Cruel Nature von Rhyo ================================================================================ Kapitel 10: Neue Mitbewohnerin ------------------------------ Neue Mitbewohnerin Ein paar Tage später hat sich alles wieder ein bisschen eingerenkt. Keine Vampire greifen mehr an, keine Mädchen werden entführt, niemand wird umgebracht. Miho geht davon aus, dass der Überfall der Cursers beim Abendessen nur ein Traum war, und Keisuke, Desmond und Luna behaupten nichts anderes. Es gefällt Keisuke zwar gar nicht, Miho anzulügen, aber sie würde sicher Angst bekommen, wenn sie wüsste, was wirklich passiert ist. Miho kommt in die Küche, als Keisuke gerade eine Schüssel voll Blut mit dem Löffel leert. „Seit wann trinkst du Blut mit dem Löffel?“, kichert Miho und sieht ihm eine Weile zu. „Ich wollte eben mal etwas neues probieren“, antwortet Keisuke; „Es ist auf Dauer auch ein bisschen eklig, das Blut direkt aus dem Plastikbeutel zu trinken...“ „Die bösen Vampire trinken ihr Blut sogar direkt aus ihren Opfern!“, bemerkt Miho; „Ich bin wirklich froh, dass du nicht so einer bist.“ Keisuke nickt. „Übrigens hat Shizuka gerade angerufen“, erwähnt Miho beiläufig. Er springt geschockt auf: „Was? Shizuka hat sich gemeldet? Warum sagst du mir nichts???“ „Ist ja gut, beruhige dich“, ernüchtert Miho ihn; „Sie wird gleich vorbeikommen. Sie sagt, sie muss mit uns über etwas wichtiges sprechen.“ Schon wieder? Das könnte ja wieder eine Falle sein... Shizuka wird ja oft benutzt, um Keisuke zu täuschen, aber diesmal ist es irgendwie komisch. Warum sollten sie dann anrufen, anstatt so hier hereinzuplatzen? „Ich möchte ihr etwas leckeres kochen“, sagt Miho; „Weißt du, was sie gerne isst?“ „Ähm, Eis...“, lautet Keisukes nicht sehr durchdachte Antwort. „Sehr witzig, ich meine richtiges Essen!“, entgegnet Miho. Sie geht zum Herd und schaltet die Platte an: „Ich werde einfach einen Eintopf zubereiten. Das wird sie schon mögen...“ Keisuke löffelt aufgeregt seine Schüssel leer, als seine Schwester ihn mit einem scharfen Seitenblick auffordert, sich zu duschen und umzuziehen. „Warum?“, fragt Keisuke genervt; „Es ist doch nur Shizuka...“ Miho lächelt: „Ja... Stimmt, es ist nur Shizuka... Schade.“ Was will sie denn damit sagen? Keisuke beschließt, sie zu ignorieren. Nach einigen Minuten klingelt es an der Tür. „Das wird sie sein!“, ruft Keisuke. „Aber ich habe den Eintopf doch noch nicht fertig!“, beklagt sich Miho aus der Küche. Keisuke öffnet die Tür und Shizuka steht vor ihm. Sie sieht sehr blass aus. „Hallo, Keisuke. Miho weiß, dass ich komme. Kann ich reinkommen?“ „Klar“, gibt er zurück. Die beiden gehen ins Wohnzimmer und setzen sich nebeneinander auf das Sofa. Miho kommt aus der Küche um Shizuka zu begrüßen. „Das Essen ist leider noch nicht fertig“, entschuldigt sie sich. „Aber das macht doch nichts!“ Shizuka wird rot. Sie war schon lange nicht mehr bei Keisuke. „Ich... Ich muss euch etwas sagen...“, fängt sie an, und Miho holt sich einen Stuhl, damit sie sich zu den beiden setzen kann. Keisuke und Miho sehen sie gespannt an. Würde sie jetzt irgendetwas beichten? „Ihr wisst ja, was mit meinen Eltern passiert ist...“ Keisuke nickt. Er weiß sogar, wer es getan hat. Aber darum geht es jetzt nicht. „Ich darf nicht alleine in meinem großen Haus wohnen, also werde ich ins Waisenhaus müssen. Es sei denn... Ihr nehmt mich bei euch auf!“ Flehend sieht sie die beiden an. Damit hat Keisuke nicht gerechnet. Würde Shizuka bei ihnen wohnen können? Es wäre ja irgendwie schon ganz cool, aber dann wäre es sogar noch schwerer, sein wahres Wesen vor ihr zu verbergen. „Wenn es weiter nichts ist, gerne“, sagt Miho fröhlich. Shizuka und Keisuke fällt gleichzeitig der Mund auf. „Bist du sicher, Miho?“, hakt Keisuke nach. „Warum denn nicht? Ich habe sie gerne hier. Sie braucht jetzt unsere Unterstützung, Keisuke.“ „Vielen Dank, Miho.“ Shizuka steht mit Tränen in den Augen auf und nimmt Miho in den Arm. Keisuke sitzt etwas betreten daneben und schaut die beiden an. Dass seine Schwester so einfach ja gesagt hat, verwundert ihn. „Außerdem waren es deine Eltern, die nach dem Tod unserer mich und meine Geschwister versorgt haben, bis ich alt genug war, das alleine zu übernehmen. Und jetzt sind wir an der Reihe...“ Auch Miho kommen ein paar Tränen, aber sie schafft es, sie vor Shizuka zu verbergen. Jetzt blickt Shizuka Keisuke an: „Freust du dich nicht?“ „Ähm, doch...“, sagt er, ohne wirklich überzeugend zu klingen. Wenn Shizuka bei ihm wohnt, wird sie früher oder später herausfinden, dass er ein Vampir ist. Und wenn das passiert, muss er sie auch darüber aufklären, was bei ihr zu Hause geschah. „Miho? Du musst dann aber mit mir zum Jugendamt kommen, die Sozialarbeiter wollen dich sprechen, wenn du bereit bist, mich bei dir aufzunehmen.“ Miho stimmt ihr zu, und nach einer guten Stunde verlassen die beiden zusammen das Haus. Wo wird sie überhaupt schlafen? Im Haus ist ja kein Bett mehr frei, sie könnte höchstens noch das Sofa benutzen, aber auf Dauer ist das ziemlich unbequem. Keisuke geht in die Küche und stellt fest, das eine leere Blutkonserve noch auf dem Küchentisch steht. Die wird er in Zukunft immer verstecken müssen, wenn Shizuka da ist. Und was, wenn sie den Eisschrank öffnet? Da sind doch noch die ganzen Blutkonserven drin, die Verena ihm geschickt hat?! Da soll Miho sich was einfallen lassen, sie ist immerhin diejenige, die so schnell und anscheinend ohne darüber nachzudenken zugestimmt hat. Im nächsten Moment kommt Keisuke sich selbst wie ein Idiot vor. Shizuka ist seine beste Freundin! Er sollte alles in seiner Macht stehende tun, um ihr zu helfen, anstatt sich nur Sorgen um sich selbst zu machen. Keisuke versucht, sich mit seinem Computer zu beschäftigen, allerdings vergeht ihm schnell die Lust daran, es schießen ihm einfach zu viele Dinge durch den Kopf. Es klingelt an der Tür. Ist Miho schon zurück? Sie hat doch einen Schlüssel? Dann ist es wohl jemand anderes. Er geht die Treppe hinunter und öffnet die Haustür. Vor ihm steht ein Mädchen mit langen, grauen Haaren und roten Augen. Sie trägt eine rote Strickjacke. „Hallo Verena“, begrüßt Keisuke sie. „Hallo... Ich wollte dich mal wieder sehen“, sagt sie und lächelt sanft. Die beiden gehen rein und setzen sich an den Tisch in das Wohnzimmer. „Verena, dass du mir die ganzen Blutvorräte geschickt hast... Dafür muss ich mich wirklich bedanken!“, sagt Keisuke, und Verena errötet. „Die hat Raito mir geschenkt... Weil er weiß, dass ich keine Menschen aussauge.“ Keisuke sieht sie an. Sie scheint irgendwie bedrückt zu sein. Weiß sie etwas? „Ich bin in letzter Zeit in viele gefährliche Situationen gekommen“, erzählt Keisuke; „Die Cursers waren sogar bei mir zu Hause... Ich fühle mich nicht mehr sicher. Bin ich gerade in Gefahr?“ Verena schüttelt den Kopf: „Ich glaube nicht. Ganz sicher kann ich mir da auch nicht sein, aber...“ Keisuke sieht sie fragend an: „Verena? Ist irgendetwas los?“ Sie seufzt: „Eigentlich habe ich keinen Grund, mir Sorgen zu machen. Raito hat die Fähigkeit, Schattentiere aus einer Parallelwelt zu beschwören, die seinen Befehlen gehorchen. Er positioniert sie fast überall dort, wo ihr euch aufhaltet. Dann senden sie ihm direkt ein Signal, wenn etwas passiert.“ „Sind sie Schattenwesen böse?“ Verena schaut ihn fragend an: „Böse? Was meinst du damit? Sie sind auf Raitos Seite... Er hat hier im Haus eins platziert, bei Mihos Arbeitsstelle, bei Desmond und Luna zu Hause, und an ein paar anderen Orten. Sie passen auf euch auf, damit ihr nicht angegriffen werdet.“ Keisuke versteht nicht, wo dann das Problem ist: „Wieso machst du dir dann Sorgen? Bist du gekommen, um mir das zu sagen?“ „Ähm, nein...“, sagt Verena verunsichert; „Mir ist aber aufgefallen, dass du keine Möglichkeit hast, mit uns Vampiren Kontakt aufzunehmen. Ich wollte dir meine Telefonnummer aufschreiben.“ Das ist doch mal interessant, wenn Keisuke Verenas Nummer hat, wird er noch öfter mit ihr sprechen können. Sie ist ihm etwas ähnlich, findet er. Keisuke steht auf und holt ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber aus der Schublade unter dem Fernseher. Er legt sie vor Verena auf dem Tisch, und sie bedankt sich lächelnd. Irgendwie ist sie hübsch, fällt Keisuke auf, und er wird rot. Verena kümmert das nicht weiter, und sie schreibt eine Nummer auf das Papier. „Hier. Darunter kannst du mich und Raito erreichen.“ Keisuke mustert die Nummer. Eine Nummer? „Wieso teilt ihr euch eine Nummer?“, fragt Keisuke sie. „Weil wir zusammen wohnen“, antwortet Verena. Das ist ja grandios, denkt Keisuke, jetzt kann er auch Raito anrufen wann er möchte. Sein Herz macht einen Hüpfer, doch dann kommt ihm etwas komisch vor: „Wenn ihr zusammen wohnt... Heißt das, ihr seid verwandt?“ Verena schüttelt den Kopf. „Also seid ihr... ein Paar?!“ Keisuke erwartet gespannt die Antwort, aber Verena schüttelt wieder den Kopf: „Nichts dergleichen. Raito hat sich um mich gekümmert, nach dem er mich verwandelt hat. Deswegen kann ich bei ihm wohnen. Meine eigentlichen Eltern haben mich ausgestoßen, als sie erfahren haben, dass ich ein Vampir bin.“ In diesem Moment tut sie Keisuke wirklich leid. Wie kann man das seiner eigenen Tochter nur antun? Er stellt sich vor, wie es gewesen wäre, wenn seine Eltern noch gelebt hätten... Nein, er ist sicher, sie hätten ihn so akzeptiert. „Du magst Raito, oder?“, unterbricht Verena seine Gedanken. Keisuke ist verwirrt, was soll die Frage jetzt? „Ähm, ja, schon. Er ist richtig cool. So stark...“ Verena schaut ihn traurig an: „Ich mag ihn auch. Aber sowohl er, als auch Samuel, und die anderen... Sie haben alle Blut an ihren Händen kleben. Sie haben alle schon gemordet. Nur wir beide, sind davon noch rein.“ Keisuke schweigt. Dass Samuel Menschen getötet hat, wusste er schon vorher. Und Raito hat es also auch getan. Das kann man nicht mehr ändern, aber er hofft wirklich, dass er nie jemanden umbringen muss. „Ähm, Verena... Werde ich einmal jemanden töten?“, fragt er. Sie schließt die Augen. Nach einer Weile öffnet sie sie wieder: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht alles, was in der Zukunft passiert. Nur bestimmte Dinge...“ Das bedeutet, er wird weiter im Ungewissen bleiben. „Keisuke... Ich würde so gerne wieder ein Mensch sein“ flüstert Verena und vermeidet es, ihn anzusehen; „Es ist so schrecklich... Ich will endlich von den Vampiren in Ruhe gelassen werden, ich will in Frieden bei meinen Eltern leben können, ich will altern... Ich würde die Sonne so gern genießen können... Mich verlieben, irgendwann Kinder haben. Es ist einfach nur schrecklich, ein Vampir zu sein!“ Keisuke weiß nicht, was er sagen soll. Ihm gefällt es ja ganz gut, aber er weiß auch, dass Verena schon länger Vampir ist als er. „Ich hoffe, Raito findet einen Weg, dich zurückzuverwandeln“, sagt Keisuke, um sie zu trösten. Verena antwortet nichts darauf. Eine ganze Weile sitzen die beiden am Tisch und schweigen sich an, blicken einander nicht in die Augen. Schließlich steht Verena auf, mit den Worten: „Entschuldige bitte, ich wollte dich damit nicht belasten. Ich habe nur gedacht, dass du... mich vielleicht verstehst. Aber ich glaube das nicht.“ Dann geht sie in schnellem Tempo durch die Haustür nach draußen. „Verena, warte!!“, ruft Keisuke, aber sie reagiert nicht. Er kann ihren Wunsch schon verstehen, aber er teilt ihn nicht. Wartend sitzt er vor dem Fenster im Wohnzimmer. Wann kommen die beiden endlich zurück? Miho, und seine neue Mitbewohnerin. In nicht einmal mehr einer Woche sind die Sommerferien zu ende. Dann kommen wieder hundert neue Probleme auf ihn zu, und böse Vampire kann er dabei echt nicht gebrauchen. Seufzend legt er seinen Kopf auf die Fensterbank. Ob Verena sauer auf ihn ist? Keisuke spürt, dass er sie mag. Vielleicht sollte er ja mal dort anrufen, aber jetzt wäre es dafür zu früh. Vorschau auf Kapitel 11: Auch ein strahlender Tag verbirgt Schatten. Die Wachsamkeit der Unscheinbaren unterschätzend, besucht der Vampir das Café der Erinnerungen. Wer mit offenen Karten spielt, verliert das Spiel. Kapitel 11: Er kann es ihr nicht sagen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)