Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde von Linchan ================================================================================ Kapitel 47: Das Erlöschen des Feuers ------------------------------------ Es war, als hätte sich der Schatten über Vialla verzogen, nachdem Henac Emo aus dem Rat und der Stadt verbannt worden war. Es beruhigte alle irgendwie, zurück blieb nur die Trauer über den Verlust der armen Ruja. Das Licht kehrte zurück in die Stadt, als die Herbstwolken sich auflösten und einen klaren, aber kalten Himmel übrig ließen. Und es erleichterte die Menschen trotz der Kälte, wenn sie nachts die Sterne und Monde sehen konnten, die die dichten, schattigen Wolkenberge bisher verborgen hatten. „Was immer Emo mit Rujas Tod zu tun gehabt haben mag; ob er nun wirklich mit Schuld hatte oder nicht, er war hier fehl am Platz und es war das einzig Richtige, ihn aus dem Rat auszuschließen.“, war Tabaris Kommentar, als er den anderen Geisterjägern offenbarte, was geschehen war. „Ich hätte das längst mal tun sollen.“ „Was besseres als an allem und jedem Meckern oder dämlich grinsen hatte der doch ohnehin nicht zu bieten.“, kommentierte Tare Kohdar das brummend, und sein Bruder seufzte, während er aus seiner Manteltasche Zigaretten zog und für alle eine Runde ausgab zur Feier des Tages. „Vorsicht, unterschätzt den lieber nicht… Henac mag ein süffisanter Scheißkerl sein, aber er hat die Prüfung bestanden. Nach den Regeln der Geister ist er Mitglied des Rates… er stammt aus einem namhaften Clan. Wenn er wirklich irgendeine Intrige geplant hat, der bisher nur Ruja zum Opfer gefallen ist – Himmel bewahre, das ist ja auch schlimm genug!...“ Er schenkte Meoran einen bestürzten Blick, als ihm beim Sprechen einfiel, dass das ziemlich pietätlos der Toten und ihrem Witwer gegenüber geklungen haben musste. Meoran nahm nur schweigend eine Zigarette entgegen und zeigte ein bitteres, aufgesetztes Lächeln. „Eines Tages werden wir ohnehin alle sterben, Barak. Manche früher, manche später, so ist eben das Leben. Es ist eine Krankheit mit hundertprozentiger Sterblichkeitsrate.“ Die anderen Männer schwiegen bedrückt über diese Aussage, während Nalani sich mit der kleinen Saidah und Leyya an den Händen etwas abseits der ganzen Raucher hielt. „Was ich ursprünglich sagen wollte.“, begann der wenig Ältere dann wieder und rückte verstohlen seine Augenbinde zurecht, „Wenn Emo tatsächlich eine Intrige gegen uns geplant haben sollte, kann er das jeder Zeit weiter verfolgen, auch wenn wir es nicht bemerken. Er ist Schattenkrieger, Tabari… er kann seine Anwesenheit verbergen und sich damit unbemerkbar machen. Selbst du als Herr der Geister wirst ihn dann nur mit Mühe finden…“ „Ja, das ist wahr.“, räumte der Blonde ein, „Auf der Hut sein werden wir natürlich. Aber ich… fühle mich irgendwie erleichtert, jetzt, wo er weg ist. Als hätte man mir einen störenden Stein von der Schulter genommen…“ Die anderen Männer nickten schweigend und stimmten ihm zu. Niemand konnte wirklich benennen, woran es lag… aber es brachte Erleichterung. Das Leben ging weiter… und der Schatten zog vorüber, um das Licht zurück in die Stadt und die Geister der Menschen zu lassen. Doch die Ruhe sollte nicht von langer Dauer sein. Leyya seufzte glücklich, als sie den Kopf in den Nacken warf und an die Zimmerdecke sah. Vor ihren Augen sah sie die Flammen, die jetzt ihren Körper erfüllten, und die Hitze, die in ihr hinauf stieg wie kochendes Wasser, als sie auf ihrem Mann saß und sich bewegte, wie sie sich noch nie zuvor bewegt hatte. Als wäre tatsächlich ein Fluch von ihnen allen abgefallen mit Emos Verschwinden, hatte Puran jetzt zum ersten Mal seit diversen Nächten wieder die Ruhe dazu, mit ihr zu schlafen, was beide ungemein beruhigt und erfreut hatte, natürlich besonders den Mann, der jetzt nicht mehr fürchtete, zeitlebens nie wieder mit seiner Frau das Bett teilen zu können, weil sein Körper nicht mitmachte… und es tat wahnsinnig gut, es endlich wieder tun zu können, dementsprechend erhitzt und eifrig waren sie auch bei der Sache. Leyya ließ ihre Hände mir gespreizten Fingern über seinen zitternden Bauch hinab wandern zu der Stelle, an der sie beide vereint waren, und er stöhnte unter ihr laut auf. „Ich weiß, das ist gut, nicht wahr…?“, grinste sie ihn verführerisch an, den Kopf wieder senkend, und er keuchte ungehalten und packte in plötzlicher Ekstase ihre Hüften, um sie festzuhalten und sie tiefer und inniger berühren zu können, worauf die kleine Frau sich nach vorne beugte. Den Druck auf seinen Unterleib verstärkend ließ sie eine ihrer Hände wieder hinauf auf seine Brust gleiten und ihr entrann auch ein lauteres Stöhnen, als er sie fester an sich zerrte. „Ernsthaft… noch eine Nacht länger und ich wäre wahnsinnig geworden…“, stöhnte er dabei, während er sie wieder locker ließ und sie sich über ihm in wilden Verrenkungen durchbog im Moment der größten Ekstase, als das Feuer in ihrem Inneren sie endlich ganz und gar zu verbrennen schien. Sie gaben sich ganz ihrem Verlangen nacheinander hin, als sie den Höhepunkt des Feuertanzes erreichten und von den Wellen der Erfüllung hinaus auf die andere Seite des Himmels getragen wurden. Dann lagen sie einander verschwitzt und erfüllt in den Armen und Leyya kuschelte sich verliebt an die nackte Brust ihres Mannes. Er küsste ihre dunklen Haare und grinste zufrieden. „Und ich habe schon gedacht, das würde jetzt ewig so weitergehen… grauenhaft.“ Sie kicherte und sie teilten einen langen, leidenschaftlichen Zungenkuss. „Ich habe daran geglaubt, dass es wieder wird, mein Liebster.“, gestand sie ihm lächelnd, „Du bist schließlich Puran… du bist der wunderbarste, beste Mann der ganzen Welt… und vor allem bist du mein Mann, hihi!“ Er seufzte leise und erwiderte ihr glückliches Lächeln, als sie einander noch immer erhitzt und leicht aus der Puste losließen und sich auf den Rücken legten, um ein wenig zu Atem zu kommen. „Ja, das bin ich. Das heißt, du hast mich für immer und ewig an der Backe.“ Sie lachten darüber und Leyya war glücklich, dass sich die ernste Stimmung und die Trauer etwas gelöst hatte. Seit Rujas Tod und seit der Bestattung waren mehrere Tage vergangen. Der Holzmond neigte sich schon wieder seinem Ende zu. „Ich habe niemand lieber an meiner Seite als dich.“, erklärte sie feierlich, als sie kurz geschwiegen hatten, und setzte sich langsam wieder im Bett auf. Er fuhr sich stöhnend durch die braunen Haare. „Und das ehrt mich, Leyya… das tut es wirklich.“ Er nahm vorsichtig ihre zierliche kleine Hand in seine und drückte sie sanft, unsicher, was er sagen sollte. Er wollte sie eine Weile einfach nur schweigend betrachten, seine bildhübsche, junge Frau. Ihr niedliches Gesicht, ihre riesigen, dunklen Rehaugen, die sie viel unschuldiger aussehen ließen als sie es war, ihren kleinen, schmalen Körper, der so zerbrechlich wirkte wie der einer Porzellanpuppe… Puran wusste sehr genau, dass sie keine Porzellanpuppe war. Leyya war stark… sie zerbrach nicht so schnell, hatte er gelernt. Und er war froh darüber… was hatte er nicht alles gesagt und getan, was ihr absichtlich oder unabsichtlich wehgetan hatte? Und sie war trotzdem bei ihm… und sie liebte ihn vermutlich mehr als sie jemals irgendeinen Menschen auf der ganzen Welt geliebt hatte. Das ehrte ihn und machte ihn gleichzeitig ziemlich verlegen. „Was ist los…?“, flüsterte sie zärtlich, als er so lange nichts sagte, und sie legte sich auf den Bauch wieder neben ihn und rutschte dichter heran, eine Hand hebend, um seine Wange zu streicheln. Er sah ihr ins Gesicht und beugte den Kopf herüber, um ihr einen liebevollen, kurzen Kuss auf die Lippen zu setzen. „Ich habe mich gerade gefragt, wie ich in Worte fassen könnte, was ich für dich empfinde… ich sehe dich so gerne einfach nur an, Leyya… und dann sehe ich dich an und sehe eine wunderschöne Frau, die… viel erwachsener ist als sie aussieht, glaube ich. Und eine Frau, die mir in den vergangenen Jahren so sehr ans Herz gewachsen ist, als… wäre sie schon immer da gewesen. Es ist ganz seltsam, es… ist wie diese Bänder, von denen du einst gesprochen hast.“ Leyya sah ihn aus riesig geweiteten Augen an; Augen voller Stolz, voller Freude über seine lieben Worte, voller bedingungsloser Liebe für ihn. Und nur für ihn, für keinen anderen Menschen der ganzen Welt empfand sie auch nur annähern so viel… Puran lächelte und strich ihr abermals über die Haare. „Verdammt.“, lachte er dann, „Ich kann das nicht in Worte fassen! Ich kann nicht sagen, wie sich das anfühlt, ich weiß nur… dass es… richtig ist. Bei dir bin ich daheim, Leyya…“ Und das Schönste von allem auf der ganzen Welt war, so fand er in dem Moment, Leyyas Strahlen darauf. Sie strahlte, als wäre sie der einzige rundum glückliche Mensch der ganzen Welt. Und es war so schön, wenn sie strahlte… er wollte, dass sie es immer tat. „Ich liebe dich, Puran…“, wisperte sie und war vor Freude den Tränen nahe, sodass er sie rasch wieder in seine Arme zog und sich mit einem tiefen Seufzen mit ihr herum rollte, sodass er über ihr lag. Die kleine Heilerin schlang zärtlich die Arme um seinen nackten Körper und gab sich seinen Lippen hin, als er sie liebevoll küsste. Als sie dann vorsichtig die Beine spreizte und zuließ, dass er sich dazwischen legte, spürte sie bereits, dass die Flamme in ihren Lenden von neuem aufloderte, während die Hände ihres Mannes zärtlich ihre Brüste umkreisten. „Schlaf mit mir…“, stöhnte sie leise und voller Verlangen nach ihm, sobald er sich von ihren Lippen löste, und er antwortete nicht; dazu brauchte er keine Worte. So presste er sich schweigend dichter an sie und beugte das Gesicht über ihre jetzt hart aufgerichtete Brustwarze, um sie sanft in den Mund zu nehmen, als ihre Finger spielerisch wieder in seine Mitte wanderten. Sie schliefen viermal miteinander. Als sie endgültig erschöpft einschliefen, war die Nacht schon mehr als halb um. Und es war in jener Nacht, dass Puran zum wiederholten Mal das Gefühl bekam, die Geister von Himmel und Erde würden nie einfach so zulassen, dass die Menschen in Ruhe glücklich waren. Puran träumte einen eigenartigen Traum. Auf dunkler, feuchter Erde tanzte seine kleine Frau nackt im Wind, über ihr ein böse grollender Himmel. Sie wiegte ihren nackten, hübschen Körper sanft hin und her und sah ihn auffordernd an, kicherte mädchenhaft, als sie die Hände nach ihm ausstreckte und ihn festhielt. Und sie tanzten gemeinsam, den gleichen Tanz, den sie noch vor kurzem im Bett getanzt hatten, und sie vereinten sich unter dem grollenden, schwarzen Himmel auf der Haut von Mutter Erde. Als täte er es wirklich wieder, spürte er in seinem Inneren die Erregung wachsen, als er im Traum mit seiner Frau schlief; bis sie plötzlich hinter einer Wand aus lodernden Flammen verschwand, worauf Puran hochfuhr und erschrocken nach ihr rief. Als sie wieder in seinem Blickfeld auftauchte, umarmte sie ihn zärtlich von hinten, die ganze Zeit schweigend; erst jetzt sprach sie, als er sich zu ihr herumdrehte und sie anstarrte. Ihr Bauch war rund geworden von neuem Leben, das darin heranwuchs. „Ist das nicht wunderschön?“, freute sich die Heilerin und strahlte, „Ein kleines Kind von dir und mir…“ Ehe er etwas erwidern konnte, verschwand die Umgebung um sie herum. Übrig blieb Leyya inmitten von Finsternis, in einer gähnenden Leere schwebend. Und ihre Stimme klang bizarr und verzerrt, als sie fortfuhr. „Freust du dich, Puran?“ Er kam nicht zum Antworten, denn Leyya löste sich vor seinen Augen auf, an ihrer Stelle tauchten aus dem Nichts gewaltige Raubkatzen auf, die bestialische Fangzähne hatten. Sie stoben an dem jungen Mann vorbei und keuchend fuhr Puran herum, um ihnen nachzustarren. Die Geister zischten in seinem Kopf, es war ein gemeines, bösartiges Zischen, und er schnappte entsetzt nach Luft. Die Raubtiere jagten geifernd über eine schwarze, blutige Erde, unter dem zornigen Himmel hinweg. Bei näherem Hinsehen erkannte Puran, worauf sie zuhielten; in der Ferne mitten auf der Tundra stand ein kleiner Junge. Ein kleiner Junge, der ihm selbst so dermaßen ähnlich sah, dass der Geisterjäger kurz dachte, er sähe sein jüngeres Selbst; aber ihm wurde schnell klar, dass es hier nicht um ihn ging… er sah sein zukünftiges Selbst, das Kind, das Leyya ihm gebären würde. Seinen Sohn. „Lauf weg!“, wollte er rufen und Panik ergriff ihn, als die Raubtiere auf das schutzlose Kind zu rannten, aber es kam kein Ton aus seiner Kehle. Und er war unfähig, sich zu bewegen, er wollte nach vorne hechten und den Jungen beschützen, sein eigenes Kind… aber es kam alles anders. Das vorderste der Raubtiere kam direkt vor dem Jungen zum Stehen und das Kind und das Tier starrten einander aus giftgrünen Augen feindselig an. Und Puran keuchte, als die Raubkatze plötzlich menschliche Züge annahm; und er erkannte mit Entsetzen die Fangzähne wieder. Die spitzen Eckzähne, die sein Großvater gehabt hatte, der gefürchtete Tyrann Kelar Lyra. Eine grauenhafte, furchteinflößende Gestalt war es, als das Raubtier plötzlich zu Kelar Lyra wurde, dem Jungen gegenüber stehend. Die anderen Raubkatzen ergriffen quiekend die Flucht aus Angst vor der gewaltige Macht des Tyrannen, die Puran beim bloßen Anblick in jede Pore drang und die ihn vor Panik zu lähmen schien. Fassungslos sah er zu, wie sein zukünftiges Kind seinem Großvater gegenüber stand, und das Kind erhob die Arme zum Himmel, gebieterisch und mit der herrischen Art eines mächtigen Magiers. In dem Moment, in dem der Kleine und der grausame Kelar einander so gegenüber standen und beide ihre gewaltige, furchtbare Macht in den Himmel ergossen, vereinten sich die gewaltigen Windgeister mit den Bewegungen des Kindes, und es drehte den Kopf, um herrisch empor zu starren und den Mund für einen Tod bringenden Zauber zu öffnen… und Puran hatte das Gefühl, ihm bliebe das Herz stehen. Das Kind hatte dieselben, grauenhaften Eckzähne wie der Großvater. Das Bild aus dem Traum und aller Schrecken zerplatzten mit einem furchtbaren Krachen, das die Erde erschütterte, und aus heiterem Himmel durchfuhr ein grauenhafter Schmerz Purans Körper, als er die Augen aufschlug und plötzlich wieder in der Wirklichkeit war. Er fragte sich kurz, ob er wohl geschrien hatte. Aber als er sich schweißgebadet im Bett aufsetzte und auf seine schlafende Frau sah, war er beruhigt. Zumindest hatte er sie nicht geweckt. Er betrachtete Leyya mit noch immer pochendem Herzen, wie sie nackt neben ihm lag und selig schlief. Sein Blick fiel auf ihren flachen Bauch. Er suchte panisch nach irgendeiner Veränderung… war sie komisch gewesen in der letzten Zeit? Anders als sonst? Er konnte sich nicht erinnern… verdammt! Stöhnend raufte er sich die Haare. An Schlaf war nicht mehr zu denken, so aalte er sich aus dem Bett und zog sich schnell und so leise wie möglich an, um sie nicht zu wecken. Er musste hier raus… er musste an die frische Luft. Die Angst schnürte ihm noch immer die Kehle zu… jetzt ergab plötzlich so vieles einen Sinn. Jetzt ergab es Sinn, dass er die ganze Zeit noch von seinem Großvater träumte, dass er ihn immer noch fürchtete… irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass sie den Geist des Tyrannen nicht so los waren, wie sie es gerne gewesen wären. Er würde zurückkehren… auf eine abstruse, grausame Weise, und er würde sie alle vernichten. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, diese Frau zu heiraten? Vielleicht hatten die Geister ihm ja von Beginn an nur Streiche gespielt… „Ja, genau, lauf zu ihr hin! Lauf und nimm die Frau, die wir für dich erwählt haben!“ , hörte er sie in seinen Wahnvorstellungen zischen, während er Hals über Kopf aus dem Zimmer stürzte, den Korridor entlang, die Treppen hinab, irgendwie hinaus. „Nimm sie und pflanze ihr deinen Samen in den Bauch, damit sie den einzig wahren Erben der Geister wiedergebären kann… dem einzigen, dem wir jemals vollständig dienen werden, denn ihr anderen seid nur Würmer… nur Staub und Luft!“ „Nein!“, japste Puran und glaubte, er würde vor Panik wahnsinnig werden. „D-das ist so nicht, das ist eine Lüge! Ich werde nicht zulassen, dass das passiert, niemals! Ihr könnt… ihr könnt nicht so mit mir spielen! Ich bin ein Geisterjäger, ich bin ein Schamane! Und ihr habt meinen Befehlen Folge zu leisten, ihr schlüpfrigen, verfluchten-…!“ Er hielt sowohl im Rennen als auch im Fluchen inne, als er den Innenhof erreicht hatte und feststellte, dass er nicht allein dort war. Auf der Treppe sitzend fuhr die Frau zu ihm herum und starrte ihn verblüfft an. „Du liebe Güte, was hat dich denn angegriffen?“ Puran japste erneut. „Mutter…?“ Nalani war beunruhigt über den Wahnsinn in seinem Gesicht, als er so zerzaust und völlig neben sich hinter ihr stand und sie anstarrte, als wäre sie von den Toten auferstanden. Er sah grauenhaft aus, aschfahl im Gesicht und plötzlich scheinbar um Jahre gealtert. „Komm zu mir.“, bot sie ihm dann ruhig an, und er bewegte sich erst zögerlich, dann setzte er sich aber neben sie auf die Stufen, die hinab in den Hof führten. Es war kalt draußen… die Sonne ging beinahe auf. Puran fuhr sich ein paar Mal mit den Händen über das Gesicht und zitterte, als seine Mutter ihn schweigend musterte. „Was ist passiert?“, fragte sie ihn dann, „Hattest du einen Alptraum?“ Seine Reaktion war weitaus heftiger als sie geahnt hätte, als er plötzlich fast in Tränen ausbrach und in sich zusammensackte wie ein zu früh aus dem Topf genommener Hefekloß. „Alptraum?! Alptraum, mein ganzes Leben ist ein Alptraum! Die Geister verarschen mich, Mutter! S-sie tun das alles nicht, um uns zu schützen oder zu leiten, es ist alles Großvaters Schuld! Großvater, verdammt, ich habe so panische Angst, dass ich fast sterbe im Moment!“ „Großvater?!“, fuhr Nalani verblüfft auf, „Du hast von ihm geträumt?“ Er jammerte und starrte sie in wilder Panik an, ergriff ihre Arme und schüttelte sie heftig. „Er kommt wieder, sein Geist ist nicht vernichtet, ich weiß es! Er wird wieder zurückkommen, Mutter, u-und wir werden alle Opfer der Spielchen der Geister! Mein Leben lang habe ich diese Furcht, immer und immer wieder wurde ich daran erinnert, a-aber heute Nacht… d-du hättest das sehen sollen, es… d-das ist nicht möglich! Es ist grauenhaft, ich weiß es!“ Nalani senkte kurz die Brauen, als er aufhörte, sie zu schütteln, sich stattdessen wieder hysterisch wimmernd durch die Haare fuhr und wie ein wütendes Kind mit den Füßen auf der Stufe herum stampfte, während er saß. „Ja, das denke ich auch… ich fürchte, Kelars Geist ist tatsächlich wieder in dieser Welt… ich träume auch oft von ihm, wieder und wieder, und ich habe mich gefragt, wieso.“ „Ja, ich auch!“, keuchte er und schien sich allmählich etwas zu fassen. „Heute Nacht kam mir plötzlich die Erkenntnis, ich weiß, wie es passieren wird! E-es ist mein Kind, es ist verdammt noch mal mein Kind!“ Der Blick, den er darauf erntete, verblüffte ihn. „Dein Kind?“, fragte Nalani scharf. „Du hast von… deinem Kind geträumt?“ „Es… es war mein Sohn… meine Instinkte haben es mir gesagt, ich weiß es, Mutter.“ „Du meinst, ein Sohn von dir und deiner Frau?“ „Na ja, natürlich… u-und es war fürchterlich, aus den Raubtieren kam plötzlich Großvater heraus und…“ Nalani unterbrach ihn kalt. „In deiner Vision gab es Raubtiere und einen Sohn von dir und Leyya? Und Kelar? Sprich nicht weiter, dann haben… wir denselben Traum gehabt. Ich habe das gleiche gesehen, eben gerade.“ Puran blieb der Mund offen stehen. Er blinzelte und suchte nach Worten. Als er sie fand, war seine Stimme ganz zittrig. „Moment… du hast es auch gesehen? Warum… warum sitzt du hier so ruhig?! Ist dir klar, was das bedeutet?! Du hast gesehen, dass mein Sohn dieselben Zähne hatte wie Großvater! Und denselben, grausamen Blick! Das Kind ist es, das den Geist von Großvater wieder in diese Welt bringen wird… d-das ist furchtbar!“ Seine Mutter schien seine Panik nicht zu teilen. „Wovon redest du?“, schnarrte sie, „Wer sagt, dass es so sein wird? Dass es so kommt, ist absolut unmöglich, es sei denn, du wärst so dumm, deinen Sohn Kelar zu nennen, und das wirst du wohl kaum.“ „Aber die Windgeister… sie haben ihm gehorcht… sie haben sich zusammengetan, das Kind und Großvater waren eins, wie ein und dieselbe Person…“ „Die Winde haben dem Jungen gehorcht, ja. Aber er hat der Bestie gegenüber gestanden und sie damit zerschmettert.“ „Was? Bei mir hat es nur den ganzen Traum zerschmettert… du kannst doch nicht so optimistisch denken! Ich glaube, dieser Junge wird uns alle töten, wenn er zur Welt kommt! Ich… ich kann nicht zulassen, dass das geschieht!“ „Die Geister schicken uns Visionen der Zukunft, Puran.“, erwiderte seine Mutter bestimmt, „Aber sie zu deuten ist Aufgabe der Schamanen. Und wir beide sind offenbar verschiedener Meinung. Du sagst, der Junge wird uns vernichten; ich sage, er wird Kelars Geist vernichten. Das ist ein verheerender Unterschied.“ „In der Tat!“ „Ich kann dir nicht sagen warum, aber ich habe schon seit längerem das Gefühl, dass Kelar hier präsenter ist als er sein sollte. Wenn, dann ist sein Geist, so fürchte ich, schon lange wieder in dieser Welt, das heißt, mit einem Sohn von dir hat das gar nichts zu tun.“ „Das ist ein Bauchgefühl, das beweist gar nichts!“, entrüstete er sich, „Was, wenn ich recht habe?! Ich kann doch nicht zulassen, dass Leyya ein Kind von mir kriegt, wenn ich weiß, dass es die Familie vernichten wird!“ „Du irrst, Puran.“, war die kalte Antwort seiner Mutter und er schnaubte empört, als sie ihn so grimmig anstarrte. „Es ist das Gegenteil der Fall; wenn dieses Kind nicht geboren wird, gibt es vielleicht niemanden, der fähig ist, Kelars Geist zu vernichten! Sei nicht so stur und tu, was ich dir sage.“ „Stur?!“ Er erhob sich jetzt und taumelte kurz, als ihm vom plötzlichen Aufstehen kurz schwindelig wurde. „Entschuldige mal, du kannst dich genauso gut irren wie ich! Wenn ich recht habe, ist das das Ende des ach so großartigen Lyra-Clans, wenn ich zulasse, dass Leyya ein Kind bekommt! Und du bist bereit, das alles zu riskieren, nur für den Fall, dass ich mich eventuell irre? So herum ist es sicher! Irgendwer wird sich schon finden, der Kelars Geist zerstört, und wenn ich es selbst tun muss – wenn ich recht behalte, wird er gar nicht erst geboren, Mutter!“ Nalani lachte ihn schallend aus und versetzte ihm damit einen tiefen Stich, ehe sie sich auch erhob und ihn mit herablassendem Stolz anblickte, obwohl er bereits einige Zoll größer war als sie. „Du willst Kelars Geist bezwingen, Puran Lyra?“, schnarrte sie, „Du? Du bist ein talentiertes Zauber-Genie, das macht dich aber noch lange nicht zum Herrn der Geister. Mit deiner… ewigen Panik würdest du doch eher davonlaufen als ein Schwert gegen deinen Großvater zu erheben… denkst du wirklich, es wäre so einfach?“ Er schnappte fassungslos nach Luft über diese Demütigung. Kurz spürte er in sich, zutiefst in seinem männlichen Stolz verletzt und wutentbrannt, das Bedürfnis, sie dafür zu schlagen. Sie war seine Mutter! Sie hatte ihn geboren, gesäugt und aufgezogen, alles, was er war, war er teilweise auch ihretwegen oder um ihretwillen! Und vor allem hatte er sie immer geliebt, so sehr ein Sohn seine Mutter nur lieben konnte… wie konnte sie da so über ihn sprechen? Er unterdrückte die aggressive Ader in seinem Inneren gekonnt, ballte aber zitternd vor Wut und ob der Demut die Fäuste. Nalanis Blick wurde sanfter, als er zwei Schritte rückwärts trat, aber sie sprach nicht. Kein Wort der Entschuldigung… kein abschwächendes ‚Du weißt, warum ich das sagen muss, mein Kind’. Gar nichts kam. Er zischte, als die Aggressivität in ihm jetzt einer grauenhaften Enttäuschung wich, und Nalani beobachtete schweigend, wie er innerlich in sich zusammenbrach und wie sein Gesicht sich verzog, als er beinahe wieder zu weinen begonnen hätte vor Wut. Sie wusste, dass sie ihn verletzt hatte… aber wenn er nicht einsichtig wurde, würden sie alle einen bitteren Preis dafür zahlen. Wäre Puran noch ein Kind gewesen, ihr kleiner, anhänglicher Junge, der bei jedem Mucks jammernd unter ihrem Rock verschwunden war, der bei jeder Gelegenheit Muttermilch und ihre Liebe als Mutter aus ihrer Brust gesaugt hatte, dann wäre alles leichter gewesen… dann wäre es leichter gewesen, ihn zu überzeugen. Aber er war jetzt erwachsen und entschied selbst, was er tat… und wenn er sich irrte und falsch entschied, musste er die Konsequenzen tragen. Nalani schmerzte der Gedanke, ihn nicht auf ewig beschützen zu können. „Wir werden sehen…“, schnappte er da und sie bemühte sich, ihre kalte Fassade aufrecht zu halten, obwohl es ihr leid tat, wie seine Stimme brach beim Sprechen. „Du magst die Königin der Schamanen sein, Mutter… aber du bist nicht unfehlbar! Merk dir das… du törichte Närrin!“ Mehr vermochte er ihr nicht ins Gesicht zu werfen, auch wenn bei seinem Zorn die abscheulichsten Schimpfwörter auf seiner Zunge gelegen hatten. Sie war seine Mutter… und er klammerte sich immer noch so sehr an sie. Er könnte sie niemals wüst beschimpfen. Wutentbrannt zischend machte er Kehrt und stampfte davon, zurück in den Palast, aus dem er gekommen war. Nalani blieb zurück und seufzte beunruhigt, ehe sie sich wieder hinsetzte und schweigend den Sonnenaufgang beobachtete. „Ihr Geister von Himmel und Erde… sprecht mit mir…“, befahl sie dumpf, „Bin ich denn so im Unrecht, wenn ich mein Kind vor Dummheiten beschützen möchte? Bin ich eine schlechte Mutter gewesen…? Dann tut es mir leid…“ Die Geister antworteten ihr nicht, und die Frau vergrub zitternd den Kopf in den Armen, die Beine anziehend, und schottete das wärmende Sonnenlicht von ihrem Leib und ihrem Geist ab. Leyya stand vor einem Mysterium. Und wie jedes Mal, wenn es je so gewesen war in ihrem Leben, ging es um Puran. Sie hatte keinen Schimmer, was ihm über die Leber gelaufen war, aber als sie am Morgen aufwachte, guter Laune ob der schönen vorangegangenen Nacht, war er nicht mehr im Bett. Sie fand ihn in der Wohnstube der Gemächer, wo er, bereits fertig angezogen und gekämmt, wütend fluchend auf und ab stampfte. Auf Fragen von ihr reagierte er gar nicht, was sie ärgerte, aber sie beschloss weise, ihn in Frieden zu lassen. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag… das würde schon vergehen. Es tat ihr nur leid um ihre schöne gute Laune, die bei seinem wütenden Anblick wie eine Seifenblase zerplatzt war. Und wenn die Heilerin geglaubt hatte, es wäre nur eine Laune ihres mitunter ziemlich grimmigen Mannes, hatte sie sich geirrt, den die nächsten Tage machten es nicht besser, sondern immer schlimmer. Er sprach selten mit ihr, und wenn sie es wagte, ihn zu fragen, was denn eigentlich passiert sei, fuhr er ihr barsch über den Mund, statt ihr zu antworten. Die kleine Frau war verzweifelt; was hatte sie denn falsch gemacht? Wenn er so mit ihr umging, war es sicher ihre Schuld… aber wofür sollte sie sich entschuldigen, wenn sie nicht gesagt bekam, was sie getan hatte, das ihn so erzürnte…? In den ersten Nächten kehrte er ihr nur den Rücken. Dann begann er irgendwann, nachts gar nicht mehr bei ihr zu liegen, sie hatte keine Ahnung, wo er schlief, in seinem Bett jedenfalls nicht. Das war der Moment, in dem Leyyas Furcht, etwas Falsches getan zu haben, in Zorn umschlug. „Was machen eigentlich die Zuyyaner? Sind die eingeschlafen am Fluss oben?“, fragte Neron Shai, als sie am letzten Tag des Holzmondes eine Ratssitzung mit den Königen, den obersten Generälen und dem Senat abhielten. Der junge Mann erntete von einigen amüsiertes Gelächter, der König von Kisara räusperte sich. „Das fragen wir uns auch. Wie die Späher berichten, sitzen sie in ihrem Lager herum…“ „Vermutlich brüten sie irgendetwas Furchtbares aus!“, sagte einer der Generäle scharf, „Seit Monden belagern sie unsere Hauptstadt schon, irgendetwas tun sie hinterrücks, das uns dann endgültig von den Beinen reißt. Wir sollten sie zerschlagen, bevor sie Gelegenheit bekommen, ihr Ei zu Ende zu brüten!“ Zustimmendes Gemurmel. Tabari seufzte. „Bei allem Respekt, Herr, ob das so leicht ist? Das Lager der Zuyyaner ist riesengroß. Sie frontal anzugreifen wäre ziemlich riskant. Sie sind nicht dumm und sie haben genau wie wir Möglichkeiten, sich vorher zu informieren, was passieren wird. Wo wir unsere Visionen haben, haben die ihre Seelenkugeln, diese Monsterdinger, die Leute schlachten, ohne dass sie bluten.“ Die Männer sahen sich abermals murmelnd an, Nalani senkte bitter den Kopf, während ihr Mann sprach. Sie linste zu ihrem Sohn herüber, der noch grimmiger als sie auf die Tischplatte stierte, als wollte er sie mit bloßen Blicken zerstören. Töten ohne dass sie äußerlich verletzt werden… das ist eine grausame Sache. „Vergebt mir, Herr, wenn ich Euch widerspreche.“, warf ein anderer der Generäle dann ein und sah Tabari kurz an, „Aber wenn wir aus der Offensive angreifen und sie überraschen, haben wir einen klaren Vorteil. Und wir haben jetzt die Armeen von Kisara, Senjo und Intario vereint hier. Ich sage, wir stürmen das Lager und vernichten sie schneller als sie gucken können, Majestät.“ „Das ist Wahnsinn!“, keuchte Barak Kohdar auch, „Die lassen sich nicht überraschen!“ „Was sollen wir stattdessen tun? Sollen wir hier sitzen und warten bis sie uns überrennen? Das geht zu lange so, wenn dieser Krieg noch ewig geht, sind unsere Männer irgendwann ausgezehrt und schwach von den langen Jahren! Eins ist klar, Majestät, einen langen Krieg gegen die Zuyyaner gewinnen wir niemals. Einen schnellen Kampf vielleicht. Die Magier haben recht, es wäre riskant… aber ebenso riskant ist es, abzuwarten, was sie als nächstes tun.“ Der König blinzelte und die anderen anwesenden Männer und Nalani tauschten jetzt eine Reihe von unsicheren Blicken aus. „Zumindest würde es dem Volk nur zu Gute kommen, wenn der Krieg bald vorbei wäre.“, brummte Puran dann, und Tabari schnaufte. „Wäre, ja. Wer sagt, dass wir es so beenden? Majestät, bei allem Respekt… das wird nicht funktionieren.“ „Heißt das, Ihr wollt Euch weigern, sie anzugreifen?“, war die Entgegnung des Militärs und der Herr der Geister verneigte sich. „Ich werde mich dem fügen, was mir befohlen wird. Und der Rat der Geisterjäger wird mir folgen, darauf gab ich einst mein Wort. Ich halte es dennoch nicht für die beste Idee, sie einfach im Lager anzugreifen. Mir kommt es vor, als würden wir in eine offene Falle rennen.“ Er wandte sich an den König von Kisara. „Was gedenkt Ihr zu tun, Majestät?“ Jetzt richteten sich alle Blicke erwartungsvoll auf den König, der eine Weile schwieg. Als er das Haupt wieder erhob, lag in seinen Augen keine Unsicherheit mehr. „Dann werden wir gehen und es ihnen zeigen. Das Versteckspiel ist vorüber… sollen sie sehen, wo sie bleiben, diese elendigen Schurken! Das ist verdammt noch mal unser Land… und wir machen keine halben Sachen. Vor Sonnenaufgang ziehen wir nach Zarimia!“ Als Puran in sein Zimmer zurückkehrte, nachdem die Versammlung beendet war, hoffte er eigentlich darauf, ein bisschen Ruhe zu finden, aber er hatte sich darin getäuscht. Leyya erwartete ihn, als er eintrat, und sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie wütend war. Er wusste, warum sie wütend war, und es tat ihm leid… aber was sollte er machen? Er durfte nicht zulassen, dass sie ein Kind bekam… als sie sich vor ihm aufbäumte in voller Größe, bereute er seine Entscheidung sehr. Sie war hübsch… sie war hübsch und so unschuldig. Sie konnte nichts dafür, dass er träumte… es war nicht gerecht, es an ihr auszulassen, das wusste er. „Entschuldige, Leyya, ich habe jetzt keine Zeit.“, sagte er kalt und versuchte, an ihr vorbei ins Bad zu gelangen, aber sie stellte sich ihm in den Weg. „Einen Moment, Herr Lyra!“, zischte sie, „Hast du mir nicht etwas zu erklären? Warum du so grauenhaft scheußlich zu mir bist in letzter Zeit? Und wo du die letzten Nächte warst?“ Er zuckte vor Schreck zusammen. Oh nein… das hatte sie jetzt bestimmt falsch aufgegriffen. Er kam erst jetzt auf die Idee, dass es aussehen musste, als treibe er es mit einer anderen Frau… was natürlich nicht der Fall war. Er hatte bei Meoran übernachtet, da lief er nicht Gefahr, die arme Leyya aus Versehen doch zu schwängern… „Leyya, es ist nicht das, was du denkst.“ „Was willst du wissen, was ich denke, du redest ja nicht mal mehr mit mir!“, fuhr sie ihn an und er zischte, als sie immer lauter wurde. „Was ist los mit dir?! Kein Wort hast du gesagt, was passiert ist, du bist seit Tagen schlecht gelaunt und komisch! Würdest du mir also bitte endlich sagen, was du hast, verflucht?! Du kehrst mir schon wieder den Rücken, nennst du das etwa Ehe? Da können wir doch gerade wieder und dann sowas…“ „Leyya, es tut mir leid, dafür habe ich einfach gerade keine Zeit, versteh das bitte.“ „Das ist doch Humbug!“, blaffte sie ihn an, und als er die Augen verdrehte und sich an ihr vorbei drängelte, packte sie seinen Ärmel und zerrte ihn zurück, ihn wütend ansehen. „Spuck endlich dein Problem aus, Puran!“ Er riss sich jetzt ebenfalls verärgert los. „Verdammt, Visionen! Reicht dir das?! Diese Träume bringen mich um den Verstand und ich habe Pflichten, Frau! Ich kann nicht die ganze Nacht bei dir liegen und Spaß haben!“ „Bis vor kurzem konntest du das sehr gut. Was hat dich verändert? Sag es mir… bitte.“ Sie wurde wieder leiser und Puran senkte bedrückt den Kopf, als sie ihn losließ und ergeben das Gesicht wegdrehte. Dann seufzte er und zog ihr Kinn mit den Fingern zärtlich wieder zu sich herum. „Diese Vision, die ich sah… handelte auch von dir. Von… uns… indem ich mich von dir fernhalte, versuche ich nur, dich zu beschützen, Leyya. Es gab… es gab ein… Kind… von uns… und dieses Kind… wird ein böses, schlechtes Kind sein, ein Kind mit dem Geist meines Großvaters. Deshalb… kann ich nicht zulassen, dass es dazu kommt. Deshalb… kehre ich dir den Rücken, Leyya. Lass mich jetzt los und geh.“ Sie starrte ihn an, während er ihr abermals den Rücken kehrte, jetzt ins Badezimmer ging und genervt anfing, sich zu kämmen. „Ein Kind? Du hast gesehen, dass wir beide… ein Kind haben?“, wisperte sie fassungslos, und er sagte nichts. „Und du… du willst… verhindern, dass es geboren wird?“ „Ja, so ist es. Du kanntest meinen Großvater nicht, aber ich habe dir oft genug gesagt, dass er böse war. Er darf nicht wieder zurück in diese Welt, um keinen Preis. Vergib mir, Leyya… vielleicht…“ Er senkte jetzt bitter den Kopf und sie schauderte, als er abermals seufzte. „Vielleicht war es falsch, dich geheiratet zu haben.“ Die Heilerin reagierte anders als er geahnt hätte. Sie stampfte ins Badezimmer, zerrte ihn gewaltsam herum und zwang ihn damit, sie anzusehen; als er es tat, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. „Hörst du dich mal reden?!“, fauchte sie, als er sie fassungslos anstarrte, „Wo ist der Mann, den ich geheiratet habe, den ich liebe?! Bis vor ein paar Tagen war er noch da! Welche Dämonen besitzen dich, Puran, dass du sowas überhaupt nur denkst?! Wir beide gehören… doch zusammen! Außerdem, woher willst du sichergehen, dass ich nicht längst schwanger bin? Ist ja nicht so, dass wir nie miteinander geschlafen hätten…“ Er starrte sie an. „Moment, du bist schwanger?!“ „Nein, du Idiot, bin ich nicht!“, rief sie, „Aber ich sehe nicht ein, nie Kinder haben zu dürfen, weil du plötzlich paranoid wirst! Wie soll denn dein Großvater in unserem Kind wiedergeboren werden? Ich werde mein Kind schon nicht nach ihm benennen, Puran!“ „Das weiß ich, aber dann wird der böse Geist irgendwelche anderen Wege finden! Ich habe es doch gesehen, verdammt!“ Er schnappte empört nach Luft, als sie auf ihn zutrat und ihn rückwärts stieß, bis er gegen die Badewanne stolperte. „Ich bin aber nicht bereit, mein Leben kinderlos zu fristen, Puran.“, erklärte sie bestimmt, „Und bevor du wieder mit sowas anfängst, nein, ich will keinen anderen Mann! Ich will dich, und ich will nur mit dir Kinder! Ich wünsche mir so sehr eine große Familie mit vielen Kleinen, die um uns herum laufen und glücklich sind… du wirst sehen, wenn wir sie liebevoll großziehen, werden sie schon keine Bestien werden wie dein Großvater!“ „Du denkst, es wäre so einfach?“, brummte er und sie schnaubte, als er sich wieder aufrichtete, um bedrohlicher zu wirken. „Du verstehst wohl den Ernst der Lage nicht, Leyya. Mein Großvater hat hunderte, wenn nicht tausende von Menschen ermordet, er war kaltblütig, machthungrig und wahnsinnig! Willst du so ein Kind erziehen? Ein Kind mit denselben, fürchterlichen Zähnen einer Bestie?“ „Ja, das will ich.“, sagte sie, und er starrte sie an. „Solange es dein Kind ist, werde ich es mit allem lieben, was ich habe. Und du wirst mich auch nicht davon abbringen können, egal, was du sagen magst. Ich bin deine Frau… wir sind eins, vor den Augen von Vater Himmel haben wir das bezeugen lassen. Du wirst mich nicht so einfach los, Puran, vergiss es!“ Er sah sie an und seufzte leise. Wie gerne hätte er sie in die Arme geschlossen? Wie gerne hätte er zugelassen, dass alles einfach wieder gut wurde…? Aber die Angst in ihm davor, dass Kelar wieder zurück in diese Welt kehren würde, war zu groß… das Risiko war zu heftig, das er eingehen würde. Wie sollte er das reinen Gewissens verantworten? „Ich kann das nicht, Leyya.“, sagte er so dumpf und sie weitete die Augen, als er sich abermals an ihr vorbei schob und das Bad wieder verließ. „Ich bewundere deinen Ehrgeiz. Aber so geht es nicht… wenn du Kinder willst, such dir wen anderes. Wenn du bei mir bleiben willst, wirst du damit leben müssen, dass wir niemals Kinder haben werden. Du hast die Wahl… es tut mir leid, dass ich dir Kummer bereiten muss. Ich versuche nur, dich zu beschützen…“ Er lächelte bitter, als er ihr flüchtig über den Kopf strich und dann die Gemächer verließ. „Ich würde sterben, wenn dir etwas zustieße wegen meiner Fehler…“ Dann ging er und ließ sie allein. Und die junge Frau senkte den Kopf und versuchte mit aller Kraft, die sie hatte, die Tränen zurückzudrängen, die ihr kamen… Sie wollte nicht weinen. Nicht seinetwegen… aber sie konnte doch nicht anders… Der Angriff auf das Lager der Zuyyaner war ein Desaster, wie Tabari es vorhergesagt hatte. Zuerst schlugen sie sich gut und offenbar hatten sie die Feinde tatsächlich überrumpelt mit der plötzlichen Offensive. Doch die Zuyyaner fassten sich schneller wieder, als den Kriegern lieb sein konnte, und nicht einmal die Hälfte des Lagers war zerstört, nicht einmal ein Achtel der Armada vernichtet, als sie zurückschlugen. Weit über hundert der Angreifer verloren ihr Leben, als der König von Kisara zum Rückzug blies, und sie ließen die Flachländer von Zarimia brennend hinter sich zurück. Puran vergaß nie den Blick des blonden Generals der Zuyyaner, dem er jetzt seit Ewigkeiten zum ersten mal wieder Auge in Auge gegenüber gestanden hatte; ein Blick voller Scharfsinn und Skepsis, als versuchte der Mann genau abzuschätzen, mit wem er es eigentlich immer wieder zu tun hatte. Der General der Zuyyaner mit dem seltsamen Helm war ein weitaus besser organisierter und listigerer Mann als die Generäle aus Kisara oder Senjo es waren, hatte Puran das Gefühl… Der Blonde wusste, was er tat. Die Generäle von Tharr schienen sich da nicht so sicher zu sein, wenn man diesen wahnwitzigen Angriff betrachtete. Puran hatte keine Ahnung vom Militär und eigentlich interessierten ihn Kriegsstrategien nicht. Aber wenn er eines im laufe seines Lebens gelernt hatte, dann war es, seine eigene Macht einzuschätzen und die des Gegners. Und wenn der Gegner zu groß für ihn war, dann musste er andere Wege finden… Der Mond der Stürme brachte Regen über das Land, der die Brände auf den Feldern des Krieges löschte. Hatten sie nach Emos Verschwinden kurz Luft holen können, so kehrte die Ungewissheit über die Zukunft jetzt mit aller Macht zurück. Nervös kauerten die Menschen in Vialla und nichts änderte sich. Die Zuyyaner belagerten noch immer das Hochland; was nördlich davon lag, Anthurien, die nördlichen Kreise von Kadoh und Dokahsan, war gefallen und vermutlich unter der Vorherrschaft der Eindringlinge; so genau vermochte das keiner zu sagen. Nalani hätte viel darum gegeben, ihre Schwiegermutter bei sich haben zu können. Salihah hatte einst gesagt, sie, Nalani, würde ihren Posten als Seherin übernehmen müssen. Eine zeitlang hatte sie auch gedacht, sie könnte zumindest nach bester Möglichkeit tun, was die ältere Frau verlangt hatte; jetzt merkte sie, dass sie der Verantwortung nicht so gewachsen war, wie sie es gerne gehabt hätte. „Meine Augen werden schlecht, oder?“, brummte sie wenige Tage nach dem missglückten Angriff auf das zuyyanische Lager, als sie auf dem Sofa in ihrer Wohnstube lag und apathisch gegen die Decke starrte. „Jetzt weiß ich… wie deine Mutter sich vorgekommen sein muss kurz vor ihrem Tod.“ Tabari saß auf einem Sessel der Couch gegenüber und hob jetzt den Kopf. „Na, hör mal, davon bist du ja hoffentlich noch etwas entfernt.“ „Wer weiß? Wir sind hier im Krieg. Du und ich, wir könnten genau wie alle anderen hier schon morgen fallen. Oder in vielen Jahren erst… wann endet das, Tabari?“ Er antwortete nicht. Dann senkte er seufzend den Kopf wieder. „Was versuchst du denn zu sehen?“ „Dein Vater verschwindet immer noch nicht aus meinem Kopf. Was, wenn sein Geist wirklich irgendwie zurück in die Welt gekehrt ist? Hast du dieses Gefühl nicht…? Diese… innere Unruhe, ganz tief in deinem Inneren, dass irgendetwas nicht so ist, wie es sein sollte…? Kelar sollte tot sein für immer, wir haben seinen Körper in den Undim geworfen. Wie kann sein Geist zurückgekehrt sein?“ „Das weiß ich nicht… haben die Geister dir nicht geantwortet?“ „Das tun sie ungern in letzter Zeit. Ich sorge mich… die Zustände hier sind schlecht. Und ich meine nicht nur die Zustände von Vialla oder dem Zentrum… der strahlende Glanz von Tharrs einst glorreichem zentralen Reich steht auf Messers Schneide, Tabari.“ Er sagte abermals nichts. „Wenn das so weitergeht, werden wir über kurz oder lang untergehen.“ Aber das war nicht ihre Hauptsorge. Noch immer sah sie die Knochenspiralen, die in der Finsternis tanzten und sie verspotteten. Noch immer hörte sie Kelars Lachen… und jede Nacht sah sie Ruja von neuem vor ihren Augen sterben, als wollten die Geister sie wieder und wieder schmerzhaft daran erinnern, dass die junge Frau niemals wieder lächeln oder atmen würde… „Der Koch aus Holia.“, brummte sie dann und setzte sich wieder auf, worauf ihr Gatte ihr einen perplexen Blick schenkte. „Wir haben uns um Emo gekümmert und dafür gesorgt, dass er verschwindet; aber was ist mit dem Koch? Ich habe ihn auch gesehen… nicht nur in einer Vision, schon öfter…“ „Warst du denn mal da?“, wunderte der Blonde sich, „Wo liegt eigentlich dieser Ort Holia?“ „Im Osten von Senjo, habe ich mir sagen lassen; ich war nie da, nein.“ „Wie kannst du ihn dann gesehen haben außer hier?“ „Das weiß ich ja eben nicht, aber mir kommt es so vor… als wäre ich ihm schon einmal begegnet. Vielleicht in einem früheren Leben… es erscheint so fern… aber es ist da, ich kann es deutlich spüren!“ Sie erhob sich, schnappte ihren Umhang und warf ihn sich um. Tabari stand ebenfalls auf, als sie sich daran machte, das Zimmer zu verlassen. „Wohin willst du?“ „In die Küche, ich werde nach dem Kerl fragen. Ach, Tabari, was mir gestern einfiel… hast du gerade nichts zu tun? Dann kümmere dich ein wenig um Meoran… und frag ihn bei der Gelegenheit, was dein Sohn tut. Ich fürchte, dank unseres Streits von neulich wird er nur Dummheiten tun… er lässt die arme Leyya wieder alleine, dabei kann sie gar nichts dafür.“ So sprach sie und eilte davon, und der Herr der Geister rang brummend die Hände über den Kopf. „Na, und ich bin der Therapeut für alle? Großartig…“ Er seufzte, verließ aber widerstandslos das Zimmer, um nach seinem Freund Meoran zu suchen. Nach längerer Suche trieben seine Instinkte ihn schließlich in einen der unteren Salons, wo er quasi die Hälfte seines Rates vorfand. Meoran war da und hatte die kleine Saidah auf dem Schoß, er hatte einen ziemlich planlosen Versuch gestartet, das kleine Mädchen zu frisieren; als ob er Ahnung von Frauenfrisuren hätte. Auf einem Sofa neben ihm hockten Puran und Neron Shai, neben letzterem saß noch seine immer noch Verlobte Saja. „Na sowas, dein Vater!“, rief Neron an Puran gewendet und strahlte, und Puran verdrehte die Augen. „Das sehe ich selbst…“ „Hast du Zigaretten mitgebracht, Tabari?“, plapperte der Ältere schon fröhlich weiter, „Meine sind alle…“ „Was, nein!“, machte der Herr der Geister und fragte sich kurz, was er eigentlich hier wollte. Sein Sohn lehnte sich brummend auf dem Sofa zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Du und deine Zigaretten, Neron.“, feixte er dabei und grinste gehässig, „Du bist ja sowas von abhängig, Alter.“ „Aber du.“, schnaufte der Schwarzhaarige ebenso gehässig, „Aber was soll es, komm, wir fragen Tare, der hat immer welche. – Wollt ihr auch welche?“ Die Frage galt Tabari und Meoran, und die beiden älteren sahen sich kurz blöd an. Meoran seufzte. „Nicht hier drinnen mit dem Kind und der armen Saja.“, entschied Meoran dann weise, und sein blonder Freund räusperte sich, während Neron Puran energisch am Arm vom Sofa und zur Tür zerrte. „Jetzt komm, du Penner, was ist los mit dir in letzter Zeit?“, gluckste er dabei, „Deine schlechte Laune macht mir Angst, du brauchst Drogen!“ „Das ist nicht sehr produktiv…“, stöhnte Puran und warf den anderen entschuldigende Blicke zu. „Wo ist Leyya?“, warf Tabari ihm noch konfus nach, als sein Sohn von Neron ganz aus dem Raum gezerrt wurde, der maulte, er wolle endlich Zigaretten. „Du bist viel ohne sie unterwegs momentan, stimmt was nicht bei euch?“ Die Reaktion, die er erntete, war giftiger als er befürchtet hatte. „Sie ist bei den Heilern und übt heilen. Und was ich mit ihr mache, geht ja wohl niemanden was an. Ich durchschaue dich, Vater, du kommst nur und fragst das, weil Mutter es gerne so hätte und sich selbst zu fein ist, mit mir unwürdigem Angsthasen zu sprechen… wenn sie sich entschuldigen will, soll sie selbst kommen, ich bleibe bei meinen Worten.“ Dann ließ er sich von seinem Kollegen mitschleifen und Tabari sah baff auf die zuschlagende Salontür. Kurz herrschte Schweigen, dann wandte sich sein Blick auf Meoran. „Was zum Geier…? Ich habe doch nur ganz normal gefragt…?“ „Was immer zwischen ihm und Nalani gewesen ist, es soll ganz schnell bereinigt werden, das löscht jeglichen Elan, wenn er jemals vorhanden war.“, seufzte sein Freund und sah frustriert auf die arme Saidah, die jetzt sehr komisch aussah. Das Mädchen wippte mit den Füßen und zupfte blöd an ihren Zöpfen herum. Was sie dann sagte, machte es nicht besser, obwohl sie es in ihrer kindlichen Naivität nicht so grausam meinte, wie es klang. „Mutti konnte das viel besser als du, Vati!“ Tabari erstarrte und Meoran sah aus, als hätte er vor Verzweiflung am liebsten geweint. Sie war nur ein Kind… sie wusste nicht, was genau sie da gesagt hatte… und außerdem hatte sie einfach recht. So atmete ihr Vater nur schweigend ein und aus und strich ihr über die schwarzen Haare, bitter den Kopf senkend. „Ich weiß… vergib mir, meine kleine Prinzessin.“ Es war Saja, die sich erbarmte, und sie stand fröhlich lächelnd auf, um die kleine Saidah auf ihre Arme zu heben. „Komm, Kleine, ich mache das für dich ordentlich. Ich bin schließlich auch eine Frau; Frauen können sowas immer besser als Männer!“ Das kleine Kind lachte. „Oh ja!“ Die Zimmertür öffnete sich und Tare Kohdar fuhr entsetzt zurück, als Neron ihm darauf beinahe ins Gesicht gesprungen wäre und ihn gut gelaunt anbrüllte. „Kippen, du Sack!“ „Na, jetzt aber mal langsam, die jungen Herren!“, empörte sich der Ältere darauf und japste dann, als er plötzlich etwas von hinten gegen sich springen spürte, und aus dem Inneren des Zimmers ertönte lautes Gegröle und Gelächter. „Wir haben dich, Onkel!“, brüllte sein kleiner Neffe, Baraks Sohn, der an seinem Rücken klebte und jetzt gut gelaunt in sein Hemd biss. An Tares Bein hing die Schwester des Jungen, die jüngste Tochter, und biss in sein Hosenbein. „Und wie wir dich haben, du bist jetzt im Spiel tot und wir müssen dich auffressen!“ „Oh nein… alles, nur das nicht!“, jammerte Tare Kohdar und seine beiden Kollegen vor der Zimmertür warfen verblüfft einen Blick hinein. Drinnen saß die gesamte Familie; Pinhi und Barak auf einem kleinen Sofa, Hakopa auf einem Sessel und auch die ältere Tochter von Barak war da, sie hockte am Boden und stickte. Die vier lachten über den Elan der jüngsten Kinder, die ihren Onkel offenbar zum Fressen gern hatten. „Du liebe Güte.“, machte Puran verblüfft, „Was macht ihr denn bitte alle hier?“ „Nachmittagstee.“, sagte Pinhi fröhlich und deutete auf die Teekanne auf dem Stubentisch. „Wollt ihr euch hersetzen, Neron und Puran?“ „Ach, nein, danke, ich möchte nicht gefressen werden, eigentlich wollten wir nur bescheiden und höflich wie wir sind nach Kippen fragen.“ „Moment, du wolltest das, Neron!“, schnaufte Puran empört, und die Kohdars lachten abermals. „Wir sind Löwen!“, sagte der kleine Junge auf Tares Rücken zu den Neuankömmlingen und fletschte die Zähne, „Ich bin ein Babylöwe und Schwesterchen ist meine Mama, spielen wir, und Onkel ist eine An… An… Anpilote!“ „Antilope!“, riefen die anderen Kohdars im Chor und der Kleine errötete verlegen. Neron und Puran lachten schallend los. „Antilope?!“, japste Neron, „Na, so grazil bist du nun auch wieder nicht, Tare…“ „So kriegst du keine Kippen von mir, du unhöflicher Knilch.“, seufzte die Antilope und schüttelte sanft die Kinder ab. „Aber ehrlich gesagt passt mir das gut, bloß weg von der verfressenen Horde… meine Klamotten lösen sich schon auf, fürchte ich…“ Er griff seufzend in seine Hosentasche und fand tatsächlich seine Dose mit den fein säuberlich zusammengedrehten Zigaretten. Die Kinder jammerten, als er aus der Tür ging. „Nicht weggehen, Onkel, bitte… Neron und Puran können ja auch Antilopen sein!“ „Oh nein, vergesst es.“, machten die beiden entsetzt im Chor, und Pinhi drinnen kicherte. „Kinder, kommt her, lasst euren Onkel mal Pause machen!“ Maulend gehorchten die Kleinen und nach einer kurzen Verabschiedung verließen die drei Männer das Gemach wieder. Auf einer der Terrassen unten am Garten verteilte Tare gütiger Weise Zigaretten für alle und sie standen eine Weile schweigend da und rauchten. Dann fing Neron an zu reden. „Mensch, die Kinder sind ja nicht zu bändigen! Beißen die echt oder tun die nur so? Bin ich froh, dass ich noch keine habe…“ „Ich glaube, ich bin auch ganz froh, nur der Onkel zu sein und nicht der Vater.“, machte Tare darauf, „Das wäre nichts für mich, ich wäre viel zu schnell genervt von den Gören und würde sie nachher noch aus Versehen verhungern lassen oder so…“ Er kratzte sich mühsam am Rücken und murrte. „Und oh, du wirst lachen, manchmal beißen sie tatsächlich! Glück nur, dass sie nicht wirklich Löwen sind, die Zähne wären unangenehmer.“ „So wie die meines Großvaters vermutlich.“, seufzte Puran darauf und lehnte sich gegen die Wand, den Rauch der Zigarette in die Luft pustend. Die zwei anderen sahen ihn kurz an. „Hey, solltest du nicht langsam mal zu deiner Frau zurückgehen nachts?“, seufzte Neron dann nach einer kleinen Pause. „Ich meine… willst du das echt durchziehen? Nie Kinder haben?“ „Na, ich kann das ja auch…“, behauptete der Älteste verdrossen und Neron schnaubte. „Du bist ja auch komisch, alter Sack! Hast du es eigentlich jemals mit einer Frau getrieben nach deinem Ritual? Ich meine, ich hab dich nie mit einer reden sehen, die nicht vergeben war…“ „Ich dachte, wir reden hier über Puran!“ „Ach!“, jammerte dieser da und die beiden anderen sahen ihn an. „Es gibt nun mal zwei Möglichkeiten! Entweder habe ich recht oder meine Mutter hat es. Ich… ich wünsche mir ja, dass sie recht hat! Glaubt mir, ich möchte nicht, dass es wirklich so ist, wie ich fürchte, aber wenn es eben doch so ist… das Risiko ist einfach zu groß… denke ich…“ „Du bist doch echt masochistisch, jetzt sei vernünftig und geh zu deiner Frau, entschuldige dich für dein blödes Benehmen und mach ihr ein Kind.“, gluckste Neron Shai und er erntete eine Kopfnuss von Tare. „Meine Herren, bist du taktlos!“ „Ich meine das ernst!“, lachte der Schwarzhaarige und sah Puran kichernd an. „Hör auf dein Herz. Was sagt es dir, Puran? Was sagen deine Instinkte?“ Der Jüngste der Runde zog nur schweigend an seiner Kippe und seufzte dann. „Dass es nicht gut wäre, sondern zu gefährlich…“ „Nein, hör zu.“, erwiderte der Ältere da und als Puran ihn ansah, war er plötzlich erstaunlich seriös. „Sagen das wirklich deine innersten Instinkte? Oder sagt das deine Paranoia?“ In dem Moment riss ein dumpfes Krachen aus einiger Entfernung die drei aus ihrem ernsten Gespräch. Sie fuhren geschlossen zum Palast herum, aus dem das Dröhnen zu kommen schien, und Puran erbleichte, als sie alle drei plötzlich ein unbehagliches, warnendes Gefühl beschlich. Die Geister zischten und Tare Kohdar verlor vor Entsetzen den Rest seiner Kippe aus der Hand, als die Erde unter ihren Füßen unmerklich zu beben begann. „W-was ist das?!“, keuchte Neron Shai, „Die Zuyyaner?!“ „Nein!“, schnappte Puran und er sah keuchend am Palast empor, als das Gefühl plötzlich so stark wurde, dass ihm beinahe schwarz vor Augen geworden wäre. „Etwas Schlimmeres… irgendetwas Furchtbares passiert hier…“ Vor seinen Augen tauchten die weißen Spiralen auf und tanzten, umringt von Flammen, in der Finsternis. Als die Flammen erloschen, war es plötzlich stockdunkel und der junge Mann strauchelte. Neron hielt ihn am Ärmel fest, als er drohte, umzukippen, und als der Schleier der Dunkelheit sich vor Purans Augen wieder lüftete, ertönte ein Schreien aus dem Inneren des Schlosses. „Der Schatten, den wir alle so fürchten!“, stammelte Tare Kohdar dann und lief plötzlich los, wieder hinein, die jüngeren Männer folgten ihm eilig. Drinnen stießen sie beinahe mit Tabari zusammen, der ihnen entgegen kam, ebenfalls bestürzt. „Da seid ihr ja, habt ihr das eben mitbekommen?“, fragte er entsetzt und die drei nickten. „Rasch, ich glaube, es kam von oben, die Geister sind plötzlich unheimlich unruhig.“, fuhr der Blonde fort und zu viert stürzten sie weiter durch das Schloss, rempelten panisch herum rennende Diener an und hasteten die Treppen hinauf. Unterwegs begegnete ihnen der König, der ebenfalls erschrocken war von den Schreien, und er hatte ganz bestürzende Neuigkeiten. „Zu Hilfe! Der Palast wird angegriffen!“, schrie er, „Eben fiel mir ein Diener vor die Füße, blutüberströmt ist er von oben herab gestürzt, ach! Wehe, Himmel, was tust du uns an?!“ „Von oben?!“, japste Neron Shai, „Tabari, wo ist Saja?!“ „Ich habe Meoran bei ihr und Saidah gelassen, keine Sorge! Rasch, Majestät!“ „E-ein blutüberströmter Diener?“, wunderte Puran sich noch, „W-was ist denn mit dem passiert-… was-…?!“ Er unterbrach sich fassungslos, als sie noch einen Korridor weiter hinauf gehetzt waren, samt König, und jetzt plötzlich vor einem Schlachtfeld standen. Auf dem Flur lagen zwei weitere Diener, eine Magd und ein Wachmann, beide leblos und ihre Kleidung befleckt von dunklem, noch warmen Blut. Der König schrie entsetzt und Puran erbleichte, als ihm klar wurde, in welchem Korridor sie waren. „Das… ist doch der Flur, auf dem unsere Zimmer sind…?!“ „Vater!“, schrie Tare Kohdar als Erster, sobald er den Schock über die Leichen am Boden von sich abgeschüttelt hatte, und ehe Tabari ihn hätte aufhalten können, war er nach vorne gestürzt, auf das Wohnzimmer zu, in dem er vorhin seine Familie zurückgelassen hatte. „Barak, Pinhi! Verdammte Scheiße!“ „Warte, Tare! Vorsicht, was, wenn die Zuyyaner noch da-… bleib stehen!“, schrie Neron, und die anderen Geisterjäger setzten ihm alarmiert nach, während der König fassungslos stehen blieb und das Blutbad auf dem Flur anstarrte. Was passierte hier? Wie waren denn Feinde in seinen Palast gekommen? „Ich rufe die Wachen zusammen!“, beschloss er murmelnd und war sich nicht sicher, ob er wirklich laut sprach oder es nur dachte in seinem Schrecken. „Ich rufe die Wachen zusammen und sichere den Palast ab, niemand wird hier hinaus gelangen, bis wir die Täter geschnappt haben, die es wagen…!“ Er vermochte nicht weiter zu sprechen. Er wusste nicht, was hier passierte… Tare Kohdar blieb keuchend vor der angelehnten Zimmertür stehen, als Tabari ihn endlich erwischte und ihn am Ärmel festhielt. Durch den offenen Spalt der Tür drang rötliches, böses Licht auf den Korridor. „Warte!“, zischte der Herr der Geister und zog vorsichtshalber sein Schwert, „Wenn du da kopflos herein rennst, kommst du noch um!“ Tare Kohdar schnappte nach Luft und die beiden Jüngeren erreichten sie jetzt ebenfalls, als der Braunhaarige die Tür mit einem Ruck aufstieß. Was sie sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Von dem Wohnzimmer, das sie vorhin zurückgelassen hatten, war nichts mehr übrig; die Möbel waren beschädigt, die Couch brannte, auf dem edlen Teppich klebten ganze Blutlachen. Hakopa Kohdar und Barak lagen auf dem Fußboden und rührten sich nicht. Wo waren Pinhi und die Kinder? „VATER!“, schrie Tare fassungslos, riss sich aus Tabaris Griff los und stürzte nach vorne zu seinem Vater, um ihn zu schütteln. „Vater, um Himmels Willen! Mach die Augen auf! Bitte…! Vater!“ „Was im Namen aller Geister ist hier geschehen?!“, fragte Neron erbleichend und Puran schnappte hysterisch nach Luft, als Tabari ebenfalls in den Raum stürzte und sich um Barak bemühte. Als er nach dem Puls des Jüngeren fassen wollte, zuckte er zusammen und nach einem hastigen blick auf den panisch schreienden Tare sah er bestürzte zu seinem Sohn und Neron, die wie angewurzelt in der Tür standen. Tabaris Blick machte ihnen gleich klar, dass Barak tot war. „Oh nein…!“, war alles, was Puran darauf heraus brachte, ehe er das Gleichgewicht doch verlor und keuchend zu Boden stürzte, wo er heftig zu husten anfing. Neron erzitterte. „Vater, d-das kann doch nicht wahr sein!“, jammerte Tare indessen weiter und fuhr seinem leblosen Vater über das kalte Gesicht, ihn weiterhin schüttelnd. „D-das ist ein böser Traum, ja! Komm schon, wach auf! D-du veräppelst mich doch…!“ „Tare…“ Tabari kam zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter, worauf der Jüngere aufhörte, seinen Vater zu schütteln, und erstarrte. Dann sank er über dem toten Körper in sich zusammen und erzitterte, während der Herr der Geister bestürzt zu Neron blickte. „Rasch, wir müssen Pinhi und die Kinder suchen, guck im Schlafzimmer, Neron!“, befahl er hastig, „Vielleicht konnten sie fliehen oder sich verstecken…“ Neron tat wie ihm geheißen und stürzte vorwärts ins Zimmer. Tare Kohdar umklammerte seinen toten Vater und fing jetzt aus vollem Hals an zu schreien und zu heulen. Tabari konnte nichts anderes tun als bestürzt zusehen, und er warf einen verzweifelten Blick auf Puran, der sich die Lunge aus dem Leib hustete und sich beinahe auf den Boden übergeben hätte. „Ihr spielt böse Spielchen mit uns, Himmelsgeister…“, murmelte der Blonde und schloss bebend die Augen, um für die für immer verlorenen Lebensgeister von Barak und Hakopa zu beten, dass sie heil im Geisterreich ankommen mögen. Dann riss Neron ihn aus seinen Gedanken. „Tabari!“, brüllte er und stürzte aus dem Schlafgemach, „Schnell, komm! I-ich habe… ich habe sie gefunden, der kleine Junge ist noch am Leben!“ „Was?!“, schnappte Tabari und Tare hob jammernd den Kopf und fuhr auch herum. „D-der Kleine!“, schnappte er erbleichend, und blitzschnell war er wieder auf den Beinen und folgte Tabari zu Neron ins Schlafzimmer. Der Anblick der restlichen Familie hätte ihn beinahe umgebracht vor Gram. Da lag Pinhi auf dem Boden, ihr Schädel war blutig eingeschlagen worden. Unter ihr lagen die beiden toten Mädchen, die offenbar erstochen worden waren, und neben dem Haufen lag der kleine Sohn von Barak, der zitternd die Augen auf die ankommenden Männer richtete. Auf seiner Brust klaffte eine tiefe Schnittwunde, aus der Blut quoll, und an seinem Kopf war eine riesige Platzwunde. „Onkel…“, keuchte er schwach, als er Tare erkannte, und der Mann stürzte japsend zu dem kleinen Kind und nahm es vorsichtig hoch. „Um Himmels Willen, wer hat das getan?!“, heulte er verzweifelt, „H-halte durch, bitte! – Verdammt, Tabari, ruf doch die Heiler, schnell!“ Der kleine Junge hustete und spuckte Blut, ehe er heftig zu zittern begann. Er weinte. „E-es ging alles so schnell, ich… wusste nicht, was passiert-… d-da war… da war ein Mann… e-er hat… er hat sie… s-sie alle… ein böser Mann, Onkel…“ „Was für einer, wie sah er aus? Ich werde ihn finden und vernichten, für das, was er getan hat! Shht… beruhige dich, Kleiner… ich bin bei dir, ich beschütze dich…“ Das Kind klammerte sich wimmernd an ihn. „I-ich hatte solche Angst… s-sie waren einfach tot und… und es… e-es ging so… schnell… i-ich kann sie immer noch schreien hören-…“ Das Kind wurde immer leiser beim Sprechen und schloss müde die Augen, als sein klammernder Griff um Onkels Hemd nachließ, das er mit Blut befleckt hatte. „Ich… bin müde und… mir ist so kalt, Onkel…“ „Nein! Halt durch, gib nicht auf, bitte!“, schrie sein Onkel verzweifelt und als Neron schon dabei war, loszurennen, um nach den Heilern zu schicken, war es bereits zu spät für den kleinen Jungen. „Onkel… es war ein… ein böser… Dämon, glaube ich…“ Tare Kohdar erstarrte, als das Kind auf seinen Armen in sich zusammensackte und aufhörte zu atmen. Neron hielt in der Tür neben Puran inne, als er den Älteren wieder schluchzen hörte und wusste, dass er die Heiler nicht mehr holen musste… das Kind war tot, genau wie der Rest des Clans. Der Koch war nicht in der Küche. Nalani zog die Stirn in Falten, als sie mit einem der Küchenjungen sprach, den sie an der Tür zur Küche abgefangen hatte. „Was meinst du, er arbeitet nicht mehr hier? Wurde er gefeuert?“ „Nein, er ist plötzlich weggegangen, ich habe keine Ahnung, warum und wohin.“, meinte der Junge beschämt. „Er war ein echt guter Koch, haben die Älteren immer gesagt. Ich hatte nie mit ihm zu tun, er hat nur immer grimmig geguckt, aber dafür, dass er noch so jung ist, war er echt geübt. Es heißt, er hätte bei einem Medizinmann in Thalurien gelernt, mir Gewürzen umzugehen.“ Die Frau seufzte und beobachtete aus dem Augenwinkel das geschäftige Treiben in der Küche. Einige Diener sahen sie verwirrt an, widmeten sich aber rasch wieder ihrer Arbeit. „Seit wann genau ist er fort?“, fragte sie den Jungen dann und der kratzte sich am Kopf. „Also, das weiß ich nicht genau, seit ein paar Wochen glaube ich… ich kann nicht zählen, ehrlich gesagt…“ Entschuldigend blickte er die hübsche Frau an und errötete, als sie dankend den Kopf neigte. „Hat der Typ auch einen Namen? Oder ist er nur Der aus Holia?“ „Doch, natürlich hat er einen.“ Jetzt nickte der Diener kurz mit dem Kopf. „Sie haben ihn Manha genannt, ich glaube, sein Vorname war Ulan.“ Nalani erstarrte. Ulan Manha. Das Kind, das wir damals in Dokahsan gesund gepflegt haben, nachdem Kelar es angegriffen hatte… Sie erinnerte sich sehr genau an den kleinen Dorfjungen aus Canulo, den sie gepflegt hatten. Jetzt wurde ihr plötzlich klar, warum ihr der dumme Koch so bekannt vorgekommen war… sie hatte ihn tatsächlich schon einmal gesehen. Aber dann konnte er nicht aus Holia kommen… vielleicht war seine Familie ja aus Canulo fortgezogen? Ihr kam der Stammbaum der Lyras in den Sinn. Der Stammbaum, auf dem einer der Vorfahren ausgerechnet Ulan geheißen hatte. War es wirklich purer Zufall, dass dieser Bauernjunge, der jetzt Koch war, genauso hieß?... „W-was habt Ihr, Herrin?“, wunderte der Diener sich da, und die Schwarzhaarige drehte den Kopf zur Treppe, die hinaufführte, als sie ein ungutes Gefühl der Warnung beschlich. Etwas passierte… die Geister waren besorgt in ihrem Inneren. „Entschuldige, dass ich dich von der Arbeit abgehalten habe. Danke für die Dinge, die du mir gesagt hast…“, murmelte sie nur hastig und machte dann Kehrt, um wieder hinauf zu rennen, den Diener verwirrt zurücklassend. Was hatten eigentlich immer alle mit Manha aus Holia, wundert der sich mitunter; er fragte sich, ob er der Frau hätte erzählen sollen, dass auch ein anderer der Geisterjäger hier vor einigen Wochen noch ab und zu vorbei gekommen war, um Manha zu sprechen. Vielleicht war der Kerl aus Holia ein Magnet für Zauberer… der arme Junge hatte doch keine Ahnung. Als Nalani in der Haupthalle des Palastes ankam, kamen ihr Tabari, Meoran und Saja entgegen, Meoran trug seine Tochter auf den Armen. „Da bist du ja!“, keuchte der Herr der Geister außer sich und Nalani erstarrte, als er auf sie zukam und sie kurz umarmte, als hätte er sie jahrelang nicht gesehen. „Was ist geschehen? Irgendetwas beunruhigt mich…“ „Ja, mit Recht tut es das.“, sagte Meoran und senkte den Kopf, „Hast du nicht das Theater mitbekommen, den Lärm von oben?“ „Ich war in der Küche, ich habe nichts gehört, ich habe nur ein schlechtes Gefühl.“, entgegnete sie alarmiert und stutzte beim todernsten Gesicht ihres Mannes. Er ließ sie los und senkte den Kopf, ehe er Luft holte, um die schreckliche Nachricht zu verkünden. „Hakopa und Barak und die gesamte Familie sind tot. Wir haben sie eben oben gefunden, sie wurden brutal niedergemetzelt… ich habe Puran und Neron bei Tare gelassen, sie kümmern sich bereits.“ Auf diese Nachricht hin wäre Nalani beinahe wortlos zu Boden gestürzt, denn sie schlug ein wie ein Blitz in die Erde. „S-sie sind… wie bitte?!“, flüsterte sie erbleichend und Saja senkte auch bebend den Kopf, als selbst die sonst so tapfere Nalani in stummem Entsetzen die Augen weitete. „Wie… wie ist das denn passiert, eben gerade?!“ „Ja, offenbar. Wir alle hatten ein ungutes Gefühl und als wir hinauf rannten, war es schon zu spät. Und es kommt noch besser… wir haben zuerst gedacht, es wären Zuyyaner gewesen, die sich eingeschlichen hatten. Aber der König hat das gesamte Schloss umstellen und durchsuchen lassen, und die Wachen haben nirgends jemanden Verdächtiges gesehen, es kam niemand von draußen ins Schloss. Das heißt, es muss irgendjemand gewesen sein, der schon drinnen war. Es waren keine Zuyyaner, da bin ich jetzt ziemlich sicher… die Zuyyaner hätten andere Methoden gefunden. Die hätten das Blut gespart mit ihren Seelenkugeln.“ Die Bestürzung und das Entsetzen verbreiteten sich im ganzen Palast und der näheren Umgebung wie ein Lauffeuer. Die Menschen ergriff die Panik, als sie daran dachten, dass es offenbar jemand geschafft hatte, an den Wachen vorbei hinein zu gelangen und ungehindert Leute zu töten; nicht nur Leute, sondern Geisterjäger. Galten sie nicht als mächtige Magier aus dem Norden? Wenn selbst solche Leute einfach getötet werden konnten…auch vielen Männern der Armee entsagte jetzt jeglicher Mut, als sie die Nachricht erhielten. Ob es nun Zuyyaner gewesen waren oder nicht; selbst die Magier, die die naiven Menschen aus Vialla und dem Süden für unbesiegbar gehalten hatten, konnten getötet werden… es waren schlimme Nachrichten. Der König von Kisara kümmerte sich um verstärkte Bewachung der gesamten Stadt und versuchte vergeblich, die Panik wieder einzudämmen, die sich breit machte. Für Tare Kohdars Leid interessierte sich kaum jemand, der arme Mann hatte auf einen Schlag seine komplette Familie verloren; für Trauer war keine Zeit bei den Menschen. Und da hatte Nalani geglaubt, die Lyras wären pragmatisch gewesen. So blieb die Seelenarbeit im Rat der Geisterjäger, die versuchten, sich zu kümmern. Es dämmerte. Die Sonne ging unter, aber Puran schenkte ihr keine Beachtung, während er auf dem Korridor am Boden kauerte und wie hypnotisiert auf die großen Fenster am Ende des Flurs starrte, wo das letzte Tageslicht zu ihm herein dringen wollte. Jetzt war fast Winter, die Sonne ging früh unter. Als die letzten Lichtstrahlen auch verschwunden waren, wurde es finster im Korridor. Das alles erschien ihm immer noch wie ein unwirklicher Traum. Ein böser Traum, aus dem er jetzt langsam wirklich aufwachen wollte. Er wollte aufwachen und lachende Gesichter sehen; Gesichter von Leuten, die er nie wieder ansehen würde. Erst Ruja… jetzt Hakopa, Barak und seine ganze Familie. Es fühlte sich leer an, wenn er daran dachte, versuchte, zu registrieren, dass das kein Traum war, sondern bittere Realität. Hatte er nicht genauso gedacht wie die naiven Menschen in Vialla? Er hatte viele Jahre lang keinen Gedanken daran verschwendet, dass die Leute, mit denen er täglich zu tun hatte, eines Tages sterben könnten. Der Tod war so fern gewesen, so ungreifbar… ‚Davon sind wir noch Meilen entfernt!’ , dachte man als junger Mensch und winkte mit der Hand lässig ab. Und jetzt erfuhren sie schmerzhaft am eigenen Leib, dass der Tod allgegenwärtig war. Vor allem im Krieg. Jeder von ihnen könnte am nächsten Tag sterben; sei es auf dem Schlachtfeld oder im Palast. Seine Eltern, Meoran, auch er selbst, obwohl er noch weit entfernt vom dreißigsten Lebensjahr war; selbst seine kleine Frau, Leyya, die gerade mal dreizehn war. Ja, selbst die kleine Saidah, unschuldige fast vier Jahre alt, könnte jeden Tag eines grausamen Todes sterben, wie die unschuldigen Kinder von Barak Kohdar. Die Welt war so klein… und die Spanne der Lebensgeister, die in dieser Welt weilten, war mitunter viel zu kurz. Puran seufzte verbittert, zog die Beine an und vergrub den Kopf in den Armen, die sich um seine Knie schlangen. Man machte sich die unnützesten Gedanken, wenn man verwirrt war. Man versuchte, praktisch zu denken, um sich selbst davor zu schützen, den Schmerz des Verlustes zu empfinden. Was war wichtiges zu tun? Was würde beim nächsten Kampf mit den Zuyyanern werden, jetzt, wo sie zwei Geisterjäger weniger hatten? Nein, drei… Emo war ja auch nicht mehr da. Auch, wenn er ein fürchterlicher Mistkerl gewesen war, er fehlte als Kämpfer. So blieben nur noch sechs im Rat übrig… plötzlich war Tabari der Älteste im Rat, jetzt, wo Hakopa tot war. Sie mussten die Familie noch bestatten und die Totenwache halten; gab es überhaupt noch genug Holz für so viele Scheiterhaufen? Oder sparte man und warf alle auf einen? Das war doch irgendwie pietätlos… In seine dunklen Gedanken versunken störte Puran das Bild der weißen Spirale kaum, als es vor ihm in der Finsternis zu tanzen anfing wie in seinen Träumen. Und auch die Sorge um die Wiedergeburt seines gefürchteten Großvaters schien mit einem Mal weit, weit weg zu sein… das war nicht von Belang. Vor ihnen lag der Winter. Und im Winter kam die erdrückende Finsternis zusammen mit der klammernden Kälte, die gemeinsam versuchten, den Bangen Menschen im vom Krieg gepeinigten Land das letzte Bisschen Hoffnung zu rauben. Als sein Vater zu ihm kam und sich neben ihn hockte, hob Puran nur kurz den Kopf und sagte nichts. „Hier bist du… ich habe mich schon gefragt, wo du stecken magst. Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Tabari dumpf, erwartete aber nicht wirklich eine Antwort. Der Sohn seufzte. „Dann ist es also kein Traum und wir werden nicht aufwachen… nicht wahr?“ „Ja, so ist es leider. Es erschüttert uns alle zutiefst. Hakopa und Barak haben einen eigenartigen Tod gehabt…“ „Eigenartig? Unwürdig nenne ich es, sie waren großartige Magier und Krieger, und dann werden sie so niedergestochen!“, jammerte Puran, raufte sich die Haare und schluchzte hemmungslos. „I-ich kann nicht glauben, dass das alles passiert! Ich… ich bin verwirrt und weiß nicht mal mehr, was ich glauben oder hoffen soll!“ Was Tabari dann sagte, steigerte die Verwirrung nur. „Das ist es ja. Die beiden wurden nicht erstochen… sie haben keine äußeren Verletzungen. Abgesehen… von einem seltsamen Zeichen, das ihnen eingeritzt wurde, oder so.“ Der Jüngere fuhr sich mit der Hand über die wunden Augen und blinzelte. „W-was? Zeichen?“ „Ja, wir wissen auch nicht, was das zu bedeuten hat. Vielleicht hat der Mörder in die Wunde Gift gestreut, ich weiß es nicht, aber an der kleinen Schnittwunde sind sie unmöglich gestorben. Barak hat vermutlich noch einen Schlag oder Tritt ins Gesicht bekommen, aber sonst ist nichts zu sehen. Es ist komisch… die Geister senden… mir die ganze Zeit über seltsame Zeichen, die ich nicht verstehen kann.“ Sie schwiegen kurz, ehe Puran benommen den Kopf drehte. „Das… ist grauenhaft. Dann ist es wie bei Ruja…?“ „Nein, Ruja hatte kein merkwürdiges Zeichen auf ihrer Hand. Es muss etwas anderes sein… wir haben uns auch schon gefragt, nachdem wir die Idee mit dem Gift hatten – die aber niemand bestätigen kann, zumindest so äußerlich nicht – ob nicht Henac irgendwie damit zu tun hatte. Er ist Schattenkrieger… ich würde ihm zutrauen, hier unbemerkt herein zu kommen. Aber ich weiß es auch nicht… es passieren… komische Dinge. Und da dachten wir, die Zuyyaner seien unser Hauptproblem!“ Wieder entstand eine Pause. Schließlich wagte der Vater leise das Thema zu wechseln. „Leyya kam vorhin zu uns, weil sie davon gehört hatte. Sie war ganz außer sich und hysterisch… sie hat nach dir gefragt. Du solltest wieder zu ihr gehen, Puran… du tust ihr weh mit dem, was du tust, merkst du das nicht?“ Puran brummte. „Ich weiß das sehr wohl, Vater.“ „Dann solltest du noch einmal über das nachdenken, was du tust, Puran… ich weiß, du tust das nur, um sie zu schützen, aber glaubst du wirklich, dass du sie so am besten beschützt? Manchmal… muss man auch Risiken eingehen, um den größtmöglichen Schutz gewährleisten zu können.“ Er lächelte, als sein Sohn ihn missmutig ansah, dann erhob der Blonde sich und klopfte sich den Dreck vom Umhang. „Aber…“, wollte der Jüngere noch protestieren, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er dachte verlegen an das, was Neron gesagt hatte. „Sagen das wirklich deine innersten Instinkte? Oder sagt das deine Paranoia?“ Paranoia…? Ist es das wirklich? „Hör mir zu, Puran.“, warf Tabari da noch ernst ein. „Falls irgendetwas mit deinem Großvater sein sollte… denk daran, wer du bist. Mein Vater war ein König des Lyra-Clans, ein ausgezeichneter Magier… aber das bist du auch, Puran. Du bist mein Sohn… und ebenso ein Erbe des Lyra-Clans wie Kelar es war. Wenn es nicht so wäre… wenn du kein Genie wärst… wärst du nicht fähig, das Geisterschwert zu tragen.“ Er neigte zum Abschied den Kopf, ehe er ging und seinen verdatterten Sohn auf dem Flur zurückließ. Puran senkte den Kopf wieder und seufzte tief. Er dachte wehmütig an seine geliebte kleine Leyya… er würde gerne zu ihr gehen, wie Tabari verlangte. Er wollte sie in die Arme schließen, sie küssen und ihr sagen, dass er sie niemals wieder alleine lassen würde. „Hör auf dein Herz…“, flüsterten die Geister, „Was sagen deine Instinkte? “ Puran versuchte, zu lauschen, während er den Kopf wieder auf die Knie sinken ließ. Ja… was sagen sie…? Was soll ich machen? Als er am späteren Abend zu seiner Frau ging, hatte sie gerade gebadet. Sie hatte sich rasch in ein Handtuch gewickelt, als sie Geräusche gehört hatte, und sobald sie das Badezimmer verlassen hatte, stand sie ihrem Mann gegenüber und sah erschrocken hoch. „Puran…!“, keuchte sie und einen Moment später fiel sie ihm unglücklich in die Arme. „Um Himmels Willen… i-ich habe nach dir gesucht, ich hab von Tabari das mit Kohdars gehört und… d-das ist fürchterlich…!“ Er seufzte leise und schloss sie schweigend in seine Arme, während sie erzitterte. „Shh…“, machte er und versuchte, sie zu beruhigen, während er sie langsam herüber ins Schlafzimmer zog und sich mit ihr auf das Bett setzte. „Ich weiß, es ist grausam. Ich hoffe, du hast es wenigstens nicht gesehen…“ Sie kuschelte sich verzweifelt an ihn und er hielt sie lange fest, bis sie sich beruhigt hatte, sich vorsichtig aufsetzte und ihr Handtuch zurecht rückte. Ihre Haare waren noch nass. „Wie lange waren wir nicht mehr zusammen hier, Puran…?“, wisperte sie dann leise und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Es schmerzte ihn jetzt, als er daran dachte, dass er sie so leiden gelassen hatte. Es war nicht ihre Schuld… er war ein Idiot. „Eine Weile.“, war seine Antwort. „Ehe ich zu einer Entschuldigung ansetze… ich hab dir was mitgebracht.“ Sie blinzelte, als er aus seinem Gürtel ein Messer zog und es ihr seufzend vor die Nase hielt. Sie wunderte sich zuerst, dann verstand sie, was das eigentlich war. „Oh nein!“, japste sie und fuhr zurück, „Du hast tatsächlich eine der zuyyanischen Waffen besorgt… das ist ja toll!“ Er zog seine Hand mit dem aufwendig verzierten fremdländischen Messer wieder weg, als sie danach griff, aus Angst, sie könnte sich schneiden. „Natürlich habe ich das. Sei vorsichtig, nicht, dass du dich verletzt. Hast du das Konzept für deine Heiltechnik schon weit genug, um damit üben zu können?“ „Ich hoffe es, ich habe verschiedene solcher Wunden untersucht und mir daraus etwas ausgedacht.“, erklärte sie aufgeregt, zog ihr Handtuch wieder zurecht, das ihr herunter zu rutschen drohte. „Ich habe aber keine Ahnung, ob es funktioniert.“ „Dann probieren wir das gleich einmal aus.“, beschloss er nickend, zog seinen Ärmel hoch und wollte schon mit dem Messer an seinem Oberarm ansetzen, als seine Frau ihn aufhielt. „Wie bitte, w-was machst du da?!“ „Na, zum Üben brauchst du ja wohl eine Wunde.“, machte er perplex, „Keine Angst, ich mache doch nur einen winzigen Schnitt, es kann ja nichts passieren. Es ist ja nicht so, dass diese Wunden gar nicht heilen; von selbst tun sie es ja, nur bei zu großen Wunden ist es eben schlecht, wenn man sie nicht behandeln kann.“ Leyya blinzelte. „A-aber du kannst dich doch nicht selbst verletzen, damit ich üben kann! Was, wenn mein Zauber fehlschlägt und dich umbringt?“ „Ach was, warum sollte er das tun? Ich vertraue dir, Leyya, das Schlimmste, was passieren kann, ist doch, dass es nicht wirkt, oder?“ „Du könntest auch explodieren oder tot umfallen… oder vielleicht zu einer Schnecke werden.“ „Sicher, Leyyachen. Komm schon, zeig mir, was du dir ausgedacht hast.“ Er versuchte, zu grinsen, und seine Frau senkte errötend den Kopf. „Ich habe aber Angst, dass ich dir wehtue…“ „Sei ehrlich, habe ich das nicht ohnehin verdient, nachdem ich dich so sitzen gelassen habe?“ Jetzt hob sie das hübsche Gesicht wieder und sah ihn aus geweiteten Augen an. Er beugte sich vor und küsste sie flüchtig auf die Lippen, sodass ein warmer Schauer über ihren Rücken rann bei dem sanften, liebevollen Gefühl. Doch da war es auch schon wieder vorbei und die Heilerin schüttelte sich kurz und machte ein enttäuschtes Gesicht. „Nur so ein bisschen?“ nuschelte sie, „Ich habe dich so schrecklich vermisst in den letzten Tagen… dieses Bett ist viel zu groß für mich allein.“ „Ich weiß… vergib mir, Leyya. Ich… bin verwirrt und gestresst im Moment und… ich… ach, aber wir haben andere Probleme! Verdammt, Kohdars sind tot und… irgendwo rennt ein Mörder herum, oder Emo, oder wie auch immer, ich kann nicht verantworten, dich jetzt alleine zu lassen!“ „Ich kann auch auf mich selbst aufpassen!“ schnaubte sie und tat beleidigt, den Kopf wegdrehend, „Zur Not verwandle ich meinen Gegner in eine Schnecke…“ Er hielt sie am Arm fest, als sie sich daran machte, vom Bett aufzustehen. „So war es nicht gemeint… aber ich bin dein Mann, Leyya. Ich will dich beschützen und… ich bin es leid, dir den Rücken zu kehren, ehrlich gesagt…“ Jetzt errötete er verlegen und sie hielt inne. Er legte das zuyyanische Messer zur Seite und stand dann auf, um von hinten die Arme um seine Frau zu schlingen. Sie ließ zu, dass er ihren Nacken und ihre Schultern küsste. Ein neuer Schauer überkam sie, aber es war angenehm so… bebend schloss sie die Augen, um die Empfindungen stärker zu spüren, als Purans Hände über ihre Hüften hinauf glitten und vorsichtig das Handtuch von ihrem Leib zogen. Sie schauderte kurz und bekam eine Gänsehaut, während sie jetzt splitternackt vor ihm stand und spürte, wie seine Hände sanft begannen, ihre kleinen Brüste zu bearbeiten. Dabei küsste er ihren Hals und fuhr mit der Zunge nach vorne zu ihrem Schlüsselbein. „Warum hast du mir dann… den Rücken gekehrt…?“ murmelte sie und öffnete die Augen wieder, als er sie langsam zu sich herumdrehte. Er schob sie sanft etwas zurück und dann herunter auf das Bett, bevor er sich über sie beugte und sie leise atmen hörte, während seine Finger über ihren nackten Bauch wanderten. „Was du zu mir gesagt hast neulich… dass du nicht bereit bist, dein Leben lang kinderlos zu bleiben… das ist richtig so, Leyya.“, meinte er dumpf, „Es war… egoistisch von mir, sowas zu verlangen. Die Geister sagen mir komische Dinge, die mich beunruhigen… das ist wohl der Grund, warum ich so… überreagiert habe. Das war nicht gerecht von mir…“ „Was ist denn mit dir?“, flüsterte sie und lächelte liebevoll, während sie die Hände hob und begann, sein Hemd aufzuknöpfen, als er wieder ihren Hals zu küssen begann. „Willst du denn keine Babys? Ich habe schon seit unserer Hochzeit darauf gehofft, ich meine… ich wünsche es mir so sehr, Puran…“ Er seufzte kurz. „Mir graust vor diesem Gedanken… vor diesem Bild mit dem Kind und den Zähnen meines Großvaters.“, sagte er dumpf. „Ich… kann dir das nicht sagen, Leyya. Ich weiß es nicht.“ „Vergiss die Schatten, mein Liebster…“, flüsterte sie und schloss abermals die Augen, dabei zog sie ihm hastig das Hemd von den Schultern, das sie geöffnet hatte. Ihre kleinen, zierlichen Hände fuhren über seinen nackten Oberkörper hinab zum Bund seiner Hose. „Ich spüre… so tief in mir diesen Schrecken vom Nachmittag… ich… wünsche mir so sehr, das… vergessen zu können… nur für einen Moment. Hilf mir, Puran…“ Er küsste sie verlangend auf die Lippen. Seufzend klammerte sie sich an ihn und wünschte sich, er würde niemals aufhören, sie zu lieben. Sie war sein… und sie war es für immer, mit Leib und Seele. Es fiel ihnen leicht, sich in ihre eigene Welt zu flüchten, weg von den Schatten der Realität und den grausamen Sachen, die geschehen waren. Sie wollten blind und taub sein, eingeschlossen in ihrer eigenen, kleinen Welt, wo nur sie beide existierten. Und die Wärme zwischen ihnen hüllte sie ein wie eine schützende Barriere, bereit, alles Schlechte und Böse fernzuhalten von ihnen. Leyya sah trotz geschlossener Augen das Feuer im Himmel tanzen, die Flammen, die sie umringten und wärmten, die den Raum zu erhellen schienen, während sie unter ihrem Mann lag und sich mit ihm vereinte. Fest klammerte sie sich an die Hitze seines Körpers, um jede Vibration, jede Bewegung mit jeder Faser wahrnehmen zu können, wie er immer wieder in sie eindrang, sich leicht zurückzog und wieder eindrang. Es fühlte sich gut an… es war richtig so. Für diesen kurzen Augenblick konnten sie wirklich vergessen, wo sie waren… und warum sie es waren. Als Leyya die Augen flackernd öffnete und in Purans Gesicht über ihr sah, spiegelten seine Augen ihr Verlangen und ihre Leidenschaft wieder, die sie empfand. Er keuchte ungehalten und stützte sich neben ihr am Bett ab, ehe er den Kopf zu ihrem senkte und sie fordernd küsste. „Du hast mir so gefehlt, Liebster…“, stöhnte die kleine Heilerin ergeben unter ihm und schrie dann laut, als er plötzlich das Tempo steigerte und seine Bewegungen intensivierte. Japsend schlang sie die Beine um seinen Unterleib, um ihn mehr spüren zu können, um ihm so nah zu sein wie sie konnte… sie wollte, dass es niemals aufhörte. „Ich weiß, ich bin ein Vollidiot… ich hätte dich nicht nächtelang alleine lassen sollen…“, seufzte er dann, als sie sich unter ihm laut stöhnend hin und her wand wie ein zappelnder Fisch, ergriffen von der Ekstase des Höhepunkts, die sie daraufhin packte. Er hatte Schwierigkeiten, sie festzuhalten, und packte unruhig ihre schmalen Hüften, während die kleine Frau den Kopf zurück in die Kissen warf und sich heftig nach hinten durchbog, um ihren Unterleib dichter an seinen zu pressen. Dann erschlaffte sie in seinen Armen und sank schwer atmend zurück auf die Matratze, benebelt von der Hitze in ihrem Inneren, die nur ganz langsam abzuflauen begann. Mit einem weiteren, letzten Stoß beugte er sich wieder über sie und ein lustschweres Stöhnen kam aus seiner Kehle, als er das Gesicht in ihren Haaren vergrub und sich schließlich in ihr ergoss. Leyya umarmte zitternd seinen Rücken und schmiegte sich liebevoll an ihn wie eine weiche Wolke, die ihn langsam und behutsam wieder zurück auf die Erde trug, als das Feuer langsam erkaltete. Puran stöhnte erneut, als er sich vorsichtig aus ihr zurückzog und sich von ihr herunter rollte. Dabei schnappte er die Bettdecke vom Fußende und warf sie provisorisch über sie beide. Leyya schmuste sich abermals an ihn, als er jetzt auf dem Rücken lag und einen Arm um ihren zierlichen Körper legte. „Ach, jetzt haben wir ja gar nicht deinen Heilzauber getestet.“, fiel ihm ein, sobald er wieder zu Atem gekommen war. Neben dem Bett auf dem Nachttisch lag jetzt das zuyyanische Messer. Leyya seufzte. „Ich kann das doch nicht bei dir…“ „Na, an wem sonst? Dir selbst? Damit du noch weniger Kraft hast für deinen Zauber?“ fragte er sie verdutzt. Keuchend schob er sie leicht von sich und setzte sich auf, um nach der Waffe zu angeln. Leyya setzte sich auch auf und errötete. „Aber… das kann ich doch nicht jetzt…? Ich meine, jetzt bin ich so aufgewühlt von dem eben…“ Sie schwiegen eine Weile, in der Puran offenbar interessiert das Messer musterte und die Frau ihren nackten Mann, der viel hübscher war als jedes Messer. Als er sie plötzlich wieder ansah, fuhr sie zurück und fragte sich warum sie sich erschrak; es war doch nur Puran. „Tu es für mich, Leyya.“, bat er sie dann dumpf, „Du kannst das.“ Er ließ keine weiteren Widerworte zu und sie schnappte nach Luft, als er mit dem Messer einen winzigen, nicht wirklich tiefen Schnitt auf seinen Oberarm zog. Es trat kaum Blut aus und es schmerzte eigentlich auch nicht mehr als es bei jedem anderen Messer geschmerzt hätte. „Die Klinge ist verdammt scharf… aber das sind die unserer Schwerter ja auch, daran wird es kaum liegen…“ murmelte der Mann verblüfft und sah auf den kleinen Schnitt auf seinem Arm, ehe er ihn seiner Frau unter die Nase hielt. „Jetzt mach ihn zu.“ „Aber was, wenn ich es nicht kann?!“ schnappte sie erbleichend, „Oh Himmel, Puran, du kannst doch nicht…?!“ „Dann werde ich schon nicht an dem kleinen Kratzer sterben!“ Er verdrehte die Augen, „Willst du jetzt ein Heilmittel erfinden oder nicht?“ Die kleine Frau senkte verwirrt den Kopf, ehe sich ihre Mimik veränderte und sie tief Luft holte. „Ich werde es versuchen. Verzeih mir, Puranchen, wenn ich dir wehtue… vielleicht ist es unangenehm, die Zellen zu regenerieren.“ Er machte sich auf Schlimmes gefasst, als sie ihre Hand auf den Schnitt legte und begann, sich zu konzentrieren. Sie flüsterte leise Worte zu den Geistern der Mutter Erde, die ihr helfen sollten, lebende Zellen zu erschaffen und den Schnitt verschwinden zu lassen, als ihre Handfläche über dem kleinen Schnitt schwach aufleuchtete. Puran beobachtete die Anspannung in Leyyas Gesicht und spürte, wie eine klamme Kälte durch seinen Arm zog, die sich verstärkte, sobald das Leuchten heller wurde. Dann flauten Kälte und Licht plötzlich ab und Leyya ließ keuchend ihre Hand von seinem Arm sinken, tief das Haupt senkend. „Meine Kraft reicht… einfach nicht für mehr!“ wisperte sie, „Bitte, Mutter Erde… gib mir… mehr geistige Kraft für… einen Moment nur…“ Sie atmete heftig ein und aus und Puran hob die Hand, um ihr über den Kopf zu streicheln. Der Schnitt war nicht verschwunden. „Entspann dich, du hast dein Bestes gegeben…“, versuchte er es, doch sie zischte und entfloh seiner Hand, um grimmig auf seinen Arm zu sehen. „Aber er ist noch da! Es funktioniert nicht…“ „Dann wirst du üben und eines Tages wird es gehen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, Leyya. Ich habe schon gespürt, dass sich irgendetwas tut… aber es war eben noch nicht ganz soweit. Das macht doch nichts… hab keine Angst.“ „Aber dank meiner Unfähigkeit hast du jetzt eine Wunde und bald eine Narbe!“ jammerte sie unglücklich und er lachte auf. „Das nennst du eine Narbe, na hör mal, ich kämpfe seit Jahren gegen diese Bastarde von Zuyya, ich habe Schlimmeres eingesteckt als das da.“ Er zog die Decke zurück und sah glucksend auf seinen Oberschenkel, den eine unschöne, größere Narbe zierte, die noch aus Kadoh stammte. „Der Krieg zeichnet uns alle, Leyya. Es sind Zeichen, für die wir dankbar sein sollten, sie beweisen, dass wir stärker waren als das, was uns angegriffen hat… wir haben es immerhin überlebt.“ Er wuschelte ihr väterlich durch die Haare und schmollend lehnte sie sich gegen seinen Oberkörper, während sie langsam wieder zurück ins Bett sanken und sich hinlegten. Eine ihrer Hände fuhr spielerisch über seine Brust hinab, während sie an die Wand sah. „Ja… bisher haben wir das.“, war ihre dumpfe Antwort. Sie hatte Puran in den Bergen von Kadoh ein Versprechen gegeben; eigentlich weniger ihm als sich selbst. Aber sie hatte versprochen, dafür zu kämpfen mit aller Kraft, die sie hatte, einen Heilzauber zu erfinden, der die von zuyyanischen Schwertern geschlagenen Wunden ebenso heilen könnte wie andere Zauber andere Wunden verschwinden lassen konnten. Und in jener Nacht entschloss sich die junge Frau verbiestert, diesem Versprechen wirklich ein für allemal nachzukommen. Sie würde es schaffen; sie musste! Eines Tages würde sie die garstigen Wunden bezwingen und sie würden sich ihrem Willen, sie zu heilen, beugen, so, wie sich die Winde vor Puran verneigten und seinen Händen folgten. Leyya hatte in den vergangenen Monden in Vialla viel und gut gelernt bei den obersten Mitgliedern des offiziellen Heilerrates. Aber sie war noch keine vollwertige Heilerin… eine solche Technik würde das definitiv ändern. So übte sie, jeden freien Moment, in dem sie Kraft aufbringen konnte. Sie war Puran dankbar für das Messer, das er ihr gebracht hatte, anhand welchem sie hoffte, die Eigenarten dieser seltsamen Waffen herauszufinden, die sich äußerlich gar nicht von den ihren unterschieden, abgesehen von seltsamen Zeichen und Verzierungen. Vielleicht war es ein bestimmtes Metall, das verhinderte, dass die tharranischen Heilzauber die Wunde schlossen… vielleicht waren diese Waffen auch mit einem dämonischen Zauber belegt, und es galt, den Geistern der Erde mit aller Macht zu befehlen, gegen die Geister von Zuyya anzukämpfen… Der Winter kam in langen, trüben Tagen über das Land und drückte auf die Stimmung der Menschen. Die Panik ob des Todes des Kohdars Clans hatte sich zwar gelegt, aber die düsteren Schatten blieben über dem Land hängen, als wollten sie den Menschen das Licht jetzt endgültig wegnehmen. Am Ende des Wintermondes starteten die Zuyyaner einen plötzlichen, heftigen Angriff auf die Mauern von Vialla; durch die Demotivation und Furcht der Armee von Tharr wäre es an jenem Tag beinahe um das Reich geschehen gewesen. Im letzten Moment war es Tabaris Verdienst, der den Himmelsgeistern befahl, ihm zu folgen, und mit einem erneuten Wirbelsturm wie dem bei Aughot die Reihen der gegnerischen Soldaten zerschmetterte, bis die Letzten freiwillig zurück an den Fluss flohen. Das war der Moment, an dem der Tiefpunkt der Schatten überwunden wurde; plötzlich schöpften die Menschen neue Hoffnungen aus diesem Rückschlag in letztem Augenblick. Sie hatten viele Männer verloren, ja, und die Zuyyaner schienen unbezwingbar; aber sie hatten immer noch den Herrn der Geister; den obersten Sprecher der Mächte der Schöpfung. Solange sie den hatten, hatten sie auch die Hilfe von Himmel und Erde. „Ein Hoch auf den Herrn der Geister!“, riefen die Männer der Armee und jubelten, und Tabari senkte nur verbiestert das Gesicht, sich höflich verneigend, während der König von Kisara flankiert von dem von Intario und dem von Senjo vor ihm trat und seinen Schutzhelm abnahm. „Ich gratuliere zum erneuten Sieg, Majestät.“, sagte der Blonde, und der König lachte. „Der Jubel gilt nicht mir, sondern Euch, Herr. Ihr… seid ein guter Heerführer und Herr der Geister. Hebt Euer Haupt und nehmt mit Stolz die Ehre an, die Euch das Volk entgegen bringt… Ihr verdient sie.“ „Oh, nein, Majestät.“, widersprach Tabari und erhob sich wieder. „Ehre verdiente der Mann, der den Krieg zu beenden vermöge, mein König.“ Mit dem Winter lichtete sich auch der Schatten über Vialla; langsam, aber es war, als würden die Menschen aus einer längeren Trance der Düsternis erwachen und jetzt neue Kraft schöpfen können, genau wie die Blumen die erste Frühlingssonne in sich aufzunehmen versuchten, um prächtig und in allen Farben zu erblühen. Der Tag, an dem Leyya zum ersten Mal ihren Heilzauber vollendet und erfolgreich anwenden konnte, war ein besonderer Tag für die junge Frau. Und Puran war über alle Maßen verblüfft über ihren Erfolg, als sie es zum ersten Mal schaffte, den kleinen Schnitt auf seinem Arm verschwinden zu lassen. Sie war schon den ganzen Tag über unheimlich aufgeregt gewesen aus irgendeinem Grund, den er nicht verstand, und sie hatte plötzlich offenbar das Bedürfnis verspürt, ihm zu beweisen, was für eine wunderbare Ehefrau sie sein konnte. Sie hatte am frühen Abend im Zimmer auf ihn gewartet, als er von einer der Besprechungen zum weiteren Vorgehen zurückgekehrt war, etwas gerädert von der ewigen Unruhe im Palast, und er war verdutzt gewesen: sie hatte das Zimmer schön zurecht gemacht und auf dem kleinen Stubentisch für sie beide gedeckt. Und er war noch verblüffter gewesen über das, was angerichtet gewesen war. „Ich habe dir Kaffee besorgt, weil du in der letzten Zeit oft gesagt hast, du hättest gerne welchen, wie in Dokahsan!“ hatte sie mit einem liebevollen, glücklichen Strahlen erklärt. „Und ich habe dir Pastete gemacht… ich habe zwar in Kadoh versprochen, ich würde sie dir machen, wenn der Krieg vorbei ist, aber… aber ich wollte nicht länger warten, ich wollte das unbedingt jetzt machen! Ich habe mir viel Mühe gegeben… ich habe noch nie Pastete gemacht, ich hoffe, sie schmeckt dir, mein Liebster! Heute ist ein wundervoller Tag, ich bin glücklich!“ Puran war zu verdattert gewesen über ihren Eifer, um großartig zu fragen. Sie war schon am Mittag sehr euphorisch gewesen, als er zu der Besprechung aufgebrochen war, aber da hatte er noch das Gefühl gehabt, sie versuchte, irgendetwas zu unterdrücken. Am Abend ließ sie jedenfalls alles heraus; ihre Pastete war ausgezeichnet, er war dank seiner Verwirrung über ihre Euphorie leider kaum dazu gekommen, ihr das zu sagen. Davon abgesehen, dass es ihn tierisch amüsiert hatte, zur Pastete Kaffee zu trinken, was eigentlich absolut überhaupt nicht zusammen passte. Das war nicht von Belang… sie hatte sich Mühe gegeben, es war hervorragend und sie hatte es nur für ihn getan, was ihn irgendwie peinlich berührte. So viel Mühe war er doch gar nicht wert… es beschämte ihn manchmal, wie abgöttisch seine Frau ihn liebte. Nicht, weil sie sich peinlich beneähme, sondern nur, weil er sich selbst so unwürdig vorkam, so eine wundervolle Frau abbekommen zu haben. Leyya war wirklich die beste Frau der ganzen Welt. Er war sicher, dass keine auf ganz Tharr ihren Mann so sehr lieben konnte wie Leyya ihn liebte. Und kein Mann könnte seine niedliche Frau so sehr verehren wie er Leyya… Als sie dann mit dem Essen fertig gewesen waren, hatte Leyya völlig eifrig unbedingt ihren Heilzauber wieder einmal üben wollen und er hatte sich bereitwillig erneut sachte in den Arm geschnitten, um ihr den Gefallen zu tun als Gegenleistung für ihre liebevolle Mühe. Er hatte erwartet, dass es in der Aufregung ohnehin nicht funktionieren würde… und dann funktionierte es unerwarteter Weise doch. „Ich habe es geschafft?!“ rief die Heilerin selbst verdutzt und starrte auf den Schnitt, oder besser den Arm, denn der Schnitt war verschwunden. Puran blinzelte ebenfalls, während er auf der Couch saß, die Frau quer auf seinem Schoß. „Scheint ja so!“ machte der Mann auch, „Ich meine… er ist weg!“ „Ich… ich habe es geschafft, die Geister der Mutter Erde zu zähmen…?“, wisperte Leyya auf seinem Schoß, dann erhob sie sich rasch und begann plötzlich, aufgeregt wie ein Kind auf und ab zu hüpfen. „Ich habe doch gleich geahnt, heute würde ein guter Tag! Ich habe es gewusst, als ich aufgewacht bin! Die Geister haben einfach ein gutes Gefühl in mir verursacht, es… es ist ein guter Tag, Puran!“ Sie jubelte und freute sich so sehr, dass auch er trotz aller Müdigkeit nicht anders konnte als liebevoll zu lächeln. Sie nahm seine Hände in ihre und hüpfte so weiter, während er lachend sitzen blieb. „Ist ja gut, beruhige dich endlich mal…“, versuchte er, sie zurück auf den Teppich zu holen, „Das ist toll, dass du es geschafft hast, Leyya!“ Sie kicherte, als er auch langsam aufstand und sie zärtlich in seine Arme zog. Grinsend beugte er sich über sie und küsste ihren Mundwinkel. „Das heute Abend war echt niedlich von dir… ich bin ganz gerührt, um ehrlich zu sein. Jetzt haben wir ja eigentlich was zu feiern nach dem Erfolg, oder?“ Leyya strahlte ihn an, als er sie zärtlich auf seine Arme hob und sie kurzer Hand in Richtung Schlafzimmer trug. Sie hängte sich glücklich an seinen Hals und schmiegte sich dabei an ihn. Sie wollte allen Geistern für diesen schönen Tag danken… sie hatte einfach das Gefühl, er würde alle die vergangene Trauer wett machen. Kohdars und Ruja waren tot… aber sie lebten. Sie lebten und mussten das genießen, so lange sie konnten. Und das würde sie von ganzem Herzen tun… „Wir haben nicht nur das zu feiern, mein Liebling.“, offenbarte sie ihm, als er sie vorsichtig auf das Bett legte, und Puran hielt kurz inne, gerade dabei, am Verschluss ihres Kleides zu nesteln. „Ach?“ fragte er ahnungslos; obwohl ihn ihr Anliegen eigentlich weit weniger hätte überraschen dürfen. „Puran, du wirst bald Vater…“ Er wunderte sich selbst darüber, dass er für einen Moment seine Sprache verlor. Was überraschte es ihn? Sie schliefen eigentlich fast jede Nacht miteinander, oft sogar mehrmals; war es so absonderlich, dass sie da schwanger wurde? Aber er richtete sich benommen auf und setzte sich neben sie auf das Bett, nachdem er das gehört hatte, und musste erst einmal registrieren, was sie gesagt hatte. Er wurde Vater. Sie trug sein Kind in ihrem Bauch. Verblüffender Weise dachte er nicht als erstes an die Vision, die er vor Monden gehabt hatte und die ihm so einen Schrecken eingejagt hatte; den Traum von der Wiedergeburt seines Großvaters, den er verdrängt hatte nach dem Tod der Kohdars. Nein, als erstes kam ihm in den Kopf, dass er nie zuvor die Möglichkeit bedacht hatte, dass er beim Sex ja ein Kind zeugen könnte. Seit Jahren hatte er mit diversen Frauen geschlafen, mit fast allen über längere Zeit sehr oft, und nie war eine schwanger geworden; und auch mit Leyya war er doch schon so lange verheiratet, wieso wurde sie jetzt plötzlich schwanger? Der zweite Gedanke, der ihm kam, erfüllte ihn plötzlich mit tiefster Freude und großem Stolz; es waren einfache Instinkte, die in ihm wach wurden, als er langsam in seinen Kopf bekam, dass seine Frau ein Baby erwartete. Sein Baby… ein gemeinsames Kind. Als wäre Leyyas Euphorie auf ihn übergegangen verzog sich sein Gesicht plötzlich zu einem Lächeln; dann wurde es zu einem Grinsen, zu einem glücklichen Strahlen. Es war ein gutes Gefühl… es war leicht und warm, angenehm. Ein Baby war etwas Gutes… es bedeutete Leben. Neues Leben inmitten allen Todes im Land… das musste doch ein gutes Zeichen sein! Die Freude über diese Nachricht, die ihn jetzt wie eine Welle überrumpelte, verdrängte sämtliche Furcht aus seinem Geist. Es gab Kelar Lyra nicht mehr und auch nicht die alberne Vision. Vielleicht hatte seine Mutter doch recht gehabt? Es war nicht von Belang… nicht in diesem Moment. „Du… du bist schwanger? Moment, deshalb der ganze Hokuspokus heute?!“, keuchte er fasziniert und Leyya erstrahlte unter ihm. Sie nickte aufgeregt. „Ich habe ewig mein Mondblut nicht vergossen; heute habe ich mich dann endlich getraut, es näher zu untersuchen! Ich habe es noch keinem erzählt und… nach der Vision, die du hattest, hatte ich Angst, es dir zu sagen… aber… ich bin so froh! Du scheinst es ja doch nicht schlimm zu finden?“ „Um Himmels Willen, nein!“, japste er, dann beugte er sich über sie und schloss sie liebevoll in die Arme. „Leyya, du liebe Zeit, wir bekommen ein Kind… das… das ist wunderschön! Das ist… ich kann… mich plötzlich gar nicht mehr fürchten… es ist, als hätte der bloße Gedanke daran, bald Vater zu werden, alle Angst aus mir verjagt…“ Sie lachte vor Freude, während sie ihn umarmte und sie sich im Bett einmal herum rollten, bis er unten lag und sie über ihm. Sie strampelte aufgeregt mit den Füßen. „Du freust dich!“, keuchte sie außer Atem und strahlte. „Ich… ich bin die glücklichste Frau der Welt, Puran…“ Das glaubte er ihr ohne zu zögern, und er lächelte sie an mit aller Liebe, die er für sie empfand, als er ihr Gesicht sanft zu seinem herab zog und sie sich leidenschaftlich küssten. Es war ein flüchtiger, kurzer Moment des puren Glücks, den sie beide teilten, als sie sich so küssten und in liebevoller Zärtlichkeit berührten. Ein kurzer Lichtschein in der Dunkelheit, die von Norden wieder herauf zog und die die Stadt dieses Mal in tieferen Schatten stürzen sollte als jemals zuvor. Und die Finsternis würde das kleine Lichtlein verschlingen und für lange Zeit erlöschen lassen… _____________________________ Lol xD das Übergangs-Kapi xD Am Anfang ist noch Oktober 981, am Ende ist so Ende März 982 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)