Welcome to my Life von Kachina (AkuRoku) ================================================================================ Kapitel 1: No, you don't know what it's like -------------------------------------------- Titel: Welcome to My Life Autor: Song: Welcome to My Life by Simple Plan Pairing: AkuRoku Disclaimer: Die Charaktere gehören Square Enix, die Lyrics gehören den Songwritern. Mir gehört allein die Idee und die Umsetzung des Inhalts. Warnung: Drama, Shounen-ai, Songfic A/N: Vielen Dank an meine liebe Beta , die sich die Mühe gemacht hat, das alles Korrektur zu lesen. Welcome to my Life Mit müden Schritten quälte er sich langsam die endlos wirkende Straße entlang, an deren Ende das Gebäude lag, das er wohl am meisten in dieser Stadt verabscheute. Schon aus dieser Entfernung konnte er das große, graue Gebäude sehen, das sich wie ein Betonbunker zwischen den anderen, kleineren Einfamilienhäusern emporhob. Trist und grau. Die Oberschule von Twilight Town. Am liebsten wäre er wieder umgedreht und hätte einfach die Schule geschwänzt. Leider musste seine Mutter heute nicht arbeiten, wodurch sie den ganzen Vormittag zu Hause war, um zu putzen und für ihre Familie zu kochen. Und die Zeit bis nach Schulende irgendwo in der Stadt verbringen? Nein. Da würden ihn nur alle anstarren. Sie würden wissen, dass er eigentlich in die Schule gehörte. Schließlich mussten sie in Schuluniform zur Schule kommen. Also musste er sich wohl damit abfinden, den halben Tag in diesem tristen Klotz, der sich Oberschule schimpfte, zu verbringen. Schneller als erhofft hatten ihn seine Beine zur Schule getragen, vor deren Tor er nun stehen blieb und auf den Hof starrte. Er war bereits voller Schüler, die sich lachend mit ihren Freunden unterhielten. In einer Ecke entdeckte er seine eigenen Freunde. Soweit er sie noch so bezeichnen konnte. Seit sie jetzt auf der Oberschule waren, hatten sie sich verändert. Er hatte das Gefühl, nicht mehr von ihnen verstanden zu werden. Egal was er sagte. Sie waren immer nur mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Kümmerten sich nur noch um sich. Und scheinbar war es ihnen noch nicht mal aufgefallen. Wahrscheinlich würde es ihnen nicht einmal auffallen, wenn er gar nicht mehr zu ihnen gehen würde. Sein bester Freund jagte jedem Rock nach, der ihm zwischen die Finger kam. Seine beste Freundin war nun mit seinem anderen besten Freund zusammen. Wo sollte da noch Platz für ihn sein? Und auch alle anderen an dieser Schule hatten schon irgendjemanden. Er war der einzige, der niemanden hatte. Der allein war. Er hob sich ab von der grauen Masse an Schülern, stach heraus. Weil er allein über den Schulhof Richtung Eingangstür ging. Weil er mit niemandem lachte und keine Scherze machte. Und doch wurde er von niemandem beachtet. Es war, als wenn er unsichtbar wäre. Es machte ihn verrückt. Do you ever feel like breaking down? Do you ever feel out of place? Like somehow you just don’t belong And no one understands you? Dieser Schultag war einfach nur grauenhaft gewesen. Anders konnte man ihn wohl nicht passend beschreiben. Alles was er wollte, war nur noch nach Hause zu kommen. Dort hatte er seine Ruhe. Dort konnte er für sich sein. Dort sah ihn niemand komisch an, nur weil demjenigen seine Frisur nicht gefiel. Oder sein Gesichtsausdruck. Oder seine blauen Augen. Irgendwas fand irgendjemand immer an ihm auszusetzen. Selbst seine Freunde schafften es immer wieder – wenn auch vielleicht nicht absichtlich – irgendetwas an ihm zu bemängeln. „Deine Krawatte sitzt nicht richtig.“ „Deine Frisur sah auch schon mal besser aus. Damit gewinnst du ja nicht mal einen Blumentopf, geschweige denn ein Mädchenherz.“ „Du solltest nicht immer so viel Eiscreme essen.“ Hatten seine Freunde nichts Besseres zu tun? Sonst kümmerten sie sich doch auch nur um sich selbst. Und wenn sie sich dann mal dazu herabließen und mit ihm redeten, dann kritisierten sie ihn. Das machte seine Mutter schon oft genug. Er brauchte nicht auch noch seine Freunde dazu. Natürlich wollte er nicht, dass sie ihn anlogen. Aber diese pseudoweisen Ratschläge konnte sie wirklich für sich behalten. Die brauchte er ganz bestimmt nicht. Es war sein Leben. Es ging nur ihn etwas an, was er damit anstellte. Und niemanden sonst. Konnte das keiner verstehen? Oder wollte das einfach keiner verstehen? Er mischte sich doch auch nicht in das Leben anderer ein und sagte ihnen, wie sie sich zu ernähren hatten. Egal wie gut das in dem Moment vielleicht gemeint sein mag. Den Weg nach Hause schaffte er immer schneller als den Weg in die Schule. Sobald er in seinem Zimmer sein würde, konnte er endlich wieder für sich sein. Nach Hause trug ihn die Geborgenheit seiner vier Wände. In die Schule lockte ihn rein gar nichts. Weder der Drang etwas zu lernen. Noch das Bedürfnis seine Freunde zu sehen. Noch sonst etwas. Zu Hause angekommen fiel die Haustür krachend ins Schloss, wurde die Beschwerde seiner Mutter darüber ignoriert, während er sich ohne ein Wort in sein Zimmer flüchtete und die Tür hinter sich abschloss. Die Schultasche landete auf dem gefliesten Boden direkt neben der Tür. Auf dem Weg zu seinem Schrank leistete seine Krawatte ihr Gesellschaft. Die Knöpfe des weißen Hemdes wurden aufgeknöpft, während er vor seiner Stereoanlagen stehen blieb. Auch das Hemd fand seinen Platz auf den weißen und schwarzen Fliesen, die den Fußboden bedeckten, nachdem er die Anlage eingeschaltet hatte. Sofort dröhnten Gitarre, Bass und Schlagzeug so laut durch das gesamte Haus, dass es wohl auch die Nachbarn noch hören würden. Aber so war es genau richtig. So konnte er nichts mehr wahrnehmen, außer den wütenden und zugleich doch beruhigenden Klängen seiner Lieblingsband. Er konnte nicht hören wie seine Mutter genervt nach oben rief, dass er die Musik leiser machen sollte. Nicht mal das Klopfen und Rütteln an seiner Tür nahm er wahr. Inzwischen hatte er sich auch der dunkelblauen Uniformhose entledigt und sich eine seiner Baggyhosen angezogen. In seiner eigenen Hose und schwarzem Tanktop, das er unter dem Hemd getragen hatte, trat er vor seinen Spiegel und betrachtete sein Bild darin. Sein Blick glitt über seine kurzen, zur Seite gestylten, blonden Haare, über seine großen, azurblauen Augen, hin zu den vollen, blassrosa Lippen. Manch einer würde seine Gesichtszüge als weiblich betiteln. Er bevorzugte kindlich. Immer noch besser für ein Kind gehalten zu werden als für eine Frau. Auch wenn es nicht viel besser war. Er wandte sich wieder von dem Spiegel ab und schmiss sich bäuchlings auf sein Bett, Das Gesicht in seinem Kissen vergraben. Seine Finger gruben sich tief in die Füllung, bevor er mit einer zu Faust geballten Hand auf seine Matratze schlug. Immer wieder. Während das Kissen und die dröhnende Musik seine Schreie verschluckten. Nicht ein Laut der Verzweiflung drang aus seinem Zimmer in die Außenwelt. Niemand bekam mit, was in seinem Zimmer vor sich ging. Do you ever wanna run away? Do you lock yourself in your room? With the radio on turned up so loud That no one hears you screaming? Wochenende. Keine Schule. Den Wochentagen vorzuziehen. Oder nicht? Wenn man zwei Tage lang in seinem Zimmer hockte und versuchte sich von der Außenwelt abzuschotten, hatte man sehr viel Zeit zum Nachdenken. Und das war auch nicht immer besser als zur Schule zu gehen. Dort kann man wenigstens versuchen, sich durch Aufpassen im Unterricht von seinen trüben Gedanken abzulenken. Aber wenn man zu Haue ist, wandern die Gedanken immer wieder in dieselbe Richtung. Seine Freunde hatten Samstagabend wieder mal jeder was anderes vor. Sein bester Freund hatte ein Date mit irgendeinem Mädchen, dessen Namen er wahrscheinlich am Sonntag schon nicht mehr kennen würde. Spätestens am Montag war sie wieder vergessen. Es sei denn, sie war besonders hübsch. Dann traf er sich so lange mit ihr, bis er sie in seinem Bett gehabt hat. Und dann würde er sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. So wie er es bisher mit jeder gemacht hatte. Und seine beste Freundin und sein anderer bester Freund hatten auch ein Date an diesem Abend. Irgendwas mit Kino und Essen gehen, wenn er sich recht erinnerte. War ja aber auch egal. Schließlich war er da genauso das fünfte Rad am Wagen, wie bei dem Date seines besten Freundes. Alle hatte sie etwas vor am Samstagabend. Alle hatten sie jemanden, mit dem sie diesen Sommerabend verbrachten. Nur er war allein. So wie immer. Manchmal wünschte er sich, dass er genauso war wie seine Freunde und alle anderen. Was hatte sich bei ihnen verändert? Beziehungsweise: Was hatte sich bei ihm nicht verändert? Warum hatten sich alle anderen in dieselbe Richtung entwickelt und er in eine ganz andere? Warum durfte er kein normaler Teenager sein wie alle anderen auch? Wieso nicht? Wieso konnte er nicht einfach wie seine Freunde sein? Lachend und scherzend durch die Gegend ziehen und Mädchen aufreißen. Mädchen aufreißen. Er hatte sich noch nie für ein Mädchen interessiert, das er kannte. Und auch nicht für eins, das er nicht kannte. Deshalb konnte er auch nicht mit seinen beiden besten Freunden über Mädchen reden. Was sollte er schon großartig sagen, wenn sie ihm vollkommen egal waren? Deshalb sagte er nie etwas, wenn wieder das Thema Mädchen aufkam. Deshalb schwieg er lieber, anstatt zu zeigen, dass er kein Interesse an ihnen hatte. Deshalb war er anders als die anderen Schüler an seiner Schule. Er hatte sich selbst noch nicht gefunden. Wenn das geschehen war, würde er bestimmt genauso sein können wie seine Freunde. Dann konnte er sich genauso verhalten wie sie. Dann konnten sie wieder gemeinsam etwas unternehmen. Oder nicht? Wieso dauerte es bei ihm solange, bis er wusste, wonach er in seinem Leben suchte? Seine Freunde schienen schon alle eine Antwort auf diese wichtige Frage gefunden zu haben. Was für sie wichtig war in ihrem Leben. Nur er schien Ewigkeiten zu brauchen, um auf diese Frage eine Antwort zu finden. Dabei wollte er sie so dringend finden. Die beste Zeit seines Lebens war doch schon bald vorüber. Obwohl. Wenn das die beste Zeit seines Lebens war, dann wollte er gar nicht erfahren, was danach kommen sollte. Schlimmer als jetzt, konnte es doch gar nicht mehr werden. Do you wanna be somebody else? Are you sick of feeling so left out? Are you desperate to find something more Before your life is over? Und obwohl es sowohl gesellschaftlicher als auch seelischer Selbstmord war, ging er an diesem Samstagabend in die Stadt. Er konnte einfach nicht mehr zu Hause sitzen und tatenlos zusehen, wie seine Gedanken immer trüber und düsterer wurden. Also versuchte er sich abzulenken, indem er in die Stadt ging. Vielleicht lief ja ein guter Film im Kino. Zumindest ein ansatzweise guter Film. Er erwartete ja nicht mal, dass der Film ihn überwältigen würde. Aber ablenkend sollte er schon sein. Und das würde nicht zutreffen, wenn der Film schlecht war. Dann konnte er sich nicht fallen lassen. Und wenn er sich nicht fallen lassen konnte, würden seine Gedanken wieder nur dorthin abschweifen, wo er sich gerade absolut nicht haben wollte. Stattdessen ließ er nun seinen Blick über die Menschen um sich herum gleiten. Überall Paare und Gruppen von Freunden. Überall lachten die Menschen, amüsierten sich, genossen den Abend. Keiner von ihnen sprach darüber, was ihn bedrückte. Keiner von ihnen erwähnte, was er verheimlichte. Keiner von ihnen scherte sich in Wahrheit um die Bedürfnisse des anderen. Sie waren alle Heuchler. Jeder einzelne von ihnen. Jeder von ihnen log seine Freunde und Bekannten an. Jeder von ihnen lächelte, auch wenn er in seinem Innersten vielleicht todunglücklich war. Keiner von ihnen zeigte, wie es ihm wirklich ging. Es war einfach ätzend. War er denn der einzige, der seine Emotionen nicht unterdrückte? Der auch an der Oberfläche zeigte, dass es ihm nicht gut ging? Dass ihm gerade einfach nicht nach lachen zumute war? Wie es schien schon. Eher zufällig fiel sein Blick auf eine kleine Gruppe von Studenten, die um den Brunnen auf dem Marktplatz standen und gerade über irgendwas lachten, was wahrscheinlich nur sie verstanden. Sie waren ihm schön des Öfteren aufgefallen, wenn er am Wochenende abends in die Stadt ging, um seine Seele noch mehr zu verletzten, als sie es eh schon war. Die Narben würden wahrscheinlich nie wieder verheilen. Die Gruppe bestand aus vier Männern und einer Frau. Er hatte lange gebraucht, bis er das herausgefunden hatte. Als er sie das erste Mal von weitem gesehen hatte, war er fest davon überzeugt gewesen, dass die Person mit den rosa, pink oder wie immer man diese Farbe bezeichnete (damit kannte er sich nun wirklich nicht aus) gefärbten Haaren auch eine Frau war. Erst als die Studenten einmal an ihm vorbei gegangen waren – und ihn dabei bestimmt nicht mal wahrgenommen hatten – hatte er an der Stimme erkannt, dass es sich um einen Mann handelte. Dass sie Studenten waren, hatte er auch anhand zufällig mitgehörter Gesprächsfetzen erfahren. Are you stuck inside a world you hate? Are you sick of everyone around? With the big fake smiles and stupid lies While deep inside you’re bleeding? Diese fünf jungen Menschen beneidete er am meisten. Er beneidete sie darum, dass sie wirklich Freunde zu sein schienen. Er hatte sich oft auf die Treppen gesetzt, die zum Marktplatz herunter führten, um die Menschen zu beobachten. Vielen konnte er an den Augen ansehen, dass sie logen, wenn sie gefragt wurden, wie es ihnen ging. Bei der kleinen Gruppe von Studenten war es anders. Einmal hatte er mitbekommen, wie die Frau und ihr Freund (der Typ mit der seltsamen Haarfarbe) sich vor allen anderen gestritten hatten. Sie hatte nicht vor den anderen verheimlicht, dass es ihnen in dem Moment nicht gut ging. Und ihre Freunde hatten sich wirklich dafür interessiert. Der Stille unter ihnen hatte sogar von seinem Buch aufgesehen, in das er die meiste Zeit immer seine Nase steckte und von dem er durch die langen, blau-silbern gefärbten Haare, die die rechte Hälfte seines Gesichts bedeckten, bestimmt kaum was erkennen konnte. Sie hatten zusammen darüber diskutiert und schließlich wohl eine Lösung für das Problem gefunden. Sie hatten sich gegenseitig geholfen. Und er hatte sich gefragt, ob seine Freunde auch so handeln würden. Er bezweifelte das. Inzwischen noch mehr als damals. Auch an diesem Samstagabend setzte er sich wieder auf die Treppen am Marktplatz und sah zum Brunnen hinüber, wo die kleine Gruppe sich wieder mal versammelt hatte. Der Blonde, mit der seltsamen Frisur, hatte eine Akustikgitarre mit, auf der er nun einige Lieder zum Besten gab. Er hatte Talent dazu. Das war ihm schon öfter aufgefallen. Aber an diesem Tag fiel ihm noch etwas anderes auf. Der Fünfte von ihnen – der mit dieser Frisur, die aussah, als hätte ein Igel in eine Steckdose gepackt, dessen Haare so zinnoberrot waren, dass sie einfach gefärbt sein mussten – war heute nicht bei seinen Freunden. Er fragte sich unwillkürlich, wo er wohl war. Warum er nicht da war. Er würde es niemals zugeben, aber dieser Feuerteufel faszinierte ihn irgendwie. Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte. „Willst du nicht lieber mit rüber kommen, anstatt immer nur hier zu sitzen und uns zu beobachten?“ Überrascht sah er sich um und sein Blick fiel direkt auf ein paar faszinierender smaragdgrüner Augen, die ihn fröhlich anfunkelten. Er war verwirrt. Wieso hatte der Rothaarige ihn angesprochen? Wieso bot er einem Wildfremden an, ihnen Gesellschaft zu leisten? Sie kannten sich doch gar nicht. Und Mitleid brauchte er bestimmt nicht. „Warum fragst du das?“ „Wieso sollte ich nicht? Du sitzt immer nur ganz alleine hier rum. Verstehst du so was unter Spaß haben? Die Leute kannst du auch vom Brunnen aus beobachten. Und uns noch besser.“ Ein Grinsen lag auf den Lippen des Älteren. „Was geht es dich an, ob ich Spaß dabei habe?“ „Hey, hey. Ganz ruhig, Kleiner. Das war nicht böse gemeint. Aber wenn du nicht willst, willst du nicht. Viel Spaß noch bei was auch immer du hier genau machst. Ich leg mich ins Zeug, damit du was Interessantes zu sehen bekommst.“ Mit diesen Worten verschwand der Feuerteufel zu seinen Freunden, von denen er auch direkt herzlich empfangen wurde. Die Frau schien irgendwas zu sagen, was nicht sehr nett gewesen sein konnte – aber das tat sie wohl ziemlich selten – woraufhin der Blonde zu ihm herüber sah, anfing zu lächeln und ihn zu sich und seinen Freunden winkte. Ohne ihn weiter zu beachten, drehte er sich um und lief die Treppen hoch. Er wollte nach Hause. Nur noch nach Hause. Er gehörte nicht zu ihnen. Sie würden nur so tun, als wär alles gut. Würden ihm nichts erzählen. Würden nur lächeln und lügen. Lächeln und lügen. Was anderes taten die Menschen doch nicht, wenn sie sich nicht richtig kannten und noch kennen lernen mussten. Aber wie wollte man sich kennen lernen, wenn man sich anlog? Er wollte nicht angelogen werden. Er wollte nicht, dass die Menschen ihn anlächelten, als wäre alles bestens und es würde nur noch Vogelgezwitscher fehlen, um einen Tag im Paradies daraus zu machen. Er wollte nicht noch mehr verletzt werden, als er es doch sowieso schon war. No one ever lied straight to your face And no one ever stabbed you in the back You might think I’m happy But I’m not gonna be okay Den Rest des Wochenendes hatte er in seinem Zimmer verbracht. Diese Leute konnten ihn doch gar nicht verstehen. Wie sollten sie auch? Wenn sie studierten und sich jeden Abend am Brunnen trafen, musste sie aus wohlhabenden Familien kommen. Schließlich schien keiner von ihnen nebenbei zu arbeiten. Wie sollten sie da das Studium finanzieren, wenn nicht durch das Geld ihrer Eltern? Er selbst hatte es nicht so leicht. Sein Vater war ein kleiner, unscheinbarer Arbeiter, der gerade genug Geld verdiente, um seine Familie über Wasser zu halten. Seine Mutter arbeitete aushilfsweise. Sein großer Bruder hatte gerade die Schule beendet und arbeitete jetzt in einem kleinen Fast-Food-Restaurant, um sich sein Studium irgendwie finanzieren zu können. Sein Bruder wollte unbedingt studieren – obwohl er zu Hause nicht mal zehn Minuten still sitzen konnte. Und das mit neunzehn Jahren. Aber er wollte studieren, um später einen besseren Job bekommen zu können und ihnen dann finanziell aushelfen zu können. Sein Bruder gehörte auch zu den Menschen, die immer lächelten. Allerdings konnte er auch ernst sein, wenn man ihn brauchte. Er konnte auch zu hören. Zumindest bei ihm selbst. Seinen Freund laberte er immer zu. Aber der war sowieso einer von der stillen Sorte, der nicht viel redete. Also passten sie gut zusammen. Trotzdem ging die Art seines großen Bruders ihm manchmal ziemlich auf die Nerven. Als er nun wieder in die Schule gehen musste, besserte sich seine Laune auch nicht. Im Gegenteil. Sie wurde noch schlechter. Aber das wurde seine Laune – und der Zustand seiner Seele – sowieso mit jeder Woche, jedem Tag. Manchmal fragte er sich, wie schlecht seine Laune wohl werden konnte. Ob sie irgendwann wohl an einem so tiefen Punkt angekommen sein würde, dass sie gar nicht mehr sinken konnte? Würde er dann an diesem Tiefpunkt verweilen? Bis zu seinem Lebensende? Oder konnte es doch noch mal irgendwann besser werden? Inzwischen war er an einem Punkt angekommen, an dem er nicht mehr daran glaubte – was noch nicht bedeutete, dass er tief in seinem Inneren auch schon die Hoffnung auf eine bessere Zeit aufgegeben hatte. Was ihn erstaunte, war die Tatsache, dass bei dem derzeitigen Zustand seiner Laune die Tage schneller herum zu gehen schienen als zuvor. Bisher hatten sich seine Tage – vor allem die Schultage – wie ein altes Kaugummi dahin gezogen. Nun strichen sie einfach nur noch an ihm vorbei, ohne wirklich wahrgenommen zu werden. Und bevor er sich versah, war schon der Freitag gekommen und er war wieder mal allein auf dem Weg nach Hause. Seine beste Freundin hatte ihn mehrmals die Woche angesprochen, um ihn zu fragen, was mit ihm los sei. Doch er hatte sie jedes Mal abgeblockt. Es interessierte sie doch sowieso nicht wirklich. Das sah er doch allein schon daran, dass sie es jedes Mal nach einem Versuch aufgegeben hatte. Und wie jeden Abend saß er auch an diesem Freitag wieder auf der Treppe zum Marktplatz und beobachtete die Menschen um sich herum. Warum konnte er nicht wie die alle leben? Weil er ein einsames trostloses Leben dem verlogenen fröhlichen vorzog? War er lieber ehrlich und allein statt falsche Freunde zu haben? Wie es schien ja schon. Doch etwas überrascht stellte er fest, dass an diesem Abend keiner der fünf Studenten am Brunnen saß. Wo die wohl alle hin waren? Schnell bemerkte er, dass es ihm weniger Spaß machte auf der Treppe zu sitzen und das Treiben zu beobachten, wenn die fünf älteren Jugendlichen nicht da waren. Was sie wohl gerade machten? „Darf ich mich zu dir setzen? Ich bin heute genauso allein wie du“, riss ihn eine Stimme neben ihm plötzlich aus seinen Gedanken. Überrascht sah er auf und direkt in die smaragdgrünen Augen des Rothaarigen. Die Informationen hinter den Worten des Älteren erreichten ihn mit einer leichten Verzögerung. In einer abrupten Bewegung erhob er sich von der Treppe und stieg zwei Stufen höher, um auf derselben Augenhöhe mit dem Rothaarigen zu sein. „Du hast doch keine Ahnung!“ Everybody always gave you what you wanted You never had to work it was always there You don't know what it's like What it's like Es interessierte ihn nicht, dass alle Anwesenden in ihrer unmittelbaren Umgebung sie sensationslüstern anstarrten und erfahren wollten, worüber die zwei jungen Männer da stritten. Er ließ dem Älteren auch keine Zeit noch irgendetwas zu erwidern, da er im nächsten Moment auch schon auf dem Absatz kehrt gemacht hatte und den Marktplatz hinter sich gelassen hatte. Was bildete dieser Typ überhaupt ein? Der wusste doch gar nicht, was das Wort allein wirklich bedeutete. Er hatte ja Freunde, die ihn wirklich ernst nahmen und nicht immer alle Probleme für sich behielten und einfach lächelten. Er hatte echte Freunde. Keine Heuchler. Und warum sprach dieser Kerl ihn überhaupt ständig an? Das war jetzt schon das zweite Mal innerhalb nur einer Woche gewesen. Er hatte ihn doch sonst auch nie angesprochen. Nicht einmal wahrgenommen hatte er ihn. Nachdem er sich einige Straßen vom Marktplatz entfernt hatte, blieb er schließlich stehen und lehnte sich an die kalte Hauswand hinter sich. Er befand sich in einer der kleineren Nebenstraßen zur Hauptstraße, die zum Marktplatz führte. Er ließ sich an der Wand hinunter gleiten, bis er auf seinen Fersen hockte. Den Kopf hatte er zurück gegen die Wand gelegt. Seine Augen waren gen Himmel gerichtet und betrachteten das Stück Blau, das zwischen den Häuserdächern zu sehen war. Ganz blau war der Himmel schon nicht mehr. Die Sonne ging bereits unter und verfärbte den Himmel am Horizont rotorange, was sich auch auf das Stück über ihn bereits auswirkte. Erst nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, stand er wieder auf und ging auf die Hauptstraße zurück. Die Hände in den Hosentaschen vergraben und den Blick auf den Boden gesenkt trugen ihn seine Füße Richtung Bahnhof. Er hatte keine Lust schon nach Hause zu gehen und dort die Zeit in seinem Zimmer abzusitzen. Da sah er sich lieber noch etwas den Sonnenuntergang an. Und da der Bahnhof auf einer Anhöhe lag, bot sich dieser Platz dazu am besten an. Als er an der kleinen Mauer vor dem Bahnhofsgebäude ankam, die den Vorplatz von dem Abhang abgrenzte, stützte er seine Ellenbogen auf die Mauer, um seinen Kopf in seine Hände zu legen. Die Sonne hatte gerade den Horizont berührt und würde schon bald dahinter verschwinden. Wieder musste er an den Rothaarigen denken und vor allem an dessen Worte. Er hatte ihm Gesellschaft leisten wollen. Aber warum? Er war nicht gerade jemand, von dem alle Welt sofort fasziniert wäre. Oder der überhaupt jemandem auffallen würde. Höchstens als das kleine Häufchen Elend auf zwei Beinen. Er verstand ihn einfach nicht. „Von da oben hat man eine noch bessere Sicht auf den Sonnenuntergang.“ Wieder diese Stimme. Überrascht drehte er sich um und entdeckte nicht weit von sich entfernt den Rothaarigen. „Was willst du schon wieder?“ Trotz lag eindeutig in seiner Stimme. No, you don’t know what it’s like When nothing feels alright You don’t know what it’s like to be like me „Ich wollte nur den Sonnenuntergang sehen. Das ist alles.“ Mit diesen Worten drehte sich der Rotschopf um und ging zum Bahnhofsgebäude. Verwirrt sah er ihm nach. Seine Neugierde gewann über seine Abneigung gegenüber allen Menschen – oder zumindest fast allen. „Und wo willst du dann hin?“ Der Rothaarige blieb stehen, sah ihn aber nicht an, als er antwortete: „Das hab ich doch gesagt. Von da oben hat man einen noch besseren Blick.“ Gegen alle Vernunft ließ er es nicht dabei bleiben, sondern sprach erneut, bevor der Ältere weiter gehen konnte. „Wo oben?“ Einen Moment lang herrschte Schweigen, bis der andere über seine Schulter zu ihm sah und ihm das ehrlichste Lächeln zeigte, dass er seit Langem gesehen hatte. Das rote Licht der untergehenden Sonne spielte auf seinem Gesicht und ließ seine Haare in Flammen stehen. „Komm mit, wenn du’s wissen willst.“ Und dann ging er auch schon weiter auf den Bahnhof zu. Er hat keine Ahnung von deinen Gefühlen, von deiner Situation, von dir. Sein Verstand schrie ihn schon fast an, dass er es lassen sollte, dass er einfach nach Hause gesehen sollte. Doch ein kleiner Teil in ihm schien es anders zu sehen. Vielleicht war es ja gar nicht so schlecht, wenn er unvoreingenommen war. Vielleicht änderte sich ja jetzt was in seinem Leben. Und schließlich hatte dieser Teil in ihm gesiegt und seine Beine trugen ihn gegen den Willen seines Verstandes zum Bahnhofsgebäude. Er schritt durch das Eingangstor, durch das auch der Rothaarige eben verschwunden, und trat in die Empfangshalle, die zu dieser Uhrzeit fast wie ausgestorben war. Der Rothaarige lehnte nicht weit entfernt vom Eingang an der Wand und schien auf ihn zu warten. Denn kaum, dass er den Blonden entdeckt hatte, hatte er sich von der Wand abgestoßen und ging nun zu einer Tür, an der ein großes „Zugang verboten“-Schild hing. Kurz zögerte er noch, doch dann folgte er dem Größeren durch die Tür – wobei er sich immer umblickte, ob ihn jemand sehen konnte – und stieg mit ihm die Treppe nach oben, die sich vor ihnen aufgetan hatte. Nach einer gefühlten halben Ewigkeit waren sie an einer zweiten Tür angekommen. „Pass auf, dass du nicht runter fällst.“ Mit diesen Worten öffnete der Rothaarige die Tür, die auf das Dach des Gebäudes führte, und schloss sie hinter dem anderen wieder. Sie stiegen eine kleine Leiter an der Seitenwand der Turmuhr hinauf, die zum Bahnhofsgebäude gehörte. Nachdem sie schließlich neben der Uhr angekommen waren, ließ sich der Rothaarige auf dem Vorsprung davor nieder und wartete darauf, dass der kleine Blondschopf es ihm gleichtun würde. „Was hab ich gesagt?“ Er sah zu dem Rothaarigen, nachdem er sich neben diesen gesetzt hatte und musste erst mal überlegen, was er denn nun meinte. Als es ihm klar geworden war, drehte er seinen Blick nach Westen, wo die Sonne nun schon ein Stück hinter dem Horizont verschwunden war. „Wow…“, entfuhr es ihm bei dem sich ihm bietenden Anblick. Eine Weile lang saßen sie nur nebeneinander dort oben und sahen der Sonne dabei zu, wie sie ihren Weg hinter den Horizont begann, nur um irgendwo anders genauso aufzugehen, wie sie nun hier unterging. „Wovon hab ich keine Ahnung?“, fragte der Rotschopf auf einmal ganz unvermittelt in die Stille hinein. „Das interessiert dich doch sowieso nicht“, stellte er sich quer. „Woher willst du das wissen?“ „Ich weiß es. Schließlich sind alle Menschen gleich. Ihr wisst doch alle nicht, wie es ist.“ Er wandte den Blick von dem Sonnenuntergang ab und sah runter auf den Platz. Er könnte einfach springen. Wenn er schon mal hier oben war. Dann musste er das alles nicht mehr ertragen. Dann musste er nicht mehr die Blicke ertragen. Oder das Tuscheln hinter seinem Rücken. Oder die Späße, die auf seine Kosten liefen. Dann wäre das alles vorbei. „Wenn du es mir nicht erklärst, kann ich nicht versuchen es zu verstehen, oder?“ „Warum willst du es so dringend wissen? Du könntest es dir doch eh nicht im Geringsten vorstellen, wie es sich anfühlt.“ Langsam machte sich die Verzweiflung in seiner Stimme bemerkbar. „Wie sich was anfühlt?“ Leise und einfühlsam klang die Stimme des Rothaarigen. Er wandte den Kopf zur Seite und blickte wieder in diese klaren, grünen Smaragde, die in diesem Moment so viel Wärme auszustrahlen schienen. Das ließ ihn allen Mut zusammen nehmen und antworten. „Verletzt zu sein. Sich verloren zu fühlen. In der Dunkelheit zurückgelassen. Getreten, wenn man schon am Boden liegt. Sich herumgereicht zu fühlen. Kurz vor dem Zusammenbruch zu sein. Und niemand ist da, um dir zu helfen.“ Damit hatte er selbst den Rothaarigen sprachlos gemacht. Ein selbstironisches Lächeln schlich sich auf seine Lippen bei dem verwirrten Blick auf dem Gesicht des Älteren. „Du weißt nicht wie es ist. Nicht im Geringsten.“ Er erhob sich. Sah wieder runter auf den Platz vor dem Bahnhofsturm. Warum hatte er es ihm überhaupt erzählt? Was hatte er sich davon erhofft? Die Rettung? Einen Weg aus der Dunkelheit, die um ihn herum zu herrschen schien? Warum sollte diese völlig Fremde ihm helfen? Bestimmt nicht nur, weil er ihm in Kurzfassung erzählt hat, was ihm in seinem bisherigen Leben bereits alles widerfahren war. Das war wirklich dumm gewesen. To be hurt To feel lost To be left out in the dark To be kicked When you’re down To feel like you’ve been pushed around To be on the edge of breaking down And no one’s there to save you No you don’t know what it’s like Sein Blick war stur nach unten gerichtet. Er musste nur einen Schritt nach vorne machen. Aber er konnte es nicht. Er war zu feige. Er traute sich nicht. Stattdessen drehte er sich einfach um, ging zur Leiter und kletterte wieder auf das Dach runter. Auf der Treppe nahm er immer zwei Stufen auf einmal. Er wollte weg. Einfach nur weg. Wenn er es schon nicht geschafft hatte zu springen. Er wollte schreien. So sehr wie schon lange nicht mehr. Er wollte dem Schmerz in seinem Inneren Luft machen. Wollte ich herausschreien. Alle sollten seinen Schmerz erleben. Aber er wartete mit dem Schreien, bis er in seinem Zimmer war. Bis die dröhnende Musik seine Schreie verschluckt hatte. Bis sie die Welt außerhalb seiner vier Wände nicht mehr erreichten. Er wollte gar nicht daran denken, dass zwei Tage Wochenende vor ihm lagen. Doch leider konnte er diesen Gedanken nicht verdrängen. Vor allem nicht mehr, als seine Mutter ihn am nächsten Tag direkt zum Markt schickte, um den Wocheneinkauf zu erledigen. Sein Vater schob eine Extraschicht und seine Mutter musste für eine Kollegin einspringen. Am Montag würde sein Bruder für ein paar Wochen nach Hause kommen, weil die vorlesungsfreie Zeit begonnen hatte. Dann brauchten sie wieder mehr Nahrungsmittel als sonst. Sein Bruder konnte für seine geringe Größe einiges an Essen verschlingen. Manchmal fragte er sich, wo der Braunhaarige das alles ließ. Mürrisch und unausgeschlafen schlurfte er über die Hauptstraße zum Marktplatz, auf dem mittwochs und samstags immer Großmarkt war. Lustlos kaufte er Gemüse, Obst, Kartoffeln, Brot und Fleisch. Als er an dem Blumenstand vorbei kam, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Zwischen all den Blumen, die auf dem Boden verteilt standen und darauf warteten gekauft zu werden, wuselte der Student mit den rosafarbenen Haaren herum – samt grüner Schürze und einem Kopftuch, das seine langen Haare aus seinem Gesicht hielt, wenn er sich bücken musste. Scheinbar hatte er sich geirrt, was die reichen Eltern anging – zumindest bei dem. Er wollte weiter gehen, um den Einkauf zu beenden und nach Hause gehen zu können, als er eine Stimme hinter sich vernahm, die offensichtlich an ihn gerichtet war. „Hey, Blondi!“ Er dreht sich um, um zu sehen, wer da was von ihm wollte. „Genau du. Komm mal her.“ Es war der rosahaarige Blumenverkäufer. Mit zögernden Schritten ging er zu dem Blumenstand und blieb einige Meter neben dem Älteren stehen. „Was willst du von mir?“ „Wissen, wie es gestern gelaufen ist. Der Feuerteufel erzählt ja nichts.“ Verwirrt sah er den Größeren an. Was meinte er denn jetzt damit? Der Blumenhändler hatte wohl seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet: „Er hat es immer noch nicht gemacht. Langsam glaub ich echt nicht mehr dran.“ Diese Worte verwirrten ihn nur noch mehr. „Wovon zum Henker redest du?“ Er wurde einen Moment lang eingehend gemustert. „Na, was denkst du denn, Kleiner? Wir haben gestern extra alle zu zweit was unternommen, damit Axe endlich mal aus der Hüfte kommt und dir sagen kann, dass er auf dich steht.“ Bei den direkten Worten des Studenten stieg eine verlegene Röte in seine Wangen, er wandte sich ab und widmete sich wieder seinem Einkaufszettel. Was sollte das heißen, er stand auf ihn? Das konnte doch nicht dessen Ernst sein? Wieso sollte er ausgerechnet auf jemanden wie ihn stehen? Wahrscheinlich meinte er es gar nicht ernst. Wahrscheinlich wollte er ihn nur in sein Bett kriegen. Ja. Das muss sein. Er konnte schließlich unmöglich an seinem Leben Interesse haben. Schließlich kannten sie sich doch gar nicht. Welcome to my life Samstagabend und den ganzen Sonntag über verließ er das Haus nicht mehr. Zu groß war die Angst, dem Rothaarigen über den Weg zu laufen. Er wollte ihn nicht sehen. Zu viele Gedanken spukten durch seinen Kopf. Verwirrten ihn. Ließen ihn nicht schlafen. Am Montag nach der Schule ging er erst zum Bahnhof. Heute würde schließlich sein Bruder hier eintreffen. Er freute sich sogar, seinen großen Bruder wieder zu sehen. Er war bisher der einzige gewesen, der seine Gefühle nicht vor ihm versteckt hatte. Und der einzige, mit dem er über seine eigenen Gefühle reden konnte. Als der Bahnhof in Sicht kam, entdeckte er sofort die leuchtendrote Haarmähne. Er stand an der Mauer und blickte hinunter auf die Stadt. Und bevor er wusste, was er da tat, ging er zu dem Älteren hinüber und stellte sich neben ihn. „Müsstest du nicht studieren?“ Die Frage hatte seine Lippen verlassen, bevor er es verhindern konnte. „Die vorlesungsfreie Zeit hat begonnen“, war alles, was der Rothaarige sagte. Dabei blickte er immer noch auf die Stadt hinunter. Er hätte sich am liebsten vor die Stirn gehauen. Wie konnte er das vergessen haben? Schließlich war er doch hier, um seinen Bruder abzuholen. So breitete sich wieder der Mantel des Schweigens über ihnen aus. „Ich hab einen deiner Freunde am Samstag getroffen.“ Warum hatte er das jetzt gesagt? Um irgendwas zu sagen? Oder um herauszufinden, was an dessen Worten dran ist? Wohl eher letzteres. Doch die einzige Antwort, die er bekam, war eine gemurmelte Kenntnisnahme. Langsam wurde es ihm zu viel. Am Freitag wollte er noch unbedingt mit ihm reden und nun? Nun gab er einsilbige Antworten und sah ihn nicht einmal an. Ob es wohl an dem lag, was er am Freitag von sich erzählt hatte? Was anderes konnte es eigentlich ja nicht sein. Hätte er sich ja gleich denken können. „War ja klar, dass du mich jetzt ignorierst, nachdem du erfahren hast, was ich für ein Loser bin. Da hat dein Freund wohl ziemlich daneben gelegen, als er meinte, du würdest auf mich stehen. Dann mal noch ein schönes Leben, Axe.“ Mit diesen Worten und einem verächtlichen Unterton im letzten Satz kehrte er dem Rotschopf seinen Rücken zu und verschwand Richtung Bahnhofsgebäude. Der Zug seines Bruders würde schließlich bald eintreffen. Welcome to my life Er war schon am Eingang, als er Schritte hinter sich vernahm. Seine eigenen Schritte wurden langsamer. Er spürte die Hand an seinem Handgelenk, die ihn zurückhielt. Die ihn herum drehte. Sein Blick verlor sich in den tiefgrünen Smaragden. Seine eigenen Saphire weiteten sich überrascht, als er die Lippen des Älteren auf seinen eigenen spürte. Diese Reaktion hatte er nun nicht erwartet. Es war der zweite Kuss in seinem gesamten Leben. Der erste Kuss mit einem anderen Mann. Als er sich gerade an die Situation gewöhnt hatte, löste der Rotschopf den Kuss auch schon wieder. Verwirrt sah er zu ihm auf. Sollte das nun heißen, dass er ihn nicht für einen Loser hielt? Oder war es nur ein Versuch ihn zu verführen? Er hoffte, dass das erste zutraf. „Tut mir leid. Wie ich mich eben benommen hab, mein ich. Ich wusste nur nicht, wie du auf mich zu sprechen bist. Oder wie du überhaupt auf Nähe von anderen Menschen reagierst.“ Diese Worte überraschten ihn nur noch mehr. Und sie erleichterten ihn in gewisser Weise auch. „Ach ja. Bevor ich es wieder vergesse. Ich bin Axel. Verrätst du mir auch deinen Namen?“ „…Roxas.“ „Ich würde dich gern aus der Dunkelheit holen und dich auffangen, wenn du das nächste Mal zusammenbrichst. Was meinst du dazu?“ Welcome to my life „Ein Versuch ist es wert.“ Und seit langer Zeit liegt mal wieder ein Lächeln auf seinen Lippen. Teh End Ich hoffe, das Ende kam nicht zu plötzlich. Ansonst bin ich eigentlich ziemlich zufrieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)