Schlaflos von dead_rabbit (Eintagsfliegen) ================================================================================ Meermädchen ----------- Wieder bin ich schlaflos. Doch inzwischen ist es Winter. Menschen haben sich andere gesucht, damit die kalten Nächte nicht allzu lang werden. Meine Welt, die ich für einigermassen stabil hielt, verdünnt sich. Sie wird langsam blasser. Sie riecht nicht mehr so stark wie damals in den Sommernächten. Wenn ich aufstehe wird eine diffuse Helligkeit das Zimmer erfüllen und die weissen Wände trist aussehen lassen. Niemand wird hier sein. Keine unerwarteten Bewegungen, kein fremder Geruch mehr in meinen Haaren. Sie müssen immer zurück. Sommervögel. Sie geniessen es solange es andauert, aber die Faszination, die sie spüren, begründet sich auf der Fremdheit die es für sie hat. Die kleinen Menschen. Ich bin kein kleiner Mensch. Ich stecke in der Hülle eines kleinen Menschen. In ihrem Körper. Ich habe mich angepasst. Aber sie alle spüren, dass etwas anders ist. Als wäre ich verschoben, nicht im Einklang mit dieser Welt. Sie finden es anziehend. Ich weiss, wenn ich aufstehe, werde ich versuchen ihrer Realität nachzujagen. Ich werde mich anziehen und in die Winterluft hinaustreten. Ich werde den kalten Wind in meinem Gesicht spüren. Wie ein kleiner Mensch werde ich mich gewohnheitsmässig in meinen Schal ducken und tief einatmen. Es wird sich anfühlen wie ersticken, wenn die kalte Luft in meine Lungen dringt. Als würde ich ertrinken, mir wird übel davon werden. Ich werde kalte weisse Birken im Winterlicht schimmern sehen. Ich werde die fahle Sonne hinter all dem Nebel sehen, Knochen in einer toten Welt. Und ich weiss, dass ich nur eines tun kann. Ich weiss, ich werde nie dort ankommen wo ich ursprünglich hinwollte. Stattdessen werde ich so lange rennen bis ich das Salz in der Luft schmecken kann, ich werde rennen bis meine Lungen brennen und ich wieder atmen kann. Ich werde das Meer sehen. Ich werde das Meer sehen. Ich werde mich strecken, werde mich dem salzigen Wasser zuwenden und es trinken. Wenn ich wieder aufstehe werde ich weinen. Doch noch ist es Nacht und ich bin schlaflos. Ich muss mich mit allem was ich habe davon abhalten schon jetzt zum Meer zu rennen. Das Meer bei Nacht ist gefährlich. Schon bei Tag ist es beinahe unwiderstehlich, eine ewige Versuchung, nur ertragbar indem man ihr so nah wie möglich ist. Doch bei Nacht erstickt es mein Bewusstsein und überwältigt mich. Es würde mich aus meiner Hülle reissen und in die Fluten werfen. Diesem Sog zu widerstehen ist unmöglich. Nie vergesse ich den Tag an dem ich aus dem Meer kam. Doch entkommen kann ich ihm nie. Noch ist die Nacht endlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)