Die Feuerkriegerin von kurudoll ================================================================================ Kapitel 1: Der Traum -------------------- Sie war wieder da. Jene riesige schwarze Gestalt mit den kalten, stechenden Augen. Sie hielt die Zügel einer Kreatur, wie sie das Mädchen bisher noch nie erblickt hatte. Die Konturen des Wesens schienen in stetiger Bewegung. Es wirkte wie ein gigantischer Schatten, der sich in dauernder Unruhe befand. Hinter ihnen erstreckte sich eine riesige Armee von bizarr anmutenden Wesen, die alle bis zu den Zähnen bewaffnet waren. Ruhelos trommelten sie gegen ihre Waffen und starten mit rot glühenden Augen erwartungsvoll zu ihr herüber. Sie konnten den Befehl zum Angriff kaum erwarten. Die kalten, ausdruckslosen Augen musterten sie kurz suchend. Dann fing das Wesen an, mit ihrer grauenhaft klingenden Sprache, Befehle zu erteilen. Sekunden später wälzte sich eine gewaltige dunkle Masse auf das schutzlose Mädchen zu. Verzweifelt lief sie los und versuchte zu entkommen, doch die Kreaturen zogen einen immer enger werdenden Kreis um die Hilflose. Kriegsgesang ertönte und auch die letzten Waffen wurden gezogen. Es gab kein Entrinnen. Sie würde ihnen nicht entkommen können! Einer der Krieger sprang blitzschnell aus der Dunkelheit hervor und lies sein gewaltiges Schwert auf sie niedersausen. Nerya wachte schreiend auf. Zitternd saß sie im Bett. Nach einigen Augenblicken fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn und wischte die kleinen Schweißperlen weg. Dann holte sie kurz Luft und versuchte sich gut zuzureden. „Es war nur ein Traum, nur ein ganz normaler Albtraum, so wie jeder andere“. Aber tief in ihren Inneren wusste sie, dass das, was sie gerade gesehen hatte, auf irgend eine Weise wahr werden würde. Es würde geschehen und sie würde es nicht verhindern können. Sie hatte schon öfters von solchen Begebenheiten geträumt, die später irgendwie wahr geworden waren. So wie das von der Familie Morva. Sie hatte geträumt, dass der Älteste der Söhnen nicht mehr von seiner Jagd im Laureswald heimkehren würde und man hatte wirklich nie wieder etwas von ihm gesehen oder gehört. Damals hatte sie es als dummen Zufall abgetan, aber mit der Zeit wurde sie noch mehrmals von solchen Träumen heimgesucht. Noch nie hatte ein Traum Nerya dermaßen aus der Fassung gebracht wie heute. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie es gesehen hatte. Aber das erste Mal, dass der Traum dermaßen realistisch wirkte. Das konnte nur eines bedeuten! Er würde bald eintreffen. Draußen lärmte ein Kind. Neryas achtjährige Schwester Selra war anscheinend schon hellwach. Gleich würde die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen werden und Selra würde hereinstürmen, um sie zu wecken, so wie an jedem Morgen. Schon stand sie mit knallrotem Gesicht in Neryas Zimmertür und rief laut: „Nerya, du musst aufstehen! Paps hat schon nach dir gefragt. Er wollte, dass du Wasser holen gehst!“ Nerya fragte sich oft, warum ihre Schwester zum Vater „Paps“ sagen durfte. Sie dagegen musste ihn „Vater“ nennen. Diese Anrede war ihr jedoch irgendwie unangenehm, weshalb sie ihn bei seinem Vornamen „Tenuri“ nannte. „Ja, ja, ich komm ja schon. Könntest du jetzt bitte raus gehen, ich würde mich gerne noch ankleiden." Nerya wartete noch, bis ihre Schwester die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, dann stand sie auf. Teilnahmslos öffnete sie die Deckel ihrer Kleidertruhe, um sich ein frisches Kleid herauszusuchen. Während sie sich wusch, schweiften ihre Gedanken ab. Angestrengt versuchte sie sich an ihren Traum zu erinnern. Doch da war nichts. Nichts als Finsternis, nichts als Schatten, die sich in ihren Kopf ausbreiteten. Ein Schaudern lief ihr über den Rücken. Sie sollte wohl besser etwas anderes machen, als hier vor ihrem Spiegel zu stehen und über ihre Hirngespinste nachzusinnen. Wütend über sich selbst drehte Nerya sich um und ging auf die Zimmertür zu. Sie öffnete sie und prallte beinahe mit Tenuri zusammen. „Es wird Zeit, dass du auftauchst, Nerya. Geh jetzt bitte Wasser holen!“ Nerya nickte kurz, dann rannte sie in die Küche, um den Wasserkrug zu holen und um ihrer Mutter „Tirza“ einen „Guten Morgen“ zu wünschen. Kapitel 2: Das Wesen am Brunnen ------------------------------- Nerya ging hinaus. Sie schaute zum Himmel. Er war blau wie das Meer und vollkommen wolkenlos. Es würde ein wunderschöner, warmer Tag werden. Ihre Mutter rief ihr noch hinterher, sie solle auf sich aufpassen und den Wald nicht zu nahe kommen, was Nerya allerdings nicht mehr mitbekam, da sie sich schon außer Hörweite befand. Es war kein sehr langer Weg bis zu dem kleinem Wasserbrunnen. Deshalb schlenderte sie langsam ihres Weges entlang. Als sie den Brunnen nach zehn Minuten Fußmarsch erreicht hatte, beugte sie sich vorsichtig über den Brunnenrand. Ein endlos scheinendes Loch gähnte ihr entgegen. Doch wo war das Wasser? Normalerweise stand es nur ungefähr zwei Meter unter der Brunnenkante. Konnte es etwa sein, dass der Wasserbrunnen nach der regenarmen Zeit ausgetrocknet war? Nervös warf Nerya Steine in den tiefen Schacht und lauschte. Erst als sie in der Ferne ein leises Platschen hörte, wagte sie aufzuatmen. Das Wasser war also doch noch da. Während das Mädchen ihren Eimer an einer Schnur hinunter lies, beschloss sie den Erwachsenen von ihrer Entdeckung zu berichten. Nicht das irgendwann der Tag kam, an dem sie ohne Wasser auskommen mussten. Nachdem Nerya den nun mit Wasser gefüllten Eimer hinaufgezogen hatte, setzte sich auf den Brunnenrand und dachte nach. Sie dachte über all das nach, was in den letzten Wochen geschehen war nach. Alles hatte mit dem Diebstahl der Rinder begonnen. Man war von einem normalem Raub ausgegangen, doch ein paar Tage nach dem Unglück hatten zwei Jäger die Rinder im Wald aufgefunden. Tod. Nerya schauderte, als sie an die verstümmelten Tiere dachte. Jedem einzelnen waren die Augen ausgebrannt worden. Die Gelenke waren völligst verdreht gewesen und um dem ganzem noch die Krone aufzusetzen, waren die Tiere bei lebendigem Leib gehäutet worden, so dass die Sehnen blutig glänzten. So erniedrigt hatten die Rinder auf einer Lichtung im Wald gelegen und es gab nur eine Erklärung für das Geschehene. Die Dämonen mussten zurückgekehrt sein! Einige Wochen später bestätigte sich diese Vermutung. Eine Gruppe Händler, aus einer fernen Stadt, war mit schweren Verletzungen in ihrem Dorf angekommen. Sie erzählten, dass sie den Laureswald während der Dämmerung durchqueren wollten. Aber dann wurden sie angegriffen. Schwarze, schattenähnlichen Gestalten waren wie aus dem Nichts erschienen und vielen über sie her. Nach diesem Ereignis war es jedem Einzelnen untersagt worden, das Dorf nach Anbruch der Dunkelheit zu verlassen, geschweige denn einen Fuß in den Wald zu setzen. Die Angst vor den Dämonen war zu groß. Nerya war derart tief in ihren Gedanken versunken, dass sie nicht merkte, wie sich etwas langsam an sie heranpirschte. Erst als jemand ihre nackten Beinen streifte, bemerkte sie es. Erschrocken sprang das Mädchen vom Rand des Brunnen und stolperte einige Schritte zurück. Als sie sah, was sie gerade berührt hatte, schrie sie entsetz auf. Sie blickte einem katzenähnlichen Wesen in die Augen. Es hatte schwarzes Fell, lange Zähne, scharfe Krallen und blutrote Augen und zwei Schwänze. Ein Dämon! Sie spürte wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen bildete. Sie wollte weglaufen, schreien, doch konnte sie ihre Augen nicht von diesen fremdem Wesen wenden. Auf den zweiten Blick erkannte sie erst, wie abgemagert di Kreatur war und wie hilfesuchend und flehend sie sie anblickte. Nerya bekam Mitleid mit diesem Wesen und ging einige Schritte auf es zu. Langsam öffnete sie ihren Mund, doch es kam nur ein Krächzen hervor. Wütend schüttelte das Mädchen den Kopf. Sie würde sich doch nicht von einer solch kleinen Gestalt einschüchtern lassen! Und außerdem hätte der Dämon, wenn es überhaupt ein Dämon war, sie schon längst anfallen können, wenn er das wollte. Und wenn es so aussah, als ob er ihr etwas antun wollte, würde sie einfach davonlaufen. Immer noch etwas ängstlich, aber gefasst, fing Nerya an zu sprechen. „Du bist ein Dämon, oder?“ Das Wesen nickte, woraufhin Nerya vorsichtig ein Stück zurückwich. „Hast du Durst?“ Das Wesen nickte erneut. Nerya holte mit dem Schöpflöffel Wasser aus dem Krug und streckte dem Dämon wachsam die gefüllte Mulde entgegen. Begeistert fing das Wesen an zu trinken und blickte erst wieder auf, als in dem Schöpflöffel nicht ein Tropfen Wasser mehr übrig war. Langsam ging der Dämon auf Nerya zu und strich ihr, als sie sich nicht rührte, behutsam um die Beine. Dabei fing er an, dankbar zu schnurren. Nerya wusste nicht, was sie machen sollte. Einerseits war dieses Wesen ein Dämon, eine der Kreaturen, vor denen sie seid Kindesalter an gewarnt worden war. Andererseits war dieses Geschöpf derart zutraulich und wirkte gar nicht so böse. Es wirkte auch eher wie eine Katze. Vorsichtig ging Nerya in die Knie und streichelte dem Dämon sanft über sein pechschwarzes Fell. Nach einer Weile fragte das Mädchen leise: „Hast du einen Namen?“ Das Wesen schaute sie überrascht an, dann schüttelte es den Kopf. Sie zögerte, dann stellte sie erneut eine Frage. „Darf ich dir einen Namen geben?“ Erwartungsvoll blickte der Dämon ihr in die Augen. Nerya überlegte kurz. „Dann werde ich dich Napo nennen, oder hast du etwas dagegen?“ Der frisch benannte Dämon schüttelte den Kopf und schnurrte noch lauter. Nerya atmete erleichtert auf, dann blickte zum Himmel hinauf. Die Sonne war schon ein ganzes Stück gewandert. Das hieß, dass sie schon einige Zeit hier war. Ihre Eltern würden sich Sorgen machen, wenn sie nicht bald nach Hause käme. Seufzend erhob sie sich. „Es tut mir wirklich Leid Napo, aber ich muss langsam nach Hause, sonst machen sich meine Eltern noch Sorgen.“ Der Dämon sah sie traurig an. „Ist ja schon gut. Ich verspreche dir, dass ich morgen wieder herkomme.“ Sie dachte kurz nach, dann erschien ein Grinsen auf ihrem Gesicht. „Ich bringe dir auch etwas zu Essen mit, in Ordnung?“ Begeistert sprang Napo auf und lief freudig um Nerya herum. „Schon gut.“ Bei der guten Laune des Dämons musste Nerya lachen. Sie beugte sich nach unten und gab dem Dämon einen leichten Kuss auf die Stirn. Dann sprang sie auf, schnappte sich ihren Wassereimer und lief los. Nach einigen Metern drehte sie noch einmal kurz um und winkte dem Kater zu. „Bis Morgen, Napo.“ Der Dämon blickte ihr nachdenklich hinterher, dann drehte er sich um und verschwand im naheliegendem Wald. Als Nerya fast am Dorfrand angelangt war, bemerkte sie eine dunkle Rauchsäule am Himmel emporsteigen. Das Mädchen blieb ein paar Sekunden wie angewurzelt stehen, dann fing sie überstürzt an zu rennen. Sie wünschte sich über alles, dass die Rauchsäule nur von einem Lager- oder Festfeuer käme und nicht irgendeins der Dorfhäuser brennen würde. Als sie das Dorf erreichte, hörten sie viele aufgeregte Stimmen und Schreie. Sie sah die Bewohner panisch umherrennen. Ängstlich lief Nerya ein paar Leuten hinterher. Erst als sie das Dorf bereits wieder hinter sich gelassen hatten, bemerkte Nerya, wohin sie unterwegs waren. Es gab nur ein Haus, das so nah am Rand des Waldes lag, das Haus der Himmler, einer Bauernfamilie des Dorfes. Nerya drängte sich durch die Menge, die sich vor dem Haus angesammelt hatte, bis sie sprachlos vor den Überresten des eins prächtigem Hauses stand. Kapitel 3: Der Angriff ---------------------- Dem Mädchen stockte der Atem. Von dem früher prächtigen Anwesen waren jetzt nur noch die verkohlten Grundmauern zu sehen. An manchen Stellen durchbrach das Lodern der Glut die Dunkelheit. Zwischen den zu Asche verfallenen Überresten des Hauses suchten einige Männer nach noch verwendbaren Gegenständen. Nervös schaute Nerya sich um. Konnte es sein... Das Mädchen erstickte einen Aufschrei. Neben der Steinruine lagen fünf weiße Bündel. Die Leichen der Familie Himmler. Nerya Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte die Familie seid klein auf gut gekannt. Und nun waren ihre gemeinsamen Zeiten für immer vorbei. Nerya kam nicht dazu über ihre ermordeten Freunde zu trauern. Denn plötzlich schrie einer der Männer auf und deutete auf einen am Boden liegenden Dolch. Das Zeichen der Dämonen glühte auf seiner Schneide. Ein betroffenes, besorgtes Schweigen legte sich auf die Umstehenden. Dann wurde ein Gemurmel hörbar, das schließlich in hektisches Gerede und hysterische Schreie überging. Erst als Andrej, das Dorfoberhaupt anfing zu sprechen, beruhigte sich die Menge langsam wieder. „So etwas wie heute ist seit dem großen Krieg, in dem die Menschen die Dämonen und ihre Untergebenen bekämpften, nicht mehr passiert“. Er blickte so ernst wie lange schon nicht mehr. Nerya merkte wie angespannt er wirkte. „Es scheint als seien die Dämonen endgültig zurückgekehrt, um uns Menschen das Leben erneut zur Hölle zu machen. Die heutige Tragödie war wahrscheinlich erst der Anfang, von ihren Racheplänen, aber wir werden nicht mehr tatenlos zusehen! Wir werden uns auf sie vorbereiten! Jeder soll ab heute eine Waffe bei sich tragen, oder in der Nähe haben, auch die Frauen und Kinder. Niemand geht mehr alleine nach draußen und alle, die zu nah am Wald wohnen, werden auf die andere Seite des Dorfes umgesiedelt. Habt ihr mich verstanden? Wenn ja, dann kümmert euch darum. Beeilt euch! Ich werde währenddessen die umliegenden Dörfer benachrichtigen.“ Nerya schaute verstört auf das verkohlte Haus. Sie verstand es nicht. Wie konnte man nur so grausam sein? Egal ob Dämon, oder Mensch man konnte doch nicht einfach so jemanden umbringen! Als ihr jemand eine Hand auf die Schulter legte, zuckte Nerya erschrocken zusammen. Sie blickte auf und sah ihrem Vater ins Gesicht. „Ich hätte mir gewünscht, dass dir dieser Anblick erspart worden wäre, Nerya.“ Nerya schluckte und versuchte sich die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen. Tenuri lächelte matt. „Ist schon gut, wein dich ruhig aus.“ Er nahm seine Tochter fest in die Arme und strich ihr sanft über das Haar. „Ich weiß, dass es schwer für dich ist, meine Kleine, aber schau mal, das Leben geht weiter. Wir können nichts mehr für Mira und ihre Familie tun. Nur noch beten...“ Er seufzte leise. „Wir werden morgen zu der Beerdigung gehen und für sie beten, in Ordnung?“ Nerya nickte schluchzend.. Tenuri führte seine Tochter nachdenklich nach Hause. Sie war mittlerweile sechzehn. Er lächelte beklommen, als er an all die Jahre mit ihr zurückdachte. Er wollte nicht, dass diese schöne Zeit jemals ein Ende fand. Aber langsam sollte er ihr ihre wahre Herkunft offenbaren. Er fürchtete sich davor. Kapitel 4: Das Geheimnis ------------------------ Als sie zu Hause angekommen waren, schickte Tenuri Finya und ihre Schwester zu den Nachbarn. Die Kinder sollten das Gespräch zwischen ihm und seiner Frau nicht mitbekommen. Das Oberhaupt der Familie Frajk, der alte Paerot, kannte alle alten Geschichten und Sagen und verstand sich einmalig im Erzählen. Der Klang seiner Stimme zog einen regelrecht in seinen Bann, egal wie banal die Geschichte war, man hing wie erstarrt an seinen Lippen und litt und freute sich mit den Figuren. Es schien, als ob man selbst am Geschehen teilhaben würde. Gerade als die Geschwister ankamen, fing der alte Mann an zu berichten: „Ja, ja, das waren früher noch Zeiten. Jedes Mal, wenn man sich aus dem Haus wagte, musste man aufpassen, dass man nicht von einer blutrünstigen Bestie zerrissen wurde. Eine Zeit lang war es sogar so schlimm, dass man die Kinder nicht mehr aus dem Haus ließ ...“ Ein kleiner Junge fiel ihn ins Wort. Er fragte, ob Paerot die alte Legende von Jurito kannte. Der Alte schmunzelte und begann begeistert zu erzählen: „Also vor langer, langer Zeit, müsst ihr wissen, waren Menschen und Dämonen noch Freunde und Gefährten. Sie halfen aneinander, wo sie nur konnten. Doch wie ihr wohl wisst, hält keine Freundschaft ewiglich. So kam es, dass sich eines Tages einer der Dämonen über alles andere erheben wollte. Er strebte, wie besessen nach Macht! Sein Name war Karodis. Er hielt das Volk der Menschen für schwach und stumpfsinnig! Sobald er absolute Kontrolle erlangt hatte, brach er ihren Willen und Geist. Ab da dienten sie den Dämonen als nichtswürdige Sklaven. Alle, die sich seinen Plänen in den Weg stellten, egal ob Mensch oder Dämon, metzelte er gnadenlos nieder. So kam es zum großen Krieg zwischen den Menschen und den Dämonen. Die Menschen kämpften aber nicht alleine, ihnen hatte sich das Volk der Magier zur Seite gestellt. Es war ein geheimnisvolles Volk. Nur dank ihnen ging die große Schlacht zu unseren Gunsten aus. Diese Kreaturen, die Magier waren imstande ihre Umgebung zu manipulieren. Wasser, Erde Feuer, Luft, Licht und Finsternis, alle Elemente gehorchten ihnen aufs Wort. Eines Tages, als die Dämonen die frühere Hauptstadt Jurito angriffen, sah die Schlacht für die Menschen und Magier hoffnungslos verloren aus. Doch gerade als die Dämonen in die Stadt einstürmen wollten, erschien eine Reiterin am Horizont. Die Augen der Frau glühten, als ob in ihnen lebendiges Feuer loderte. Sie schienen einen regelrecht zu verschlingen. Sie stammte vom Volk der Magier und beherrschte die Kräfte des ...“ „Hör auf den Kindern solche Ammenmärchen zu erzählen, sonst bekommen sie davon noch Albträume. Stattdessen solltest du dich jetzt nützlich machen und Kartoffeln für das Abendessen schälen.“ Frau Frajk atte die Arme in die Hüften gestützt. „Ach, und schick die Kinder nach Hause. Es wird schon dunkel.“ „Ihr habt sie gehört, also ab nach Hause mit euch“, sagte Paerot schmunzelnd. Nerya runzelte die Stirn. Sie bezweifelt, dass man Paerots Geschichten ernst nehmen konnte. Allerdings hatte diese sie heute wirklich mitgerissen. Sie kam ihr so bekannt vor. Irgendwie vertraut, als ob sie das alles schon einmal erlebt hätte. Als die beiden Mädchen zu Hause ankamen, hörten sie fremde Stimmen. Überrasch sahen sich die Geschwister an. Dann schlichen sie langsam zur Küchentür. Nerya, die am schnellsten die Tür erreichte, stockte der Atem, als sie durch das Schlüsselloch lugte. In dem Raum waren zwei große, bedrohlich wirkende, Gestalten zu sehen. Sie waren ganz in schwarz gehüllt und Nerya konnte an dem Gürtel des Größeren einen Dolch mit dem Zeichen der Dämonen erkennen. Sie erkannte ihre Eltern, die demütigst vor den beiden Gestalten knieten. „Was führt euch zu uns, Lord Irunio?“, fragte ihr Vater mit bebender Stimme. „Das müsstest du dir denken können, du Unwürdiger“, sprach der Lord. Als Nerya seine Stimme hörte, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Diese war eiskalt, überheblich, drohend. „Wir sind hier um deine Tochter abzuholen“, verkündete Irunio. „Ihr könnt sie doch nicht einfach mitnehmen“, rief Neryas Mutter bestürzt. Sie warf sich flehentlich vor die Füße des Lords. „Sie weiß überhaupt nichts über euch und ihre Fähigkeiten...“ „Schweig, Weib!“, fiel ihr Irunio ins Wort. Angewidert trat er einen Schritt zurück, bevor ihn diese Menschen Frau hätte berühren können. Dann wandte er sich wieder Tenuri zu. „Soll das heißen, dass ihr dem Mädchen nichts über sich erzählt habt und über die Tatsache, dass sie uns, den allmächtigen Dämonen, dienen wird? Habt ihr ihr genau so verschwiegen, dass ihr nur ihre Pflegeeltern seid?“ Tenuri schluckte. „Antworte!“ Tenuri nickte und sprach mit vor Angst erfüllter Stimme: „Ich hatte vor es ihr in nächster Zeit zu erzählen.“ „Ach, auf einmal, wieso gerade in der nächsten Zeit?“, fragte Irunio verächtlich. „Ich wollte es ihr wegen den letzten Überfällen erzählen“, brachte Tenuri stotternd hervor. „Du hättest es ihr früher erzählen sollen, Mensch. Sie wird mit uns kommen und du solltest eigentlich für deine Dummheit bestraft werden, aber ich werde für heute mal großzügig sein.“ Er drehte sich zu seinem größeren Begleiter hin. „Geh die Sachen von Nerya zusammenpacken, Fladorack.“ Nerya schrak zusammen. Diese Wesen waren nur wegen ihr hier? Sie wollten sie mitnehmen?. Sie hörte Fladoracks immer näher kommende Schritte. Selra, die ebenfalls gelauscht hatte, schlich auf Zehenspitzen zum großem Kleiderschrank, um sich dort zu verstecken. „Nerya, komm, sie dürfen uns nicht entdecken oder willst du, dass sie dich mitnehmen?“ Verzweifelt versuchte Selra ihre Schwester zum sicheren Versteck zu zerren. Kurz vor dem erhofften Ziel öffnete sich die Tür und Fladorack trat heraus. Die beiden Mädchen hielten den Atem an, doch es war zu spät, der Dämon hatte sie schon entdeckt. „Na, wen haben wir denn da? Nerya und ihr kleines Stiefschwesterchen, beim Lauschen. Ihr wolltet euch wohl gerade heimlich davonstehlen.“ Er grinste schadenfroh. „Aber, dass müsst ihr doch nicht, ich und mein Herr wollen euch doch nichts böses. Doch, da ihr eh schon hier seid, kann ich euch ja gleich zu Lord Irunio führen, er wird sich höchstwahrscheinlich riesig über eure Anwesenheit freuen.“ Er packte die beiden Mädchen, die verzweifelt versuchten sich zu wehren und riss sie mit sich in die Küche. „ Meister Irunio, ich habe die Beiden hier beim Lauschen entdeckt. Was soll ich mit ihnen anstellen?“ Irunio musterte die Mädchen mit einem leichten Stirnrunzeln, dann antwortete er seinem Diener in belustigtem Ton: „Lass die Mädchen hier und geh jetzt Neryas Sachen packen. Beeil dich, ich will gleich aufbrechen!“ Fladorack verbeugte sich tief vor seinem Herrn und verließ das Zimmer. Der Lord wandte sich zu Nerya und musterte sie aufmerksam von oben bis unten. Während er sie beobachtete, murmelte er etwas. Trotzig erwiderte Nerya die aufdringliche Musterung des Dämons. „Warum wollen Sie mich zu sich holen“, fragte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme. Der Lord sah sie mit einem amüsierten Lächeln an. „Das wirst du spätestens bei unserer Ankunft in meinem Land erfahren.“ „Und was ist, wenn ich überhaupt nicht mitkomme?“, erwiderte Nerya diesmal mit fester Stimme. „Ich würde es gerne erleben wie du versuchst uns zu entwischen“, entgegnete der Dämon belustigt. Eine Weile sagte keiner von den beiden etwas. „ Herr, ich habe Neryas Sachen, wir können jetzt aufbrechen.“ Fladorack brach das beunruhigende Schweigen, als er in den Raum eintrat. „Gut“, Irunio wandte seinen Blick von Nerya ab, „ Warte draußen. Das Mädchen und ich kommen sofort nach.“ Nachdem Fladorack aus dem Raum getreten war, packte der Dämonenlord Nerya am Arm und zog sie hinaus, obwohl Nerya sich verbissen wehrte. „Meister, der Wagen ist bereit. Soll ich ihnen das Mädchen abnehmen?“ „Nimm sie, und dass du sie ja nicht laufen lässt!“ Irunio übergab Fladorack Nerya, die immer noch versuchte sich aus den Fängen ihrer Kidnapper zu retten. Der Lord drehte sich um und schritt, erhobenen Hauptes, in Richtung Wald davon. Fladorack folgte ihm aus einiger Entfernung. Als die kleine Gruppe am Waldrand ankam, sah Nerya eine große schwarze Kutsche, die von zwei unheimlich schwarzen Pferden, mit Flügeln, gezogen wurde. Auf dem Kutschbock saß ein weiterer Dämon. Gerade als Fladorack das Mädchen in die Kutsche ziehen wollte, schnellte Napo, der ihnen gefolgt war, aus dem Gebüsch hervor. Er sprang Fladorack direkt an die Kehle. Der Dämon schlug wie wild um sich und versuchte den Kater von sich zu reißen. Nerya nutzte den Moment zur Flucht und hetzte in den Wald hinein. Sie rannte wie noch nie zuvor. Kapitel 5: Die alte Dorana -------------------------- Ohne sich umzusehen rannte Nerya immer tiefer in den Wald hinein. Sie musste weg! Weit weg von den unheimlichen Kreaturen. Weit weg von den Worten, die ihr Leben vom einen Moment zum anderen zerstört hatten. Sie merkte nicht, wie die Dornen ihre Haut zerissen, wie sich ihre Haar in den Ästen verfingen. Sie wollte nur weg, ganz weit weg. Dann stolperte sie plötzlich. Alles verschwand im unendlichem Dunkel. „Nein“, stöhnte Nerya heiser. „Nein, nein, nein!“ Ihr hübsches Gesicht war nur noch eine schmerzverzerrte Grimasse. „Neeeiiin!“ Nerya schreckte aus dem Schlaf. Verwirrt schaute das Mädchen sich um. Sie lag auf einem Felllager, in einem runden, hellerleuchteten Raum. Sie verstand nicht was hier vor sich ging. Warum lag sie in einem Raum und nicht an der Stelle, im Wald, wo sie gestürzt war? Ihr kam eine schreckliche Ahnung: Was war, wenn die Dämonen sie gefunden und mitgenommen hatten?! Entsetzt sprang Nerya auf und versuchte die Tür zu öffnen, auch wenn sie überzeugt war, sie verschlossen vorzufinden. Zu ihrer Überraschung glitt die Tür ohne Wiederstand zu geben auf. Sie trat auf den Flur hinaus und stutzte. Der Flur war mit allerlei seltsamer Dinge zugestellt. Von der Decke hingen Kräuter und an den Wänden waren eigenartige Ornamente zu erkennen. In der Luft lag der Geruch von etwas Verbranntem. Nerya versuchte sich möglichst leise durch den Korridor zu bewegen. Als sie die Treppe zum unteren Stockwerk erreicht hatte, passierte es! Nerya passte einen Moment nicht auf und stolperte über eine - so gut wie nicht übersehbare - Falte im Teppich. Sie versuchte sich an irgendetwas festzuhalten, wobei sie nur noch mehr Chaos anrichtete, indem sie eine Vase von der neben ihr stehenden Kommode umriss. Nerya hörte wie jemand mit langsamen Schritten die Treppe herauf kam. Jetzt war alles vorbei, die Dämonen würden ihren Fluchtversuch bemerken und sie dann nie mehr unbewacht lassen. Oder noch schlimmer, sie würden sie angekettet in einen Kerker werfen, um sie sich gefügig zu machen. Während Nerya sich die schlimmsten Szenarien durch den Kopf gehen lies, kamen die Schritte unaufhaltsam näher. Dann beugte sich ein Schatten über das verzweifelte Mädchen. Als Nerya aufblickte sah sie in das besorgte Gesicht einer alten Frau. „Nerya, Kind, hast du dir was getan?“, erkundigte sie sich mit einer beruhigenden Stimme. Nerya starrte die Greisin fassungslos an. Wie war das möglich? Oder war diese Frau auch ein Dämon? Stotternd antwortete sie, dass es ihr gut gehe. „Wer sind Sie, und was wollen Sie von mir und wo bin ich hier überhaupt?“ Die Alte lächelte nachsichtig, als sie das verwirrte Kind vor sich sah. „Lass die Formalitäten, und wenn es dir beliebt, kannst du mich Dorana nennen. Und woher ich deinen Namen kenne, dein Kater hat ihn mir zugeflüstert.“ Dorana schmunzelte, „Du solltest dich lieber wieder hinlegen, Nerya, mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen!“ Nerya starte die alte Frau ungläubig an. ‘Wie ist das möglich, wie hat mich diese Dorana vor den Dämonen finden können?’ Doch laut fragte sie: „Wie meinst du das, Napo hat dir meinen Namen zugeflüstert? Er kann doch nicht sprechen!“ „Das stimmt nicht ganz, Nerya, jedes Lebewesen besitzt die Gabe der Sprache! Du verstehst Napos Sprache nicht, da du sie nie gelernt hast. Aber nach dem was er mir über dich erzählt hat, scheinst du nahe daran zu sein, sie zu erlernen.“ Dorana drehte sich um. „Aber jetzt, wo du schon wach bist, essen wir erst mal was Leckeres!“ Und schon war sie weg. Als Nerya in die unteren Räume trat, schlug ihr ein abscheulicher Geruch entgegen. Angeekelt hielt sie sich die Nase zu. Der Raum in dem sie sich jetzt befand, war hell erleuchtet, da an jeder Wand mindestens zwei Fenster, verschiedener Art, eingelassen waren. Die Decke, wie auch der Boden bestanden vollkommen aus Holz. Der Raum selber war eher schlicht gehalten. Als Nerya zu der Decke sah, erblickte sie eine so große Auswahl an Kräutern, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Auch wenn sie nur eine Hand voll von ihnen kannte, konnte sie ohne Schwierigkeiten erkennen, dass viele der Pflanzen giftig waren. Sie lies ihren Blick weiter durch den Raum schweifen, bis sie in einer Ecke eine kleine Kochstelle erkannte, wo ein großer Kessel über dem Feuer hing. Während sie sich dem Ort nährte, bemerkte sie wie sich der abartige Geruch verdichtete, er schien von dem Kessel auszugehen. Während sie weiterhin auf die kleine Kochstelle zuschritt, stolperte sie über etwas, das auf dem Boden lag. Das Etwas fauchte Nerya wütend an. Es war Napoleon. „Napo, bin ich froh dich wieder zu sehen“, platzte es aus dem Mädchen heraus, „Ich dachte schon wir hätten uns verloren!“ Nerya nahm den Kater liebevoll in die Arme. „Du kannst wahrlich stolz auf ihn sein. Wenn er nicht gewesen wäre, würdest du immer noch irgendwo bewusstlos im Wald liegen, oder die Dämonen hätten dich gefangen genommen.“ Dorana war durch eine Seitentüre ins Zimmer getreten und lächelte die beiden gutherzig an. Dann fügte sie noch hinzu: „Nerya, weißt du überhaupt welche Ehre dir dadurch zuteil kommt, das Napoleon dich akzeptiert hat? Es passiert nur selten, das sich diese Tiere an einen Menschen binden, doch wenn, dann weichen sie nie wieder von seiner Seite. Wir haben noch viel von dir zu erwarten und jetzt komm, das Essen steht auf dem Tisch!“ Nerya dachte einen Moment entsetzt, dass sie die stinkende Brühe aus dem Kessel zu sich nehmen müssten, doch als Dorana sie in ein Nebenzimmer führte, sah sie zwei, mit klarer Gemüsesuppe gefüllte Essschüsseln auf einem Buchenholztisch stehen. Während sie aßen, dachte Nerya über Doranas Worte nach. Sie wurde einfach nicht klug aus dieser Frau und ihren Andeutungen. Auch verstand sie nicht, was diese mit den Wörtern ‘Wir haben noch viel von dir zu erwarten’ meinte. „Worüber denkst du gerade nach?“ „Was“, Nerya schreckte auf, „Was hast du gerade gesagt?“ Dorana sah das Mädchen vor ihr schweigend an. „Ich habe keinen Mucks von mir gegeben, warum fragst du?“ „Aber vorhin hat mich doch jemand gefragt worüber ich nachdenke!“ „Ich habe dir keine Frage gestellt, Nerya“, sagte die alte Frau mit einer solch strengen Stimme, dass es so gar nicht mit ihren Lächeln in Einklang kommen wollte. „Ich war es, ich habe dich gefragt.“ Napo sprang vor Nerya auf den Tisch und schaute ihr eindringlich in die Augen. „Du?!“, fragte sie ungläubig, „wie ist das möglich, ich, wir ..., wir können uns doch nicht verständigen, wir sprechen doch verschiedene Sprachen!“ Dorana lachte, ein tiefer wohlklingender Ton, der sich im ganzen Raum verteilte. „Nerya, hast du etwa vergessen, was ich dir erzählt habe? Du kannst mit allen Lebewesen kommunizieren. Mit allen Menschen, allen Tieren, sogar mit den Pflanzen, wenn du nur Augen, Ohren und deinen Geist weit genug für deine Umwelt öffnest.“ Nerya starte die Alte ungläubig an. „Na komm schon, du kannst mir ruhig vertrauen.“ Die Alte klatschte froh in die Hände. „Ich werde dich in der Sprache dieser Welt unterweisen. Immerhin musst du eine schwere Bürde tragen!“ „Wie, wovon sprichst du? Weißt du etwa weshalb mich diese schrecklichen Dämonen verfolgen? Sprich, du musst es mir erklären!“ „Ja, ich weiß, was diese schrecklichen Wesen von dir wollen. Genauso weiß ich, wer du eigentlich bist. Jedoch ist noch nicht die Zeit gekommen dir dies zu erzählen. Du wirst dich gedulden müssen. Doch jetzt komm, ich werde dich herumführen.“ Die alte Frau stand auf und trat zur Türe. Nerya zögerte. Diese Frau wusste anscheinend mehr über sie, als sie selber. Was sollte sie davon halten? Ihr Misstrauen war wieder geweckt, doch da ihr nichts anderes blieb als dieser Frau, wenigstens für den Moment zu trauen folgte sie ihr hinaus in den Vorgarten, wo Dorana anfing ihr die Eigenschaften der exotisch aussehenden Pflanzen zu erklären. Kapitel 6: König Azyrion ------------------------ „Sieh dir diese Stadt an, ihre Steingebäude, die gewunden Straßen. Die Skulpturen und in der Mitte ragt der Palast hervor. Mit seiner prunkvollen Fassade, den Gärten, den Türmen... und doch ist all dieses nur ein Schatten von dem Reichtum vergangener Zeiten! Über Jahrhunderte hinweg versuchten wir diese Metropole wieder in ihrem strahlenden Glanz auferstehen zu lassen und die vollkommene Schönheit wieder herzustellen. Doch wir scheiterten! Und doch ist dies der einzige Ort, an dem wir Zuflucht finden und zur Ruhe kommen können. Der einzige Ort an dem wir noch die vollkommen Macht zum Herrschen haben!“ „Worauf wollt hinaus, Mylord?“ „Wenn wir Nerya nicht finden, könnte selbst diese Festung bald zu Grunde gerichtet werden!“ „Ich verstehe nicht. Sie kann ihre Gabe doch nicht allein erlernen, oder täusche ich mich?“ „Nein das tust du nicht, mein guter Fladorack. Doch eine Person existiert, die dem Mädchen ihre Fähigkeiten nahe bringen kann! Eine Person, die so mächtig ist, dass sie selbst die Versiegelung von Neryas Kräfte brechen könnte. Du erinnerst dich gewiss noch an sie.“ Fladorack schnappte entsetz nach Luft. „Dorana?! Diese Verräterin? Wie könnte ich sie vergessen! Aber, Mylord, seit Jahren hat man nichts mehr von ihr gehört, es wird sogar gemunkelt, sie wäre tot.“ „Du irrst, Dorana lebt!“ Fladorack stutzte. „Wie sollte Nerya sie finden, wo wir doch selbst seid Jahren vergebens nach ihr suchen?“ „Der Kater.“ „Was, Ihr meint dieser Dämon war ein Untergebener Doranas?“ „Ja, genau das. Er wird Nerya bereits zu dieser niederträchtigen Verräterin geleitet haben.“ „Aber wie können wir sie denn noch aufspüren, bevor es zu spät ist?“ „Ich habe Nerya mit eine Ortungszauber belegt. Ich hoffe nur Dorana bemerkt diesen nicht sofort.... Fladorack, geh, du musst Nerya finden und zwar so schnell wie möglich!“ „Ich werde sofort einen Trupp fähiger Männer versammeln und Nerya aufspüren, auch wenn es das Letzte ist, was ich tue!“ „Sei vorsichtig! Dorana mag zwar alt und gebrechlich wirken, doch ihre Kräfte werden nicht nachgelassen haben!“ „Selbstverständlich!“ Fladorack verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor seinem Gebieter und verließ eilenden Schrittes dessen Gemächer. „Endlich allein.“ Lord Irunio genoss die Ruhe um ihn herum. Endlich konnte er in Frieden über Ereignisse der vergangen Tage nachdenken. Er hatte sich eigentlich darauf gefreut mal wieder in die Dämonenhauptstadt zu kommen, nachdem er Jahre lang im Laurenswald hatte leben müssen. Doch alle seine Pläne waren missglückt! Was hatte auch diese verdammte Dämonenkatze bei Nerya zu suchen? Dieses verfluchte Vieh hatte ihn und seine Gefolgsleute, als Nerya davongelaufen war, aufgehalten und dabei auch noch den Kutscher getötet. Und zu allem Überfluss musste er jetzt auch noch zu König Azyrion, um ihm zu erklären, weshalb Nerya hatte entkommen können. Momentan schien er wirklich vom Pech verfolgt zu sein. „Na ja, es kann ja nicht noch schlimmer werden,“ sagte er sich, „Ich werde jetzt erst mal ein schönes Bad nehmen und dann versuche ich den König davon zu überzeugen, dass ich nichts machen konnte, um Neryas Flucht zu verhindern.“ Irunio eilte durch den Palast. Er war zu spät! Und das auch noch, wenn er den König von seiner Meinung zu überzeugen hatte. Verdammt, wieso war er auch eingeschlafen? Angespannt erreichte er den Eingang der Halle, in der der König seine Unterredungen zu halten pflegte. Die beiden Wachen stießen, als sie Lord Irunio erkannten, die Torflügel auf und ließe ihn ohne weiteres passieren. Irunio richtete sich auf und marschierte gemäßigten Schrittes auf den Thron zu. Dann verbeugte er sich, um dem Herrscher seine Ehrerbietung zu erweisen. „Du bist spät, Irunio!“ „Verzeiht Herr, ich war noch erschöpft von der Reise, so dass...“ „Schweig, Unwürdiger! Erst lässt du das Mädchen entkommen und dann wagst du es auch noch meine Geduld zu strapazieren. Ich sollte dich all deiner Ämter entheben. Doch das hat Zeit. Zuerst wirst du dafür sorgen, dass Nerya wohlbehalten in meinem Palast erscheint. Und zwar als meine Untergebene!“ „Mein Herr, ich habe mir erlaubt einen Suchtrupp nach ihr loszuschicken, doch ich glaube nicht, dass er erfolgreich sein wird.“ „Zweifelst du an den Fähigkeiten deiner Männer?“ „Nein, doch als wir versuchten Nerya gefangen zu nehmen, tauchte einer der legendären Katzendämonen auf! Ich glaube er gehört zu Dorana!“ „Das ist unmöglich! Wir haben den Stamm der Nekos doch ausgerottet!“ „Doch Herr, es besteht kein Zweifel. Er war einer der Legendären!“ Der König schwieg. „Ruf deine Leute zurück. Wenn Dorana wirklich ihre dreckigen Finger mit im Spiel hat, ist es besser, wenn welche der höheren Stämme mitsuchen! Ich werde sofort meine Krieger informieren. Sie werden dich und deine Gefolgsleute begleiten!“ „Aber... ich, wie meint Ihr das, sie werden mich und meine Gefolgsleute begleiten? Ich kann doch unmöglich mitgehen! Ich bin doch gar nicht für so etwas geeignet!“ „Oh doch, du wirst sie begleiten! Immerhin hast du dir das selber zuzuschreiben! Also geh!“ Der Ton des Königs lies keinen Protest zu, weshalb Irunio sich knapp verneigte und erhobenen Hauptes zur Tür stolzierte. Nach Außen hin lies er es sich nicht anmerken, doch innerlich bebte er vor Zorn. Wie konnte der König es wagen, ihn dermaßen bloßzustellen? Und dann sollte er auch noch nach dieser Göre suchen! Hatte es nicht gereicht, das er Jahre im Lauernswald hatte verbringen müssen? Verdammt, wie er diesen Mann hasste! Wütend schlug er gegen eine Marmorstatue. Als sich die Marmorsplitter auf dem Boden verteilten, wurde ihm auf einmal alles klar. Er wusste, was er zu tun hatte. Er wusste jetzt endlich, wie er den verhassten Herrscher loswerden konnte. Er musste nur dessen Mittel gegen ihn selbst richten. Es würde zwar dauern, doch das, was er vorhatte, würde sich früher oder später auszahlen. Hämisch grinsend schritt Lord Irunio aus dem Palast. Er würde sofort anfangen alles vorzubereiten. Lord Irunio befand sich im Hof, seines Anwesens. Er schritt die Reihe der eben erst eingetroffenen Soldaten ab. Der König hatte ihm wirklich welche der begabtesten Krieger des Reiches geschickt. Im allgemeinen waren es zehn Soldaten, von denen Irunio sieben kannte. Die anderen drei, allesamt junge Burschen, hatte er noch nie zuvor zu Gesicht bekommen. Doch wenn sie der König geschickt hatte, mussten sie äußerst begabt sein. Irunio grinste boshaft. Dies war der erste Schritt zum Untergang des Königs. Er würde die Soldaten Schritt für Schritt auf seine Seite ziehen, und wenn er erst Nerya besäße... „Lord Irunio,“ einer der Jünglinge war hervorgetreten. „Dürfte ich Euch kurz unter vier Augen sprechen.“ „Name?“ „Jasper von Helmerich, Sohn des Grafen Igor von Helmerich.“ „Ah ja, endlich lerne ich dich kennen. Folge mir!“ Mit raschen Schritten ging Lord Irunio dem jungen Mann voraus. Wie sehr hatte er auf den Brief des Grafen gewartet. Wie sehr hatte er gehofft überhaupt eine Antwort auf sein Schreiben zu erhalten. Und jetzt war sie endlich da, die erhoffte Unterstützung. Er hatte den Brief zwar noch nicht gelesen, doch wenn der Graf seinen einzigen Sohn schickte, konnte das nur eines bedeuten. Einen Verbündeten! Irunio führte den jungen Mann in sein Arbeitszimmer. Der Lord setzte sich hinter seinen Schreibtisch und gebot dem Jungen, mit einer Handbewegung, es ihm gleich zu tun. Der junge Mann zögerte kurz, dann nahm er Platz. „Du wolltest mich sprechen?“ „Mylord, ich soll Euch von meinem ehrenwerten Vater dieses Schreiben überreichen.“ Der Junge zog einen Brief mit dem Siegel der Familie Helmerich hervor. Er reichte ihn Irunio über den Schreibtisch. Der Lord griff begierig nach dem Schriftstück, riss den Umschlag auf und fing an zu lesen. Auf dem dunkelgrünen Papier stand in verschlungener Schrift, genau das, was der Lord so versessen erhofft hatte. Irunio, Ich fühle mich geehrt, dass du mich in deine Pläne einzuweihen gedenkst. Wir benötigen unbedingt weitere Mitstreiter. Ich bin dabei, eine Liste mit einigen Anwärtern zu erstellen. Doch erst sollten wir jeden einzelnen Schritt überdenken, bevor wir noch weitere einweihen. Ich schlage vor, wir treffen uns während deiner Suche nach dem Mädchen. Ich erwarte eine baldige Antwort. Mit großem Respekt grüßt dich, Igor von Helmerich. „Ah, meine Bemühungen scheinen sich ausgezahlt zu haben!“ Der Lord lächelte verwegen, dann schaute er zu Jasper auf. „Ich danke dir, du hast mir und deinem Vater einen großen Dienst erwiesen. Nun geh und mach dich mit deinen zukünftigen Kameraden bekannt.“ „Wie Ihr wünscht, Mylord.“ Der Junge verbeugte sich noch einmal, bevor er leichten Schrittes aus dem Zimmer ging. Lord Irunio blickte ihm nachdenklich hinterher. „Er scheint nichts über den Komplott von mir und seinem Vater zu ahnen.“ „Wie kommt ihr darauf Meister?“ Fladorack hatte das Gespräch mit angehört und war nun aus seinem Versteck, einem Geheimgang hinter einem Gemälde hervorgetreten. „Glaubst du, ein solch junger Mann, könnte seine Nervosität so gewissendlich verbergen? Wie alt er wohl sein mag? Wahrscheinlich nicht Mal an die dreihundert.“ Lord Irunio lächelte traurig und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Fladorack schwieg. Er kannte seinen Meister nun schon lang genug, um zu wissen an was dieser dachte. Die Trauer über seinen verstorbenen Sohn überwältigte ihn erneut. Damals, während des großen Krieges war er gefallen. Er war Lord Irunios ganzer Stolz gewesen und als er dann umkam, wollte sich Irunio ebenfalls das Leben nehmen. Hätte Fladorack ihn damals nicht aufgehalten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)