Tücken des Schicksals von Shizuno (Die Chronik der Unsterblichen) ================================================================================ Kapitel 1: Vergangenheit und Gegenwart -------------------------------------- Die Chronik der Unsterblichen - „Tücken des Schicksals“ Abschnitt 1 Kapitel 1 - Vergangenheit und Gegenwart Ende 16tes Jahrhundert – Irland, tief im Südwesten der Insel. Steile, zerklüftete Gebirge teilten hier das Land in viele schmale Täler und weitläufige Ebenen. In einer dieser Talsenken lag Ballyvoge. Ein kleines, nicht einmal mehr als 50-Seelen-Dorf, deren Menschen friedlich und bäuerlich ihr Leben verbrachten. Die meisten von ihnen verdienten sich ihren Unterhalt mit Viehwirtschaft, Handwerk und deren Handel nach außen mit den anderen ebenso verstreuten Dörfern. Ein paar der Jüngeren erarbeiteten sich Lohn und Sold am Hofe des Fürsten Mael Mac Brian. Dieser besaß nicht weit entfernt in Lissagriffin, einer der wenigen Kleinstädte in der Umgebung, ein Anwesen und ihm gehörte der Großteil dieses Landes. Ayden Mac Gowan, der Sohn des Dorfschmiedes, betrat das große Lager seines Vaters. Die Scharniere der Holztür quietschten geräuschvoll beim Öffnen, als wollte das Bauwerk mal wieder daran erinnern, dass es, alt geworden, schon zu viele Jahre hier stand. Ayden ließ die Tür hinter sich wieder ins Schloss zurück fallen und schaute sich dann suchend im Innenraum um. Die kastenförmig unterteilten Ecken des Schuppens waren fast alle vollgestopft mit Heuballen und Geräten. Die andere Seite füllte Schmiedematerial, das sein Vater zum Arbeiten benötigte. Doch das alles interessierte ihn gerade nicht wirklich, er hielt nach etwas ganz anderem Ausschau. Er blickte nach oben, denn über ihm erstreckte sich das weite Spitzdach des Gebäudes, breite Holzstreben verliefen horizontal über die gesamte erste Etage. Sein Blick suchte die Balken ab, doch er konnte noch immer niemanden entdecken. „Kiara, bist du hier? Es gibt Arbeit für dich, los, genug gefaulenzt!“ rief er, während er herumlief. Hinter einem Stützbalken bemerkte er dann doch eine Bewegung. „Was heißt hier faulenzen?“ Kiara lehnte sich dahinter hervor. „Es ist gerade mal Mittag und ich habe schon mehr gemacht als du heute“ entgegnete sie verschmitzt und verschwand wieder kichernd hinter dem Balken. „Ich habe heute auch ausnahmsweise mal frei. Na warte, komm du mir mal da runter!“ Er suchte erneut den Dachstuhl des Hauses ab, doch sie war schon wieder verschwunden. „Ich bin doch schon unten.“ ertönte es plötzlich hinter ihm und überrascht drehte er sich nach der Stimme um. „Du solltest dir wirklich andere Plätze für deine Pausen aussuchen, irgendwann brichst du dir noch mal das Genick bei deinen Klettereien.“ Um sie zu necken, wuschelte er ihr dabei durch die langen Haare. „Hey, lass das“ protestierte sie daraufhin mit gespielter Verärgerung und warf ihm einen bösen Blick zu. Er hörte auf und schaute ihr nur belustigt dabei zu, wie sie versuchte, ihre störrischen Locken wieder zu bändigen. „Vater schickt mich, du sollst für die Kräuterfrau irgendetwas erledigen. Geh bitte bei ihr vorbei“ meinte ihr Bruder nun, doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Gibt es da noch etwas, das du mir sagen willst?“ fragte Kiara vorsichtig, denn seine bedrückte Stimmung war ihr nicht entgangen und ein arbeitsfreier Tag war bei ihm sehr ungewöhnlich. „Es sieht so aus, als müssten wir unser Schwerttraining für eine Weile ausfallen lassen“ antwortete er ausweichend, aber ihr entging dabei nicht die Besorgnis, die nun in seiner Stimme mitschwang. „Was ist den los?“ fragte sie erneut, doch Ayden zögerte ein wenig. „Man hört von immer mehr Überfällen von Plünderern, die ganz in der Nähe ihr Unwesen treiben. Fürst Mac Brian schickt nun Männer, um sie ausfindig zu machen.“ Ohne, dass er sich dessen bewusst war, senkte sich seine Hand nervös auf den Schwertgriff. Ihr hingegen entging die Geste keineswegs, anscheinend waren es keine gewöhnlichen Plünderer, sonnst würde der Fürst nicht extra Soldaten nach ihnen ausschicken. Kiara schaute ihn nur betrübt an und bemühte sich, es ihm nicht noch schwerer zu machen. „Wann werdet ihr aufbrechen?“ „Wahrscheinlich schon morgen. Ich weiß nicht, wann wir wiederkommen“ entgegnete er, an ihrem Blick konnte er sehen das sie sich mehr Gedanken machte, als sie sich anmerken ließ. Auch wenn es unpassend wirken musste, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Augen erinnerten ihn immer wieder an seine Mutter. Es war genau das gleiche matte Grün. Kiara hatte sie nie kennengelernt, sie war noch zu klein gewesen, um sich daran zu erinnern, aber sie hatte so viel Ähnlichkeit mit ihr. Auch sie hatte diese Art, sorglos zu wirken, weil sie andere nicht mit ihren Gefühlen belasten wollte, doch an ihrem Blick konnte man sehen, was sie wirklich fühlte. „Versprich mir, dich um alles zu kümmern“ bat er und bekam ein Nicken zur Antwort. Dann wandte sich Kiara ab, um zu gehen, wartete aber an der Tür ob er folgte. Ayden schaute ihr nach. „Und Kiara, pass auf dich auf und mach keinen Blödsinn. Du weißt, ich erfahre alles!“ meinte er nun wieder ihm scherzhaften Tonfall und schloss erst dann zu ihr auf. Daraufhin lachte sie nur. „Ich doch nicht.“ ~*~ „Tja, keinen Blödsinn machen… Zu was er das hier wohl zählen würde?“ fragte Kiara sich traurig und versuchte, die Erinnerungen an damals zu verdrängen. Nachdem sie die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, ging sie durch das kleine, spärlich eingerichtete Zimmer zum Tisch hinüber. Von diesem holte sie ihre Ausrüstungstasche mit hinüber zum Bett, doch bevor sie sich dort nieder ließ, nahm sie ihren Schwertgurt ab, legte ihn aber griffbereit neben sich - nur vorsichtshalber. Das Bett knarrte leise und fühlte sich schon im Sitzen nicht besonders bequem an. Erst nach einem tiefen Atemzug schaute sie sich im Raum um. Ihr gegenüber stand ein kleiner Tisch, der neben dem Bett, auf dem sie saß, als einziges noch den kargen Raum füllte. Die Steinwände waren leer, bis auf eine flackernde Öllampe, die von der Decke hing. Der Blick aus dem einzigen Fenster verriet ihr, dass es nun schon später Abend war. „Was soll's…“ sagte sie sich, immerhin mehr Luxus, als draußen zu schlafen. Sie versuchte, die nun wieder in ihr hochsteigenden Emotionen und Bilder niederzukämpfen. Mit der linken Hand fuhr sie unbewusst über die Narbe an ihrer Wange. 15 Jahre war es nun her, sie hatte gedacht, mit der Zeit würde es leichter werden, die Situation zu akzeptieren. Aber an manchen Tagen waren die Erinnerungen so klar, als wäre alles erst gestern gewesen. ~*~ Quer über den großen Marktplatz, schlenderte Kiara aus dem Dorf hinaus, zu einem Gebäude das ein wenig Abseits des alltäglichen Lebens lag. Es gehörte der Heilerin und zugleich auch ältesten Frau im Dorf. Ihr Haus, das geschätzt wohl schon die dreifache Zeit ihres Lebens auf dem Buckel hatte, war im Gegensatz zu den anderen sehr schlicht, dafür mit einem kleinen angrenzenden Garten. Die Alte Dame zog die Abgeschiedenheit dem Trouble vor und viele suchten ihre Gesellschaft nur, wenn sie ihre Künste benötigten. Sie kannte sich hervorragend mit den verschiedensten Kräutern und Pflanzen aus, dadurch wirkte ihr Wissen manchmal unerschöpflich. In den letzten Jahre war sie Kiara eine enge Vertraute geworden und diese schaute hier vorbei, so oft es ihr möglich war. Kiara klopfte an der Vordertür. Als ihr keiner antwortete, betrat sie einfach das Haus. Der Innenraum des Gebäudes war nur sporadisch ausgeleuchtet, die Fensterläden waren wie immer nicht ganz geöffnet worden. Ein stark würziger Geruch hing im ganzen Haus, die getrockneten Kräuter, die überall im Haus an Leinen von der Decke hingen, verbreiteten ihn bis in die letzte Ecke. Ob in den Regalen, auf Schränkchen oder dem Fußboden, im Wohnraum standen überall Pflanzentöpfe, Bücher und andere Utensilien herum. Kiara sah jedoch gleich, dass schon wieder neue Pflanzen auf dem großen Tisch lagen, der sich in der Mitte des Raumes befand. Um diese genauer zu betrachten, ging zu ihm hinüber. Die fast armlangen Kräuter hatten dicke, fleischige Stängel, an deren Enden sich fächerförmige Blätter und Blütenknospen befanden, deren ungewöhnliche Rotfärbung ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie nahm eine der Pflanzen in die Hand und roch vorsichtig an ihr. „Das würde ich nicht machen, außer du willst die nächsten Tage das Bett hüten“ riet ihre eine freundliche Stimme aus dem hinteren Teil des Hauses. Kiara legte sofort die Pflanze wieder zurück. „Vater meinte ich soll vorbei kommen. Für was brauchst du mich?“ Die alte Frau kam näher und umarmte sie zur Begrüßung. „Ich möchte dich bitten, mir innerhalb der nächsten paar Tage aus dem Dorf Callras etwas zu holen. Ein Händler dort hat noch mehr von diesen Pflanzen, aber ich möchte nicht warten, bis er das nächste mal bei uns vorbeikommt.“ Ohne zu überlegen, nickte Kiara bejahend und nahm von ihr die Tasche für die Ware entgegen. „Was sind das denn für Kräuter?“ Sie zeigte auf den Tisch hinüber und schaute sich das Gewächs noch einmal genauer an, aber diesmal mit mehr Abstand. Die alte Frau trat neben sie. „Ich dachte mir schon dass du noch einmal nachfragst. Das hier sind bei seltene Debilitas-Pflanzen die ich von einem Reisenden abgekauft habe. Er hatte sie von dem Händler in Callras.“ Ihr entging nicht das Schmunzeln auf dem Gesicht der Alten. „Was genau bewirken sie?“ fragte Kiara neugierig. „Du musst genau hinschauen, dann siehst du, dass die Stiele Dornen tragen. Wenn du dich daran verletzt oder sie mit den Blüten zusammen zu Pulver verarbeitest, wirken sie lähmend und verursachen starke Benommenheit. Doch viel interessanter sind die Blätter. Sie haben die gleiche Wirkung, aber wenn man aus ihnen eine Paste herstellt, ist die lähmende Wirkung um ein Vielfaches verstärkt...“ Sie tippte Kiara auf die Brust „... Und bringt so dein Herz zum Stillstand.“ Kiara schluckte, doch die alte Frau lächelte sie nun wieder fröhlich an. „Hast du das Buch bei dir?“ fragte sie und Kiara nickte, während sie ein handtellergroßes Buch mit braunem Ledereinband aus ihrer Tasche zog. „Gut, die Pflanze müsste bereits erwähnt sein. Du kannst dir gerne eine kleine Probe nehmen.“ Kiara trug noch ein paar ergänzende Informationen in das kleine Buch ein und nahm sich noch während des Schreibens vor, nie wieder eine ihr unbekannte Pflanze anzufassen, bevor sie nach ihrer Wirkung gefragt hatte. ~*~ Noch immer auf dem Bett sitzend nahm Kiara ein dunkles, abgenutztes Buch aus ihrer Tasche und drehte es behutsam in den Händen, dann schlug sie es vorsichtig auf. Die Seiten waren mit den Jahren vergilbt, aber noch immer ein reichhaltiger Schatz an Wissen, ein Sammelsurium von Zeichnungen und Text, aber nur teilweise mit aufgeklebten Proben. Mittlerweile konnte sie es auswendig, aber trotzdem musste sie immer wieder darin lesen. Langsam blätterte sie es durch, bis sie fand, was sie suchte. „Debilitas-Gewächs …“ flüsterte sie zu sich selbst und strich sanft mit der Hand über das Papier. Ja, damit hatte alles angefangen. Was wäre gewesen, wenn sie damals nicht am gleichen Tag noch nach Callras geritten wäre? Was hätte es geändert? Nachdem sie die Seite zum bestimmt hundertsten Male durchgelesen hatte, klappte sie das Buch wieder zu und legte es behutsam in die Tasche zurück. Sie ließ sich rücklings auf das Bett fallen. So oft hatte sie sich schon diese Frage gestellt, so oft in Gedanken alles Revue passieren lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)