Shut up! von mathilda (Oneshot) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Tap Tap Tap taptap Tap Gilbert fand, dass das Klackern seines Kugelschreibers eine gute Begleitung zu der antiken Standuhr, welche sich in einer Ecke des Klassenzimmers verbarg, was er vor einigen Monaten fest gestellt, als sie aus der Eingangshalle des renommierten Internates in den Unterrichtsraum für Deutsch umgezogen war. Es war eine Angewohnheit seinerseits, die er nicht ablegen konnte, in unregelmäßigem Rhythmus auf die Oberfläche seines Tisches zu trommeln, welche ihm die Erkenntnis gebracht hatte, dass das hohle Ticken der Uhr einen passablen Bass abgab. Heftig mit den Hacken auf den das Mahagonipacket zu stampfen passte auch nicht schlecht, aber es endete im Normalfall damit, dass er einen Schwamm gegen den Kopf geworfen bekam und er war nicht sonderlich erpicht darauf an Kreidestaub zu ersticken. Ein solch unwürdiger Tod war ihm der Spaß dann doch nicht wert. Tap Tap tap taptaptap tap Tap Tap “Gilbert!” Ta- “Hö?” ‘-p Tap Tap Taptap tap Tap Tap taptap Tap Eine Hand landete lautlos aber bestimmt auf seiner, ließ das Stiftgetrommel verstummen und erlaubte der Standuhr ein kleines, einsames Basssolo. „Du nervst.“ Gilberts purpurnen Augen schielten seitwärts in das unzufriedene Gesicht seines jüngeren, jedoch ernsthafteren, Bruders. Er grinste. „Du nervst doch selber.“ konterte er und streckte ihm spöttisch die Zunge heraus. Ein nervöses Zucken ging durch Ludwigs Gesicht und er verstärkte unwillig den Druck seiner Hand. „Du…“ Was immer der jüngere der Weillschmidtbrüder auch sagen wollte, er wurde von einem ihm gegen die Schläfe prallendem Schwamm unterbrochen. Eine Wolke weißer Kreidepartikel ließ beide, Gilbert und Ludwig husten, als sich der trockene Staub in Kehle und Nase festsetzte. „Scheiße, Mann!“ japste Gilbert und warf sich quasi vom Stuhl um sich dreist auf dem Boden zu fläzen und melodramatisch mit sämtlichen Gliedmaßen zu rudern “Argh! Mein…Gott! Wir…in unserer… Herrlichkeit…sind am…Ersticken!“ Ein weiterer, mit alarmierender Treffsicherheit, geworfener Schwamm touchierte seine Nase. Welch grausame Welt! Mrs. Elizabeth Héderváry, oder Mrs. Elizabeth, wie sie genannt zu werden bestand, hatte nicht das kleinste bisschen Mitleid mit dem ächzenden Teenager. Sie ignorierte den jüngeren der Weillschmidt, welcher mit lediglich ein paar Restchen weißen Staubes auf seiner Uniform seine Fassung wiederfand, um sich vor dem allerlästigsten ihrer Schüler auf zu bauen. „Weillschmidt!“ „Gilbert!“krächzte er rau „Ich bin viel zu cool, um Weillschmidt genannt zu werden, wie ein alter Knacker. Weillschmidt ist die Spaßbremse da drüben!“ er winkte vage in die Richtung seines Bruders, wobei er sich das Bein an seinem Tisch anstieß. „Au.“ Ein weiterer Schwamm (Wie diese verrückte Ungarin die Dinger aus dem Nichts hervor zu zaubern wusste, war ihm ein Mysterium!) schwang bedrohlich über ihm und Gilbert verzog sich ein bisschen mehr Richtung Dielenboden. Nicht das er Angst hatte, er wollte nur nicht einen weiteren Mund voller Kreide abbekommen. „Weillschmidt.“ betonte sie beharrlich mit wirklich furchterregender Miene „Setzt dich wieder auf deinen Platz.“ „Okay, okay…ich werde mein bezauberndes Hinterteil dorthin bewegen.“ Ein paar Minuten später, war Gilbert erneut damit beschäftigt, ein Staccato auf seinem Tisch zu trommeln. Diesmal unterbrach ihn Ludwig nicht. Eigentlich schade. Das renommierte Privatinternat Hetalia war in England nahe der walisischen Grenze gelegen. Die Regeln, die Schlafsäle betreffend, waren recht streng. Die Schüler stammten aus aller Herren Länder und ein gehobener finanzieller Hintergrund ihrerseits war üblich, Gilbert und Ludwig bildeten da keine Ausnahme. Die Aufteilung in die verschiedenen Schlafunterbringungen war politischen Gründen geschuldet, deren nähere Erläuterung jedoch lediglich zu Verwirrung führen würde. Europäische Studenten kamen in den europäischen Sektor, die asiatischen hatten ihre Schlafräume im asiatischen Trakt und so weiter. Zusätzlich wurden die Schüler noch in Geschlechter und Klassen unterteilt, aber das sei, so spannend es auch klingen möge, nur am Rande bemerkt. Gilbert war, ziemlich komfortabel, wie bemerkt werden darf, gemeinsam mit seinem kleinen Bruder untergebracht. Aber, teilte man sich mit Ludwig den Raum, so sah man sich quasi gezwungen ebenfalls mit Feliciano Vargas, welcher wohlgemerkt eigentlich seinen eigenen Schlafraum hatte, zu teilen. Ernsthaft, der Junge lebte ja sozusagen schon bei ihnen. Feliciano wurde manchmal von einem ruhigen Japaner namens Kiku Honda begleitet. Möglicherweise auch von seinem von seinem älteren Bruder, Lovino, welcher, was oftmals extrem amüsant war, gegen Ludwig tobte und wetterte und ihn mit italienischen Schimpftiraden und geworfenen Tomaten bedachte. Im Falle von Lovinos Anwesenheit war, würde sich auch Antonio, dieser Tomatengigolo, hineinschleichen und, Lovino mit sich ziehend, Gilberts Bett in Beschlag nehmen, und ab diesem Punkt wurde es einfach nur hoffnungslos chaotisch und er hatte einen ganzen verfluchten Zoo in seiner privaten, persönlichen Blase. Auch wenn Gilbert durchaus nachvollziehen konnte, dass die Leute nicht widerstehen konnten, sich in den Strahlen seiner Herrlichkeit sonnen zu wollen…Gilbert brauchte seine Gilbertzeit nur mit Ludwig! (Ludwig zählte als Interieur, in etwa sowas wie eine Backsteinmauer, deshalb war er auch während der Gilbertzeit in Gilberts persönlicher Blase erlaubt.) Jeglichen Versuch seine Hausaufgaben zu machen konnte er, angesichts des Chaos, welches seinen und Ludwigs Schlafraum beherrschte, zum Fenster herauswerfen. So sah sich Gilbert dazu genötigt, seine knappbemessene Freizeit damit zu verbringen, Antonio und seine unruhigen Hände von seinem Bett herunter und Richtung Tür zu prügeln. Wofür er sein ohnehin schon arg in Mitleidenschaft gezogenes Kissen zweckentfremdete. „Raus! Raus, du verfickter, Tomaten liebender Vollidiot! Und nimmt dein italienisches Boytoy mit!“ „Aua! Autsch! Gilbert! Hör au…“ „Wen nennst du hier Boytoy, deutscher bastarda?!“ „Jetzt reicht‘s aber mit dem ganzen Scheißdreck hier, Alter!“ „Deutscher Bauerntrampel!“ „¡Cálmate!" „Genug!“ Alles erstarrte. Erschrocken fuhren Köpfe zu einem im höchsten Maße verstimmten Ludwig herum. Feliciano quietschte und beeilte sich, wie er es meistens tat, wenn sein „bester Freund“ einen seiner Ausbrüche hatte, sich außerhalb des Blickfelds des größeren der Weillschmidts zu begeben. Gilbert nutzte die plötzliche Ruhe um einen weiteren Schlag auf Antonios Hinterkopf zu schummeln. Ludwig bebte am ganzen Leibe. „Hört mit dem Quatsch auf! Ihr benehmt euch wie kleine Kinder! Entweder ihr haltet die Klappe oder ihr geht raus!“ beendete er die Angelegenheit, während er den dreien heftig den Weg zur Tür deutete, durch die Gilbert Antonio schon beinahe gejagt hatte. Zum Glück für Ludwig, der kurz davor war seinen Verstand zu verlieren, wusste Antonio, so begriffsstutzig er auch manchmal war, die Stimmung zu deuten. „Schon klar, Mann. Lovino, Feliciano, ich besorg uns Pasta.“ „PASTA!“ jubilierte Feliciano und überrannte die drei, was einen kurzen Moment der Verwirrung und einige Flüche nach sich zog, ehe die beiden Italiener und der Spanier endlich gingen und einen grummligen Ludwig und einen immer noch zerzausten aber breit grinsenden Gilbert zurückließen. „ Mann, was für ein Ausraster.“ stichelte Gilbert, die Lippen zu einem spöttischen Grinsen kräuselnd, und stolzierte an seinem Bruder vorbei. „Hmpf.“ Wow. Ludwig war wirklich eine Backsteinmauer. Eine grimmige, sprechende zwar, jedoch nichts desto trotz, eine Backsteinmauer. „Sei nicht so verkrampft, Lutz. Warum versuchst du nicht, mal ein bisschen chilliger werden, so wie dein unübertrefflicher Bruder?“ Ludwig stoppte mitten in der Tätigkeit seine Hausaufgaben aus seiner Schultasche zu ziehen und warf seinem Bruder einen leicht ermatteten Blick über seine Schulter zu „Vielleicht, weil ich mich tatsächlich ein wenig dafür interessiere, was für Noten ich habe, Gilbert.“ Spaßverderber. „Argh! Ich bin getroffen!“ Gilbert täuschte einen Schwächeanfall vor und landete mit einem pathetischen Seufzer rücklings auf seinem Bett. „Mein unermessliches Ego… kann dein Dauergemaule… nicht ertragen!“ Ernsthaft! Ja, er liebte seinen kleinen Bruder, aber dessen verdammt krampfige Persönlichkeit war einfach deprimierend. Ludwig brauchte eindeutig entweder `ne Freundin oder sollte es mal anständig besorgt kriegen. Eins von beiden war auf jeden Fall dringendst nötig! Die Inspiration traf Gilbert, wie ein Blitz. „Und ich weiß genau, was dagegen zutun ist.“ frohlockte er, schnellte ruckartig in eine aufrechte Position hoch und schlug mit der der Faust in seine Handfläche. „Lutz! Dein unvergleichlicher Bruder hat eine Lösung für dein Stock-im-Arsch-Problem!“ Ludwig wirkte nicht gerade übermäßig erfreut ob dieser Aussicht. Genau genommen wirkte er eher leicht verzweifelt. „Was denn?“ fragte er skeptisch, während er durch die sein Hausaufgabenheft zum Eintrag dieses Tages blätterte. „Du musst mal ordentlich flachgelegt werden. Und ich weiß auch schon wer gewillt ist, diese grimmige Miene in ein befriedigtes Strahlen zu verwandeln!“ Der jüngere der Weillschmidtbrüder konnte nicht anderes tun, als ihn entgeistert anstarren. „Was?!“ „Ja!“ Gilbert glitt mit einem unheilvollen Grinsen (welches ziemlich dem ähnelte, welches er getragen hatte, als er gemeinsam mit Francis geplant hatte, wie der österreichische Musiklehrer am Besten zu quälen sei. Was mit einem halbnackten Mr, Edelstein, einem komplett entblößten Francis sowie Gilbert mit dem Eisbärenkopf aus dem Fundus der Theater-AG endete.) vom Bett und näherte sich seinem erstarrtem Bruder. „Du bist so verspannt, und der einzige Weg, dich von deinem Problem zu heilen, ist ein kleiner Tanz zwischen den Laken, ne?“ „…“ Ludwig war, wirklich und wahrhaftig, sprachlos. „Und dein unwiderstehlicher großer Bruder, der Sexgott schlechthin, ist der Mann für den Job.“ „Wa…WAS?!“ Die folgende Nacht war Gilbert aus dem Schlafraum verbannt. Das Gute an Musikunterricht am Morgen war, dass es nicht mit besonders viel Arbeit verbunden war. Er fand gleich nach dem Frühstück und dem morgendlichen Appell statt, wenn die Schüler, noch nicht ganz wach, normalerweise wie Feliciano eine Extrastunde Schlaf nachholten, sich leise miteinander unterhielten, oder halbherzig Antworten in das Arbeitsblatt eintrugen, dass sie für den, keinesfalls so lässigen, Geschichtsunterricht in der folgenden Stunde als Hausaufgabe bekommen hatten. Gilbert hätte wohl letzteres getan, läge sein Arbeitsblatt nicht noch in seinem Zimmer, aus dem er hatte fliehen müssen. Stattdessen warf er seinem Bruder schmollende Blicke zu, während dieser sein bestes gab, den Älteren zu ignorieren und einfach Mr. Edelstein zu lauschen, welcher seinen Klavierpart des ersten Klaviertrios von Brahms spielte, in Vorbereitung auf die Orchesterprobe des A-Kurses Musik. Gilbert mochte Brahms. Sehr leidenschaftlich und unkonventionell. Aber hier ging es nicht um seinen Musikgeschmack! Es ging darum das diese dumme, wutschnaubende Backsteinmauer ohne jeglichen Sinn für Humor ihn für ein witzige Bemerkung ausgesperrt und somit dazu verdammt hatte vom Geschichtslehrer gekillt zu werden. (Nein! Er hatte keine Angst verdammt! Auch wenn er mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Mr. Germania einen ganzes verdammtes Lehrerpult mit einer Hand hochgehoben hatte, ohne dabei zu schwitzen. Er war viel zu cool, um von einem wütenden Lehrer bezwungen zu werden!) Ach! Wer wollte schon Sex mit diesem Idioten haben! Selbst wenn man sich von seinem guten Aussehen und dem ansehnlichen Körper einlullen ließ, so würde jeder doch wieder abgeschreckt durch sein verkniffenes Verhalten. Gilbert blinzelte und grinste gedankenverloren. Es sei denn, man war auf der Suche nach einem One-night-stand, dann konnte einem die wie auch immer geartete, zurückgebliebene Persönlichkeit Ludwigs egal sein. Zur Hölle! Wenn Inzest nicht strafbar wäre, würde selbst er jede Chance nutzten, Ludwig anzuspringen! Als hätte er die perversen Gedanken gespürt, wählte sein kleiner Bruder just diesen Moment, um ihn mit einem Blick zu durchlöchern, wobei die bedrohlich gemeinte Geste durch den blassen Rotschimmer auf seinen Wangen etwas an Wirkung einbüßte. Gilbert lüftete zur Antwort eine Augenbraue. Hm…interessant. Aufgrund von Ludwigs ungewöhnlicher Reaktion neugierig geworden, fing Gilbert seinen Bruder ab als sich jener sich entfernte, um zum Englischunterricht zu gehen. Er schlang vertraut einen Arm um die breiten Schultern und grüßte ihm laut „Tag auch, Brüderchen! Ein wunderschöner Morgen, nicht war?“ Ein argwöhnischer Blick trübte Ludwigs Gesicht (Moment, hatte er da nicht die Idee eines Errötens gesehen?) und er antwortete in reichlich gestelztem Ton „Es regnet.“ „Ach wirklich?“ Gilbert schritt an dem Gang vorbei, der zum Geschichtsklassenraum führte und heuchelte Höflichkeit „Ich war mich nicht sicher, weißt du? Musste mir den Raum ausgerechnet mit Francis teilen. Musste eher ihn im Auge behalten, als das Fenster.“ Für Sekundenbruchteile sah Ludwig etwas schuldbewusst drein, doch dann strafften sich seine Züge wieder. „Nun, du hättest eben nicht solchen Mist von dir gegeben sollen.“ „Hey! Ich wollt‘ dir doch nur helfen!“ schnaubte Gilbert und schenkte dem anderen Blonden einen genervten Blick. „Aber, wie üblich, ignorierst du meinen phantastischen Rat. Ich mein‘ was ist falsch daran, wenn dich dein Bruder etwas von deiner Anspannung befreit?“ Der leichte, kaum wahrnehmbare rosa Schimmer, hatte sich nunmehr zu einem besorgniserregend tiefem rot verdunkelt, kolbaltblaue Augen suchten hektisch nach einer Fluchtroute. „Das liegt doch wirklich auf der Hand!“ platze es nervös Ludwig heraus. „Ich mein‘…ich bin komm zu spät zu Englisch, Gilbert!“ Er hatte recht. Der Korridor, in dem sie sich befanden, war nun leer und sie hatten am Fuße der Treppe angehalten, die zu den Englischklassenräumen hinauf führte. Gilberts Geschichtslehrer würde ihn wahrscheinlich auf schmerzhafte Weise umbringen, aber der Kontakt zu seinem Bruder hatte eindeutig Priorität vor dem Unterricht. „Hm, bist du das…?“ Egal! Auf keinen Fall würde er Ludwig so einfach entkommen lassen. Nicht solange er sich noch im Vorteil sah. „Ja, das bist du wohl.“ wiederholte er etwas lauter und nahm den Arm von den Schultern seines Bruders. Er grinste ihn an und zuckte träge mit einer Schulter. „Ich würd mich an deiner Stelle etwas beeilen, Brüderchen.“ Sich etwas beruhigend nickte Ludwig, schwieg über die Tatsache, dass es Gilbert die Schuld an seiner jetzigen Verspätung trug und begann die Treppe aufwärts zu steigen. Bis er am Ellbogen gepackt wurde. Gilbert blickte ihn merkwürdig ernsthaft an. „Weißt du…Ich hab‘s ernst gemeint.“ Die Röte schoss zurück in Ludwigs Gesicht, er entriss seinen Arm dem Griff seines Bruders und nickte erneut, obschon es etwas hölzern wirkte, bevor er die Treppe hinauf hechtete in seiner Eile zu entkommen. Gilbert beobachtete, wie er verschwand und gab, sobald die Tür laut zuschlug, seinem Drang nach. Er brach in Gelächter aus. Später, als er damit beschäftigt war, zur Strafe Schwämme gegeneinander zu schlagen und an Kreidestaubinhalation zu krepieren, dachte er sich, dass es das wirklich wert war. „Nun komm schon, Ludwig! Lass deinen großartigen Bruder doch nicht wieder bei diesem haarigen Perverso schlafen! Lass mich rein!“ Eigentlich bestand wirklich kein Grund eine solche Szene zu machen. Gilbert machte im Grunde nichts aus bei Francis zu übernachten (Es gab ein freies Bett in Francis Zimmer, weil, wegen dessen recht promiskuitiver Neigung, niemand mit dem „Schrankmonster“ in einem Raum schlafen wollte.). Er war an ihn gewöhnt. Aber seinen verklemmten Bruder zu verarschen machte nun einmal viel mehr Spaß. Um Gilbert herum schlich bereits eine Wolke neugieriger Schüler. Er grinste. „Sag bloß, du bist immer noch sauer, wegen dieser ganzen Sex-Sache!“ schrie er ein bisschen lauter, als es eigentlich nötig gewesen wäre, um durch eine dünne Holzplatte gehört zu werden. Hinter ihm erklang leises Gemurmel. Er musste einen Moment die Handfläche auf den Mund pressen, um ein manisches Giggeln daran zu hindern seinen Lippen zu entweichen. „Du weißt, ich liebe dich, Brüderchen! Meine Herrlichkeit verdient es nun einmal, auf soviele Menschen wie möglich verteilt zu werden! Ich werd immer für dich da sein! Außerdem kannst du nicht behaupten, es wäre nicht gut gewesen! Du weißt doch, ich bin einfach perfekt und überhaupt!“ Er rang in nahezu flehentlicher Manier den Armen, froh dass er sich der Tür zugewandt hatte, ansonsten wäre er angesichts seines dreckigen Grinsens sicher aufgeflogen. „Hat er grad wirklich…“ „Ich glaub’ er hat…“ „ich hab doch schon immer gewusst, dass bei den beiden was im Busche ist…“ „Vielleicht hat er es ganz anders gemeint!“ „…hat grad voll zugegeben, dass die beiden miteinander…“ „Das ist ja so heiß!“ „Die sind schwul?“ Gerade als die Lautstärke des Murmelns zu ihrem Höhepunkt angeschwollen war, öffnete sich plötzlich die Tür des Schlafraums aufgerissen wurde und Gilbert grinste unschuldig in das wutschaubende, unbehagliche Gesicht seines kleinen Bruders, bevor er grob am Revers gepackt und hinein gezogen wird. Das Zuknallen der Tür lässt das Gemurmel dahinter ersticken. „Danke fürs Reinlassen!“ zirpte Gilbert unbekümmert. „Du…“ Ludwig brach mit einem erbittertem Seufzten ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen. E schien kurz davor, sich die Haare zu raufen. „Du bist unerträglich… ich weiß nicht mal, als was ich dich bezeichnen soll!“ Gilbert grinste „Wie wär’s mit anbetungswürdig?“ Ludwig warf ihm zwischen den Finger hindurch einen Mörderblick zu. „Wie wär’s mit ‚ner Faust in deiner Fresse?!“ blaffte er, ließ die Hände sinken und stampfte enorm gereizt zu seinem Bett herüber. „Ach komm, Brüderchen! Sei nicht so!“ seufzte Gilbert und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Zimmertür. „Wenn du nur endlich zugeben würdest, dass du etwas Entspannung brauchst…“ Er schalkhaftes Grinsen umspielte seine Lippen „…dann würden sich ne Menge deiner Probleme von selbst lösen, da kannst du dich drauf verlassen.“ „Hmpf.“ Ludwig blies geräuschvoll seine Atemluft aus den Wangen „ich würd‘ mich ja liebend gern entspannen…“ murrte er etwas wehmütig ...aber deine Metho-“ Er wurde von einem großen Gewicht unterbrochen, das in seinen Rücken raste und ihn um ein Haar überrollt hätte. Nur die Arme, die sich fest um seine Hüfte schlangen, und seine Schienbeine, die gegen die Bettkante stießen, hielten ihn aufrecht. „Ich wusste, du würdest darauf zurückkommen!“ gurrte neckend und verbarg ein Lachen über das merkwürdige Gestammel, welches Ludwigs Mund verließ, sowie dem tiefem Rot, das auf dessen Wangen blühte, unter seinem Atem. Das war ja schon fast zu einfach! „Überlass nur alles mir und meine unübertrefflichen Fähigkeiten in Sachen Liebe…“ „NEIN! Wa…wa…warte!“ protestierte Ludwig und krallte sich in Gilberts Arme um sich loszueisen. „Das hab ich nicht gemeint!“ „Ach?“ Gilbert drehte den Kopf leicht zur Seite und strich mit den Lippen über das Ohr des anderen. „Und was meintest du dann, Ludwig?“ schnurrte er sanft und übte etwas Druck aus. Und da war er. Dieser seltsame Laut, den sein Bruder jedes Mal von sich gab, wenn er sich in einem Zustand absoluter Überforderung, Verwirrtheit und schierer Demütigung befand. „Ich meinte nur…Nein! Aus! AUS, Gilbert!“ bellte Ludwig und flüchtete sich in den Ton, mit dem er Zuhause seine Hunde zurechtwies. Ein weiteres Indiz dafür, wie aufgewühlt er war. „AUS!“ Gilbert zeigte ausnahmsweise mit seinem Bruder Erbarmen und ließ ihn mit einem enttäuschten Seufzer und einen Schritt zurücktretend aus seinen Armen. „Okay, okay. Jetzt mach dir hier mal nich‘ ins Höschen…“ er streckte und wandte sich von seinem schamesroten und schwer atmenden Bruder ab zu seinem Bett. Er fand, heute war wirklich ein höchst erfolgreicher Tag. Morgens, exakt Drei Uhr und achtundzwanzig Minuten in England nahe Wales. Gilbert wusste es, denn er hatte die letzte Stunde damit verbracht auf den Wecker zu starren in der Hoffnung das die Langweile ihm erlauben würde, in einen zombiartigen Zustand zu verfallen und, wie in Sachkunde* des gestrigen Tages theoretisch bewiesen. Scheinbar funktionierte es nur in der Theorie. Knurrend rollte sich der Junge vom lästigen Wecker weg, starrte stattdessen auf die Tür, welche zu ihrem persönlichen Badezimmer führte und rieb sich ruhelos die Wange. Ein zarter Laut lenkte ihn von seiner Tätigkeit ab und trieb ihn dazu, sich auf deine Ellbogen aufzustützen, um zu seinem Bett seines Bruders hinüberblicken zu können. Dieser glückliche Mistkerl schlief unübersehbar und schien, den sehr untypischen, sanften Geräuschen, welche Ludwigs Lippen entfleuchten, und dem anhaltendem Umherwälzen nach, entweder in den Qualen einem Albtraum oder sehr lebhaften Träumen festzustecken. Gilbert zog eine Augenbraue nach oben. Jeder Hoffnung auf erlösenden Schlaf konnte nun endgültig vergessen werden, Gilbert setzte sich auf, um das seltsame Verhalten seines Bruders, so weit es in der Dunkelheit möglich war, besser beobachten zu können. Naja, es war immerhin interessanter als die Tür anzustarren. Als sein Bruder fortfuhr sich umher zu werfen und irgendetwas Unverständliches auf Deutsch vor sich hin zu murmeln, seufzte Gilbert schwer und stemmte sich aus dem Bett hoch, sich streckend tappte leise zu Ludwig hinüber. Er konnte genauso gut hingehen und den Bastard treten, bis er war wurde und mit ihm leiden konnte. (Natürlich tat er es nicht, weil er dachte, jener hätte einen Albtraum!) „Hey! Ludwig!“ Gilbert beugte über seinen Bruder und bedachte die leicht schmerzverzerrten Züge des Größeren mit einem Stirnrunzeln „Hey!“ Sich noch weiter hinunter beugend, kniete er sich mit einem Bein auf die Bettkante und schüttelte ihn „Verdammt, Wa au…!“ Urplötzlich fuhr Ludwig, einen seltsam nasalen Laut von sich gebend, hoch. Es war ihm nicht möglich sich vollends aufzusetzen, da auf halber Strecke Gilberts Kopf im Weg war, sodass sie schmerzhaft mit der Stirn zusammendonnerten. Gilbert fluchte halblaut und kullerte um ein Haar vom Bett, sein Bruder ächzte und fing sich rückwärts mit dem Ellbogen auf der Matratze ab. Er blinzelte und rieb sich den roten Fleck, welcher durch den Zusammenstoß auf seiner Stirn zurückgeblieben war. „Dit kann ja wohl nich anjehn! Verficktet ollet Kaggenscheiße, Alter! Erst tut der Fatzke da Rabatz machen, so dass ick nich penn‘ kann, die olle verfickte Schwutte und denne…“** Ludwig sah verwirrt zu Gilbert herüber, der einen unflätigen Schwall Berlinerisch zum Besten gab. „Dit is ja wohl sowat von, da wees man ja jarnüscht…dieset Rumjestöhne und dieset Rumjewälze, sind wa denn uffer Kirmis oder wie?! Wenn ick da ne Beule krieg jetzte!“** „Gilbert?“ „Au! Vollidiot!“ grummelte der kleinere Weillschmidts und gab seinem Bruder finster dreinblickend einen unsanften Klaps „Warum setzt du dich so plötzlich auf? Mit dem Dickschädel hättest du mir ne Gehirnerschütterung verpassen können!“ Langsam wurden Ludwigs Blick wieder klarer, er setzte etwas mehr auf, zog dabei eine Grimasse wegen der leichten Kopfschmerzen „Tschuldigung, aber du hast angefan…“ er erstarrte „Sag mal, was machst du denn überhaupt in meinem Bett?“ „Du hast mich mit dem blöden Rumgewälze und –gestöhne wach gemacht…“ Ja, er log. Nein, es kümmerte Gilbert nicht. „…also wollt ich dich halt aufwecken.“ Er platzierte sein Hinterteil wieder auf der Bettkante seines Bruders und musterte den skeptischen Blonden, während er, sich mit der Hand durch die Zotteln fahrend, einige Haarknoten entwirrte. „Was war los? Albtraum?“ Ludwig hustete trocken und rutschte peinlich berührt hin und her. „Ja, man könnte es gewissermaßen einen Albtraum nennen…“ „Hä?...Ach ist egal.“ Gilbert stemmte sich von seinem Sitz hoch und tapste zurück zu seinem Bett, wobei er den Mund zu einem überwältigenden Gähnen aufriss. „Lass mal weiterschlafen. Nacht.“ „Ähm…Gute Nacht.“ Sobald Gilberts Kopf das Kissen berührte, konnte er endlich ins Traumland herübersegeln. Aufwachen ist eine fürchterliche Angelegenheit. Nach nur vier Stunden Schlaf kroch Gilbert mit der Grazie eines volltrunkenen Faultiers aus dem Bett, wo er zunächst erst einmal gepflegt den Teppich küsste. Die Kopfnuss in den frühen Morgenstunden und die intime Begegnung mit dem Teppich hatten ihm pochende Kopfschmerzen beschert. Gilbert ahnte schon, dies konnte nur ein beschissener Morgen werden. „Mein Gott!“ grunzte er und zog sich, unter Zuhilfenahme der Bettpfosten, wieder auf die Beine und rieb sich die Augen. „Blöder Ludwig! Das ist alles seine verdammte Schuld!“ Er schickte einen bösen Blick zur Schlafstätte seines Bruders herüber und schnaubte, als die die Laken ordentlich zu Recht gestrichen und den Schlafanzug wie abgezirkelt auf dem Kissen zusammengelegt sah. Sein Bruder war echt verrückt. Gilbert ließ sein eigenes Bett als verkrumpeltes Durcheinander zurück und torkelte ins Badezimmer, wo er beinahe mit dem Türrahmen kollidiert wäre. Benommen, wie er war, schaffte wer es noch gerade so, sich zu erleichtern und die Zähne zu putzen ohne sich dabei umzubringen. Etwas wacher als zuvor tappte er aus dem Bad und sah sich nach seiner Schuluniform, die sich hinterhältig versteckt hielt. Es brauchte ihn an die fünf Minuten des Forschens auf und unter seinem Bett, bis er sie ordentlich über der Stuhllehne eines Stuhls vor dem einzigen Tisch im Zimmer drapiert sah. Dort hatte er sie mit Sicherheit nicht hingetan. „Alter Pingel.“ Brummte er, als könnte ihn Ludwig hören. Der Grund, aus dem Gilbert Deutsch als A-Zusatzkurs genommen hatte obwohl er es fließend sprach, war dass dort die Chance auf eine gute Note ohne viel Arbeit sah. Es war ein bisschen nervend, dass man zwei A-Zusatzkurse nehmen musste, wenn man im Abschlussjahr war, aber so war nun einmal die Regel, wenn man nur zwei A-Kurse zu besuchen hatte. Er war wirklich nicht gerade erpicht darauf für einen A-Zusatzkurs irgendetwas zutun, also fiel seine Wahl auf Deutsch. Es war reiner Zufall, dass sein jüngerer Bruder ebenfalls beschlossen hatte, Deutsch zu nehmen. Jedoch sicher nicht, weil es eine leicht erreichte gute Note war, sondern weil Sprachen, Muttersprache hipp oder hopp, auf A-Kurs-Niveau offenbar sehr von Nutzen sein konnten (Obwohl Gilbert sich sicher war, dass sein Bruder heimlich auch einfach nur faul war.). Der andere A-Zusatzkurs, den Gilbert belegt hatte, war einer wo er dachte, dass er Spaß machte. Chemie. Mann, lag er da falsch. Aber er war natürlich auch unübertrefflich cool, wenn sich seine Hand nach dem Ende jeder Chemiestunde anfühlte, als würde sie abfallen. Und er musste zugeben, dass es sich für die wenigen Tage lohnte, an denen er mit explosiven Substanzen hantieren durfte. Leider, wurde bei der bloßen Nennung des Wortes „Experiment“ jedesmal sein Bruder, der ebenfalls diesen A-Zusatzkurs besuchte, Gilberts Partner, um ihn daran zu hindern den Klassenraum in die Luft fliegen zu lassen. Es verärgerte ihn ein bisschen, weil die Experimente dadurch für gewöhnlich mit „Nicht zu viel Natrium ins Wasser, Gilbert!“ oder „Wir sollten die Lösung erhitzen, nicht die Hausaufgaben in Brand stecken!“ gewürzt waren, sodass Gilbert nicht in der Lage war die Experimente aufzupeppen, wie er es wollte. Es war zum aus der Haut fahren! Umso komischer war es, wie erschreckend widerwillig Ludwig heute sein Partner wurde. Gilbert war sich nicht sicher, ob es das Getuschel war, welches seine Wurzel in dem kleinen Schauspiel hatte, welches er gestern vor der Tür ihres Schlafraumes aufgeführt hatte, oder sein Schein-Flirten, aber als der Lehrer das Experiment zur Leitfähigkeit ankündigte, war sein Bruder heftig zusammen gezuckt und sah aus, als habe man ihm gerade erzählt, das er für eine Woche mir Feliciano in einen Raum gesperrt würde. „Ach komm schon, Brüderchen! Guck doch nicht, als hätte jemand dein Schoßhündchen erschossen!“ säuselte Gilbert und verpasste seinem Bruder einen etwas unsanften Rippenstoß, während er das Natriumhydroxid in ein Becherglas füllte. „Du zieht die Stimmung hier total runter mit deiner schlechten Laune!“ Ludwig dachte nicht daran sich seinen Rat zu Herzen zu nehmen „Ich weiß wirklich nicht, wie du dich noch so verhalten kannst, nach dem Auftritt von gestern!“ murmelte erbost und nahm die Bürette zur Hand. „Auftritt? Welcher Auftritt?“ grinste Gilbert den Kopf voll mit passenden Entgegnungen. „Ich habe gestern eine Menge gloriose Auftritte gehabt!“ Aber Ludwig schluckte seinen Köder nicht, blickte nur unzufrieden zu ihm herüber, bevor er sein Arbeitsblatt herumdrehte. „Versuchen wir, einfach nur das Experiment hinter uns zu bringen.“ Gilbert blinzelte verdutzt. Das passte absolut nicht in Ludwigs übliches Antwortsschema. „Oje, gibt’s da Ärger im Paradies?“ „Haben die beiden eine Beziehungskrise?“ „Naja, immerhin war Gilbert vorletzte Nacht ausgesperrt…“ „Was da wohl passiert ist?“ Ludwigs Finger verkrampften sich mit jedem spekulativen Wispern mehr um sein Arbeitsblatt. „Ich glaube…“ zischte Gilberts normalerweise mundtotes Gewissen „Du bist etwas zu weit gegangen.“ Reagierend auf die wohl scheußlichste Stille, die jemands zwischen ihm und Ludwig gewesen war, sah sich Gilbert gezwungen, seine Meinung bezüglich seines `Zum-Spaß-mit-Ludwig-flirten-hahaha-ich-bin-so-umwiderstehlich´-Plans etwas zu revidieren. Es war lustig. Immer noch. Aber jetzt nagte dieses enervierend nörgelnde Gefühl an ihm, dass er immer bekam, wenn er seinen Bruder etwas zu sehr quälte. Wie sollte er es denn genießen, Ludwig, prüde und verklemmt, wie er nun einmal war, sich winden zu sehen, wenn dieser missgelaunte Bastard, sein Gewissen genannt, ihn dazu brachte sich deswegen schlecht zu fühlen?! Andererseits hatte sein Gewissen nie besonders viel zu sagen habt, in der Weise, wie er sein Leben lebte. Warum sollte er jetzt auf einmal anfangen, sich von diesem in seine Pläne fuschen zu lassen? Er würde seinem Gewissen schon zeigen, wer der Boss ist…indem er es ignorierte. „Ach, was für ein chaotischer Morgen!“ seufzte Gilbert und ließ im Speisesaal sich neben seinem Bruder und das Tablett auf den Tisch fallen. „Ne, Alter?“ „Äh…ja…Ja, war es.“ Ludwig sah erbärmlich aus. Mit hängenden Schultern stocherte er lustlos in seinen Kartoffeln herum, zeigte ein Bild von Niederlage in Reinform, ließ Gilbert etwas übel werden. „Ey, du schaust Scheiße aus, Alter!“ platzte es aus Gilbert heraus „Hast du gestern was falsches gegessen? War die Wurst doch schlecht?“ „Das wird’s wohl sein.“ Gilbert stieß einen schweren Seufzer aus und spiegelte die Handlung seines Bruders, indem er seine Kartoffel ebenfalls übellaunig zu zermatschen begann. „Du bist so angespannt, Brüderchen! Du hattest mein Angebot annehmen sollen.“ Gilbert erschrak, als Ludwig abrupt von seinem Stuhl aufstand. „Ich habe noch zu arbeiten.“ erklärte er barsch und stürmte aus dem Saal, ehe sein Bruder zu Wort kommen konnte. Jeder blinzelte, leicht verunsichert durch das völlig untypische Verhalten. Ein Erröten und Stottern wäre zu erwarten gewesen, vielleicht auch, dass Ludwig schrie und anschließend total steif agierte, um seinen vorherigen Fassungsverlust zu übertünchen… Aber das hier? Das war wirklich merkwürdig. Genau genommen, war sein ganzer Plan von Anfang an merkwürdig gewesen. Ausgerechnet Ludwig angraben zu wollen…Ts! Was hatte er sich nur dabei gedacht. Gilbert matschte weiter mit der Gabel in seinen Kartoffeln herum. Der Appetit war ihm vergangen. Ludwig war tatsächlich am Arbeiten, als Gilbert in ihren Schlafraum zurückkehrte. Er grüßte nicht oder machte sich die Mühe seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, als dieser mit übertriebenem Lärm durch die Tür brauste. Auch das war ungewöhnlich, normalerweise würde sein Bruder wegen irgendetwas mit ihm schimpfen oder ihn zumindest versuchen, ihn dazu zubringen, seine Hausaufgaben ausnahmsweise zu machen (und daran scheitern). Gilbert bemerkte, dass er offenbar schmollte, und starrte die Stirn runzelnd an die Decke über seinem Bett. Diese verdammte Stille brachte ihn noch um! „Ey!“ brummelte Gilbert drehte sich auf dem Bett liegend auf den Bauch und starrte zu seinem Bruder herüber, der über den Tisch gebeugte da saß und hektisch schrieb. „Mir ist langweilig! Unterhalte mich!“ „Ich bin beschäftigt.“ Gilbert schürzte die Lippen, welchen ein verärgertes „Tse!“ entwich, und ließ einen Arm über die Kante seiner Matratze baumeln. Das Einzige Geräusch, was aus dem Kratzen der emsig schreibenden Feder zu hören war, war das Ticken der Uhr neben der Tür aber Gilbert hatte keine Lust den Zeitmesser mit einem spontanen Rhythmus zu begleiten. Nein! Das hier war ja überhaupt gar nicht ungemütlich! Schwer seufzend setzte sich Gilbert auf und lehnte sich leicht nach vorne, um die Ellbogen auf seinen Knien ruhen zu lassen. „Hey, Ludwig! Du bist heute ganz schön still!“ „Worüber sollte ich reden.“ Schon wieder diese knappen Sätze! „Ach, sei nicht so kalt!“ Gilbert schielte mit gerunzelter Stirn nachdenklich zu seinem kleinen Bruder herüber. Er kannte seinen Bruder sehr genau, wusste welche Knöpfe er zudrücken hatte, wie man ihn am besten ärgern konnte, welches Essen er am meisten hasste und liebte und all die anderen Informationen, die ein liebender Bruder wissen musste. Aber er wusste nicht, wie mit diesem verschlossenen Kerl umgehen sollte. Langsam verlor er die Nerven. „Ja! Du bist so kalt zu deinem allerliebsten großen Bruder, Brüderchen! Bist du heute Morgen mit dem Falschen Fuß zuerst aufgestanden? Hast du deine Tage? Bist du krank? Komm schon, gib‘ mir nen Tipp, oder s…!“ „Gilbert!“ Schnitt ihm Ludwig das Wort ab. „Ich bin mit meiner Arbeit beschäftigt. Das ist alles, okay?“ „Wohl eher damit beschäftigt ein Arschloch zu sein.“ Blaffte Gilbert, der langsam die Geduld verlor. „Jetzt mal ehrlich! Du benimmst dich, als wäre irgendwas deinen Hintern `raufgekrochen und dort gestorben! Was ich ernsthaft bezweifle, da der verdammte Baumstamm dort den meisten Platz einnehmen dürfte!“ „Nun, vielleichtbin ich auch einfach etwas verstimmt darüber, dass du der ganzen verdammten Schule erzählt hast, wir würden auf Inzest stehen!“ knurrte Ludwig zurück, aus seinem Stuhl hochschießend und sich drohend über seinem Bruder aufbauend. „Aha, jetzte redeste endlich mal Tacheles! Dit is also deen Problem, oder wat?” Gilbert stand ebenfalls auf, wollte sich nicht noch kleiner als sein kleiner Bruder fühlen, der ohnehin schon größer war. „Sei hier mal nich so etepetete, du zimperlicher Piefke! Seh‘ ick so aus, als hätt‘ ick das ernst jemeint!? Darf man denn nich mal‘n Witz machen, Keule!“ Sich in Rage redend kam sein Akzent*** durch und ließ die Worte schärfer klingen, als sie gemeint waren. „Meine Fresse, Ludwig!“ Und in diesem Moment kam die Erkenntnis. Sie traf ihn aus dem Nichts am Kopf, traf ihn hart, wie mit einer Brechstange und trat abschließend noch mal nach. „Oh.“ Gilbert war erstaunt, wie schwach seine Stimme klang. „Oh, Scheiße! Scheißdreck! Du hast echt gedacht…“ Auf einmal fühlte er sich extrem unwohl in seiner Haut, ein völlig neues Gefühl für ihn. Jetzt gerade fühlte sich nicht gerade besonders toll. Er bedeckte seinen Mund mit der Hand und hustete trocken. „Im Ernst? Du hast ernsthaft gemeint ich hätte das ernst gemeint?“ Im Nachhinein betrachtet, hätte er es wissen müssen. Sein Bruder war ziemlich begriffsstutzig, wenn es um solche Dinge ging. „Dann… ich mein…letzte Nacht…“ „…“ „Aha.“ Wenn die Stille zuvor ihn umgebracht hatte, so brachte diese hier seine Leiche feierlich unter die Erde. „Ähm…also…“ Gilbert fühlte sich völlig deplatziert und kratzte sich auf der sich nach den richtigen Worten, die peinliche Pause zu durchbrechen, am Hinterkopf. Etwas um die Wogen zu glätten und ihre Beziehung mit dem klischeehaften Spiel eines großen Bruders, der seinen kleinen Bruder neckte, zu erhalten. Er räusperte sich. „Ich glaub‘…ich hab’s ernst gemeint…irgendwie.“ … Was hatte er da gerade gesagt?! Ludwig schien nicht weniger geschockt als er selbst. „Was?“ „Äh…Ich mein…ja, wirklich!“ Gilbert holte tief Luft und richtete sich auf, während sein dreistes Grinsen wieder zurück auf seine Lippen fand „Ist doch war, Brüderchen! Du musst wirklich mal ordentlich flach gelegt werden! Und es wird für den Job wohl eindeutig keinen besseren Mann für den Job geben, als mich!“ Er glaubte ein leichtes Déjà-vu zu bemerken, als er diese Worte fast schrie, aber es war ihm egal. Ein Gilbert Weillschmidt machte keine Rückzieher. Ludwig blinzelt. „Hä?“ „Auf geht’s, Brüderchen!“ entschied Gilbert und schnappte seinen kleinen Bruder am Handgelenk, um ihn Richtung Bett zuziehen. „Lass uns ein bisschen…entspannen!“ „…was?“ *“Science“= naturwissenschaftliches Mischfach aus Biologie, Physik und Chemie, wie’s scheint. **Ergänzung der Übersetzerin. Ich entschuldige mich für meine fragmentarischen Berlinerisch-Künste. ***Änderung des deutschen Akzent gegen einen berlinerischen, da es imho dumm klingt, wenn man schreibt ein Deutscher würde auf Deutsch mit einem deutschen Akzent sprechen. Berlinisch, weil erstens Hauptstadt von Dtld., zweitens Brandenburgisch und berlinerisch klingt für außenstehende sehr ähnlich, (Die Bradenburg/Preußen-Sache) und drittens, weil es für mich persönlich sehr hart klingt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)