Another Side, Another Story von _Kima_ (The Traitor's Tale) ================================================================================ Kapitel 16: Versperrte Wege --------------------------- Wasser, Feuer, Erde, Wind und Blitze regneten auf die Welt hinunter, Chaos tobte. Schreie, das metallische Klingen von aufeinander treffenden Schwertern füllten die Luft und Lärm, zu viel Lärm, zu laut, ließ seine Ohren klingeln. Ein Kampf tobte, Funken sprühten. Da waren zwei Kämpfer, sich ähnlich und doch wieder nicht… Schwert und Schild prallten aufeinander, jemand schrie. Schrie so laut, dass die Welt erzitterte und auseinanderbrach. Bilder und Stimmen prasselten auf ihn ein, riefen seinen Namen, zerrten an ihm, rissen ihn nach rechts und links. Sie würden ihn…! Ein widerwärtiges Geräusch ertönte, als er plötzlich entzweigerissen wurde, nichts weiter, als ein Laubblatt im Wind, Blut, so viel Blut, und er fiel, fiel, fiel… Mit einem Schrei fuhr Jowy aus dem Schlaf, schweißgebadet, mit klopfendem Herzen. Er schnappte nach Luft und griff sich an die Brust, während sich ein furchtbarer Schmerz in seinem Inneren ausbreitete. Oh, bei den Runen…! Seine rechte Hand pulsierte, brannte förmlich, und er zitterte so heftig, dass ihm schlecht wurde. Oder war ihm schon vorher schlecht gewesen? Nur langsam beruhigte er sich wieder. Ein Albtraum… nur ein Albtraum. Oder nicht? Jowy sah hinunter auf das dunkle Mal der Rune des Schwarzen Schwertes. Die Haut um das Mal war rötlich, fast so, als sei sie entzündet. War es wirklich nur ein Albtraum gewesen oder weigerte sich sein Körper einfach, sich mit der Rune zu arrangieren? Er hatte von Fällen gehört, in denen Runen und Träger nicht kompatibel gewesen waren. War das hier auch der Fall? Plötzlich wünschte er sich, dass ein professioneller Runenmeister einen Blick auf diese Rune warf. Aber andererseits… Es gab wahrscheinlich einen guten Grund, warum die Rune des Anfangs – und ihre Komponenten, die er und Riou nun trugen – versiegelt gewesen war. Abwesend rieb Jowy über die gereizte Haut auf seinem Handrücken und fuhr sich dann müde übers Gesicht. Es war späte Nacht gewesen, als er endlich, endlich ins Bett gesunken war. Sie hatten es bis nach Muse geschafft und sich am Ziel geglaubt – Viktor würde ihnen bestimmt helfen! – doch bekanntlich kam alles anders, als man dachte. Und in diesem Fall ganz besonders. Mehr tot als lebendig hatte er sich gefühlt, als sie das Tor der Stadt am Nachmittag erreicht hatten. Aber der Wachmann hatte keinerlei Interesse an ihrer Geschichte gezeigt – alles Bitten und Flehen hatte nichts genützt, ohne einen Passierschein würde er sie nicht hereinlassen. Und als Nanami die Sache in die Hand hatte nehmen wollen, war alles komplett aus dem Ruder gelaufen. Der Soldat hatte das Mädchen genervt als mopsnasigen, froschgesichtigen und weinerlichen Wildfang bezeichnet und damit ihren Zorn auf sich gelenkt. Nur mit Mühe hatte Hanna Nanami davon abgehalten, den Mann anzugreifen, und sie hatten schnell die Beine in die Hand nehmen müssen, weil der Wächter ihnen gedroht hatte, sie in den Kerker werfen zu lassen. Und dann waren sie umhergeirrt, bis sie das Gasthaus Zum Weißen Hirsch gefunden hatten, das gar nicht weit von Muse, halb versteckt am Rand eines kleines Waldes lag. Die Besitzerin war nett gewesen – trotz der späten Stunde hatte sie ihnen die Tür geöffnet, ihnen sogar noch ein Abendessen serviert und zwei Zimmer zur Verfügung gestellt. Selten war Jowy so dankbar für ein sauberes Bett gewesen. Und nun saß er hier, mit schmerzenden Gliedmaßen und Erinnerungen, die er nur zu gern verdrängt hätte. Aber ihm war bewusst, dass das unmöglich war. Langsam erhob der junge Aristokrat sich und schlüpfte in seine Stiefel – das einzige, was er noch ausgezogen hatte, bevor er kraftlos ins Bett gefallen war. Dann verließ er das kleine Zimmer im ersten Stock des Gasthauses, das er gemeinsam mit Pilika, Riou und Nanami bewohnte, um sich auf die Suche nach den anderen zu machen. Wie spät war es überhaupt? Im Zimmer war niemand gewesen und auch als er im Nebenzimmer klopfte, das sich Hanna mit Zamza und Gengen teilte, öffnete keiner die Tür. Waren sie vielleicht unten im Speisesaal, um zu frühstücken? Oder war es bereits Zeit fürs Mittagessen? Letzteres hätte Jowy gar nicht so sehr gewundert, er war nun einmal ein Langschläfer… Tatsächlich fand er seine Gefährten an einem Tisch im Speisesaal, wo sie gerade zu Mittag aßen. Dem Geruch nach zu urteilen, war es je ein Stück Braten für jeden, mit gekochten Kartoffeln und einer Sauce, die einen unheimlich guten Geruch verströmte. „Guten Morgen“, begrüßte er den Rest der Truppe leise, während er auf dem letzten freien Stuhl Platz nahm. „Guten Tag“, korrigierte Nanami ihn mit einem schwachen Lächeln. „Du alter Langschläfer.“ „Hm.“ Riou schob Jowy einen sauberen Teller zu und der Aristokrat schaufelte sich seine Mahlzeit darauf. Während er auf einer Kartoffel herumkaute, fragte er: „Seid ihr okay?“ „Den Umständen entsprechend“, nickte Hanna missmutig. „Das Bett war zu hart“, beschwerte Zamza sich. „Und keiner hat mir die Füße massiert, dabei könnte ich schwören, dass sie mir jeden Moment abfallen, sollte ich auch nur einen weiteren Schritt tun!“ Jowy seufzte leise, musste jedoch grinsen. Einmal abgesehen davon, dass er Zamzas Gemecker ohnehin nie ernst nahm, schienen seine Freunde in Ordnung zu sein. Pilika war blass, aber sie schien zumindest gute Laune zu haben… Gengen leerte in diesem Moment seinen Teller, bellte einmal laut und leckte sich dann das Fell rund um seinen Mund. „Gengen gefällt lecker Essen!“, verkündete der Kobold zufrieden. „Möchte noch jemand einen Nachschlag?“ Die Köpfe der kleinen Gruppe wandten sich der Küchentür zu, aus der in diesem Moment eine Frau von etwa dreißig Jahren trat. Sie hatte hellbraunes Haar, das sie in einem lockeren Knoten am Hinterkopf trug, und ein Muttermal unter dem linken Auge; gekleidet war sie in ein kupferfarbenes Kleid mit Puffärmeln und eine schneeweiße Schürze. Sie trug einen Topf unbekannten Inhalts in beiden Händen und lächelte die Anwesenden freundlich an. Eben dies war die Besitzerin des Gasthauses Zum Weißen Hirsch und Jowy hatte vom ersten Moment an gewusst, dass er Hilda mochte. „Nein, danke“, winkte Jowy ab, der seine Portion gerade beendet hatte, doch Gengen bediente sich mit Freuden ein zweites Mal und versicherte der Wirtin, dass ihr Essen fast so gut schmeckte wie bei ihm zu Hause. „Oh, vielen Dank“, lachte Hilda, während sie einen leeren Topf vom Tisch nahm. „Das ist sehr nett von dir.“ „Das ist ein ziemlich seltsamer Ort, um ein Gasthaus zu eröffnen, oder?“, fragte Nanami. Hilda machte ein nachdenkliches Gesicht, dann nickte sie langsam: „Hmm… das mag sein, ja. Aber du wärst überrascht, wenn du wüsstest, wie viele Leute hier Halt machen!“ Nanami schien gerade weiterfragen zu wollen, als die Tür der Eingangshalle aufgestoßen wurde und ein Mann hereingelaufen kam, der reichlich aufgeregt wirkte. Er hatte eine große Nase und hohe Wangenknochen, die durch das kurze braune Haar zusätzlich betont wurden, und trug ein graues Hemd mit einer orangefarbenen Weste darüber und eine blaue Hose. Alles in allem kam er Jowy wie eine ziemlich markante Persönlichkeit vor. „Hilda!“, rief der Mann überschwänglich. „Hey, Hilda!“ Er eilte auf die überraschte Wirtin zu und ergriff eine ihrer Hände, sodass sie fast den Topf fallen ließ. „W-Warum bist du denn so aufgeregt?“, stotterte Hilda überfordert. Offensichtlich kannte sie den Mann gut, da sich sofort ein sanfter Ausdruck in ihre Augen schlich. „Ich hab es geschafft, Hilda!“, jubelte der Mann begeistert. „Freu dich! Ich habe endlich den Weg zum Schatz gefunden. Es war genau so, wie ich gedacht habe – ich wusste, dass etwas an diesen Ruinen seltsam ist.“ Er sah sie an und erwartete offensichtlich, dass sie seinen Optimismus teilte, doch Hilda wirkte eher mäßig überzeugt. Lediglich ein leichtes, nervöses Lächeln schlich sich in ihre Züge. „Du solltest dich wirklich mehr freuen“, stellte der Mann etwas enttäuscht fest. „Wir können endlich von diesem erfolglosen Gasthaus Abschied nehmen!“ „W-Warte einen Augenblick, Alex…“, bat Hilda, doch dieser dachte offensichtlich nicht im Traum daran, sich bremsen zu lassen. „Ich muss Hilfe besorgen. Da drin ist es gefährlich“, murmelte er abwesend vor sich hin. „Ich werde sicher ein paar von den Städtern überzeugen können…“ Er wandte seinen glühender Blick wieder Hilda zu und rief: „Ich werde dir einen Diamanten besorgen, der so groß ist, dass du ihn nicht einmal tragen kannst. Wir werden reich sein, Hilda!“ Hilda jedoch schien von dieser Aussicht nicht ganz so glücklich zu sein wie ihr Gegenüber. „Alex, bitte“, sagte sie und sah ihn besorgt an. „Tu nichts Unüberlegtes. Der Schatz ist vielleicht nur ein Gerücht… Bitte. Ich möchte nicht, dass du…“ „Wovon redest du denn, Hilda?“, fragte Alex ungeduldig. „Ich tue das doch für dich! Ich gehe jetzt los und suche nach Leuten, die uns helfen können…“ Und mit diesen Worten ließ er sie los und eilte wieder hinaus, auf dem gleichen Weg, den er gekommen war. „Dieser Mann…“, seufzte Hilda kopfschüttelnd. Dann blickte sie zu ihren Gästen und lächelte entschuldigend: „Bitte verzeiht.“ „Oh, schon gut“, sagte Jowy schnell und sah kurz zur Tür, die Alex in seinem Eifer offen gelassen hatte. „War das dein Ehemann?“ „Ja“, nickte Hilda und der liebevolle Ausdruck kehrte wieder in ihre Augen zurück. „Er ist völlig besessen von der Schatzsuche… Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn ich ihn einfach in Ruhe seinen Schatz jagen lasse. Wenn es nur nicht so gefährlich wäre…“ Sie warf ihnen ein Lächeln zu. „Nun, das ist nicht eure Sorge. Bitte, fühlt euch ganz wie zu Hause und lasst mich wissen, wenn ihr etwas braucht.“ „Hmm… die Kosten…“, warf Riou vorsichtig ein und Hilda lächelte breiter. „Keine Sorge. Ich sehe, dass ihr viel durchgemacht habt… Die vergangene Nacht und den heutigen Tag werde ich euch nicht berechnen, aber wenn ihr weiter hier bleiben wollte, muss ich leider fünfzig Potch pro Kopf verlangen.“ „Vielen Dank“, sagte Riou erleichtert. Hilda nickte ihm zu und ging dann zurück in die Küche. „Sie ist so nett!“, seufzte Nanami entzückt. „Dieser Alex hat wirklich Glück gehabt, meint ihr nicht?“ „Für mich wäre so ein Leben nichts“, brummte Hanna stirnrunzelnd. „Kochen, putzen und den ganzen Tag freundlich sein… Wer auch immer beschlossen hat, dass Frauen nur für den Haushalt zuständig sind, war ein Narr.“ Nanami kicherte und Jowy runzelte die Stirn. Nachdem sich Zamza wieder ins Bett begeben hatte und Hanna mit Gengen einen Spaziergang machte – vielleicht, um ihre nächsten Schritte zu besprechen? – machte sich Nanami daran, Jowys Handgelenk zu verbinden. „Dass du nicht früher daran gedacht hast, mich zu fragen!“, rief sie, während sie einen Verband sorgfältig um sein lädiertes Gelenk wickelte. „Ich war todmüde…“, murmelte Jowy entschuldigend und sah zu Pilika, die neben ihm am Tisch saß und mit den Beinen baumelte. „Wie fühlst du dich, Pilika?“, fragte er vorsichtig. Das kleine Mädchen hob den Kopf, öffnete den Mund und – sagte nichts. Genauer gesagt bewegte sie die Lippen, doch kein Ton kam heraus… Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als wieder dicke Tränen Pilikas Wangen hinunterkullerten. „Du brauchst nichts sagen“, sagte er schnell. „Nick einfach nur, ja?“ Zögerlich nickte das Mädchen, zog die Nase hoch und schmiegte sich an ihn. Er legte den freien Arm um sie und zog sie vorsichtig an sich. „Das legt sich bestimmt“, flüsterte Nanami, ohne den Blick von seinem Handgelenk abzuwenden. „Sie ist nicht… Ich meine, sie wird wieder sprechen. Ganz bald.“ „Hmmm…“ Wieder öffnete sich die Küchentür und Hilda kam heraus. In der Hand hielt sie die Puppe, die Jowy als den kleinen Bären wiedererkannte, den Pohl Pilika geschenkt hatte. „Ich habe das hier gestern Nacht in der Eingangshalle gefunden und gewaschen“, erklärte Hilda und beugte sich zu Pilika herunter. „Das gehört doch dir, nicht wahr?“ Schüchtern nickte das Mädchen. „Das habe ich mir gedacht“, fuhr Hilda lächelnd fort. „Er ist jetzt sauber und trocken. Da hast du ihn.“ Pilika strahlte, nahm den Bären glücklich in Empfang und drückte ihn liebevoll an sich. „Danke, Hilda“, sagte Jowy mit belegter Stimme. „Das…“ „Das geht schon in Ordnung, Kinder“, beruhigte die Wirtin ihn und strich Pilika übers Haar. „Wir sehen uns dann zum Abendessen!“ Einerseits war es angenehm, sich ausruhen zu können. So nahe an der Hauptstadt des Staatenbunds brauchten sie nicht mit einem Angriff der Highland-Armee rechnen, aber dennoch stellte Jowy fast, dass er absolut rastlos war. Er hatte Pilika beim selbstvergessenen Spielen mit ihrem Bären zugesehen und sich gefragt, wie lange das noch möglich war. Nachdem er Pilika nach dem Abendessen ins Bett gebracht hatte, versammelte sich das kleine Grüppchen im Speisesaal, um eine Lagebesprechung abzuhalten. Die Gemüter waren angespannt, obwohl oder gerade weil sie den Tag über hatten ruhen können. „Wir müssen einfach nach Muse!“, rief Nanami und ballte hilflos eine Faust. „Wir müssen uns mit Viktor treffen!“ „Wir wissen nicht mal, ob er es überhaupt geschafft hat“, erwiderte Jowy kopfschüttelnd. „Viktor und Flik große Krieger“, erklärte Gengen überzeugt. „Sie geschafft, keine Sorge.“ Jowy lächelte schwach und nickte dem Kobold zu. Riou seufzte leise und murmelte dann: „Das ändert trotzdem nichts daran, dass wir nicht nach Muse kommen. Es sei denn einer von euch hat in den letzten paar Stunden einen Passierschein besorgen können.“ „Man könnte sich einschleichen…?“, schlug Nanami halbherzig vor, doch Hanna erstickte diese Idee gleich im Keim: „Das wäre das dümmste, was wir tun können. Oder möchtest du gleich im Kerker landen?“ „Also ich verstehe überhaupt nicht, warum wir dieses Problem überhaupt haben“, mischte sich Zamza ein. „Viktor sollte längst dafür gesorgt haben, dass man uns einlässt! Er ist ja so unzuverlässig, wie hat es dieser Mann geschafft, den Befehl über eine Armee diesen Ausmaßes zu bekommen?“ Er schnaubte. Insgeheim fragte sich Jowy das auch, weil Viktor seiner Erfahrung nach nicht unbedingt das größte Organisationsgenie unter der Sonne war – aber Zamza Recht zu geben, wäre ein Zeichen für den Magier, in seinem Gemecker fortzufahren… und dafür hatte er nun wirklich keinen Nerv. „Vielleicht könnte man ihm eine Nachricht zukommen lassen“, überlegte Riou laut. „Aber dann hätten wir wieder das Problem, dass wir jemanden finden müssen, der einen Passierschein hat…“ Er seufzte. „Das ist eine ganz schön blöde Situation.“ „Wenn wir jemanden finden, der einen Passierschein hat, können wir ihn auch fragen, ob er uns mit in die Stadt nimmt!“, erwiderte Nanami. „Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert gibt?“ „Wenn man jetzt Passierscheine braucht, um in die Stadt zu kommen, wird wohl kaum jemand einen Trupp heruntergekommener Reisender mitnehmen“, wandte Jowy ein. „Ich bin nicht heruntergekommen!“, schnarrte Zamza beleidigt dazwischen. „Ich komme nur nicht dazu, mich genügend um sich selbst zu kümmern.“ „Äh…“ Aus dem Konzept gerissen, sah Jowy den Magier einen Moment lang verwirrt an, doch bevor er den Faden wiederaufnehmen konnte, betrat Hilda den Saal. „Ist bei euch alles in Ordnung?“, fragte sie und betrachtete besorgt die angespannten Gesichter der Versammelten. „Sag mal, Hilda…“, begann Riou zögernd. „Wäre es möglich, jemanden mit einem Passierschein zu bitten, einem Freund von uns in Muse eine Nachricht zu überbringen?“ „Ich denke schon“, nickte die Wirtin und lächelte dann entschuldigend. „Ich würde euch ja anbieten, es selbst zu tun, aber ich fürchte, dass Alex unseren Passierschein hat. Er ist für diese Art von Dingen zuständig, wisst ihr?“ „Oh, schon gut“, winkte Riou ab. „Es ging nur ums Prinzip.“ „Ihr solltet euch morgen in der Gegend umhören“, riet Hilda ihnen. „Hier gibt es einige Händler, die regelmäßig nach Muse gehen, einer von ihnen wird eure Nachricht sicher überbringen.“ „Dann werden wir uns morgen umhören“, beschloss Jowy. „Etwas Anderes bleibt uns ja momentan nicht übrig.“ Irgendetwas störte ihn. Da war etwas, was nicht hierher gehörte. Mit einem unzufriedenen Brummen öffnete Jowy die Augen und verzog das Gesicht, als er sofort von dem viel zu grellen Licht geblendet wurde. Oh, es war bestimmt viel, viel zu früh zum Aufstehen! „Raus aus den Federn!“, ertönte Nanamis vorwurfsvolle Stimme. „Du bist furchtbar, Jowy!“ „Ich schlafe“, erwiderte er und gähnte demonstrativ. „Nicht mehr, wir haben noch einiges vor heute. Los, beweg dich!“ „Ist es etwa schon Morgen?“ „Ja, ist es“, antwortete Riou, der gemeinsam mit Nanami neben Jowys Bett stand. „Leider.“ Zu der Erleichterung des Aristokraten klang auch sein bester Freund müde… Offensichtlich hatte Nanami nicht nur ihn zu früh aus dem Bett geholt. „Ist ja gut, ich steh ja schon auf…“ Er richtete sich auf und fragte sich gerade noch, was für ein Gewicht an seinem linken Bein hing, als er auch schon die Decke zurückschlug und Pilika entdeckte, die sich an sein Bein klammerte und ihn mit zerstrubbelten Haaren angrinste. Er blinzelte, runzelte die Stirn und blickte dann zu Nanami. „Das war deine Idee, richtig?“ „Ach was“, winkte sie unschuldig ab. „Ich habe nur Riou geweckt.“ Jowy seufzte, brummte wieder und strich dann Pilika übers Haar, ehe er ihre Arme sanft von seinem Bein löste und vorschlug: „Lass uns frühstücken gehen, ja?“ Das kleine Mädchen nickte und drückte den Plüschbären an sich, dann hüpfte sie von seinem Bett und wartete geduldig darauf, dass die Jugendlichen ihr nach unten folgten. Das Frühstück war, wie alle anderen Mahlzeiten im Weißen Hirsch, absolut köstlich und fast bereute Jowy es, dass sie gehen würden. Aber es gab Dinge, die wichtiger waren… „Ich hoffe, ihr habt euren Aufenthalt genossen“, sagte Hilda, als die Freunde sich an der Rezeption einfanden, um ihre Kosten zu decken. „Wir hatten eine wunderbare Zeit“, versicherte Nanami ihr, „und das Essen war auch wundervoll.“ „Freut mich zu hören“, erwiderte Hilda mit einem glücklichen Lächeln. „Ich würde mich freuen, euch irgendwann wieder hier begrüßen zu dürfen!“ „Wir sehen, was sich machen lässt“, nickte Jowy und Nanami fügte hinzu: „Liebend gern!“ Riou zählte die Münzen aus seiner Geldbörse ab und fragte dann an seine Gefährten gewandt: „Habt ihr alles?“ „Ja“, antwortete Nanami, „lass uns los.“ Sie verabschiedeten sich von Hilda und wollten gerade das Gasthaus verlassen, als die Tür von außen geöffnet wurde und ein vor Wut sprühender Alex die Empfangshalle betrat. Überrumpelt hielt Jowy inne und sah zu, wie Hilda ihren Platz hinter dem Tresen verließ und besorgt an die Seite ihres Mannes eilte. „Alex!“, rief sie, irgendwo zwischen Überraschung über sein plötzliches Auftauchen und Sorge über seine düstere Miene. „Was ist los?“ „Diese verdammten Städter!“, knurrte Alex zurück. „Niemand hat mir geglaubt! Und sie haben mich sogar einen Lügner genannt, kannst du dir das vorstellen, Hilda?!“ Seine Frau legte ihm behutsam eine Hand auf den Oberarm und sagte sanft: „Alex… Wir brauchen doch keinen Schatz.“ Alex schien von dieser Idee eher mäßig begeistert. „Was sagst du denn da?“, verlangte er zu wissen. „Diesmal habe ich wirklich den Weg zum Schatz gefunden.“ Irgendwie hatte Jowy das Gefühl, dass Alex dies schon öfter geglaubt hatte… und auch, dass Hilda nicht das erste Mal versuchte, ihm diese Schatzsuche auszureden. Er wollte sich eigentlich abwenden – dieser kleine Ehestreit oder was auch immer es war, ging ihn nicht das Geringste an – doch Pilika hielt ihn davon ab. Mit großen Augen sah sie zu dem Ehepaar hinüber und drückte mit einer Hand ihren Stoffbären an sich, während sie mit der anderen Jowys Hand hielt. „Ich will dir doch ein gutes Leben ermöglichen…“, fuhr Alex ein wenig leiser fort. „Nicht mitten im Nirgendwo wie hier! Wir könnten dann ein Gasthaus in Muse eröffnen!“ Hilda seufzte und setzte zu einer Antwort an, doch dann ertönte plötzlich Nanamis Stimme: „Ähm… Verzeihung, aber… Als du Städter gesagt hast, meintest du damit die Bürger von Muse?“ Verwirrt drehte sich Alex zu ihr um und der Rest der Anwesenden tat es ihm gleich. Was hatte sie vor…? „Ja“, antwortete Alex stirnrunzelnd. „Na und?“ „Ähm… Das heißt doch, dass du einen Passierschein hast?“ „Ja“, nickte der Wirt eine Spur misstrauischer. „In letzter Zeit kommt man ohne nicht mehr in die Stadt.“ Nanami schien fieberhaft zu überlegen, dann setzte sie etwas auf, was sie wohl für ein charmantes Lächeln hielt, und fragte: „Also, hmm… Könntest du ihn uns vielleicht leihen? Wir müssen ganz dringend nach Muse und die Wache lässt uns einfach nicht rein…“ Jowy stöhnte. „Nanami, das ist doch nicht dein Ernst!“, rief er ungläubig. „Weißt du, wie dreist das ist?“ „Was sollen wir denn sonst machen?“, entgegnete Nanami sichtlich beleidigt. „Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass-“, wandte Riou leise ein, wurde jedoch von Alex unterbrochen: „Wartet mal.“ Er betrachtete die Gruppe eine Weile aufmerksam, inspizierte jeden einzelnen von ihnen und sagte schließlich: „Wisst ihr was, ich mache euch ein Angebot.“ „Was für ein Angebot?“ Misstrauisch zog Jowy die Brauen zusammen. „Ihr helft mir, den Schatz zu bergen, und dafür gebe ich euch meinen Passierschein“, erklärte Alex. „Was sagt ihr dazu?“ Einen Moment sagte keiner etwas, dann zuckte Riou mit den Achseln und sah seine Gefährten an. „Klingt gut. Was sagt ihr dazu?“, fragte er. „Ich bin einverstanden!“, antwortete Nanami, scheinbar zufrieden mit sich selbst. „Ist das nicht gefährlich?“, äußerte Jowy deutlich weniger enthusiastisch seine Zweifel. „Ich meine, es gibt ja wohl einen guten Grund, warum du Hilfe brauchst.“ Alex lachte auf und erwiderte: „Ach was, das sollte kein Problem für euch sein. Wahrscheinlich brauche ich ohnehin nur jemanden, der mir hilft, den Schatz zu tragen.“ „Gengen guter Krieger“, erklärte der Kobold laut und bellte, wie um seine Aussage zu unterstützen. „Gengen noch besserer Schatzsucher!“ „Meinetwegen“, meinte auch Hanna achselzuckend. „Wenn das bedeutet, dass wir nach Muse kommen, dann nur zu.“ „Wenn es unbedingt sein muss…“, bestätigte auch Zamza, doch Jowy glaubte trotzdem, etwas Vorfreude in den Augen des Magiers zu entdecken. Riou nickte, dann wandte er sich wieder zu Alex um: „Wir helfen dir.“ „Super!“, rief Nanami und klatschte in die Hände. „Wir gehen auf Schatzsuche!“ Einmal abgesehen davon, dass Jowy ihre Begeisterung kein Stück teilen konnte, war er auch von dieser ganzen Aktion kein Stück überzeugt. Irgendetwas… machte ihn bei dieser Sache stutzig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)