Lektionen fürs Leben von Zyra (Wenn Kaiba vor dem Nichts steht ...) ================================================================================ Kapitel 1: Zwischen Gefühlen und Gedanken ----------------------------------------- Zwischen Gefühlen und Gedanken Zum ersten Mal seit Langem wurde Seto Kaiba wieder von Gefühlen beherrscht. Er hasste diesen Zustand. So sollte es nicht sein. Ganz besonders nicht zu diesem Zeitpunkt. Gerade jetzt musste er einen kühlen Kopf bewahren. Er musste klar und rational denken. Aber da war keine Klarheit, geschweige denn Rationalität. Da war Wut. Und Unverständnis. Sowie ein seltsames Gefühl der Leere. Ein wenig Trauer. In erster Linie jedoch fühlte er sich gedemütigt. Und das in einem Maß, wie er es bisher noch nie zuvor erlebt hatte. Zum ersten Mal seit Jahren wusste er nicht, was er tun sollte. Er wusste nicht einmal wie er reagieren könnte. Er hatte keinen Plan zur Lösung des Problems zur Hand. Unfähig zu denken stand er auf einer der größten Einkaufsstraßen Dominos. Seine, dank der späten Stunde verlassene Umgebung realisierte er nicht. In ihm tobte ein einziges Gefühlschaos. Er war hilflos und es gab niemanden, der ihm hätte helfen können. Es hatte ihn vollkommen unvorbereitet getroffen. Roland hatte ihn am späten Abend vom Flughafen abgeholt. Mit einer Nachricht von Mokuba. Der ihn enteignet hatte, während seines Amerikaaufenthalts. Er war enteignet und enterbt worden. Es klang fremd und irgendwie … sinnfrei. Sowie ein Paradoxon. Aber er war enteignetworden. Von Mokuba. Seinem kleinen, liebenswerten Bruder. Der anscheinend inzwischen weder klein noch liebenswert mehr war. Der anscheinend inzwischen nicht mehr klein oder liebenswert war. Wie er mit der Enteignung eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte. Seto Kaiba saß von einem Moment zum anderen auf der Straße. Dem Moment, in dem Roland mit Mokubas Botschaft geendet und ihn mitten in der Innenstadt Dominos abgesetzt hatte. Mit nichts. Er hatte nichts mehr. Mokuba hatte ihm alles genommen, abgesehen von einer lächerlichen, mickrigen Abfindung in der Höhe von 5.000$. Kaiba atmete tief durch. Erst langsam begann er die Situation richtig zu realisieren. Es klang immer noch unwirklich. Wie ein schlechter Witz. Wie etwas … das einfach nicht Realität sein konnte. Aber das war es … anscheinend. Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Er versuchte sich zu sammeln. Aber stattdessen stieg mehr und mehr Beklemmung in ihm auf. Es war, als würde er vor einem Abgrund stehen und jede Bewegung könnte den Ausschlag geben, ob er sich rettete oder fiel. Nein, dachte er, ich befinde mich schon längst im freien Fall. Auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlte. Er fiel. … Vielleicht sollte er etwas tun, um die Tiefe des Abgrundes zu mindern. Oder seine Fallgeschwindigkeit abzubremsen. Aber er musste etwas tun, egal was. Als Kaiba die Augen wieder öffnete, sah er die dunklen Regenwolken am Nachthimmel. Er sollte sich wohl beeilen, sich irgendwo unterzustellen. Sonst würde er bald nicht nur sprichwörtlich im Regen stehen. Darauf legte er wirklich keinen Wert. Zudem wäre es sicherlich nicht förderlich. Sein Plan – wenn er wieder klar denken konnte, würde er einen entwickeln – sah wahrscheinlich nicht vor, durchnässt zu sein. Kaiba schulterte seine Reisetasche und nahm seine Laptoptasche. Aufgrund einer spontanen Eingebung folgte er den Hinweisschildern zu einer U-Bahnstation. Während er die verlassenen Treppen hinunter ging und das Gewicht des Gepäcks seiner Amerikareise spürte, fiel ihm auf, dass dies zwar wenig war, aber zumindest mehr als nichts. Und es ist mit Sicherheit mehr, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf, als Mokuba mir lassen wollte. Der Gedanke – ein winziger Triumpf – rüttelte etwas in ihm wach. Seinen Kampfgeist. Nun war er zumindest so wach, dass er in der Bahnstation die Kameras und deren Folgen für ihn bemerkte. Wenn es keine Aufnahmen von ihm gab, hatte sein Bruder eine Möglichkeit weniger, ihn zu verfolgen – zu verfolgen, was er tat. Dass Mokuba das wollte, da war er sich plötzlich sehr sicher. Also bog er in einen nichtüberwachten Seitengang ein und folgte den Toilettenschildern. Er brauchte Ruhe. Er musste denken. Er musste sich besinnen. Auf das Minimale, das ihm geblieben war, und dessen Möglichkeiten. Er musste einen Plan entwickeln. Das tun, worin er gut war: analysieren. Er war Seto Kaiba. Und Seto Kaiba fand immer einen Weg. Er bekam immer, was er wollte. Schon einmal hatte er mit kaum mehr also Nichts begonnen. Und er hatte sein Ziel erreicht. Dieses Mal jedoch war sein Bruder sein Gegenspieler. Der Mensch, von dem Kaiba meinte, dass er ihn am besten kannte. Aber er selbst hatte auch geglaubt, Mokuba zu kennen. Ein Irrtum. Und wenn er sich in seinem Bruder getäuscht hatte, so würde er zumindest dafür sorgen, dass es dem nicht anders erging. Aller mindestens. Kaiba hatte die Worte seines persönlichen Assistenten – ehemaligen persönlichen Assistenten – noch im Ohr. Er richtete ihm aus, Master Kaiba wäre sich absolut sicher, sich gegen Anfechtungsverfahren und Übernahmeversuche seinerseits bestens abgesichert zu haben. Der wird noch sein blaues Wunder erleben, grollte Kaiba in Gedanken. Wut stieg in ihm auf. Eine bekannte Wut. Er hatte sie heute schon einmal gespürt. Als er die Klappe des Kofferraums aufgerissen und sein Gepäck herausgezerrt hatte. Dabei hatte er seinen Bruder sowie Roland aufs Übelste beschimpft – gerechtfertigter Weise. Inzwischen schien das in weiter Ferne zu liegen, obwohl wahrscheinlich keine drei Stunden vergangen waren. An seine Worte erinnerte er sich nur noch schemenhaft. ... Sie würden schon noch sehen, was sie davon hatten. So schnell würde man ihn nicht los. Sie sollten sich bloß nicht einbilden, dass es das gewesen war. Sie hätten noch nicht gewonnen. Er würde zurückkommen und dann würde er lieber nicht in ihrer Haut stecken. … Und andere Nettigkeiten. Als Kaiba die letzte Kabine der muffeligen Herrentoilette betrat und seine Tasche auf den Boden fallen ließ, erinnerte er sich plötzlich an den Gesichtsausdruck seines ehemaligen Assistenten. Der Gesichtsausdruck, der ihm jetzt mit zeitlichen und emotionalen Abstand sagte, dass Mokuba sich wirklich gut abgesichert hatte und er, Kaiba, keine Chance hätte, etwas an der Sachlage zu ändern. Er lächelte bitter. Er kannte Rolands Kompetenzen. Wenn der das dachte, war es sicherlich nicht völlig von der Hand zu weisen. Aber niemand kannte Seto Kaiba so gut, wie er sich selbst. Mochte ja sein, dass es in nächster Zeit wirklich keine Chance gab, selbst für ein Genie wie ihn nicht, aber er war mit Sicherheit noch nicht weg vom Fenster. Seto Kaiba gab niemals auf. Er fand immer eine Lösung. – Warum sollte es dieses Mal anders sein? Nur, weil der Gegner sein Bruder war? – Nein, ganz bestimmt nicht. Er würde siegen, auch wenn das bestimmt nicht leicht werden würde. Er siegte immer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)