Kurzgeschichten-Sammlung von Kummererle ================================================================================ Kapitel 6: Günstige Gelegenheit ------------------------------- Es kommt nicht sehr häufig vor, dass wir die Zeit finden, gemeinsam einkaufen zu fahren. Aber wenn, dann machen wir es stets auf die gleiche Weise: Jeder von uns fährt einen Wagen und packt dort rein, was er glaubt für ein familäres Überleben zu benötigen. Wobei die Aufteilung klare Fronten aufweist. Sie legt Wert auf Gesundes und Zweckdienliches. Und ich auf alles, fern ab dieser beiden Begriffe. "Hey, Schatz.", flüstere ich plötzlich vielsagend, während Diana mit ein paar Tüten vom Obststand zurück zu ihrem Wagen kommt. Als ich mir ihrer Aufmerksamkeit bewusst werde, grinse ich sie erwartungsvoll an, Wobei ich wahrscheinlich gerade mal wieder mehr wie ein Kind, als wie ein wohlerzogener Erwachsener wirke. Aber was soll`s? "Die Gelegenheit ist günstig." Sie versteht und wirft einen verstohlenen Blick durch den Gang. Mindestens fünfzig Meter freie Bahn. Das ist ja schon fast als göttliche Fügung zu betrachten. Ich bin mir sicher, dass sie der Versuchung nicht widerstehen kann. Doch plötzlich kommt alles anders, als sie mir mit einer abfälligen Kopfbewegung ihren Standpunkt vermittelt. "Vergiss es." Und um meinem Entsetzen noch eines oben drauf zupacken, ergänzt sie genervt: "Irgendwann müssen diese Albernheiten auch mal aufhören." Damit packt sie die Tüten auf den Rest ihres Einkaufs. Einen Moment lang enttäuscht drehe ich mich um und bemerke zu spät, dass sie, gegen ihre eigene Behauptung, nun doch Anlauf nimmt und auf ihren Wagen aufspringt. Der wiederum zielsicher an uns vorbei schießt. "Tschüß, ihr Beiden.", höre ich sie uns aufs Äußerste amüsiert zurufen. Sowas nennt man Irreführung. Hinterlistiges Biest. Und das meine ich keinesfalls abwertent. Während Lore ihrer Mutter lächelnd hinterher winkt, fasse ich kurzerhand einen Entschluss. Wobei ich ihr den Lolli aus dem Mund nehme, um ein eventuelles Verschlucken zu vermeiden. Die Süßigkeit mit der Stielseite zwischen den Zähnen gebe ich ihr etwas unverständlich eine Anweisung: "Lore, halt dich fest. Wir haben eine Mission." Ihr Blick folgt wimmernd zu meinem Mund. Ich bin mir sicher, sie weiß die eigentliche Führsorge gerade herzlich wenig zu schätzen. Und noch bevor sie eingehender protestieren kann, nehme ich ebenfalls Anlauf, springe auf den Wagen und setze zu einer Verfolgung an. Gemeinsam lassen wir uns den Fahrtwind um die Nase blasen. Und während diese sich nun plötzlich schlapp lacht, fühle ich mich an meine eigene Kindheit erinnert. Nein. Das stimmt nicht ganz. Im Grunde war meine eigene Kindheit nie wirklich spaßig. Wahrscheinlich lebe ich das Kind in mir deshalb heute um so bewusster. Und das müssen die Menschen um mich herum manchmal mit ausbaden. Leider wehrt dieser Moment nicht allzu lange an. Als Diana uns durch einen kurzen Rückblick bemerkt, entgeht ihr dafür etwas anderes. Und promt stößt diese mit einem zweiten Wagen zusammen. Der allerdings selbst nicht ganz legale Geschwindigkeiten eingehalten hat, als er aus einem Seitengang rollt. Aber das nur so am Rande. Lore und ich kommen daraufhin ebenfalls wieder ins Stehen und diese verliert nicht viel Zeit damit, zurück zufordern, was ich kurz zuvor eingesackt habe. Mir wird fast schlecht, als ich bemerke, zu wem der andere Wagen gehört. Nämlich zu unseren liebenswerten Nachbarn ein Haus weiter. Die Chaoten haben gerade noch gefehlt. Und während der eine mit der Fliegerbrille, sich bei Diana entschuldigt, kommt der andere auch schon wütend auf ihn zu. "Matt, verdammt! Was soll die Scheiße?" Der Angesprochene dreht sich achselzuckend zu ihm um. "Du hast gesagt, ich soll beim Wagen bleiben." Lore kichert amüsiert. "Die da hat Scheiße gesagt." Innerlich seufze ich auf, als ich die wohlbehüteten Umstände meines Kindes davon fliegen sehe. Man kommt gar nicht umhin, dass Kinder früher oder später solche Worte aufschnappen, wenn man vor hat, sie in diese Welt zu integrieren. Soviel ist mir klar. Und doch trägt es maßgebend dazu bei, dass sich meine Abneigung gegenüber dem blonden Typen vor mir, immer mehr verhärtet. Der, wohl bemerkt, ein Mann ist und nicht, wie Lore irrtümlich annimmt, eine Frau. Deswegen sieht er sie jetzt demenstprechend betreten an. Aber ich gönne es ihm. Ich darf ihr schließlich heute Abend ein weiteres Mal erklären, was Scheiße ist und warum es besser nicht sagt. In der stillen Hoffnung, dass Diana sich an dieser Unterhaltung wieder beteiligt, fällt mein Blick auf den Inhalt des Wagens dieser mehr als fragwürdigen Gestalten. Augenblicklich wird mir klar, warum ich in der gesamten Süßwarenabteilung keine Schokolade auftreiben konnte. Denn dieser hier ist beinahe bis zum Rand damit voll. Unwillkürlich verängen sich meine Augen zu gefährlichen Schlitzen. Ich arbeite im Namen der Gerechtigkeit und nicht in dem der Legalität. Und da die momentane Situation zweifelsfrei als unausgewogen betrachtet werden kann, ist mein zweiter Plan für heute schnell gefasst. ... Geschichtsumsprung: ... Über und über mit Allem, was es aus meiner geliebten Haarpflege-Serie Vanilla Dreams für feines, blondes Haar gibt, kehre ich summend zum Wagen zurück. Und gerade, als ich alles zum Rest packen will, trifft mich mit beinahe der Schlag, woraufhin ich sämtliche Tuben, Dosen und Flaschen verliere und diese vor mir zu Boden fallen. Kein Zweifel. Da hat sich doch tatsächlich irgendein lebensmüder Vollspast an unserem Wagen zuschaffen gemacht hat. Hilfesuchend wende ich mich an meinen Kumpel. Dieser steht nur einige Schritte hinter mir und spielt, wie soll es auch anders sein, auf seiner verfickten PSP. Für gewöhnlich würde ich mir gar nicht erst die Mühe mit ihm machen und schon gar nicht irgendwas dabei erwarten, aber... ich bin gerade so verzweifelt. "Matt.", Ich höre, wie sich meine Stimme schon beinahe überschlägt, aber ernte keinerlei Reaktion. Deshalb versuche ich es noch einmal. Nur etwas eindringlicher. "Ma-att." Auftrag für Auftrag an meiner Seite. Und all die Jahre allgegenwärtiger Teil meines beschissenen Lebens. Aber wenn es mal drauf ankommt, ist einfach kein Verlass auf ihn. Es folgt, was Folgen muss: Mir platzt der Kragen. "Matt, verdammt, hörst du mich nicht???" Plötzlich erhalte ich doch noch eine Reaktion. Anscheindend hat er Kopfhörer benutzt. Sonst wäre wohl kaum diese dämliche Frage dabei raus gekommen. "Hast du was gesagt?" Ich schließe die Augen und zähle innerlich bis zehn. Nein. Eigentlich nur bis zwei. Aber, ich hätte es tun sollen, dann wäre meine Antwort vielleicht etwas gediegender ausgefallen. Andererseits: In so einer Situation würde doch jeder so reagieren. "Matt, du seltendämlicher Trottel! Hör auf, so blöde Fragen zu stellen und gib mir dafür lieber mal ne vernünftige Antwort!" "Na schön. Was willst du denn wissen?", kommt es total relaxt aus ihm. Was nur dazu führt, dass ich mich noch mehr aufregen muss und nun auch noch zynisch werde. "Zum Beispiel würde mich brennend interessieren, wer sich hier an den Tafeln Schokolade vergangen hat. Es fehlen vier, vielleicht auch fünf Stück. Hast du was gesehen?" Doch obwohl die Dringlichkeit meiner Frage keine Zweifel offen lässt, passiert weiter nichts, als das erneut Stillschweigen einsetzt. Will der mich gerade verarschen??? Fast schon unsicher erkundige ich mich zum dritten Mal nach seiner verbliebenen Existenz. "Matt?" "Jupp.", kommentiert er es munter und DAS ist definitiv zu viel! Ich hab echt für vieles Verständnis. Aber, auch mein Maaß ist irgendwann mal voll. Ein geübter Griff in die Innenseite meiner Lederjacke und einen Moment später halte ich meine Waffe auch schon in der Hand. Eine gerade an mir vorbei tuckelnde Oma bemerkt es, woraufhin sie panisch aufschreit und in einen Seitengang flüchtet. Was unvermittelt dazu führt, dass wir nun auch von den restlichen Einkäufern wahr genommen werden. Mein ach-so-toller Kumpel sieht mir daraufhin nun weit aus weniger Gelassen entgegen. Anscheinend kapiert der`s echt nur noch auf die Tour. "Und nun?" Ich nehm`s zurück. Doch noch bevor ich etwas erwiedern kann, spüre ich plötzlich einen dumpfen Schlag in meinem Nacken. Der damit ein her geht, dass mir zunehmend die Sicht schwindet und ich allmählich das Bewusstsein verliere. "Welcher selten... dämliche..." Geschichtsumsprung: Also, mal ehrlich. Da will man gemütlich mit seiner Familie einkaufen gehen und muss den Schock des Jahrhundert erleben. Da zieht doch tatsächlich einer unserer Nachbarn eine Knarre mittem im Supermarkt. Gott sei Dank hat L schnell gehandelt und den Blonden mit einem geübten Tritt in den Nacken außer Gefecht gesetzt. Für irgendwas müssen diese unzähligen Capoeira-Übungstunden ja gut sein. Lore klatscht ihrem Vater Beifall entgegen, als dieser in seiner nun wieder leicht gebeugten Haltung zu uns zurückschlendert. Zuvor hatte er sich noch daum gekümmert, dass ein Wachmann sich um alles Weitere kümmert. Als er seinen Wagen erreicht hat, krempelt er das weiße Hemd ein wenig hoch und lässt mit einem geheimnisvollen Grinsen ein paar Tafeln Schokolade hinein fallen. Ich ahne Schlimmes. Und gerade will ich ihn schon näher dazu befragen, da kommt er mir auch schon zuvor, als wäre nichts geschehen: "So. Von mir aus können wir jetzt an die Kasse." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)