkeit behandelt. Das schwarzhaarige Mädchen richtete sich wieder auf. „Gehen wir?“ fragte sie strahlend und er seufzte erneut. Im Garten krähte ein Vogel. „Du hast unsichtbare Dinge gesehen, oder?“ fragte die Telepathin dann, als er nicht reagierte, und Zoras blinzelte kurz. „Was… hast du gesehen?“ Er kratzte sich am Kopf und starrte eine Weile schweigend in den Garten. „Tod…“ murmelte er dann dumpf und Ruja weitete schweigend die Augen. Zoras wollte sich gerade vom Garten abwenden und mit ihr ins Haus gehen, als eine kleine Krähe seine Aufmerksamkeit auf sich zog, die durch den Garten auf ihn zu geflogen kam. „Ein Botschafter?“ riet Ruja erstaunt, als der Mann auch schon den Arm ausstreckte und das Tier auf seinem Ärmel landete. Vom letzten Botschafter, der auf seinem Arm gesessen und ihn zerkratzt hatte, waren noch immer Narben an seinem Arm, die er wohl auch nicht mehr los würde. „Eine gute Nachricht in all der Finsternis,“ erklärte Zoras Ruja dann mit einem wehmütigen Lächeln, nachdem er den Vogel eine Weile angestarrt hatte. „Ich werde nie erfahren wo, das will ich auch nicht wissen vorerst, aber mein Schwiegersohn und meine Enkelin sind wohlauf. Es tut mir zwar weh, es dabei belassen zu müssen, aber mir bleibt keine andere Wahl… solange sie nicht bei mir sind, sind sie sicherer. Ich habe die dumme Angewohnheit, Finsternis und Unheil anzuziehen, fürchte ich…“ Ruja sah ihn bedrückt an und Zoras schickte die Krähe mit einer Armbewegung wieder fort. Als sie krächzend davon flog, warf sie im Sonnenuntergang einen bizarren Schatten auf den Boden, bei dessen Anblick es dem Mann kalt den Rücken herunter lief, ohne dass er wusste warum genau. Schatten… Schatten, dem er nicht entkommen würde. „Ich bin der Schatten, Zoras Chimalis. Das ist… dir doch klar, oder? Du solltest die schöne Salihah töten, bevor ich mir etwas viel Gemeineres für diese dreckige Hure überlege.“ Das war der Moment, in dem Zoras mit Gewissheit wusste, dass Denmor Emo gefährlich war. Mochte es für ihn, für Salihah oder für irgendwen anderes sein, den Rest des Sommers beschäftigte er sich damit, den Mann zu suchen, der ihn in seinen Träumen verspottete und seine Unruhe immer mehr steigerte. Jahrelang war Denmor verschwunden, aber nicht tot. Er war irgendwo in Dokahsan und versteckte sich wie ein lauerndes Raubtier, darauf wartend, dass irgendein dummes Kitz an ihm vorbei huschte und einen einzigen Schritt zu nahe kam. „Warte nur,“ brummte Zoras Chimalis bei den Gedanken und verengte die Augen, „Ich werde dich finden, Denmor, und wenn ich dich habe, spieße ich dich auf und stoße dich von den Klippen!“ So sprach er und setzte seine verbitterte Suche fort, während ein grauenhaft trockener Sommer das Land passierte. Als Denmor tatsächlich wieder auftauchte, war der Sommer bereits fast vorüber. In Tuhuli war das Erntefest, das zweite traditionelle Straßenfest im Jahr. Wie beim Viehmarkt kamen von überall her die Bauern und Handwerker und Dinge zu tauschen und zu verkaufen. „Onkel?“ Zoras Chimalis drehte perplex den Kopf, als sein Neffe zu ihm kam. Er stand im Hof des Anwesens und war gerade dabei, es zu verlassen, er saß bereits auf dem Pferd und schickte gerade eine Krähe in die Luft, die krächzend davon flatterte. Meoran blieb neben dem Pferd stehen und sah dem Vogel skeptisch nach. „Du suchst immer noch nach dem Wurm Denmor, oder?“ „So lange, bis ich ihn gefunden und zerfleischt habe, jawohl,“ erklärte das Oberhaupt feierlich und Meoran räusperte sich. „Ich nehme an, dass du nicht zum Straßenfest gehst? Ich wollte mit Ruja hingehen, sie hat ein Dutzend oder mehr Sachen genäht, die sie vielleicht gegen nützliche Sachen tauschen kann.“ „Natürlich, geht nur,“ sagte Zoras verwundert, „Was fragst du mich um Erlaubnis? Was macht dein Wetten schließender Vater?“ „Rennt vermutlich über das Fest, wettet mit ein paar Trotteln und bringt einen feinen Braten mit nach Hause, wie jedes Jahr?“ riet der Neffe grinsend, „Letztes Mal gab es ein halbes Dutzend lebende Hühner und einen Kalbsbraten, das hat sich gelohnt…“ Zoras seufzte. „Idiot…“ betitelte er seinen Bruder kurz, dann sagte er zu Meoran: „Ich werde heute Abend nicht hier sein, ich…“ Er räusperte sich gekünstelt, „Ich gehe zu Salihah. Meine Träume machen mich unruhig, ich habe die letzten Nächte kaum ein Auge zugetan und es treibt mich irgendwie nach Süden. – Guck nicht so, nicht in dem Sinne, in dem du wieder denkst! Meoran, du weißt, was wir besprochen hatten. Mach auf dem fest, was du Lust hast, aber betrink dich nicht, du musst doch die Trance beherrschen, wenn du Regen rufen willst. Und das Land braucht Regen… es ist völlig verdorrt.“ Der junge Mann nickte. „Natürlich, Onkel. Ich… kann die Geister auch reden hören, es ist eigenartig in letzter Zeit… so ein unheimliches Flüstern im Wind, das mir Sorgen macht. Ruja übrigens auch, sie schläft auch schlecht und ist verwirrt.“ Zoras verengte für einen Moment die Augen. „Wenn du schon dabei bist, die Geister um Regen zu bitten, bitte sie um Fruchtbarkeit für deine Verlobte, die fünfzehn einhalb und immer noch ein Mädchen ist!“ sagte er, „Du bist mein Erbe und wirst einmal meinen Clan führen, Meoran. Es wäre ein Jammer, würdest du… keine Nachkommen haben. Wenn Ruja nicht bald zur Frau wird… ist sie vermutlich unfruchtbar. So gern du sie hast, dann solltest du dir eine zweite Frau nehmen, die deine Kinder gebärt.“ „Sowas mache ich nicht, Onkel, bei allem Respekt,“ seufzte der Jüngere verlegen, „Ich liebe meine Ruja, wenn sie keine Kinder bekommen wird, dann sei es so.“ „Dann hast du deinen Clan dem Tode geweiht…“ schnarrte sein Onkel kalt, „Du bist ein wahrlich weiser Clanführer, Meoran, oh ja.“ Meoran senkte seufzend den Kopf. „Onkel… genau genommen hast du kein Recht, sowas zu sagen. Du hast… eine Tochter gezeugt und keinen einzigen Clanerben. Hättest du dir eine zweite Frau genommen?“ Der Onkel schwieg darauf eisern. Dann trieb er sein Pferd voran. „Wenn sie bis zum Wintermond nicht ihre Mondblutung hat, bekommst du eine zweite,“ entschied er. „Also sei artig und bitte die Geister um Gnade. Wir haben viel verloren… ich will nicht auch noch den Clan verlieren, Meoran.“ Dann galoppierte er davon und der Neffe blieb im Hof zurück. Dann rief er seine Verlobte, um mit ihr zum Fest zu gehen. Lyras gingen nie zum Straßenfest. Abgesehen von Puran, der von Kannars Familie eingeladen worden war, und Tabari war in den paar Jahren als Statthalter mitunter zufällig an dem tag in Tuhuli beschäftigt gewesen, aber insgesamt ließen sie sich selten bis nie dort blicken. Das gemeine Volk hegte noch immer Abneigung und Furcht gegen die Familie, nachdem Kelar sie so unterjocht hatte. Die ganze Familie war im Schloss, während Zoras Chimalis mit seiner Geliebten zusammen war. Als es dunkel wurde, begann es tatsächlich in Strömen zu regnen. „Meoran macht seine Sache gut,“ meinte Zoras murmelnd, während er apathisch aus dem Fenster sah. Er saß auf der Bettkante im Schlafzimmer, Salihah lag hinter ihm auf dem Bett und strich sich gedankenverloren durch die schwarzen Haare. „Er ist Geisterjäger. Was erwartest du, dass er schlecht ist?“ „Natürlich nicht… aber er ist immer noch so ein Spielkind.“ Salihah kämmte weiter ihre Haare. „Du bist nervös,“ stellte sie richtig fest, und Zoras drehte langsam den Kopf zu ihr. „Meine Augen sind abscheulich schlecht… sag mir wieso, Liebster. Was beunruhigt dich in letzter Zeit?“ Der Mann drehte das Gesicht wieder von ihr weg. Sie merkte das… natürlich merkte sie es, sie merkte alles. Sie war die Seherin… auch, wenn sie beinahe erblindet war im Inneren. Er wusste nicht, ob es gut war, ihr von den beunruhigenden Träumen zu erzählen. Sie hatte vermutlich selbst genug… Sie unterbrach seine wirren Gedanken, als sie sich aufsetzte und hinter ihn krabbelte, um ihn von hinten zu umarmen. „Gräm dich nicht…“ flüsterte sie ihm ins Ohr, bevor sie seinen Hals sanft küsste. „Wir alle… sehen Schatten in der Zukunft, Zoras.“ Er ruckte abrupt mit dem Kopf hoch. Schatten. Er sah Denmors widerliches Grinsen und ein kalter Schauer fuhr ihm über den Rücken; Salihah küsste seinen Hals erneut, etwas ausgiebiger, und strich mit den Händen zärtlich über seine Schultern, nach vorn auf seine Brust und zum obersten Knopf seines Hemdes. „Vergiss sie…“ sprach sie dabei dumpf und schloss die Augen, als sie sein Hemd halb öffnete und mit den Fingern seine Brust darunter berührte. Er seufzte leise. „Vergiss sie… heute Nacht. Ich… vergesse sie auch… und bin dein.“ Er verdrängte die Schatten, obwohl sie in ihm immer noch Panik auslösten, als er sich zu ihr umdrehte und sie liebevoll küsste. Er wusste nicht, dass sie die Schatten genauso sehen konnte wie er, dass ihre Angst nicht kleiner war als seine. Etwas Schlimmes würde kommen, und vielleicht wäre es das Ende der Welt… sie wollte nicht daran denken. Sie hatte ihren Liebhaber, sie wollte ihren Geist jetzt nicht mit der Dunkelheit ihrer bösen Ahnungen belasten. Sie ließ sich von ihm auf das weiche Bett legen und zog ihn über sich, sein Hemd jetzt komplett öffnend, während sie sich noch immer küssten. „Berühr mich…“ stöhnte sie leise, als sie sich kurz lösten, nur um darauf einen weiteren, innigen Kuss zu teilen. Salihah schlang die Arme um den jüngeren Mann und drückte sich wohlig seufzend gegen ihn, als seine Hände langsam begannen, ihr leichtes Kleid hochzuschieben. Wenn sie wusste, dass er zu ihr kam, zog sie meistens keine aufwendigen Kleider an; er müsste sie ohnehin ausziehen, das sparte Zeit. Der Himmel grollte und der Regen, der sich endlich über das ausgetrocknete Land ergoss, prasselte heftig gegen die Fensterscheiben, als die Nacht heraufzog und Zoras mit seiner Geliebten das Bett teilte. Sie lehnte den Kopf in den Nacken und seufzte leise, während sie auf seinem Schoß saß und mit ihm vereint war, während sie spürte, wie seine Hände ihren nackten Körper berührten und sie in Flammen setzten. Aber es war ein angenehmes Feuer, anders als das in ihren Träumen, das vom Himmel fiel und die Erde überschwemmte. Sie klammerte sich an ihn und hielt sich fest, bewegte sich mit ihm und spürte seine Lippen, die ihre Brust küssten. Seine Hände fuhren hastig über ihren nackten Rücken und hinunter. Das Unwetter war egal. Die Schatten waren egal. Sie war da, sie hatte ihren Liebhaber. Das reichte. Sie liebten sich mehrmals, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. Als sie verschwitzt und zufrieden beieinander unter der Bettdecke lagen, sahen sie einander an und schwiegen sehr lange. Es bedurfte keiner Worte mehr, um ihre Zuneigung auszudrücken… sie waren selbst dann eins, wenn sie sich nicht vereinten. Salihah streckte die Hand aus und streichelte Zoras’ Wange. „Und?“ fragte sie lächelnd. „Sind sie weg? Die Schatten…“ Er schloss seufzend die Augen. Da war Dunkelheit… im Zimmer war es dunkel und in seinen Gedanken auch. Aber die Angst war verschwunden, verkrochen in einem hinteren Winkel seines Geistes, an dessen erster Stelle nun die hübsche Frau stand. Die Frau, die er liebte. Er hatte Tehya auch geliebt, aber das war anders gewesen. „Ich bin… mir nicht sicher,“ murmelte er leise und ließ zu, dass sie ihn weiterhin streichelte. Die Frau rückte etwas näher und küsste zärtlich seine Lippen, ehe er seine Arme um ihre Taille legte und sie an seinen Körper heran zog. Sie war eine bildschöne Frau; er erinnerte sich dumpf, dass sie als junges Mädchen ungesund dürr gewesen war, dünner als jeder Hunger leidende Bauer. Als sie gekommen war, um ihm das Blutritual zu machen, war sie schon älter gewesen, plötzlich war sie eine Frau gewesen mit Brüsten und runden Hüften, er hatte sie auf den ersten Blick beinahe nicht wiedererkannt damals. „Wie nostalgisch…“ neckten die Geisterstimmen in seinem Kopf ihn plötzlich, und er schnellte aus dem Bett hoch wie vom Donner getroffen. „Das… ist das Ende der Welt, Chimalis!“ „Was ist?“ fragte die Frau alarmiert, als er plötzlich aus dem Bett sprang und in Windeseile seine Hosen anzog. „Schatten!“ machte er und wirbelte in der Dunkelheit von einer seltsamen Panik ergriffen herum. Salihah warf sich geistesgegenwärtig ihr Nachthemd über, das neben dem Bett gelegen hatte, und ging herum, um ihn an den Schultern zu packen und festzuhalten. „Sieh ihn nicht an und reiß dich los, bevor er dich fängt,“ sagte sie scharf, „Sieh mich an, Zoras!“ Er erstarrte bei ihren Worte, in dem Moment, in dem der Schatten über seinen Geist huschte wie ein Dieb, der in ein haus eindrang. Unbemerkt von allen, die darin waren, plötzlich war er einfach da. Sieh mich an! Das hatte sie in seinem Traum auch gesagt… Als er ihrem Befehl folgte und sie ansah, erstarrte er erneut, als er den Schatten plötzlich mit wahren Augen sehen konnte, der als Mensch aus Fleisch und Blut hinter Salihah stand, sein dreckiges Grinsen im Gesicht und ein Kurzschwert erhoben, bereit, es der Frau quer durch den Rücken zu bohren. „Ich bin der Schatten, Zoras Chimalis. Das ist… dir doch klar, oder? Du solltest die schöne Salihah töten, bevor ich mir etwas viel Gemeineres für diese dreckige Hure überlege.“ In diesem Moment wurde alles klar, in diesem Moment hob sich der Vorhang vor Zoras’ Geist und wie durch einen gläsernen Kristall sah er Denmor und was er tat… Er würde sie töten. Als Salihah seinen entsetzten Blick sah, war bereits alles zu spät. Zu langsam drehte sie den Kopf nach hinten, um den Mann zu erkennen und was er tat; als sie herum gewirbelt war, hatte ihr Geliebter sie schon zur Seite gestoßen und schützend die Arme vor ihr ausgebreitet. In seiner rechten Hand entstand ein gleißender Blitz, den er auf Denmor schmetterte in dem Moment, in dem das nach vorn schnellende Kurzschwert des Verräters seine Brust durchbohrte. Salihah schrie. Denmor schrie nicht, er ging wortlos in Flammen auf, als der Blitz ihn traf und Zoras Chimalis keuchend zu Boden sank, wobei das Schwert aus der Wunde und Denmors brennender Hand fiel. „Zoras!“ kreischte Salihah wie von allen Geistern verlassen und stürzte zu ihm, als er hustete und Blut spuckte. Die Wunde war übel und blutete heftig, Salihah konnte sich gerade nicht darum kümmern, dass ihr ganzes Schlafzimmer zu brennen begann, weil Denmor die Bettdecke in Brand steckte, als er jetzt doch schreiend und brennend herum zu rennen begann. „Der Schatten…“ japste Zoras und krümmte sich, als ein grauenhafter Schmerz durch seinen Körper fuhr, als er nur atmete. „D-der… ich habe… so oft geträumt und… so viel Tod gesehen…! R hat es also… doch auf dich abgesehen gehabt…!“ Er spuckte erneut Blut und sie kreischte verzweifelt. „Sprich nicht!“ schrie sie, „Wieso hast du das gemacht?! Ich bin das nicht wert, nicht in tausend Leben, Zoras Chimalis, warum?! Sieh mich an!“ Er drehte schwer keuchend den Kopf und das Prasseln des Regens und der Flammen übertönten sein Japsen. „Warum?!“ wiederholte sie, und er sah sie flackernd an. Sie weinte bitterlich. „Weil ich dich liebe, du dumme Frau…“ neckte er sie sanft, ehe er wieder hustete, sich krümmte und dann schreiend gänzlich zu Boden stürzte. Der Schmerz war furchtbar, er konnte nicht atmen… durch seine Finger, die er auf die Wunde presste, sickerte heißes Blut auf den Fußboden. „Feuer!“ ertönte plötzlich ein panischer Schrei von der Tür hinter den Flammen, Salihah fuhr auf. Sie hörte ihre Söhne und deren Frauen rufen, aber sie nahm es nicht richtig wahr… bis sie Nalani „Alara!“ schreien hörte und der Wasserzauber alles nass machte und das Feuer löschte. Denmor stürzte röchelnd und verkohlt zu Boden, er bebte aber, offenbar war er lebendig. Nalani eilte gefolgt von einer panisch verheulten Sukutai und Tabari herbei, alle trugen nur Morgenmäntel. In dem Moment war es, dass Salihah in ihren Tränen und ihrer Panik ihren Geist wiederfand. Zaubern. Nalani hatte gezaubert, sie musste es versuchen! „Lira,“ japste sie, „W-wir machen Lira! Halt still, Zoras, wir kriegen das hin!“ „Was…?“ machte der Mann, als sie ihn auf die Seite drehte, worauf er wie verrückt zu husten begann. Sie presste weinend die Hände auf seine blutüberströmte Brust, während Nalani kommentarlos zu ihr kam und ihr sofort half. „Steh nicht rum, hol Kräuter!“ schrie sie ihren Mann an, „Sukutai, sieh nach den Kindern! Sie dürfen das nicht sehen! Kiuk, pass auf das Schwein auf!“ Sie meinte Denmor, und ihr Schwager beeilte sich, dem Befehl zu folgen. „Lasst das, das… ist schon zu spät, Salihah…“ stöhnte Zoras und hustete Blut, bevor er zitternd nach seiner Brust fassen wollte. Salihah schlug seine Hand weg. „Sieh mich an!“ schrie sie wie wahnsinnig, sodass sogar Nalani erschrocken zurück fuhr und sie ansah. Er sah sie ebenfalls an und sie erzitterte am ganzen Körper. Im Zimmer wurde es plötzlich still, nur das ungesunde Röcheln, das der Mann von sich gab, war zu hören. „Du hast gesagt, kein Schatten würde mich kriegen…“ wisperte Salihah tonlos, dann schrie sie ihn an: „Was ist mit dir?! Sieh mich an, verflucht!“ Das hatte er auch schon mal gehört. Wieder hustend und mit aller Kraft versuchend, gegen die Schmerzen anzukämpfen erinnerte er sich wieder an den Traum, in dem sie genauso geschrien hatte. Seine schöne, tapfere Salihah… es war falsch, sie schreien zu hören. Es war falsch, sie weinen zu sehen, seine hübsche Seherin. „Die Lunge ist schwer verwundet!“ japste Nalani mit gesenktem Haupt, als er wieder Blut hustete und damit den Boden besudelte, „I-ich glaube nicht, dass meine Heilfähigkeiten dazu ausreichen, w-wieso ist Keisha nicht hier?!“ „Selbst wenn Kiuk jetzt nach Tuhuli ginge per Teleport und Keisha holte, es wäre zu spät…“ machte Tabari neben ihr, der aus dem Medizinschrank den nächstbesten Kräuterhaufen mitgebracht hatte, den er hatte finden können; hatte er Ahnung von Kräutern? Er war Geisterjäger und kein Heiler; und seine Frau ebenso, obwohl er sich für einen Moment wünschte, es wäre anders. „Jetzt… heult nicht…“ keuchte Zoras und zwang sich zu einem verzerrten Grinsen, während er am Boden lag, Salihah nahm weinend seinen Kopf auf ihren Schoß. „Alles… hat ein Ende, Nalani. Wir alle… sterben.“ „Aber du darfst nicht!“ schrie Salihah ihn an, ehe Nalani hätte antworten können, „Nicht du! I-ich… ich liebe dich doch… mein Liebster…“ Nalani und Tabari sahen sich bestürzt an und die Frau senkte bebend den Blick, ehe sie aufhörte, sich vergeblich um die zu tiefe Wunde zu bemühen. Tabari verstand ihre Geste, als sie sich von Zoras und Salihah abwandte, und er nahm seine Frau tröstend in den Arm, als sie stumm zu weinen begann, den beiden Älteren den Rücken kehrend. Das war nicht gerecht. Was hatte diese Familie getan, dass die Geister sie Stück für Stück auseinander nahm? Tehya, Enola… jetzt Zoras. Ihr Geister seid grausam… was immer wir Menschen euch angetan haben, dass ihr so zürnt, wir bereuen es… ihr könnt jetzt damit aufhören! Zoras hustete und drehte sich mit etwas Mühe wieder auf den Rücken, damit er Salihah ins Gesicht sehen konnte, als er vorsichtig den Kopf hinauf drehte. „Salihah… keuchte er kraftlos und seine Lunge machte beängstigend ungesunde Geräusche, als er versuchte, zu atmen, und wieder Blut husten musste. Er schaffte es, seine Hand zu heben und ihre von den Tränen feuchte Wange zu streicheln, worauf sie mit einem Mal erstarrte. „Shh…“ flüsterte er weiterhin und brachte ein müdes Lächeln zu Stande. Ich… würde dich nicht zwingen, nicht zu weinen, Salihah… Tränen sind nicht… alle schlecht.“ Sie bebte vor Schluchzern und eine Träne tropfte von ihrer Wange auf seine Stirn. Er zuckte und sie riss panisch die Augen auf, als sie befürchtete, es wäre schon vorüber – dann hustete er wieder. „Lass mich gehen, Salihah… ich… kann zu Tehya und Enolachen… es… ist recht so.“ „Du hättest das nicht tun dürfen…“ wisperte sie, „Nicht für mich…“ Sie schloss weinend die Augen, als er ihre Wange etwas fester streichelte und seine Finger schließlich über ihre Lippen fuhren, die darauf erbebten. Sie schluchzte. Als sie die Augen öffnete, sprach er leise. „Für niemanden hätte ich es lieber getan als für dich… geliebte Salihah.“ Seine Hand sank zu Boden, als der Geisterjäger für immer die Augen schloss. Salihah schrie erneut, dieses Mal lauter und länger. Bei ihrem Schreien fuhr Tabari unwillkürlich zusammen, Nalani erhob sich abrupt und schnappte atemlos nach Luft. Sie musste sich zusammenreißen – sie musste, es gab noch zu tun! „Kümmere dich um deine Mutter!“ sagte sie zu Tabari und klang nicht halb so gefasst wie sie wollte, was sie ärgerte. Sie musste ihre eigenen Tränen unterdrücken, als sie zu dem niedergeschlagenen Kiuk herüber ging, der auf den röchelnden Denmor aufgepasst hatte; oder das, was von ihm übrig war. Er war am ganzen Körper halbwegs verbrannt, es stand außer Frage, dass er die Nacht auch nicht überleben würde, der Zerstörer hatte ihn voll erwischt. „Antworte, Drecksack,“ zischte Nalani und trat nach Denmor, worauf der stöhnte und zusammenfuhr. „War das deine Idee, Salihah zu töten?! Oder wer hat dich geschickt, wem dienst du Wurm jetzt?!“ Aus Denmors Kehle kam ein krächzendes Lachen, das gefärbt war von den grauenhaften Schmerzen, die er haben musste. „Dienen… huh, Königin Nalani…?“ gackerte er. „Ich diente nur… dem Herrscher Lyriens, Eurem Schwiegervater! Und ich hätte recht getan, sie zu töten, diese Heuchlerin, diese Schlampe… sie ist Schuld an allem Übel…!“ Nalani trat ihm ins Gesicht, als sie ihren Zorn auf den Mann nicht mehr zügeln konnte. Denmor röchelte und hustete noch etwas, bevor er den schweren Verbrennungen erlag. Kiuk japste und seine Schwägerin schnappte kochend vor Zorn nach Luft. „DU SCHWEINEHUND!“ brüllte sie Denmor an, obwohl er tot war, während ihr abermals die Tränen kamen. Sie wollte das beherrschen… sie wollte standhaft bleiben. Aber es war zu schwer… sie konnte nicht. „Wie hat Kelar dem das Gehirn gewaschen, dass er ihm selbst im Tod noch folgt?! Dieser abartige, widerwärtige Wurm, diese des Lebens unwürdige Made! Ich würde dich zerreißen, wärst du nicht bereits tot! Abschaum, du!“ Sie heulte verzweifelt und Kiuk senkte keuchend den Kopf. „Schrei nicht…“ sagte er zu Nalani und sie drehte den Kopf zu Salihah, sie noch immer weinend und jammernd über Zoras Chimalis gebeugt am Boden kniete. „Das… macht Tote nicht lebendig, Nalani.“ Das wusste sie selbst, verdammt. Und Salihah wusste es auch, dennoch schrie sie sich die Seele aus dem Leib… _______________ ähm... booyah? xDD September 969, btw. 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