The Forbidden Alchemist von Himikario ================================================================================ Kapitel 6: Feuerrot ------------------- Saikuron erreichte West City noch im Schutze der Nacht. Ein kühle Briese strich liebevoll über die Stadt und spielte mit dem Staub auf den menschenleeren Straßen. Es schien so friedlich, fast idyllisch, was ihm scheinbar auch der Sternenhimmel und der riesige Vollmond weismachen wollten. Doch das alles war nur die Ruhe vor dem Sturm den er bald auslösen würde und damit diese fadenscheinige Unschuld verzerren, so wie das kühle Mondlicht in den dunklen Gassen, die Schatten verzerrte und sie tanzen ließ im Rhythmus des Winds. Er landete weich und geräuschlos auf der Hauptstraße und machte sich auf die Suche nach dem zukünftigen Kern allen Übels. Der Wind schmiegte sich wie ein treuer Freund an seinen schlanken Körper und ließ ihn leicht erschaudern unter seinen kühlen Fingern, doch irgendwie hatte es etwas Tröstliches. Es war als wisse der Wind welche Bürde er trug, wie zwiegespalten er dieser gegenüber stand, es wirkte wie eine freundschaftliche Bekräftigung, die ihm ein müdes Lächeln über die Lippen gleiten ließ. Der Wind war bereits seit ewigen Gezeiten sein stetiger Begleiter gewesen, er hatte niemals schlecht über ihn geurteilt und war immer da, selbst in den schwärzesten Stunden seines Seins. Saikurons Verbindung mit ihm war tiefgründig und für die Ewigkeit gemacht, es war ein leise geflüstertes Versprechen. Während er dem sachten Flüstern seines Begleiters lauschte, entdeckte er auf einem rostigen Blechschild den Straßennamen, den er gesucht hatte. Er war einer weiteren Sünde nun nicht mehr fern. Das Haus hatte im Schatten einen dunklen Grauton, es wurde beinahe in völlige Dunkelheit gehüllt von dem Haus gegenüber. Kein Ton war aus ihm zu hören, alles war zur segenreichen, erholsamen Nacht gebettet, das Leben zog sich auf sein Existenzminimum zurück und war dabei so verletzlich wie zu keiner anderen Tagesstunde. Doch jedes Mal von neuem nahmen sie das Risiko auf sich und ließen sich von den gemurmelten Versprechungen der Nachts ins Traumland führen, blind und taub für Gefahren und nicht wissend ob sie je wieder aufwachen würden. Es war der Schwachpunkt der Gott den Lebewesen gab, denn für sie war Schlaf eine Notwenigkeit genauso wie Essen und Trinken. Gott hatte zahlreiche Vorkehrungen getroffen, um seine Schöpfung ihm selbst ähnlich zu machen, dennoch zog er es vor sie verletzlicher zu machen, als er selbst es war. Ob wohl auch er Sorge um seinen Platz als Oberhaupt der Welt hatte? Saikuron entdeckte im zweiten Stock ein halb geöffnet Fenster, für jeden Dieb stellte es schon beinahe eine Aufforderung da in dieses Haus einzudringen. Höhe versprach Sicherheit, doch den Bewohner würde bald klar werden welcher weit verbreiteten Illusion sie erlegen waren. Leichte Wehmut durchflutete seinen Körper, wie eine Welle spülte sie heran, wie er sie so selten Empfunden hatte, wenn er kurz davor war jemanden zu töten. Es war die nun deutlich hervortretende Veränderung, die Matts Wesen mit sich gebracht hatte. Der Gedanke an ihm jagte zwei weitere Wellen an den Rand seines Bewusstseins, die tiefe Liebe, die er für Matt empfand und die bodenlose Sorge, die ihn hierzu treiben würde. Er spaltete abermals die Teilchen seines Körpers und schwebte federleicht zu dem Fenster hinauf. Er schob es leise weiter auf und kletterte mit bedachter Ruhe hinein in den schwarzen Schlund, der ihn in sich aufzog und ihn umhüllte, so allgegenwärtig wie Wasser. Er blieb noch einen Moment am Fenster stehen und ließ seinen Augen Zeit sich an die herrschenden Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Schnell verstand er in was für einem Raum er sich befand, es war ein Kinderzimmer. Ein Gitterbettchen zentral an der Wand, mit einer winzigen sich unmerklich regenden Gestalt, die umhüllt war mit dicken Decken. Mit der Stille des Todes trat er an das Kinderbettchen heran und betrachtete das Würmchen unter ihm. Es war so winzig, hatte kaum Haare auf dem weichen Köpfchen und schlief mit der Segnung tausender Engel. Dieses Kind war noch so rein und unschuldig, es hatte sein ganzes Leben noch vor sich, würde jedoch hineingezogen in den Mahlstrom des Lebens. „Tut mir leid, kleiner Engel“, flüsterte er dem schlafenden Kind entgegen und betrachtete es noch einen Moment länger, bevor er sich von ihm abwendete und zur halb geöffneten Tür schritt. Er hob sie noch einen Spalt breit weiter auf und schlüpfte hindurch. Zu aller erst würde er schauen müssen, wie viele Personen in diesem Haushalt noch lebten außer Kebbing und dem Kind. Er schritt leise durch den Flur, lauschte auf verräterische Geräusche und öffnete alle Türen die er fand. Er durfte niemanden übersehen, wirklich niemanden. Auf dieser Etage entdeckte er noch ein Badezimmer und ein weiteres kleines Schlafzimmer, in welchem eine junge Frau ruhte, sicherlich war es die Mutter des Kindes, die noch nichts von alledem ahnte. Als er eine weitere Tür öffnete entdeckte er ein kleines Atelier, voll mit Leinwänden und dem Geruch von Farbe und Wärme. Ein wenig Mondlicht schien durch das großzügig geschnittene Fenster und hauchte einigen Bildern leben ein. Am deutlichsten Erschien ihm ein Bild dessen Blickfang auf der Flamme einer Kerze ruhte, umgeben von schemenhaften Gestalten und das Licht das im Hintergrund durchs Fenster fiel, schien fast exakt im selben Winkel, wie es jetzt gerade in diesem Raum der Fall war. Wer auch immer diese Bilder gemalt hatte, schien angefühlt mit den unterschiedlichsten Emotionen, die die Bilder so greifbar darstellten, das man sie beinahe auf der Zunge schmecken konnte. Er schwebte die Treppe herunter und landete im Wohnzimmer, das sehr hell eingerichtet war mit der weißen oder vielleicht auch cremfarbenden Coach und dem Bücherregal aus sehr hellem Holz. Daran angeschlossen fand sich eine offene kleine Küche, durch die man auf einen weiteren kleinen Flur gelangte, hinüber zu einem Arbeitszimmer. Bisher keine Spur von Kebbing. Langsam begann Saikuron sich zu fragen ob er sich wirklich im richtigen Haus befand, doch noch war eine Tür übrig hinter der sich seine primäre Zielperson verbergen könnte. Er öffnete sie bedächtig und fand, was er suchte. Er war fast erleichtert darüber, das dieser Haushalt gerade mal drei Personen enthielt, dennoch war jedes dieser Leben etwas wert, doch unter den gegebenen Umständen einfach nicht genug, um das was nun folgen würde nicht zu tun. Auch wenn hier drei Leben gegen eins standen und es moralisch richtig wäre sich für diese Drei zu entscheiden, anstatt für das Einzelne. Homunkuli fühlten genauso wie Menschen und deswegen war Saikurons moralisch korrektes Bild auch durchtränk mit der gleichen Subjektivität wie bei allen anderen Menschen. Für ihn war dieses eine Leben kostbarer als jedes andere, selbst kostbarer als sein Eigenes. Selbst wenn die gesamte Menschheit zu Grunde ginge, wäre Saikuron doch glücklich wenn nur Matt überlebte, sicherlich wäre es kein lebenswertes Leben mehr für ihn, aber dieses übertriebene Denken spiegelte lediglich die schwere Bedeutsamkeit die dieses einzige Leben für ihn hatte wieder. Während er bedächtig zur Ruhestätte von Kebbing schlich, schob er seinen weißen Mantel zurück und förderte darunter ein matt glänzendes Messer zu tage. Der Griff lag schwer in seiner Hand und schien immer schwerer zu werden umso näher er seinem Opfer kam. Die Klinge des Messers blickte kalt auf das warme Fleisch herab, es lauerte darauf endlich zustoßen zu dürfen, sich hinein zu bohren in die weiche Haut und den roten, warmen Lebenssaft zu lecken, den sein tödlicher Biss hervorquellen lassen würde. Obwohl wieder eine Welle Mitleid in Saikuron aufstieg, blieb seine Hand hart und fest. Es war die Hand, die diese Klinge schon so viele Male sicher geführt hatte, es war die Hand eines kaltblütigen Mörders. Daran würde sich auch heute nichts ändern und auch in Zukunft nicht, denn es war ein beinahe automatisch ablaufender Prozess. Ein sauberer schneller Schnitt, dann würde dieser Mann sein Leben für immer aushauchen. Er senkte die Klinge nieder, immer tiefer bis sie fast das Fleisch am Hals berührte, sie verharrte dort einen Augenblick, wie um ihren Triumph zu genießen. Kebbing regte sich, Saikuron sah wie sich seine Augen langsam öffneten. Er bohrte das Messer tief hinein in die dünne Haut des Halses, stieß durch die dünne Festschicht, schnitt Luft- und Speiseröhre an und durchtrennte somit auch eine der wichtigsten Adern, die Halsschlagader. Das Blut spritzte in einer gradlinigen Fontäne nach vorne und besudelte die Bettdecke mit einem Schwall Blut. Ein röchelndes kaum einzuordnendes Geräusch presste sich mit Mühe die zerschnittene Kehle hinauf, die Augen waren stark geweitet und spiegelten das Entsetzen und die Todesqualen wieder. Sie quollen beinahe aus ihren Höhlen, während das Rot die Bettwäsche bereits stark durchtränk hatte und sich neben dem Bett verteilte. Todespanik stieg in Kebbing auf, sie vernebelte ihm die Sinne und ließ seine Arme hilflos durch die Luft schlagen, wobei er geräuschvoll einen Nachtisch umstieß. Saikuron fluchte. Konnte dieser Typ denn nicht wenigsten leise sterben? Er sprang völlig hysterisch auf und der Blutstrahl traf fast Saikurons weißen Mantel, doch dieser sprang glücklicherweise früh genug zur Seite. Kebbing presste jetzt die Hände auf den Hals, in dem Versuch die Blutung zu stoppen, stolperte dann über seine eigenen Füße und knallte hart auf dem Boden auf. Das Blut bildete eine Lache auf dem Boden. Kalte Augen blickten auf das erlegte Opfer, frei von jeglicher Reue, frei von Respekt, dem Leben gegenüber. Kebbing versuchte wieder aufzustehen, doch er rutschte in seinem eigenen Blut aus, das Blut klebte ihm am Gesicht, verschmierte und tropfte an seinem Kinn herunter. Es war ein jämmerliches Bild, doch etwas in ihm gebot Saikuron einfach zu warten, bis sich dieses Leben selbst aushauchte. Wieder rutschte er aus und blieb dann irgendwann liegen, ein Brett knarrte oben. Saikuron schaute zur Decke und lauschte. Ob die Frau aufgewacht war? Bei dem Lärm wäre es wohl kein Wunder, Mütter hatten einen leichten Schlaf, vor allem wenn die Kinder so jung waren. Doch das stockende Röcheln, das immer unregelmäßiger wurde, war das einzige Geräusch, das er im Moment hören konnte. Er wendete seine Aufmerksamkeit deshalb wieder dem Sterbenden zu, denn auf eine gewisse Art hatte dieses grausige Schauspiel eine unglaubliche Faszination. Die Farbe in Kebbings Augen verblasste allmählich, wurde immer mehr ein grauer Abklatsch des Lebens mit denen sie vorher erfüllt waren. Er war tot, endgültig und definitiv. Saikuron ging zur Leiche und schloss die Augen, die noch immer hilfesuchend in die Ferne starrten. Er hatte Respekt vor dem Tod, das Leben war ein Spiel, der Tod jedoch eine Unumstößlichkeit. Obwohl keiner stattgefunden hatte, sah es so aus als wenn hier der wildeste Kampf getobt hätte, das dunkle kaum wahrnehmbare Rot war nahezu überall, auf Bett, Schrank, Wand und Boden. Wie als hätte sich der Künstler des Hauses, völlig dem Wahn verfallen, ausgetobt und die Farbe des Todes im Tanz mit der Sense verteilt. Der Tote wirkte so surreal inmitten dieses Chaos, das er fast zu einer Nebensächlichkeit wurde. Er würde jedoch der Einzige sein, der dieses eindrückliche Kunstwerk jemals bestaunen würde, er, der es schon in so vielen Formen und Varianten gesehen hatte. Es dauerte einige Sekunden, bevor er seinen Augen gebieten konnte, sich von dieser unnatürlichen Vertrautheit zu lösen und über das Leid und die Qualen hinwegzusteigen, es für immer hinter sich zu lassen, um es doch nie zu vergessen. Er schlich zurück in den Flur und über die Küche ins Wohnzimmer, immer wieder auf verräterische Geräusche lauschend. Als er am Fuß der Treppe stand und nach oben blickte, sah er einen Schatten am oberen Ende stehen und hinunter starren. Er blinzelte, nicht sicher ob er bereits Schatten sah oder gar dem Wahn verfiel. Doch dann hörte er es, das tiefe Geräusch von ausgestoßener Luft, die viel zu lange im Körper verweilt war. Beide waren still, rührten sich keinen Millimeter, warteten darauf, das der andere den ersten Schritt machte. Zwischen ihnen baute sich eine Spannung auf, die einer Notwenigkeit folgte, einer Reihe Dominos, die fallen würde sobald man den Ersten anstieß. Irgendwann wurde es Saikuron zu viel, er ging in die Knie und die Frau rannte los. Der erste Stein war gefallen und er wusste bereits, wo die Kette enden würde. Saikuron drückte sich kräftig vom Boden ab und sprang die Treppe mit einem Satz hoch, während sie bereits im anschließenden Gang verschwand. Er wusste ganz genau wo sie jetzt hinrennen würde. Alles verlief in den erwarteten festen Bahnen, es gab kein Entrinnen. Für Mütter war das aller heiligste auf dieser Welt ihr eigenes Kind und genau dieses würde sie um jeden Preis zu beschützen versuchen. Sie, ihm Korridor vor sich, rennen zu sehen, weckte seinen animalischen Jagdinstinkt. Er würde diese Beute fangen, noch bevor sie ihr Ziel erreicht hatte. Sein Schicksal hatte das ihre gekreuzt und würde es in andere Bahnen lenken. Er schoss hinter ihr hinterher, kam ihr immer näher und näher. Als er ihr bereits ganz dicht auf den Fersen war, schaute sie sich um und stellte mit Entsetzen fest, das ihre Flucht gleich zuende wäre. Sie sah den letzten Stein praktisch schon vor sich. Er packte sie an ihrem Nachthemd und riss sie mit sich zu Boden. Ein Schmerzensschrei entrang sich ihrer Kehle. Es trieb ihr die Tränen in die Augenwinkel, doch sie spürte den Schmerz kaum. Sie streckte den Arm nach vorne. „Mein Baby“, flüsterte sie kläglich. Sie zappelte unter ihm und konnte sich doch kein Stückchen bewegen. Saikuron drehte ihren Kopf hart zur Seite und sah ihre Tränen. Die Tränen einer Mutter die Angst um ihr Kind hat, nicht etwa um ihr eigenes Leben. Diese Erkenntnis griff unglaublich tief in Saikurons Verstand, solche Aufopferung war wirklich unglaublich. Es erweichte sein Herz, da er ihre Gefühle so gut nachempfinden konnte, bei ihm ging es praktisch auch um nicht anderes. Deswegen flüsterte er : „Deinem Kind wird nichts geschehen. Ihm werde ich nicht ein Härchen krümmen“ Erst wirkte sie verwirrt, doch dann wurden ihre Gesichtzüge weich, sie schien fast erleichtert. Sie hatte dieses instinktive Gespür für Gefahr und sie wusste um die Wahrheit seiner Worte, den trotz dieser grotesken Situation wich eine gewisse Spannung aus ihrem Gesicht. „Oh Sara“, murmelte sie erleichtert. Sie schloss die Augen und hörte auf zu zappeln, sie würde nicht mehr versuchen ihn davon abzuhalten sie zu töten. Wenn sie mit ihrem Opfer ihr Kind retten konnte, dann würde sie auch ins Himmelreich hinauf fahren und von dort über ihr Kind wachen. Mütter waren wirklich unglaublich und gleichzeitig so einfältig, eine Mischung die sonst nirgendwo unter den Menschen existierte. Er stieg von ihr herunter und drehte sie um, stille Tränen strömten ihr übers Gesicht. Sie traf ihre Wahl, selbst wenn diese sie ins Verderben führte, sie würde alle Schmerzen und alles Leid schweigend über sich ergehen lassen, wenn nur ihr Nachkomme überlebte. „Bitte mach es schnell“, murmelte sie mit erstickter Stimme. Er hatte Verständnis für diese Bitte. Er hob das Messer und rammte es ihr genau ins Herz. Ihre Augen wurden blass, doch noch während sie ergrauten konnte er die Zufriedenheit darin sehen. Ihre letzten Gedanken galten ihrer Tochter und zauberten ein letztes Lächeln auf ihre blassen Züge. Es war ein schneller Tod, denn Schmerz spürte man nur einige winzige Sekunde lang und dann wurde alles schwarz, noch schwärzer und dunkler als die finsterste Nacht. Sie hatte gewusste das sie ihm nicht hätte entkommen können, dass er ein zu übermächtiger Gegner für sie gewesen war. Dieses Bild, wie es sich ihm nun bot, war in seiner schönen grotesken Art noch impulsiver als das Vorangegangene. Nie zuvor hatte Saikuron jemanden gesehen, der mit einem Lächeln im Gesicht starb, sein Leben, vor seiner Zeit, durch Gewalt Einwirkung lassen musste und trotzdem glücklich war. Es war womöglich eine Fähigkeit, die nur Leuten gegeben war, die wussten, das sie mit ihrem Tod etwas wesentlich wertvolleres beschützen konnten, als ihr eigenes Leben. Diese tote Frau weckte in ihm den Wunsch, genauso wie sie zu sterben. Wenn er irgendwann sein Leben lassen musste, wollte er in dem Gewissen sterben können, Matt beschützt zu haben, denn dann würde auch er mit einem Lächeln auf den Lippen sterben können. Er empfand ein gewisses Maß an Sympathie für die tote Frau, was ihn dazu treiben würde, das Kind, welches für seinen Auftrag unerheblich war, an jemanden zu übergeben, der in der Lage war sich darum zu kümmern. Es wäre immerhin kein Verstoß gegen seinen Auftrag, denn das Kind stellte keine Gefahr für ihr Geheimnis da, es war zu jung um auch nur irgendeine Kleinigkeit über die Steine zu wissen. Es hatte wirklich Glück, das es noch so klein war, obwohl Saikuron vielleicht selbst wenn es etwas älter gewesen wäre, über es hinweggesehen hätte. Wahrscheinlich wäre es aber ein großes vielleicht gewesen, wenn das Leben des Kindes den Tod von Matt bedeutet hätte, hätte Saikuron sich das nie verzeihen können. Matt war zwar kein Kind mehr, höchstwahrscheinlich sogar schon lange nicht mehr, doch Saikuron wünschte sich das Matt all seine verbleibende Lebenszeit in vollen Zügen genießen konnte und er selbst würde irgendwie dafür sorgen, das ihm ein sehr langes Leben beschert werden würde. Matt wurde geplagt von Fieberträumen, halb zwischen wach und schlafend wandelnd und gepeinigt vom brennenden Schmerz und dem bösartigen Grinsen des Rotschopfes. Er wälzte sich hin und her auf dem Stuhl, soweit es die Fesseln zuließen. Matts Augenlieder flatterten wild, sein Geist wünschte sich so sehr endlich aus diesem Alptraum zu erwachen, doch noch hielt ihn seine eigene Angst in seinem dunklen Gefängnis. Es war still um ihn herum, niemand war im Raum und auch draußen schien niemand zu sein. Doch diese äußerliche unnatürliche Stille mischte sich mit den Geräuschen in seinem Kopf, seine eigenen Schreie, das Gelächter Kajis und das Knistern der Flammen, alles vermischte sich zu einem explosiven Gemisch und ließ ihn in einem stummen Schrei erwachen. Der kalte Angst- und Fieberschweiß mischten sich und bildeten eine kalte, abgestandene Hülle, um seinen gesamten Körper. Es fühlte sich widerlich an und ließ ihn sich wünschen, er könnte aus seiner Haut einfach hinausschlüpfen. Doch ein gutes hatte der Schweiß, er kühlte seinen verbrannten Arm etwas und linderte den dumpfen leicht pochenden Schmerz. Ihm wurde schon fast wieder übel, wenn er das verkohlte Fleisch nur ansah, deswegen wendete er den Blick auch gleich wieder ab, kaum das er ihn betrachtete. Genau deswegen entging ihm auch eine winzige, aber dennoch wichtige Tatsache. Eine Tatsache die er noch nicht einmal realisierte, als er sich eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Er legte den verkohlten Arm nahe an seinem Körper ab, blickte jedoch an einen Ort, der weit entfernt war und nur in seinem Kopf projiziert wurde. Erst als er sich wieder von diesem Traumbild löste wurde ihm endlich das Offensichtliche bewusst. Sein rechter Arm war frei, nicht länger in der Gewalt der Fesseln gefangen, er starrte den Arm überglücklich an, stille Tränen des Glückes strömten über seine Wangen, auch wenn es nur ein kleiner Hoffnungsschimmer war, so eröffnete er ihm doch die lang ersehnte Möglichkeit zu fliehen. Sein einfältiger Peiniger musste das Seil durchgeschmorrt haben, als er seinen Arm verbrannte, welch ein Glück das dann gleich diese Frau gekommen war, ansonsten hätte er es vielleicht gemerkt. Jetzt war Eile geboten, denn er musste hier verschwinden bevor einer dieser Homunkuli zurückkam, denn in seinem Zustand war er nicht einmal annähernd in der Lage sich gegen sie zu wehren. Auch wenn die Energie, die er gleich durch seinen Arm jagen würde, sicherlich verdammt schmerzen würde, ihm blieb nichts anderes übrig, als die Zähne zusammen zu beißen und die Transmutation durchzuführen. Er ballte die Hände zu Fäusten und atmete noch einmal tief durch, bevor er die Hände zusammenschlug und sie auf den Stuhl legte um seine Fesseln an eine andere Stelle zu schicken. Er biss sich auf die Lippe um jegliche Schmerzenlaute zu unterdrücken und schmeckte als Folge darauf sein metallisch schmeckendes Blut im Mund. Doch jetzt war er frei, er musste nur noch hier raus. Seine Finger zitterten leicht, er spürte wie erschöpft sein Körper war, doch der Fluchtwille würde ihm neue Kraft geben, irgendwie würde er es aus diesem Haus der Verdammnis hinaus gelangen. Seine verkrampften Finger klammerten sich um das Holz des Stuhles und unter großem Protest seines Körper schob er sich langsam in eine aufrechte Position. Jedoch fühlten sich seine Beine an, wie ein wackeliges Kartenhaus, das jeden Moment zusammenbrechen könnte. Er fluchte leise. Wieso konnte dieser dämliche Stuhl auch nicht an der Wand stehen, nein er stand mitten im Raum ohne auch nur die kleinste Möglichkeit sich an irgendwas festzuhalten. Er fluchte nochmals, bevor er seine zittrigen Handflächen erneut zusammenführte und unter einem gepressten Schmerzenlaut einen Gehstock aus dem Stuhl machte. Die alchemistische Energie mochte für einen gesunden Arm kein Problem darstellen, doch für einen Verletzten stellte es ein wirklich unangenehme Schmerzenquelle da, doch was blieb ihm anderes übrig? So schnell es seine Beine zuließen, schleppte er sich mithilfe des Stockes rüber zum Fenster. Er schaute hinaus in eine kleine, dunkle Seitengasse in der Niemand zu sehen war. Sein schwerer Atem beschlug sie Scheibe, er schluckte und betete, betete dafür das seine Kräfte noch ausreichen mögen, diese letzte Transmutation zu vollbringen. Er lehnte sich gegen die Wand und legte den Kopf gegen das kalte Gestein. Er musste es einfach schaffen, er musste einfach! Er durfte nicht in dieser wortwörtlichen Hölle bleiben. Er schickte ein letztes Stoßgebet in den Himmel bevor er die Handflächen ein weiteres Mal zusammenführte, spürte wie der peitschende Schmerz gegen seine Wunden schlug und letztlich über ging in die Wand vor ihm. Es entstand ein Loch in der Wand gerade groß genug, damit er durchpasste, er wollte nicht unnötig Kraft verschwenden. Hinter dem Loch pragte jedoch kein Abgrund, sondern eine Art steinerne Rutsche, die ihm sicher nach unten verhelfen würde, deswegen ließ er sich mit dem Stock auf den Boden nieder und rutschte mit ein wenig Kraft seiner Arme diese Rutsche hinunter. Der Anblick wäre wahrscheinlich sogar sehr komisch gewesen, wenn da nicht diese äußerst lebensbedrohliche Bande von Homunkuli gewesen wäre. Am Ende der Rutsche angekommen fühlte Matt wie ein Teil der Angst von ihm abfiel, alleine die Tatsache aus diesem Haus entkommen zu sein erfüllte ihn mit Freude. Er rappelte sich auf und wankte zum Ende der Seitenstraße. Er blickte vorsichtig um die Ecke, niemand weiter war zu sehen. Er ging nach links, sodass er nicht direkt vor dem Haus lang laufen musste, die Gefahr das er entdeckt wurde, war einfach zu groß, es musste nur zufällig einer von ihnen aus dem Fenster schauen und schon wäre seine Flucht beendet. Er schleppte sich die Hauptstraße entlang, nicht annähern wissen wohin ihn dieser Weg führen würde, doch es war ihm egal, solange er nur weg von diesem Haus und diesen kranken Wesen führte. Panik kroch langsam seine Kehle hinaus, als er merkte wie langsam er nur voran kam, er versuchte verzweifelt schneller zu laufen, doch das brachte ihn nur unnötig zum stolpern, glücklicherweise fing er sich rechtzeitig wieder. Es erschien ihm wie als würde er Stunden brauchen, alleine um drei Häuser weiterzulaufen und noch immer war keine Hilfe in Sicht. Was war bloß los in dieser Straße, es war helllichter Tag und absolut niemand war auf der Straße? Wie konnte das sein? Er blickte sich wieder verzweifelt um und immer mehr kroch die Hoffnungslosigkeit hinauf, trieb ihn bereits Tränen in die Augen, die sein Bild verschwimmen ließen. Dann bog er um eine Ecke und da stand jemand, eine junge Frau. Vielleicht war sie seine Rettung, er trieb sich selbst so gut an wie es ging. Die schwarzhaarige Frau schien ihn nicht sofort zu bemerken, denn sie schaute sich gerade irgendetwas in einem Schaufenster an. Er wusste nicht ob es an dem Tränenfilm in seinen Augen lag, aber sie schien komplett in blau gekleidet und selbst ihre dunkeln Haare schienen leicht blau zu glänzen. Er streckte seine Hand hilfesuchend in die Luft, der aufgehenden Sonne entgegen. „Ms., bitte, ich bitte sie, helfen sie mir“, krächzte er durch seine staubtrockene Kehle. Die junge Frau wendete ihm ihr Gesicht zu, schien verwirrt, doch dann fiel er über seine eigenen Füße und landete hart auf dem staubigen Boden, was ihm ein trockenes Stöhnen entrang. Mühsam versuchte er sich aufzurichten, doch es reichte einfach nicht mehr, seine Kraft reichte nicht. Er sah schwarze Stiefel auf sich zukommen, das konnte nur die Frau sein. „Bitte helfen sie mir“, flehte er mit gepresster Stimme. „Aber sicher helfe ich ihnen, Doktor“, erklang eine höhnische Stimme von oben. Es war aus, vorbei. Sie konnte nur eine von ihnen sein. Matts Körper zitterte unter der erneuten Furcht, Verzweiflung und dem Weinen. Langsam wurde alles wieder schwarz, er bemerkte wie ihn die Schwarzhaarige vom Boden aufhob, doch er konnte sich nicht wehren, sie hielt ihn so eisern umklammert und er war so schwach, zu schwach. Ein einziges Wort hallte durch sein erneut verklärtes Bewusstsein, er schrie nach ihm, seine Seele schrie nach ihm. Saikuron Saikuron hatte inzwischen das Blut von seinem Messer abgewaschen und es wieder in das Halfter an seiner Hüfte verschwinden lassen, nicht sichtbar für die Blicke Neugieriger. Er würde sich alles Weitere einfach machen, es gab so einfache Möglichkeiten Leichen und gefährliches Gut alles auf einmal verschwinden zu lassen und dafür reichten schon winzige Flammen. Er war erleichtert darüber diesen Auftrag so schnell erledigt zu haben, bald wäre er wieder bei seinem Geliebten. Doch schnell folgte eine unangenehme Verknüpfung, Matt in Verbindung mit Feuer, sofort entstand das Bild seines Bruders Kaji in seinem Kopf, wie er Matt quälte. Saikuron wusste das, das nicht gerade unwahrscheinlich war, selbst wenn Vater ihm verboten hätte Matt zu töten, so würde er sich doch niemals die Gelegenheit entgegen lassen ein wenig mit diesem neuen Spielzeug zu spielen, ganz auf seine eigene Art. Der Gedanke daran machte Saikuron krank und ließ ihn unterbewusst die Hände zu Fäusten ballen. Saikuron durchwühlte die Küche nach Streichhölzern und seine geduldige Suche wurde nur allzu bald belohnt, als er auf dem Regal eine ganze Schachtel, dieser kleinen nützlichen Feuerteufel fand. Doch zuerst würde er dafür sorgen müssen, das niemand so einfach durch die Tür platzte, solange das Feuer sich noch nicht genug ausgebreitet hatte. Er prüfte ob die Tür verschlossen war, der Schlüssel steckte, die Tür war definitiv zu. Als nächstes schob er noch all die kleinen Kettchen und Riegel vor, die zusätzlichen Schutz bieten sollten, dann sah er sich suchend um und fand letztendlich was er suchte, ein großes schweres Bücherregal, welches er anhob und direkt vor die Tür wuchtete. Alle Fenster die unten waren, kippte er an um den Flammen mehr Nahrung zu liefern und dann zündete er eins der Streichhölzer an und legte das alles verschlingende Feuer. Er begann mit Gardinen und Holzmöbel und arbeitete sich weiter über Bettwäsche und Teppiche, er zündete einfach alles an was potenziell guter Brennstoff war. Er spürte deutlich wie die Temperatur in dem Haus nach und nach stieg und sich das Flammenmeer immer weiter ausbreitete über die gesamte untere Etage. Er schritt gemächlich die Treppe hinauf und betrachtete sein Werk von oben, er würde noch einen Moment warten, bis er auch die obere Etage anzündete. Er wusste nur zu gut, dass das was er hier verbrannte nicht nur Möbel oder Menschen waren, es war viel mehr, er verbrannte Erinnerungen, Gefühle, ganze Leben, ausgelöscht durch die alles verschlingenden Flammen. Alles was übrig bleiben würde, wäre die Asche, die als bald vom Wind hinfort geweht werden würde. Er würde sie weitertragen hinfort in fremde Länder und an fremde Ohren, die der Geschichte lauschen konnten, wenn sie nur bereit waren dem Wind zuzuhören. Er warf einen letzten Blick auf das Flammenmonster das gierig über die Etage züngelte und sein hungriges Maul in die ganze Einrichtung schlug. Er entzündete nun auch noch das obere Bad, das Atelier und das kleine Schlafzimmer, dann beeilte er sich nun doch, um in das Zimmer, in dem das Kind nun bereits schrie, zu kommen. Es musste spüren, das etwas nicht stimmte oder vielleicht hatte es auch nur der Krach geweckt, das laute Schmatzen des Feuers. Er nahm das kleine Würmchen aus dem Bett und wickelte es vorsichtig in eine Decke ein, er streichelte ihr beruhigend über das kleine Köpfchen und flüsterte mit ruhiger Stimme: „Keine Sorge kleine Sara, bald ist das alles vorbei“ Als er das rot, flackernde Licht des Feuers bereits unter dem Türschlitz hindurch sehen konnte, entschloss er sich, dass das Warten jetzt ein Ende hatte. Draußen stand bereits eine riesige Menge Schaulustiger oder Leute die Anweisungen gaben, welche die mit Wassereimern herumrannten und verzweifelt versuchten das Feuer zu löschen. Saikuron grinste. Zeit für einen filmreifen Auftritt. Er riss das Fenster mit theatralischer Wucht auf und sprang hinunter, genau vor die Nasen der Masse, das weinende Kind dicht am Körper. Er sprang der aufgehenden Sonne entgegen und dann spürte er etwas, die Ahnung seines Namens, jemand rief ihn, er drehte sich zu dem in Flammen stehenden Haus um, noch während des Fluges. Was konnte das gewesen sein? Um es echter wirken zu lassen, strauchelte er und landete mit einiger Wucht seitlich auf dem Boden, das Kind natürlich so haltend, das es nicht den geringsten Kratzer abbekam. Er konnte ein erstauntes Luftholen der Menschen ausmachen, als er am Boden aufkam. Er setzte sich auf und stellte sicher, das es dem Kind gut ging. Sofort strömten zahlreiche Frauen auf ihn zu, nahmen ihm sanft das Kind ab, fragen ihn ob es ihm gut ginge, was passiert sei oder klopften ihm anerkennend auf die Schulter und lobpreisten ihn als Helden. Wenn sie wüssten was wirklich passiert ist. Er lächelte freundlich und erzählte ihnen eine abenteuerliche Geschichte von einem offenen Feuer über dem Herd und wie der Professor und die Mutter des Kindes versucht hatten es zu löschen und sich dabei selbst verbrannten und wie er nach oben geeilt war um das Kind zu retten und dann todesmutig aus dem Fenster gesprungen war, weil ihm die Flammen jeglichen anderen Weg versperrt hatten. Er sah die Bewunderung, die ihm für diese vermeintlich gute Tat entgegen gebracht wurde, doch er fühlte sich schuldig, schließlich war er erst der Auslöser des Ganzen. Er lehnte freundlich alle Angebote von Hilfe ab und entschuldigte sich bei den freundlichen Damen, indem er ihnen erklärte, dass er wirklich gerne nach Hause gehen würden und bat sie darum sich um das Kind zu kümmern. Er spürte das es sich in guten Händen befand, eine von ihnen würde sich dem kleinen Mädchen annehmen. Dann ging er ohne ein weiteres Wort, sobald er um die Ecke gebogen war, begann er zu rennen, immer schneller, bis er außerhalb der Stadt war, dort teilte er noch während des Rennens, die Teilchen seines Körpers und ließ sich vom Wind immer höher tragen. Vielleicht war es vorhin Matts Schrei gewesen? Auf jeden Fall fühlte er das Bedürfnis ihn in den Armen zu halten immer drängender in sich aufsteigen. Er ließ diese Stadt immer weiter hinter sich zurück und sie wurde hinter ihm immer kleiner und undeutlicher, ganz wie eine verblassende Erinnerung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)