Bis in die Ewigkeit von Kyrethil (Eine Geschichte mit drei Enden) ================================================================================ Kapitel 2: "Er ist allein in seinem Zimmer, steht vor dem Spiegel und singt seine Lieder" ----------------------------------------------------------------------------------------- Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, zog er den Stöpsel aus dem Ohr. Revolverheld spielten gerade „Spinner“. Er drehte den Kopf. Robin stand vor ihm und keuchte, wie wenn er einen Marathon gelaufen wäre. „Guten Morgen“, sagte Tom etwas amüsiert, und erhob sich von dem kleinen Mäuerchen, auf welchem er gesessen hatte. „Moin.“ „Was bist du denn so gerannt? Wärst nicht mal zu spät gekommen.“ Robin fuhr sich durch die Haare, und grinste den andern an, was Tom weiche Knie bescherte. „Hausaufgaben“, war die einzige Antwort. „Hab keine Zeit gehabt für Englisch, darf ich?“ Tom seufzte ergeben, und zog sein Heft aus der Tasche, reichte es Robin, der sofort begann, die Lösungen abzuschreiben. „Danke Mann, echt genial.“ Nach 5 Minuten hatte er fertig gekritzelt, während Tom sich bemüht hatte, seinen Blick nicht allzu lange auf dem anderen ruhen zu lassen. „Nichts zu danken“, sprach er mit leiser Stimme, und sogleich wurde er übertönt vom Klingeln. „Lass uns rein.. Sonst kommen wir noch zu spät“. Die erste Stunde hatten sie gemeinsam. Robin sass direkt vor ihm. Früher hatten sie oft nebeneinander gesessen, doch da Robin die elfte Klasse in Amerika absolviert hatte, und erst zu Anfang des Jahres zurückgekehrt war, hatte sich die ganze Sitzordnung verändert. Tom sass neben Lukas, und Robin neben Melanie, die ihn wie eh und je anschmachtete. Ihr Blick war wie festgesaugt auf Robins zerzaustem Haar, sie spielte sich im Haar herum, machte affektierte Bewegungen, und sprach einen Ticken zu hoch. Tom wusste, so schnell würde diese ihren Platz neben ihrem Schwarm nicht aufgeben und er verabscheute sie auf das Tiefste, obwohl er nicht einmal ganz genau wusste, wieso. Als Robin Melanie angrinste, und sich etwas zu ihr beugte, fiel es ihm wieder auf, warum er sie nicht mochte. Robin stand auf diese Sorte Mädchen. Herr Wehrolt, der Englischlehrer, sprach gerade über eine besonders komplizierte Satzstellung, und Tom versuchte sich zu konzentrieren, doch der hell blondierte Haarschopf vor ihm machte es ihm schwer. Und wie so oft dachte er darüber nach, dass er den Jungen, der vor ihm sass, mehr mochte, als es eigentlich gut war. Seine Gedanken schweiften ab, während er durch das Fenster blickte, auf die einfallende Augusthitze, die bereits um acht Uhr morgens das Klassenzimmer aufheizte. Bald würde Herr Wehrolt, den alle nur liebevoll Schweissfleck nannten, anfangen, seinen typischen Geruch zu verbreiten, und er tat Tom jetzt schon leid. Anstatt Notizen zu machen, kritzelte Tom Spiralen in die leere Seite des Hefts, auf dem nur „Lesson 5 Grammar – Future Perfect“ stand. Future.. Zukunft. Ein müdes Lächeln umspielte Toms Lippen, als sein Blick erneut auf den blondierten Haarschopf vor ihm fiel. Tom wusste schon eine längere Zeit, dass er Robin mehr mochte als einen einfachen Kumpel oder besten Freund. Eigenartigerweise war es ihm irgendwie immer klar gewesen, dass er eher auf Männer stand als auf Frauen. Mit Frauen verstand er sich gut, er hatte einige gute Freundinnen, die ihm mit ihrer Sichtweisen diverse Perspektiven aufzeigten, die er selber kaum gehabt hatte. Er erinnerte sich mit einem Schmunzeln an den Tag, als er Lilie und Felice davon erzählt hatte, dass er schwul war. Felice hatte sich nicht einkriegen können vor lauter Begeisterung, und sie hatte ihn –wie so viele Frauen – putzig und süss gefunden, und hatte natürlich auch betont, wie heiss er sei, und dass er sicherlich keine Mühe hätte, jemanden zu finden. Er erinnerte sich noch an die grossgeschriebenen Begeisterungsstürme im Chat und musste lächeln. Lilie hatte ihn gefragt, ob er schon einen Freund gehabt hätte. Als er verneinte, und aus einer melancholischen Laune heraus hinzufügte, dass er sowieso nie einen bekommen würde, hatte sie ihm virtuell auf den Kopf gehauen, und innerhalb zweier Minuten dank Google mehr über Hamburgs Gay-Szene herausgefunden, als er sich je hätte träumen lassen, und ihm gleichzeitig auch noch das Versprechen abgenommen, dass sie beide, sollte sie ihn je besuchen kommen, ein Gay-Café besuchen würden. In dem Moment hatte er sich etwas überrollt gefühlt, und dann gerührt. Es war einfach Lilies Art ein Problem praktisch zu lösen, und sie zeigte dadurch, dass sie ihn mochte. Sie wusste dort noch nichts von seinem Problem mit Robin, worauf sich seine Aussage überhaupt erst bezogen hatte. Doch hätte sie davon erfahren, hätte sie auch dafür sicherlich irgendeine Antwort gewusst. Seine Finger kritzelten mittlerweile Blümchen auf die immer noch leere Seite, und er riskierte einen weiteren Blick auf Robin, der sein Gesicht etwas zu Melanie gedreht hatte. Tom blickte in das Gesicht, welches er schon hundert, wenn nicht sogar tausendmal gesehen hatte in den letzten 6 Jahren, seit sie sich kannten. Und doch wurde er nicht satt, es zu betrachten. Die schön geschwungene Nase, die braunen Augenbrauen, die kaum zu der Haarfarbe passten, das Grübchen, welches sich beim Mundwinkel bildete, wenn Robin lächelte, der leichte Flaum am Kinn, der in den letzten Monaten entstanden war. Gierig saugte er jedes Detail auf. Die Frisur war mit Gel durcheinander gewuschelt gestylt, gerade so, dass es aussah, als hätte er nur einmal mit der Hand hineingegriffen und das Gel verteilt, doch Tom wusste, dass Robin dazu seine fünf bis zehn Minuten brauchte, damit alles sass wie er es wollte. Sein Rücken war etwas durch gebeugt, trotz seiner sportlichen Figur sass Robin krumm auf dem unbequemen Stuhl, als wäre er eine Banane. Tatsächlich sassen jedoch die meisten Schüler so da, vor allem die männlichen, deren Körpergrösse definitiv meistens zu gross war für die einfachen Holzstühle. Toms Blick fuhr von Robins Gesicht zu dessen Schulter und dann die Wirbelsäule entlang, dann das Ganze wieder zurück, bis er sich die Augen rieb, und seinen Kopf drehte, zum Fensterhinausschauten. Es war verflixt. Robin war sein bester Freund, sein Kumpel, sein Mensch zum Pferde stehlen. Und er, Tom, war hoffnungslos in ihn verliebt, bereits seit mehr als zwei Jahren. „Herr Sattler, sie haben bestimmt eine Antwort auf meine Frage, oder was gibt es draussen so interessantes zu sehen, dass sie den Unterricht verpassen?“ Die etwas schrille Stimme von Herr Wehrolt riss ihn aus seinen Gedanken und bohrte sich unangenehm in seine Gehörgänge. Er blickte betont ruhig zur Tafel, wo ein Satz stand, in dem man das Verb richtig konjugieren musste. „Will have visited“, sprach er nach fünf Sekunden überlegen, und schenkte dem etwas übergewichtigen, schwitzenden Lehrer ein gewinnendes Lächeln. „Den ganzen Satz“, blaffte dieser als Antwort. Tom seufzte. „She will have visited Paris by the end of next year.” Herr Wehrolt brummelte irgendetwas. Vermutlich war er verärgert darüber, dass Tom seine Aufgabe so souverän gelöst hatte, obwohl er offensichtlich mit etwas anderem beschäftigt war. Robin drehte sich zu ihm um, und flüsterte „Da hast es dem Schwitzfleck aber gezeigt, Alter.“, während Melanie kicherte und ihm ebenfalls gewinnend zunickte. Tom lächelte, und nuschelte irgendeine Antwort. Als es klingelte, und Tom seine Sacken packte, drehte sich Robin zu ihm hin und sagte: „Eh, Tom, hast du am Wochenende Zeit?“ Tom blickte Robin verständnislos an. Er? Am Wochenende? Sie trafen sich sonst kaum ausserhalb der Schule, da sowohl Robin als auch toms leben angefüllt war mit diversen Aktivitäten. Robin spielte exzessiv Basketball, was sich in den USA nur noch verstärkt hatte, und hatte fast jeden Tag Training. Toms Tage hingegen waren angefüllt von Chorproben, er sang Bass in einem klassischen Chor, von Orgellektionen und eigenen Übungsstunden und zu guter Letzt von seinen Tanzstunden, die Robin früher auch besucht hatte. Am Abend waren beide meistens zu platt, um noch irgendwas zu machen, und Tom verkroch sich in sein Computerspiel. „äh“, brachte er nur als Antwort hervor. „Weiss nich.“ Robin musste lachen. Schnell überschlug Tom das vor ihm liegende Wochenende, und kam zum Schluss, dass nichts Besonderes anstand. „Ja, sicher hab ich Zeit. Was liegt denn an?“, sagte er schliesslich, und versuchte möglichst cool zu klingen. Robin wollte sich mit ihm treffen. Sofort stellte sich ein flaues Gefühl im Magen ein, und sein Puls beschleunigte sich. Gleichzeitig rief er sich zur Ruhe. Das war ja albern. Er benahm sich wie ein pubertierender Vierzehnjähriger. „Ich bräuchte Hilfe bei Englisch. Kannst du mir das Ganze hier erklären?“, antwortete Robin schliesslich, den Blick auf Melanie geheftet. Tom fühlte sich, als hätte jemand einen Kübel Eiswasser auf ihn niedergeleert. Schlagartig beruhigte sich sein Magen wieder, und er blickte Robin an. „Natürlich“, seufzte er dann. „Schreib einfach eine SMS, wenn du kommst. Samstagmorgen sind wir wie üblich auf dem Wochenmarkt, aber gegen 12 sollten wir wieder zu Hause sein.“ „Ich denk ich werd gegen 14 Uhr da sein.“ Robin grinste. „Danke, bistn echt guter Kumpel. Ich helf dir dann dafür mal bei Mathe.“ „Wie ich bereits sagte: Nichts zu danken.“, antwortete Tom, packte seine Sachen fertig. Er rief noch ein „Bis dann“ in Richtung Robin, der ihm nachschaute. Er wandte den Kopf ab. „Bistn echt guter Kumpel“, hallte es in seinen Gedankengängen ihm nach. „Ein guter Kumpel..“ Tom ballte die Faust. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)