Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 27: „Mein Dr. House“ ---------------------------- Am Montag begann Isoldes Arbeit wieder, weswegen ich allein war, als ich aufwachte. Die Stille, die mich in der Wohnung begrüßte und mir keinen guten Morgen wünschte war inzwischen so ungewohnt, dass es schon fast unheimlich war. Barfuß tappte ich durch die ganze Wohnung, genoss die Einsamkeit und das Bewusstsein, im Pyjama herumzulaufen und ein Brot zu essen, ohne mich beeilen zu müssen, weil ich bald zum Frühsport musste. Meine Gedanken schweiften zur Klinik zurück. Um diese Zeit waren sie wohl gerade mit den ersten Therapien beschäftigt, während ich auf Isoldes Bett saß, in ihre Decke gewickelt, mein Brot kauend und ziellos durch das Fernsehen schaltend. Ich fragte mich, was Zetsu wohl tat und ob er vielleicht auch ein wenig an mich dachte, aber gleichzeitig war ich mir sicher, dass er sich nur darüber amüsierte, dass er mich so leicht hatte hereinlegen können. Dann ärgerte ich mich auch wieder darüber, dass ich nie dahintergekommen wäre, wenn ich das Gespräch auf dem Balkon nicht mitbekommen hätte... Argh, verdammt! Selbst meine Gedanken wiederholten sich schon wie das Fernsehprogramm. Schon früher hatte ich nie viel ferngesehen und mir wurde auch wieder bewusst, weswegen – das Programm war einfach furchtbar. Pseudo-Dokusoaps, Talkshow-Wiederholungen und irgendwelche ach-so-informative-Nachrichtensendungen, furchtbar. Allerdings hatte ich kurz nach dem Aufstehen auch keine Lust, nach meinen Büchern zu suchen oder diese gar zu lesen. Also musste ein wenig hirnlose Unterhaltung her. Unvermittelt hielt ich auf einem bestimmten Programm inne. Im ersten Moment nur weil es eine Krankenhausserie war und ich sofort wieder an die Klinik denken musste. Doch kaum hörte ich die Stimme der Hauptfigur wurde mir bewusst, dass ich diese Serie schon einmal gesehen hatte – und das auch noch mit Zetsu. Wie hatte er sie genannt? Ich glaube, es war... ach, ich weiß den Titel nicht mehr, aber auf jeden Fall eine Serie über irgendeinen Arzt, der über Minderwertigkeitskomplexe verfügte oder so etwas. Zumindest war es mir bei dieser einen Folge so vorgekommen. ... Wow und ich dachte, ich hätte währenddessen nur Zetsu beobachtet. Da! Er war schon wieder in meinen Gedanken! Aber vielleicht würde ich ja verstehen, was an dieser Serie so toll war, wenn ich mir zumindest eine Folge mal ganz und vor allem konzentriert ansehen würde, ohne Schönling, der mich ablenken könnte. Also betrachtete ich minder interessiert, wie die einzig sympathische Figur für mich – mit dem Namen Dr. K- oder C-irgendwas – es sich selbst zur Aufgabe machte, einige knifflige, medizinische Fälle zu lösen. Mir gefiel seine pessimistische Einstellung und sein trockener Sarkasmus, hätte es einen solchen Arzt im Krankenhaus gegeben, wäre ich mit Sicherheit geblieben. Was ich allerdings nicht verstand, war sein Geschwätz über diesen Dr. House. Angeblich war es eine Serie, aber ob es sie nur in diesem Serienuniversum oder auch in echt gab, wusste ich natürlich nicht. Vielleicht sollte ich Isolde danach fragen – ich konnte mir vorstellen, dass sie besser Bescheid wusste. Immerhin kaufte man einen solchen Fernseher wie den ihren doch bestimmt nur, weil man ihn oft benutzte und nicht, weil er so schön aussah... oder? Nun gut, Isolde würde ich so etwas tatsächlich zutrauen und immerhin hatte sie ihn das ganze Wochenende über nicht angemacht, sondern mir stattdessen beim Einrichten meines Zimmers geholfen. Das hieß aber natürlich nichts, immerhin wusste sie auch von meiner Abneigung, vielleicht hatte sie für meine Eingewöhnung deswegen extra darauf verzichtet – oder es war einfach nichts gelaufen, was sie interessierte. Nun gut, zurück zu Dr. Irgendwas, der zwei ganz besondere medizinische Fälle bearbeitete – und auch zwei zwischenmenschliche, aber wen kümmerte das? Ein Mann, dessen Haut orange war und eine junge, eigentlich sehr gesunde Frau, die unter einem empfindlichen Herzen litt, ohne dass ein körperlicher Grund zu erkennen war. Das war der Moment, in dem ich richtig aufmerksam wurde. Sofort dachte ich wieder an Zetsu und die Aussage, dass er in die Kardiologie gehörte. Natürlich wäre der Zufall viel zu groß, aber vielleicht gab es ja doch etwas wie Schicksal, das mich dazu verleitet hatte, gerade diese Episode einzuschalten und daran hängenzubleiben – oder es war einfach mein Unterbewusstsein, das nicht wollte, dass ich mit Zetsu abschloss. Konnte man mit seiner ersten Liebe überhaupt je wirklich abschließen? Ich stellte mir bereits vor, wie ich irgendwann meinen Kindern gegenübersitzen, ihnen erzählen, wie ich ihren Vater traf und dabei – aus welchem Grund auch immer – auf Zetsu zu sprechen kommen würde. Oh mein Gott, ich würde meine eigenen Kinder bemitleiden. Blieb nur zu hoffen, dass ich nie welche bekommen würde, denen ich davon erzählen könnte. Aber bislang hatte ich ja auch noch keinen potenziellen Vater... warum dachte ich darüber überhaupt nach? Zum wiederholten Male konzentrierte ich mich auf Dr. Irgendwas, der bereits erste Fortschritte erzielte. Der nette Herr mit der orange-farbenen Haut trank einfach die falschen Säfte – und die Frau mit dem schwachen Herzen hatte vor kurzem ihren Ehemann verloren, was zu einer derart emotionalen Reaktion geführt hatte, dass ihr Körper, ihr Herz genau genommen, davon beeinflusst worden war. Den genauen medizinischen Fachausdruck verstand ich nicht – aber dafür die Bezeichnung, die wirklich jeder Mensch verstehen konnte: Gebrochenes-Herz-Syndrom. Ich hatte noch nie zuvor davon gehört und zweifelte im ersten Moment sogar, dass es dieses Syndrom wirklich gab. Dieses ganze Gerede von gebrochenen Herzen war doch eigentlich nur eine Metapher für Leute, die naturgemäß von dem, in den sie verliebt gewesen waren, enttäuscht worden waren. Aber möglicherweise gab es das ja doch... zumindest hoffte ich es, denn in dem Moment begann alles Sinn zu machen. Zetsus Schwester Nanashi, die er mit Sicherheit sehr geliebt hatte, war gestorben – aus welchem Grund auch immer – und dieser Verlust hatte Zetsu so sehr geschmerzt, dass sein Herz gebrochen war. Der Schmerz musste noch immer so tief sitzen, dass der Bruch nicht verheilen konnte und er somit immer noch zwischen Leben und Tod stand, überzeugt davon, früh zu sterben. Kein Wunder, dass er mir nie davon erzählen wollte, wann immer ich ihn nach dem Grund seines Aufenthalts gefragt hatte und dass er immer so kalt war. Das wäre zumindest eine Erklärung, die mir gefallen würde, denn so außergewöhnlich wie sie war, erschien sie mir perfekt zu Zetsu zu passen. Vielleicht sollte ich aber einmal mit ihm sprechen und ihn fragen... oder jemanden, der ihm nahestand. Ich vergaß den Rest der Episode vorerst, ließ den Fernseher aber an und ging in mein Zimmer, wo ich den Zettel hervorkramte, auf dem die Telefonnummer der Station aufgeschrieben war. Damit kehrte ich in Isoldes Zimmer zurück, wo immerhin das Telefon stand. Mein Herz schlug fast schon schmerzhaft schnell, als ich mich neben den kleinen Tisch setzte, den Zettel in meiner zitternden Hand, ich auf das Telefon starrend. Es war eigentlich ganz einfach. Man hob den Hörer ab und wählte die Nummer, am besten fehlerfrei, wenn man es hinbekam. Aber ich konnte nicht einmal meine Hand dazu bringen, danach zu greifen, um zumindest dem Freizeichen zu lauschen. Ich sehnte mich geradezu danach, Zetsus Stimme wieder zu hören, seinem Zauber wieder ausgesetzt zu werden und zu prüfen, ob dieser auch durch das Telefon wirkte. Aber da war noch dieser logische Teil in meinem Inneren, der mir sagte, wie schwachsinnig das wäre. Was sollte ich denn sagen, wenn jemand dort abhob? He, hier ist Leana, die vor ein paar Tagen so schnell abgehauen ist, dass sie Baila zum Weinen gebracht hat. Ich wollte nur schnell mal was wegen Zetsu fragen. Kann es sein, dass sein Herz gebrochen ist? Ja, die Idee hab ich aus dieser Serie genau. Die einzig vernünftige Reaktion darauf wäre wohl, dass die Person am anderen Ende der Leitung wortlos wieder auflegte – oder mir schadenfreudig erzählte, wie schön alles ohne mich war und dass man hoffte, dass ich nie zurückkommen würde. Der Gedanke entmutigte mich und sorgte dafür, dass ich auch weiterhin das Telefon nur anstarren konnte, während die Episode im Hintergrund auslief. Noch heute denke ich, – auch wenn es lächerlich ist – dass es eine Fügung des Schicksals gewesen sein muss, dass ich gerade an diesem Morgen dazu gekommen war, diese Serie zu sehen, die ich sonst eigentlich nicht einmal beachtet hätte, um damit das Mysterium Zetsu zu lüften. Und ich denke auch, dass es eine Fügung war, dass ich mich, im Gegensatz zu sonst, einmal nicht traute, etwas so Simples wie einen Telefonanruf zu tätigen – denn sonst hätte ich wenige Tage später niemals diese besondere Begegnung erlebt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)