Six Months - Die Symphonie deines Herzens von *Fane* (The-Bella-und-Edward-All-Human-Story) ================================================================================ Kapitel 2: Exposition: Carpe Diem - Teil 2 (Bella) -------------------------------------------------- normalerweise wollte ich ja 1x die woche posten, aber hier ein kleines halloweenspecial ;) =))) Musiktipp: Proyecto Oniric - La Fragile Mort http://www.youtube.com/watch?v=f5kmQwSg0zk&feature=PlayList&p=2700F97D81213E68&playnext_from=PL&playnext=1&index=27 Bild zum Chap: http://a.imageshack.us/img685/2562/bannerexp2teil2.jpg ----------------------------------------------- Ich ging zeitig aus dem Haus und direkt wieder zu Fuß zur Uni. Ich fand diese Regelung viel planbarer und angenehmer. Ich wurde wacher, blieb fit und bekam frische Luft – auch wenn es so früh morgens anstrengend und irgendwo auch eine Überwindung war. Die Sprachmitschnitte der Vorlesungen von gestern hatte ich mir aus dem Internet heruntergeladen und auf meinen mp3-Player gepackt. So konnte ich den Stoff direkt wiederholen. Kaum war ich auf dem Weg zu dem Laborraum von gestern morgen und brauchte nur noch wenige Schritte bis dorthin, als mein Name hinter mir erklang. „Miss Swan?“ Ich wand mich um. „Ja?“ Ein Mann – mit ziemlicher Sicherheit Dozent – eilte schnellen Schrittes auf mich zu. „Miss Swan, Cassidy mein Name, es tut uns leid“, er war leicht außer Atem, „aber wir haben heute erst bemerkt, dass in Ihren Unterlagen die Einladung zur Begrüßung der zehn Stipendiaten gestern gefehlt hat.“ „Oh, das tut mir sehr leid-“, begann ich höflich. „Nicht Ihr verschulden, das konnten Sie ja nicht wissen“, meinte er mit einer beschwichtigenden Handbewegung. „Würden Sie uns vielleicht heute Morgen mit Ihrer Anwesenheit beehren? Ein Kollege hält eine interne Antrittsvorlesung. Vielleicht nicht uninteressant für Sie? Sie können doch bestimmt der Laborübung einmal fern blieben und das nacharbeiten, nicht wahr? Ich werde Mr. John natürlich Bescheid geben. Seien Sie versichert.“ Er sah mich erwartungsvoll, doch gleichzeitig drängelnd an. Ich wusste sowieso, dass ich keine Wahl hatte, also brauchte ich gar nicht erst zu argumentieren, dass die Laborübungen sehr wichtig waren und man Praxis nicht zu Hause nachholen konnte. „Sehr gerne, ich würde mich freuen“, antwortete ich deshalb, denn interessant würde es wirklich werden. „Dann folgen Sie mir bitte.“ Er schritt, wiederum relativ rasch, vor mir her, während ich versuchte mir den Weg in diesem riesigen Gebäude haarklein einzuprägen, um nachher zurück zu gelangen. „Bitte sehr“, säuselte er und hielt mir die Tür auf. „Miss Swan!“, ertönte laut, durch ein Mikrophon, mein Name, sodass ich kurz zusammenzuckte. „Bitte kommen Sie rein und setzen Sie sich.“ Es waren geschätzte hundert Personen im Raum, die unterhalb der Bühne Platz genommen hatten. Überwiegend Männer – die mich jetzt alle ansahen. Ich nickte nervös und lächelte, während man mir einen Platz zuwies. Mr. Cullen fiel mir, allein schon wegen seines Aussehens, den hellblonden Haaren, sofort ins Auge. Sein Anblick weckte unangenehme Erinnerungen an seinen Sohn… „Für die Damen und Herren Kollegen“, meinte er an die Audienz gerichtet, „die nicht in den Genuss der Anwesenheit von Miss Swan in ihrem jeweiligen Seminar kommen: Sie ist eine der Stipendiaten unseres Programms, im Fachbereich Medizin und exkursweise Biologie und kommt aus Deutschland. Möchten Sie auch noch etwas sagen bzw. ergänzen?“, fragte der Herr auf der Bühne mich. Das musste ja so kommen. Aber das war keine Frage. Das war durch und durch rhetorisch. Ich hatte nicht abzulehnen – und ich hasste es. Betont lässig bejahte ich daher, richtete mich auf und schaute in die Runde. Mein Herze pochte mir augenblicklich bis zum Hals und ich musste einmal schlucken. „Vielen Dank. Ja, mein Name ist Isabella Swan und freue mich sehr hier in Amerika und jetzt in dieser Antrittsvorlesung zu sein und natürlich an dieser großartigen Universität. Ich bin gespannt auf die Zeit hier.“ Ich setzte mich wieder, kurzer Applaus erklang und dann widmete sich die Aufmerksamkeit der Bühne, auf der das Mikrophon die Hände wechselte. Erleichterung machte sich in mir breit, dass mir das einigermaßen flüssig und unblamabel über die Lippen gekommen war. Ich warf einen kurzen Blick nach rechts und links und bemerkte, dass Mr. Cullen mich angesehen hatte. Nun sah er gelinde nach vorn, als wäre nichts gewesen und lauschte dem Vortrag. Ich tat selbiges so gut ich konnte. Meine dritte Laborstunde war direkt am Mittwochmorgen, genau wie montags und dienstags auch. So war die Zeit zwischen den Versuchen nicht so lang, falls Stoffe weiterverarbeitetet werden mussten oder Ähnliches. Ich war relativ pünktlich, weshalb der Raum, der sich insgesamt mit neunzehn weiteren Studenten füllen würde, schon gut besetzt war – auch Edward saß schon an Ort und Stelle. Ich ging an den Reihen vorbei und setzte mich ganz hinten auf meinen Platz. Als ich, nachdem meine Ordner, Bücher und Hefter ihren Platz auf dem Tisch gefunden hatten, aufblickte, nahm ich seinen abschätzigen Blick wahr. Verunsichert blickte ich vor mir auf mein Skript und blätterte unwirsch darin herum. Ich tat so, als las ich, dabei spürte ich seinen Blick genau auf meinen Wangen. Ein stechender, undefinierbarer Schmerz machte sich in meinen Eingeweiden breit – es war mir unangenehm, dass ich ihn darauf angesprochen hatte. Eigentlich hatte ich ihn wegen seiner Arroganz verächtlich anschauen wollen. Ich fasste mir ein Herz und versuchte einen harten Gesichtsausdruck aufzusetzen, als ich mich zu ihm wand: „Was ist?!“, zischte ich leise. „Ich dachte, dir wäre der Kurs so wichtig“, formulierte er gewählt und bittersüß. „Dabei hältst du es noch nicht mal für nötig, deine eigene Anwesenheit hier im Blick zu haben. Wer nimmt hier was nicht ernst...“, setzte er murmelnd hinzu. Ich runzelte die Stirn. „Wovon redest-“ „Guten Tag die Damen und Herren“, begrüßte Mr. John, bereits während des Eintretens, sodass ich und die vielen anderen wuseligen Stimmen verstummten. „Gestern“, formten Edwards Lippen nur. Er hatte sich von mir abgewendet und folgte den Worten des Dozenten. Gestern?, fragte ich immer noch verwirrt und schnaubte kaum vernehmbar auf. Ich verstand. Durch die Dozentenvorlesung, auf der ich war, hatte ich gestern nicht zur Laborübungen kommen können. „Edward, gestern war ich-“ „Schht“, machte er eingebildet und legte einen Finger kurz an die Lippen. Er ignorierte mich. Gut, dann bist du mir auch gleichgültig, sagte ich mir, dann sind wir uns ja einig. Ich richtete den Kopf zur Tafel, damit leider auch zu Edward, da die Tafel rechts von uns war, während wir seitlich in den Reihen saßen. Er hatte sich bequem in den Stuhl gesetzt und die Arme verschränkt, gleichsam so, als würde er einen Film sehen. Ich widmete mich meinem Notizzettel und schrieb die Anleitung von der Tafel ab. „Fahren Sie mit den Ergebnissen des gestrigen Tages fort und analysieren Sie den Versuch anschließend. Genaue Beschreibung, Reaktionsketten, etc.“, wies Mr. John uns an. „Im Theorieseminar morgen wird das weiter fundiert.“ Edward stand mit einem mal auf, während ich meine Mitschrift vollendete. Er schritt zum Chemikalienschrank und danach zur Materialablage. Ich beobachtete seine Handgriffe und schaute schnell herab, als er zurückkam. Ohne eine Mitwirkung von mir zu beabsichtigen, baute er, nachdem wir beide unsere Laborkleidung angezogen hatten, auf und nahm keine Notiz von mir. Ich lenkte ein, denn das konnte nicht das ganze Semester so weiter gehen. „Es tut mir Leid wegen gestern. Mr. Cassidy hat mich zu einer Vorlesung der Hochschuldozenten mitgenommen und deshalb-“ „Schön“, fiel er mir ins Wort. „Hier“, er gab mir einen Behälter und eine Pipette in die Hand, „füll’ das da rein.“ Ich starrte die beiden Teile an – aber deshalb, weil er mir absolut nicht zugehört hatte und es ihn scheinbar auch nicht kümmerte. Es war unglücklich gewesen, dass ich ihn bat, den Kurs ernst zu nehmen und das nächste Mal selbst nicht da war, doch es war ja nicht mit Absicht und eine Wahl hatte ich nicht gehabt. „HCL ist Salzsäure“, erklärte Edward und deutete mein zögern falsch. „Also pass auf deine Hände auf.“ Sein Tonfall war abfällig. „Ich weiß, was das ist und was das für Auswirkungen auf der menschlichen Haut hat“, zischte ich und begann mit dem Umfüllen. „Gut.“ Er schaute unentwegt auf das Reagenzglas in seinen Händen, indem er zwei Stoffe mischte. „Sonst könnte ich dich gar nicht mehr gebrauchen.“ Ich öffnete entrüstet über seine Selbstgefälligkeit den Mund und drohte zu platzen. Er war so unverschämt! Bella, sagte ich mir innerlich ruhig, du willst einen guten Job machen und ausgezeichnete Ergebnisse abliefern und er ist nun mal dein Laborpartner, also beruhige dich und komm mit ihm aus. Ich atmete pustend aus. „Edward“, sagte ich bedächtig und so gelassen wie ich konnte. „Können wir nicht einfach normal miteinander umgehen?“ Er warf mir einen kurzen Blick zu und sagte nichts, während er eine weitere Flüssigkeit zu dem Reagenzglas in seiner Hand dazugab. Ich redete mir ein, das als Einverständnis deuten zu dürfen. „Was sagst du…“ Er starrte auf die Flüssigkeit, die er sich im Reagenzglas in kreisenden Bewegungen direkt vor Augen hielt. „Wie viel geben wir als katalysatorische Wirkung dazu?“ „Ich…“ Überrascht, dass er mich um Rat fragte, blinzelte ich und sammelte mich rasch. „Ich denke wir sollten sehr sparsam sein, weil es sonst-“ „Wir nehmen alles“, unterbrach er mich und gab die Flüssigkeit im selben Moment in Gänze dazu. „Hey! Was soll das?!“, rief ich empört aus, er achtete nicht sonderlich auf mich, und blätterte in meinem Ordner. „Jetzt können wir von vorne anfangen. Hier.“ Ich zeigte mit dem Finger auf eine Stelle in meinem Ordner und reichte ihm diesen. „Zu viel von dem Stoff bewirkt eine vorzeitige Oxidation, die wir nicht brauchen oder bezwecken wollen, weil sie unsere eigentliche Reaktion verhindert“, sagte ich auf. Er grinste. „Mag sein, aber du hast etwas übersehen – oder nicht richtig gelesen.“ Er legte den Ordner neben uns auf dem Tisch ab und zeigte ebenfalls auf das Papier. „Da wir hier ein anderes Mischungsverhältnis haben, gilt diese Regel nicht.“ Ich beugte mich über das Papier und las ein paar Sätze höher. Missmutig musste ich zugeben, dass er Recht hatte – ich jedoch nur teilweise schuldig war: „Das konnte ich nicht wissen, schließlich war ich gestern nicht da gewesen, als er das Verhältnis bekannt geben hat.“ „Der Stoff wäre klar geblieben, wenn das Mischungsverhältnis so wäre, wie du angenommen hast. Tatsächlich ist er aber getrübt“, konterte er. Voll schuldig, grummelte ich gedanklich. Er kostete seinen Triumph aus und grinste mich überlegen an. „Ich mache weiter“, nuschelte ich und stellte mich mittig vor die Versuchapparatur. Ich hatte kein Problem mir Fehler einzugestehen, doch wenn ich auf so „nette“ Weise darauf aufmerksam gemacht wurde, dann wurmte es mich doch. „Ist das von dir?“, fragte er unvermittelt und hielt meinen Ordner hoch. Seine Augenbrauen waren hoch gezogen. „Von wem sonst“, meinte ich unfreundlich. „Das hast du selber verfasst.“ Es war keine Frage, als er das nachdenklich über die Lippen brachte und auf meinen Ordner hinab sah, der eine lexikalische Übersicht aller Stoffe, Reaktionen, Regeln und Gesetze beinhaltete. Ich musterte ihn stutzig. Lag etwa Anerkennung in seinem Gesicht? Unbehelligt fuhr ich fort, erhitzte das Gemisch weiter und gab die letzte Flüssigkeit hinzu. „Was machst du denn da?!“, fuhr Edward mich plötzlich an und hielt mein Handgelenk fest. „Wenn du so weiter machst, ist unser Endprodukt gleich alkalisch!“ „Lass mich“, meinte ich und entzog ihm meine Hand. „Ich habe alles im Griff. Durch den Zusatz wird das Endprodukt höher konzentriert und wir erhalten ein besseres Ergebnis-“ „Blödsinn“, urteilte Edward sauer. „Die Menge reicht völlig! Lass das!“ Ich wich von ihm weg und wollte noch etwas dazugeben, als er meinen Arm fassen wollte, jedoch auf dem Weg dorthin den Behälter Salzsäure umstieß und sich diese über meinen rechten Handrücken ergoss. Ich starrte auf meine Hand – unfähig mich zu bewegen. Mein Atem setzte aus. Ich war nicht mal fähig einen Laut von mir zu geben, zu kreischen oder ihn anzuschreien. Klirrend glitt der Glasbehälter auf den steinernen Tisch. Um uns herum wurde es stiller und immer mehr Köpfe wandten sich uns zu. Eine Schocksekunde später ließ ich das Reagenzglas, welches ich bis dato in der anderen Hand gehalten hatte, fallen und griff reflexartig nach dem Papierhandtuch, damit die Säure nicht tropfte, und rannte nach vorne zum Pult, um meine Hand im Waschbecken daneben unter fließendes Wasser zu halten. Ich spürte die irritierten Blicke, da sich an jedem Arbeitstisch ein Wasserhahn befand, doch Wasser allein würde nicht reichen. Die Säure, die wir hatten, war hochkonzentriert. Ich reckte meine linke Hand umständlich nach Rechts zum Regal, wo die Stoffe standen und suchte nach einem Gegenstück, nach einer Lauge, nach etwas neutralisierendem. Ich bemerkte Edward neben mir, der zielsicher nach dem, was ich suchte griff, den Verschluss öffnete und mir die Flasche reichte, die ich ihm unwirsch aus der Hand nahm. Ich sah ihn gar nicht an, denn ich wusste, dass ich nicht halb so böse gucken konnte, wie mir zumute war – denn eigentlich verdiente er jede Verachtung. „Sehr clever“, hörte ich Edwards Stimme neben mir leise. So langsam erwachten die anderen hinter uns aus ihrem Dornrösschenschlaf. Mr. John stand längst zu meiner Linken, nachdem er von der anderen Seite des Raumes herbeigeeilt war. „Miss Swan-“ Er atmete zischelnd ein und beobachtete mich. „Ich denke, sie fahren am besten sofort ins Krankenhaus.“ Ich sagte zunächst nichts, versuchte weiterhin, die Säure restlos von meiner Haut zu bekommen und tupfte sie dann mit einem Tuch ab. Ich presste die Zähne aufeinander und versuchte nicht ängstlich zu wirken. „Alles okay“, murmelte ich. „Nicht nötig.“ Meine Haut kribbelte unangenehm. „Warten Sie, Mr. Jullard ist neben an. Warten Sie, ich hole ihn. Niemand rührt sich“, herrschte er die anderen an und lief nervös aus der Tür heraus. „Das“, ich hielt meine gerötete Hand hoch, „darfst du gerne deinem tollen Daddy erzählen.“ Ich funkelte ihn an. „Bella, ich- das wollte ich nicht, das war nicht beabsichtigt-“, druckste er herum. „Na wenigstens etwas“, fauchte ich zaghaft und drehte mich von ihm weg, als Mr. John mit Mr. Jullard hereinkam. Er grüßte kurz und schaute sich dann meine Hand an. Er war Medizindozent und auch mal praktizierender Arzt gewesen, wie er mir mitteilte. „Ich denke, dass Sie das sehr gut gemacht haben und die Hand ausreichend versorgt ist“, fand er. „Dennoch sollten Sie mitkommen, dann kann ich Ihnen ein Gel für die Haut geben. Nichtsdestotrotz“, seufzte er, „werden sie bei der Konzentration nicht um eine Narbe herum kommen.“ Ich nickte, folgte ihm aus dem Labor heraus und hörte noch wie Mr. John sich Edward tadelnd widmete und meinte, er solle sofort von neuem beginnen und gefälligst besser aufpassen – ganz so scharf klang es nicht und wurde es von Mr. John auch nicht formuliert, doch in meinen Gedanken war es so. Ich wusste, dass er gegenüber dem hochwohlgeborenen Cullen-Sprössling nie ausfallend werden würde. „Die Narbe wird sich vermutlich relativ bald bilden“, erklärte er, während er nach dem Gel suchte. „Wenn Sie anhaltend und langwierig Schmerzen haben sollten, gehen Sie bitte auf jeden Fall zum Arzt.“ „Ja, danke“, sagte ich, nahm daraufhin die Salbe und verließ mit ihm zusammen sein Büro. Auf dem Weg zurück, durch die Dozentenflure, kam uns – geliebter Zufall, seufzte ich stumm – Mr. Cullen entgegen. Er zog fragend die Augenbrauen hoch und beäugelte uns. „Theodor, alles in Ordnung?“ „Säureunfall“, meinte Mr. John knapp und deutete auf meine Hand, die ich stetig einrieb. „Oh“, machte Mr. Cullen nur und verengte grübelnd die Augen. Wusste er, dass ich mit Edward die Laborübungen hatte? Wusste er, dass wir sogar Laborpartner waren?, kam es mir urplötzlich in den Sinn. „Carlisle, wo ich Sie gerade sehe…“, begann Mr. Jullard, wandte sich dann jedoch – unmissverständlich mit verabschiedendem Charakter – zu mir. „Gute Besserung, Miss Swan.“ Mr. Cullen pflichtete ihm bei. Ich nickte, dankte noch einmal und ging den Flur weiter, während die beiden Dozenten hinter mir etwas besprachen. Je nachdem wie viel Edward und sein Vater miteinander redeten, hatte Edward vielleicht sogar von der Vorlesung gestern Morgen gewusst und, dass ich dort gewesen war, überlegte ich. Und wenn es so war… konnte er mich dann einfach nicht leiden?? Ich stiefelte zurück zum Seminar. Mr. John erkundigte sich noch mal nach mir, während die anderen alle bereits wieder arbeiteten. Business as usual. Ich setzte mich an meinen Platz und sagte nichts. Auch Edward schwieg, was mich schon etwas ärgerte, denn er hatte sich nicht mal richtig entschuldigt. Ich schaute zu, wie er den Versuch weiter durchführte. Gelangweilt schnappte ich mir einen Zettel, um wenigstens etwas protokollieren zu können und den brennenden Schmerz auf meiner Hand zu vergessen. Ich schnaubte. „Danke übrigens, dass du meine Schreibhand mit Säure begossen hast“, warf ich schnippisch ein. Was ich so lässig nahm, war jedoch ein Problem. Natürlich würde der Schmerz und die Heilung nicht mehr wirklich lange dauern, doch jede Stunde in der ich nicht schreiben konnte, war vergebens. „Entschuldige bitte“, meinte er kleinlaut. Er sah mich nicht an. „Danke“, murrte ich. Und nicht mal richtigen Ärger hast du bekommen. Nur, weil du als Cullen mit Samtpfoten angefasst wirst, fauchte ich säuerlich in Gedanken, sagte stattdessen: „Du hättest rausfliegen sollen!!“ Dann wäre uns beiden geholfen, ergänzte ich innerlich. „Jetzt mach aber mal’n Punkt!“, fuhr er mich an und warf mir einen festen Blick zu. Wenn ich ehrlich war, war ich gar nicht mehr so sauer, wie ich tat, und vielleicht war das auch nur ein bisschen Rache dafür, dass er mit dem Katalysator vorhin Recht gehabt hatte… „Hättest du nicht geglaubt, mit mehr Flüssigkeit den Versuch zu verbessern, hätte ich gar nicht-“ „Willst du dich rausreden?“, unterbrach ich ihn mit einen Hauch fassungslos. Er schwieg. Ich schwieg. Sendepause. Recht bald war die Übung herum und wir packten ein. Edward kümmerte sich um den Versuchsabbau, während ich ewig zu brauchen schien, um meine paar Sachen in meinen Rucksack zu bekommen. Ich brauche keine Hilfe, war ich Edward angegangen, er solle sich um seinen Kram kümmern und mich zufrieden lassen. „Bella! Warte mal!“, kam er hinter mir her, als ich flugs den Raum verlassen hatte und auch schon ein paar Flure weiter war. Ich lief unbeirrt weiter und schließlich aus dem Gebäude heraus. Er lief nun neben mir her. „Wo willst du hin?“, fragte er nach. „Auch wenn es dich nichts angeht, ich habe Freistunden“, erwiderte ich kühl. Eigentlich, kam es mir in Sinn, würde ich jetzt nicht nach Hause gehen, sondern in der Uni bleiben und dort lernen und später Mittag essen. Doch ich wollte meine Ruhe haben, vor Edward. „Bella, hör mal, das wollte ich nicht, es tut mir wirklich leid“, sagte er ehrlich. War das ehrlich? Oder wollte er nur keinen Ärger von seinem Papi und hatte Angst, dass ich ihn anschwärzte? So kindisch war ich nicht. Die Gelegenheit hätte ich dann außerdem schon gehabt… Am Ende der Treppe, die an der Bushaltestelle aufhörte, blieb ich stehen und blickte ihm in die Augen. Es traf mich wie der Schlag, als ich dieses Gesicht, was ich bei unserer allerersten Begegnung, wieder erkannte. Karamell, grün… sanftere Züge, nicht so hart. Nicht so verbissen. Nicht so kühl. Das schwache Sonnenlicht verbarg teilweise seine linke Gesichtshälfte. War seine Entschuldigung wirklich ehrlich? Oder war es ihm einfach nur peinlich, dass ihm das in seiner „Stellung“ passiert war? „Schon gut“, murmelte ich, wider meiner Gedankengänge, und machte Anstalten, an der Haltestelle vorbei und den Weg entlang der Straße zu gehen. „Wohin gehst du?“, fragte er sich laut. „Nach Hause“, sagte ich von ihm weg gewendet. „Bekommen Stipendiaten kein Ticket?“, wollte er sichtlich verblüfft wissen. „Doch. Wir sehen uns“, meinte ich knapp und entfernte mich rascher von ihm. Klar sahen wir uns. Jeden Montag-, Dienstag- und Mittwochmorgen. Edward-freier Tag, dachte ich, als ich am kommenden Morgen schrill von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen wurde. Ich aß einen Bissen, wusch mich kurz und machte mich an die Arbeit. Heute hatte ich zwar nicht später Uni, aber ich war gestern früher ins Bett gegangen und somit heute auch eher aufgestanden. Zeit bedarf ihrer Nutzung. Ich streckte und krümmte die Finger an meiner rechten Hand. Gestern Abend hatte es bis in die Nacht hinein noch geschmerzt, aber jetzt ging es. Unverkennbar bildete sich allerdings eine leicht halbmondförmige Narbe auf meinem Handrücken. Seufzend widmete ich mich meinen Unterlagen. Nachher war das Theorie-Seminar zu dem Edward, wie ich wusste, nicht kommen würde. Er hatte von Mr. John kein Papier zur Vorbereitung der heutigen Vorlesung angenommen. Das hatte er nicht nötig, murrte ich und herrschte mich sogleich gedanklich an: Konzentrier dich, Bella! Sehr weit kam ich nicht und machte mich dann etwas frustriert auf den Weg zur Uni. Das Laufen würde mir gut tun, ich fühlte mich dann besser, entlasteter. Ich zog die Haustür zu und wollte schnellen Schrittes Richtung Uni, als mich ein orangener Fetzen an einem- meinem Briefkasten stoppen ließ. Ich brauchte erst gar nicht von innen den Briefkasten zu öffnen, sondern konnte das Stück Papier so herausziehen. So lange konnte das noch nicht hier drin sein… gestern war nichts im Briefkasten gewesen… Ich erkannte die Farbzusammensetzung sofort: Orangener Rahmen, ansonsten dunkelblau mit gelber Schrift – das Plakat von dem Musikkonzert. Ich riss die Augen auf. Eine Eintrittskarte?!? Ich drehte sie um und wand sie zu allen Seiten. Eine Eintrittskarte. Ein Logenplatz. Und ich wusste genau, von wem das kam… Was bildete der sich ein?! Hatte ich darum gebeten?! Glaubte er, ich war käuflich?! Ich schnaubte vor mich hin, während ich die Straßen im strammen Gang entlang lief. Vermutlich hatte er diese Erfahrung gemacht, versuchte eine Stimme in mir ihn in Schutz zu nehmen. Ich schnaubte wieder. Ich hatte nur eine Entschuldigung gewollt und diese bekommen. Ehrlich oder nicht, konnte ich nicht sagen, daher verurteilte ich ihn dahingehend auch nicht – so gut das eben ging. Aber so etwas brauchte ich beim besten Willen nicht. In der ersten Vorlesung, der Theorie zu den Biologielaborkursen, war er, wie bereits gedacht, nicht da. Verbissen versuchte ich zuzuhören und es gelang auch, doch es war anstrengend und meine rechte Hand begann bei dem vielen Schreiben zu kribbeln. Vielleicht galt meine Aufmerksamkeit auch deshalb nicht hundertprozentig der Rede vorn, weil ich gleich Edward suchen wollte, um ihn zur Rede stellen- nein. Ich wollte ihm keine Szene machen. Im Grund war das ja möglicherweise nett gemeint, aber völlig fehl am Platze. Ich eilte aus dem stufigen Vorlesungsraum, nicht ohne mir schnell noch die Unterlagen am Pult zu schnappen, und machte mich auf die Suche nach ihm. Ich hatte eine halbe Stunde, bis ich zum nächsten Seminar musste. Die Eintrittskarte in meiner Hosentasche. Ich lief rüber in die Gänge des Musikgebäudes, wo die große Aula war, in der ich ihn einst gefunden hatte. Hier würde auch das Konzert stattfinden. Vielleicht war er auch dieses Mal dort auffindbar. Ich ging weiter und schaute auf diesem Wege hier und da in die Seminarräume. Scharenweise kamen die Studenten aus den Räumen. Ich hielt weiter Ausschau. Die Gänge wurden wieder leerer. Viel Zeit hatte ich auch nicht mehr… „Nein, nein nein, das ist wirklich kein Problem“, sagte jemand mir bekanntes lachend. Er kam aus einem Seminarraum hinter mir. Ich blieb stehen und wandte mich um, als er aus dem Raum schritt. Ein Dozent an seiner Seite. „Geben Sie mir die Partitur und ich spiele es mal durch. Ich denke-“ Er erblickte mich, nachdem er aufgesehen hatte. Es brachte ihn kurz aus dem Konzept, dann drehte er sich wieder kurz zum Dozenten. „Ich- wir können das auch noch transponieren. Geben Sie die Blätter einfach meinem Vater mit.“ Der Mann entfernte sich und Edward kam auf mich zu. Er blieb einen guten Meter vor mir stehen und presste, fast wie zu einem zögerlichen Lächeln, die Lippen aufeinander. Ich fühlte mich gut, ruhig und ausgeglichen, als ich sagte: „Was soll das?“ Ich hielt die Karte hoch. „Warum steckst du mir die in den Briefkasten und woher weißt du, wo ich wohne?“ „Mhm“, machte er und grinste schmal. „Welche Frage soll ich zuerst beantworten?“ Ich atmete schwerfällig aus und sah ihn mahnend an. „Edward, das ist mein ernst.“ „Also schön“, begann er endlich. „Ich wollte nicht, dass du dich dazu verpflichtet fühlst, dich bedanken zu müssen, deshalb habe ich-“ „Bitte?!“, entfuhr es mir impulsiv, jedoch nicht halb so laut, wie ich es am liebsten getan hätte. Er beäugte mich irritiert. „Na ja, die Karten sind heiß begehrt, um nicht zu sagen ausverkauft-“ „Dann nimm’ die und gib sie jemandem, der die auch haben will. Ich habe keine Zeit“, sagte ich hart. Nicht fauchend, nicht laut. Ich hatte mich gerade gut im Griff, merkte ich. Ich presste die Karte gegen seine Brust und als er sie nicht nahm, flatterte sie zu Boden. Ich wollte nicht weiter auf seine „Dankbarkeitsmasche“ eingehen, sondern nur eines klar stellen… „Weißt du, was ich im Medizinstudium gelernt hab?“ Ich wartete kunstvoll und bemerkte, dass mir leicht die Tränen in die Augen schossen, weil ich sofort an meine Mutter denken musste… „Gesundheit kann man nicht kaufen.“ Sie hatte das eigentlich mal gesagt. Ich senkte den Kopf, blinzelte die Tränen weg und entfernte mich von ihm, ohne, dass ich mich noch mal zu ihm umdrehte. Gut drei Wochen vergingen. Ich kam gut voran, meine Hand war wieder vollkommen genesen und die Narbe zeichnete sich sichtbar ab (meiner Mutter hatte ich davon nichts erzählt, sie würde sich zu sehr sorgen), während Edward und ich einander „handhabten“; um eine Kurzfassung zu geben. Wir gingen kühl und distanziert miteinander um, redeten nur das nötigste und einer gab im Streitfall meist sehr schnell nach. Wir hatten aus unserer letzten Situation gelernt und gingen betont höflich und taktvoll miteinander um, aber nicht nett oder freundlich. Unsere Analysen waren gut und es gab nichts an unseren gemeinsamen Arbeiten zu beanstanden. Wir hatten eine reine „Arbeitsbeziehung“ – wenn das überhaupt eine Beziehung war. Ich atmete tief ein und aus, als ich zum nächsten Seminar schlenderte. Mit dem Stoff kam ich gut klar. Ich konnte mir meine Zeit gut einteilen und sie sinnvoll und effektiv zum Lernen nutzen. Besonders Medizin lag mir und fiel mir nicht schwer. In den Laborübungen, welche ja zu den zusätzlichen Biologievorlesungen gehörten, die ich besuchte, hatte ich mehr Defizite. Der chemische Teil war nicht gerade meine Stärke, weshalb ich viel mehr dafür erarbeiten und selbst lernen musste, aber das schaffte ich. Die Studierenden hier… hm. Sie nahmen keine große Notiz an mir, was aber auch letztendlich daran lag, dass ich keine großen Anstalten machte, mit ihnen in Kontakt treten zu wollen. Ich wollte mich nicht aufdrängen und ganz abgesehen davon, kosteten Freundschaften Zeit, die ich nicht opfern wollte. Ich war schon immer – gezwungener Maßen wie gewollt – ein Einzelgänger gewesen. Zu Hause war auch alles bestens. Meiner Mutter ging es unverändert gut oder schlecht, je nachdem wann die Behandlung gewesen war bzw. die nächste auf sie wartete, und Phil bekam seinen Vertrag, für ein paar Aufträge wenigstens, noch mal verlängert. Ein Umzug ohne mich – so eingebildet das klang – würde sich als sehr schwierig gestalten. Phil würde ihr das Packen, die Treffen mit dem Vermieter, die ganze Organisation nicht zumuten wollen. Er war in der Hinsicht genauso wie ich. Er würde sie auch ganz raushalten wollen. Tja und mit meinem Vater hatte ich mich auch in Verbindung gesetzt. Wir hatten etwas telefoniert, ich hatte erzählt, er zugehört – wie meistens. Wir wollten uns in naher Zukunft treffen, doch bei mir war es gerade zeitlich sehr schlecht (ich fragte mich, wann das mal nicht so war…) und er konnte derzeit nicht aus Forks weg, weil eine Jugendbande die Gegend unsicher macht. Ich musste lachen, als mir das, in Verbindung mit dem kleinen unscheinbaren Forks, durch den Kopf geisterte. Jäh wurde ich von melodischen Tönen aus meinen Gedanken gerissen und lauschte in den fast ausgestorbenen Gang, während ich zum Sekretariat ging. Ich wollte mir Formulare für die Prüfungsanmeldung besorgen. So langsam wurde es Zeit. Ich ging dem Klang nach und neigte den Kopf durch den Spalt einer vertrauten Tür, die angelehnt war. Ich wusste, was sich dahinter verbarg. Die Melodie spielte weiter vor sich her. Eine eindringliche- nein, einprägende Melodie, so inbrünstig gespielt. Unten am Flügel erkannte ich Edward, halbseitlich mit dem Rücken zu mir. Seine Finger schienen über die Tasten zu fliegen – soweit man das von hier oben richtig erkennen konnte. Er spielte ohne Noten… Hm, grübelte ich. Die Melodie war so gefühlvoll und hingebungsvoll gespielt… wie konnte er so hart nach außen wirken und doch so innig dieses Lied auf dem Klavier zaubern? Das wollte mir in dem Augenblick nicht in den Sinn kommen. Ich stellte mich mit dem Rücken zu der geschlossenen Tür gelehnt hin, den Ordner auf die Brust gepresst, und hörte weiter zu. Als er endete, schreckte ich mit einmal hoch und starrte auf meine Uhr. Mein Seminar!, kam es mir erschrocken in den Sinn. So etwas war mir noch nie passiert. Es war auch noch nicht zu spät und ich würde pünktlich kommen, aber trotzdem… „Oh nein“, formten meine Lippen mit verzerrtem Gesichtsausdruck, als ich Montag früh vor dem Aushang an der Labortür stand. Das hatte ich in den Unterlagen gelesen, die ich am ersten Tag meiner Ankunft hier bekommen hatte und doch wieder völlig vergessen: Theoretische Selbststudienwoche. Das hieß, dass alle Vorlesungen ausfielen, praktisch wie theoretisch, und Referate zugeteilt wurden, die dann innerhalb der Seminare am Freitag gehalten wurden. Die Dozenten kümmerten sich in der Zeit neben den Anfragen von Seiten der derzeitigen Studenten zu den Referaten, um zukünftige Studenten bzw. baldige High School Absolventen. Das war alles nicht weiter bedenklich – wenn nicht in meinem Laborkurs alle Laborpartner zu einem Referat verdonnert worden wären. Sprich Edward und ich. Ich seufzte klagend. Warum hatte nur immer ich dieses Pech? Der Zettel verwies noch auf die große Eingangshalle, wo alle Referate aufgelistet waren, denn auf diesem waren nur die Laborübungsteilnehmer und separat davon noch ein weiterer Kurs aufgeführt. Mal sehen, welche Überraschungen mich noch erwarteten…, dachte ich und machte mich auf den Weg zu den weiteren Aushängen. Dort war es schon wesentlich belebter. Ich schlängelte mich zwischen den anderen Studenten durch, um zu „S“ wie „Swan“ zu gelangen und fand neben dem Referat mit Edward noch ein weiteres vor: Änasthesie bei Kindern, gemeinsam mit Julia Theer. Direkt neben dem Namen des Mädchens stand „erkrankt“. Ich runzelte die Stirn, schrieb mir die Namen der Referate und der Name des Mädchens kurzerhand ab und schaute auf dem Änderungsplan nach, an dem viele kleine Zettel gepinnt waren. Auch hier fand ich meinen Namen mit dem Inhalt, dass mein Referat kein Partnerreferat, sondern ein Einzelreferat werden würde, welches ich im Modul „Anästhesiologie und Notfallmedizin“ halten würde. Sprich, ich musste das allein machen. „He“, vernahm ich eine Stimme hinter mir. „Hast du es schon gelesen? Wir-“ „Ja, hab ich gesehen“, unterbrach ich ihn knapp, als ich mich zu Edward umdrehte. Er nickte nur. „Ich denke, wir teilen kurz die Unterthemen auf, die uns einfallen und behandeln dann jeder sein Thema“, schlug ich etwas schwerfällig vor. Die Spannungen zwischen uns waren unerträglich. Ich hatte immer den Wunsch wegzulaufen, weil wir uns so stark signalisierten, dass wir keinerlei Sympathien füreinander hegten. „Nein Bella, so geht das nicht“, wies er mich ruhig in die Schranken. „Das soll ein gemeinsames, stichhaltiges Referat werden und keine zusammen gewürfelte Einzelreferate. Aber gut, es ist deine Sache, ich bekomme dafür keine Leistungspunkte“, meinte er Schultern zuckend und drehte sich um. „Lass uns in die Bibliothek gehen.“ Er entfernte sich von mir. Ich biss mir auf die Unterlippe und sah ihm hinterher, wie er lässig, die Tasche über Schulter und Hüfte gelegt, wegging; die Hände in den Hosentaschen. Ich wollte nicht mit ihm zusammenrecherchieren. Ich wollte mich nicht mit ihm treffen und ich wollte ihn nicht sehen. Doch mir war bewusst, dass das Referat einen Praxisteil mit Vorführung beinhalten sollte sowie eine gute theoretische Fundierung und das konnten wir nicht leisten, wenn wir aneinander vorbei arbeiten – nicht angemessen zumindest. „Warte“, nuschelte ich mehr zu mir selbst und lief ihm hinterher. „Du hast recht“, sagte ich ohne einen Blick zu ihm, während wir nebeneinander her liefen. „Wir müssen uns treffen.“ Er sagte nichts und ich auch nicht. Wir setzten uns in die Bibliothek und suchten ein paar Bücher zu unserem – nicht gerade einfachen – Thema raus. Schweigend holten wir Bücher aus den Regalen und lasen darin. Ich richtete die Augen, den Kopf auf der Hand abgestützt, auf ihn, als ich eine kurze Verschnaufpause brauchte und meine Augen etwas entspannen lassen wollte. Im Gegensatz zu mir, saß er gerade. Die eine Hand hielt die linke Hälfte des Buches, während die andere sanft die Seiten umblätterte. Seine Augen flogen jeweils rasch über das Papier und folgten dem nächsten Blatt, wenn es nicht relevant erschien. Durch das seitlich einfallende, matte Sonnenlicht wurde sein markantes Kinn deutlicher gezeichnet. Ich raschelte gelegentlich mit dem Papier, damit er meine kleine Pause nicht bemerkte. Konzentriert glitt er über die Texte. Ich beobachtete, wie seine Iris hin und her tingelte. Müde spürte ich, wie mein Blick in die Ferne gerichtet erschien und ich verträumt schaute. Edward blickte auf, mir direkt in die Augen. Ich blinzelte mehrmals und neigte etwas übermütig den Kopf herab und las eifrig weiter. Ich wusste nicht, ob er mich noch ansah oder wieder sein Buch und versuchte weiter zumachen wie zuvor. „Ich denke“, zerriss ich die Stille, nach mehreren Büchern, „dass wir uns sehr gut an diese Gliederung hier halten können.“ Ich langte nach einem anderen Buch und schlug es an der Stelle auf, in die ich einen Zettel gelegt hatte. „Hier können wir noch ein paar Punkte ergänzen. Hast du noch einen Vorschlag?“ Er schaute nicht auf, sondern sah sich kurz die Gliederungspunkte an. Schließlich nickte er. „Ja, gut, nur diesen Kontrollversuch würde ich noch der Vollständigkeit wegen mit dazu packen.“ Ich nickte ebenfalls nur. „Teilen wir dann die Themen auf? Ich denke-“ „Das Basiswissen müssen wir uns sowieso beide aneignen“, fiel er mir ins Wort. „Aufteilen macht nur bei den Spezialisierungen Sinn. Den Versuch müssen wir zusammen vorführen und dabei müssen wir auf demselben Wissensstand sein.“ Ich hasste die Art und Weise, wie er mir verklickerte, dass er mal wieder Recht und ich Unrecht hatte. Natürlich war mir das klar, aber so ganz wahrhaben wollte ich es nicht. Ich atmete tief ein und aus. „Ich denke wir lesen am besten eine Auswahl von Kapiteln, bevor uns an die Präsentation machen“, schlug ich vor und beugte mich über die vielen Bücher zwischen uns auf dem Tisch und zeigte ihm mehrere Kapitel, die ich als Einführung für sinnvoll hielt. Danach stand ich auf. „Wo gehst du hin?“, fragte er Stirn runzelnd. „Ich lese die zu Hause“, meinte ich schlicht. „Ich habe noch ein anderes Referat, wie du vermutlich nicht. Treffen wir uns dann morgen wieder?“, fragte ich mit großer Überwindung nach. Alles in mir sträubte sich dagegen. „Selbe Zeit?“, sagte ich rasch, bevor er meinte ausschlafen zu können. Ich wollte keine Zeit verplempern. Er nickte zustimmend, obgleich er einen Augenblick… gezögert hatte? Oder nachgedacht hatte? „Gleicher Ort?“, wollte er wissen. „Ja.“ Ich begann meine Sachen zusammenzupacken und die Bücher einzusammeln. „Hör mal“, begann er unvermittelt. Verblüfft sah ich, ein wenig zu schnell, hoch. Ich hatte nicht erwartet, dass er noch mal etwas sagen würde und sein Ton war auch umgeschwungen. Ich zog leicht und ohne Absicht die Augenbrauen hoch. „Ich war… in der ersten Woche nicht sonderlich nett zu dir. Das hatte weniger mit dir zu tun. Das wollte ich dir nur gesagt haben.“ Er nickte, gar zufrieden, zu sich selbst und schaute wieder auf sein Buch. Ich verschwand in eine andere Abteilung, wo ich Bücher zur Anästhesie fand, ehe ich nach Hause ging. Ich schnaubte. Was war das denn für eine Entschuldigung? Es war nicht mal eine, denn „tut mir leid“ hatte er nicht gesagt. Er hatte sich mit Sicherheit nicht oft zu entschuldigen… es hatte sich eher wie eine Floskel angehört, um sein Gewissen zu beruhigen. Ich stapelte ein paar Bücher vor mir und tätigte denselben Ablauf, wie bei dem anderen Referat. Nein, überlegte ich nebenbei, es war nicht mal sein Gewissen. Das rührte noch eher von seiner Arroganz her… vermutlich gab es nicht viele Leute, die ihn nicht leiden konnten oder die anderweitiges nicht zeigten, was aber auf dasselbe drauf hinauslief. In den letzten drei Wochen hatte ich gemerkt, dass er hier sehr beliebt war, ob nur aufgrund seines Vaters wusste ich nicht, und er ein gewisses „Ansehen“ genoss. Er war ständig umgeben von einer Studentengruppe oder wurde im Labor oder danach sofort angesprochen. Ich glaubte nicht, dass er so ein Verhalten wie von mir gewohnt war. Mir war es gleich. Ich wollte hier erfolgreich ein Semester studieren und mich nicht bei ihm gut halten, geschweige denn „einschleimen“. Ich war hier sowieso nicht lange und konnte nicht den Profit daraus ziehen, welchen die anderen wahrscheinlich hatten – warum sonst gaben sie sich mit ihm ab? Ich konnte das nicht nachvollziehen. Selbst wenn ich hier wohnen würde, würde ich nicht nach einer Freundschaft aus Profit lechzen. Zu einer Freundschaft gehörte Verbundenheiten, nehmen und geben, Vertrauen. Er war eine der Personen, bei denen so etwas unmöglich war. ------------------ Freue mich natürlich über Meinungen, Kommentare etc.pp ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)