Der Rabe von Kid-Draco ================================================================================ Kapitel 1: Der Schweigsame -------------------------- Der Junge in der Kutsche sah neugierig aus dem kleinen Fenster. Der Mann ihm gegenüber sah ihn nachdenklich an. Absalom konnte nicht glauben, dass er nun für seinen Neffen verantwortlich war. Der Junge war blass und verschwiegen. Er hatte ihn erst dreimal reden hören. „Corbinian? Hast du Hunger?“, fragte er und reichte ihm einige belegte Brote. Corbinian sah auf uns schüttelte den Kopf. Absalom seufzte. „Wir machen gleich eine Pause, dass kannst du dich etwas bewegen.“ Der Junge nickte. Er fuhr sich durch die Haare. Irgendwie musste man doch den Kleinen zum Reden kriegen. Doch ihm fiel nichts ein. Sein Neffe schien an nichts gefallen zu finden. Andere sechsjährige musste man während so einer langen Fahrt an ihren Sitz binden, doch Corbinian saß einfach da. Verärgert trommelte Absalom mit den Fingern. „Nach der Pause dauert es nicht mehr lange bis wir da sind. Bist du aufgeregt?“ „Ein wenig.“, murmelte Corbinian. „Es wird dir sicher gefallen. Du bekommst ein paar Diener, ein Zimmer und vielleicht noch ein Hautier. Magst du Tiere?“ Der Junge sah wieder aus dem Fenster. Absalom seufzte innerlich. Er hatte zu viel geredet. Aber man konnte es ihm nicht verübeln. Es war so aufregend! Auf einmal hatte er zwei Neffen. Von Celio hatte er gewusst, deswegen hatte er ja seine Schwester besucht. Corbinian war ihm unbekannt, bis er ihn sah. Rhona war völlig hysterisch gewesen und hatte den Jungen behandelt wie die Pest persönlich. Da hatte er beschlossen seinen älteren Neffen zu sich zu holen. Absalom fragte sich nur mit einem unguten Gefühl im Bauch, was sie mit Corbinian die letzte Jahre getan hatten. Wenn er ihn so ansah, wollte er es dann aber wieder nicht so genau wissen. Der Kutscher hielt schon bald. Absalom stieg aus. „Komm, Corbi.“ Der Junge sah ihn verwirrt an. „Corbi? Wer ist das?“ „Na du. Dein Name ist so lang, dass ich ihn etwas abkürze.“ Nachdenklich nickte der Junge und stieg aus. Dort sah er sich um, ehe er seinen Onkel fragend ansah. „Schon gut. Sieh dich um, aber bleib in der Nähe.“ Corbinian nickte und entdeckte einen Grashüpfer. Neugierig folgte er dem Insekt. Bald entdeckte er noch mehr von ihnen. Als er sah, wie sie sprangen, legte er den Kopf schief und versuchte es zu fangen. Doch das war schwerer als erwartet. Ein hoher, heißerer Schrei ließ ihn aufsehen. Ein Falke flog am Himmel auf den Boden zu. Dort riss er eine Maus. Corbinian sah fragend zu seinem Onkel. „Das war ein Falke.“, erklärte Absalom. Corbinian nickte und sah sich weiter um. Er entdeckte jede Menge Insekten und eine Eidechse. Dann rief Absalom ihn zurück. Sie mussten weiter. Es dauerte etwa zwei Stunden bis sie ankamen. Absalom stieg als erster aus und hielt dem Jungen die Tür auf. Kapitel 2: Die neue Burg ------------------------ Corbinian sah sich um. Er stand auf einem kleinen Platz und vor ihm eine Reihe von Leuten, die ihn ansahen. Sein Onkel legte ihm eine Hand auf die Schulter und führte ihn an ihnen vorbei. Alle verneigten sich vor ihm. Die Männer zogen ihre Mützen und die Frauen knicksten. Corbinian nickte ihnen alle scheu zu. „Alma!“, rief Absalom freundlich. Eine rundliche, freundlich aussehende Frau trat vor. „Ja, Mylord?“ „Das hier ist mein Neffe: Fürst Corbinian. Ich denke mir, dass er hier in der Fremde jemanden braucht, der ihm eine Amme ist. Du wirst diese Rolle übernehmen.“ „Ich? Aber ich bin Köchin.“ „Egal, du wirst es schon schaffen. Er ist ein ruhiger Junge und nun nimm ihn und lass ihn baden.“ „Ja, Mylord. Euer Hoheit, wollt ihr mir folgen?“ Corbinian, der alles verstanden hatte, aber immer noch verwirrt war, folgte der fremden Frau. Er sah sich schweigend um und schielte auch immer wieder zu Alma. Sie schwieg auch, bis sie sich räusperte. „Euer Hoheit?“, fragte sie. Corbinian sah sie fragend an. „Könnt ihr sprechen?“ „Ja?“, fragte er unsicher. „Das ist gut. Ich wollte eigentlich von euch wissen, was ihr am liebsten esst.“ „Am liebsten?“ „Ja: Braten, Suppe, Eintopf, Fisch, Gans, Ente, Huhn?“ „Nun… das weiß ich leider nicht… Was ist denn Braten?“ „Fleisch von einem Schwein oder einer Kuh.“ „Ich esse vieles und frage nicht was es ist.“ „Nun dann werde ich der Küche sagen, dass sie eine gemischte Tafel vorbereiten soll. Ist euch das genehm?“ „Gewiss. Sollte mein Onkel euch nicht sagen, was ihr kochen sollt?“ „Ihr solltet mich nicht ‚euch’ oder ‚ihr’ nennen, Hoheit. Das schickt sich für euch nicht, aber ihr habt Recht. Für gewöhnlich bestellt euer Onkel das Essen. Aber wenn ihr einen Wunsch habt, werden wir ihn befolgen und des Weiteren seid ihr heute angekommen.“ „Stimmt es, dass mein Onkel ein Lord ist?“, fragte er etwas mutiger. „Ja, so ist es und ihr seid ein Fürst.“ „Und was ist besser?“ „Ein Fürst zu sein. Wenn ihr einmal alt genug seid, könnt ihr euren Onkel befehlen.“ Corbinian schluckte leicht. „Und was bist du? Bist du eine Lady?“ “Nein.“, lachte Alma. „Ich bin nicht adelig. Ich bin eine Köchin.“ „Ich verstehe.“ „Wollen eure Hoheit nach dem Bad etwas spielen?“ „Sehr gern und was?“ „Wozu hättet ihr denn Lust?“ „Habt ihr ein Steckenpferd hier?“ „Sicherlich. Ich werde eins holen, sobald ihr in der Wanne seid.“ „Vielen Dank. Sind hier auch andere Kinder?“ „Gewiss, aber ihr werdet nicht mit ihnen spielen dürfen.“ „Warum nicht?“ „Weil sie nicht adelig sind.“ „Sei es drum.“ „Es schickt sich nicht.“ „Das ist ja ärgerlich.“ „Erwachse werden mit euch spielen.“ Alma öffnete eine Tür. „Hier herein, euer Hoheit.“ Corbinian betrat den Raum. Überall hingen Laken und die Luft war warm und feucht. Einige Frauen huschten zwischen den Wäscheleinen hindurch. „Alma!“, rief eine ältere Frau. „Hilde, sei gegrüßt.“, antwortete Alma. „Was führt dich hierher?“ „Ihre Hoheit soll ein Bad nehmen, um sich von der Reise zu erholen.“ Sie sahen zu Corbinian, der der Frau zu lächelte. „Ich verstehe. Ich werde euch ein Bad bereiten lassen. Soll ich noch einen Barbier kommen lassen?“ „Was ist ein Barbier?“ „Jemand, der euch euer Haar schneiden wird. Es ist etwas zu lang für ein Junge eures Alters.“ „Wenn dem so ist, gerne.“ „Und ich werde einen Schneider aufsuchen, der euch Sachen machen wird. Vielleicht hat er auch noch welche da für euch.“ „Das wäre nett, danke.“ „Ich werde euch nun bei Hilde lassen, euer Lordschaft. Ist euch das genehm?“ „Gewiss, danke Alma.“ Alma nickte, knickste dann einmal vor ihm und verlies den Raum. Corbinian sah ihr erst nach, dann sah er zu Hilde. „Wollen euere Lordschaften mir folgen?“ „Gewiss, danke.“ Hilde führte ihn durch die Laken und Leinen zu einem großen Bottich. „Brauchen ihre Hoheit Hilfe beim Entkleiden?“ „Nein, danke.“ Er zog sich aus und versuchte dann in die Wanne zu klettern, doch er war zu klein. Hilde brachte ihm einen Hocker, damit er es leichter hatte. Als er in der Wanne saß, beobachtete wie einige junge Frauen ihm Wasser in die Wanne kippten. „Wollen ihre Hoheit etwas im Wasser spielen?“, fragte Hilde. „Spielen? Im Wasser? Wie denn?“, fragte Corbinian und sah auf das Wasser. Hilde reichte ihm einige kleine Boote und Tiere aus Holz. Er tunkte sie unter Wasser und sie stiegen auf. „Sie schwimmen ja.“ „Ja, Holz schwimmt.“ „Warum?“ „Weil…. Das solltet ihr einen Alchemisten fragen.“ „Wo finde ich einen Alchemisten?“ „Einer lebt ihr. Euer Onkel wird ihn euch sicherlich vorstellen. Wollt ihr noch baden oder soll ich euch waschen?“ „Bitte waschen.“ Hilde nahm dann einen Schwamm und fing an ihn zu waschen. Er kletterte raus und man reichte ihm ein Tuch zum Abtrocknen. Eine junge Frau half ihm in seine Sachen. Sie waren ihm noch etwas zu groß. Alma kam mit zwei Männern in die Waschküche. Der eine maß ihn von Kopf bis Fuß und ging dann wieder. Der andere bat ihn sich zu setzten und still zu halten, während er ihm mit einer Schere die Haare schnitt. Lange pechschwarze Strähnen fielen zu Boden, bis Corbinians Haare alle etwa gleich kurz waren und etwas abstanden. Er begutachtete sich in einem Spiegel. Corbinian trug eine braune Hose, kurze Stiefel, ein weißes Hemd und eine kurze braune Jacke. Zwei schwarze Augen sahen ihn aus einem weißen Gesicht heraus an. „Eure Hoheit sieht sehr elegant aus.“, versicherte Alma. „Hm… ich finde mich…doof.“, murrte er und verstrubbelte sein Haar. „Aber, aber. Ihr repräsentiert eine Stellung. Da könnt ihr so nicht rumlaufen.“ Sie kämmte ihn die Haare wieder glatt. Er grummelte. „Das schickt sich nicht.“ Corbinian ärgerte sich. Kaum war er Fürst durfte er gar nichts mehr. „Darf ich spielen gehen?“ „Gewiss. Was wollt ihr spielen?“ „Das weiß ich noch nicht. Darf ich auch allein spielen?“ „Wenn es euch beliebt.“ Er nickte und ging aus dem Zimmer hinaus auf den Hof. Immer wieder sah er sich um. Er war sich sicher, dass Alma ihn nicht aus den Augen lassen würde. Diese Burg war anders als die auf der er bis jetzt gelebt hatte. Um die große Mauer standen nur ein paar kleine Häuser. Die Stallungen lagen gegenüber dem Tor, das in das Burggemäuer führte. Das Gemäuer war nicht groß. Es bestand aus dem Burgherrenzimmer, Corbinians Zimmer, einem Laboratorium, einer Halle, einer Küche, einem kleinen Kerker und einigen Gästezimmern. Innerhalb der Mauern stand noch das Gesinde Haus. Auch das war nicht sehr groß. Hinter der Burg lagen ein kleiner Übungsplatz und die Höfe der Bauern. Corbinian brauchte nicht lang, bis er alles erkundet hatte. In der Nähe der Ställe fand er einige Jungen, die Ball spielten. „Ihr da!“, rief er und rannte zu ihnen. Sie sahen auf. „Kann ich mitspielen?“ Die Jungen sahen sich an. Dann trat einer vor. „Liebend gern Hoheit, aber ihr dürft doch nicht mit uns spielen.“ „Warum? Weil ich ein Fürst bin?“ „Genau.“ „Das weiß doch keiner.“ „Doch es weiß jeder hier. Es reden doch alle über euch.“ „Oh…“ „Wusstet ihr das nicht?“ „Nein.“ Einige Männer riefen nach den Jungen. Sie verabschiedeten sich und liefen zu ihnen. Corbinian sah auf den Ball, den sie liegen gelassen hatten. Lustlos trat er ihn vor sich her. „Das ist alles nicht gerecht.“, murmelte er. „Was denn?“, fragte ein Mann. Corbinian erschrak und wandte sich um. „Wer seid ihr?“ Der Mann war groß und dunkelblond. Er lachte leise. „Mein Name ist Gereon.“ Der Junge nickte. „Und was macht ihr hier?“ Der Mann grinste, lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. „Die bessere Frage ist, was mach so ein Winzling wie du hier?“ „Ich bin kein Winzling und ich wohne hier!“ „Das wüsste ich.“ „Es ist wahr! Mein Onkel ist hier Burgherr!“ Gereon schnaubte. „Das wüsste ich. Ich kenn den Herrn sehr gut und ich weiß, dass sein Neffe höchstens zwei Jahre alt sein kann.“ „Onkel Absalom hat mich heute hergebracht.“ Allmählich wurde der Junge wütend. „Sicher hat er das.“, lachte der Mann abfällig. Corbinian war nun richtig wütend und ging auf ihn zu. „Was? Du siehst ja richtig böse aus, mein Kleiner.“ Gereon lächelte nun richtig freundlich und hockte sich vor den Jungen. „Ich wollte dich nur etwas ärgern.“ „Warum habt ihr das getan? Das macht man nicht.“, schniefte er. „Oje. Ich habe wirklich übertrieben, was? Schon gut, nicht weinen.“ Gereon legte einen Arm um Corbinian. „Ihr seid gemein!“, murmelte der Kleine. „Ich merke es. Magst du Kandis?“ „Was ist Kandis?“ Gereon zog eine Tüte aus seinem Mantel und reichte sie dem Jungen. „Nimm dir etwas und lutsch es.“ Corbinian tat es und wunderte sich über den süßen Geschmack. „Und?“, fragte Gereon. Der Junge nickte. „Na also. Bist du mir noch böse?“ „Ich weiß nicht, warum ihr das getan habt.“ „Ich erkläre es dir, wenn du alt genug bist.“ „Versprochen?“ Gereon nickte und richtete sich wieder auf. „Und nun… Wollen wir zusammen mit dem Ball spielen?“ Corbinian nickte und nahm den Ball. Den Nachmittag über spielten die beiden auf dem Hof, bis Alma sie zum Essen holte. Gereon brachte Corbinian in die Halle, wo Absalom wartete. „Er war mit dir unterwegs?“, fragte dieser. „Wir waren nicht unterwegs, oder Corbi? Wir haben nur im Hof gespielt.“, erklärte Gereon und der Junge nickte. „Wie auch immer. Hast du Hunger?“ Corbinian nickte und setzte sich auf einen Stuhl. „Ihr habt gespielt?“, fragte Absalom und setzte sich. „Sicher. Ich habe mir frei genommen, um deinen Neffen kennen zu lernen.“ „Als ob du dich an Zeiten halten müsstest.“ „Sicher muss ich das. Wann kommen denn die Gäste?“ „Morgen und Corbi? Wie gefällt es dir hier?“ „Sehr gut. Nur das es hier keine Kinder gibt, die mit mir spielen ist doof. Aber dafür spielt ja Gereon mit mir.“ „Sehr richtig.“, nickte der Mann und legte dem Jungen ordentlich Essen auf den Teller. „Onkel? Wenn Gäste kommen, kommen dann auch Kinder?“, fragte Corbi. Absalom sah ihn nachdenklich an. „Nein, ich fürchte nicht. Wir werden andere Dinge für dich finden müssen… Der Schreiner soll dir einige Spielzeuge machen. Stockpferde, Schaukeln oder so.“ „Asgar war doch ein geschickter Kämpfer. Vielleicht sollten wir Corbis mögliches Talent testen.“ „Damit könnten wir aber auch seinem Signum zu wieder handeln.“ „Was ist ein Signum?“, fragte Corbi. „Das Zeichen deines Wächters.“ „Ich habe keinen Wächter und kein Signum.“ „Das wäre dann ja wohl geklärt.“, murmelte Gereon finster und Absalom seufzte. Dann rief er nach Alma. „Ihr habt gerufen, euer Lordschaft?“, fragte sie. „Ja, geh und hol einen Priester. Corbinian erhält heute noch sein Signum.“, erklärte er. „Gewiss Herr, ich eile.“ Sofort rannte sie los. Corbi war erstaunt. „Ist ein Signum so wichtig?“ „Nun, die meisten richten ihr Leben danach und viele unserer Eigenschaften entsprechen unserem Wächter.“, erklärte Absalom. „Also ist es wichtig.“ „Ja ist es.“ Nachdenklich fing Corbinian an zu essen. Absalom schwieg lange. Gereon sah traurig zu dem Jungen. Alma kam wieder zusammen mit einem kleinen dicklichen Mann. „Sehr gut.“ Absalom stand auf und ging zu ihnen. „Danke Alma. Nun Hora, das ist er.“ Der Lord zeigte auf Corbinian, der sofort aufstand und sich verneigte. „Seid gegrüßt.“, murmelte er. Der Priester sah die Männer verwirrt an. „Und er hat noch kein Signum?“ „Nein, noch nicht.“ „Was hat er denn angestellt?“ „Das erklären wir euch später. Bitte.“ Der Priester nickte und kniete sich zu Corbinian. „Wie lautet euer Name?“ „Corbinian.“ „Und weiter?“ „Weiter?“, fragte der Junge verwirrt. Der Priester seufzte. „Nun, reicht mir bitte eure Hand.“ Corbinian tat es. Der Hora nahm ein langes Messer und schnitt ihm die Hand auf. Das dunkelrote Blut tropfte auf ein silbernes Amulett, das der Priester sonst um den Hals trug. Einige Minuten geschah nichts. Dann wurde der Priester ganz weiß im Gesicht. „Das ist doch….“ “Hora, was habt ihr?“, fragte Absalom besorgt. Der Geistliche lächelte Corbinian traurig an. „Euer Signum, Herr, ist Zergerc, der heimkehrende Krieger.“ Die Männer schnappten nach Luft und der Junge sah sie alle verwirrt an. „Und das heißt?“, fragte er. „Das ist ein sehr mächtiges Signum. Nicht viele werden von Zergerc erwählt, aber diese sind meistens sehr einflussreich.“ Corbinian verstand nicht. „Alma.“, rief Absalom und sofort kam sie angelaufen. „Ja, Herr.“ “Bring Corbinian ins Bett.“ “Aber ich bin noch nicht müde.“, protestierte der Junge und unterdrückte ein Gähnen. „Und Gereon hat mir einen Nachtisch versprochen, wenn ich den Fisch probiere.“ „Ich bringe ihn dir noch. Dein Onkel, Hora und ich haben noch etwas zu besprechen.“, erklärte Gereon. Alma brachte ihn dann raus und machte ihn bettfertig. „Und? Was hältst du von ihm?“, fragte Absalom. „Er tut mir leid.“, erklärte Gereon. „Verzeiht, aber stimmt es, dass euer Neffe aus der Erbfolge gestrichen wurde?“, fragte der Hora. „Ja.“, seufzte Absalom. „Warum?“ „Corbinian erfüllt nicht die Erwartungen meiner Schwester. Zudem gibt sie ihm die Schuld am Tod ihres Mannes.“ „Er ist ein guter Junge.“, erklärte Gereon. „Das ist er. Nur wird er ein einsames Leben führen. Wäre er nicht tot, würde ich Asgar umbringen.“ „Absalom!“ „Nein, ihr habt ihn nicht gesehen- Corbinian. Wie er mich das erste Mal ansah. Wie Rhonda ihn ansah. Wie sie ihr Kind vor ihm versteckte. Wie sie den Gästen zurief, was er sein soll. Wie verloren er aussah. Als hätte er eine Krankheit. Als wäre er die Pest persönlich. Und dafür, dass er mit den Kindern spielen wollte, weil er Musik gehört hatte und deswegen zur Feier seines Bruders gekommen war, wollte sie ihn auspeitschen lassen. Sie schrie ihn vor allen Leuten an und er tat nichts, außer sie traurig ansehen. Er ging beschämt weg und von da an sah ich ihn drei Tage nicht. Also flehte ich Rhonda an, ihn nicht auspeitschen zu lassen. Ich bat sie, dass ich mitnehmen könnte. Irgendwann willigte sie ein, aber seine Strafe erhielt er. “ „Aber warum? Ich meine, er ist doch gesund.“, fragte Gereon. Auch der Hora sah ihn verwirrt an. „Corbinian hatte bei der Geburt denselben… dieselbe Anomalie wie ich. Asgar dachte wohl, dass er wie wir werden wird und damit überträgt Rhonda allen Hass auf ihren Sohn.“ „Aber das ist Wahnsinn!“ „Das spielt keine Bedeutung für sie.“ „Und was machen wir jetzt mit dem Jungen?“ „Wir behalten ihn hier. Er wird so normal es geht aufwachsen.“ Am nächsten Morgen als Corbinian in die Halle kam, war sie voll mit Spielsachen. Er staunte und sah sich um. „Gefallen sie dir?“, fragte Absalom. „Sind die alle für mich?“, fragte er. „Nun ich bin etwas zu alt für ein Schaukelpferd.“ Corbinian lächelte. „Vielen Dank.“ Sein Onkel lächelte auch. ‚Er ist ein normales Kind…’ „Aber du wirst nicht immer spielen. Du hast auch noch Unterricht.“, erklärte er. „Unterricht?“, fragte Corbinian und sah von einigen Tieren aus Holz auf. „Ja, du wirst schon bald kämpfen lernen.“ „Wegen meinem Signum?“ „Richtig.“ Dem Jungen reichte das als Antwort. Die Sachen waren interessanter. Verwirrt sah er auf einen Gegenstand. „Was ist das?“ „Ein Buch. Darin stehen Geschichten geschrieben oder Gedichte oder wichtige Dinge.“ Corbinian schlug es auf. „Was sind das für Zeichen?“ “Das sind Buchstaben, wenn du weißt was sie bedeuten kannst du lesen.“ “Kann ich das lernen?“ “Lesen? Sicher, aber das musst du nicht. Alma kann dir vorlesen.“ „Aber irgendwann bin ich zu groß dafür und wer liest mir dann vor?“ Absalom wusste, dass er es in kindlicher Unschuld gesagt hatte, aber er kannte auch die Antwort, die traurige Antwort. Also lächelte er ihn an. „Na gut. Ich werde dir einen Lehrer herkommen lassen, aber dann musst du auch fleißig sein.“ „Das werde ich.“ Kapitel 3: Ein kleiner Abschied ------------------------------- „Und das ihr immer gut auf euch Acht gebt.“, mahnte Alma Corbinian. Der Junge nickte und drückte ihre Hand noch einmal. Seit Absalom ihn auf die Burg geholt hatte, waren fünf Jahre vergangen. Corbinian war ein ruhiger Junge, der seinem Onkel nur selten Probleme bereitet hatte. Er war nicht besonders auffällig, vielleicht ein wenig groß für sein Alter, aber keines Wegs ein Riese. Nun stand er da neben ihm eine Tasche und eine abfahrbereite Kutsche. Corbinian wartete noch auf Absalom und Gereon. Alles sah nach einem Ausflug aus, aber dem war nicht so. Der junge Fürst würde für einige Jahre die Burg verlassen und eine Akademie besuchen. Seinem Onkel war unsicher, ob Corbinian es so gut auf der Schule haben würde. Er hatte den Jungen aus gutem Grund aus den großen Städten ferngehalten. Schon kurz nach der Ankunft auf der Burg des Onkels kursierten heftige Gerüchte über Corbinian. Doch er wusste nichts davon. Was sollte er sagen? „Oh, hallo, Corbinian! Deine Hoffnungen, dass du einen Freund findest, wird ewig eine bleiben.“ Nein, das konnte er nicht. Aber er konnte ihn auch nicht ins Verderben laufen lassen. Also sagte er ihm immer, dass er sich nicht zu sehr freuen sollte. Absalom seufzte wieder. Gereon legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Es ist …“, murmelte der Lord. „Was denn?“, fragte der Alchemist. „Wenn ich ihn beschützen wollte, was ich müsste, dürfte ich ihn nicht gehen lassen.“ „Aber du musst ihn gehen lassen, weil er sonst niemals Anschluss finden wird. Mach dir keine Sorgen. Corbi ist ein tapferer Junge. Der wird alles durchstehen.“ Absalom lächelte seinen Gefährten an. „Wohlmöglich hast du Recht.“ „Natürlich habe ich das.“ „Wie lange wollt ihr mich noch warten lassen?“, fragte Corbinian und wank ihnen. Absalom nickte und ging zu ihm. „Nicht so ungeduldig, Junge.“, lachte Gereon und stieg ein. „Ich bin doch geduldig.“ „Aber sicher. Dann steig mal ein.“, sagte Absalom und folgte Gereon. Corbi lächelte leicht, was schon viel für ihn war und stieg ein. Der Kutscher fuhr los, nach dem das Gepäck verstaut war. Corbinian sah aus dem Fenster und trommelte mit den Fingern. „Beruhige dich doch.“, murmelte Absalom. „Ich kann nicht. Ich habe auch kaum geschlafen.“, erklärte Corbinian. „Nun das erklärt die dunklen Ringe unter deinen Augen.“ „Ich freue mich halt.“ „Corbi, du solltest…“ “Ich weiß ja, Onkel. Aber warum? Warum darf ich mich nicht freuen?“, fragte er ernst und sah seinen Onkel verwirrt an. „Das darfst du, das sollst du, Corbi. Ich glaube nur, dass es nicht leicht wird für dich.“ „Meinst du ich komme im Unterricht nicht mit?“ „Das ist meine letzte Sorge.“ Immerhin konnte Corbinian lesen und schreiben, was selbst für seinen Stand ungewöhnlich war. „Ich glaube nur, dass dich die anderen Kinder meiden werden.“ „Aber das wird doch aufhören, wenn sie mich kennen lernen.“ Absalom atmete tief durch. Nun war es die Zeit, die Wahrheit zu sagen. „Nein, Corbi, werden sie nicht.“ „Warum?“ „Nun… weil… wie soll ich dir das erklären?“ „Sie halten dich für einen geborenen Knabenliebhaber.“, sagte Gereon trocken. „Gereon!“, zischte Absalom. „Also so wie euch? Weil ich bei euch wohne?“, fragte Corbinian. Dass sie nicht waren, wie andere Männer, hatte Corbinian gemerkt und nun hatte es auch einen Namen. „Nein, das war nur die Folge. Corbi, bei deiner Geburt hattest du wohl eine Art Makel, wie ich es auch hatte und auch jede Menge andere Menschen. Aber weil ich es hatte und jetzt anders bin und deiner Mutter sehr wehgetan habe, hat dein Vater angefangen alle Menschen mit diesem Makel zu verteufeln- zumindest alle Männer. Er hält sie alle für Knabenliebhaber und er und deine Mutter haben das, nachdem sie dich nicht mehr verstecken konnten, sofort verbreitet und sich von dir abgewendet.“, erklärte Absalom. Corbinian sah ihn traurig an. „Sie wollten mich nicht?“ „Doch sie wollten dich. Ganz sicher bin ich da. Nur als Asgar, dein Vater, dich sah, wollte er dich nicht mehr.“ “Und meine Mutter? Hätte sie nicht etwas sagen können?“ „Asgar erzählte ihr, du wärst tot zur Welt gekommen.“ Corbinian sah aus dem Fenster und zog die Schultern hoch. Er kauerte sich zusammen. „Dann …. Dann können mich die anderen alle nicht leiden? Und meine Eltern werden auch nicht da sein?“ „Nein, dein Vater ist tot und deine Mutter wünscht keinen Kontakt zu ihr.“ Der Junge sah auf und lächelte. „Das ist nicht so schlimm. Ich kenne sie ja nicht. Dafür kommen du und Gereon ja mit.“ Es brach Absalom das Herz, als er antworten musste. „Nein, Corbi, wir sind da nicht erwünscht. Du weißt jetzt warum.“ Entmutigt saß der Junge da und sah zu Boden. „Ist es sicher, dass ich so wie ihr bin?“ „Nein, nein ist es nicht.“, meinte Gereon und kniete sich vor ihn auf den Boden. „Und jetzt hörst du mir zu: Es ist auch nicht sicher, dass du keine schöne Zeit auf der Schule haben solltest. Du bist ein guter Junge, Corbi und ich bin mir sicher, dass du ein paar Freunde findest.“ Corbinian sah ihn an. Gereon lächelte. „So und jetzt lächle. Bald bist du ja da.“ Gequält lächelte Corbinian. Er wusste nicht, was er sich vorstellen sollte, nur das es nicht gerade schön werden würde. Wenn Absalom und Gereon von ihrer Zeit erzählt hatten, hatten sie von Streichen und Unfug erzählt. Von Freunden mit denen sie sich abends betrunken hatten, von Mädchen mit denen sie sie sich getroffen hatten. Doch alles das war ihn von langer Hand verdorben worden. Dennoch durfte er nicht aufgeben. Als die Kutsche über Kopfsteinpflaster fuhr, wachte der Junge auf. Die Sonne stand schon tief am Himmel. Er reckte sich. Corbinian setzte sich auf und ein Reisemantel fiel auf den Boden. „Oh!“, murmelte er und hob ihn auf. „Schon gut.“, meinte Gereon und war schneller. „Ich bin eingeschlafen?“ „Ja.“ „Wie lange geht die Reise noch?“ „Wir sind da. Von hier aus kannst du die Schule sehen.“ Corbinian sah ihn überrascht an und streckte den Kopf aus einem kleinen Fenster. Hinter einer weiteren Mauer erschein ein großes Gebäude. Davor auf einem Kiesweg hielten mehrer Kutschen. Das große Eingangstor war offen und ein kleiner dicklicher Mann schüttelte die Hände der Männer. Absaloms Kutsche hielt an, obwohl sie noch ein gutes Stück bis zur Tür hatten. Verwundert sah Corbinian sie an. „Es ist soweit Corbi.“, sagte Absalom traurig. Der Junge stand auf und lächelte. „Macht euch keine Sorgen. Ich komme euch besuchen am Jahresfest.“ „Nein, du wirst die Stadt nicht verlassen solange du Schüler bist.“ „Warum?“ „Weil man versucht dich von unserem schlechten Einfluss zu entziehen. Du bist, so schwer es dir zu akzeptieren fällt, ein Fürst und damit bist du verpflichtet irgendwie dein Blut weiter zu geben.“ „Ich mag das Fürst sein nicht.“ „Ich weiß, Corbi.“ „Kann ich euch schreiben?“ „Du kannst es versuchen.“, meinte Gereon und verstrubbelte ihm das Haar. „Mach es gut, mein kleiner Freund.“ „Ja, aber du auch und pass mir auf meinen Onkel auf.“, meinte Corbinian. „Du meinst wohl ich soll auf ihn aufpassen.“, lachte Absalom. „Das auch…. Also dann..“ Der Kutscher hatte seine Sachen abgeladen und stand da. Die Mütze hatte er abgenommen. „Ich wünsche euch eine schöne Zeit, Sir.“ „Danke, wünsche ich dir auch.“, sagte Corbinian und nahm seinen Koffer und die Tasche. Er sah noch einmal rein und wank den Männern, ehe er ging. Als die anderen ihn sahen, rümpften sie ihre Nasen. Corbinian zog den Kopf ein und hielt auf die Tür zu. Die Leute tuschelten und zeigten verhalten auf ihn. Ihre Diener trugen die Taschen und Koffer der jungen Herren und Damen. An der Tür schleppte er seien Sachen hoch, als er vor dem Mann stand, sah dieser ihn herablassend an. „Name?“, fragte er tonlos. „Corbinian.“ „Status?“ „Fürst.“ “Welches Gut?“ „Ähm…“ „Wie hieß dein Vater, Junge?“, fragte er genervt. „Asgar.“ Nun sah der Mann ihn musternd an. „Ja, wenn man es weiß, sieht man es.“ Dann wank er einen jungen Mann her. „Das ist der…Sonderfall. Hilf ihm seine Sachen in sein Quartier zu bringen.“ Der Diener nickte und nahm Corbinian den Koffer ab. Dieser sah zu dem Mann, der ihn schon nicht mehr beachtete. So folgte er dem Diener, der nicht mit ihm sprach. Er wurde über das halbe Gelände führt, vorbei an der Festhalle, dem Trainingplatz, den Gärten und den Stallungen bis ihn zu einer kleinen Hütte. Sie war in einem guten Zustand und wirkte gemütlich. Der Diener öffnete die Türe und stellte den Koffer ab, dann reichte er Corbinian den Schlüssel und verließ ihn. Unsicher sah der Junge ihm nach. Dann sah er sich um. Im unteren Teil der Hütte gab es eine Bank mit einem Esstisch davor und einige Stühle. Daneben war ein Kamin. Ein kleiner Stapel Brennholz lag daneben. Gegenüber der Feuerstelle standen ein alter Sessel, ein kleiner Tisch und ein schiefes Regal. Schmutzige Fenster ließen nur wenig Licht in den Raum. Auf dem Regal, dem Tisch und am eisernen Haltern an einem senkrechten Stützbalken in der Mitte des Raumes standen Kerzen. Eine Leiter neben der Tür führte nach oben auf den Dachboden. Da standen ein Bett und zwei kleine Schänke, in die mühelos alle Sachen von Corbinian passten. Die Hütte war nicht neu. Der Kamin verrußt und unter den Kerzenhaltern war Wachs auf den Boden getropft. Und obwohl es Corbinian gefiel, fühlte er sich einsam. Er fand Besteck und Teller, noch mehr Brennholz, und einige Decken und Kissen. Alles war da und doch war die Hütte leer. Er versuchte ein Fenster zu säubern und schaffte es, dass ein wenig mehr Licht hereinfiel. Von draußen hörte er Musik und auf einer großen gerade Wiese saßen Erwachsene beim Essen. Corbinian sah ihnen zu und bemerkte, wie sein Magen zu knurren begann. Er steckte den Schlüssel ein und ging hinaus, um die Küche zu suchen. Der Junge wagte es nicht den Feiernden zu Nahe zu kommen, weder den Erwachsenen, noch den ebenfalls feiernden Kindern und Halbstarken. Als er das alles sah, zog es seltsam in seinem Bauch und er schluckte. Dann richtete er sich auf und ging auf die Feier zu. Auch nun zog er alle Blicke auf sich. Unsicher schielte er zu den Seiten. Er nahm sich einen Teller und tat sich etwas Essen aus einer Auswahl auf. Schweigsam setzte er sich dann auf einen Platz am Rand und fing an zu Essen. Wäre er ein Hund, hätte er die Ohren angelegt und den Schwanz eingekniffen. Plötzlich lag eine Hand auf seiner Schulter. Es war der dickliche Mann von vorhin. „Darf ich euch sprechen?“, fragte er kühl. „Gewiss.“, antwortet er und stand auf. Er brachte ihn zurück in seine Hütte. „Ihr werdet hier essen. Allein zum Unterricht und zum Training werdet ihr mit den anderen Schülern zusammen sein. Eine Magd wird euch wecken und zum Unterricht bringen. Ebenso wird sie euch Kleidung und Essen bringen. In der Bibliothek findet ihr Bücher, falls ihr lesen später einmal lesen wollt.“ Corbinian sah ihn verwirrt an, dann nickte er. „Ich danke euch.“ „Das könnt ihr auch.“ Damit wandte er sich ab und verließ die Hütte. Am nächsten Morgen weckte eine alte Frau ihn mit schriller Stimme. Corbinian stand auf und versuchte mit ihr zu reden. Doch die Alte weigerte sich mehr als nötig mit ihm zu unterhalten. In seiner Schuluniform ging er dann in das Haupthaus. Aber er fand den Weg nicht. Unsicher sprach er einen Jungen an, der nur ein wenig größer war als er. „Guten Morgen.“, murmelte er. Der Junge drehte sich um und sah ihn verwirrt an. Das Haar war rötlich braun und die Augen grün. Ein rotes Halstuch hatte er umgebunden. „Guten Morgen, was kann ich für euch tun?“, fragte er verwirrt. „Ich suche meine Klasse…“ „Seid ihr ein Neuling?“ „Ja, bin ich.“ Der Junge lächelte und nickte. „Folgt mir.“ Corbinian lächelte leicht und folgte ihm. „Ihr seid der Sonderfall, oder?“ „Ja, der bin ich.“ „Ich finde es ja seltsam euch so weg zu sperren. Ich glaube nicht, dass ihr seid, was ihr sein sollt.“ „Warum denn?“ „Weil mein Vater dasselbe Makel hatte wie ihr und er ist auch kein… ihr wisst schon.“ “Also gibt es die Hoffung, dass ich aus meiner Einzelhaft entlassen werde?“ „Einzelhaft? Ihr lebt allein?“ “Ja, hinter den Stallungen in einer Hütte.“ „Das ist interessant. Mein Name ist übrigens Hieronymus, aber nennt mich Hiero, das tun alle.“ „Gerne, ich bin Corbinian.“ „Freut mich, Ian.“ Corbinian lächelte. Bis jetzt hatten ihn immer alle Corbi genannt. Aber Ian gefiel ihm besser, immer hin war er ja auch jetzt älter. „So, da wären wir.“, meinte Hiero und lächelte. „Vielen Dank.“ „Ich habe euch heute Morgen beim Frühstück nicht gesehen.“ „Ich esse in der Hütte.“ „Hm… ich habe eine Idee. Meine Freunde und ich könnten euch heute nach der Schule das Gelände und die Stadt zeigen.“ „Ich weiß nicht ob mir das erlaubt ist…“ „Finden wir es raus. Ich muss nun auch weiter. Bis später dann.“ Ian nickte und ging in seine Klasse. Obwohl er schon spät dran war, war er noch der erste mit Ausnahme vom Lehrer. „Guten Morgen.“, wünschte der Junge. Der Lehrer sah überrascht auf. „Oh! Guten Morgen. Ihr seid?“ „Corbinian.“ „Nun, dann ist euer Platz der am Fenster in der ersten Reihe.“ „Danke.“ Auf seinem Pult lagen schon Bücher und Griffel. So lange die anderen noch nicht da waren wollte er sehen, was sie lernen würden. Erstaunt sah er die Lese und Schreibübungen. „Ähm…. Magister?“ „Ja, euer Lordschaft?“ „Ich kann bereits lesen und schreiben.“ Der Lehrer sah ihn überrascht an. „Wirklich? Dann lies mal in deinem Buch den Text.“ Ian schlug die Seite auf und fing an zu lesen. „Woher könnt ihr das bereits?“ “Mir war langweilig, als bat ich um Unterricht.“ „Ich verstehe… Könnt ihr auch rechnen?“ „Ja, das kann ich auch.“ „Nun das überrascht mich nun… Ich werde euch andere Bücher bringen lassen. Aus dem zweiten Jahr.“ „Ich kann nicht in die zweite Klasse wechseln?“ “Nein, ich kann euch unter der Hand mehr unterrichten, aber ihr solltet so wenig wie möglich Aufmerksamkeit erregen.“ „Verstehe. Ihr kommt mir bekannt vor.“ „Ich bin ein Freund eures Onkels.“ „Stimmt, ich erinnere mich.“ Einige Jungen betraten missmutig und verschlafen den Raum. Der Lehrer begrüßte sie. Alle trugen sie blaue Halstücher, wie Ian auch. Nur durch seines zog sich ein schwarzes Band. Die anderen Jungen sahen ihn nicht an. Sie lümmelte auf den Bänken und schwatzte mit einander. Der Lehrer ging zu jedem und notierte sich sein Signum. Bei Ian wurde er wieder überrascht. „Dann werde ich mit den Kriegern reden.“, erklärte er. Dann verteilte der die Aufgaben für diese Stunde. Die Jungen sollten den Buchstaben „a“ schreiben. Ian sah ihnen zu, bis der Lehrer ihm erklärte, dass er auch schreiben sollte. Seufzend schrieb er schnell seine Zeilen. Der Lehrer verließ die Klasse kurz und kehrte dann mit einem größeren Stapel Bücher wieder. Diesen tauschte er gegen Ians Stapel aus. Der Junge sah sich die Bücher an. Geografie, Geschichte, Religion, Rechnen und Gedichte und Lieder. „Du rechnest die Aufgaben eins bis sieben auf der dritten Seite. Ruf, wenn du Probleme hast.“ „Magister?“ „Ja, euer Lordschaft?“ „Warum muss dieser da nicht schreiben.“ „Nun, Fürst Corbinian kann bereits lesen, schreiben und rechnen.“ „Woher?“ „Er hatte wohl Privatunterricht.“ Die Jungen sahen ihn finster an. Ian fand das seltsam und rechnete. Es waren Aufgaben, die die Steuern betrafen. Die Jungen beschwerten sich. Wozu mussten sie schreiben lernen, wenn es Gelehrte gab? Oder rechnen, wenn es Buchhalter gab? Der Lehrer erklärte, dass sie das nur die ersten beiden Jahre machen mussten, damit sie mehr Kontrolle hatten. Ian war fertig mit seinen Aufgaben und der Lehrer überprüfte sie. „Sehr gut gemacht. Nun Geografie: Lest bitte die ersten drei Seiten und schreibt mir einen Aufsatz über den Aufbau unseres Landes.“ Der erste Tag verging schnell für Ian. Seine Bücher und den angefangen Aufsatz nahm er mit. Vor der Tür seiner Hütte standen einige Jungen mit kleinen Kesseln und einem Brot. Ian erkannte einen. „Fürst Ian.“, rief Hiero und kam auf ihn zu. „Habt ihr etwas dagegen, wenn wir mit euch essen?“ „Nein, vielen Dank.“ Er schloss die Tür auf und legte seine Sachen ab. Dann suchte er die Teller und das Besteck. „Wie war euer erster Tag?“, fragte einer von Hieros Begleitern. „Sehr gut. Ich habe keine Probleme.“ „Und die anderen Schüler.“ „Sie reden nicht mit mir.“ „Es könnte schlimmer sein. Ich bin übrigens Guntram.“ Guntram war groß und schlaksig. Sein Haar war hellbraun. „Ich bin Corbinian.“ Der zweite Junge hatte das Essen verteilt. Er war kräftiger und lächelte ihn an. „Ich bin Rabanus.“ „Freut mich.“ Ian überlegte. „Aber bekommt ihr keinen Ärger?“ „Nein, mein Vater hat bei der Schule deutlich klar gemacht, dass ich mich dir nähern darf. Er ist gut mit den Vätern von Guntram und Rabanus befreundet und deswegen dürfen sie auch.“, erklärte Hiero. „Oh… richtet ihm meinen Dank aus.“ „Das werde ich. Und nun? Wollen wir essen?“ Die drei Jungen nickten. Kapitel 4: Das große Fest ------------------------- Nach wenigen Tagen hatte sich ein fester Tagesablauf bei Ian gebildet. Morgens aß er allein und ging zum Unterricht. Mittags aß er mit Hiero, Guntram und Rabanus. Nachmittags trainierte er mit einigen älteren Schülern das Kämpfen und abends erledigte er seine Aufgaben und brachte seine Hütte in Ordnung. Er reparierte das Dach, machte Brennholz oder putzte. Vor dem Einschlafen las er Abenteuergeschichten. Bis auf seine drei Freunde und seinen Lehrer sprach kaum einer mit ihm. Seine Klassenkameraden mieden ihn und beschwerten sich, warum er bereits schweren Stoff behandelte. Des Öfteren spielten sie ihm streiche, klauten seine Sachen und versenkten sie in Wasser. Immer wieder musste er deswegen mit dem Lehrer sprechen, weil er seine Aufgaben nicht abgeben konnte. Außerdem sahen ja auch die Älteren immer zu, wenn er im Brunnen nach den Blättern haschte und dann nass ins Haus lief. Wie oft er deswegen schon rote Ohren hatte, hatte er nicht gezählt. Der Sommer ging zu Ende und die grünen Blätter wurden gold und rot. Diener schmückten die Akademie und die Schüler wurden alle unruhig. Das große Fest stand vor der Tür. Es dauerte fünf Tage und war neben den Signums und Geburtstagen, das einzige Fest, das Corbinian kannte. Auch er war aufgeregt. Sein Onkel und Gereon hatten für ihn immer Geschenke gekauft und leckeres Essen kochen lassen. In der Nacht vor dem ersten Festtag, an dem man die Familie beschenkte, schlief er kaum. Er hatte zwei selbst geschnitzte Figuren nach Hause geschickt. Er war kein Künstler, das wusste er, aber es war auch somit das einzige, was er konnte. Als er erwachte, zog er sich hastig an. Er war nicht geweckt worden. Corbinian kletterte die Leiter hinunter in die Stube. Verwirrt sah er sich um. Es war leer. Die Magd hatte ihm kein Essen gebracht und es lagen auch keine Pakete da. Er wartete. Draußen hörte er das Wiehern der Pferde und das Johlen von Kindern. Vorsichtig sah er hinaus. Alle Jungen seiner Klasse hielten Pferdezügel in der Hand. Einige Male war Corbinian mit seinem Onkel oder Gereon ausgeritten. Auf einem Pony, weil er noch kleiner war. ‚Ein Pferd würde nicht in meine Stube gebracht werden.’ Sehnsüchtige Hoffnung stieg in ihm auf, als er langsam, unsicher und scheu zu den Ställen ging. Die Jungen bemerkten ihn und sahen ihn verächtlich an. Er ging zu einem Stallburschen. „Verzeih, wenn ich störe.“, meinte er leise, aber der Diener bemerkte ihn dennoch. „Ist auch ein Pferd für mich angekommen?“ „Nein, Hoheit. Nur diese Herren haben welche erhalten.“ „Verstehe, wo kann ich denn meine Sachen abholen.“ „Wurden sie Euch nicht gebracht?“ Corbinian nickte und die Jungen, die gelauscht hatten, kicherten gemein. Er ging nicht wieder an ihnen vorbei, sondern lief einen Umweg zu seiner Hütte. Dort traf er auch noch auf seine Magd, die ihm sein Frühstück gebracht hatte. Hoffnungsvoll grüßte und bedankte er sich. Sie war gewohnt tonlos und unfreundlich. Er aß stumm und schmeckte nur wenig. Nach weniger als der Hälfte, war er satt. Es war früher Morgen und die Stunden krochen dahin. Corbinian wusste nichts mit sich anzufangen. Lustlos saß er in seinem Sessel und versuchte zu lesen. Immer noch hörte er die Jungen und die Pferde. Erst als der Mittag kam, freute er sich leicht. Seine Freunde aßen mit ihm, auch wenn sie sich nur über ihre Geschenke unterhielten. „Und, Ian? Was hast du?“, fragte Rabanus und grinste frech.“ Corbinian sah ihn ertappt an. „Ich habe ein Buch bekommen.“, sagte er schnell. „Ein Buch? Ich würde meinen Eltern ja was erzählen, würde sie mir so was schenken.“, lachten Hiero. Doch Corbinian schwieg und aß weiter. Am nächsten Tag, war es Tradition mit seinen Freunden zu feiern. Die vier Jungen waren den ganzen Tag bei Corbinian und tranken verdünnten Wein, aßen Süßigkeiten und sprachen über vieles. Das war ein Tag, den Corbinian das erste Mal richtig feierte. Der dritte Tag kam. In der Akademie bauten die Jungen Tunnel, in denen nachts, gegen einen Obolus, Bürger aller Stände sich gruseln konnten. Corbinian trug ein Kostüm und erschreckte im Innern die Leute. Er hielt einen Teil der Einnahmen. Bis jetzt hatte man ihm immer nur Gruselgesichten erzählt. Am vierten Tag war er allein. Es war Tag der Liebenden. Seine Freunde waren zusammen mit ihren Verlobten. Jedoch waren sie alle einmal kurz bei ihm gewesen, um sich vor zu stellen. Verwirrt hatte er festgestellt, dass die Mädchen alle etwa so alt waren wie er. Den fünften und letzten Tag verbrachten sie zu siebt. Es war Tag des Volkes. In der Stadt gab es bunte Buden, Gaukler, Barden und Essen. Corbinian und seine Freunde warfen Büchsen um oder machten bei kleinen Wettkämpfen mit. Jedoch war er sparsamer, als seine Freunde. Er hatte nur das Geld vom Gruseltag. Dafür konnte er aber auch seine Preise behalten. Hiero und die anderen beiden schenkten alles den Mädchen. An diesem Tag fühlte er sich sehr unwohl. Einmal, weil er als einziger allein in der Gruppe war und einmal, weil er so wenig Geld hatte und seine Freunde ihm anboten ihm etwas zu leihen. Es war alles anders, als vorher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)